EuGH: Notarstelle – Inhaberwechsel kann als Unternehmensübergang angesehen werden
EuGH, Urteil vom 16.11.2023 – C-583/21 bis C-586/21, NC (C‑583/21), JD (C‑584/21), TA (C‑585/21), FZ (C‑586/21) gegen BA, DA, DV, CG
Volltext: BB-Online BBL2023-2945-3
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Tenor
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen ist dahin auszulegen, dass diese Richtlinie auf einen Fall, in dem ein Notar, der Beamter und privater Arbeitgeber der im Notariat beschäftigten Arbeitnehmer ist, den früheren Inhaber einer Notarstelle in seinem Amt ablöst, die Urkundenrolle sowie einen wesentlichen Teil des bei seinem Vorgänger beschäftigten Personals übernimmt und dieselbe Tätigkeit in denselben Räumlichkeiten und mit derselben Ausstattung ausübt, anwendbar ist, sofern die Identität dieses Notariats gewahrt bleibt, wobei es Sache des vorlegenden Gerichts ist, dies unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände festzustellen.
Aus den Gründen
1 Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (ABl. 2001, L 82, S. 16).
2 Sie ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen NC, JD, TA und FZ (im Folgenden zusammen: NC u. a.) auf der einen Seite und den Notaren BA, DA, DV und CG auf der anderen Seite wegen der Feststellung der Nichtigkeit oder Missbräuchlichkeit der Kündigung von Arbeitnehmern, die nacheinander von diesen Notaren eingestellt worden waren.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2001/23
3 Der dritte Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/23 lautet:
„Es sind Bestimmungen notwendig, die die Arbeitnehmer bei einem Inhaberwechsel schützen und insbesondere die Wahrung ihrer Ansprüche gewährleisten.“
4 Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 sieht vor:
„a) Diese Richtlinie ist auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar.
b) Vorbehaltlich Buchstabe a) und der nachstehenden Bestimmungen dieses Artikels gilt als Übergang im Sinne dieser Richtlinie der Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit.
c) Diese Richtlinie gilt für öffentliche und private Unternehmen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht. Bei der Übertragung von Aufgaben im Zuge einer Umstrukturierung von Verwaltungsbehörden oder bei der Übertragung von Verwaltungsaufgaben von einer Behörde auf eine andere handelt es sich nicht um einen Übergang im Sinne dieser Richtlinie.“
5 Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie lautet:
„Die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis gehen aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über.
Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der Veräußerer und der Erwerber nach dem Zeitpunkt des Übergangs gesamtschuldnerisch für die Verpflichtungen haften, die vor dem Zeitpunkt des Übergangs durch einen Arbeitsvertrag oder ein Arbeitsverhältnis entstanden sind, der bzw. das zum Zeitpunkt des Übergangs bestand.“
6 In Art. 4 der Richtlinie 2001/23 heißt es:
„1. Der Übergang eines Unternehmens, Betriebs oder Unternehmens-
bzw. Betriebsteils stellt als solcher für den Veräußerer oder den Erwerber keinen Grund zur Kündigung dar. Diese Bestimmung steht etwaigen Kündigungen aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen, die Änderungen im Bereich der Beschäftigung mit sich bringen, nicht entgegen.
…
2. Kommt es zu einer Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses, weil der Übergang eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil des Arbeitnehmers zur Folge hat, so ist davon auszugehen, dass die Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber erfolgt ist.“
Verordnung (EU) Nr. 650/2012
7 Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ABl. 2012, L 201, S. 107) sieht vor:
„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Begriff ‚Gericht‘ jedes Gericht und alle sonstigen Behörden und Angehörigen von Rechtsberufen mit Zuständigkeiten in Erbsachen, die gerichtliche Funktionen ausüben oder in Ausübung einer Befugnisübertragung durch ein Gericht oder unter der Aufsicht eines Gerichts handeln, sofern diese anderen Behörden und Angehörigen von Rechtsberufen ihre Unparteilichkeit und das Recht der Parteien auf rechtliches Gehör gewährleisten und ihre Entscheidungen nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem sie tätig sind,
a) vor einem Gericht angefochten oder von einem Gericht nachgeprüft werden können und
b) vergleichbare Rechtskraft und Rechtswirkung haben wie eine Entscheidung eines Gerichts in der gleichen Sache.
…“
8 Art. 62 dieser Verordnung bestimmt:
„(1) Mit dieser Verordnung wird ein Europäisches Nachlasszeugnis (im Folgenden ‚Zeugnis‘) eingeführt, das zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird und die in Artikel 69 aufgeführten Wirkungen entfaltet.
(2) Die Verwendung des Zeugnisses ist nicht verpflichtend.
(3) Das Zeugnis tritt nicht an die Stelle der innerstaatlichen Schriftstücke, die in den Mitgliedstaaten zu ähnlichen Zwecken verwendet werden. Nach seiner Ausstellung zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat entfaltet das Zeugnis die in Artikel 69 aufgeführten Wirkungen jedoch auch in dem Mitgliedstaat, dessen Behörden es nach diesem Kapitel ausgestellt haben.“
9 Art. 64 der Verordnung sieht vor:
„Das Zeugnis wird in dem Mitgliedstaat ausgestellt, dessen Gerichte nach den Artikeln 4, 7, 10 oder 11 zuständig sind. Ausstellungsbehörde ist
a) ein Gericht im Sinne des Artikels 3 Absatz 2 oder
b) eine andere Behörde, die nach innerstaatlichem Recht für Erbsachen zuständig ist.“
10 Art. 67 Abs. 1 der Verordnung Nr. 650/2012 bestimmt:
„Die Ausstellungsbehörde stellt das Zeugnis unverzüglich nach dem in diesem Kapitel festgelegten Verfahren aus, wenn der zu bescheinigende Sachverhalt nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht oder jedem anderen auf einen spezifischen Sachverhalt anzuwendenden Recht feststeht. …
Die Ausstellungsbehörde stellt das Zeugnis insbesondere nicht aus,
a) wenn Einwände gegen den zu bescheinigenden Sachverhalt anhängig sind oder
b) wenn das Zeugnis mit einer Entscheidung zum selben Sachverhalt nicht vereinbar wäre.“
Spanisches Recht
11 Art. 1 der Ley Orgánica del Notariado (Organgesetz über das Notarwesen) vom 28. Mai 1862 (Gaceta de Madrid Nr. 149 vom 29. Mai 1862, S. 1) definiert den Notar als „öffentlichen Amtsträger, der berechtigt ist, Verträge und andere außergerichtliche Rechtshandlungen gemäß den Gesetzen zu beurkunden“ und fügt hinzu, dass „es im gesamten Königreich nur eine Kategorie dieser Beamten gibt“.
12 Notare gehören von Rechts wegen dem Régimen Especial de la Seguridad Social de los Trabajadores por Cuenta Propia o Autónomos (Sondersystem der sozialen Sicherheit für Selbständige oder „RETA“) an. Sie sind Beamte und zugleich Arbeitgeber der in ihrem Dienst stehenden Personen, mit denen sie durch den Abschluss von Arbeitsverträgen, die dem gesamten allgemeinen Arbeitsrecht sowie dem gesamten Arbeitsrecht der Union unterliegen, freiwillig eine Bindung eingehen.
13 Nach den allgemeinen Regeln des Real Decreto Legislativo 2/2015, por el que se aprueba el texto refundido de la Ley del Estatuto de los Trabajadores (Königliches gesetzesvertretendes Dekret 2/2015 zur Billigung der Neufassung des Gesetzes über das Arbeitnehmerstatut) vom 23. Oktober 2015 (BOE Nr. 255 vom 24. Oktober 2015, S. 100224) (im Folgenden: Königliches gesetzesvertretendes Dekret 2/2015) verhandeln die Notare bis 2010 Tarifverträge mit lokaler und seit 2010 mit nationaler Geltung.
14 Art. 44 Abs. 1 und 2 des Königlichen gesetzesvertretenden Dekrets 2/2015 bestimmt:
„1. Wechselt der Inhaber eines Unternehmens, einer Beschäftigungsstelle oder einer selbstständigen Produktionseinheit, so führt dies nicht automatisch zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses; der neue Unternehmer tritt in die arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Rechte und Pflichten des früheren Unternehmers, einschließlich der Rentenverbindlichkeiten nach Maßgabe der insoweit geltenden besonderen Vorschriften sowie allgemein aller Verpflichtungen im Bereich des zusätzlichen sozialen Schutzes, die der Veräußerer eingegangen ist, ein.
2. Für die Zwecke der vorliegenden Bestimmung gilt als Übergang eines Unternehmens die Übertragung einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
15 NC u. a. waren in einem Notariat in Madrid (Spanien) bei verschiedenen, dort nacheinander tätigen Notaren beschäftigt. Am 30. September 2019 gab DV, der seit dem 31. Januar 2015 die betreffende Notarstelle besetzte, NC u. a. die Möglichkeit, mit ihm in seinem neuen Notariat in einer anderen Stadt zu arbeiten oder ihre Arbeitsverträge zu beenden. NC u. a. entschieden sich für Letzteres und erhielten eine Abfindung wegen betriebsbedingter Kündigung aufgrund höherer Gewalt.
16 Am 29. Januar 2020 wurde BA zum Inhaber dieser Notarstelle ernannt. Er übernahm die Arbeitnehmer seines Vorgängers und die Ausstattung. Die notarielle Tätigkeit wurde weiterhin an demselben Arbeitsort ausgeübt, an dem die Urkundenrolle aufbewahrt wird, die im nationalen Recht als Sammlung öffentlicher Urkunden und sonstiger Dokumente, die dieser Sammlung jedes Jahr hinzugefügt werden, definiert ist. Am 11. Februar 2020 schlossen BA und NC u. a. Arbeitsverträge mit einer Probezeit von sechs Monaten.
17 Am 15. März 2020 erließ die Dirección General de Seguridad Jurídica y Fe Pública (Generaldirektion für Rechtssicherheit und öffentliche Beurkundung, Spanien) des Ministerio de Justicia (Justizministerium, Spanien) wegen der Covid‑19-Pandemie eine Anweisung, wonach nur Dringlichkeitsmaßnahmen durchgeführt werden sollten und die Notariate die von den Behörden empfohlenen Maßnahmen zur Abstandshaltung umsetzen und Rotationen der Mitarbeiter einführen mussten. Am darauffolgenden Tag begaben sich NC, TA und JD in das Notariat, um BA aufzufordern, diese Maßnahmen anzuwenden. BA lehnte dies ab und sandte noch am selben Tag Kündigungsschreiben an NC, TA und JD sowie am 2. April 2020 an FZ, in denen er angab, dass sie ihre Probezeit nicht bestanden hätten.
18 NC u. a. haben beim Juzgado de lo Social no 1 de Madrid (Arbeits- und Sozialgericht Nr. 1 Madrid, Spanien), dem vorlegenden Gericht, beantragt, die Kündigungen für nichtig oder aber für missbräuchlich zu erklären, und festzustellen, dass die Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit ab dem Tag berechnet werde, an dem sie ihre Tätigkeit bei einem Vorgänger von BA in dem Notariat aufgenommen hätten, in dem BA jetzt sein Amt ausübe. BA ist diesen Anträgen entgegengetreten und macht geltend, dass als Stichtag für den Beginn der Betriebszugehörigkeit der 11. Februar 2020 gelten sollte, also der Tag, an dem er die Verträge mit NC u. a. geschlossen habe.
19 Das vorlegende Gericht führt aus, dass NC u. a. bis zur Kündigung im Jahr 2020 ununterbrochen bei den Beklagten des Ausgangsverfahrens, die nacheinander zu Notaren in demselben Notariat in Madrid ernannt worden seien, beschäftigt gewesen seien.
20 Spanische Notare seien Beamte, die in dieses Amt berufen würden, nachdem sie ein von der Generaldirektion für Rechtssicherheit und öffentliche Beurkundung des Justizministeriums regelmäßig organisiertes nationales Auswahlverfahren bestanden hätten, das einer speziellen allgemeinen Regelung unterliege. Das letzte bekannte ausgeschriebene Auswahlverfahren habe der Besetzung von Stellen gedient, die wegen Eintritts in den Ruhestand, Versetzung, Urlaub oder Tod frei geworden oder nach dem vorhergehenden Auswahlverfahren unbesetzt geblieben seien.
21 Beende ein Notar seine Tätigkeit wegen Versetzung oder wegen Eintritts in den Ruhestand, sei der ihm nachfolgende neue Notar, dem es freistehe, in den Räumlichkeiten des Vorgängers zu bleiben, verpflichtet, dessen Archive 25 Jahre lang aufzubewahren und auf Antrag betroffener Personen über die von seinem Vorgänger vorgenommenen Amtshandlungen Abschriften und Bescheinigungen auszustellen. Es sei nicht zwingend vorgeschrieben, aber üblich, dass der neue Stelleninhaber alle personellen und sachlichen Mittel behalte, die zur Erfüllung des Zwecks der notariellen Amtstätigkeit bestellt worden seien. Außer bei Versetzung oder freiwilliger Beurlaubung des Notars existierten weder besondere noch tarifvertragliche Regelungen zur Situation des Personals im Fall einer Kündigung.
22 Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) in seinem Urteil vom 23. Juli 2010 festgestellt habe, dass die Rechtsnatur des vom Notar ausgeübten öffentlichen Amtes „ihn nicht von seinem Status als Unternehmer [entbindet], da die [im Königlichen gesetzesvertretenden Dekret 2/2015] festgelegten Bedingungen erfüllt sind, weshalb der Notar seinen durch das Arbeitsrecht auferlegten Arbeitgeberpflichten nachkommen muss“ und klargestellt habe, dass „der Notar nicht Inhaber einer organisierten Zusammenfassung von personellen und sachlichen Mitteln ist, die beim Übergang des Notariats, in dem er sein öffentliches Amt ausgeübt hat, zu einer Art Unternehmensnachfolge führen könnte, da die jeweiligen Ernennungen und Versetzungen von der Regierung abhängig sind. Ebenso wenig wird der Notar durch die Ernennung für ein bestimmtes Notariat zum Inhaber der organisierten Zusammenfassung, die dieses Notariat charakterisiert. Er bleibt vielmehr ein bloßer Verwahrer seiner Urkundenrolle und sichtbarer Vertreter des in dieser Kanzlei ausgeübten öffentlichen Amtes – bei dem es sich nicht um einen öffentlichen Dienst im engeren Sinn handelt“.
23 Unter diesen Umständen hat das Juzgado de lo Social no 1 de Madrid (Arbeits- und Sozialgericht Nr. 1 Madrid) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2001/23 – und somit die gesamte Richtlinie – auf einen Fall anwendbar, in dem ein Notar, der zugleich Beamter und privater Arbeitgeber des für ihn arbeitenden Personals ist und dessen Stellung als Arbeitgeber durch das allgemeine Arbeitsrecht und den Tarifvertrag des Sektors geregelt ist, den früheren Inhaber der Notarstelle in seinem Amt ablöst, seine Tätigkeit am selben Arbeitsplatz und mit derselben Ausstattung ausübt und die Urkundenrolle und das Personal, das bereits für den ehemaligen Inhaber der Notarstelle gearbeitet hat, übernimmt?
Zur Vorlagefrage
Zur Zulässigkeit
24 BA und die spanische Regierung machen geltend, die Vorlagefrage sei unzulässig, da die Arbeitsverhältnisse der Kläger mit DV, dem Vorgänger von BA in den fraglichen Räumlichkeiten, vier Monate vor dem Zeitpunkt, zu dem die Kläger von BA eingestellt worden seien, gegen Zahlung einer Abfindung beendet worden seien. Daher hätten die Rechte und Pflichten, die sich für DV aus den mit NC u. a. geschlossenen Arbeitsverträgen ergeben hätten, zum Zeitpunkt des Übergangs des Notariats nicht mehr bestanden, und NC u. a. seien jedenfalls entschädigt worden.
25 Es ist darauf hinzuweisen, dass eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen eines nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Die Zurückweisung des Ersuchens eines nationalen Gerichts ist dem Gerichtshof nur möglich, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 17. Mai 2023, BK und ZhP [Teilweise Aussetzung des Ausgangsverfahrens], C‑176/22, EU:C:2023:416, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).
26 Hierzu ist festzustellen, dass nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 nur die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis aufgrund des Übergangs auf den Erwerber übergehen. Außerdem zielt diese Richtlinie nach ständiger Rechtsprechung nicht darauf ab, das Arbeitsentgelt oder andere Arbeitsbedingungen beim Übergang von Unternehmen zu verbessern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. März 2020, ISS Facility Services, C‑344/18, EU:C:2020:239, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).
27 Zwar geht aus den Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass NC u. a. ihre Arbeitsverträge im Zusammenhang mit der neuen dienstlichen Verwendung von DV am 30. September 2019 beendeten und, nachdem BA als Nachfolger von DV auf diese Notarstelle ernannt wurde, am 11. Februar 2020 ihre Verträge mit BA unterzeichneten.
28 Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass NC u. a. ihre Dienste seit dem 24. Mai 2004 ununterbrochen und an demselben Arbeitsort für die verschiedenen Notare erbracht hätten, die nacheinander auf diese Notarstelle ernannt worden seien und mit denen sie in einem gewöhnlichen Arbeitsverhältnis gestanden hätten. Die Anwendung der Richtlinie 2001/23 habe zur Folge, dass für die Betriebszugehörigkeit auf den Beginn ihres Arbeitsverhältnisses mit diesem Notariat abzustellen sei.
29 Zum Vorbringen der spanischen Regierung, die Vorlagefrage sei unzulässig, da NC u. a. aufgrund der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses bereits eine Abfindung erhalten hätten, ist festzustellen, dass sich eine solche Möglichkeit aus der nationalen Regelung ergibt, die nicht der Umsetzung der Richtlinie 2001/23 dient und daher für die Prüfung der Zulässigkeit der Vorlagefrage nicht relevant sein kann. Im Übrigen ist diese Abfindung nach den von NC u. a. in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben zurückgezahlt worden, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
30 Folglich ist nicht offensichtlich, dass die Vorlagefrage zur Auslegung der Richtlinie 2001/23 im Sinne der in Rn. 25 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten des Ausgangsrechtsstreits steht oder das Problem hypothetischer Natur ist. Unter diesen Umständen ist diese Frage als zulässig anzusehen.
Zur Beantwortung der Vorlagefrage
31 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 dahin auszulegen ist, dass diese Richtlinie auf einen Fall anwendbar ist, in dem ein Notar, der Beamter und privater Arbeitgeber des für ihn arbeitenden Personals ist, den früheren Inhaber einer Notarstelle in seinem Amt ablöst, die Urkundenrolle und das Personal, das bereits für den Vorgänger gearbeitet hat, übernimmt und dieselbe Tätigkeit in denselben Räumlichkeiten und mit derselben Ausstattung ausübt.
32 Nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2001/23 ist diese auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar.
33 Nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie gilt als „Übergang“ im Sinne der Richtlinie der Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit. Der Begriff der Einheit bezieht sich auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung (Urteil vom 27. Februar 2020, Grafe und Pohle, C‑298/18, EU:C:2020:121, Rn. 22).
34 Nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. c Satz 1 der Richtlinie 2001/23 gilt diese für öffentliche und private Unternehmen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig davon, ob diese Unternehmen Erwerbszwecke verfolgen oder nicht. Dagegen handelt es sich nach Satz 2 dieser Bestimmung bei der Übertragung von Aufgaben im Zuge einer Umstrukturierung von Verwaltungsbehörden oder bei der Übertragung von Verwaltungsaufgaben von einer Behörde auf eine andere nicht um einen „Übergang“ im Sinne der Richtlinie.
35 Vor der Prüfung, ob ein Übergang im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 vorliegt, ist daher zu untersuchen, ob Tätigkeiten wie die der spanischen Notare unter den Begriff „wirtschaftliche Tätigkeit“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie fallen.
Zum Vorliegen einer „wirtschaftlichen Tätigkeit“ im Sinne der Richtlinie 2001/23
36 Der Gerichtshof hat klargestellt, dass der Begriff „wirtschaftliche Tätigkeit“ jede Tätigkeit erfasst, die darin besteht, Waren oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten. Dagegen sind Tätigkeiten in Ausübung hoheitlicher Befugnisse grundsätzlich nicht als „wirtschaftliche Tätigkeiten“ einzustufen, wobei wohlgemerkt Dienstleistungen, die im Wettbewerb mit Dienstleistungen von Wirtschaftsteilnehmern, die einen Erwerbszweck verfolgen, erbracht werden, unter den Begriff „wirtschaftliche Tätigkeit“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2001/23 fallen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Juli 2017, Piscarreta Ricardo, C‑416/16, EU:C:2017:574, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).
37 Aus den Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass die spanischen Notare ihre Dienstleistungen Mandanten auf dem Markt gegen Entgelt anbieten, wobei diese Dienstleistungen im Wesentlichen in der Beurkundung von Verträgen und anderen außergerichtlichen Rechtshandlungen bestehen. Nach den Ausführungen der Europäischen Kommission in der mündlichen Verhandlung übernehmen die Notare die mit der Ausübung dieser Tätigkeit verbundenen finanziellen Risiken.
38 Eine solche Tätigkeit fällt, wie vom Generalanwalt in Nr. 37 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt, grundsätzlich unter den Begriff „wirtschaftliche Tätigkeit“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2001/23.
39 Es ist gleichwohl zu prüfen, ob Tätigkeiten wie die der spanischen Notare aufgrund bestimmter anderer Umstände, die sich aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte ergeben, unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden und als Tätigkeiten in Ausübung hoheitlicher Befugnisse anzusehen sind (vgl. entsprechend Urteil vom 24. Mai 2011, Kommission/Belgien, C‑47/08, EU:C:2011:334, Rn. 85 und die dort angeführte Rechtsprechung).
40 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass, da es sich um eine Ausnahme von der allgemeinen Regel der Anwendung der Richtlinie 2001/23 in deren Art. 1 Abs. 1 handelt, diese Ausnahme eng auszulegen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. September 2023, KRI, C‑323/22, EU:C:2023:641, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).
41 So ist erstens festzustellen, dass die spanischen Notare Beamte sind, die im Anschluss an ein Auswahlverfahren durch Ministerialerlass ernannt werden.
42 Ob sie hoheitliche Befugnisse ausüben, ist allerdings anhand der Tätigkeiten an sich und nicht anhand des Status der Notare nach spanischem Recht zu prüfen (vgl. entsprechend Urteil vom 24. Mai 2011, Kommission/Belgien, C‑47/08, EU:C:2011:334, Rn. 116).
43 Zweitens steht es dem Einzelnen, wie von der spanischen Regierung in der mündlichen Verhandlung bestätigt, frei, auf den Notar seiner Wahl zurückzugreifen. Insoweit ist zwar das Honorar der Notare durch die nationale Regelung festgelegt, gleichwohl kann die Qualität der erbrachten Leistungen von Notar zu Notar u. a. aufgrund der beruflichen Fähigkeiten schwanken. Folglich üben die Notare ihre Tätigkeiten unter Wettbewerbsbedingungen aus, was für die Ausübung hoheitlicher Befugnisse untypisch ist (vgl. entsprechend Urteil vom 24. Mai 2011, Kommission/Belgien, C‑47/08, EU:C:2011:334, Rn. 117).
44 Drittens weist die spanische Regierung in Bezug auf die von den spanischen Notaren ausgeübten Aufgaben darauf hin, dass die Notare zum einen dafür zuständig seien, Rechtsgeschäfte des Privatrechts zu beurkunden, Eheschließungen vorzunehmen, Ehen wegen Scheidung aufzulösen, eine Trennung auszusprechen sowie die Vorlage, Beurkundung, Eröffnung und Protokollierung verschlossener Testamente durchzuführen, und zum anderen in im spanischen Recht geregelten Fällen die Ausübung ihrer Aufgaben verweigern müssten. Insoweit ergibt sich aus dem von der spanischen Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen angeführten Art. 1 des Reglamento de la organización y régimen del notariado (Verordnung über die Organisation und die Regelung des Notarwesens), endgültig genehmigt durch das Decreto por el que se aprueba con carácter definitivo el Reglamento de la organización y régimen del Notariado (Dekret über die endgültige Billigung der Verordnung über die Organisation und die Regelung des Notarwesens) vom 2. Juni 1944 (BOE Nr. 189 vom 7. Juli 1944, S. 5225) (im Folgenden: Verordnung über das Notarwesen), dass der Notar in seiner Eigenschaft als öffentlicher Amtsträger die Befugnis zur notariellen Beurkundung hat, mit der auf dem Gebiet des Rechts die Echtheit und Beweiskraft der Willenserklärungen der Parteien in der nach dem Gesetz erstellten öffentlichen Urkunde festgestellt wird.
45 So wichtig solche dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten auch sein mögen, können die spanischen Notare, da sie diese Tätigkeiten unter Wettbewerbsbedingungen ausüben, nicht als Verwaltungsbehörden im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2001/23 angesehen werden.
46 Dass die Notare in Verfolgung eines im Allgemeininteresse liegenden Ziels handeln, wenn sie sich weigern, ihr Amt auszuüben, genügt nicht, um davon auszugehen, dass ihre Tätigkeit in Ausübung hoheitlicher Befugnisse erfolgt. Es steht nämlich fest, dass die im Rahmen verschiedener reglementierter Berufe ausgeübten Tätigkeiten nach den nationalen Rechtsordnungen häufig die Pflicht der sie ausübenden Personen einschließen, ein solches Ziel zu verfolgen, ohne dass diese Tätigkeiten deshalb mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse verbunden wären (vgl. entsprechend Urteil vom 24. Mai 2011, Kommission/Belgien, C‑47/08, EU:C:2011:334, Rn. 96).
47 Viertens teilte das Königreich Spanien der Kommission gemäß Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 650/2012 seine Entscheidung mit, die spanischen Notare als sonstige Behörden oder Angehörige von Rechtsberufen nach Unterabs. 1 dieser Bestimmung zu bezeichnen, die unter den Begriff „Gericht“ im Sinne dieser Bestimmung fallen und Europäische Nachlasszeugnisse nach Art. 64 dieser Verordnung erlassen können.
48 Es ist darauf hinzuweisen, dass diese Verordnung die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie die Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses betrifft und folglich die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2001/23 nicht berührt (vgl. entsprechend Urteil vom 15. März 2018, Kommission/Tschechische Republik, C‑575/16, EU:C:2018:186, Rn. 127 und die dort angeführte Rechtsprechung).
49 Im Übrigen bedeutet die Tatsache, dass die Notare eines Mitgliedstaats unter den Begriff „Gericht“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 650/2012 fallen, nicht, dass sie hoheitliche Befugnisse ausüben. Nach den in dieser Bestimmung aufgestellten Voraussetzungen fallen unter den Begriff „Gericht“ nicht nur Behörden oder Angehörige von Rechtsberufen mit Zuständigkeiten in Erbsachen, die gerichtliche Funktionen ausüben oder in Ausübung einer Befugnisübertragung durch ein Gericht handeln, sondern auch Behörden oder Angehörige von Rechtsberufen, die nur unter der Aufsicht eines Gerichts handeln.
50 Auch die Zuständigkeit der spanischen Notare für die Erteilung der Europäischen Nachlasszeugnisse nach Art. 64 der Verordnung Nr. 650/2012 ist nicht mit einer Ausübung derartiger hoheitlicher Befugnisse gleichzusetzen. Zum einen ergibt sich aus Art. 62 der Verordnung, dass die Verwendung dieser Zeugnisse nicht verpflichtend ist, und zum anderen aus Art. 67 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung, dass diese Zeugnisse nicht ausgestellt werden können, wenn Einwände gegen den zu bescheinigenden Sachverhalt anhängig sind.
51 Unter diesen Umständen, die zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, üben die spanischen Notare offenbar eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2001/23 aus.
Zum Vorliegen eines „Übergangs“ im Sinne der Richtlinie 2001/23
52 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2001/23 die Kontinuität der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit bestehenden Arbeitsverhältnisse unabhängig von einem Inhaberwechsel gewährleisten soll. Entscheidend für einen „Übergang“ im Sinne dieser Richtlinie ist, ob die fragliche Einheit ihre Identität bewahrt, was namentlich dann zu bejahen ist, wenn der Betrieb tatsächlich weitergeführt oder wiederaufgenommen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Februar 2023, Strong Charon, C‑675/21, EU:C:2023:108, Rn. 37 und 38 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
53 Im vorliegenden Fall beschäftigte BA, nachdem er vom Staat zum Inhaber der Notarstelle des geografischen Bezirks ernannt worden war, die DV innegehabt hatte, einen Teil der Belegschaft, übernahm Ausstattung und Räumlichkeiten und wurde zum Verwahrer der Urkundenrolle dieses Notariats.
54 Nach Art. 1 des Gesetzes über das Notarwesen ist der Notar ein öffentlicher Amtsträger, der berechtigt ist, Verträge und andere außergerichtliche Rechtshandlungen gemäß den Gesetzen zu beurkunden, während das Notariat, deren amtierender Notar er ist, nach Art. 69 der Verordnung über das Notarwesen eine „öffentliche Einrichtung“ ist, die definiert wird als „alle personellen und sachlichen Mittel, die zur Erfüllung [des] Zwecks [der notariellen Amtstätigkeit] bestellt wurden“.
55 Hierzu ist erstens festzustellen, dass ein Übergang im Sinne der Richtlinie 2001/23 nicht allein deshalb ausgeschlossen werden kann, weil ein Notar nicht auf der Grundlage eines mit seinem Vorgänger geschlossenen Vertrags Inhaber einer Notarstelle wird, sondern aufgrund seiner Ernennung durch den Staat.
56 Denn das Fehlen einer vertraglichen Beziehung zwischen Veräußerer und Erwerber kann zwar ein Indiz darstellen, dass kein Übergang im Sinne der Richtlinie 2001/23 erfolgt ist; ihm kommt in diesem Zusammenhang aber keine ausschlaggebende Bedeutung zu (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Februar 2023, Strong Charon, C‑675/21, EU:C:2023:108, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
57 Die Richtlinie 2001/23 ist in allen Fällen anwendbar, in denen die für den Betrieb des Unternehmens verantwortliche natürliche oder juristische Person, die die Arbeitgeberverpflichtungen gegenüber den Beschäftigten des Unternehmens eingeht, im Rahmen vertraglicher Beziehungen wechselt. Somit setzt die Anwendung dieser Richtlinie nicht voraus, dass zwischen Veräußerer und Erwerber unmittelbar vertragliche Beziehungen bestehen; die Übertragung kann auch unter Einschaltung eines Dritten erfolgen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Februar 2023, Strong Charon, C‑675/21, EU:C:2023:108, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).
58 Dass der Übergang auf einseitigen Entscheidungen staatlicher Stellen und nicht auf einer Willensübereinstimmung beruht, schließt die Anwendung der Richtlinie 2001/23 daher nicht aus (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Februar 2023, Strong Charon, C‑675/21, EU:C:2023:108, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).
59 Zweitens ist es für die Anwendbarkeit dieser Richtlinie unerheblich, dass nur der Notar zur Ausübung der notariellen Amtstätigkeit befugt ist.
60 Beim Übergang im Sinne der Richtlinie 2001/23 muss es nämlich um eine auf Dauer angelegte wirtschaftliche Einheit gehen, deren Tätigkeit nicht auf die Ausführung eines bestimmten Vorhabens beschränkt ist. Um eine solche Einheit handelt es sich bei jeder hinreichend strukturierten und selbständigen Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigenem Zweck (Urteil vom 6. März 2014, Amatori u. a., C‑458/12, EU:C:2014:124, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
61 Wie in Rn. 54 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ist das Notariat aber nach Art. 69 der Verordnung über das Notarwesen eine „öffentliche Einrichtung“, die definiert wird als alle personellen und sachlichen Mittel, die zur Erfüllung des Zwecks der notariellen Amtstätigkeit „bestellt“ wurden. Darüber hinaus hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung, ohne dass ihr die übrigen Beteiligten insoweit widersprochen hätten, aber vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht, ausgeführt, dass sich aus Art. 14 des II Convenio Colectivo estatal de Notarios y Personal Empleado (Zweiter nationaler Tarifvertrag für Notare und das beschäftigte Personal) vom 24. Juli 2017 (BOE Nr. 241 vom 6. Oktober 2017, S. 97369) ergebe, dass das Notariat, auch wenn es unter der Aufsicht des Notars arbeite, über seine Mitarbeiter Aufgaben wahrnehme, die sich z. B. auf seine Organisation, die Abfassung von Dokumenten und die Kommunikation mit den Mandanten insbesondere im Zusammenhang mit der Rechtsberatung bezögen, und die es zu einer selbständigen Organisation machten.
62 Im vorliegenden Fall führt, obwohl ein spanisches Notariat notwendigerweise unter der Aufsicht eines Notars tätig wird, die Ernennung eines neuen Inhabers der Notarstelle durch den Staat zum Übergang der von seinem Vorgänger ausgeübten notariellen Amtstätigkeit, die mit dem betreffenden geografischen Bezirk verbunden ist. Ein solcher Wechsel des Inhabers einer Notarstelle ist als ein Inhaberwechsel anzusehen; in einer solchen Situation soll die Richtlinie 2001/23 nach ihrem dritten Erwägungsgrund die Arbeitnehmer schützen.
63 Drittens führt der Wechsel des Inhabers einer Notarstelle nicht zwangsläufig zu einer Änderung der Identität des Notariats.
64 Für die Feststellung, ob die Voraussetzung der Bewahrung der Identität des Unternehmens erfüllt ist, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören namentlich die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs, der Übergang oder Nichtübergang der materiellen Aktiva wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva zum Zeitpunkt des Übergangs, die Übernahme oder Nichtübernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, der Übergang oder Nichtübergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und der nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Diese Umstände sind jedoch nur Teilaspekte der vorzunehmenden Gesamtbewertung und können deshalb nicht isoliert beurteilt werden (Urteil vom 16. Februar 2023, Strong Charon, C‑675/21, EU:C:2023:108, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).
65 Den für das Vorliegen eines „Übergangs“ im Sinne der Richtlinie 2001/23 maßgeblichen Kriterien kommt demnach notwendigerweise je nach der ausgeübten Tätigkeit und auch nach den Produktions- oder Betriebsmethoden, die in der betreffenden wirtschaftlichen Einheit, dem Betrieb oder Betriebsteil angewandt werden, unterschiedliches Gewicht zu (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Februar 2023, Strong Charon, C‑675/21, EU:C:2023:108, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).
66 Der Gerichtshof hat darauf hingewiesen, dass eine wirtschaftliche Einheit in bestimmten Branchen ohne nennenswerte materielle oder immaterielle Betriebsmittel tätig sein kann, so dass die Wahrung der Identität einer solchen Einheit über die sie betreffende Transaktion hinaus nicht von der Übertragung derartiger Betriebsmittel abhängen kann (Urteil vom 16. Februar 2023, Strong Charon, C‑675/21, EU:C:2023:108, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).
67 In einer Branche, in der es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, was insbesondere dann der Fall ist, wenn eine Tätigkeit nicht den Einsatz besonderer Arbeitsgeräte erfordert, kann eine wirtschaftliche Einheit ihre Identität über die betreffende Transaktion hinaus nicht gewahrt haben, wenn nicht ihre Hauptbelegschaft nach Zahl und Sachkunde vom angeblichen Erwerber übernommen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Februar 2023, Strong Charon, C‑675/21, EU:C:2023:108, Rn. 52 und 53 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
68 Diese Analyse beinhaltet daher eine Reihe von Feststellungen tatsächlicher Art, wobei diese Frage vom nationalen Gericht im konkreten Fall anhand der vom Gerichtshof aufgestellten Kriterien sowie der mit der Richtlinie 2001/23 verfolgten Ziele – wie des im dritten Erwägungsgrund der Richtlinie genannten Ziels, die Arbeitnehmer bei einem Inhaberwechsel zu schützen und die Wahrung ihrer Ansprüche zu gewährleisten – zu beurteilen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Februar 2023, Strong Charon, C‑675/21, EU:C:2023:108, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).
69 Insoweit geht aus Rn. 54 des vorliegenden Urteils hervor, dass das Personal und die Ausstattung des Notariats nach spanischem Recht eine „öffentliche Einrichtung“ sind, die definiert wird als alle personellen und sachlichen Mittel, die zur Erfüllung des Zwecks der notariellen Amtstätigkeit bestellt wurden.
70 In einem solchen Notariat kommt es vor allem auf die menschliche Arbeitskraft an, so dass es seine Identität über seinen Übergang hinaus wahren kann, wenn ein nach Zahl und Sachkunde wesentlicher Teil der Belegschaft von dem neuen Inhaber der Notarstelle übernommen wird, was es diesem ermöglicht, die Tätigkeiten des Notariats fortzuführen.
71 Für den Fall, dass ein zum Inhaber einer Notarstelle ernannter Notar einen wesentlichen Teil der von seinem Vorgänger beschäftigten Belegschaft übernommen und weiterhin mit Aufgaben wie den in Rn. 61 des vorliegenden Urteils genannten betraut hat, ist darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass er Inhaber einer Notarstelle, insbesondere eines bestimmten geografischen Bezirks, geworden ist, die Ausstattung und Räumlichkeiten dieses Notariats übernommen und zum Verwahrer der Urkundenrolle geworden ist, darauf hindeutet, dass das Notariat seine Identität gewahrt hat.
72 Nach alledem ist Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 dahin auszulegen, dass diese Richtlinie auf einen Fall, in dem ein Notar, der Beamter und privater Arbeitgeber der im Notariat beschäftigten Arbeitnehmer ist, den früheren Inhaber einer Notarstelle in seinem Amt ablöst, die Urkundenrolle sowie einen wesentlichen Teil des bei seinem Vorgänger beschäftigten Personals übernimmt und dieselbe Tätigkeit in denselben Räumlichkeiten und mit derselben Ausstattung ausübt, anwendbar ist, sofern die Identität dieses Notariats gewahrt bleibt, wobei es Sache des vorlegenden Gerichts ist, dies unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände festzustellen.