BGH: Notarhaftung – Wertung auf den Vertragsschluss folgender Maßnahmen
BGH, Urteil vom 22.4.2021 – III ZR 164/19
ECLI:DE:BGH:2021:220421UIIIZR164.19.0
Volltext: BB-Online BBL2021-1345-3
Amtlicher Leitsatz
Die bei einem Verstoß gegen § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG auf den Vertragsschluss folgenden Maß-nahmen des Käufers zur Erfüllung des Vertrages können sowohl Indiz für den unbedingten Entschluss zum Erwerb der Immobilie als auch nur Ausdruck nolens volens geübter Vertragstreue sein.
Sachverhalt
Der Kläger nimmt die beklagte vormalige Notarin aus eigenem und ihm von seiner Ehefrau abgetretenem Recht auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Beklagte beurkundete am 12. März 2008 ein vom Kläger und seiner Ehefrau gegenüber der Verkäuferin, der R. GmbH & Co. KG, abgegebenes Vertragsangebot zum Kauf einer vermieteten, 55 qm großen Eigentumswohnung in C. zum Preis von 87.500 €. Die Verkäuferin erklärte am 20. März 2008 die notarielle Annahme des Angebots. Am 19. Mai 2008 nahmen der Kläger und seine Ehefrau zur Finanzierung des Kaufpreises ein Bankdarlehen in Höhe von 87.940 € auf. Am 24. Juni 2008 beurkundete die Beklagte eine Grundschuldbestellung der Eheleute zugunsten der kreditgebenden Bank. Im Jahr 2013 nahmen sie die Verkäuferin und die Vermittlerin des Kaufvertrages wegen fehlerhafter Kapitalanlageberatung und sittenwidriger Überteuerung des Kaufpreises gerichtlich auf Schadensersatz und Rückabwicklung in Anspruch. Der Rechtsstreit endete am 31. August 2015 mit einem Vergleich, durch den der Kläger und seine Ehefrau 9.000 € erhielten. Mit der im Januar 2018 erhobenen Klage begehrt der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 78.500 € nebst Zinsen sowie die Feststellung der Ersatzpflicht.
Der Kläger macht geltend, die Beklagte habe vor der Beurkundung des Kaufvertrags die Wartepflicht gemäß § 17 Abs. 2a BeurkG (i.d.F. v. 23. Juli 2002, BGBl. I S. 2850) nicht eingehalten. Seine Ehefrau und er hätten den Vertragstext nicht vorab erhalten und insbesondere den Kaufpreis erst bei der Beurkundung erfahren.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt er seine vorinstanzlichen Anträge weiter.
Aus den Gründen
5 Die Revision ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
6 Das Oberlandesgericht hat ausgeführt: Das Landgericht habe das Vorliegen einer Pflichtverletzung zu Recht dahinstehen lassen. Denn ein etwaiger Schaden könne der Beklagten nicht zugerechnet werden. Allerdings scheitere die Ersatzfähigkeit des Schadens nicht bereits am Erfordernis der Kausalität, weil die Nichteinhaltung der Regelfrist des § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG notwendigerweise für den Vertragsabschluss kausal geworden sei, wenn der Notar die Regelfrist nicht eingehalten und der Verbraucher den Vertrag abgeschlossen habe. Dem Zurechnungszusammenhang stehe aber der Einwand der Reserveursache entgegen. Das Landgericht habe zutreffend angenommen, der Kläger und seine Ehefrau hätten unabhängig von einer rechtzeitigen Zurverfügungstellung eines Vertragsexemplars den Vertrag in jedem Falle abgeschlossen.
7 Im vorliegenden Fall sprächen die Umstände für eine späte Vertragsreue außerhalb der Regelfrist. Denn der Kläger und seine Ehefrau seien nach Vertragsabschluss nicht auf eine Vertragsaufhebung, sondern auf eine Vertragserfüllung bedacht gewesen. Sie hätten einen Darlehensvertrag geschlossen, um den Kaufpreis zu finanzieren, und eine Grundschuld bestellt, um das Darlehen zu besichern. Sie hätten die Mieten vereinnahmt und die Steuervorteile geltend gemacht. Erst im Jahre 2013 hätten sie die Verkäuferin und die Vermittlerin verklagt. Das Zuwarten habe das Landgericht zu Recht als Zeichen für einen von der Regelfrist unabhängigen Vertragsabschluss im Jahre 2008 gewertet.
8 Einer Beweisaufnahme habe es nicht bedurft. Die Beweisangebote beträfen die Frage der notariellen Pflichtverletzung. Diese aber könne wegen fehlenden Zurechnungszusammenhangs dahinstehen.
II.
9 Diese Ausführungen halten revisionsgerichtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
10 1. Das Berufungsgericht ist allerdings im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass die Beurkundung eines Vertrages unter Missachtung der Frist des § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG - in der bis zum 30. September 2013 geltenden und auch hier maßgeblichen Fassung vom 23. Juli 2002 (BGBl. I S. 2850) - den in dem für den beteiligten Verbraucher (Käufer) nachteiligen Vertrag liegenden Schaden bewirkt (Senat, Urteile vom 25. Juni 2015 - III ZR 292/14, BGHZ 206, 112 Rn. 21 und vom 28. Mai 2020 - III ZR 58/19, WM 2020, 1247 Rn. 33 mwN, insoweit in BGHZ 226, 39 ff nicht abgedruckt). Der Notar kann sich jedoch darauf berufen, dass, wenn er die Beurkundung abgelehnt hätte, der Verbraucher (Käufer) diese nach Ablauf der Frist genauso - wie geschehen - hätte vornehmen lassen. Für diesen hypothetischen Verlauf trifft den Notar die Darlegungs- und Beweislast, weshalb Zweifel zu seinen Lasten gehen. Zu seinen Gunsten gilt aber das herabgesetzte Beweismaß des § 287 ZPO (Senat, Urteil vom 28. Mai 2020 aaO). Außerdem obliegt dem Verbraucher (Käufer) eine sekundäre Darlegungslast (Senat aaO Rn. 33 f).
11 Das Berufungsgericht hat des Weiteren richtig gesehen, dass es zur Beantwortung der Frage, ob der Vertrag auch bei Einhaltung der Regelfrist des § 17 Abs. 2a Satz 2 Nr. 2 BeurkG abgeschlossen worden wäre, einer Würdigung der Umstände des Einzelfalls durch den Tatrichter bedarf. Dabei geht es regelmäßig zulasten des Verbrauchers (Käufers), wenn ihm vertraglich ein Rücktrittsrecht mit einer die gesetzliche Regelfrist von zwei Wochen überschreitenden Frist eingeräumt worden war und er hiervon nicht Gebrauch gemacht, sondern am Vertrag festgehalten hat (vgl. Senat, Urteil vom 25. Juni 2015 aaO Rn. 22; OLG Dresden, Urteil vom 24. August 2015 - 17 U 520/14, S. 4, nicht veröffentlicht).
12 Vor diesem Hintergrund mag nach Maßgabe der konkreten Fallgestaltung auch eine tatrichterliche Würdigung wie die des Berufungsgerichts rechtlich nicht zu beanstanden sein, die dem Umstand, dass der Käufer nach Schluss des Vertrags nachhaltig auf dessen Erfüllung bedacht ist, Indizwirkung zugunsten eines solchen hypothetischen Kausalverlaufs beimisst - wenngleich ein derartiges Verhalten auch lediglich Ausdruck einer sich nur resigniert in die rechtliche Bindung fügenden Vertragstreue sein kann.
13 2. Bei der erforderlichen Würdigung der Umstände des Einzelfalls hat das Berufungsgericht jedoch, wie die Revision mit Recht rügt, entscheidungserhebliches Vorbringen des Klägers rechtsfehlerhaft außer Betracht gelassen.
14 a) So hat der Kläger in seiner Berufungsbegründung (siehe auch Klageschrift S. 6 und 9) vorgetragen und durch das Zeugnis seiner Ehefrau unter (Gegen-)Beweis gestellt, sie beide hätten vor der Beurkundung am 12. März 2008 den Kaufpreis nicht gekannt. Hätte seine Ehefrau diesen rechtzeitig vorher gewusst, hätte sie die Eigentumswohnung nicht gekauft. Dann hätten die Einwände gegen den hohen Kaufpreis gesiegt. Seine Ehefrau hätte sich wegen des hohen Preises gegen den Kauf der Eigentumswohnung ihm gegenüber durchgesetzt.
15 Auf diesen Vortrag des Klägers ist das Berufungsgericht bei der Würdigung der Umstände rechtsfehlerhaft nicht eingegangen und ist dem auf Vernehmung der Ehefrau des Klägers als Zeugin gerichteten Beweisangebot rechtsfehlerhaft nicht nachgegangen. Das unter (Gegen-)Beweis gestellte Vorbringen des Klägers, das in der Revisionsinstanz mangels entgegenstehender Feststellungen als richtig zugrunde zu legen ist, entzieht der Würdigung des Berufungsgerichts, der Kläger und seine Ehefrau hätten bei Einhaltung der Wartepflicht den Kaufvertrag auch später - wie am 12. März 2008 geschehen - geschlossen, die Grundlage. Die Behauptung des Klägers beinhaltet das Gegenteil.
16 Wie die auf den Vertragsschluss folgenden Maßnahmen des Klägers und seiner Ehefrau zur Vertragserfüllung zu bewerten sind - Indiz für den unbedingten Entschluss zum Erwerb der Wohnung oder nur Ausdruck nolens volens geübter Vertragstreue -, kann erst nach Vernehmung der Zeugin beurteilt werden.
17 b) Soweit die Revisionserwiderung meint, die Formulierung des Berufungsgerichts "die Beweisangebote betreffen die Frage der notariellen Pflichtverletzung" beziehe sich - recht verstanden - nicht auf die Vernehmung der Ehefrau des Klägers zur (hypothetischen) Abstandnahme vom Kauf, sondern nur auf die übrigen Beweisangebote, ist dies unerheblich. In diesem Fall hat das Berufungsgericht das Vorbringen des Klägers und seinen (Gegen-)Beweisantritt zwar nicht rechtlich unzutreffend eingeordnet. Jedoch bleibt es dabei, dass beweisbewehrter entscheidungserheblicher Sachvortrag unberücksichtigt geblieben ist.
18 Der Revisionserwiderung ist des Weiteren auch insoweit nicht zu folgen, als sie geltend macht, auf der Grundlage der übrigen Behauptungen des Klägers habe dessen Ehefrau nicht als Zeugin vernommen werden müssen. Das gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass sie dem in der Berufungsinstanz wiederholten Vortrag des Klägers ("Einwände gegen den hohen Kaufpreis [hätten] obsiegt") erstinstanzliches Vorbringen des Klägers gegenüberstellt und eine "widerspruchsvolle ... Darstellung" zu erkennen meint. Denn (etwaige) Widersprüchlichkeiten des Vortrags in den Instanzen allein entheben grundsätzlich nicht von der Pflicht zur Durchführung der Beweisaufnahme, sondern können nur im Rahmen der Beweiswürdigung Beachtung finden (vgl. zB BGH, Urteil vom 1. Juli 1999 - VII ZR 202/98, NJW-RR 2000, 208 und Beschluss vom 6. Februar 2013 - I ZR 22/12, TranspR 2013, 430 Rn. 11 mwN). Unsubstantiiert ist das Vorbringen des Klägers entgegen der Revisionserwiderung ebenfalls nicht.
19 3. Da die Würdigung des Berufungsgerichts schon aus dem vorstehenden Grund rechtsfehlerhaft ist, braucht der Senat auf die weiteren Revisionsangriffe nicht mehr einzugehen (vgl. Senat, Urteil vom 28. Mai 2020 aaO Rn. 35).
III.
20 Da die Sache wegen der nachzuholenden tatrichterlichen Feststellungen noch nicht zur Endentscheidung reif ist, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und das Verfahren an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).