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Wirtschaftsrecht
01.03.2012
Wirtschaftsrecht
BGH: Nacherfüllung durch "Lieferung einer mangelfreien Sache" erfasst Ausbau und Abtransport der mangelhaftten Kaufsache











BGH , Urteil  vom 21.12.2011- Aktenzeichen VIII
ZR 70/08
(Vorinstanz: LG Kassel vom
24.11.2006 - Aktenzeichen 4 O 1248/06; ) (Vorinstanz: OLG Frankfurt am
Main vom 14.02.2008 - Aktenzeichen 15 U
5/07; )


Amtliche Leitsätze:
a) § 439
Abs. 1
Alt. 2 BGB
ist richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die dort genannte
Nacherfüllungsvariante "Lieferung einer mangelfreien Sache" auch den Ausbau und
den Abtransport der mangelhaften Kaufsache erfasst (im Anschluss an EuGH, Urteil
vom 16. Juni 2011 - Rechtssachen C-65/09 und C-87/09,
NJW 2011, 2269
- Gebr. Weber GmbH/Jürgen Wittmer und Ingrid Putz/Medianess Electronics
GmbH).
b) Das in § 439
Abs. 3
Satz 3 BGB
dem Verkäufer eingeräumte Recht, die einzig mögliche Form der Abhilfe wegen
(absolut) unverhältnismäßiger Kosten zu verweigern, ist mit Art. 3 der
Richtlinie nicht vereinbar (EuGH, aaO). Die hierdurch auftretende Regelungslücke
ist bis zu einer gesetzlichen Neuregelung durch eine teleologische Reduktion des
§ 439
Abs. 3
BGB
für Fälle des Verbrauchsgüterkaufs (§ 474
Abs. 1
Satz 1 BGB)
zu schließen. Die Vorschrift ist beim Verbrauchsgüterkauf einschränkend
dahingehend anzuwenden, dass ein Verweigerungsrecht des Verkäufers nicht
besteht, wenn nur eine Art der Nacherfüllung möglich ist oder der Verkäufer die
andere Art der Nacherfüllung zu Recht verweigert.
c) In diesen Fällen beschränkt sich das Recht des
Verkäufers, die Nacherfüllung in Gestalt der Ersatzlieferung wegen
unverhältnismäßiger Kosten zu verweigern, auf das Recht, den Käufer bezüglich
des Ausbaus der mangelhaften Kaufsache und des Einbaus der als Ersatz
gelieferten Kaufsache auf die Kostenerstattung in Höhe eines angemessenen
Betrags zu verweisen. Bei der Bemessung dieses Betrags sind der Wert der Sache
in mangelfreiem Zustand und die Bedeutung des Mangels zu berücksichti-
gen. Zugleich ist zu gewährleisten, dass durch die
Beschränkung auf eine Kostenbeteiligung des Verkäufers das Recht des Käufers auf
Erstattung der Aus- und Einbaukosten nicht ausgehöhlt
wird.

Amtliche Normenkette: BGB
§ 439
Abs. 1,
Abs. 3;







Tatbestand
 






Der Kläger kaufte bei der Beklagten, die einen Baustoffhandel
betreibt, am 24. Januar 2005 45,36 m2 polierte Bodenfliesen eines italienischen
Herstellers zum Preis von 1.191,61 € ohne und 1.382,27 € mit 16 %
Mehrwertsteuer. Er ließ rund 33 m2 der Fliesen im Flur, im Bad, in der Küche und
auf dem Treppenpodest seines Hauses verlegen. Danach zeigten sich auf der
Oberfläche Schattierungen, die mit bloßem Auge zu erkennen sind. Der Kläger
erhob deswegen Mängelrüge, die die Beklagte nach Rücksprache mit dem Hersteller
am 26. Juli 2005 zurückwies. In einem vom Kläger eingeleiteten selbständigen
Beweisverfahren kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass es sich bei den
bemängelten Schattierungen um feine Mikroschleifspuren handele, die nicht
beseitigt werden könnten, so dass Abhilfe nur durch einen kompletten Austausch
der Fliesen möglich sei. Die Kosten dafür bezifferte der Sachverständige mit
5.026,35 € ohne und 5.830,57 € einschließlich 16 % Mehrwertsteuer.
RN 1






Nach vergeblicher Leistungsaufforderung mit Fristsetzung hat
der Kläger die Beklagte in dem vorliegenden Rechtsstreit auf Lieferung
mangelfreier Fliesen und auf Zahlung von 5.830,57 € (Ein- und Ausbaukosten)
nebst Zinsen in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Beklagte aus dem -
vom Kläger nicht geltend gemachten - Gesichtspunkt der Minderung zur Zahlung von
273,10 € nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die
Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die Beklagte unter teilweiser
Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zur Lieferung von 45,36 m2 mangelfreier
Fliesen und zur Zahlung von 2.122,37 € nebst Zinsen verurteilt. Mit ihrer vom
Berufungsgericht zugelassenen Revision wendet sich die Beklagte gegen ihre
Verurteilung zur Zahlung von 2.122,37 € nebst Zinsen.
RN 2








Entscheidungsgründe
 






Die Revision hat, soweit sie zulässig ist, überwiegend
Erfolg.
RN 3






A.
 






Das Berufungsgericht (OLG Frankfurt am Main, OLGR 2008, 325
ff. = ZGS 2008, 315 ff.) hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen
ausgeführt:
RN 4






Der Kläger habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf
Lieferung mangelfreier Fliesen aus § 434,
§ 437
Nr. 1, § 439
Abs. 1
Fall 2 BGB.
Die ihm von der Beklagten verkauften und gelieferten Fliesen seien mangelhaft (§
434
Abs. 1
Satz 2 Nr. 2
BGB).
Nach dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen wiesen sie einen
herstellungsbedingten Polierfehler auf, der - wie sich im Rahmen eines
Augenscheins bestätigt habe - in der Fläche betrachtet insbesondere bei
Tageslichteinfall störende und sofort ins Auge springende Schlierstreifen
hervorrufe. Eine Beseitigung dieses Mangels (§ 439
Abs. 1
Fall 1 BGB)
sei technisch nicht möglich. Die von der Beklagten gemäß § 439
Abs. 3
BGB
erhobene Einrede, dass die vom Kläger verlangte Lieferung mangelfreier Fliesen
unverhältnismäßige Kosten verursache, sei unbegründet. Bei der Frage, ob die
allein in Betracht kommende Nacherfüllung durch Lieferung mangelfreier Fliesen
wegen absoluter Unverhältnismäßigkeit (§ 439
Abs. 3
Satz 3 Halbsatz 2 BGB)
verweigert werden dürfe, sei das Interesse des Klägers an der Durchführung der
Nacherfüllung gegen das Interesse der Beklagten abzuwägen, nicht mit den dafür
anfallenden Kosten belastet zu werden. Dabei seien zwar nicht die für den Einbau
neuer Fliesen anfallenden Kosten zu berücksichtigen, wohl aber der für ihre
Lieferung (rund 1.200 € einschließlich Transport) und für die Beseitigung der
mangelhaften Fliesen -also deren Ausbau und Entsorgung - entstehende
Kostenaufwand (rund 2.100 €). Dies ergebe sich aus der gebotenen Auslegung des §
439
Abs. 1
Fall 2 BGB.
RN 5






Allerdings spreche der Wortlaut dieser Bestimmung, wonach die
"Lieferung einer mangelfreien Sache" geschuldet sei, dagegen, Aus- oder
Einbaukosten zu den vom Verkäufer zu tragenden Nacherfüllungskosten zu zählen.
Auch erscheine es zunächst fernliegend anzunehmen, dass der
Nacherfüllungsanspruch als modifizierter Erfüllungsanspruch dem Verkäufer
zusätzlich zu dessen ursprünglichen kaufvertraglichen Pflichten zur Übereignung
und Übergabe der Kaufsache bisher nicht geschuldete Handlungspflichten
auferlege. Andererseits sei aber aus der Pflicht des Verkäufers, dem Käufer
Eigentum und Besitz - nur - an der mangelfreien Kaufsache zu verschaffen, im
Umkehrschluss zu folgern, dass der Käufer nicht verpflichtet sei, sowohl die
geschuldete mangelfreie als auch die gelieferte mangelhafte Sache zu behalten.
Daraus ergebe sich eine vertragliche Verpflichtung des Verkäufers, die
mangelhafte Sache zurückzunehmen. Wenn die mangelhafte Sache - wie hier - vom
Käufer zweckentsprechend eingebaut worden sei, erstrecke sich diese
Verpflichtung - und damit auch die Nacherfüllung - auf den der Rücknahme
notwendigerweise vorgelagerten Ausbau der Kaufsache.
RN 6






Den Gesetzesmaterialien lasse sich zudem entnehmen, dass § 439
BGB
der Umsetzung von Art. 3
der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai
1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für
Verbrauchsgüter diene. Bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung sei zu
beachten, dass in Art. 3
Abs. 2
Satz 1 der Richtlinie nicht wie in § 439
Abs. 1
BGB
von "Nacherfüllung", sondern von "Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des
Verbrauchsgutes" die Rede sei und dass die Nacherfüllungsvariante "Lieferung
einer mangelfreien Sache" mit den Worten "Ersatzlieferung nach Maßgabe des
Absatzes 3" umschrieben sei. Danach treffe den Verkäufer mehr als nur die
Pflicht zur Übergabe und Übereignung einer mangelfreien Kaufsache. Vielmehr
schulde er die "Herstellung" eines vertragsgemäßen "Zustands". Dieser sei
dadurch gekennzeichnet, dass die Kaufsache inzwischen bestimmungsgemäß
verarbeitet worden sei. Auch der Begriff "Ersatzlieferung" spreche dafür, dass
der Verkäufer mehr schulde als nur "Lieferung". Wer eine Sache "ersetze", müsse
nicht nur die neue Sache übergeben, sondern auch die alte wegnehmen, weil er
sonst "hinzusetze". Für ein über die bloße Lieferung hinausgehendes Verständnis
des Begriffs "Ersatzlieferung" spreche auch Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 3 der
Richtlinie, wonach die Ersatzlieferung "ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für
den Verbraucher" erfolgen müsse, wobei "die Art des Verbrauchsgutes sowie der
Zweck, für den der Verbraucher das Verbrauchsgut benötigte", zu berücksichtigen
seien.
RN 7






Im Rahmen der Abwägung des Interesses des Klägers an der
Durchführung der Nacherfüllung mit dem gegenläufigen Interesse der Beklagten
daran, nicht mit unverhältnismäßig hohen Nacherfüllungskosten belastet zu
werden, könne angesichts des Umstandes, dass die Beeinträchtigung durch die
fehlerhaften Fliesen erheblich sei und die Nacherfüllung neben der Lieferung
mangelfreier Fliesen nach der nicht angegriffenen Berechnung des gerichtlichen
Sachverständigen Ausbaukosten von 2.122,37 € einschließlich 19 % Mehrwertsteuer
verursache, nicht festgestellt werden, dass die Nacherfüllung mit
unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden wäre.
RN 8






Aus dem Vorstehenden folge, dass der Kläger nicht nur
Lieferung mangelfreier Fliesen verlangen könne, sondern gegen die Beklagte auch
einen Anspruch auf Zahlung von 2.122,37 € habe. Zwar sehe § 439
Abs. 1
und 2
BGB
selbst keinen Zahlungsanspruch vor, sondern verpflichte den Verkäufer nur zur
Durchführung der Nacherfüllung auf eigene Kosten. Der Zahlungsanspruch folge
jedoch aus § 434,
§ 437
Nr. 1, § 439
Abs. 1
und 2
BGB
in Verbindung mit § 280
Abs. 3,
§ 281
Abs. 1
und 2
BGB.
Indem die Beklagte vorgerichtlich jegliche Ansprüche des Klägers zurückgewiesen
habe, habe sie ihre Pflicht zur Nacherfüllung schuldhaft verletzt (§ 281
Abs. 1
BGB)
und die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert (§ 281
Abs. 2
BGB),
so dass es einer Fristsetzung zur Nacherfüllung nicht bedurft habe.
RN 9






Weitergehende Schadensersatzansprüche wegen schuldhafter
Lieferung mangelhafter Fliesen (§ 434, § 437
Nr. 3, § 440,
§ 280
Abs. 1,
§ 281
Abs. 1
BGB)
stünden dem Kläger mangels Verschuldens der Beklagten nicht zu.
RN 10






B.
 






Diese Beurteilung hält - soweit die Revision eröffnet ist -
rechtlicher Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.
RN 11






I.
 






Die Revision ist unzulässig, soweit sie sich gegen die
Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 273,10 € nebst Zinsen richtet. In
dieser Höhe ist die Beklagte durch das Berufungsurteil nicht beschwert, da sie
bereits in erster Instanz zur Zahlung von 273,10 € nebst Zinsen verurteilt
worden ist und dagegen keine (Anschluss-)Berufung eingelegt hat.
RN 12






II.
 






Soweit die Beklagte zur Zahlung von mehr als 273,10 € (nebst
Zinsen), nämlich von weiteren 1.849,27 € (nebst Zinsen) verurteilt worden ist,
ist die - zulässige - Revision überwiegend begründet.
RN 13






1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass
der Kläger im Rahmen der von ihm begehrten Nacherfüllung durch Ersatzlieferung
439
Abs. 1
Alt. 2 BGB)
von der beklagten Verkäuferin grundsätzlich auch verlangen kann, dass diese die
mangelhaften Fliesen ausbaut und entsorgt. Ebenfalls zu Recht hat es der
Beklagten verwehrt, die Ersatzlieferung gemäß § 439
Abs. 3
Satz 1, Satz 3 Halbsatz 2 BGB
wegen Unverhältnismäßigkeit der durch den Ausbau der mangelhaften Fliesen
entstehenden Kosten zu verweigern. Verkannt hat das Berufungsgericht jedoch,
dass der Nacherfüllungsanspruch des Klägers bezüglich des Ausbaus der
vertragswidrigen Kaufsache aufgrund der gebotenen europarechtskonformen
Rechtsfortbildung des § 439
Abs. 3
BGB
auf eine Kostenerstattung in Höhe eines angemessenen Betrages beschränkt
ist.
RN 14






2. Die Reichweite der den Verkäufer bei der Nacherfüllung nach
§ 439
Abs. 1
BGB
treffenden Pflichten ist - ebenso wie die der dem Verkäufer nach § 439
Abs. 3
BGB
zustehenden Einrede der Unverhältnismäßigkeit - im Einklang mit dem Inhalt des
Art. 3 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien
für Verbrauchsgüter (ABl. EG Nr. L 171 S. 12; im Folgenden: Richtlinie), deren
Umsetzung die genannten nationalen Vorschriften dienen (BT-Drucks. 14/6040, S.
230, 232), zu bestimmen.
RN 15






a) Der Senat hat daher mit seinem Beschluss vom 14. Januar
2009 (VIII
ZR 70/08
, NJW 2009, 1660
ff.) dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (jetzt: Gerichtshof der
Europäischen Union, im Folgenden: Gerichtshof) folgende Fragen zur
Vorabentscheidung gemäß Art. 234 EG (jetzt: Art. 267 AEUV) vorgelegt:
RN 16






"Sind die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 und 2 der
Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999
zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für
Verbrauchsgüter dahin auszulegen, dass sie einer nationalen gesetzlichen
Regelung entgegenstehen, wonach der Verkäufer im Falle der Vertragswidrigkeit
des gelieferten Verbrauchsgutes die vom Verbraucher verlangte Art der Abhilfe
auch dann verweigern kann, wenn sie ihm Kosten verursachen würde, die verglichen
mit dem Wert, den das Verbrauchsgut ohne die Vertragswidrigkeit hätte, und der
Bedeutung der Vertragswidrigkeit unzumutbar (absolut unverhältnismäßig) wären?
Falls die erste Frage zu bejahen ist: Sind die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 2
und Abs. 3 Unterabs. 3 der vorbezeichneten Richtlinie dahin auszulegen, dass der
Verkäufer im Falle der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des
Verbrauchsgutes durch Ersatzlieferung die Kosten des Ausbaus des
vertragswidrigen Verbrauchsgutes aus einer Sache, in die der Verbraucher das
Verbrauchsgut gemäß dessen Art und Verwendungszweck eingebaut hat, tragen
muss?"
 






b) Der Gerichtshof hat - nach der Verbindung dieser Sache mit
einem weiteren Vorlageverfahren - mit Urteil vom 16. Juni 2011 (Rechtssachen
C-65/09 und C-87/09, NJW 2011, 2269
ff. - Gebr. Weber GmbH/Jürgen Wittmer und Ingrid Putz/Medianess Electronics
GmbH) die Fragen wie folgt beantwortet:
RN 17






"Art. 3 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 1999/44/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten
des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter ist dahin
auszulegen, dass, wenn der vertragsgemäße Zustand eines vertragswidrigen
Verbrauchsguts, das vor Auftreten des Mangels vom Verbraucher gutgläubig gemäß
seiner Art und seinem Verwendungszweck eingebaut wurde, durch Ersatzlieferung
hergestellt wird, der Verkäufer verpflichtet ist, entweder selbst den Ausbau
dieses Verbrauchsgutes aus der Sache, in die es eingebaut wurde, vorzunehmen und
das als Ersatz gelieferte Verbrauchsgut in diese Sache einzubauen, oder die
Kosten zu tragen, die für diesen Ausbau und den Einbau des als Ersatz
gelieferten Verbrauchsguts notwendig sind. Diese Verpflichtung des Verkäufers
besteht unabhängig davon, ob er sich im Kaufvertrag verpflichtet hatte, das
ursprünglich gekaufte Verbrauchsgut einzubauen. Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie
1999/44/EG ist dahin auszulegen, dass er ausschließt, dass eine nationale
gesetzliche Regelung dem Verkäufer das Recht gewährt, die Ersatzlieferung für
ein vertragswidriges Verbrauchsgut als einzig mögliche Art der Abhilfe zu
verweigern, weil sie ihm wegen der Verpflichtung, den Ausbau dieses
Verbrauchsguts aus der Sache, in die es eingebaut wurde, und den Einbau des als
Ersatz gelieferten Verbrauchsguts in diese Sache vorzunehmen, Kosten verursachen
würde, die verglichen mit dem Wert, den das Verbrauchsgut hätte, wenn es
vertragsgemäß wäre, und der Bedeutung der Vertragswidrigkeit unverhältnismäßig
wären. Art. 3 Abs. 3 schließt jedoch nicht aus, dass der Anspruch des
Verbrauchers auf Erstattung der Kosten für den Ausbau des mangelhaften
Verbrauchsguts und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts in einem
solchen Fall auf die Übernahme eines angemessenen Betrags durch den Verkäufer
beschränkt wird."
 






Zur Begründung hat der Gerichtshof im Wesentlichen
ausgeführt:
RN 18






Nach dem Wortlaut und den einschlägigen Vorarbeiten zur
Richtlinie habe der Unionsgesetzgeber die Unentgeltlichkeit der Herstellung des
vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts durch den Verkäufer zu einem
wesentlichen Bestandteil des durch die Richtlinie gewährleisteten
Verbraucherschutzes machen wollen. Die dem Verkäufer in Art. 3 Abs. 3 der
Richtlinie auferlegte Verpflichtung, die Herstellung des vertragsgemäßen
Zustands des Verbrauchsguts unentgeltlich zu bewirken, solle den Verbraucher vor
drohenden finanziellen Belastungen schützen, die ihn davon abhalten könnten,
seine Ansprüche geltend zu machen (Rn. 46). Wenn der Verbraucher im Fall der
Ersatzlieferung für ein vertragswidriges Verbrauchsgut vom Verkäufer nicht
verlangen könnte, dass dieser den Ausbau des Verbrauchsguts aus der Sache, in
die es gemäß seiner Art und seinem Verwendungszweck eingebaut worden ist, und
den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts in dieselbe Sache oder die
entsprechenden Kosten übernehme, würde die Ersatzlieferung für ihn zu
zusätzlichen finanziellen Lasten führen, die er bei ordnungsgemäßer Erfüllung
nicht hätte tragen müssen (Rn. 47).
RN 19






Zudem seien Nachbesserung und Ersatzlieferung nach Art. 3 Abs.
3 der Richtlinie nicht nur unentgeltlich, sondern auch ohne erhebliche
Unannehmlichkeiten für den Verbraucher vorzunehmen (Rn. 52). Der Umstand, dass
der Verkäufer das vertragswidrige Verbrauchsgut nicht ausbaue und das als Ersatz
gelieferte Verbrauchsgut nicht einbaue, stelle zweifellos eine erhebliche
Unannehmlichkeit für den Verbraucher dar (Rn. 53). Weiter sei zu
berücksichtigen, dass der Begriff "Ersatzlieferung", dessen genaue Bedeutung in
den einzelnen Sprachfassungen der Richtlinie unterschiedlich sei, sich - selbst
in der deutschen Fassung - nicht auf die bloße Lieferung eines Ersatzes
beschränke (Rn. 54).
RN 20






Die beschriebene Auslegung von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie
entspreche zudem der im ersten Erwägungsgrund der Richtlinie genannten
Zielsetzung, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten (Rn. 55), und
führe auch nicht zu ungerechten Ergebnissen, weil der Verkäufer die ihm
obliegenden Leistungen nicht ordnungsgemäß erbracht habe und daher die Folgen
der Schlechterfüllung tragen müsse (Rn. 56). Sie sei unabhängig davon, ob der
Verkäufer nach dem Kaufvertrag zum Einbau des gelieferten Verbrauchsguts
verpflichtet gewesen sei. Die dem Verbraucher in Art. 3 der Richtlinie
verliehenen Rechte seien nicht auf den Umfang der in dem Kaufvertrag
vorgesehenen Ansprüche begrenzt, sondern dienten der Herstellung der Situation,
die vorgelegen hätte, wenn der Verkäufer von vornherein ein vertragsgemäßes
Verbrauchsgut geliefert hätte (Rn. 59 f.). Die finanziellen Interessen des
Verkäufers seien durch die Verjährungsfrist von zwei Jahren nach Art. 5 Abs. 1
der Richtlinie und durch die ihm in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie
eröffnete Möglichkeit geschützt, die Ersatzlieferung zu verweigern, wenn sich
diese Abhilfe wegen unzumutbarer Kosten als unverhältnismäßig erweise (Rn.
58).
RN 21






Hinsichtlich des Verweigerungsrechts des Verkäufers sei
festzustellen, dass die offene Fassung des Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 der
Richtlinie, wonach der Verbraucher unentgeltliche Nachbesserung oder
Ersatzlieferung nur verlangen könne, sofern diese nicht unmöglich oder
unverhältnismäßig sei, zwar an sich auch Fälle der absoluten Unmöglichkeit
erfassen könne. Jedoch definiere Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie den
Begriff "unverhältnismäßig" ausschließlich in Beziehung zu der alternativen
Abhilfemöglichkeit und begrenze ihn daher auf Fälle der relativen Unmöglichkeit
(Rn. 68). Diese Einschränkung werde durch den elften Erwägungsgrund der
Richtlinie bestätigt. Danach seien Abhilfen unverhältnismäßig, die im Vergleich
zu anderen Abhilfemaßnahmen unzumutbare Kosten verursachten, wobei zur
Beantwortung der Frage, ob es sich um unzumutbare Kosten handele, entscheidend
sein solle, ob die Kosten der einen Abhilfemöglichkeit deutlich höher seien als
die Kosten der anderen Abhilfe (Rn. 69). Die Begrenzung des Verweigerungsrechts
des Verkäufers auf die Fälle der relativen Unverhältnismäßigkeit rechtfertige
sich dadurch, dass die gegenüber der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands
subsidiären Mittel der Auflösung des Vertrags oder der Minderung des Kaufpreises
nicht dasselbe Verbraucherschutzniveau gewährleisteten (Rn. 72). Der Verkäufer
könne daher die einzig mögliche Art der Abhilfe, durch die sich der
vertragsgemäße Zustand des Verbrauchsguts herstellen lasse, nicht wegen
Unverhältnismäßigkeit der hierfür erforderlichen Kosten verweigern (Rn.
71).
RN 22






Hingegen schließe es Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie nicht aus,
den Anspruch des Verbrauchers auf Kostenerstattung für den Ausbau des
vertragswidrigen Verbrauchsguts und Einbau des als Ersatz gelieferten
Verbrauchsguts auf einen Betrag zu beschränken, der dem Wert, den das
Verbrauchsgut hätte, wenn es vertragsgemäß wäre, und der Bedeutung der
Vertragswidrigkeit angemessen sei (Rn. 74, 76). Im Rahmen der von Art. 3 der
Richtlinie verfolgten Zielsetzung eines gerechten Interessenausgleichs zwischen
dem Verbraucher und dem Verkäufer dürften auch vom Verkäufer angeführte
wirtschaftliche Überlegungen berücksichtigt werden, sofern hierdurch das Recht
des Verbrauchers auf Erstattung der Ein- und Ausbaukosten in der Praxis nicht
ausgehöhlt werde (Rn. 75 f.). Allerdings sei dem Verbraucher im Falle einer
Herabsetzung des Anspruchs auf Erstattung der Ein- und Ausbaukosten die
Möglichkeit zu gewähren, eine Minderung oder eine Vertragsauflösung zu
verlangen, da eine Beteiligung an der Kostentragung für ihn eine erhebliche
Unannehmlichkeit darstelle (Rn. 77).
RN 23






3. An dieses Auslegungsergebnis sind die nationalen Gerichte
gebunden. Sie sind nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgrund des
Umsetzungsgebots gemäß Art. 288
Abs. 3
AEUV und des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue gemäß Art. 4
Abs. 3
EUV
zudem verpflichtet, die Auslegung des nationalen Rechts unter voller
Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt,
soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit
der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (vgl. nur EuGH, Slg. 1984, 1891 Rn.
26, 28 - von Colson und Kamann/Nordrhein-Westfalen; Slg. 2004, I-8835 Rn. 113 -
Pfeiffer u.a./ Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut e.V.).
RN 24






4. Vor diesem Hintergrund ist zunächst § 439
Abs. 1
Alt. 2 BGB
richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die dort genannte
Nacherfüllungsvariante "Lieferung einer mangelfreien Sache" auch den Ausbau und
den Abtransport der mangelhaften Kaufsache - hier der von der Beklagten
gelieferten mangelhaften Bodenfliesen - umfasst (vgl. Lorenz, NJW 2011, 2241,
2243; Förster, ZIP 2011, 1493, 1500 f.; Staudinger, DAR 2011, 502, 503;
Purnhagen, EuzW 2011, 626, 627, 629; i.E. auch OLG Karlsruhe, OLGR 2004, 465;
OLG Köln, NJW-RR 2006, 677;
OLG Stuttgart, Urteil vom 8. November 2007 - 19
U 52/07
, n.v.; LG Itzehoe, Urteil vom 27. April 2007 - 9

S 85/06
, [...]; AnwK/Büdenbender, 2005, § 439
Rn. 27; Bamberger/Roth/Faust, BGB,
2. Aufl., § 439
Rn. 32; Lorenz, ZGS 2004, 408, 410 f.; ders., NJW 2005, 1889, 1895;
Münch-KommBGB/Westermann, 5. Aufl., § 439 Rn. 13; jurisPK-BGB/Pammler, 5. Aufl.,
§ 439 Rn. 54; Schneider/Katerndahl, NJW 2007, 2215, 2216; Schneider, ZGS 2008,
177 f.; Witt, ZGS 2008, 369, 370).
RN 25






a) Diese Auslegung ist noch vom Wortlaut des § 439
Abs. 1
Alt. 2 BGB
gedeckt (vgl. etwa Lorenz, NJW 2011, 2241, 2243; Greiner/Benedix, ZGS 2011, 489,
493 [letztere geben allerdings einer analogen Anwendung des § 439
Abs. 2
BGB
in Form eines Kostenerstattungsanspruchs den Vorzug]; aA Kaiser, JZ 2011, 978,
980). Nach allgemeinem Sprachgebrauch wird "liefern" zwar verstanden als
"bringen" oder "übergeben" einer (bestellten) Sache (vgl. Grimm, Deutsches
Wörterbuch, 6. Band, 1885, S. 996 f.; Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 4.
Band, 1982, S. 484). Auch im nationalen Kaufrecht ist unter "Lieferung"
grundsätzlich nur die Handlung zu verstehen, die der Verkäufer vorzunehmen hat,
um seine Übergabe- und Übereignungspflicht aus § 433
Abs. 1
BGB
zu erfüllen (vgl. Senatsurteil vom 15. Juli 2008 - VIII
ZR 211/07
, NJW 2008, 2837
Rn. 18; Erman/Grunewald, BGB,
13. Aufl., § 439
Rn. 4; Palandt/ Weidenkaff, BGB,
71. Aufl., § 434
Rn. 53 c). Dies schließt es jedoch nicht aus, den in § 439
Abs. 1
Alt. 2 BGB
verwendeten Begriff der Lieferung einer mangelfreien Sache weiter zu fassen.
Denn dieser Begriff ist ausfüllungsfähig und eröffnet einen gewissen
Wertungsspielraum (Staudinger, aaO). Der Gesetzgeber hat die Bestimmung des § 439
Abs. 1
Alt. 2 BGB
zur Umsetzung des Art. 3
Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie geschaffen (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 230). Dabei
hat er nicht nur in der Gesetzesbegründung mehrfach den Begriff der Lieferung
einer mangelfreien Sache mit der in der deutschen Fassung der Richtlinie
verwendeten Wortwahl "Ersatzlieferung" gleichgesetzt (BT-Drucks. 14/6040, S.
232), die - wie vom Gerichtshof ausgeführt (EuGH, aaO Rn. 54) - auch die Deutung
zulässt, dass das vertragswidrige Verbrauchsgut durch die als Ersatz gelieferte
Sache auszutauschen ist. Vielmehr hat der Gesetzgeber durch den in § 439
Abs. 4
BGB
enthaltenen Verweis auf § 346
Abs. 1
Alt. 1 BGB,
wonach der Verkäufer seinerseits die Rückgewähr der mangelhaften Sache verlangen
kann, zum Ausdruck gebracht, dass dem Begriff der "Lieferung einer mangelfreien
Sache" in § 439
Abs. 1
BGB
ein gewisses (Aus-)Tauschelement innewohnt (vgl. Lorenz, NJW 2009, 1633, 1634
f.).
RN 26






b) Die gebotene richtlinienkonforme Auslegung des § 439
Abs. 1
BGB
führt - anders als die Revisionserwiderung meint - nicht dazu, dass dem Käufer
im Rahmen des Nacherfüllungsverlangens ein Wahlrecht dahin zusteht, ob er dem
Verkäufer den Aus- und Einbau gestattet oder diese Arbeiten selbst durchführt
und den Verkäufer nur auf Kostenerstattung in Anspruch nimmt. Der Gerichtshof
hat dem Käufer ein solches Wahlrecht gerade nicht eingeräumt, sondern lediglich
dem Verkäufer die Verpflichtung auferlegt, entweder selbst die notwendigen Aus-
und Einbauarbeiten vorzunehmen oder - in angemessener Höhe - die hierfür
anfallenden Kosten zu tragen.
RN 27






5. Im Rahmen des § 439
Abs. 3
BGB
lässt sich das Gebot richtlinienkonformer Interpretation hingegen nicht im Wege
einer einfachen Gesetzesauslegung im engeren Sinne umsetzen. Denn dem steht der
eindeutige Wortlaut des Gesetzes entgegen.
RN 28






§ 439
Abs. 3
Satz 1 BGB
erlaubt dem Verkäufer, die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung zu
verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Die
genannte Regelung enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass sie sich auf die Fälle
beschränkt, in denen beide Formen der Nacherfüllung möglich sind und lediglich
eine Abhilfevariante im Verhältnis zu der anderen unverhältnismäßig hohe Kosten
verursacht (relative Unverhältnismäßigkeit). Vielmehr ergibt sich aus den
Bestimmungen des § 439
Abs. 3
Satz 3 Halbsatz 2 BGB
und des § 440
Satz 1 BGB
eindeutig, dass nach der Konzeption des Gesetzes beide Formen der Nacherfüllung
wegen Unverhältnismäßigkeit verweigert werden können und damit der Begriff der
Unverhältnismäßigkeit absolut zu verstehen ist. § 439
Abs. 3
Satz 3 BGB
beschränkt den Anspruch des Käufers für den Fall, dass der Verkäufer die eine
Form der Nacherfüllung wegen unverhältnismäßiger Kosten verweigert, zunächst auf
die andere Art der Nacherfüllung, sieht aber weiter vor, dass das "Recht des
Verkäufers, auch diese unter den Voraussetzungen des Satzes 1 zu verweigern",
unberührt bleibt. Auf diese Regelung nimmt § 440
Satz 1 BGB
Bezug, der den Käufer unter anderem dann vom Erfordernis einer Fristsetzung vor
der Geltendmachung von Rücktritt oder Schadensersatz befreit, "wenn der
Verkäufer beide Arten der Nacherfüllung gemäß § 439 Abs. 3 [BGB]
verweigert".
RN 29






6. Der von der Rechtsprechung des Gerichtshofs geprägte
Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung verlangt von den nationalen
Gerichten aber mehr als bloße Auslegung im engeren Sinne. Er erfordert auch, das
nationale Recht, wo dies nötig und möglich ist, richtlinienkonform fortzubilden
(Senatsurteil vom 26. November 2008 - VIII
ZR 200/05
, BGHZ 179, 27 Rn. 21 mwN). Daraus folgt hier das Gebot einer
richtlinienkonformen Rechtsfortbildung durch teleologische Reduktion des § 439
Abs. 3
BGB
auf einen mit Art. 3
der Richtlinie zu vereinbarenden Inhalt.
RN 30






a) Eine Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion
setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen
Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (Senatsurteil vom 26. November 2008 - VIII
ZR 200/05
, aaO Rn. 22 mwN). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.
RN 31






aa) Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass der
Gesetzgeber die Einrede der Unverhältnismäßigkeit zwar so ausgestalten wollte,
dass sie mit der Richtlinie vereinbar ist, er hierbei jedoch Art. 3 Abs. 3 der
Richtlinie so verstanden hat, dass dieser auch die absolute
Unverhältnismäßigkeit erfasse (vgl. auch Staudinger, aaO). In der Begründung des
Koalitionsentwurfs heißt es in der Einzelbegründung zu § 439
Abs. 3
BGB
(BT-Drucks. 14/6040, S. 232) unter anderem:
RN 32






"Zu Satz 1
 






Die Nacherfüllung (einschließlich der damit verbundenen
Aufwendungen im Sinne des Absatzes 2) kann im Einzelfall den Verkäufer
unangemessen belasten. (...). Sie kann dem Verkäufer auch unmöglich sein.
Artikel 3 Abs. 3 Satz 1 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie sieht deshalb vor,
dass der Verbraucher (Käufer) Nachbesserung oder Ersatzlieferung nur verlangen
kann, sofern dies nicht unmöglich oder unverhältnismäßig ist. (...) Liegt
Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 RE nicht vor, kann die Nacherfüllung doch mit
einem erheblichen Aufwand verbunden sein. Dann kommt nach den allgemeinen
Vorschriften ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 RE in Betracht,
das aber nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen, die wertungsmäßig der
Unmöglichkeit in § 275 Abs. 1 RE nahe kommen, in Betracht kommt. § 439 Abs. 3
Satz 1 RE stellt eine besondere Ausprägung dieses allgemeinen Rechtsgedankens im
Kaufrecht und eine gegenüber § 275 Abs. 2 RE niedrigere Schwelle für die
Begründung einer Einrede des Verkäufers dar. (...) Voraussetzung ist, dass der
Verkäufer für die Nacherfüllung in der vom Käufer gewählten Art Aufwendungen
machen muss, die unverhältnismäßig sind. Es handelt sich dabei um einen
Gesichtspunkt, der über den Verbraucherkauf hinaus Bedeutung hat. Denn die
Interessenlage des Käufers gebietet es nicht, ihm den Nacherfüllungsanspruch
auch dann zu geben, wenn sie vom Verkäufer unverhältnismäßige Anstrengungen
erfordert. Der Käufer wird hier auf seine Ansprüche auf Rücktritt und Minderung
(sowie ggf. Schadensersatz) verwiesen. Verweigern kann der Verkäufer "die vom
Käufer gewählte Nacherfüllung". Das heißt, das Verweigerungsrecht des Verkäufers
bezieht sich selbstverständlich auf die von dem Käufer begehrte Art der
Nacherfüllung (Nachbesserung oder Ersatzlieferung). Verlangt der Käufer zum
Beispiel Nachbesserung und sind die Aufwendungen des Verkäufers hierfür als
unverhältnismäßig zu beurteilen, (...) so ist damit keine Entscheidung über die
Frage getroffen, ob der Käufer stattdessen Ersatzlieferung verlangen kann oder
ob auch insoweit eine auf § 439 Abs. 3 Satz 1 RE gestützte Einrede des
Verkäufers besteht. Klargestellt wird dies noch durch § 439 Abs. 3 Satz 3 RE.
(...)
 






Zu Satz 3
 






[§ 439 Abs. 3 ] Satz 3 [RE] enthält die bereits oben
angesprochene Klarstellung des Verhältnisses der beiden Arten der Nacherfüllung
zueinander. Die in § 439 Abs. 3 Satz 1 RE vorgesehene
Verhältnismäßigkeitsprüfung bezieht sich allein auf die vom Käufer gewählte Art
der Nacherfüllung. Ist sie zu Recht von dem Verkäufer verweigert worden, so hat
dies nicht einen Ausschluss des Nacherfüllungsanspruchs des Käufers insgesamt
zur Folge. Vielmehr beschränkt sich der Nacherfüllungsanspruch dann auf die
andere Art der Nacherfüllung, wenn der Verkäufer nicht auch sie verweigern kann.
Erst dann kann der Käufer zurücktreten oder mindern, ggf. Schadensersatz (...)
verlangen."
 






bb) Das der Fassung des § 439
Abs. 3
Satz 3 BGB
zugrunde liegende Verständnis, dass Art. 3
Abs. 3 der Richtlinie auch die absolute Unverhältnismäßigkeit erfasse, ist
jedoch fehlerhaft, wie der Gerichtshof nunmehr mit Bindungswirkung festgestellt
hat. Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie erlaubt es nur, den Anspruch des Verbrauchers
auf Erstattung der Kosten für den Ausbau des mangelhaften Verbrauchsguts und den
Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts auf einen angemessenen Betrag
zu beschränken, nicht jedoch, den Anspruch des Verbrauchers auf Ersatzlieferung
als einzig mögliche Art der Abhilfe wegen Unverhältnismäßigkeit der Ein- und
Ausbaukosten völlig auszuschließen. Die gesetzliche Regelung in § 439
Abs. 3
Satz 3 BGB
steht folglich in Widerspruch zu dem mit dem Gesetz zur Modernisierung des
Schuldrechts verfolgten Grundanliegen, die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie bis zum
Ablauf des 31. Dezember 2001 ordnungsgemäß umzusetzen (vgl. hierzu auch
BT-Drucks. 14/6040, S. 1).
RN 33






cc) Damit erweist sich das Gesetz als planwidrig unvollständig
(Staudinger, aaO; differenzierend Kaiser, aaO S. 980 f., 986; aA
Greiner/Benedix, aaO, S. 495 f.). Es liegt eine verdeckte Regelungslücke vor,
weil der Wortlaut des § 439
Abs. 3
BGB,
der ein Verweigerungsrecht bei absoluter Unverhältnismäßigkeit einschließt,
keine Einschränkung für den Anwendungsbereich der Richtlinie enthält und deshalb
mit dieser nicht im Einklang steht. Diese Unvollständigkeit des Gesetzes ist
deswegen planwidrig, weil hinsichtlich der Einrede der Unverhältnismäßigkeit ein
Widerspruch zur konkret geäußerten, von der Annahme der Richtlinienkonformität
getragenen Umsetzungsabsicht des Gesetzgebers besteht (vgl. Senatsurteil vom 26.
November 2008 - VIII
ZR 200/05
, aaO Rn. 25). Dass der Gesetzgeber sich - anders als bei der
Schaffung des § 439
Abs. 4
BGB
- nicht explizit mit der Frage der Richtlinienkonformität des § 439
Abs. 3
Satz 3 BGB
auseinandergesetzt, sondern diese stillschweigend vorausgesetzt hat, ändert an
der Planwidrigkeit der nunmehr aufgetretenen Regelungslücke nichts (aA Lorenz,
NJW 2011, 2241, 2244; Greiner/Benedix, aaO S. 496). Maßgebend ist, dass das
ausdrücklich angestrebte Ziel einer richtlinienkonformen Umsetzung durch die
Regelung des § 439
Abs. 3
Satz 3 BGB
nicht erreicht worden ist und ausgeschlossen werden kann, dass der Gesetzgeber §
439
Abs. 3
Satz 3 BGB
in gleicher Weise erlassen hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, dass die
Vorschrift nicht richtlinienkonform ist.
RN 34






b) Die bis zu einer gesetzlichen Neuregelung bestehende
verdeckte Regelungslücke ist durch eine teleologische Reduktion des § 439
Abs. 3
BGB
für die Fälle des Verbrauchsgüterkaufs (§ 474
Abs. 1
Satz 1 BGB)
zu schließen. Die Vorschrift ist in solchen Fällen einschränkend dahingehend
anzuwenden, dass ein Verweigerungsrecht nicht besteht, wenn nur eine Art der
Nacherfüllung möglich ist oder der Verkäufer die andere Art der Nacherfüllung zu
Recht verweigert. In den zuletzt genannten Fällen beschränkt sich das Recht des
Verkäufers, die Nacherfüllung in Gestalt der Ersatzlieferung wegen
unverhältnismäßiger Kosten zu verweigern, auf das Recht, den Käufer bezüglich
des Ausbaus der mangelhaften Kaufsache und des Einbaus der als Ersatz
gelieferten Kaufsache auf die Kostenerstattung in Höhe eines angemessenen
Betrags zu verweisen. Bei der Bemessung dieses Betrags sind der Wert der Sache
in mangelfreiem Zustand und die Bedeutung des Mangels zu berücksichtigen.
Zugleich ist zu gewährleisten, dass durch die Beschränkung auf eine
Kostenbeteiligung des Verkäufers das Recht des Käufers auf Erstattung der Aus-
und Einbaukosten nicht ausgehöhlt wird (EuGH, aaO Rn. 76).
RN 35






c) Die hier vorgenommene Einschränkung des § 439
Abs. 3
BGB
ist nach dem Gebot richtlinienkonformer Rechtsfortbildung erforderlich, weil ein
Recht des Verkäufers, die einzig mögliche Form der Abhilfe wegen (absolut)
unverhältnismäßiger Kosten zu verweigern, mit Art. 3 der Richtlinie nicht
vereinbar ist. Sie belässt dem Verkäufer andererseits in Form einer Einrede die
auch nach der Richtlinie zulässige Beschränkung des Ersatzes für die Kosten des
Ausbaus des vertragswidrigen Verbrauchsguts und des Einbaus des als Ersatz
gelieferten Verbrauchsguts auf einen angemessenen Betrag unter Benennung der für
dessen Ermittlung maßgeblichen Umstände. Anders lässt sich der Widerspruch
zwischen den gesetzgeberischen Zielen - einerseits Berücksichtigung der
Verhältnismäßigkeit im Interesse des Verkäufers, andererseits
Richtlinienkonformität - im Wege richterlicher Rechtsfortbildung nicht
lösen.
RN 36






Zwar sind insbesondere seit Erlass der Entscheidung des
Gerichtshofs am 16. Juni 2011 in der Literatur anderslautende Vorschläge für
eine Rechtsfortbildung zur Herstellung der Richtlinienkonformität gemacht
worden. Diese setzen jedoch entweder die Vorgaben des Gerichtshofs nicht
hinreichend um oder überschreiten die Grenzen des Gestaltungsspielraums, der den
Gerichten im Rahmen der richterlichen Rechtsfortbildung zusteht (vgl. hierzu
Palandt/ Sprau, aaO, Einl. Rn. 56). Die Ausfüllung einer Regelungslücke durch
die Gerichte muss in möglichst enger Anlehnung an das geltende Recht vorgenommen
werden (BVerfGE 37, 67,
81). Darüber hinausgehende Änderungen des geltenden Rechts sind dem Gesetzgeber
vorbehalten.
RN 37






aa) Nach dem Vorschlag von Faust (JuS 2011, 744,
747 f.), dem sich die Revision inhaltlich anschließt, soll der Verkäufer den
Aus- und Einbau nach § 439
Abs. 3
BGB
verweigern dürfen, sofern sich nicht der Verbraucher zur Beteiligung an den
Kosten bereit erklärt. Dieser Ansatz erscheint jedoch insofern problematisch,
als er dem Verkäufer die Möglichkeit einer völligen Verweigerung des im Rahmen
der Ersatzlieferung nach § 439
Abs. 1
Fall 2 BGB
geschuldeten Aus- und Einbaus bis zur Abgabe einer Erklärung des Verbrauchers
eröffnet. Dies ist unvereinbar mit der Vorgabe des Gerichtshofs, die
Berücksichtigung der Interessen des Verkäufers dürfe nicht dazu führen, dass die
dem Verbraucher zustehenden Rechte in der Praxis ausgehöhlt werden (vgl. EuGH,
aaO Rn. 76).
RN 38






bb) Förster (aaO S. 1500) schlägt vor, § 439
Abs. 3
BGB
mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Verkäufer die Ersatzlieferung als einzig
mögliche Art der Nacherfüllung nicht verweigern, sondern nur unter
Berücksichtigung von § 439
Abs. 3
Satz 2 BGB
der Höhe nach angemessen herabsetzen darf. Diese Einschränkung des § 439
Abs. 3
BGB
ist zur Erfüllung der europarechtlichen Vorgaben ebenfalls nicht ausreichend.
Zum einen setzt sie nur die Aussagen des Gerichtshofs zum fehlenden
Verweigerungsrecht bei der Ersatzlieferung um, während der Gerichtshof seine
Ausführungen auf beide Arten der Nacherfüllung bezogen hat, also dem Verkäufer
ein Verweigerungsrecht wegen unverhältnismäßiger Kosten auch dann abspricht,
wenn die einzig mögliche Form der Abhilfe nicht in einer Ersatzlieferung,
sondern in einer Nachbesserung besteht (EuGH, aaO Rn. 71). Zum anderen
berücksichtigt die vorgeschlagene Fassung des § 439
Abs. 3
BGB
nicht, dass ein Verweigerungsrecht des Verkäufers hinsichtlich einer Art der
Abhilfe auch in den Fällen nicht gegeben ist, in denen die andere Art der
Nacherfüllung zwar möglich ist, aber ihrerseits vom Verkäufer wegen relativer
Unverhältnismäßigkeit verweigert wird. Problematisch an dem Vorschlag ist
letztlich auch, dass er eine Beschränkung hinsichtlich der Ersatzlieferung
insgesamt und nicht nur bezüglich der Erstattung der dabei entstehenden Aus- und
Einbaukosten vorsieht. Es ist jedoch praktisch nicht durchführbar, die
tatsächliche Vornahme des Ausbaus der mangelhaften Kaufsache und des Einbaus der
als Ersatz gelieferten Sache auf einen angemessen Umfang zu begrenzen (vgl. auch
Ayad/Schnell, BB 2011, 1938, 1939).
RN 39






cc) Ein anderer Lösungsansatz besteht darin, die Anwendung des
§ 439
Abs. 3
Satz 3 Halbsatz 2 BGB
für die Fälle des Verbrauchsgüterkaufs ganz auszuschließen (Purnhagen, aaO S.
629 f.; Staudinger, aaO S. 506; Lorenz, NJW 2011, 2241, 2244). Hierbei fehlt es
jedoch an einer überzeugenden rechtlichen Konstruktion, die es dem Verkäufer
gleichwohl ermöglicht, den Ersatz der Ein- und Ausbaukosten auf einen
angemessenen Betrag zu begrenzen. Eine solche ist jedoch erforderlich, um dem
vom deutschen Gesetzgeber mit der Schaffung des § 439
Abs. 3
BGB
verfolgten Ziel einer Berücksichtigung der Interessen des Verkäufers (vgl.
BT-Drucks. 16/6040, S. 232) in dem europarechtlich (noch) zulässigen Umfang
Rechnung zu tragen.
RN 40






(1) Teilweise wird versucht, eine Begrenzung der
Kostentragungspflicht des Verkäufers dadurch zu erreichen, dass dieser im
Hinblick auf den Ausbau der mangelhaften und den Einbau der als Ersatz
gelieferten Kaufsache von vornherein nicht zu deren Vornahme, sondern nur zur
Erstattung der dafür erforderlichen Kosten verpflichtet sein soll und diese
angemessen reduziert werden können (vgl. Pfeiffer, LMK 2011, 321439 sowie den
Alternativvorschlag von Faust, aaO). Dieser Ansatz übersieht jedoch, dass die
Nacherfüllung gemäß § 439
Abs. 1
BGB
nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers auch dazu dienen soll, dem Verkäufer
die "Möglichkeit zur zweiten Andienung" einzuräumen (BT-Drucks. 16/6040, S. 220;
vgl. hierzu Senatsurteil vom 23. Februar 2005 - VIII
ZR 100/04
, BGHZ 162, 219,
227 f.). Mit dem hierdurch zum Ausdruck kommenden Ziel, bereits im Rahmen des §
439
Abs. 1
BGB
auch den Interessen des Verkäufers Rechnung zu tragen, wäre es nur schwer zu
vereinbaren, wenn der Verkäufer im Rahmen der Ersatzlieferung den Ausbau der
mangelhaften und den Einbau der als Ersatz gelieferten Sache nicht selbst
vornehmen dürfte, sondern von vornherein dem Käufer die hierfür erforderlichen
Kosten schuldete. Denn der Verkäufer wird in vielen Fällen den Aus- und Einbau
günstiger bewerkstelligen können als der Käufer (vgl. Lorenz, NJW 2011, 2241,
2243).
RN 41






(2) Ein anderer Vorschlag geht davon aus, dass der Verkäufer
zur Vornahme des Aus- und Einbaus verpflichtet sei; komme er dem nicht nach,
habe der Käufer einen verschuldensunabhängigen Anspruch aus § 280
Abs. 1
und 3,
§ 281
BGB
auf Erstattung der hierfür erforderlichen Kosten, wobei die Höhe auf einen
angemessenen Betrag reduziert werden könne (Purnhagen, aaO S. 629). Diese
Konstruktion trägt jedoch dem gesetzgeberischen Ziel, auch die
Verkäuferinteressen zu schützen, in der Praxis ebenfalls nicht hinreichend
Rechnung. Es wurde bereits ausgeführt, dass eine Beschränkung der Pflicht des
Verkäufers, den Aus- und Einbau tatsächlich vorzunehmen, auf einen angemessenen
Umfang faktisch nicht durchführbar ist. Da der Verkäufer den Käufer rechtlich
aber nicht zwingen kann, anstelle der Vornahme der Nacherfüllung (inklusive Aus-
und Einbau) Schadensersatz wegen deren Nichterfüllung zu verlangen, bliebe die
allein mögliche Begrenzung des Kostenerstattungsanspruchs auf einen angemessenen
Betrag für ihn praktisch wertlos. Denn ein wirtschaftlich denkender Käufer würde
in den Fällen, in denen der Ausbau der mangelhaften und der Einbau der als
Ersatz gelieferten Kaufsache unverhältnismäßige Kosten verursacht, nicht - den
bezüglich der Aus- und Einbaukosten auf eine angemessene Höhe begrenzten -
Schadensersatz wegen Nichterfüllung der Nacherfüllung verlangen, sondern den
Verkäufer stets auf Erfüllung seiner Ersatzlieferungspflicht (inklusive
uneingeschränktem Aus- und Einbau) in Anspruch nehmen.
RN 42






dd) Einen anderen Weg gehen Kaiser und Greiner/Benedix, die
sich in diesem Zusammenhang für eine europarechtskonforme Auslegung der
Kostentragungsregelung des § 439
Abs. 2
BGB
dahin aussprechen, dass den Käufer gegen Kostenerstattung eine
Mitwirkungsobliegenheit zum Ausbau der mangelhaften und Einbau der neuen Sache
trifft (Kaiser, aaO S. 985 ff.; Greiner/Benedix, aaO S. 493). Die Rechte des
Käufers sollen sich von vornherein auf einen auf die angemessenen Kosten
begrenzten Erstattungsanspruch beschränken (Kaiser, aaO S. 987). Damit wird aber
- zumindest faktisch - die dem Verkäufer vom deutschen Gesetzgeber ausdrücklich
eingeräumte "Möglichkeit zur zweiten Andienung" (vgl. BT-Drucks. 16/6040, S.
220) beschnitten. Dies wird vermieden, wenn man die Kostenerstattungspflicht als
Folge einer Einrede aus dem teleologisch reduzierten § 439
Abs. 3
BGB
ausgestaltet.
RN 43






d) Die dargestellte Regelungslücke besteht aus
europarechtlicher Sicht zwar nur im Hinblick auf den im Verhältnis zu § 13
BGB
engeren Verbraucherbegriff des Art. 1
Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie. Die Ausfüllung der Lücke im Wege der
richtlinienkonformen Rechtsfortbildung ist jedoch auf alle Konstellationen des
Verbrauchsgüterkaufs und damit des Verbraucherbegriffs gemäß § 13
BGB
zu erstrecken, weil insoweit der Einheitlichkeitswille des nationalen
Gesetzgebers in Bezug auf den Verbraucherbegriff zu berücksichtigen ist (vgl.
Senatsurteil vom 26. November 2008 - VIII
ZR 200/05
, aaO Rn. 27 mwN).
RN 44






e) Die vom Senat für den Verbrauchsgüterkauf vorgenommene
teleologische Reduktion des § 439
Abs. 3
BGB
führt schon deswegen nicht zu dessen faktischer Derogation, weil die Regelung in
Fällen des Verbrauchsgüterkaufs hinsichtlich der relativen Unverhältnismäßigkeit
anwendbar bleibt (aA Kaiser, aaO S. 986). Es bedarf deshalb hier ebenfalls
keiner Erörterung, ob im Rahmen einer gemeinschaftsrechtskonformen
Rechtsfortbildung auch die vollständige Nichtanwendung einer Norm gerechtfertigt
sein kann (vgl. Senatsurteil vom 26. November 2008 - VIII
ZR 200/05
, aaO Rn. 29 mwN).
RN 45






f) Der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit spricht ebenfalls
nicht gegen die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung.
RN 46






Das Prinzip der Rechtssicherheit (Art. 20
Abs. 3
GG)
bedeutet in erster Linie Vertrauensschutz für den Bürger. Durfte die betroffene
Partei mit der Fortgeltung der bisherigen Rechtslage rechnen und verdient dieses
Interesse bei einer Abwägung mit den Belangen des Vertragspartners und den
Anliegen der Allgemeinheit den Vorzug, liegt ein Eingriff in rechtlich
geschützte Positionen vor (Senatsurteil vom 26. November 2008 - VIII
ZR 200/05
, aaO Rn. 33 mwN). Das ist hier schon deshalb nicht der Fall, weil
die teleologische Reduktion des § 439
Abs. 3
BGB
sich im Rahmen vorhersehbarer Entwicklung hält. Eine uneingeschränkte Anwendung
der Vorschrift konnte nicht als gesichert angesehen werden, weil ihre
Richtlinienkonformität von zahlreichen Stimmen im Schrifttum zumindest
problematisiert wurde (vgl. Bamberger/Roth/Faust, aaO Rn. 40 f.; Doehner, Die
Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, 2004,
S. 242 ff.; Glöckner, JZ 2007, 652, 663; Kirsten, ZGS 2005, 66, 67 f.; Leible in
Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl., Kap. 10 Rn.
89; Pfeiffer, ZGS 2002, 217, 218 f.; Staudinger/ Matusche-Beckmann, BGB,
Neubearb. 2004, § 439
Rn. 41 f.; Thürmann, NJW 2006, 3457, 3460; Unberath, ZEuP 2005, 5, 19 ff.;
Unberath/Cziupka, JZ 2009, 313, 315 f.).
RN 47






7. Soweit der Gerichtshof in seinem Urteil vom 16. Juni 2006
(aaO Rn. 77) ausgeführt hat, der Verbraucher müsse in Fällen der Herabsetzung
des Anspruchs auf Erstattung der Aus- und Einbaukosten die Möglichkeit haben,
eine angemessene Minderung des Kaufpreises oder die Vertragsauflösung zu
verlangen, da die Nacherfüllung für ihn infolge der Herabsetzung mit erheblichen
Unannehmlichkeiten verbunden ist, enthält das nationale Recht in § 440
Satz 1 3. Alt. BGB
eine entsprechende Regelung. Danach bedarf es der für die Geltendmachung von
Rücktritt (und Schadensersatz statt der Leistung) im Regelfall notwendigen
Fristsetzung zur Nacherfüllung nicht, wenn dem Käufer die ihm zustehende Art der
Nacherfüllung unzumutbar ist. Die Vorschrift, die über § 441
Abs. 1
Satz 1 BGB
auch auf die Minderung Anwendung findet, dient ausweislich der Materialien der
Umsetzung des in Art. 3 Abs. 5 Spiegelstrich 3 der Richtlinie erfassten
Konstellation, dass eine Abhilfe mit erheblichen Unannehmlichkeiten für den
Verbraucher verbunden ist (BT-Drucks. 14/6040, S. 233).
RN 48






8. Der - auf eine angemessene Höhe begrenzte - Anspruch des
Klägers auf Erstattung der für den Ausbau der mangelhaften Fliesen entstehenden
Kosten setzt entgegen der Ansicht der Revision auch nicht voraus, dass der
Kläger den Austausch bereits vorgenommen hat und die Kosten schon entstanden
sind. Der Kläger kann vielmehr den Anspruch bereits vor Durchführung des Ausbaus
in Form eines abrechenbaren Vorschusses geltend machen (so auch Kaiser, aaO S.
984 f.). Dies ergibt sich aus dem in der Richtlinie enthaltenen
Unentgeltlichkeitsgebot.
RN 49






Gemäß Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie kann der Verbraucher vom
Verkäufer die unentgeltliche Nachbesserung oder eine unentgeltliche
Ersatzlieferung verlangen. Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie stellt klar, dass sich
der Begriff der Unentgeltlichkeit auf alle für die Herstellung des
vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsguts notwendigen Kosten erstreckt,
insbesondere auf Versand-, Arbeits- und Materialkosten. Diese dem Verkäufer
auferlegte Verpflichtung, die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des
Verbrauchsguts unentgeltlich zu bewirken, soll den Verbraucher vor drohenden
finanziellen Belastungen schützen, die ihn in Ermangelung eines solchen Schutzes
davon abhalten könnten, seine Ansprüche geltend zu machen (EuGH, NJW 2008, 1433
Rn. 34 - Quelle AG/Bundesverband der Verbraucherzentralen und
Verbraucherverbände). Der Verbraucher kann daher für Kosten, die ihm im Rahmen
der Nacherfüllung entstehen, aber vom Verkäufer zu ersetzen sind, auch einen
Vorschuss verlangen (Senatsurteil vom 13. April 2011 - VIII
ZR 220/10
, NJW 2011, 2278
Rn. 37, zum Abdruck in BGHZ vorgesehen).
RN 50






9. Die von der Revision erhobene Rüge, das Berufungsgericht
sei verfahrensfehlerhaft zu der Ansicht gelangt, den Kläger treffe mangels
Erkennbarkeit der Mangelhaftigkeit der Fliesen vor deren Verlegung kein
Mitverschulden bezüglich der Höhe der durch den Ausbau entstehenden Kosten, hat
der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung
wird gemäß § 564
ZPO
abgesehen.
RN 51






III.
 






Nach alledem kann das Urteil des Berufungsgerichts, soweit die
Revision eröffnet ist, keinen Bestand haben; es ist insoweit aufzuheben. Der
Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden, weil keine weiteren Feststellungen
erforderlich sind und die Sache damit zur Endentscheidung reif ist (§ 563
Abs. 3
ZPO).
RN 52






1. Die Beklagte hat als Verkäuferin der mangelhaften
Bodenfliesen das Recht, den Kläger hinsichtlich des allein noch in Rede
stehenden Ausbaus der mangelhaften Kaufsache auf die Kostenerstattung in Höhe
eines angemessenen Betrags zu verweisen. Von diesem Leistungsverweigerungsrecht
hat die Beklagte im Ergebnis Gebrauch gemacht. Sie hat in ihrem letzten
Schriftsatz und auch in der mündlichen Revisionsverhandlung deutlich gemacht,
dass sie den Ausbau der gelieferten Bodenfliesen davon abhängig macht, dass der
Kläger ihr den die angemessenen Ausbaukosten übersteigenden Geldbetrag zuschießt
oder jedenfalls eine verbindliche Erklärung über eine entsprechende
Kostenbeteiligung abgibt. Ein solch umfassendes Leistungsverweigerungsrecht
steht der Beklagten jedoch - wie oben ausgeführt (unter II 6 c aa) - nicht zu,
weil es mit der Forderung des Gerichtshofs nicht in Einklang zu bringen ist, die
Berücksichtigung der Interessen des Verkäufers dürfe nicht dazu führen, dass die
dem Verbraucher zustehenden Rechte in der Praxis ausgehöhlt werden (vgl. EuGH,
aaO Rn. 76). Das von der Beklagten geltend gemachte Leistungsverweigerungsrecht
umfasst aber auch - sozusagen als Minus - die Erklärung, die Beklagte sei im
Hinblick auf den hiermit verbundenen unangemessenen Kostenaufwand zu einem
Ausbau der Bodenfliesen auf eigene Rechnung nicht bereit, sondern verweise den
Kläger insoweit auf das Recht, die Erstattung eines angemessenen Kostenbetrags
zu verlangen.
RN 53






b) Die Bemessung dieses Betrags kann der Senat selbst
vornehmen. Zwar obliegt in erster Linie dem Tatrichter die Beurteilung, welcher
Betrag von einem Verkäufer geschuldet ist, wenn er den Käufer hinsichtlich der
bei der Nacherfüllung anfallenden Aus- und Einbaukosten auf eine
Kostenbeteiligung verweist. Da vorliegend jedoch weitere Feststellungen nicht in
Betracht kommen, kann der Senat den Anspruch des Klägers auf Erstattung der für
den Ausbau und die Entsorgung der mangelhaften Bodenfliesen entstehenden Kosten
abschließend bemessen. Der Anspruch ist auf insgesamt 600 € zu begrenzen. Dieser
Betrag erscheint dem Senat unter Berücksichtigung der Bedeutung der
Vertragswidrigkeit (optischer Mangel der Fliesen ohne Funktionsbeeinträchtigung)
und des Werts der mangelfreien Sache (circa 1.200 €) angemessen. Der Senat sieht
davon ab, Grenz- oder Richtwerte für die Bestimmung der angemessenen Höhe einer
Beteiligung des Verkäufers an den Aus- und Einbaukosten in Fällen der
Ersatzlieferung zu entwickeln; die durch die Entscheidung des Gerichtshofs
aufgedeckte Gesetzeslücke durch eine generelle Regelung zu schließen, ist dem
Gesetzgeber vorbehalten.
RN 54






Entgegen der Auffassung der Revision ist der Betrag nicht
deshalb weiter herabzusetzen, weil der Anspruch des Klägers auf Erstattung der
für den Einbau der neuen Fliesen entstehenden Kosten vorliegend bereits
rechtskräftig aberkannt wurde. Die Reduzierung der Gesamtkosten für den Aus- und
Einbau auf eine angemessene Höhe hat nicht durch verhältnismäßige Herabsetzung
der Ausbaukosten einerseits und der Einbaukosten andererseits zu erfolgen.
Vielmehr geht es darum, die den Verkäufer treffende Pflicht, sich an den Ausund
Einbaukosten zu beteiligen, im Ergebnis auf einen angemessenen Betrag zu
reduzieren. Sind - wie vorliegend - Einbaukosten nicht geschuldet, stellt sich
daher allein die Frage, inwieweit eine Beteiligung des Verkäufers an den
Ausbaukosten der Höhe nach angemessen ist.
RN 55






Da dem Kläger bereits rechtskräftig ein Betrag von 273,10 € -
wenn auch unter dem nicht einschlägigen Gesichtspunkt der Minderung -
zugesprochen worden ist, hat er Anspruch auf Zahlung weiterer 326,90
€.
RN 56






Das dem Kläger wegen einer Herabsetzung des Ersatzes für Aus-
und Einbaukosten zustehende Recht auf Rücktritt vom Kaufvertrag oder Minderung
des Kaufpreises hat er nicht in Anspruch genommen.
RN 57






Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben, soweit das
Berufungsgericht der Zahlungsklage über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag
von 273,10 € hinaus in Höhe von mehr als weiteren 326,90 € -jeweils nebst Zinsen
-stattgegeben hat. Die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil
ist insoweit zurückzuweisen.
RN 58
 

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