EuGH: Mitgliedstaaten dürfen Werbeaktionen für Bezug unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel in Gestalt von Preisnachlässen oder Zahlungen in Höhe eines genauen Betrags erlauben
EuGH, Urteil vom 27.2.2025 – C-517/23, Apothekerkammer Nordrhein gegen DocMorris NV
ECLI:EU:C:2025:122
Volltext: BB-Online BBL2025-578-1
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Tenor
1. Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2011/62/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass
– Werbeaktionen für den Bezug unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel in Gestalt von Preisnachlässen und Zahlungen nicht unter den Begriff „Werbung für Arzneimittel“ im Sinne dieser Bestimmung fallen,
– wohingegen Werbeaktionen für den Bezug unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel unter Verwendung von Werbegaben in Form von Gutscheinen für den nachfolgenden Erwerb nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel unter diesen Begriff fallen.
Art. 34 AEUV und Art. 3 Abs. 4 Buchst. a der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die eine Werbeaktion, in deren Rahmen den Kunden einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Apotheke für die Einsendung ihrer Rezepte und die Teilnahme an einem „Arzneimittel-Check“ eine Geldprämie angeboten wird, ohne dass die genaue Höhe dieser Prämie ersichtlich wäre, aus Verbraucherschutzgründen verbietet.
2. Art. 87 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2011/62 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die Werbeaktionen für den Bezug unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel unter Verwendung von Werbegaben in Gestalt von Gutscheinen über einen bestimmten Geldbetrag oder über einen prozentualen Preisnachlass für den nachfolgenden Erwerb weiterer Produkte, wie nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel, verbietet.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 86 Abs. 1 und Art. 87 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. 2001, L 311, S. 67) in der durch die Richtlinie 2011/62/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 (ABl. 2011, L 174, S. 74) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2001/83).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Apothekerkammer Nordrhein (Deutschland) und der DocMorris NV, einer Gesellschaft niederländischen Rechts, die eine in den Niederlanden ansässige Versandapotheke betreibt, über eine von dieser Gesellschaft erhobene Schadensersatzklage, die darauf gestützt wird, dass die Apothekerkammer Nordrhein vor einem deutschen Gericht Unterlassungsverfügungen erwirkt habe, die bereits zum Zeitpunkt ihres Erlasses ungerechtfertigt gewesen seien.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2001/83
3 In den Erwägungsgründen 2, 45 und 50 der Richtlinie 2001/83 heißt es:
„(2) Alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet der Herstellung, des Vertriebs oder der Verwendung von Arzneimitteln müssen in erster Linie einen wirksamen Schutz der öffentlichen Gesundheit gewährleisten.
…
(45) Öffentlichkeitswerbung für Arzneimittel, die ohne ärztliche Verschreibung abgegeben werden können, könnte sich auf die öffentliche Gesundheit auswirken, wenn sie übertrieben und unvernünftig ist. Die Werbung muss, wenn sie erlaubt wird, bestimmten Anforderungen genügen, die festgelegt werden müssen.
…
(50) Die zur Verschreibung von Arzneimitteln berechtigten Personen müssen ihre Aufgabe absolut objektiv erfüllen können, ohne direkten oder indirekten finanziellen Anreizen ausgesetzt zu sein.“
4 Art. 85c Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 lautet auszugsweise:
„Unbeschadet der nationalen Rechtsvorschriften, mit denen das Angebot verschreibungspflichtiger Arzneimittel an die Öffentlichkeit zum Verkauf im Fernabsatz durch Dienste der Informationsgesellschaft verboten wird, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass das Angebot von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit zum Verkauf im Fernabsatz durch Dienste der Informationsgesellschaft, wie in der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft [(ABl. 1998, L 204, S. 37)] festgelegt, unter folgenden Bedingungen erfolgt:
…“
5 Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 bestimmt:
„Im Sinne dieses Titels gelten als ‚Werbung für Arzneimittel‘ alle Maßnahmen zur Information, zur Marktuntersuchung und zur Schaffung von Anreizen mit dem Ziel, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern; sie umfasst insbesondere:
– die Öffentlichkeitswerbung für Arzneimittel,
– …“
6 Art. 87 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83 sieht vor:
„Die Arzneimittelwerbung
– muss einen zweckmäßigen Einsatz des Arzneimittels fördern, indem sie seine Eigenschaften objektiv und ohne Übertreibung darstellt;
– darf nicht irreführend sein.“
7 In Art. 88 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/83 heißt es:
„(1) Die Mitgliedstaaten verbieten die Öffentlichkeitswerbung für Arzneimittel, die
a) gemäß Titel VI nur auf ärztliche Verschreibung abgegeben werden dürfen,
…
(2) Für Arzneimittel, die nach ihrer Zusammensetzung und Zweckbestimmung so beschaffen und konzipiert sind, dass sie ohne Tätigwerden eines Arztes für die Diagnose, Verschreibung oder Überwachung der Behandlung, erforderlichenfalls nach Beratung durch den Apotheker, verwendet werden können, kann Öffentlichkeitswerbung erfolgen.“
Richtlinie 2000/31/EG
8 Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) (ABl. 2000, L 178, S. 1) bestimmt:
„(1) Diese Richtlinie soll einen Beitrag zum einwandfreien Funktionieren des Binnenmarktes leisten, indem sie den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten sicherstellt.
(2) Diese Richtlinie sorgt, soweit dies für die Erreichung des in Absatz 1 genannten Ziels erforderlich ist, für eine Angleichung bestimmter für die Dienste der Informationsgesellschaft geltender innerstaatlicher Regelungen, die den Binnenmarkt, die Niederlassung der Diensteanbieter, kommerzielle Kommunikationen, elektronische Verträge, die Verantwortlichkeit von Vermittlern, Verhaltenskodizes, Systeme zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten, Klagemöglichkeiten sowie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten betreffen.“
9 Art. 2 Buchst. h der Richtlinie 2000/31 sieht vor:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
…
h) ‚koordinierter Bereich‘ die für die Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft und die Dienste der Informationsgesellschaft in den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten festgelegten Anforderungen, ungeachtet der Frage, ob sie allgemeiner Art oder speziell für sie bestimmt sind.
i) Der koordinierte Bereich betrifft vom Diensteanbieter zu erfüllende Anforderungen in Bezug auf
– die Aufnahme der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft, beispielsweise Anforderungen betreffend Qualifikationen, Genehmigung oder Anmeldung;
– die Ausübung der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft, beispielsweise Anforderungen betreffend das Verhalten des Diensteanbieters, Anforderungen betreffend Qualität oder Inhalt des Dienstes, einschließlich der auf Werbung und Verträge anwendbaren Anforderungen, sowie Anforderungen betreffend die Verantwortlichkeit des Diensteanbieters.
ii) Der koordinierte Bereich umfasst keine Anforderungen wie
– Anforderungen betreffend die Waren als solche;
– Anforderungen betreffend die Lieferung von Waren;
– Anforderungen betreffend Dienste, die nicht auf elektronischem Wege erbracht werden.“
10 Art. 3 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 2000/31 sieht vor:
„(2) Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nicht aus Gründen einschränken, die in den koordinierten Bereich fallen.
…
(4) Die Mitgliedstaaten können Maßnahmen ergreifen, die im Hinblick auf einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft von Absatz 2 abweichen, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:
a) Die Maßnahmen
i) sind aus einem der folgenden Gründe erforderlich:
– Schutz der öffentlichen Ordnung, insbesondere Verhütung, Ermittlung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten, einschließlich des Jugendschutzes und der Bekämpfung der Hetze aus Gründen der Rasse, des Geschlechts, des Glaubens oder der Nationalität, sowie von Verletzungen der Menschenwürde einzelner Personen,
– Schutz der öffentlichen Gesundheit,
– Schutz der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Wahrung nationaler Sicherheits- und Verteidigungsinteressen,
– Schutz der Verbraucher, einschließlich des Schutzes von Anlegern;
ii) betreffen einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft, der die unter Ziffer i) genannten Schutzziele beeinträchtigt oder eine ernsthafte und schwerwiegende Gefahr einer Beeinträchtigung dieser Ziele darstellt;
iii) stehen in einem angemessenen Verhältnis zu diesen Schutzzielen.
b) Der Mitgliedstaat hat vor Ergreifen der betreffenden Maßnahmen unbeschadet etwaiger Gerichtsverfahren, einschließlich Vorverfahren und Schritten im Rahmen einer strafrechtlichen Ermittlung
– den in Absatz 1 genannten Mitgliedstaat aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, und dieser hat dem nicht Folge geleistet oder die von ihm getroffenen Maßnahmen sind unzulänglich;
– die [Europäische] Kommission und den in Absatz 1 genannten Mitgliedstaat über seine Absicht, derartige Maßnahmen zu ergreifen, unterrichtet.“
Deutsches Recht
11 § 7 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens (Heilmittelwerbegesetz) in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: HWG) bestimmt:
„Es ist unzulässig, Zuwendungen und sonstige Werbegaben (Waren oder Leistungen) anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren oder als Angehöriger der Fachkreise anzunehmen, es sei denn, dass
1. es sich bei den Zuwendungen oder Werbegaben um Gegenstände von geringem Wert … handelt; Zuwendungen oder Werbegaben sind für Arzneimittel unzulässig, soweit sie entgegen den Preisvorschriften gewährt werden, die auf Grund des Arzneimittelgesetzes gelten;
2. die Zuwendungen oder Werbegaben in
a) einem bestimmten oder auf bestimmte Art zu berechnenden Geldbetrag oder
b) … gewährt werden;
Zuwendungen oder Werbegaben nach Buchstabe a sind für Arzneimittel unzulässig, soweit sie entgegen den Preisvorschriften gewährt werden, die aufgrund des Arzneimittelgesetzes gelten …
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
12 DocMorris betreibt eine in den Niederlanden ansässige Versandapotheke, die Kunden in Deutschland verschreibungspflichtige und nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel liefert.
13 Seit dem Jahr 2012 führte sie verschiedene Werbeaktionen für den Bezug verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch, die einen Teil ihres gesamten Warensortiments ausmachen.
14 Da die Apothekerkammer Nordrhein in diesen Werbeaktionen einen Verstoß gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel in Deutschland sah, erwirkte sie in den Jahren 2013 bis 2015 beim Landgericht Köln (Deutschland) einstweilige Unterlassungsverfügungen in Bezug auf diese Werbeaktionen.
15 Als Erstes erließ das Landgericht Köln am 8. Mai 2013 eine einstweilige Verfügung gegen eine Werbeaktion, in deren Rahmen den Kunden von DocMorris für die Einsendung ihrer Rezepte und die Teilnahme an einem „Arzneimittel-Check“ eine Prämie über einen Betrag zwischen 2,50 Euro und 20 Euro je Rezept angeboten wurde.
16 Als Zweites erließ dieses Gericht am 26. September 2013 eine einstweilige Verfügung gegen eine Werbeaktion, die ein Anwerbesystem zum Inhalt hatte. Sandte ein Freund eines Kunden von DocMorris ein Rezept ein, erhielt dieser Kunde einen Gutschein im Wert von ca. 150 Euro für einen Hotelaufenthalt oder ein Angebot für eine vergünstigte Mitgliedschaft im Allgemeinen Deutschen Automobil-Club (ADAC). Dieser Freund erhielt ebenfalls einen Gutschein für die Bestellung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel sowie von Gesundheits- und Pflegeprodukten.
17 Als Drittes erließ das Landgericht Köln am 5. November 2013 eine einstweilige Verfügung gegen eine Werbeaktion, in deren Rahmen bei der Einsendung eines Rezepts ein sofortiger Preisnachlass in Höhe von 10 Euro vorgesehen war.
18 Als Viertes erließ dieses Gericht am 4. November 2014 eine einstweilige Verfügung gegen eine Werbeaktion, in deren Rahmen den Kunden von DocMorris für die Einsendung eines Rezepts Gutscheine im Wert von 10 Euro für nachfolgende Bestellungen nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel sowie von Gesundheits- und Pflegeprodukten angeboten wurden.
19 Als Fünftes und Letztes erließ das Landgericht Köln am 29. September 2015 eine einstweilige Verfügung gegen eine Werbeaktion, mit der Kunden für die Einsendung eines Rezepts ein Preisnachlass in Höhe von 5 Euro in Aussicht gestellt wurde, die unmittelbar vom Rechnungsbetrag für die verschriebenen Arzneimittel abgezogen werden sollten.
20 Im Anschluss an das Urteil des Gerichtshofs vom 19. Oktober 2016, Deutsche Parkinson Vereinigung (C‑148/15, EU:C:2016:776), hob das Landgericht Köln mit Urteilen vom 21. und vom 22. März 2017 vier der fünf einstweiligen Verfügungen auf, wobei die am 26. September 2013 erlassene Verfügung zum Anwerbesystem aufrechterhalten blieb.
21 Nach Aufhebung der vier einstweiligen Verfügungen erhob DocMorris eine Schadensersatzklage gegen die Apothekerkammer Nordrhein, da die einstweiligen Verfügungen, in deren Rahmen hohe Ordnungsgelder gegen sie verhängt worden seien, von Anfang an ungerechtfertigt gewesen seien.
22 Das erstinstanzliche Gericht, d. h. das Landgericht Düsseldorf (Deutschland), wies diese Klage ab.
23 Das mit einer Berufung befasste Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) änderte das Urteil des Landgerichts Düsseldorf jedoch im Wege eines Grund- und Teilurteils ab, gab dem von DocMorris erhobenen Schadensersatzbegehren über ca. 18,5 Mio. Euro sowie im Wesentlichen ihrem Begehren auf Feststellung eines zusätzlichen Schadens, der aus der Vollziehung der einstweiligen Verfügungen entstanden sei, statt und ließ die Revision gegen sein Urteil zu.
24 In der Folge legte die Apothekerkammer Nordrhein beim Bundesgerichtshof (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, Revision ein, mit der sie ihren Antrag auf vollständige Abweisung des Schadensersatzbegehrens weiterverfolgt.
25 Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass nur zwei der in dem bei ihm anhängigen Verfahren in Rede stehenden Werbeaktionen, nämlich diejenigen, die Gegenstand der einstweiligen Verfügungen vom 5. November 2013 und vom 29. September 2015 gewesen seien, in den Anwendungsbereich von § 7 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 Nr. 2 Teilsatz 1 Buchst. a HWG fielen und somit zulässig seien, da sie sich auf Zuwendungen und Werbeabgaben in Gestalt eines bestimmten oder auf bestimmte Art zu berechnenden Geldbetrags bezögen. Dagegen fielen die Werbeaktionen, die Gegenstand der einstweiligen Verfügungen vom 8. Mai 2013, vom 26. September 2013 und vom 4. November 2014 gewesen seien, nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung des HWG und seien daher unzulässig.
26 Um eine im Einklang mit der Richtlinie 2001/83 stehende Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des HWG sicherzustellen, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die in dem bei ihm anhängigen Verfahren in Rede stehenden Werbeaktionen für den Bezug verschreibungspflichtiger Arzneimittel, die einen Teil des gesamten Warensortiments einer Apotheke ausmachen, in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen. Unter Bezugnahme u. a. auf die Urteile des Gerichtshofs vom 1. Oktober 2020, A (Werbung und Online-Verkauf von Arzneimitteln) (C‑649/18, EU:C:2020:764), vom 15. Juli 2021, DocMorris (C‑190/20, EU:C:2021:609), und vom 22. Dezember 2022, EUROAPTIEKA (C‑530/20, EU:C:2022:1014), fragt es sich, ob diese Aktionen unter den Begriff „Werbung für Arzneimittel“ im Sinne von Art. 86 Abs. 1 dieser Richtlinie fallen oder vielmehr nur darauf abzielen, die Entscheidung für die Apotheke zu beeinflussen, bei der ein Kunde ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel kauft, wobei eine solche Entscheidung dem Anwendungsbereich der Richtlinie entzogen sei.
27 Für den Fall, dass die Richtlinie 2001/83 anwendbar sei, fragt sich das vorlegende Gericht ferner, ob diese Richtlinie einer Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des HWG entgegensteht, wonach Werbeaktionen für den Bezug verschreibungspflichtiger Arzneimittel unter Verwendung von Werbegaben in Gestalt von Gutscheinen für den nachfolgenden Erwerb weiterer Produkte verboten seien, während solche Aktionen zulässig seien, wenn sie unter Verwendung von Werbegaben in Gestalt unmittelbar wirkender Preisnachlässe und Zahlungen erfolgten.
28 Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts bringen Werbegaben in Gestalt von Gutscheinen insofern die Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung der Kunden der betreffenden Apotheke mit sich, als solche Werbeaktionen regelmäßig den nachfolgenden Erwerb weiterer Produkte förderten. Diese Gefahr laufe dem Schutzzweck der einschlägigen Bestimmungen des HWG zuwider, einer unkritischen Selbstmedikation und einem Zuviel- und Fehlgebrauch von Heilmitteln entgegenzuwirken, die gesundheitsgefährdend sein könnten.
29 Dagegen seien, wie aus Rn. 25 des vorliegenden Urteils hervorgeht, Werbeaktionen, die unter Verwendung von Werbegaben in Gestalt unmittelbar wirkender Preisnachlässe und Zahlungen erfolgten, nach den einschlägigen Bestimmungen des HWG zulässig. Das vorlegende Gericht fragt sich jedoch, ob es mit der Richtlinie 2001/83 vereinbar ist, solche Werbeaktionen zuzulassen.
30 Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Unterliegt Werbung für den Bezug verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem gesamten Warensortiment einer Apotheke dem Anwendungsbereich der Regelungen zur Werbung für Arzneimittel in der Richtlinie 2001/83 (Titel VIII und VIIIa, Art. 86 bis 100)?
2. Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist:
Steht es mit den Bestimmungen des Titels VIII und insbesondere mit Art. 87 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83 in Einklang, wenn eine nationale Vorschrift (hier: § 7 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 Nr. 2 Teilsatz 1 Buchst. a HWG) dahin ausgelegt wird, dass sie die Werbung für das gesamte Sortiment verschreibungspflichtiger Arzneimittel einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Versandapotheke mit Werbegaben in Gestalt von Gutscheinen über einen Geldbetrag oder einen prozentualen Rabatt für den nachfolgenden Erwerb weiterer Produkte verbietet?
3. Weiter für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist:
Steht es mit den Bestimmungen des Titels VIII und insbesondere mit Art. 87 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83 in Einklang, wenn eine nationale Vorschrift (hier: § 7 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 Nr. 2 Teilsatz 1 Buchst. a HWG) dahin ausgelegt wird, dass sie die Werbung für das gesamte Sortiment verschreibungspflichtiger Arzneimittel einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Versandapotheke mit Werbegaben in Gestalt unmittelbar wirkender Preisnachlässe und Zahlungen gestattet?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Zum Begriff „Werbung für Arzneimittel“ im Sinne von Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83
31 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass Werbeaktionen für den Bezug verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem gesamten Warensortiment einer Apotheke unter den Begriff „Werbung für Arzneimittel“ im Sinne dieser Bestimmung fallen.
32 Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 definiert den Begriff „Werbung für Arzneimittel“ sehr weit als „alle Maßnahmen zur Information, zur Marktuntersuchung und zur Schaffung von Anreizen mit dem Ziel, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern“, einschließlich insbesondere der „Öffentlichkeitswerbung für Arzneimittel“, soweit diese Maßnahmen nicht ausdrücklich unter die Ausnahme nach Art. 86 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 fallen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2022, EUROAPTIEKA, C‑530/20, EU:C:2022:1014, Rn. 32).
33 Da diese Bestimmung nicht auf die nationalen Rechtsordnungen verweist, ist davon auszugehen, dass es sich bei diesem Begriff um einen autonomen Begriff des Unionsrechts handelt, der im gesamten Unionsgebiet einheitlich auszulegen ist, wobei nicht nur der Wortlaut dieser Bestimmung, sondern auch der Zusammenhang, in den sie sich einfügt, und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden, zu berücksichtigen sind (Urteil vom 22. Dezember 2022, EUROAPTIEKA, C‑530/20, EU:C:2022:1014, Rn. 31).
34 Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass sich aus einer grammatikalischen, systematischen und teleologischen Auslegung von Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 ergibt, dass der Begriff „Werbung für Arzneimittel“ im Sinne dieser Bestimmung alle in Rn. 32 des vorliegenden Urteils genannten Maßnahmen unabhängig davon umfasst, ob sie sich auf ein bestimmtes Arzneimittel oder auf unbestimmte Arzneimittel beziehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2022, EUROAPTIEKA, C‑530/20, EU:C:2022:1014, Rn. 47).
35 Überdies geht aus dem Wortlaut von Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 hervor, dass das Ziel der Botschaft das grundlegende Definitionsmerkmal des Begriffs „Werbung für Arzneimittel“ im Sinne dieser Bestimmung und das entscheidende Kriterium für die Unterscheidung der Werbung von der einfachen Information darstellt. Zielt die Botschaft darauf ab, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern, handelt es sich um Werbung im Sinne der Richtlinie 2001/83 (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2022, EUROAPTIEKA, C‑530/20, EU:C:2022:1014, Rn. 52).
36 Dagegen fällt eine Werbeaktion, mit der nicht darauf abgezielt wird, den Kunden in der Entscheidung für ein bestimmtes Arzneimittel zu beeinflussen, sondern in der – nachgelagerten – Entscheidung für die Apotheke, bei der er das Arzneimittel kauft, nicht unter den Begriff „Werbung für Arzneimittel“ im Sinne von Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Juli 2021, DocMorris, C‑190/20, EU:C:2021:609, Rn. 21 und 22, sowie vom 22. Dezember 2022, EUROAPTIEKA, C‑530/20, EU:C:2022:1014, Rn. 50).
37 Um festzustellen, ob eine Werbeaktion für den Bezug verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem gesamten Warensortiment einer Apotheke unter den Begriff „Werbung für Arzneimittel“ im Sinne von Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 fällt, ist daher zu prüfen, ob mit einer solchen Aktion darauf abgezielt wird, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln, einschließlich unbestimmter Arzneimittel, zu fördern, oder ob mit der Werbeaktion nur darauf abgezielt wird, die Entscheidung für die Apotheke zu beeinflussen, bei der ein Kunde verschreibungspflichtige Arzneimittel bezieht.
38 Bei Werbeaktionen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ist angesichts des Vorstehenden insbesondere danach zu differenzieren, ob sich die Werbebotschaft auf verschreibungspflichtige Arzneimittel beschränkt oder auch auf nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel bezieht.
39 Zum einen ist bei einer Werbeaktion wie derjenigen, die Gegenstand der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Köln vom 8. Mai 2013 war und mit der den Kunden von DocMorris für die Einsendung ihrer Rezepte und die Teilnahme an einem „Arzneimittel-Check“ eine Prämie über einen Betrag zwischen 2,50 Euro und 20 Euro je Rezept angeboten wurde, davon auszugehen, dass sie im Wesentlichen zu einer Zahlung führt. Gleiches gilt für Werbeaktionen wie diejenigen, um die es in den einstweiligen Verfügungen desselben Gerichts vom 5. November 2013 und vom 29. September 2015 ging, in deren Rahmen ein unmittelbar wirkender Preisnachlass oder eine unmittelbar wirkende Zahlung gewährt wurde.
40 Daraus folgt, dass sich die Botschaft dieser Werbeaktionen auf unbestimmte verschreibungspflichtige Arzneimittel bezieht, ohne auch auf andere Arten von Arzneimitteln abzuzielen.
41 Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die Botschaft dieser Aktionen die Verschreibung oder den Verbrauch unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel fördert, da die Entscheidung, solche Arzneimittel zu verschreiben, ausschließlich Ärzten obliegt. Wie aus dem 50. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83 hervorgeht, darf ein verschreibender Arzt ein Arzneimittel nämlich nach den Berufsregeln nicht verschreiben, wenn es für die therapeutische Behandlung seines Patienten nicht geeignet ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. April 2010, Association of the British Pharmaceutical Industry, C‑62/09, EU:C:2010:219, Rn. 40). Wie der Generalanwalt in Nr. 49 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, bleibt einem Kunden, wenn er ein Rezept erhält, im Hinblick auf das verschreibungspflichtige Arzneimittel nur noch die Entscheidung für die Apotheke, bei der er es bezieht.
42 Daraus folgt, dass die in Rn. 39 des vorliegenden Urteils genannten Werbeaktionen die Entscheidung des Kunden für die Apotheke betreffen, bei der er ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel kauft, so dass diese Aktionen nicht unter den Begriff „Werbung für Arzneimittel“ im Sinne von Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 fallen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juli 2021, DocMorris, C‑190/20, EU:C:2021:609, Rn. 21 und 22).
43 Zum anderen bezieht sich eine Werbeaktion wie diejenige, die Gegenstand der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Köln vom 26. September 2013 war, nicht ausschließlich auf verschreibungspflichtige Arzneimittel, sondern es wird damit auch auf andere Produkte, u. a. auf nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, abgezielt. Diese Aktion hatte nämlich ein Anwerbesystem zum Inhalt, wonach, wenn ein Freund eines Kunden von DocMorris ein Rezept einsandte, dieser Kunde einen Gutschein für einen Hotelaufenthalt oder ein Angebot für eine vergünstigte Mitgliedschaft im Deutschen Automobil-Club erhielt, während seinem Freund ein Gutschein für die Bestellung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel sowie von Gesundheits- und Pflegeprodukten angeboten wurde. Gleiches gilt für eine Werbeaktion wie diejenige, die Gegenstand der einstweiligen Verfügung desselben Gerichts vom 4. November 2014 war, in deren Rahmen ebenfalls vorgesehen war, dass Kunden von DocMorris für die Einsendung eines Rezepts Gutscheine für nachfolgende Bestellungen nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel sowie von Gesundheits- und Pflegeprodukten angeboten wurden.
44 Im Gegensatz zu den in Rn. 39 des vorliegenden Urteils genannten Werbeaktionen fördern die in der vorstehenden Randnummer angeführten somit den Kauf nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel. In Ermangelung einer Verpflichtung zur Inanspruchnahme eines verschreibenden Arztes kann ein Empfänger von Gutscheinen, der durch den damit gebotenen wirtschaftlichen Vorteil angelockt wurde, diese Gutscheine dazu verwenden, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zu einem vergünstigten Preis zu beziehen.
45 Da diese Werbeaktionen den Verbrauch nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel fördern, fallen sie unter den Begriff „Werbung für Arzneimittel“ im Sinne von Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83.
46 Diese Feststellung wird nicht durch den Umstand in Frage gestellt, dass die im Rahmen der in Rn. 43 des vorliegenden Urteils genannten Werbeaktionen angebotenen Gutscheine auch für den Kauf anderer Produkte als nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel, wie für Gesundheits- und Pflegeprodukte, verwendet werden können, auf die diese Werbeaktionen ebenfalls abzielen.
47 Erstens hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass Werbeaktionen, die den Kauf von Arzneimitteln fördern, indem sie auf einen kombinierten Verkauf zusammen mit anderen von einer Apotheke verkauften Produkten Bezug nehmen, unter den Begriff „Werbung für Arzneimittel“ im Sinne von Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 fallen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2022, EUROAPTIEKA, C‑530/20, EU:C:2022:1014, Rn. 53 und 54).
48 Zweitens geht aus dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83 hervor, dass diese in erster Linie einen wirksamen Schutz der öffentlichen Gesundheit gewährleisten soll. Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass Werbung für Arzneimittel der öffentlichen Gesundheit schaden kann, da eine übertriebene oder unvernünftige Verwendung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel mit Risiken verbunden sein kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2022, EUROAPTIEKA, C‑530/20, EU:C:2022:1014, Rn. 40).
49 Es ist nämlich der ganz besondere Charakter von Arzneimitteln zu betonen, deren therapeutische Wirkungen sie substanziell von den übrigen Waren unterscheiden. Aufgrund dieser therapeutischen Wirkungen können Arzneimittel, wenn sie ohne Not oder falsch eingenommen werden, der Gesundheit schweren Schaden zufügen, ohne dass der Patient sich dessen bei ihrer Verabreichung bewusst sein kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2022, EUROAPTIEKA, C‑530/20, EU:C:2022:1014, Rn. 41).
50 Indes würde das wesentliche Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit stark gefährdet, wenn Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 dahin ausgelegt würde, dass eine Werbeaktion, mit der der Kauf nicht verschreibungspflichtiger Arzneimitteln gefördert werden soll, nicht unter den Begriff „Werbung für Arzneimittel“ im Sinne dieser Bestimmung fiele und somit von den in dieser Richtlinie vorgesehenen Werbeverboten, ‑bedingungen und ‑beschränkungen ausgenommen wäre, wenn sich die mit dieser Werbeaktion vermittelte Botschaft auch auf andere Produkte als Arzneimittel bezieht.
51 Drittens erfasst der Begriff „Werbung für Arzneimittel“ angesichts seiner äußerst weiten Definition in Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 an Kunden einer Apotheke gerichtete Werbeaktionen, die über ein Anwerbesystem den Verbrauch nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel durch Freunde dieser Kunden fördern sollen. Da nämlich die „Öffentlichkeitswerbung für Arzneimittel“ nach dem Wortlaut dieser Bestimmung eine Form der „Werbung für Arzneimittel“ darstellt, sind vom letztgenannten Begriff Werbeaktionen erfasst, die darauf abzielen, dass die durch sie vermittelte Botschaft unter den der Öffentlichkeit zugehörigen Personen weiterverbreitet wird.
52 Viertens ist die von der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Köln vom 26. September 2013 betroffene Werbeaktion, mit der ein Anwerbesystem ins Leben gerufen wurde, von derjenigen zu unterscheiden, die in der Rechtssache in Rede stand, in der das Urteil vom 15. Juli 2021, DocMorris (C‑190/20, EU:C:2021:609), ergangen ist. Jene Rechtssache betraf eine Werbeaktion einer Apotheke in Gestalt eines Werbegewinnspiels, bei dem die Teilnehmer Gegenstände des täglichen Gebrauchs, die keine Arzneimittel waren, gewinnen konnten, wobei die Teilnahme die Einsendung der Bestellung eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels voraussetzte. Somit zielte die Botschaft der in jener Rechtssache in Rede stehenden Werbeaktion in keiner Weise auf nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel ab.
53 Überdies ist die Werbeaktion, zu der die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 8. Mai 2013 ergangen ist, nach Auffassung des vorlegenden Gerichts gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG unzulässig, da damit Apothekenkunden, die ihr Rezept einsendeten und an einem „Arzneimittel-Check“ teilnähmen, eine Prämie über einen Betrag zwischen 2,50 Euro und 20 Euro angeboten werde, ohne dass die genaue Höhe dieser Prämie ersichtlich sei.
54 Aus Rn. 42 des vorliegenden Urteils geht jedoch hervor, dass eine solche Werbeaktion nicht unter den Begriff „Werbung für Arzneimittel“ im Sinne von Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 fällt.
55 Unter diesen Umständen ist noch zu prüfen, ob eine nationale Regelung wie die in § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG vorgesehene, wonach eine derartige Werbeaktion verboten ist, nicht gleichwohl mit anderen Bestimmungen des Unionsrechts unvereinbar ist.
56 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof nämlich dessen Aufgabe, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens zweckdienliche Antwort zu geben. Auch wenn das vorlegende Gericht seine Fragen der Form nach auf die Auslegung einer bestimmten Unionsrechtsvorschrift beschränkt hat, hindert dies demzufolge den Gerichtshof nicht daran, ihm alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei seiner Fragestellung darauf Bezug genommen hat oder nicht. Der Gerichtshof hat insoweit aus dem gesamten vom nationalen Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (Urteil vom 15. Juli 2021, DocMorris, C‑190/20, EU:C:2021:609, Rn. 23).
57 Insoweit geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten nicht klar hervor, ob die in Rn. 53 des vorliegenden Urteils genannte Werbeaktion ausschließlich mit physischen Werbeträgern durchgeführt wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juli 2021, DocMorris, C‑190/20, EU:C:2021:609, Rn. 26) oder vielmehr multimedial sowohl über die Website der betreffenden Apotheke als auch mit physischen Werbeträgern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Oktober 2020, A [Werbung und Online-Verkauf von Arzneimitteln], C‑649/18, EU:C:2020:764, Rn. 48).
58 Im erstgenannten Fall sind die Vorschriften des AEU-Vertrags über den freien Warenverkehr maßgeblich, da diese Werbeaktion letztlich darauf abzielt, den Verkauf unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel zu fördern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juli 2021, DocMorris, C‑190/20, EU:C:2021:609, Rn. 31 und 32).
59 In dem in Rn. 57 des vorliegenden Urteils zweitgenannten Fall, in dem die Werbeaktion auch elektronisch umgesetzt wird, fällt sie in den „koordinierten Bereich“ im Sinne von Art. 2 Buchst. h der Richtlinie 2000/31, da sie unabhängig von der Art und Weise, wie sie konkret durchgeführt wird, insgesamt betrachtet darauf abzielt, bei potenziellen Kunden Aufmerksamkeit für die Website der betreffenden Apotheke zu erregen und den Online-Verkauf ihrer Produkte zu fördern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Oktober 2020, A [Werbung und Online-Verkauf von Arzneimitteln], C‑649/18, EU:C:2020:764, Rn. 55).
60 Es ist daher zu prüfen, ob Art. 34 AEUV und die einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2000/31 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die eine Werbeaktion, in deren Rahmen den Kunden einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Apotheke für die Einsendung ihrer Rezepte und die Teilnahme an einem „Arzneimittel-Check“ eine Prämie über einen Betrag zwischen 2,50 Euro und 20 Euro angeboten wird, ohne dass die genaue Höhe dieser Prämie ersichtlich wäre, aus Verbraucherschutzgründen verbietet.
Zu Art. 34 AEUV
61 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs erfasst das in Art. 34 AEUV aufgestellte Verbot von Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen jede Maßnahme der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, die Einfuhren zwischen Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern (vgl. insbesondere Urteile vom 11. Juli 1974, Dassonville, 8/74, EU:C:1974:82, Rn. 5, vom 19. Oktober 2016, Deutsche Parkinson Vereinigung, C‑148/15, EU:C:2016:776, Rn. 22, und vom 15. Juli 2021, DocMorris, C‑190/20, EU:C:2021:609, Rn. 34).
62 Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass eine nationale Bestimmung wie § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG, auf den das Verbot der Werbeaktion, die Gegenstand der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Köln vom 8. Mai 2013 ist, gestützt ist und der das Anbieten von Zuwendungen oder sonstigen geldwerten Werbegaben im Bereich des Verkaufs von Arzneimitteln regelt, als „Bestimmung über Verkaufsmodalitäten“ im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs anzusehen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juli 2021, DocMorris, C‑190/20, EU:C:2021:609, Rn. 37).
63 Nach dem Urteil vom 24. November 1993, Keck und Mithouard (C‑267/91 und C‑268/91, EU:C:1993:905), fällt eine solche Verkaufsmodalität jedoch nur dann nicht in den Anwendungsbereich von Art. 34 AEUV, wenn sie die beiden Voraussetzungen erfüllt, dass sie zum einen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gilt, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und zum anderen den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berührt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juli 2021, DocMorris, C‑190/20, EU:C:2021:609, Rn. 35 und 38).
64 Zur ersten Voraussetzung ist im vorliegenden Fall festzustellen, dass das HWG unterschiedslos für alle Apotheken gilt, die in Deutschland Arzneimittel verkaufen, unabhängig davon, ob sie in der Bundesrepublik Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind (Urteil vom 15. Juli 2021, DocMorris, C‑190/20, EU:C:2021:609, Rn. 39).
65 Zur zweiten Voraussetzung hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Preiswettbewerb für Versandapotheken ein wichtigerer Wettbewerbsfaktor sein kann als für traditionelle Apotheken, weil es von ihm abhängt, ob Versandapotheken einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Markt finden und auf diesem konkurrenzfähig bleiben können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Oktober 2016, Deutsche Parkinson Vereinigung, C‑148/15, EU:C:2016:776, Rn. 24).
66 Im vorliegenden Fall wird mit einer Werbeaktion, in deren Rahmen den Kunden einer Versandapotheke für die Einsendung ihrer Rezepte und die Teilnahme an einem „Arzneimittel-Check“ eine Prämie über einen Betrag zwischen 2,50 Euro und 20 Euro je Rezept angeboten wird, darauf abgezielt, in einen Preiswettbewerb mit traditionellen Apotheken zu treten.
67 Angesichts der vorstehenden Ausführungen ist festzustellen, dass sich das Verbot dieser Werbeaktion, wie es in der deutschen Regelung vorgesehen ist, auf in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland ansässige Apotheken stärker auswirkt als auf im deutschen Hoheitsgebiet ansässige Apotheken. Dadurch könnte der Marktzugang für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten stärker behindert werden als für inländische Erzeugnisse, so dass ein solches Verbot eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung darstellt.
68 Eine solche Beschränkung lässt sich nur dann mit Erfolg rechtfertigen, wenn sie geeignet ist, die Verwirklichung des verfolgten legitimen Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (Urteil vom 19. Oktober 2016, Deutsche Parkinson Vereinigung, C‑148/15, EU:C:2016:776, Rn. 34).
69 Insoweit weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass der Schutzzweck von § 7 Abs. 1 HWG darin bestehe, der auch nur abstrakten Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung der Werbeadressaten beim Erwerb von Arzneimitteln entgegenzuwirken. Die Werbeaktion, um die es in der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Köln vom 8. Mai 2013 gehe, beeinträchtige dieses Ziel, da die Adressaten der Werbebotschaft die Höhe der im Einzelfall gewährten Prämie aufgrund der Angabe einer Bandbreite überschätzen könnten.
70 Daraus folgt, dass das Verbot dieser Werbeaktion vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht dem Verbraucherschutz dient, der einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellt, mit dem eine Beschränkung des freien Warenverkehrs gerechtfertigt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. September 2014, Vilniaus energija, C‑423/13, EU:C:2014:2186, Rn. 50).
71 Zum einen ist im Hinblick auf die Eignung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung, das Ziel des Verbraucherschutzes zu erreichen, festzustellen, dass sie verhindert, dass Verbraucher die Höhe der Prämie überschätzen. Die Gefahr, dass diese Prämie zu hoch eingeschätzt wird, kann nämlich im Hinblick auf Verbraucher, die hochpreisige Arzneimittel kaufen oder die regelmäßig Arzneimittel kaufen müssen, da sie an einer chronischen Krankheit leiden, erheblich sein.
72 Zum anderen geht diese Regelung insofern nicht über das hinaus, was zur Gewährleistung dieses Ziels erforderlich ist, als danach die von der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Köln vom 8. Mai 2013 betroffene Werbeaktion verboten ist, die eine Bandbreite an Prämienbeträgen vorsieht, ohne dass den Verbrauchern zur Kenntnis gebracht würde, wie die von der betreffenden Apotheke angewandte Prämie berechnet wird. Somit sähe sich selbst ein normal informierter und angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher (Urteile vom 13. Januar 2000, Estée Lauder, C‑220/98, EU:C:2000:8, Rn. 27, und vom 16. Januar 2014, Juvelta, C‑481/12, EU:C:2014:11, Rn. 23) nicht in der Lage, die genaue Höhe dieser Prämie zu berechnen.
73 Daraus folgt, dass Art. 34 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die eine Werbeaktion verbietet, in deren Rahmen den Kunden einer Versandapotheke eine Prämie über einen Betrag zwischen 2,50 Euro und 20 Euro je Rezept angeboten wird, ohne dass die genaue Höhe dieser Prämie ersichtlich wäre.
Zur Richtlinie 2000/31
74 Nach Art. 85c Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass das Angebot von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit zum Verkauf im Fernabsatz durch Dienste der Informationsgesellschaft im Einklang mit einer Reihe von dort aufgestellten Bedingungen erfolgt. Diese Verpflichtung gilt jedoch unbeschadet nationaler Rechtsvorschriften, mit denen das Angebot verschreibungspflichtiger Arzneimittel an die Öffentlichkeit zum Verkauf im Fernabsatz durch solche Dienste verboten wird.
75 Daraus folgt, dass, wenn der Bestimmungsmitgliedstaat ein solches Angebot erlaubt, was hier der Fall zu sein scheint, er bei diesen Dienstleistungen den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nach Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2000/31 grundsätzlich nicht einschränken darf (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Oktober 2020, A [Werbung und Online-Verkauf von Arzneimitteln], C‑649/18, EU:C:2020:764, Rn. 60).
76 Im vorliegenden Fall ist das von einem Mitgliedstaat angeordnete Verbot einer Werbeaktion wie derjenigen, die Gegenstand der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Köln vom 8. Mai 2013 war, geeignet, die Möglichkeit einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Apotheke, sich in dem betreffenden Mitgliedstaat bei potenziellen Kunden bekannt zu machen und für die von ihr angebotene Dienstleistung des Online-Verkaufs ihrer Produkte zu werben, einzuschränken (Urteil vom 1. Oktober 2020, A [Werbung und Online-Verkauf von Arzneimitteln], C‑649/18, EU:C:2020:764, Rn. 61).
77 Ein solches Verbot bewirkt mithin eine Beschränkung des freien Verkehrs von Diensten der Informationsgesellschaft.
78 Allerdings können die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 4 Buchst. a der Richtlinie 2000/31 Maßnahmen ergreifen, die im Hinblick auf einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft von Abs. 2 dieses Art. 3 abweichen, wenn die Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Gesundheit, der öffentlichen Sicherheit oder der Verbraucher erforderlich sind, einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft betreffen, der diese Schutzziele tatsächlich beeinträchtigt oder eine ernsthafte und schwerwiegende Gefahr einer Beeinträchtigung dieser Ziele darstellt, und in einem angemessenen Verhältnis zu diesen Schutzzielen stehen (Urteil vom 1. Oktober 2020, A [Werbung und Online-Verkauf von Arzneimitteln], C‑649/18, EU:C:2020:764, Rn. 63).
79 Die Voraussetzungen der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit gemäß Art. 3 Abs. 4 Buchst. a der Richtlinie 2000/31 decken sich weitgehend mit denen, die für jede Beschränkung der durch die Art. 34 und 56 AEUV garantierten Grundfreiheiten gelten. Deshalb ist bei der Beurteilung der Unionsrechtmäßigkeit der in Rede stehenden innerstaatlichen Regelung die zu diesen Vorschriften des AEU-Vertrags ergangene Rechtsprechung zu berücksichtigen (Urteil vom 1. Oktober 2020, A [Werbung und Online-Verkauf von Arzneimitteln], C‑649/18, EU:C:2020:764, Rn. 64).
80 Somit ist aus den bereits in den Rn. 70 bis 72 des vorliegenden Urteils dargelegten Gründen festzustellen, dass Art. 3 Abs. 4 Buchst. a der Richtlinie 2000/31 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die eine Werbeaktion wie diejenige verbietet, die Gegenstand der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Köln vom 8. Mai 2013 war.
81 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass
– Werbeaktionen für den Bezug unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel in Gestalt von Preisnachlässen und Zahlungen nicht unter den Begriff „Werbung für Arzneimittel“ im Sinne dieser Bestimmung fallen,
– wohingegen Werbeaktionen für den Bezug unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel unter Verwendung von Werbegaben in Form von Gutscheinen für den nachfolgenden Erwerb nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel unter diesen Begriff fallen.
Art. 34 AEUV und Art. 3 Abs. 4 Buchst. a der Richtlinie 2000/31 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die eine Werbeaktion, in deren Rahmen den Kunden einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Apotheke für die Einsendung ihrer Rezepte und die Teilnahme an einem „Arzneimittel-Check“ eine Geldprämie angeboten wird, ohne dass die genaue Höhe dieser Prämie ersichtlich wäre, aus Verbraucherschutzgründen verbietet.
Zur zweiten Frage
82 In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner zweiten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 87 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die Werbeaktionen für den Bezug unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel unter Verwendung von Werbegaben in Gestalt von Gutscheinen über einen bestimmten Geldbetrag oder über einen prozentualen Preisnachlass für den nachfolgenden Erwerb weiterer Produkte, wie nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel, verbietet.
83 Wie in den Rn. 48 und 49 des vorliegenden Urteils ausgeführt, unterliegt eine solche Werbung, da die Werbung für Arzneimittel – auch für nicht verschreibungspflichtige – der öffentlichen Gesundheit schaden kann, Verboten, Bedingungen und Beschränkungen nach der Richtlinie 2001/83 (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2022, EUROAPTIEKA, C‑530/20, EU:C:2022:1014, Rn. 59).
84 Außerdem ist mit dieser Richtlinie eine vollständige Harmonisierung des Bereichs der Arzneimittelwerbung erfolgt. Wird den Mitgliedstaaten nicht ausdrücklich die Befugnis eingeräumt, andere Regelungen zu treffen, dürfen sie die Arzneimittelwerbung folglich nur den Anforderungen dieser Richtlinie unterwerfen (Urteil vom 22. Dezember 2022, EUROAPTIEKA, C‑530/20, EU:C:2022:1014, Rn. 60).
85 Wie in Rn. 45 des vorliegenden Urteils ausgeführt, fördern die Werbeaktionen, die Gegenstand der vorliegenden Vorlagefrage sind – obwohl sie für den Bezug verschreibungspflichtiger Arzneimittel durchgeführt werden – ausschließlich den Verbrauch nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel. Daraus folgt, dass Art. 88 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2001/83 insofern nicht auf diese Werbeaktionen anwendbar ist, als sie darauf abzielen, den Verbrauch der letztgenannten Art von Arzneimitteln zu fördern.
86 Die in Art. 88 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 vorgesehene grundsätzliche Zulässigkeit öffentlicher Werbeaktionen, die wie diejenigen, die die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung zum Gegenstand hat, den Verbrauch nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel fördern, wird u. a. durch die Bedingungen und Beschränkungen von Art. 87 dieser Richtlinie beschränkt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2022, EUROAPTIEKA, C‑530/20, EU:C:2022:1014, Rn. 61).
87 Auch wenn sich aus Art. 88 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 ergibt, dass Werbung für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zulässig ist, müssen die Mitgliedstaaten daher, um im Einklang mit dem in den Erwägungsgründen 2 und 45 dieser Richtlinie verankerten wesentlichen Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit Gefahren für dieselbe zu verhindern, verbieten, dass in die Öffentlichkeitswerbung für solche Arzneimittel Elemente einbezogen werden, die ihren unzweckmäßigen Einsatz fördern könnten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2022, EUROAPTIEKA, C‑530/20, EU:C:2022:1014, Rn. 63).
88 Insoweit schreibt Art. 87 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83 vor, dass die Werbung einen zweckmäßigen Einsatz des Arzneimittels fördern muss, indem sie seine Eigenschaften objektiv und ohne Übertreibung darstellt, und nicht irreführend sein darf. Diese Bestimmung wiederholt die im 45. Erwägungsgrund dieser Richtlinie angeführte Notwendigkeit, übertriebene und unvernünftige Werbung, die sich auf die öffentliche Gesundheit auswirken könnte, zu verhindern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2007, Gintec, C‑374/05, EU:C:2007:654, Rn. 55).
89 Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass der Endverbraucher bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln selbst die Zweckmäßigkeit oder die Notwendigkeit des Kaufs solcher Arzneimittel prüft, ohne einen Arzt zu konsultieren. Dieser Verbraucher verfügt aber nicht notwendigerweise über spezielle Sachkenntnis, die es ihm ermöglichen würde, ihren therapeutischen Wert zu beurteilen. Die Werbung kann also einen besonders großen Einfluss auf die Prüfung und die Entscheidung dieses Verbrauchers ausüben, und zwar sowohl was die Qualität des Arzneimittels betrifft als auch hinsichtlich der zu kaufenden Menge (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2022, EUROAPTIEKA, C‑530/20, EU:C:2022:1014, Rn. 65).
90 Somit leistet eine Werbung, die den Verbraucher von einer sachlichen Prüfung der Frage ablenkt, ob die Einnahme eines Arzneimittels erforderlich ist, der unzweckmäßigen und übermäßigen Verwendung dieses Arzneimittels Vorschub (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2022, EUROAPTIEKA, C‑530/20, EU:C:2022:1014, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).
91 Im vorliegenden Fall kann der Verbraucher die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gutscheine verwenden, um Produkte aus dem gesamten Warensortiment der betreffenden Apotheke, mit Ausnahme verschreibungspflichtiger Arzneimittel, zu einem vergünstigten Preis zu erhalten. Ein Verbraucher kann sich beispielsweise zwischen dem Kauf nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel und dem Kauf anderer Verbrauchsprodukte, wie von Gesundheits- und Pflegeprodukten, entscheiden. Werbeaktionen wie diejenigen, die Gegenstand der vorliegenden Vorlagefrage sind, stellen nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel somit anderen von einer Apotheke angebotenen Verbrauchsprodukten gleich.
92 Eine solche Gleichstellung kann jedoch zu einer unzweckmäßigen und übermäßigen Verwendung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel führen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2022, EUROAPTIEKA, C‑530/20, EU:C:2022:1014, Rn. 68), da sie den ganz besonderen Charakter dieser Arzneimittel verschleiert, deren therapeutische Wirkungen sie substanziell von den übrigen Waren unterscheiden. Diese Gleichstellung lenkt den Verbraucher von einer sachlichen Prüfung der Frage ab, ob die Einnahme dieser Arzneimittel erforderlich ist.
93 Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass ein Verbot, wie es in der im Ausgangsverfahren fraglichen Regelung vorgesehen ist, dem wesentlichen Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit entspricht, da es die Verbreitung von Werbeelementen verhindert, die die unzweckmäßige und übermäßige Verwendung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel fördern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2022, EUROAPTIEKA, C‑530/20, EU:C:2022:1014, Rn. 69).
94 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 87 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die Werbeaktionen für den Bezug unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel unter Verwendung von Werbegaben in Gestalt von Gutscheinen über einen bestimmten Geldbetrag oder über einen prozentualen Preisnachlass für den nachfolgenden Erwerb weiterer Produkte, wie nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel, verbietet.
Zur dritten Frage
95 In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die dritte Frage nicht zu beantworten.