EuGH: Missbräuchliche Klauseln über die Wechselkursdifferenz in an Fremdwährung gekoppelte Darlehensverträge
EuGH, Urteil vom 3.10.2019 – C-260/18, Kamil Dziubak, Justyna Dziubak gegen Raiffeisen Bank International AG
Volltext: BB-ONLINE BBL2019-2497-2
Tenor
1. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass er es einem nationalen Gericht nicht verwehrt, gemäß seinem innerstaatlichen Recht nach Feststellung der Missbräuchlichkeit bestimmter Klauseln eines an eine Fremdwährung gekoppelten Darlehensvertrags mit einem unmittelbar an den Interbankensatz der betreffenden Währung gebundenen Zinssatz zu der Auffassung zu gelangen, dass dieser Vertrag ohne diese Klauseln keinen Fortbestand haben kann, weil ihr Wegfall dazu führen würde, dass sich der Hauptgegenstand dieses Vertrags seiner Art nach ändert.
2. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 ist dahin auszulegen, dass zum einen die Folgen für die Situation des Verbrauchers, die sich aus der Feststellung der Unwirksamkeit eines Vertrags als Ganzes ergeben, wie sie im Urteil vom 30. April 2014, Kásler und Káslerné Rábai (C-26/13, C:2014:282), genannt werden, anhand der zum Zeitpunkt des Rechtsstreits bestehenden oder vorhersehbaren Umstände zu beurteilen sind und zum anderen für diese Beurteilung der vom Verbraucher in dieser Hinsicht zum Ausdruck gebrachte Wille entscheidend ist.
3. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 ist dahin auszulegen, dass er einer Schließung von Lücken eines Vertrags, die durch den Wegfall der darin enthaltenen missbräuchlichen Klauseln entstanden sind, allein auf der Grundlage von allgemeinen nationalen Vorschriften, die die in einem Rechtsgeschäft zum Ausdruck gebrachten Wirkungen auch nach den Grundsätzen der Billigkeit oder der Verkehrssitte bestimmen und bei denen es sich weder um dispositive Bestimmungen noch um Vorschriften handelt, die im Falle einer entsprechenden Vereinbarung der Vertragsparteien anwendbar sind, entgegensteht.
4. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 ist dahin auszulegen, dass er das Gericht daran hindert, missbräuchliche Klauseln in einem Vertrag beizubehalten, wenn ihr Wegfall dazu führen würde, dass dieser Vertrag für unwirksam erklärt wird, und es der Auffassung ist, dass diese Feststellung der Unwirksamkeit nachteilige Auswirkungen für den Verbraucher hätte, sofern er einer Beibehaltung der Klauseln nicht zugestimmt hat.
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 2, Art. 4, Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Kamil Dziubak und Frau Justyna Dziubak (im Folgenden: Kreditnehmer) auf der einen Seite und der Raiffeisen Bank International AG, prowadzący działalność w Polsce w formie oddziału pod nazwą Raiffeisen Bank International AG Oddział w Polsce, ehemals Raiffeisen Bank Polska SA (im Folgenden: Raiffeisen), auf der anderen Seite über die behauptete Missbräuchlichkeit von Klauseln betreffend den Indexierungsmechanismus in einem an eine Fremdwährung gekoppelten Hypothekendarlehensvertrag.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Der 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 lautet:
„Bei Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, in denen direkt oder indirekt die Klauseln für Verbraucherverträge festgelegt werden, wird davon ausgegangen, dass sie keine missbräuchlichen Klauseln enthalten. Daher sind Klauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Grundsätzen oder Bestimmungen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft Vertragsparteien sind, nicht dieser Richtlinie zu unterwerfen; der Begriff ‚bindende Rechtsvorschriften‘ in Artikel 1 Absatz 2 umfasst auch Regeln, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde.“
4 Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie sieht vor:
„Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Bestimmungen oder Grundsätzen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft – insbesondere im Verkehrsbereich – Vertragsparteien sind, unterliegen nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.“
5 In Art. 4 der Richtlinie heißt es:
„(1) Die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel wird unbeschadet des Artikels 7 unter Berücksichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind, aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln desselben Vertrages oder eines anderen Vertrages, von dem die Klausel abhängt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beurteilt.
(2) Die Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Klauseln betrifft weder den Hauptgegenstand des Vertrages noch die Angemessenheit zwischen dem Preis bzw. dem Entgelt und den Dienstleistungen bzw. den Gütern, die die Gegenleistung darstellen, sofern diese Klauseln klar und verständlich abgefasst sind.“
6 Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 lautet:
„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“
7 Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie hat folgenden Wortlaut:
„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.“
Polnisches Recht
8 Art. 56 des Kodeks cywilny (Zivilgesetzbuch) bestimmt:
„Ein Rechtsgeschäft entfaltet nicht nur die in ihm zum Ausdruck gebrachten, sondern auch die sich aus dem Gesetz, aus den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und aus der Verkehrssitte ergebenden Wirkungen.“
9 Art. 65 Zivilgesetzbuch sieht vor:
„§ 1 Die Willensäußerung ist nach den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und der Verkehrssitte unter Berücksichtigung der Umstände, unter denen sie zum Ausdruck gebracht wurde, auszulegen.
§ 2 In Verträgen ist in erster Linie nach der gemeinsamen Absicht der Parteien und dem angestrebten Ziel zu suchen und nicht auf den bloßen Wortlaut abzustellen.“
10 Art. 3531 Zivilgesetzbuch lautet folgendermaßen:
„Die Vertragsparteien können ihr Rechtsverhältnis nach freiem Willen gestalten, soweit dessen Inhalt oder Zweck nicht der Eigenart (Natur) des Verhältnisses, dem Gesetz oder den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zuwiderläuft.“
11 Art. 354 Zivilgesetzbuch sieht vor:
„§ 1 Der Schuldner hat seine Verpflichtung im Einklang mit ihrem Inhalt und in einer Art und Weise, die ihrem gesellschaftlich-wirtschaftlichen Zweck und den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens entspricht, und, wenn in diesem Bereich eine bestimmte Verkehrssitte besteht, auch in einer dieser Verkehrssitte entsprechenden Art und Weise zu erfüllen.
§ 2 In der gleichen Art und Weise hat der Gläubiger an der Erfüllung der Verpflichtung mitzuwirken.“
12 Art. 3851 Zivilgesetzbuch bestimmt:
„§ 1 Die Bestimmungen eines Verbrauchervertrags, die nicht individuell ausgehandelt wurden, sind für den Verbraucher unverbindlich, wenn sie seine Rechte und Pflichten in einer Art und Weise gestalten, die gegen die guten Sitten verstößt und ihn grob benachteiligt (verbotene Vertragsklauseln). Dies gilt nicht für Bestimmungen, die die Hauptpflichten der Parteien festlegen, insbesondere den Preis oder die Vergütung, wenn sie eindeutig formuliert sind.
§ 2 Ist eine Vertragsklausel nach § 1 für den Verbraucher unverbindlich, bleiben die Parteien im Übrigen an den Vertrag gebunden.
§ 3 Als nicht individuell ausgehandelt gelten diejenigen Vertragsklauseln, auf deren Inhalt der Verbraucher keinen wirklichen Einfluss gehabt hat. Dies gilt insbesondere für Vertragsklauseln, die einem Vertragsmuster entstammen, das der Vertragspartner dem Verbraucher vorgeschlagen hat.
…“
13 Art. 3852 Zivilgesetzbuch sieht vor:
„Maßgebend für die Prüfung der Vereinbarkeit einer Vertragsklausel mit den guten Sitten ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses unter Berücksichtigung des Vertragsinhalts, der Umstände des Vertragsschlusses sowie der übrigen Verträge, die im Zusammenhang mit dem Vertrag stehen, dessen Klausel Gegenstand der Prüfung ist.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
14 Am 14. November 2008 schlossen die Kreditnehmer als Verbraucher einen Hypothekendarlehensvertrag mit Raiffeisen. Dieser Vertrag lautete auf polnische Zloty (PLN), war aber an eine Fremdwährung, nämlich den Schweizer Franken (CHF), gekoppelt, wobei die Laufzeit dieses Darlehens 480 Monate (40 Jahre) beträgt.
15 Die Regeln für die Kopplung dieses Darlehens an die fragliche Währung wurden durch die von Raiffeisen verwendeten und in den besagten Vertrag aufgenommenen AGB für das Hypothekendarlehen festgelegt.
16 § 7 Nr. 4 dieser AGB sieht im Wesentlichen vor, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Kredit in PLN auf der Grundlage eines Wechselkurses gewährt wird, der nicht niedriger ist als der Ankaufskurs PLN-CHF gemäß der im Zeitpunkt der Auszahlung der Kreditmittel in dieser Bank geltenden Wechselkurstabelle, wobei der Sollsaldo dieses Darlehens in CHF auf der Grundlage dieses Kurses angegeben wird. Gemäß § 9 Nr. 2 dieser AGB werden die monatlichen Darlehensraten in CHF angegeben und zum Fälligkeitstag der betreffenden Darlehensrate vom Bankkonto in PLN abgebucht, diesmal auf Basis des in dieser Wechselkurstabelle angegebenen PLN-CHF‑Verkaufskurses.
17 Der Zinssatz des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Darlehens wurde auf der Grundlage eines variablen Zinssatzes festgelegt, der sich aus der Summe des Referenzsatzes LIBOR 3M (CHF) und der üblichen Marge von Raiffeisen ergibt.
18 Die Kreditnehmer erhoben beim vorlegenden Gericht Klage, um die Nichtigkeit des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Darlehensvertrags wegen Missbräuchlichkeit der Klauseln über den in Rn. 16 des vorliegenden Urteils beschriebenen Indexierungsmechanismus feststellen zu lassen. Diese Klauseln seien rechtswidrig, da sie es Raiffeisen ermöglichten, den Wechselkurs frei und willkürlich festzulegen. Die Bank lege folglich einseitig den Saldo dieses auf CHF lautenden Darlehens sowie die Höhe der in PLN angegebenen Raten fest. Nach Wegfall der besagten Klauseln wäre es unmöglich, einen korrekten Wechselkurs zu bestimmen, so dass der Vertrag nicht bestehen bleiben könne.
19 Hilfsweise machen sie geltend, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Darlehensvertrag ohne eben diese Klauseln auf der Grundlage der Höhe des auf PLN lautenden Darlehens und des in diesem Vertrag vorgesehenen Zinssatzes basierend auf dem variablen LIBOR-Satz und der üblichen Bankmarge erfüllt werden könne.
20 Raiffeisen bestreitet zwar den missbräuchlichen Charakter der betreffenden Klauseln, macht aber geltend, dass die Parteien nach deren etwaigem Wegfall an die übrigen Bestimmungen des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Darlehensvertrags gebunden blieben. Anstelle der wegfallenden Klauseln und mangels dispositiver Regeln für die Einzelheiten der Festsetzung des Wechselkurses müssten die allgemeinen Grundsätze aus den Art. 56, 65 und 354 Zivilgesetzbuch angewandt werden.
21 Raiffeisen bestreitet zudem, dass der Wegfall dieser Klauseln dazu führen könne, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Darlehensvertrag als auf PLN lautendes Darlehen unter Anwendung des auf der Grundlage des LIBOR festgelegten Zinssatzes fortbestehe. Die von den Parteien vereinbarte Verwendung von CHF LIBOR anstelle des für PLN vorgesehenen höheren Zinssatzes, nämlich des WIBOR, resultiert ihrer Ansicht nach nur aus der Einbeziehung des in den betreffenden Klauseln vorgesehenen Indexierungsmechanismus.
22 Das vorlegende Gericht führt aus, dass sich die an eine Fremdwährung gekoppelten Darlehensverträge wie der hier in Rede stehende aus der Praxis entwickelt hätten. Das Konzept eines solchen Darlehensvertrags sei erst 2011 in die polnische Rechtsordnung aufgenommen worden. Das polnische Recht sehe jedoch nur die Verpflichtung vor, in dem Vertrag die spezifischen Regeln festzulegen, die insbesondere den Umwandlungsmechanismus bestimmen.
23 Das Gericht erläutert im Hinblick auf die im betreffenden Darlehensvertrag vorgesehenen Klauseln, dass es davon ausgehe, dass diese missbräuchlich und daher für die Kreditnehmer unverbindlich seien.
24 Es weist darauf hin, dass es ohne diese Klauseln unmöglich sei, den Wechselkurs zu bestimmen, und somit auch der betreffende Darlehensvertrag nicht erfüllt werden könne. In diesem Zusammenhang fragt es sich zunächst unter Bezugnahme auf das Urteil vom 30. April 2014, Kásler und Káslerné Rábai (C‑26/13, EU:C:2014:282), ob es für den Fall, dass die Nichtigerklärung dieses Vertrags für den Verbraucher nachteilig ist, zulässig ist, die Lücke dieses Vertrags auf der Grundlage nationaler Bestimmungen nicht des dispositiven Rechts, sondern allgemeiner Art zu schließen, die auf Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens und auf die Verkehrssitte Bezug nehmen, wie etwa die Vorschriften in den Art. 56 und 354 Zivilgesetzbuch. Es sei zwar möglich, anhand dieser Regeln und der Verkehrssitte die Auffassung zu vertreten, dass der heranzuziehende Wechselkurs der von Raiffeisen angewandte sei, wie er sich aus den streitigen Klauseln ergebe, aber man könnte nach Ansicht des vorlegenden Gerichts auch gelten lassen, dass es sich um den Wechselkurs des Marktes oder den von der Zentralbank festgelegten Wechselkurs handle.
25 Für den Fall, dass diese Frage verneint wird, fragt sich das Gericht zudem, ob es ihm, wenn es der Auffassung ist, dass die Nichtigerklärung eines Vertrags nachteilige Auswirkungen auf den Verbraucher hätte, freisteht, die in diesem Vertrag enthaltene missbräuchliche Klausel beizubehalten, auch wenn der Verbraucher nicht seine Absicht bekundet hat, daran gebunden zu sein.
26 Des Weiteren weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass es zur Feststellung, ob die Nichtigerklärung eines Vertrags nachteilige Auswirkungen auf den Verbraucher habe, notwendig sei, die Kriterien für die Beurteilung dieser Auswirkungen und insbesondere den Zeitpunkt, auf den dabei abzustellen sei, zu bestimmen. Das vorlegende Gericht fragt sich auch, ob es die Beurteilung der Auswirkungen einer Nichtigerklärung des betreffenden Vertrags gegen den Willen des Verbrauchers vornehmen darf, d. h., ob der Verbraucher verhindern kann, dass dieser Vertrag ergänzt oder die Art seiner Erfüllung auf der Grundlage von Regeln festgelegt wird, die allgemeine Klauseln enthalten, wenn es entgegen der Ansicht des Verbrauchers der Auffassung ist, dass es für ihn günstiger wäre, den Vertrag zu ergänzen als ihn für nichtig zu erklären.
27 Das vorlegende Gericht fragt sich schließlich, wie die Formulierung „wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann“ in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 auszulegen ist. Die Aufrechterhaltung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Darlehensvertrags in einer geänderten Form, wie sie in Rn. 19 des vorliegenden Urteils beschrieben worden ist, sei zwar nicht objektiv unmöglich, könnte aber den im polnischen Recht vorgesehenen allgemeinen Grundsätzen, die die Vertragsfreiheit beschränkten, und zwar insbesondere Art. 3531 Zivilgesetzbuch, widersprechen. Denn es stehe außer Zweifel, dass die Indexierung dieses Darlehens die einzige Grundlage für den auf dem CHF‑LIBOR-Satz basierenden Zinssatz darstelle, wie ihn die Parteien bei Abschluss dieses Vertrags vereinbart hätten.
28 Unter diesen Umständen hat der Sąd Okręgowy w Warszawie (Bezirksgericht Warschau, Polen) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Sind die Art. 1 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen, dass, wenn die Feststellung der Missbräuchlichkeit bestimmter Vertragsklauseln, die die Art und Weise der Erfüllung der Leistungen durch die Parteien (ihre Höhe) regeln, zur für den Verbraucher nachteiligen Unwirksamkeit des ganzen Vertrags führt, die vertraglichen Lücken nicht in Anwendung von dispositiven Regelungen, die unmittelbar die missbräuchliche Klausel ersetzen, sondern in Anwendung von Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts geschlossen werden können, die die in einem Rechtsgeschäft zum Ausdruck gebrachten Wirkungen auch nach den Grundsätzen der Billigkeit (des gesellschaftlichen Zusammenlebens) oder der Verkehrssitte bestimmen?
2. Müssen gegebenenfalls die Folgen der Unwirksamkeit des ganzen Vertrags für den Verbraucher anhand der Umstände beurteilt werden, die bei seinem Abschluss vorgelegen haben, oder anhand der Umstände, die im Zeitpunkt der Entstehung der Streitigkeit zwischen den Parteien bezüglich der Wirksamkeit der betreffenden Klausel (Geltendmachung der Missbräuchlichkeit dieser Klausel durch den Verbraucher) vorliegen, und welche Bedeutung ist der vom Verbraucher im Verlauf einer solchen Streitigkeit vertretenen Auffassung beizumessen?
3. Können Bestimmungen beibehalten werden, bei denen es sich um missbräuchliche Klauseln im Sinne der Richtlinie 93/13 handelt, wenn ihre Beibehaltung im Zeitpunkt der Streitentscheidung für den Verbraucher objektiv vorteilhaft wäre?
4. Darf im Licht von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 die Feststellung der Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln, die die Höhe der Leistung sowie die Art und Weise ihrer Erbringung durch die Parteien regeln, dazu führen, dass das Rechtsverhältnis, wie es der Vertrag nach dem Wegfall der missbräuchlichen Klauseln gestaltet, in Bezug auf die Hauptleistung nicht mehr dem Willen der Parteien entspricht? Dürfen insbesondere trotz Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel andere, nicht als missbräuchlich eingestufte Bestimmungen, die die Hauptleistungspflicht des Verbrauchers regeln und die nach der (in den Vertrag aufgenommenen) Parteivereinbarung inhaltlich untrennbar mit der vom Verbraucher angefochtenen Klausel verbunden sind, weiterhin angewendet werden?
Verfahren vor dem Gerichtshof
29 Mit Schriftsatz, der am 24. Juni 2019 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat Raiffeisen die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beantragt. Mit Schriftsatz, der am 4. September 2019 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat diese Partei die Gründe für ihren Antrag auf Wiedereröffnung dargelegt.
30 Insoweit macht Raiffeisen im Wesentlichen geltend, dass der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen irrtümlich davon ausgegangen sei, dass das polnische Recht keine dispositive Rechtsvorschrift enthalte, die die Regeln für die Währungsumrechnung unmittelbar festlege. Tatsächlich sei eine solche Bestimmung in Art. 358 Abs. 2 Zivilgesetzbuch aufgenommen worden. Des Weiteren habe er irrtümlich angenommen, dass das nationale Gericht aufgefordert sei, den Vertrag „in Form zu bringen“ und bei der Bestimmung des Vertragsinhalts auf „Auslegung oder Rechtsschöpfung“ zurückzugreifen, während in Polen die geltende Praxis darin bestehe, den Durchschnittssatz der Zentralbank anzuwenden, und schließlich sei er dem Irrtum unterlegen, dass die Nichtigerklärung eines Darlehensvertrags grundsätzlich dazu führe, dass der ausstehende Saldo sofort fällig werde, wohingegen das polnische Recht andere Arten von Folgen der Nichtigerklärung eines solchen Vertrags vorsehe, die für den Verbraucher viel schwerwiegender seien. Raiffeisen bringt außerdem vor, dass es negative Folgen unverhältnismäßigen Ausmaßes für den polnischen Bankensektor hätte, wenn es zulässig wäre, wie der Generalanwalt in Nr. 41 seiner Schlussanträge nahelege, dass ein an CHF gekoppelter Darlehensvertrag wie jener des Ausgangsverfahrens in einen Vertrag umgewandelt werden könnte, der nicht mehr an diese Währung gebunden wäre, aber gleichzeitig den an diese Währung anknüpfenden Zinssatz beibehielte.
31 Nach Art. 83 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält, wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist, oder wenn ein zwischen den Parteien oder den in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist.
32 Im vorliegenden Fall ist der Gerichtshof nach Anhörung des Generalanwalts der Auffassung, dass er über alle entscheidungserheblichen Angaben verfügt. Die von Raiffeisen vorgebrachten Punkte stellen keine neuen Tatsachen dar, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs im Sinne von Art. 83 der Verfahrensordnung sein könnten. Dieses Vorbringen könnte nämlich, soweit es die Auslegung des polnischen Rechts betrifft, höchstens für die vom nationalen Gericht zu erlassende Entscheidung relevant sein. Für die Beantwortung der von diesem Gericht gestellten Fragen ist es hingegen unerheblich. Überdies führt das Vorbringen hinsichtlich der Unverhältnismäßigkeit der von Raiffeisen beschriebenen Vertragsumwandlung bloß die von ihr bereits eingereichten schriftlichen Erklärungen weiter aus.
33 Unter diesen Umständen ist das mündliche Verfahren nicht wiederzueröffnen.
Zu den Vorlagefragen
Zur vierten Frage
34 Mit seiner vierten Frage, die zuerst beantwortet werden muss, fragt das vorlegende Gericht im Wesentlichen, ob Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass er es einem nationalen Gericht verwehrt, gemäß seinem innerstaatlichen Recht nach Feststellung der Missbräuchlichkeit bestimmter Klauseln eines an eine Fremdwährung gekoppelten Darlehensvertrags mit einem unmittelbar an den Interbankensatz der betreffenden Währung gebundenen Zinssatz zu der Auffassung zu gelangen, dass dieser Vertrag ohne diese Klauseln keinen Fortbestand haben kann, weil ihr Wegfall dazu führen würde, dass sich der Hauptgegenstand dieses Vertrags seiner Art nach ändert.
35 In diesem Zusammenhang ist der Vorlageentscheidung zu entnehmen, dass sich die von den Kreditnehmern angefochtenen Klauseln auf den Mechanismus der Kopplung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Darlehens an die betreffende Währung beziehen, wobei diese Indexierung so erfolgt, dass die Kreditnehmer die Kosten tragen müssen, die mit der Wechselkursdifferenz zwischen dem bei Auszahlung der Kreditmittel verwendeten Ankaufskurs dieser Währung und dem für die Rückzahlungsraten herangezogenen Verkaufskurs dieser Währung verbunden sind. Das vorlegende Gericht hält diese Klauseln für missbräuchlich und fragt sich deshalb, ob es den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Darlehensvertrag ohne diese Klauseln bestehen lassen kann, wenn die Erfüllung dieses Vertrags nach Beseitigung des gewählten Indexierungsmechanismus auf die Erfüllung einer anderen Art von Vertrag als dem von den Parteien geschlossenen hinausliefe.
36 Nach Ansicht des Gerichts wäre der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Darlehensvertrag dann nämlich nicht mehr an diese Währung gekoppelt, während der Zinssatz an den niedrigeren Zinssatz dieser Währung gebunden bliebe. Eine solche Änderung, die sich auf den Hauptgegenstand dieses Vertrags auswirken würde, könnte im Widerspruch zu den nach polnischem Recht vorgesehenen allgemeinen Grundsätzen über die Beschränkung der Vertragsfreiheit stehen und insbesondere zu Art. 3531 Zivilgesetzbuch.
37 In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass das durch die Richtlinie 93/13 eingeführte Schutzsystem auf dem Gedanken beruht, dass sich der Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt, was dazu führt, dass er den vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen zustimmt, ohne auf deren Inhalt Einfluss nehmen zu können. In Anbetracht dieser Position der Unterlegenheit verpflichtet die Richtlinie 93/13 die Mitgliedstaaten, ein Verfahren vorzusehen, das gewährleistet, dass bei jeder nicht im Einzelnen ausgehandelten Vertragsklausel geprüft werden kann, ob sie möglicherweise missbräuchlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. März 2019, Abanca Corporación Bancaria und Bankia, C‑70/17 und C‑179/17, EU:C:2019:250, Rn. 49 und 50).
38 In diesem Zusammenhang bestimmt Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und die Bedingungen hierfür in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten festgelegt werden, und sieht vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.
39 Nach ständiger Rechtsprechung zielt diese Bestimmung, insbesondere der zweite Halbsatz, nicht darauf ab, die Nichtigkeit sämtlicher Verträge, die missbräuchliche Klauseln enthalten, herbeizuführen, sondern darauf, die formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen und so ihre Gleichheit wiederherzustellen, wobei wohlgemerkt der betreffende Vertrag – abgesehen von der Änderung, die sich aus dem Wegfall der missbräuchlichen Klauseln ergibt – grundsätzlich unverändert bestehen bleiben muss. Sofern die letztere Bedingung erfüllt ist, kann der betreffende Vertrag nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 bestehen bleiben, soweit ein solcher Fortbestand des Vertrags ohne die missbräuchlichen Klauseln nach den Vorschriften des innerstaatlichen Rechts rechtlich möglich ist, was anhand eines objektiven Ansatzes zu prüfen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. März 2019, Dunai, C‑118/17, EU:C:2019:207, Rn. 40 und 51, sowie vom 26. März 2019, Abanca Corporación Bancaria und Bankia, C‑70/17 und C‑179/17, EU:C:2019:250, Rn. 57).
40 Daraus folgt, dass Art. 6 Abs. 1 zweiter Halbsatz der Richtlinie 93/13 nicht selbst die Kriterien dafür bestimmt, wann ein Vertrag ohne missbräuchliche Klauseln fortbestehen kann, sondern es der nationalen Rechtsordnung überlässt, sie im Einklang mit dem Unionsrecht festzulegen, wie auch der Generalanwalt in Nr. 54 seiner Schlussanträge sinngemäß dargelegt hat. So ist grundsätzlich anhand der im nationalen Recht vorgesehenen Kriterien zu prüfen, ob in einem konkreten Fall ein Vertrag aufrechterhalten werden kann, wenn einige seiner Klauseln für unwirksam erklärt wurden.
41 Was die unionsrechtlich vorgegebenen Grenzen anbelangt, die in diesem Zusammenhang durch das nationale Recht zu beachten sind, so ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass es nach dem in Rn. 39 des vorliegenden Urteils genannten objektiven Ansatz nicht zulässig ist, im nationalen Recht die Lage einer der Vertragsparteien als das maßgebende Kriterium anzusehen, das über das weitere Schicksal des Vertrags entscheidet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. März 2012, Pereničová und Perenič, C‑453/10, EU:C:2012:144, Rn. 32).
42 Im Ausgangsverfahren scheint das vorlegende Gericht einerseits nicht auszuschließen, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Darlehensvertrag nach dem bloßen Wegfall der Klauseln über die Wechselkursdifferenz grundsätzlich in einer geänderten Form, wie sie in Rn. 36 des vorliegenden Urteils beschrieben wird, fortbestehen kann, andererseits aber zu bezweifeln, dass sein innerstaatliches Recht eine solche Änderung dieses Vertrags zulässt.
43 Aus den Erwägungen in den Rn. 40 und 41 des vorliegenden Urteils ergibt sich jedoch, dass ein nationales Gericht, wenn es der Ansicht ist, dass nach den einschlägigen Bestimmungen seines innerstaatlichen Rechts ein Vertrag ohne die darin enthaltenen missbräuchlichen Klauseln nicht aufrechterhalten werden kann, durch Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 grundsätzlich nicht daran gehindert ist, diesen Vertrag für unwirksam zu erklären.
44 Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens gilt dies umso mehr, als sich aus den Angaben des nationalen Gerichts, wie sie in den Rn. 35 und 36 des vorliegenden Urteils zusammengefasst sind, zu ergeben scheint, dass die Nichtigerklärung der von den Kreditnehmern angefochtenen Klauseln nicht nur zur Beseitigung des Indexierungsmechanismus und der Wechselkursdifferenz, sondern indirekt auch zum Wegfall des Wechselkursrisikos führen würde, das in unmittelbarem Zusammenhang mit der Kopplung des betreffenden Darlehens an eine Währung steht. Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass die Klauseln über das Wechselkursrisiko den Hauptgegenstand eines Darlehensvertrags wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden definieren, so dass unter diesen Umständen ungewiss ist, ob die Aufrechterhaltung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Darlehensvertrags objektiv möglich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. März 2019, Dunai, C‑118/17, EU:C:2019:207‚ Rn. 48 und 52 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
45 Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass er es einem nationalen Gericht nicht verwehrt, gemäß seinem innerstaatlichen Recht nach Feststellung der Missbräuchlichkeit bestimmter Klauseln eines an eine Fremdwährung gekoppelten Darlehensvertrags mit einem unmittelbar an den Interbankensatz der betreffenden Währung gebundenen Zinssatz zu der Auffassung zu gelangen, dass dieser Vertrag ohne diese Klauseln keinen Fortbestand haben kann, weil ihr Wegfall dazu führen würde, dass sich der Hauptgegenstand dieses Vertrags seiner Art nach ändert.
Zur zweiten Frage
46 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass zum einen die Folgen für die Situation des Verbrauchers, die sich aus der Erklärung der Unwirksamkeit eines Vertrags als Ganzes ergeben, wie sie im Urteil vom 30. April 2014, Kásler und Káslerné Rábai (C‑26/13, C:2014:282), genannt werden, anhand der zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehenden Umstände zu beurteilen sind und nicht anhand der zum Zeitpunkt des Rechtsstreits bestehenden oder vorhersehbaren Umstände und zum anderen für diese Beurteilung der vom Verbraucher in dieser Hinsicht zum Ausdruck gebrachte Wille entscheidend ist.
47 In diesem Zusammenhang ergibt sich aus der Antwort auf die vierte Frage, dass wenn das nationale Gericht nach seinem innerstaatlichen Recht die Auffassung vertritt, dass die Aufrechterhaltung des betreffenden Darlehensvertrags nach Wegfall der darin enthaltenen missbräuchlichen Klauseln unmöglich ist, dieser Vertrag grundsätzlich nicht im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 bestehen kann und daher für unwirksam zu erklären ist.
48 Der Gerichtshof ist jedoch davon ausgegangen, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 das nationale Gericht nicht daran hindert, eine missbräuchliche Klausel durch eine dispositive Vorschrift des nationalen Rechts oder eine Vorschrift, die im Falle einer entsprechenden Vereinbarung der Parteien des betreffenden Vertrags anwendbar ist, zu ersetzen, wobei diese Befugnis allerdings auf Fälle beschränkt ist, in denen die Streichung dieser missbräuchlichen Klausel den Richter zwingen würde, diesen Vertrag in seiner Gesamtheit für unwirksam zu erklären, was für den Verbraucher besonders nachteilige Folgen hätte, so dass dieser dadurch geschädigt würde (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. April 2014, Kásler und Káslerné Rábai, C‑26/13, EU:C:2014:282, Rn. 80 bis 84, und vom 26. März 2019, Abanca Corporación Bancaria und Bankia, C‑70/17 und C‑179/17, EU:C:2019:250, Rn. 64).
49 Was erstens den Zeitpunkt betrifft, zu dem diese Folgen zu beurteilen sind, ist darauf hinzuweisen, dass diese Befugnis zur Ersetzung von Klauseln vom Ziel des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 vollkommen gedeckt ist, das, wie in Rn. 39 des vorliegenden Urteils erwähnt, darin besteht, den Verbraucher zu schützen, indem er die Gleichheit zwischen Verbraucher und Gewerbetreibendem wiederherstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. März 2019, Abanca Corporación Bancaria and Bankia, C‑70/17 und C‑179/17, EU:C:2019:250, Rn. 57).
50 Da diese Befugnis zur Ersetzung von Klauseln dazu dient, effektiven Verbraucherschutz zu gewährleisten, indem sie die Interessen des Verbrauchers vor etwaigen nachteiligen Folgen schützt, die sich aus der Unwirksamkeit des betreffenden Vertrags als Ganzes ergeben können, ist festzustellen, dass diese Folgen notwendigerweise im Licht der zum Zeitpunkt des Rechtsstreits bestehenden oder vorhersehbaren Umstände zu bewerten sind.
51 Der Schutz des Verbrauchers kann nämlich nur gewährleistet werden, wenn seine tatsächlichen und damit gegenwärtigen Interessen berücksichtigt werden und nicht die Interessen, die er unter den zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehenden Umständen hatte, wie auch der Generalanwalt in den Nrn. 62 und 63 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat. Ebenso sind die Folgen, gegen die diese Interessen zu schützen sind, diejenigen, die unter den zum Zeitpunkt des Rechtsstreits bestehenden oder vorhersehbaren Umständen tatsächlich einträten, sollte das nationale Gericht den Vertrag für unwirksam erklären, und nicht diejenigen, die sich zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses aus der Feststellung seiner Unwirksamkeit ergäben.
52 Diese Feststellung wird nicht durch die von Raiffeisen vorgetragene Tatsache in Frage gestellt, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 die Beurteilung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel „zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses“ an alle den Vertragsabschluss begleitenden Umstände knüpft, da sich der Zweck dieser Beurteilung grundlegend von der Beurteilung der Folgen unterscheidet, die sich aus der Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags ergeben.
53 Was zweitens die Bedeutung angeht, die dem vom Verbraucher in dieser Hinsicht zum Ausdruck gebrachten Willen beigemessen werden muss, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Bezug auf die Verpflichtung des nationalen Gerichts, gegebenenfalls von Amts wegen missbräuchliche Klauseln gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 zu streichen, klargestellt hat, dass das nationale Gericht die fragliche Klausel dann nicht unangewendet lassen muss, wenn der Verbraucher nach einem Hinweis dieses Gerichts die Missbräuchlichkeit und Unverbindlichkeit nicht geltend machen möchte und somit der betreffenden Klausel freiwillig und aufgeklärt zustimmt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Februar 2013, Banif Plus Bank, C‑472/11, EU:C:2013:88, Rn. 23, 27 und 35 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
54 Somit geht die Richtlinie 93/13 nicht so weit, dem System zum Schutz gegen die Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch Gewerbetreibende, das sie zugunsten der Verbraucher eingeführt hat, zwingenden Charakter zu verleihen. Folglich wird dieses Schutzsystem, wenn der Verbraucher es vorzieht, sich nicht darauf zu berufen, nicht angewandt.
55 Entsprechend muss der Verbraucher, da dieses System zum Schutz vor missbräuchlichen Klauseln keine Anwendung findet, wenn er nicht damit einverstanden ist, erst recht auf den nach diesem System gewährten Schutz vor den nachteiligen Folgen, die sich aus der Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags als Ganzes ergeben, verzichten dürfen, wenn er sich nicht auf diesen Schutz berufen möchte.
56 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass zum einen die Folgen für die Situation des Verbrauchers, die sich aus der Feststellung der Unwirksamkeit eines Vertrags als Ganzes ergeben, wie sie im Urteil vom 30. April 2014, Kásler und Káslerné Rábai (C‑26/13, C:2014:282), genannt werden, anhand der zum Zeitpunkt des Rechtsstreits bestehenden oder vorhersehbaren Umstände zu beurteilen sind und zum anderen für diese Beurteilung der vom Verbraucher in dieser Hinsicht zum Ausdruck gebrachte Wille entscheidend ist.
Zur ersten Frage
57 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass er einer Schließung von Lücken eines Vertrags, die durch den Wegfall der darin enthaltenen missbräuchlichen Klauseln entstanden sind, allein auf der Grundlage von allgemeinen nationalen Vorschriften, die die in einem Rechtsgeschäft zum Ausdruck gebrachten Wirkungen auch nach den Grundsätzen der Billigkeit oder der Verkehrssitte bestimmen, entgegensteht.
58 Insoweit hat der Gerichtshof, wie in Rn. 48 des vorliegenden Urteils ausgeführt, Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin ausgelegt, dass er das nationale Gericht, wenn die Unwirksamerklärung eines Vertrags in seiner Gesamtheit besonders nachteilige Folgen für den Verbraucher hätte, nicht daran hindert, der Nichtigkeit der in diesem Vertrag enthaltenen missbräuchlichen Klauseln dadurch abzuhelfen, dass es diese durch eine dispositive Bestimmung des innerstaatlichen Rechts oder eine Vorschrift, die im Falle einer entsprechenden Vereinbarung der Parteien des betreffenden Vertrags anwendbar ist, ersetzt.
59 Es sei darauf hingewiesen, dass sich diese Befugnis zur Ersetzung von Klauseln, die eine Ausnahme von der allgemeinen Regel darstellt, wonach der betreffende Vertrag für die Parteien nur dann bindend bleibt, wenn er ohne die darin enthaltenen missbräuchlichen Klauseln bestehen kann, auf dispositive Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts oder Vorschriften, die im Falle einer entsprechenden Vereinbarung der Parteien des betreffenden Vertrags anwendbar sind, beschränkt und insbesondere auf der Prämisse beruht, dass solche Bestimmungen keine missbräuchlichen Klauseln enthalten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. April 2014, Kásler und Káslerné Rábai, C‑26/13, EU:C:2014:282, Rn. 81, sowie vom 26. März 2019, Abanca Corporación Bancaria und Bankia, C‑70/17 und C‑179/17, EU:C:2019:250, Rn. 59).
60 Diese Bestimmungen sollen nämlich das Gleichgewicht widerspiegeln, das der nationale Gesetzgeber zwischen allen Rechten und Pflichten der Parteien bestimmter Verträge in Fällen herstellen wollte, in denen die Parteien entweder nicht von einer vom nationalen Gesetzgeber für die betreffenden Verträge vorgesehenen Standardregel abgewichen sind oder ausdrücklich für die Anwendbarkeit einer vom nationalen Gesetzgeber zu diesem Zweck eingeführten Regel optiert haben.
61 Selbst unter der Annahme, dass Vorschriften wie die vom vorlegenden Gericht genannten in Anbetracht ihres allgemeinen Charakters und der Notwendigkeit ihrer konkreten Umsetzung durch einen bloßen Ersetzungsakt seitens des nationalen Richters sinnvoll an die Stelle der betreffenden missbräuchlichen Klauseln treten können, scheinen sie doch jedenfalls hier nicht Gegenstand einer besonderen Prüfung durch den Gesetzgeber im Hinblick auf die Herstellung dieses Gleichgewichts gewesen zu sein, so dass diese Vorschriften nicht unter die in Rn. 59 des vorliegenden Urteils erwähnte Vermutung fallen, dass sie nicht missbräuchlich sind, wie auch der Generalanwalt in Nr. 73 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat.
62 Nach alledem ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass er einer Schließung von Lücken eines Vertrags, die durch den Wegfall der darin enthaltenen missbräuchlichen Klauseln entstanden sind, allein auf der Grundlage von allgemeinen nationalen Vorschriften, die die in einem Rechtsgeschäft zum Ausdruck gebrachten Wirkungen auch nach den Grundsätzen der Billigkeit oder der Verkehrssitte bestimmen und bei denen es sich weder um dispositive Bestimmungen noch um Vorschriften handelt, die im Falle einer entsprechenden Vereinbarung der Vertragsparteien anwendbar sind, entgegensteht.
Zur dritten Frage
63 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass er es daran hindert, missbräuchliche Klauseln in einem Vertrag beizubehalten, wenn ihr Wegfall dazu führen würde, dass dieser Vertrag für unwirksam erklärt wird, und das Gericht der Auffassung ist, dass diese Feststellung der Unwirksamkeit nachteilige Auswirkungen für den Verbraucher hätte.
64 Als Vorbemerkung sei darauf hingewiesen, dass diese Frage den Fall betrifft, dass es nicht zulässig wäre, die missbräuchlichen Klauseln in der in Rn. 48 des vorliegenden Urteils genannten Art und Weise zu ersetzen.
65 Es sei daran erinnert, dass Art. 6 Abs. 1 erster Halbsatz der Richtlinie 93/13 von den Mitgliedstaaten verlangt, dafür zu sorgen, dass missbräuchliche Klauseln „für den Verbraucher unverbindlich sind“.
66 Der Gerichtshof hat diese Bestimmung dahin ausgelegt, dass das nationale Gericht, wenn es eine Vertragsklausel für missbräuchlich hält, diese Klausel unangewendet lassen muss; von dieser Verpflichtung wird nur dann eine Ausnahme gemacht, wenn der Verbraucher nach einem Hinweis dieses Gerichts die Missbräuchlichkeit und Unverbindlichkeit nicht geltend machen möchte und somit der betreffenden Klausel freiwillig und aufgeklärt zustimmt, wie in Rn. 53 des vorliegenden Urteils ausgeführt.
67 Wenn daher der Verbraucher der Beibehaltung der betreffenden missbräuchlichen Klauseln nicht zustimmt oder ihr gar ausdrücklich widerspricht, wie es im Ausgangsverfahren der Fall zu sein scheint, gilt diese Ausnahme nicht.
68 Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass er das Gericht daran hindert, missbräuchliche Klauseln in einem Vertrag beizubehalten, wenn ihr Wegfall dazu führen würde, dass dieser Vertrag für unwirksam erklärt wird, und es der Auffassung ist, dass diese Feststellung der Unwirksamkeit nachteilige Auswirkungen für den Verbraucher hätte, sofern er einer solchen Beibehaltung nicht zugestimmt hat.