EuGH: Mehr als zehn Jahre andauernder Informationsaustausch zwischen 14 Kreditinstituten in Portugal als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung
EuGH, Urteil vom 29.7.2024 – C-298/22, Banco BPN/BIC Português SA u. a. gegen Autoridade da Concorrência
ECLI:EU:C:2024:638
Volltext: BB-Online BBL2024-1793-1
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Tenor
Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass ein vertiefter monatlicher Informationsaustausch auf Gegenseitigkeitsbasis zwischen konkurrierenden Kreditinstituten, der auf Märkten mit starker Konzentration sowie mit Zutrittsschranken stattfand und der sich auf die für die auf diesen Märkten abgewickelten Geschäfte geltenden Bedingungen, insbesondere die aktuellen und künftigen Kreditaufschläge und Risikoparameter, sowie die individualisierten Produktionszahlen der Teilnehmer an diesem Austausch bezieht, zumindest dann, wenn es sich bei den auf diese Weise ausgetauschten Kreditaufschlägen um diejenigen handelt, die diese Institute künftig anwenden wollen, als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung einzustufen ist.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen mehreren Kreditinstituten und der Autoridade da Concorrência (Wettbewerbsbehörde, Portugal) (im Folgenden: AdC) wegen der Entscheidung der AdC, aufgrund eines Verstoßes gegen nationale wettbewerbsrechtliche Bestimmungen und Art. 101 AEUV gegen diese Kreditinstitute eine Geldbuße zu verhängen, da sie sich in Form eines Informationsaustauschs über aktuelle und künftige Geschäftsbedingungen, insbesondere über Kreditaufschläge und Risikoparameter, sowie über ihre individualisierten Produktionszahlen an einer abgestimmten Verhaltensweise beteiligt haben sollen, mit der auf den Märkten für Hypothekenkredite, für Verbraucherkredite und für Unternehmenskredite eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt worden sei.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Art. 3 („Verhältnis zwischen den Artikeln [101] und [102 AEUV] und dem einzelstaatlichen Wettbewerbsrecht“) Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) bestimmt:
„Wenden die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten oder einzelstaatliche Gerichte das einzelstaatliche Wettbewerbsrecht auf Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne des Artikels [101] Absatz 1 [AEUV] an, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten im Sinne dieser Bestimmung beeinträchtigen können, so wenden sie auch Artikel [101 AEUV] auf diese Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen an. …“
Portugiesisches Recht
4 Die Mitteilung Nr. 8/2009 des Banco de Portugal (portugiesische Zentralbank) wurde am 12. Oktober 2009 veröffentlicht (Diário da República, Serie 2, Nr. 197, Teil E).
5 In Art. 3 („Preisverzeichnis“) Abs. 1 dieser Mitteilung heißt es:
„Die Kreditinstitute müssen ein vollständiges Preisverzeichnis vorhalten, in der die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die bei der Geschäftsabwicklung vermögensrechtliche Wirkungen entfalten, sowie die öffentlich vertriebenen Finanzprodukte und ‑dienstleistungen ausgewiesen werden.“
6 Art. 4 („Auskunftspflicht über die Bekanntmachung des Preisverzeichnisses“) Abs. 1 und 2 der Mitteilung bestimmt:
„1 – Die unter diesen Rechtsakt fallenden Kreditinstitute müssen ihr im Einklang mit dem vorherigen Artikel aufbereitetes Preisverzeichnis an allen Schaltern und an allen Orten mit Publikumsverkehr an einer sichtbaren und unmittelbar zugänglichen Stelle in einer Weise aufbewahren, die – namentlich durch den Einsatz elektronischer Mittel – eine bequeme und direkte Einsichtnahme ermöglicht.
2 – Alle Kreditinstitute, die über eine Internetseite verfügen, müssen auf ihrer Seite das vollständige und aktuelle Preisverzeichnis an einer gut sichtbaren, unmittelbar zugänglichen sowie unschwer erkennbaren Stelle zur Verfügung stellen, ohne dass Interessenten sich zuvor registrieren brauchen.“
7 Art. 7 („Informationsblatt zu den Zinssätzen“) Abs. 1 der Mitteilung Nr. 8/2009 sieht vor:
„Die Informationen im Informationsblatt zu den Zinssätzen werden entsprechend den Marktbedingungen aktualisiert und ermöglichen es der Öffentlichkeit, unter den in den Anordnungen des Banco de Portugal festgelegten Bedingungen insbesondere Auskunft über die Regelzinssätze zu erhalten, die von den Kreditinstituten bei den von ihnen regelmäßig abgewickelten Geschäften angewandt werden.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
8 Am 9. September 2019 erließ die AdC eine Entscheidung, mit der sie gegen bestimmte Kreditinstitute (im Folgenden: beteiligte Kreditinstitute) wegen der Beteiligung an einem „autonomen“ Informationsaustausch (d. h. einem Austausch, von dem nicht behauptet wurde, dass er eine Nebenabrede zu einer wettbewerbsbeschränkenden abgestimmten Verhaltensweise sei) eine Geldbuße verhängte. Dieser Austausch bezog sich unter Verstoß gegen Art. 101 AEUV und verschiedene Bestimmungen des nationalen Rechts auf die für ihre Kreditgeschäfte geltenden Bedingungen, insbesondere die aktuellen und künftigen Risikoparameter, sowie die individualisierten Produktionszahlen der Beteiligten an diesem Austausch.
9 Dabei ging die AdC, davon aus, dass der in Rede stehende Informationsaustausch eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstelle und dieser Umstand sie davon entbinde, eventuelle Auswirkungen dieses Austauschs auf den Markt zu untersuchen. Von der AdC wurde dagegen nicht behauptet, dass die beteiligten Kreditinstitute an einer anderen Form einer wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweise mitgewirkt hätten, etwa einer mit dem Informationsaustausch verbundenen oder möglicherweise verbundenen Preisabsprache oder Marktaufteilung.
10 Die Mehrzahl der beteiligten Kreditinstitute erhob gegen diese Entscheidung Klage beim vorlegenden Gericht, dem Tribunal da Concorrência, Regulação e Supervisão (Gericht für Wettbewerb, Regulierung und Aufsicht, Portugal), mit der Begründung, dass der in Rede stehende Informationsaustausch nicht per se als hinreichend wettbewerbsschädlich angesehen werden könne. Es sei daher erforderlich, dessen Auswirkungen zu prüfen. Außerdem habe die AdC nicht den wirtschaftlichen, rechtlichen und regulatorischen Zusammenhang berücksichtigt, in dem dieser Austausch während seiner Durchführung gestanden habe, obwohl dieser Aspekt hätte berücksichtigt werden müssen, um auf das Vorliegen einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung schließen zu können.
11 Am 28. April 2022 erließ das vorlegende Gericht ein Zwischenurteil, in dem es diejenigen Sachverhaltselemente in der Entscheidung der AdC bezeichnete, die als erwiesen anzusehen seien.
12 In seinem Vorabentscheidungsersuchen fasste das vorlegende Gericht das Zwischenurteil zusammen, wobei es die darin enthaltene Sachverhaltsdarstellung in fünf Abschnitte aufteilte, die sich auf die Art der ausgetauschten Informationen, die Form der Koordinierung, den mit ihr verfolgten Zweck, den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang sowie das angebliche Vorliegen von wettbewerbsfördernden Wirkungen bezogen.
13 Erstens hätten die ausgetauschten Informationen die Märkte für Hypothekenkredite, für Verbraucherkredite und für Unternehmenskredite betroffen. Zwei Arten von Informationen seien über diese Märkte ausgetauscht worden, nämlich:
– die aktuellen und künftigen „Geschäftsbedingungen“, d. h. die Tabellen mit den „Kreditaufschlägen“, also die Differenz zwischen dem von dem Kreditinstitut auf einen Kreditnehmer angewandten Zinssatz und dem Zinssatz, zu dem es sich im Prinzip refinanziere, sowie die Risikoparameter, mit denen in jeder Risikoklasse für Kunden, die anhand von Faktoren wie den Einkünften, dem Finanzierungsbeitrag oder den Kosten der Immobilie des betreffenden Kunden bestimmt werde, die Anwendung eines Kreditaufschlags zum Ausgleich dieses Risikos einhergehe. Diese Informationen seien zum Zeitpunkt des Austauschs nicht in gleichem Maß umfassend und systematisiert öffentlich zugänglich gewesen;
– die „Produktionsmengen“, d. h. die individualisierten Kennzahlen der einzelnen beteiligten Kreditinstitute über die Höhe der im Lauf des Vormonats gewährten Kredite. Diese Daten seien in „aufgeschlüsselter“ Form, d. h. zumindest in detaillierte Unterkategorien aufgeteilt, kommuniziert worden und hätten weder zum Zeitpunkt des Austauschs noch danach über eine andere Quelle in dieser Form zur Verfügung gestanden.
14 In der Zusammenfassung des Zwischenurteils heißt es ferner, dass der in Rede stehende Informationsaustausch regelmäßig und in vertraulicher Form stattgefunden habe, so dass nur die beteiligten Kreditinstitute davon Kenntnis gehabt hätten. Ferner habe dieser Austausch nicht öffentliche oder schwer zugängliche bzw. systematisierbare strategische Informationen betroffen. Die ausgetauschten Informationen unterschieden sich nämlich von den Informationen, die den Verbrauchern von den beteiligten Kreditinstituten gemäß ihren diesbezüglichen Informationspflichten zur Verfügung gestellt worden seien. Die Informationen seien von diesen Instituten außerdem in aufgeschlüsselter und individualisierter Form ausgetauscht worden und hätten gegenwärtige oder künftige Verhaltensweisen betroffen. Sie bezögen sich insbesondere auf die Absichten, das strategische Verhalten in naher Zukunft zu ändern, bzw. auf die gültigen Geschäftsbedingungen.
15 Zweitens gibt das vorlegende Gericht zur Dauer und der Form des Informationsaustauschs an, dass dieser von Mai 2002 bis März 2013 stattgefunden habe. Er sei über bi- oder multilaterale Kontakte per Telefon oder E‑Mail erfolgt, und zwar mit Wissen der Vorgesetzten der beteiligten Kreditinstitute.
16 Da der Informationsaustausch es jedem der beteiligten Kreditinstitute ermöglicht habe, detaillierte, systematisierte, aktualisierte und genaue Daten über die Angebote ihrer ebenfalls beteiligten Wettbewerber zu erhalten, habe drittens der Zweck dieses Austauschs darin bestanden, die Ungewissheit im Zusammenhang mit dem jeweiligen strategischen Verhalten und damit die Gefahr eines kommerziellen Drucks durch diese Wettbewerber zu verringern.
17 Was viertens den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang des Austauschs anbelangt, so hätten sich die sechs größten Kreditinstitute in Portugal am Informationsaustausch beteiligt. Von diesen Instituten seien im Jahr 2013 83 % aller Bankaktiva des gesamten portugiesischen Bankensektors verwaltet worden.
18 Ab der zweiten Hälfte des Jahres 2008 und im Gegensatz zur Entwicklung des Euribor, d. h. dem Index, der die Interbanken-Zinsen in der Eurozone widerspiegele und stark gesunken sei, seien die von den portugiesischen Finanzinstituten angewandten Kreditaufschläge für neue Hypothekenkredite erheblich angestiegen, was den Rückgang der Zinssätze für die Endkunden abgeschwächt habe. Demgegenüber habe sich mindestens von 2010 bis 2014 die Menge der an Privatpersonen ausgereichten Hypothekenkredite verringert. Parallel dazu seien als Begleiterscheinung zum starken und anhaltenden Anstieg der Kreditaufschläge in den Jahren 2010 und 2011 die Zinssätze für Verbraucherkredite erneut angestiegen, um Anfang des Jahres 2012 den im Lauf des Jahres 2008 erreichten Höchststand zu übertreffen. Im Jahr 2012 hätten diese Zinssätze eine rückläufige Entwicklung erfahren, als Folge einer Stabilisierung der Kreditaufschläge und des Sinkens des Euribor. Die von den beteiligten Kreditinstituten angewandten Kreditaufschläge hätten sodann jedoch wieder ein höheres Niveau erreicht als in den Zeiträumen vor dem Jahr 2012.
19 Fünftens hätten es die beteiligten Kreditinstitute, was das Bestehen potenziell wettbewerbsfördernder oder zumindest ambivalenter Wirkungen angehe, weder nachzuweisen vermocht, dass der Informationsaustausch zu Effizienzgewinnen geführt habe, noch, dass diese Effizienzgewinne den Verbrauchern zugutegekommen seien oder dass die in Rede stehenden Wettbewerbsbeschränkungen unerlässlich gewesen seien. Dieser Austausch habe insbesondere weder einer Wettbewerbsanalyse (Benchmarking) gleichgestellt werden können noch sei der Inhalt der konkret ausgetauschten Informationen geeignet gewesen, das Problem einer Informationsasymmetrie im Verhältnis zwischen dem Kreditgeber und dem Kreditnehmer (Problem der adversen Selektion) zu vermeiden oder zu lösen, da der Austausch nicht das individuelle Risikoprofil der Kunden betroffen habe, sondern sich vielmehr auf Kreditaufschläge und ‑produktionsmengen ohne Aufschlüsselung nach Unternehmen oder nach einzelnen Kunden konzentriert habe.
20 Obwohl es der Meinung ist, dass der in Rede stehende Informationsaustausch vor diesem Hintergrund dazu beitragen könne, den kommerziellen Druck und die mit dem strategischen Verhalten der Wettbewerber auf dem Markt verbundene Ungewissheit zu verringern, was zu einer den Wettbewerb beschränkenden informellen Koordinierung führen könne, hält es das vorlegende Gericht für erforderlich, den Gerichtshof nach den Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 101 AEUV zu befragen, da es für einen autonomen und informellen Informationsaustausch keine Präzedenzfälle gebe.
21 Vor diesem Hintergrund hat das Tribunal da Concorrência, Regulação e Supervisão (Gericht für Wettbewerb, Regulierung und Aufsicht) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Steht Art. 101 AEUV der Einstufung eines vertieften monatlichen Informationsaustauschs zwischen Wettbewerbern über Geschäftsbedingungen (z. B. aktuelle und künftige Kreditaufschläge und Risikoparameter) und (monatliche, individualisierte und aufgeschlüsselte) Produktionszahlen betreffend das Angebot von Hypotheken‑, Unternehmens- und Verbraucherkrediten, der im Privatkundenbanksektor im Rahmen eines konzentrierten Marktes mit Marktzutrittsschranken regelmäßig und auf Gegenseitigkeitsbasis stattfand und so die Transparenz künstlich erhöht und die mit dem strategischen Verhalten der Wettbewerber verbundene Ungewissheit verringert hat, als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung entgegen?
2. Falls diese Frage bejaht wird: Steht Art. 101 AEUV dieser Einstufung entgegen, wenn keine sich aus diesem Informationsaustausch ergebenden Effizienzgewinne bzw. ambivalenten oder wettbewerbsfördernden Wirkungen festgestellt wurden oder ermittelt werden konnten?
Zum Verfahren vor dem Gerichtshof
22 Das vorlegende Gericht hat beim Gerichtshof beantragt, die vorliegende Rechtssache gemäß Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen.
23 Zur Stützung seines Antrags macht es zum einen geltend, dass „[n]ach der vorab vorgenommenen Beurteilung hinsichtlich des Ablaufs der Verjährungsfrist … die Verjährung im vorliegenden Fall am 30. März 2023 [eintritt], unbeschadet konkret zu beurteilender Gründe für eine Hemmung oder Unterbrechung“. Zum anderen sei „aus Gründen der General- und Spezialprävention eine rasche Entscheidung der Rechtssache erforderlich“, da sich der Sachverhalt zwischen 2002 und 2013 ereignet habe.
24 Hierzu ergibt sich aus Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung, dass der Präsident des Gerichtshofs auf Antrag des vorlegenden Gerichts oder ausnahmsweise von Amts wegen, nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts, entscheiden kann, eine Vorlage zur Vorabentscheidung einem beschleunigten Verfahren unter Abweichung von den Bestimmungen dieser Verfahrensordnung zu unterwerfen, wenn die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert.
25 Am 14. Juni 2022 hat der Präsident des Gerichtshofs nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts entschieden, den Antrag, die vorliegende Rechtssache einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, zurückzuweisen.
26 Dieser Beschluss wurde damit begründet, dass erstens nach den eigenen Worten des vorlegenden Gerichts die Festlegung des Ablaufs der Verjährungsfrist auf den 30. März 2023 „unbeschadet konkret zu beurteilender Gründe für eine Hemmung oder Unterbrechung“ erfolgt sei. Außerdem hat das vorlegende Gericht ausgeführt, es gehe davon aus, dass nach dem anwendbaren nationalen Recht „die vorliegende Vorlage, die einen Aussetzung des Verfahrens zur Folge hat, einen Grund für die Hemmung der laufenden Verjährungsfrist … darstellt“.
27 Zweitens wird die Dringlichkeit im Rechtsstreit durch den Umstand, dass das vorlegende Gericht den Gerichtshof erst am 4. Mai 2022 angerufen hat, obwohl der Ausgangsrechtsstreit seit dem 22. Oktober 2019 bei ihm anhängig ist, entsprechend relativiert (vgl. entsprechend Urteil vom 11. November 2012, Energieversorgungscenter Dresden-Wilschdorf, C‑938/19, EU:C:2021:908, Rn. 44).
28 Im Übrigen rechtfertigt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der bloße Umstand, dass das vorlegende Gericht, ganz gleich aus welchem Grund, dafür Sorge zu tragen hat, den Rechtsstreit, in dem es angerufen wurde, so rasch wie möglich zu entscheiden, für sich genommen nicht den Rückgriff auf ein beschleunigtes Verfahren gemäß Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 1. Februar 2017, Air Serbia und Kondić, C-476/16, EU:C:2017:170, Rn. 8).
Zu den Vorlagefragen
Vorbemerkungen
29 Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens, d. h. die beteiligten Kreditinstitute, haben einen großen Teil ihrer schriftlichen Erklärungen dem Bestreiten der Darstellung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Geschehens durch das vorlegende Gericht gewidmet und sogar geltend gemacht, dass der Gerichtshof die Pflicht habe, den von diesem Gericht beschriebenen Sachverhalt abzuändern, um dem Gericht eine zweckdienliche Antwort zu geben.
30 Indes ist es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, nicht Sache des Gerichtshofs, sondern des nationalen Gerichts, die dem Ausgangsrechtsreit zugrunde liegenden Tatsachen festzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2021, Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi, C‑561/19, EU:C:2021:799, Rn. 35).
31 Der Gerichtshof, dem lediglich die Aufgabe zukommt, über die Auslegung oder die Gültigkeit eines Rechtstexts der Union zu entscheiden, hat folglich weder die Korrektheit des von diesem Gericht dargestellten tatsächlichen Rahmens zu prüfen noch über die Begründetheit des Vorbringens einzelner Beteiligter zu entscheiden, mit dem bestritten wird, dass der durch das vorlegende Gericht in seinem Ersuchen beschriebene Sachverhalt zutrifft.
32 Wie der Generalanwalt in Nr. 20 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, begründet die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts, die der Gerichtshof in dem vom vorlegenden Gericht geschilderten Sachverhalt vorzunehmen hat, allerdings keine Vermutung dafür, dass es sich bei diesem Sachverhalt tatsächlich um denjenigen handelt, der im Ausgangsrechtsstreit in Rede steht. Somit ist es letztlich immer Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob es sich bei der Sachverhaltsbeschreibung, die es dem Gerichtshof übermittelt hat, tatsächlich um diese Situation handelt und ob die Angaben zur nationalen Regelung vollständig waren und auf die Sachlage anwendbar waren.
33 Dieses Ergebnis vermag durch die den nationalen Gerichten obliegende und von den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens in Bezug genommene Verpflichtung, den tatsächlichen Kontext, in dem sich die Vorlagefragen stellen, genau zu beschreiben, und zwar ganz besonders im Bereich des Wettbewerbs, der durch komplexe tatsächliche und rechtliche Verhältnisse gekennzeichnet ist (Urteil vom 3. März 2021, Poste Italiane und Agenzia delle entrate – Riscossione, C‑434/19 und C‑435/19, EU:C:2021:162, Rn. 77), nicht in Frage gestellt zu werden.
34 Zwar dient eine solche Verpflichtung dem Gerichtshof dazu, sich zu vergewissern, dass das Vorabentscheidungsersuchen nicht unzulässig ist; nach ständiger Rechtsprechung ist für die Unzulässigkeit eines Ersuchens jedoch Voraussetzung, dass die erbetene Auslegung des Unionsrechts in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, dass das Problem hypothetischer Natur ist oder der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 19. April 2007, Asemfo, C‑295/05, EU:C:2007:227, Rn. 31), was vorliegend nicht der Fall ist.
35 Da die Kontrolle der Zulässigkeit der Vorabentscheidungsersuchen somit auf die offensichtliche Nichtbeachtung der in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannten Anforderungen beschränkt ist, kann aus der den nationalen Gerichten obliegenden Verpflichtung, den tatsächlichen Kontext, in dem sich die Vorlagefragen stellen, genau zu beschreiben, nicht abgeleitet werden, dass der Gerichtshof verpflichtet wäre, zu prüfen, ob es sich bei dem vom vorlegenden Gericht beschriebenen Sachverhalt tatsächlich um die Situation handelt, die im Ausgangsverfahren in Rede steht. Ferner geht im vorliegenden Fall aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten nicht offensichtlich hervor, dass diese Anforderungen nicht beachtet worden wären.
36 Folglich ist weder über die von den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens vorgetragenen Einwände in Bezug auf die Relevanz des vom vorlegenden Gericht in seinen Fragen zugrunde gelegten Sachverhalts noch über deren Ersuchen um Umformulierung der Vorlagefragen zu entscheiden, mit denen die Klägerinnen den Gerichtshof aufgefordert haben, den Sachverhalt abzuändern.
Zur ersten Frage
37 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass es dem Vorabentscheidungsersuchen und den Erklärungen der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens zufolge im Ausgangsrechtsstreit hauptsächlich um die rechtliche Einstufung als „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung geht.
38 Daher ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass ein vertiefter monatlicher Informationsaustausch auf Gegenseitigkeitsbasis zwischen konkurrierenden Kreditinstituten, der auf Märkten mit starker Konzentration sowie mit Zutrittsschranken stattfand und der sich auf die für die auf diesen Märkten abgewickelten Geschäfte geltenden Bedingungen, insbesondere die aktuellen und künftigen Kreditaufschläge und Risikoparameter, sowie die individualisierten Produktionszahlen der Beteiligten an diesem Austausch bezieht, als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung einzustufen ist.
Zu den Voraussetzungen, unter denen eine Vereinbarung zwischen Unternehmen, ein Beschluss einer Vereinigung oder eine abgestimmte Verhaltensweise als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung eingestuft werden kann
39 Nach Art. 101 Abs. 1 AEUV sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten.
40 Infolgedessen muss, damit in einem konkreten Fall davon ausgegangen werden kann, dass eine Vereinbarung, ein Beschluss einer Unternehmensvereinigung oder eine abgestimmte Verhaltensweise unter das Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen, schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmung nachgewiesen werden, dass sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder eine solche Wirkung haben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Dezember 2023, International Skating Union/Kommission, C‑124/21 P, EU:C:2023:1012, Rn. 98, European Superleague Company, C‑333/21, EU:C:2023:1011, Rn. 158, und Royal Antwerp Football Club, C‑680/21, EU:C:2023:1010, Rn. 85).
41 Insoweit vermag zwar das Bestehen eines Präzedenzfalls, bei dem ein Informationsaustausch in der gleichen Form und in dem gleichen Sektor wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende als bezweckte Beschränkung eingestuft wurde, den Nachweis erleichtern, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Informationsaustausch ebenfalls eine solche Beschränkung hervorbringt, jedoch kann das – nach Ansicht des vorlegenden Gerichts im vorliegenden Fall zu bejahende – Fehlen eines solchen Präzedenzfalls einer etwaigen solchen Einstufung des in Rede stehenden Informationsaustauschs nicht entgegenstehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. März 2021, Generics [UK]/Kommission, C‑588/16 P, EU:C:2021:242, Rn. 79).
42 Für die Anwendung von Art. 101 Abs. 1 AEUV ist nämlich in einem ersten Schritt der Gegenstand der Vereinbarung zwischen Unternehmen, des Beschlusses der Unternehmensvereinigung oder der abgestimmten Verhaltensweise, die in Rede stehen, zu prüfen. Stellt sich am Ende einer solchen Prüfung heraus, dass mit der Vereinbarung, dem Beschluss oder der Verhaltensweise ein wettbewerbswidriger Zweck verfolgt wird, braucht nicht geprüft zu werden, wie sie sich auf den Wettbewerb auswirken. Nur wenn nicht davon ausgegangen werden kann, dass mit einer solchen Vereinbarung, einem solchen Beschluss oder einer solchen Verhaltensweise ein wettbewerbswidriger Zweck verfolgt wird, ist daher in einem zweiten Schritt diese Wirkung zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Dezember 2023, International Skating Union/Kommission, C‑124/21 P, EU:C:2023:1012, Rn. 99, European Superleague Company, C‑333/21, EU:C:2023:1011, Rn. 159, und Royal Antwerp Football Club, C‑680/21, EU:C:2023:1010, Rn. 86).
43 Der Gerichtshof hat indes entschieden, dass der Begriff „bezweckte Beschränkung“, auf die sich die vorliegende Vorlagefrage ausschließlich bezieht, eng dahin auszulegen ist, dass er ausschließlich auf bestimmte Arten der Koordinierung zwischen Unternehmen verweist, die den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigen, um davon ausgehen zu können, dass eine Prüfung ihrer Wirkungen nicht notwendig ist. Bestimmte Formen der Koordinierung zwischen Unternehmen können nämlich an sich als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs angesehen werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Dezember 2023, International Skating Union/Kommission, C‑124/21 P, EU:C:2023:1012, Rn. 101 und 102, European Superleague Company, C‑333/21, EU:C:2023:1011, Rn. 161 und 162, sowie Royal Antwerp Football Club, C‑680/21, EU:C:2023:1010, Rn. 88 und 89).
44 Für die Feststellung, ob in einem konkreten Fall eine Vereinbarung, ein Beschluss einer Unternehmensvereinigung oder eine abgestimmte Verhaltensweise eine Form der Koordinierung darstellt, die an sich als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs anzusehen ist, ist es erforderlich, erstens den Inhalt dieser Vereinbarung, dieses Beschlusses oder dieser Verhaltensweise, zweitens den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang, in dem sie stehen, und drittens die Ziele, die mit ihnen erreicht werden sollen, zu untersuchen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Dezember 2023, International Skating Union/Kommission, C‑124/21 P, EU:C:2023:1012, Rn. 105, European Superleague Company, C‑333/21, EU:C:2023:1011, Rn. 165, und Royal Antwerp Football Club, C‑680/21, EU:C:2023:1010, Rn. 92).
45 Zunächst erfordert die Prüfung des Inhalts der Vereinbarung, des Beschlusses einer Unternehmensvereinigung oder der abgestimmten Verhaltensweise, die in Rede stehen, eine Prüfung ihrer verschiedenen Aspekte, um festzustellen, ob die betreffende Abstimmung Merkmale aufweist, anhand deren sie mit einer Form der Koordinierung zwischen Unternehmen in Verbindung gebracht werden kann, die an sich als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs anzusehen ist, was insbesondere dann der Fall ist, wenn eine Koordinierung mit diesen Merkmalen gerade wegen dieser Merkmale geeignet ist, dass Wettbewerbsbedingungen entstehen, die nicht den normalen Bedingungen des relevanten Marktes entsprechen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. März 2015, Dole Food und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission, C‑286/13 P, EU:C:2015:184, Rn. 115 und 120).
46 Was sodann den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang betrifft, in dem die Vereinbarung, der Beschluss einer Unternehmensvereinigung oder die abgestimmte Verhaltensweise stehen, umfasst der Begriff der bezweckten Beschränkung nur Vereinbarungen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Form der Koordinierung betreffen, die an sich als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs anzusehen ist, so dass es nicht erforderlich ist, die Auswirkungen dieser Vereinbarung, dieses Beschlusses oder dieser Verhaltensweise auf den Wettbewerb zu prüfen und erst recht nicht nachzuweisen, unabhängig davon, ob es sich um tatsächliche oder potenzielle, negative oder positive Auswirkungen handelt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Dezember 2023, International Skating Union/Kommission, C‑124/21 P, EU:C:2023:1012, Rn. 106, European Superleague Company, C‑333/21, EU:C:2023:1011, Rn. 166, und Royal Antwerp Football Club, C‑680/21, EU:C:2023:1010, Rn. 93).
47 Dies schließt jedoch nicht aus, dass die Art der betreffenden Waren oder Dienstleistungen sowie die tatsächlichen Bedingungen, die die Struktur und das Funktionieren des betreffenden Sektors oder dieser Märkte kennzeichnen, zu berücksichtigen sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Dezember 2023, International Skating Union/Kommission, C‑124/21 P, EU:C:2023:1012, Rn. 106, European Superleague Company, C‑333/21, EU:C:2023:1011, Rn. 166, und Royal Antwerp Football Club, C‑680/21, EU:C:2023:1010, Rn. 93).
48 Tatsächlich kann möglicherweise nur beim Vorliegen gewisser Voraussetzungen davon ausgegangen werden, dass bestimmte Formen der Koordinierung und damit die darunterfallenden Vereinbarungen, Beschlüsse von Vereinigungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs sind. In Fällen, in denen eine Form der Vereinbarung, des Beschlusses von Unternehmensvereinigungen oder der aufeinander abgestimmten Verhaltensweise nur unter bestimmten Umständen, die insbesondere die Art der betreffenden Waren oder Dienstleistungen, die auf dem Markt bestehenden tatsächlichen Bedingungen und seine Struktur betreffen, an sich schädlich für den Wettbewerb ist, muss daher, wie der Generalanwalt in Nr. 43 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, die Prüfung des wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs, in dem diese Formen der Koordinierung erfolgen, die Feststellung ermöglichen, ob diese Umstände vorliegen. Die Berücksichtigung dieses Zusammenhangs soll somit gewährleisten, dass keine besonderen Umstände der Vereinbarung, des Beschlusses oder der abgestimmten Verhaltensweise, die in Rede stehen, die Vermutung einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs durch die Form der Koordinierung, mit der sie verbunden sind, zu widerlegen vermögen.
49 Schließlich sind, was die mit der Vereinbarung, dem Beschluss einer Unternehmensvereinigung oder der abgestimmten Verhaltensweise verfolgten Ziele angeht, die objektiven Ziele zu bestimmen, die mit der Vereinbarung, dem Beschluss oder der abgestimmten Verhaltensweise im Hinblick auf den Wettbewerb erreicht werden sollen. Dagegen sind der Umstand, dass die beteiligten Unternehmen ohne die subjektive Absicht gehandelt haben, den Wettbewerb zu verhindern, einzuschränken oder zu verfälschen, und die Tatsache, dass sie bestimmte legitime Zwecke verfolgt haben, für die Anwendung von Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht entscheidend (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Dezember 2023, International Skating Union/Kommission, C‑124/21 P, EU:C:2023:1012, Rn. 107, European Superleague Company, C‑333/21, EU:C:2023:1011, Rn. 167, und Royal Antwerp Football Club, C‑680/21, EU:C:2023:1010, Rn. 94).
50 Die Prüfung all dieser Gesichtspunkte muss jedenfalls die genauen Gründe erkennen lassen, aus denen die Vereinbarung, der Beschluss der Unternehmensvereinigung oder die abgestimmte Verhaltensweise den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigt, um die Annahme zu rechtfertigen, dass diese Vereinbarung, dieser Beschluss oder diese abgestimmte Verhaltensweise eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Dezember 2023, International Skating Union/Kommission, C‑124/21 P, EU:C:2023:1012, Rn. 108, European Superleague Company, C‑333/21, EU:C:2023:1011, Rn. 168, und Royal Antwerp Football Club, C‑680/21, EU:C:2023:1010, Rn. 95).
Zur Auslegung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung im Hinblick auf den Informationsaustausch
51 Wie der Generalanwalt in Nr. 52 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, kann ein Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, auch wenn er nicht mit einer Vereinbarung über eine Zusammenarbeit verbunden ist, eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV darstellen, und zwar auch eine bezweckte. Insofern ergibt sich nämlich aus den Rn. 43 bis 49 des vorliegenden Urteils das Erfordernis, dass dieser Austausch eine Form der Koordinierung darstellt, die im Zusammenhang mit dem Austausch an sich als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs anzusehen ist.
52 Was seinen Inhalt anbelangt, so bedeutet dies zunächst, dass der Informationsaustausch Merkmale aufweist, die ihn mit einer Form der Koordinierung zwischen Unternehmen in Verbindung bringen, aus der Wettbewerbsbedingungen entstehen können, die nicht den normalen Bedingungen des relevanten Marktes entsprechen.
53 Das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs auf einem Markt setzt indessen eine gewisse Transparenz der gegenwärtig auf diesem Markt herrschenden Sachlage voraus. Ein Markt kann nämlich nur unter dieser Voraussetzung effizient funktionieren. So hat der Gerichtshof anerkannt, dass die Transparenz unter den Wirtschaftsteilnehmern – zumindest auf einem nicht oligopolistischen Markt – grundsätzlich geeignet ist, den Wettbewerb zwischen den Anbietern zu stärken (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Oktober 2003, Thyssen Stahl/Kommission, C‑194/99 P, EU:C:2003:527, Rn. 84).
54 Damit ein Markt unter normalen Bedingungen funktioniert, trifft einen Marktteilnehmer indessen zum einen die Obliegenheit, selbständig zu bestimmen, welche Politik er auf dem Binnenmarkt betreiben will (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. März 2015, Dole Food und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission, C‑286/13 P, EU:C:2015:184, Rn. 119), und hat er zum anderen zumindest hinsichtlich des Zeitpunkts, des Ausmaßes und der Modalitäten der künftigen Änderung des Marktverhaltens seiner Wettbewerber im Ungewissen zu sein (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Juni 2009, T‑Mobile Netherlands u. a., C‑8/08, EU:C:2009:343, Rn. 41, und vom 12. Januar 2023, HSBC Holdings u. a./Kommission, C‑883/19 P, EU:C:2023:11, Rn. 116).
55 Was sodann den Zusammenhang angeht, in dem der in Rede stehende Informationsaustausch erfolgt, ist erforderlich, dass darin jede Koordinierung, die ähnliche Merkmale aufweist wie dieser Austausch, unweigerlich zu solchen Wettbewerbsbedingungen führt, die im Hinblick auf die Art der in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen, die auf dem relevanten Markt bestehenden tatsächlichen Bedingungen und die Struktur dieses Marktes nicht den normalen Bedingungen des Marktes entsprechen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. Mai 1998, Deere/Kommission, C‑7/95 P, EU:C:1998:256, Rn. 87, vom 4. Juni 2009, T‑Mobile Netherlands u. a., C‑8/08, EU:C:2009:343, Rn. 33, und vom 19. März 2015, Dole Food und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission, C‑286/13 P, EU:C:2015:184, Rn. 120).
56 Schließlich ist zu den mit dem Austausch verfolgten „objektiven Zielen“ festzustellen, dass dieser Begriff in seiner rechtlichen Bedeutung auf den Hauptgrund der Vereinbarung, des Beschlusses einer Unternehmensvereinigung oder der abgestimmten Verhaltensweise verweist, d. h. auf die mit der in Rede stehenden Koordinierung sofort und unmittelbar verfolgten Ziele, die die betreffenden Unternehmen dazu bewogen haben, sich an ihr zu beteiligen. Kann ein Informationsaustausch, der, auch wenn er formal nicht als Verfolgung eines wettbewerbswidrigen Zwecks in Erscheinung tritt, angesichts seiner Form und des Zusammenhangs, in dem er stattfand, nicht anders als mit der Verfolgung eines Zwecks erklärt werden, der einem der konstituierenden Merkmale des Grundsatzes des freien Wettbewerbs zuwiderläuft, ist er deshalb als bezweckte Beschränkung anzusehen.
57 Deswegen und da jeden Wirtschaftsteilnehmer die Obliegenheit trifft, selbständig zu bestimmen, welche Politik er auf dem Binnenmarkt betreiben will, ist davon auszugehen, dass ein Informationsaustausch dann Merkmale aufweist, um ihn mit einer Form der Koordinierung zwischen Unternehmen in Verbindung zu bringen, die an sich als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs anzusehen ist, wenn sich sein Inhalt auf Informationen bezieht, die unabhängig davon, ob sie sensibel oder vertraulich sind, in dem Zusammenhang, in dem dieser Austausch stattfindet, die an dem Austausch Beteiligten, sofern sie hinreichend aktiv und wirtschaftlich vernünftig sind, dazu veranlassen dürften, sich in Bezug auf einen der Parameter, anhand deren Wettbewerb auf dem relevanten Markt entsteht, stillschweigend in der gleichen Weise zu verhalten.
58 Eine solche Bewertung erfordert, dass nicht nur die Art der ausgetauschten Informationen, sondern auch der wirtschaftliche Zusammenhang berücksichtigt wird, in dem der Austausch stattfindet. Denn obwohl davon auszugehen ist, dass die an der Abstimmung beteiligten und weiterhin auf dem relevanten Markt tätigen Unternehmen die mit ihren Wettbewerbern ausgetauschten Informationen bei der Festlegung ihres Marktverhaltens berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. Juli 1999, Hüls/Kommission, C‑199/92 P, EU:C:1999:358, Rn. 161 und 162, vom 4. Juni 2009, T‑Mobile Netherlands u. a., C‑8/08, EU:C:2009:343, Rn. 51 und 52, sowie vom 19. März 2015, Dole Food und Dole Fresh Fruit Europe/Kommission, C‑286/13 P, EU:C:2015:184, Rn. 126 und 127), ändert dies indessen nichts daran, dass Unternehmen, die hinreichend aktiv und wirtschaftlich vernünftig sind, sich nur dann in der gleichen Weise verhalten werden, wenn sie insbesondere in Anbetracht des Zusammenhangs, in dem diese Vereinbarung geschlossen wurde, dabei nicht die Reaktion ihrer gegenwärtigen und potenziellen Wettbewerber sowie der Verbraucher zu befürchten brauchen. Dies dürfte grundsätzlich der Fall sein, wenn der Austausch zwischen den Hauptakteuren eines oligopolistischen oder zumindest stark konzentrierten Marktes stattfindet und Zutrittsschranken zu diesem Markt bestehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Oktober 2003, Thyssen Stahl/Kommission, C‑194/99 P, EU:C:2003:527, Rn. 86 und 87).
59 Insofern ist besonders im letztgenannten Fall der Umstand, wie dies vom vorlegenden Gericht in seiner Frage hervorgehoben wird, dass der Markt eine gewisse Konzentration und Marktzutrittsschranken aufweist, als relevant anzusehen.
60 Für die Feststellung, dass es sich bei einem Informationsaustausch um eine bezweckte Beschränkung handelt, bedarf es demnach nicht stets eines Nachweises, dass dieser Austausch Informationen betrifft, die in dem Zusammenhang, in dem er stattfindet, die Beteiligten an dem Austausch, sofern sie hinreichend aktiv und wirtschaftlich vernünftig sind, dazu veranlassen dürften, sich stillschweigend in Bezug auf einen der Parameter, anhand deren Wettbewerb auf dem relevanten Markt entsteht, in der gleichen Weise zu verhalten, was gegen die Obliegenheit eines jeden Wirtschaftsteilnehmers verstößt, selbständig zu bestimmen, welche Politik er auf dem Binnenmarkt betreiben will.
61 Wie sich aus Rn. 54 des vorliegenden Urteils ergibt, müssen nämlich die Wirtschaftsteilnehmer auf diesem Markt, damit er unter normalen Bedingungen funktioniert, nicht nur selbständig bestimmen, welche Politik sie auf dem Binnenmarkt betreiben wollen, sondern zugleich und in einem weiteren Sinne im Ungewissen über das künftige Verhalten der anderen Teilnehmer auf dem betreffenden Markt bleiben. Folglich kann ein Informationsaustausch, wenn er es ermöglicht, eine solche Ungewissheit zu beseitigen, als eine Form der Koordinierung zwischen Unternehmen angesehen werden, die an sich schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs ist, ohne dass nachgewiesen werden müsste, dass die ausgetauschten Informationen in dem Zusammenhang, in dem dieser Austausch erfolgt, diejenigen Beteiligten, die hinreichend aktiv und wirtschaftlich vernünftig sind, dazu veranlassen dürften, sich in Bezug auf einen der Parameter, anhand deren Wettbewerb auf dem relevanten Markt entsteht, stillschweigend in der gleichen Weise zu verhalten.
62 Hierfür genügt es, dass es sich bei den ausgetauschten Informationen um Informationen handelt, die sowohl vertraulich als auch strategisch sind.
63 Während als „vertrauliche Informationen“ solche Informationen anzusehen sind, die nicht bereits jedem auf dem betreffenden Markt tätigen Wirtschaftsteilnehmer bekannt sind, sind unter „strategischen Informationen“ Informationen zu verstehen, die gegebenenfalls, nachdem sie mit anderen den Beteiligten an einem Informationsaustausch bereits bekannten Informationen kombiniert wurden, Aufschluss über die Strategie geben können, die einige der Beteiligten im Hinblick auf einen oder mehrere Parameter, anhand deren Wettbewerb auf dem relevanten Markt entsteht, umzusetzen beabsichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Januar 2023, HSBC Holdings u. a./Kommission, C‑883/19 P, EU:C:2023:11, Rn. 117).
64 Außerdem ist zwar, wie der Generalanwalt in den Nrn. 69 und 70 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, jeder Austausch von Informationen über künftige Preise oder bestimmte preisbildende Faktoren insbesondere angesichts der Gefahr einer mit ihm verbundenen Beeinträchtigung des Wettbewerbs an sich wettbewerbswidrig. Der Begriff der strategischen Informationen ist jedoch weiter und umfasst alle den Wirtschaftsteilnehmern nicht bereits bekannten Daten, die im Zusammenhang mit einem solchen Austausch die Ungewissheit der Beteiligten über das künftige Verhalten der anderen Beteiligten in Bezug auf Aspekte verringern kann, die aufgrund der Art der in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen, der auf dem Markt bestehenden tatsächlichen Bedingungen und seiner Struktur einen oder mehrere Parameter darstellen, anhand deren Wettbewerb auf dem relevanten Markt entsteht.
65 Schließlich sind die ausgetauschten Informationen, wenn sie sich nicht auf Absichten der am Austausch Beteiligten beziehen, ihr Verhalten auf dem relevanten Markt zu ändern, sondern auf einen aktuellen oder in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt, gleichwohl als strategisch anzusehen, wenn einer dieser Beteiligten insbesondere aufgrund der Art der in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen, der tatsächlichen Bedingungen des Marktgeschehens, der Kostenstruktur oder der Produktions- und Managementmethoden der Beteiligten an diesem Austausch daraus mit hinreichender Genauigkeit das künftige Verhalten der anderen Beteiligten an diesem Austausch oder ihre Reaktionen auf eine etwaige strategische Marktbewegung ableiten kann.
Zur Einstufung eines Informationsaustauschs mit den vom vorlegenden Gericht in seiner Frage angeführten Merkmalen als bezweckte Beschränkung
66 Es ist zwar Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Austausch eine Form der Koordinierung zwischen Unternehmen darstellt, die an sich als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs anzusehen ist, und die hierzu erforderlichen Tatsachenwürdigungen vorzunehmen, allerdings kann der Gerichtshof, wenn er im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens entscheidet, Klarstellungen vornehmen, um diesem Gericht eine Richtschnur für seine Auslegung zu geben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Januar 2024, Lietuvos notarų rūmai u. a., C‑128/21, EU:C:2024:49, Rn. 89 und 90).
67 Im vorliegenden Fall hat sich das vorlegende Gericht in seiner Frage auf einen vertieften monatlichen Informationsaustausch auf Gegenseitigkeitsbasis zwischen konkurrierenden Kreditinstituten bezogen, der auf Märkten mit starker Konzentration und Marktzutrittsschranken stattfand und sich auf die Bedingungen für die auf diesen Märkten abgewickelten Geschäfte, insbesondere auf die Kreditaufschläge sowie die aktuellen und künftigen Risikoparameter, und die individualisierten Produktionszahlen der einzelnen Beteiligten bezieht.
68 Zum einen ergibt sich jedoch aus der Sachverhaltsdarstellung des vorlegenden Gerichts, dass die Informationen über die Kreditaufschläge, die vertraulich zwischen den beteiligten Kreditinstituten ausgetauscht wurden, zum Zeitpunkt des Austauschs nicht in gleichem Maß umfassend und systematisiert öffentlich zugänglich waren und dass sich diese Informationen im Wesentlichen auf mögliche künftige Maßnahmen bezogen. Insbesondere geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass sich diese Informationen auf die Absichten zur Änderung der Bedingungen für die auf dem relevanten Markt abgewickelten Geschäfte oder zumindest auf beschlossene, aber noch nicht angewandte Änderungen bezogen.
69 Zum anderen kann ein Kreditaufschlag angesichts dessen, dass dieser Begriff auf die Differenz Bezug nimmt, die zwischen dem von einem Kreditinstitut auf einen Kreditnehmer angewandten Zinssatz sowie dem Zinssatz besteht, zu dem dieses Kreditinstitut sich im Prinzip refinanziert, und dass der Zinssatz für die Refinanzierung grundsätzlich bekannt ist, Aufschluss über das Angebot von Zinssätzen geben, die die Kreditinstitute ihren Kunden als Ausgangspunkt für Verhandlungen unterbreiten.
70 Da die Kreditaufschläge somit einen der Parameter betreffen, anhand deren Wettbewerb auf den drei im Ausgangsverfahren relevanten Märkten entsteht, sind alle Informationen über die künftigen Absichten der Kreditinstitute, diese Aufschläge zu ändern, als strategische Informationen anzusehen.
71 Folglich handelt es sich in Anbetracht der Feststellungen in Rn. 62 des vorliegenden Urteils bei einem Informationsaustausch, der, wie er vom vorlegenden Gericht in seiner Frage beschrieben wird, vertraulich stattfindet und der sich auf die künftigen Absichten der Kreditinstitute in Bezug auf die Kreditaufschläge bezieht, anhand deren der ihren Kunden angebotene Zinssatz bestimmt wird, um eine Form der Koordinierung zwischen Unternehmen, die an sich als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs und somit als eine bezweckte Beschränkung im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV anzusehen ist.
72 Das Gleiche gilt für die Informationen über künftige Änderungen der Risikoparameter, die auf die je nach dem individuellen Risikoprofil der Kunden praktizierten Kreditaufschläge angewandt werden, da sie in Kombination mit den Informationen über die künftigen Absichten der Kreditinstitute in Bezug auf die Kreditaufschläge geeignet sind, den Beteiligten am Austausch ein genaueres Bild über die Preisgestaltungsstrategien zu verschaffen, die die anderen Beteiligten umzusetzen beabsichtigen.
73 Zu den Informationen über die „Produktionsmengen“ ist festzustellen, dass solche Informationen zwar grundsätzlich geeignet sind, jedes Verhalten eines Beteiligten erkennbar werden zu lassen, das von einem gegebenenfalls auf dem Markt vorherrschenden Gleichgewicht abweicht, und zwar insbesondere dann, wenn sie, wie im Ausgangsverfahren, von diesen Beteiligten aufgeschlüsselt und individualisiert übermittelt werden.
74 Das Bestehen eines Austauschs über solche Informationen kann daher unter bestimmten Umständen eine Form der Koordinierung – mit einer Komponente in Gestalt dieses Austauschs – offenbaren, die an sich als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs anzusehen ist.
75 Im Ausgangsverfahren ergibt sich jedoch aus den Angaben des vorlegenden Gerichts, dass die AdC den Klägerinnen die Beteiligung an einem „autonomen“ Informationsaustausch zur Last gelegt hat, nicht aber die Beteiligung am einem Austausch, der eine Nebenabrede zu einer wettbewerbsbeschränkenden abgestimmten Verhaltensweise ist.
76 Bei einem „autonomen“ Austausch von Informationen ist es, wenn es sich, wie in diesem Fall, um Informationen handelt, die sich auf Produktionsmengen in der Vergangenheit beziehen, wenig wahrscheinlich, dass diese Informationen für sich genommen und in Ermangelung besonderer Umstände geeignet sind, Aufschluss über die künftigen Absichten der betreffenden Kreditinstitute zu geben oder die Beteiligten an dem Austausch, die hinreichend aktiv und wirtschaftlich vernünftig sind, zu veranlassen, sich in Bezug auf einen der Parameter, anhand deren Wettbewerb auf einem der betreffenden Märkte entsteht, stillschweigend in der gleichen Weise zu verhalten.
77 Die Schädlichkeit einer Form des Informationsaustauschs ist allerdings auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit zu beurteilen, die verschiedenen Kategorien der ausgetauschten Informationen miteinander zu verknüpfen.
78 So dürfte ein „autonomer“ Informationsaustausch, soweit er sich u. a. auf Produktionsmengen bezieht, als eine Form der Koordinierung zwischen Unternehmen einzustufen sein, die an sich als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs anzusehen ist, wenn diese Informationen insbesondere mit anderen ausgetauschten Informationen und gegebenenfalls anderen, bereits frei verfügbaren Informationen in einer Weise kombiniert würden, dass ein Unternehmen, das hinreichend aktiv und wirtschaftlich vernünftig ist, in Anbetracht der Art, der auf den relevanten Märkten bestehenden tatsächlichen Bedingungen und deren Struktur die künftigen Absichten der anderen Beteiligten ableiten könnte oder sich veranlasst sehen könnte, sich stillschweigend mit diesen in Bezug auf einen der Parameter, anhand deren Wettbewerb auf diesen Märkten entsteht, in gleicher Weise zu verhalten.
79 Jedenfalls ist ein Informationsaustausch, wie er vom vorlegenden Gericht in seiner Frage beschrieben wird, als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung anzusehen, wenn die ausgetauschten Informationen u. a. die künftigen Absichten betreffen, die Kreditaufschläge der Beteiligten an diesem Austausch zu ändern.
80 Ein solche Schlussfolgerung lässt sich mittels der Prüfung der mit einem Austausch solcher Informationen verfolgten objektiven Ziele bestätigen, die, wie sich aus Rn. 49 des vorliegenden Urteils ergibt, auch für die Beurteilung des Vorliegens einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung relevant ist. Mit einem Informationsaustausch über die künftigen Absichten seiner Beteiligten in Bezug auf einen der Parameter, anhand deren Wettbewerb auf einem Markt entsteht, wie z. B. in Bezug auf Kreditaufschläge, kann nämlich kein anderes objektives Ziel verfolgt werden als das der Verfälschung des Wettbewerbs auf diesem Markt.
81 Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens versuchen in diesem Ausgangsverfahren jedoch mit mehreren Argumenten darzutun, dass der in Rede stehende Informationsaustausch keine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellt.
82 Erstens träfen sie nach dem Verbraucherrecht Verpflichtungen zur Preistransparenz bzw. gemäß den für sie geltenden Rechnungslegungs- und Finanzregeln oder gegebenenfalls aufgrund ihrer Rechtsform als Gesellschaften, deren Wertpapiere zum Handel auf einem reglementierten Markt zugelassen seien, Verpflichtungen zur Mitteilung ihres Umsatzes, ihrer Marktanteile und ihrer durchschnittlichen Kreditaufschläge. Aufgrund dieser unterschiedlichen rechtlichen Verpflichtungen könne somit jeder Akteur auf den relevanten Märkten die Geschäftsbedingungen der beteiligten Kreditinstitute zusammentragen, indem er sich zu deren Schaltern begebe oder deren Internetseite aufsuche.
83 Insoweit ist zwar hervorzuheben, dass ein Austausch von Informationen, deren Übermittlung im Übrigen durch eine nationale Regelung vorgeschrieben sein soll, nicht gegen Art. 101 AEUV verstoßen kann, da ein solcher Austausch keine Auswirkung auf den Markt haben kann, die über den bereits durch die Einhaltung dieser Regelung eingetretene Wirkung hinausgeht und für die die betroffenen Unternehmen nicht haftbar gemacht werden können (vgl. entsprechend Urteile vom 11. November 1997, Kommission und Frankreich/Ladbroke Racing, C‑359/95 P und C‑379/95 P, EU:C:1997:531, Rn. 33, und vom 9. September 2003, CIF, C‑198/01, EU:C:2003:430, Rn. 52 und 53).
84 Auf eine solche Situation können sich die Beteiligten an einem Informationsaustausch indessen nicht berufen, wenn die ausgetauschten Informationen über diejenigen hinausgehen, die jedes auf den drei in Rede stehenden Märkten tätige Kreditinstitut im Rahmen seiner rechtlichen Verpflichtungen öffentlich bekannt geben muss, und wenn diese Informationen ausgetauscht wurden, bevor diese Verpflichtungen diesen Beteiligten auferlegten, derartige Informationen zu veröffentlichen; dies festzustellen ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts.
85 Zweitens weisen die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens darauf hin, dass ein Informationsaustausch, der wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende nur sehr sporadisch stattfinde, nämlich ein- oder zweimal jährlich, keine bezweckte Beschränkung darstellen könne. Indessen schließt eine geringe Häufigkeit für sich genommen den wettbewerbswidrigen Zweck eines Informationsaustauschs nicht aus. Eine einzige Kontaktaufnahme kann nämlich ausreichen, um Ungewissheiten bei den Beteiligten darüber zu beseitigen, wie sich die anderen betroffenen Unternehmen auf dem relevanten Markt künftig verhalten werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Juni 2009, T‑Mobile Netherlands u. a., C‑8/08, EU:C:2009:343, Rn. 59 und 62).
86 Drittens bestreiten die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens, dass ein Informationsaustausch wie der vom vorlegenden Gericht in seiner Frage beschriebene als eine Form der Koordinierung eingestuft werden könne, die an sich schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs sei. Denn dieser Austausch könne die Tätigkeit der Wettbewerbsanalyse (Benchmarking) der an ihm Beteiligten erleichtern, indem er es ihnen ermögliche, ihre jeweiligen Angebote miteinander zu vergleichen und gleichzeitig die mit der Durchführung eines solchen Vergleichs verbundenen Kosten zu verringern, so dass der Austausch wettbewerbsfördernde Wirkungen entfalten könne.
87 Ein Informationsaustausch über die besten umzusetzenden Management- oder Produktionsmethoden ist gewiss in der Lage, den Wettbewerb zu fördern, und daher nicht als bezweckte Beschränkung anzusehen. Für den Austausch vertraulicher Informationen, die gerade die Absichten der Beteiligten an diesem Austausch in Bezug auf einen der Parameter betreffen, anhand deren Wettbewerb auf dem relevanten Markt entsteht, kann dies jedoch nicht gelten.
88 Viertens tragen die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens vor, dass die Kreditaufschläge nicht den Gesamtpreis der angebotenen Kreditdienstleistungen, sondern nur einen seiner Bestandteile widerspiegelten, da insbesondere die Höhe der Provisionen und sonstigen Kosten nicht erwähnt worden sei. Außerdem entsprächen zumindest auf dem Markt für Hypothekenkredite die den Kunden angebotenen Kreditzinsen, die sich aus diesen Aufschlägen ergäben, nicht den letztlich angewandten Kreditzinsen, sondern vielmehr Richtzinsen, die als Ausgangspunkt für individuelle Verhandlungen mit dem einzelnen Kunden je nach seinem Risikoprofil herangezogen würden. Ein Informationsaustausch, selbst über künftige Absichten der beteiligten Kreditinstitute, der sich auf Kreditaufschläge beziehe, könne infolgedessen nicht als eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung angesehen werden.
89 Wie der Generalanwalt in den Nrn. 74 und 75 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist es indes nicht erforderlich, dass eine abgestimmte Verhaltensweise, um unter den Begriff der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung zu fallen, sich auf alle Parameter bezieht, anhand deren der Wettbewerb auf dem Markt entsteht, oder, im Fall von Preisinformationen, dass diese sich auf sämtliche Bestandteile des Endpreises beziehen. Daher kann ein Informationsaustausch, selbst wenn er nur einen dieser Parameter betrifft, als eine Form der Koordinierung zwischen Unternehmen eingestuft werden, die an sich als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs anzusehen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Januar 2023, HSBC Holdings u. a./Kommission, C‑883/19 P, EU:C:2023:11, Rn. 204).
90 Der Zinssatz, der als Ausgangspunkt für individuelle Verhandlungen mit dem einzelnen Kunden je nach seinem Risikoprofil verwendet wird, spiegelt einen der Wettbewerbsparameter auf den betreffenden Märkten wider, da die potenziellen Kunden auf der Grundlage dieses Zinssatzes eine erste Auswahl unter den von den Kreditinstituten angebotenen Kreditangeboten vornehmen werden, um daraufhin mit bestimmten Kreditinstituten in Verhandlungen einzutreten.
91 Fünftens bestreiten die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens, dass im Sachverhalt des Ausgangsverfahrens die übermittelten Informationen über die Kreditaufschläge ein künftiges Verhalten betroffen hätten, dessen Kenntnis den Beteiligten am Informationsaustausch einen Vorteil hätte verschaffen können. Zunächst beträfen diese Informationen Änderungen im Nachgang zu einer Übermittlung am Freitag, deren Inkrafttreten entweder für den gleichen Tag oder spätestens den folgenden Werktag vorgesehen gewesen sei. Sodann seien die als Ausgangspunkt für Verhandlungen vorgeschlagenen Zinssätze kurz nach dem Austausch über Änderungen der Kreditaufschläge oder sogar gleichzeitig auf der Internetseite und in den Kreditsimulatoren des betreffenden Kreditinstituts angezeigt worden. Schließlich hätte ein Kreditinstitut in jedem Fall mehrere Wochen benötigt, um seine eigenen Kreditaufschläge zu ändern, so dass die Beteiligten an diesem Austausch auf die Informationen, die sie erhalten hätten, nicht sofort hätten reagieren können.
92 Insofern reicht jedoch allein der Umstand, dass Informationen über die Kreditaufschläge ausgetauscht wurden, bevor diese Folgen zeitigen oder öffentlich wurden, für den Nachweis aus, dass dieser Austausch geeignet war, bei den Beteiligten am Informationsaustausch die Ungewissheit über das künftige Verhalten der anderen beteiligten Kreditinstitute zu verringern, auch wenn sich die Ungewissheit, die bei den anderen Wettbewerbern bestanden haben dürfte, kurze Zeit danach aufgelöst haben dürfte. Denn selbst wenn es für die Beteiligten an einem solchen Austausch unmöglich wäre, diese Informationen sofort zu berücksichtigen, um umgehend ihr Marktverhalten zu ändern, so ermöglichte dennoch jeder Austausch über nicht bereits offengelegte künftige Absichten es diesen Beteiligten, auf jeden Fall schneller zu reagieren, als dies bei normalem Funktionieren des relevanten Marktes möglich gewesen wäre.
93 Sechstens tragen die Klägerinnen der Ausgangsverfahren vor, dass die dem Gerichtshof vorliegenden Akten keinen Fall enthielten, in dem eines der beteiligten Kreditinstitute, nachdem es darüber informiert worden sei, dass die Kreditaufschläge eines anderen Beteiligten geändert würden, seine Gebührentabelle geändert habe. Ein solcher Umstand kann allerdings nicht als relevant angesehen werden, da die Anwendung des Begriffs der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung auf einen Informationsaustausch weder den Nachweis etwaiger konkreter Auswirkungen auf den von dem in Rede stehenden Informationsaustausch betroffenen Markt noch den Nachweis erfordert, dass die am Informationsaustausch Beteiligten die Information tatsächlich berücksichtigt haben.
94 Siebtens machen die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens geltend, dass der Begriff „Risikoparameter“, wie er vom vorlegenden Gericht verwendet werde, Bewertungstabellen bezeichne, in denen eine bestimmte Kategorie von Kunden anhand von Faktoren wie ihren Einkünften, der Finanzierungsbeiträge oder den Kosten der Immobilie, einer Risikoklasse zugewiesen werde, mit der die Anwendung eines Kreditaufschlags zum Ausgleich dieses Risikos einhergehe. Diese Faktoren, die der jeweiligen Risikoklasse zugrunde lägen, seien aber, wie sich aus den im Zwischenurteil wiedergegebenen Zeugenaussagen ergebe, auf keinen Fall während des Informationsaustauschs offengelegt worden, so dass der Austausch dieser Tabellen keinen Austausch strategischer Informationen darstellen könne.
95 Insoweit ist es Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob insbesondere in Anbetracht der Informationen, über die die Beteiligten an dem Austausch verfügten, und der für die Erstellung dieser Art von Tabelle allgemein angewandten Methodik die in einer solchen Tabelle enthaltenen Informationen hinreichend verständlich waren, um es diesen Beteiligten zu ermöglichen, nach Kombination mit den Kreditaufschlägen, auf deren Grundlage den Kunden als Ausgangspunkt für Verhandlungen ein Zinssatz angeboten wurde, und den erzielten Produktionsmengen, ihre Ungewissheit hinsichtlich des künftigen Verhaltens der anderen Beteiligten an diesem Austausch im Hinblick auf Aspekte zu verringern, die wegen der Art der fraglichen Dienstleistungen, der auf dem Markt bestehenden tatsächlichen Bedingungen und seiner Struktur einen oder mehrere Parameter darstellen, anhand deren auf den relevanten Märkten Wettbewerb entsteht.
96 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass ein vertiefter monatlicher Informationsaustausch auf Gegenseitigkeitsbasis zwischen konkurrierenden Kreditinstituten, der auf Märkten mit starker Konzentration sowie mit Zutrittsschranken stattfand und der sich auf die für die auf diesen Märkten abgewickelten Geschäfte geltenden Bedingungen, insbesondere die aktuellen und künftigen Kreditaufschläge und Risikoparameter, sowie die individualisierten Produktionszahlen der Beteiligten an diesem Austausch bezieht, zumindest dann, wenn es sich bei den auf diese Weise ausgetauschten Kreditaufschlägen um diejenigen handelt, die diese Institute künftig anwenden wollen, als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung einzustufen ist.
Zur zweiten Frage
97 In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage erübrigt sich eine Antwort auf die zweite Frage.