EuGH: Markenrecht – Begriff „Besitz“ i. S. d. Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der RL (EU) 2015/2436
EuGH: Markenrecht – Begriff „Besitz“ i. S. d. Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der RL (EU) 2015/2436
EuGH, Urteil vom 1.8.2025 – C-76/24, Tradeinn Retail Services S.L. gegen PH
ECLI:EU:C:2025:593
Volltext: BB-Online BBL2025-2049-2
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Tenor
1. Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ist dahin auszulegen, dass der Inhaber einer in einem Mitgliedstaat geschützten Marke einem Dritten verbieten kann, im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats Waren unter einem Zeichen nach Maßgabe der in Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen zu besitzen, um diese Waren in dem Mitgliedstaat, in dem diese Marke geschützt ist, zum Verkauf anzubieten oder in den Verkehr zu bringen.
2. Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 ist dahin auszulegen, dass es, um eine Ware im Sinne dieser Bestimmung unter einem Zeichen nach Maßgabe der in Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen zu „besitzen“, ausreicht, über eine Aufsichts- oder Leitungsbefugnis gegenüber der Person zu verfügen, die die unmittelbare und tatsächliche Herrschaft über diese Ware innehat.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 2015, L 336, S. 1).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Tradeinn Retail Services S.L. (im Folgenden: TRS) und PH, einem Inhaber deutscher Marken für Taucherapparate und Tauchzubehör, wegen einer Klage auf Unterlassung der Benutzung von mit diesen Marken identischen Zeichen für Tauchzubehör.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Art. 10 („Rechte aus der Marke“) der Richtlinie 2015/2436 bestimmt:
„(1) Mit der Eintragung der Marke erwirbt ihr Inhaber ein ausschließliches Recht an ihr.
(2) Der Inhaber einer eingetragenen Marke hat unbeschadet der von Inhabern vor dem Zeitpunkt der Anmeldung oder dem Prioritätstag der eingetragenen Marke erworbenen Rechte das Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr, in Bezug auf Waren oder Dienstleistungen, ein Zeichen zu benutzen, wenn
a) das Zeichen mit der Marke identisch ist und für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch sind, für die die Marke eingetragen ist;
b) das Zeichen mit der Marke identisch oder ihr ähnlich ist und für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch oder ihnen ähnlich sind, für die die Marke eingetragen ist, und für das Publikum die Gefahr einer Verwechslung besteht, die die Gefahr einschließt, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird;
c) das Zeichen mit der Marke identisch oder ihr ähnlich ist, unabhängig davon, ob es für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch sind oder denjenigen ähnlich sind oder nicht ähnlich sind, für die die Marke eingetragen ist, wenn diese in dem betreffenden Mitgliedstaat bekannt ist und die Benutzung des Zeichens die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt.
(3) Sind die Voraussetzungen des Absatzes 2 erfüllt, so kann insbesondere verboten werden,
a) das Zeichen auf Waren oder deren Verpackung anzubringen;
b) unter dem Zeichen Waren anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen oder unter dem Zeichen Dienstleistungen anzubieten oder zu erbringen;
…
e) das Zeichen in den Geschäftspapieren und in der Werbung zu benutzen;
…“
Deutsches Recht
4 Mit § 14 Abs. 2 und 3 des Gesetzes über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (Markengesetz) vom 25. Oktober 1994 (BGBl. 1994 I S. 3082) in der durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (Markenrechtsmodernisierungsgesetz) vom 11. Dezember 2018 (BGBl. 2018 I S. 2357) (im Folgenden: MarkenG) geänderten Fassung soll Art. 10 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2015/2436 in deutsches Recht umgesetzt werden.
5 Nach § 14 Abs. 2 Unterabs. 1 Nr. 1 MarkenG ist es Dritten untersagt, ohne Zustimmung des Inhabers der Marke im geschäftlichen Verkehr in Bezug auf Waren oder Dienstleistungen ein mit der Marke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die sie Schutz genießt.
6 Gemäß § 14 Abs. 3 Nrn. 1, 2 und 6 MarkenG ist es, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 erfüllt sind, insbesondere untersagt, ein mit der in Rede stehenden Marke identisches Zeichen auf Waren oder ihrer Aufmachung oder Verpackung anzubringen, unter dem Zeichen Waren anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen sowie das Zeichen in Geschäftspapieren oder in der Werbung zu benutzen.
7 § 14 Abs. 5 MarkenG sieht vor:
„Wer ein Zeichen entgegen den Absätzen 2 bis 4 benutzt, kann von dem Inhaber der Marke bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Anspruch besteht auch dann, wenn eine Zuwiderhandlung erstmalig droht.“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
8 PH ist Inhaber der beiden folgenden deutschen Wort-Bild-Marken (im Folgenden: in Rede stehende Marken):
9 Die in Rede stehenden Marken wurden beim Deutschen Patent- und Markenamt (Deutschland) u. a. für Taucherapparate, Taucheranzüge, Taucherhandschuhe, Tauchermasken und Atemgeräte zum Tauchen eingetragen.
10 Die in Spanien geschäftsansässige TRS bewarb unter Verwendung von Zeichen, die mit den in Rede stehenden Marken identisch waren, über die von ihr betriebene Website www.scubastore.com sowie die Online-Handelsplattform www.amazon.de den Verkauf von Tauchzubehör, u. a. mit Hilfe von Fotos von Waren, die mit diesen Zeichen versehen waren.
11 PH erhob beim Landgericht Nürnberg-Fürth (Deutschland) Klage gegen TRS, u. a. auf Unterlassung der Benutzung von Zeichen in Deutschland, die mit den in Rede stehenden Marken identisch sind. Insbesondere beantragte PH, TRS zu verbieten, diese Zeichen auf Tauchzubehör oder dessen Aufmachung oder Verpackung anzubringen, unter diesen Zeichen Tauchzubehör anzubieten, herzustellen, zu vertreiben oder sonst in den Verkehr zu bringen, hierfür zu werben oder diese zu den vorgenannten Zwecken zu besitzen.
12 Mit Urteil vom 3. Februar 2022 entschied das Landgericht Nürnberg-Fürth, nachdem es das Teilanerkenntnis dieser Anträge durch TRS festgestellt hatte, u. a., TRS zu verurteilen, es zu unterlassen, Tauchzubehör, das mit Zeichen versehen ist, die mit den in Rede stehenden Marken identisch sind, zum Verkauf anzubieten oder zu bewerben.
13 Auf die Berufung von PH entschied das Oberlandesgericht Nürnberg (Deutschland) mit Urteil vom 29. November 2022, einer Verurteilung von TRS wegen unbefugten Besitzes von Waren, die mit Zeichen versehen seien, die mit diesen Marken identisch seien, um sie in Deutschland anzubieten oder in den Verkehr zu bringen, stehe nicht entgegen, dass TRS ihren Sitz in Spanien habe und den Besitz an den betreffenden Waren dort ausübe. Dieses Gericht verurteilte TRS, es zu unterlassen, mit diesen Zeichen versehenes Tauchzubehör zum Verkauf anzubieten oder zu bewerben „sowie zu vertreiben oder zu vorgenanntem Zweck zu besitzen“.
14 Um dieser erweiterten Tragweite der erstinstanzlichen Anordnung entgegenzutreten, legte TRS gegen dieses Urteil Revision beim Bundesgerichtshof (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, ein.
15 Nach Ansicht dieses Gerichts enthält der Besitz von Waren, um sie im Sinne von § 14 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG anzubieten oder in den Verkehr zu bringen, ein objektives Element des Besitzes und ein subjektives Element, nämlich den Vorsatz, diese Waren in den Verkehr zu bringen.
16 Das vorlegende Gericht hat Zweifel hinsichtlich der Auslegung dieser Bestimmung im Licht von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436.
17 Es führt erstens aus, dass sich aufgrund des Territorialitätsprinzips der Schutz einer in Deutschland eingetragenen Marke auf das Gebiet dieses Mitgliedstaats beschränke und nur dort vorgenommene Handlungen geahndet werden könnten. Das vorlegende Gericht wirft die Frage auf, ob Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 im Licht dieses Territorialitätsprinzips es dem Inhaber einer in einem Mitgliedstaat geschützten Marke gestattet, einem Dritten zu verbieten, in einem anderen Mitgliedstaat Waren zu besitzen, die mit einem mit dieser Marke identischen Zeichen versehen sind, weil diese Waren dazu bestimmt sind, in dem Mitgliedstaat, in dem diese Marke geschützt ist, zum Verkauf angeboten oder in den Verkehr gebracht zu werden.
18 Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts lässt diese Bestimmung zwei Auslegungen zu. Nach einer ersten, auf dieses Territorialitätsprinzip gestützten Auslegung würde der Besitz von Waren unter diesem Zeichen in einem anderen Mitgliedstaat als dem Schutzmitgliedstaat die betreffende Marke nicht verletzen, und zwar auch dann nicht, wenn der Besitz darauf abzielen würde, diese Waren im Schutzmitgliedstaat zum Verkauf anzubieten oder in den Verkehr zu bringen.
19 Nach einer zweiten Auslegung läge eine Verletzung einer nationalen Marke vor, wenn die betreffenden Waren in einem anderen Mitgliedstaat als dem Schutzmitgliedstaat besessen würden, um sie im Schutzmitgliedstaat unter diesem Zeichen zum Verkauf anzubieten oder in den Verkehr zu bringen.
20 Zweitens stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, ob die Verwendung des Verbs „besitzen“ in der deutschen Sprachfassung von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 dahin auszulegen ist, dass diese Bestimmung verlangt, dass ein Dritter unmittelbaren Zugriff auf die betreffenden Waren hat, oder ob es ausreicht, dass dieser Dritte auf die Person einwirken kann, die über einen solchen Zugriff verfügt.
21 Hierzu führt das vorlegende Gericht aus, dass der Begriff „Besitz“ nach deutschem Recht sowohl den „unmittelbaren Besitz“ als auch den „mittelbaren Besitz“ umfasse. Unter unmittelbarem Besitz sei die tatsächliche Gewalt über eine Sache zu verstehen, die ende, wenn der Besitzer die tatsächliche Herrschaft über diese Sache aufgebe oder verliere. Besitze eine Person eine Sache vorübergehend aufgrund eines Rechts oder einer Verpflichtung gegenüber einem Dritten, sei dieser Dritte „mittelbarer Besitzer“. Wenn also ein Verkäufer einem Spediteur oder Frachtführer die verkaufte Sache übergebe, werde dieser zum unmittelbaren Besitzer und der Verkäufer zum mittelbaren Besitzer der Sache.
22 Auch wenn TRS nach deutschem Recht somit als mittelbarer Besitzer eingestuft werden könne, hat das vorlegende Gericht Zweifel, ob dies auch im Hinblick auf Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 der Fall sei. Das Markenrecht der Union verwende nicht in allen Sprachfassungen Begriffe, die dieselbe Bedeutung hätten wie das Verb „besitzen“. In einigen Sprachfassungen würden nämlich Begriffe verwendet, die sich im Wesentlichen auf die Lagerung und nicht auf den Besitz bezögen, was einen unmittelbaren Zugriff auf die betreffenden Waren impliziere. Das vorlegende Gericht schließt jedoch nicht aus, dass aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs abgeleitet werden kann, dass sich der Geltungsbereich von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 auf den mittelbaren Besitzer dieser Waren erstreckt.
23 Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Kann es der Inhaber einer nationalen Marke gemäß Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 verbieten lassen, dass eine Person im Ausland markenverletzende Ware zu dem Zweck besitzt, die Ware im Schutzland anzubieten oder in den Verkehr zu bringen?
2. Kommt es für den Begriff des Besitzes im Sinne von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 auf eine tatsächliche Zugriffsmöglichkeit auf die markenverletzende Ware an, oder reicht die Möglichkeit aus, auf denjenigen einwirken zu können, der den tatsächlichen Zugriff auf diese Ware hat?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
24 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 dahin auszulegen ist, dass der Inhaber einer in einem Mitgliedstaat geschützten Marke einem Dritten verbieten kann, im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats Waren unter einem Zeichen nach Maßgabe der in Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen zu besitzen, um diese Waren in dem Mitgliedstaat, in dem diese Marke geschützt ist, zum Verkauf anzubieten oder in den Verkehr zu bringen.
25 Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen sind, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteile vom 17. November 1983, Merck, 292/82, EU:C:1983:335, Rn. 12, und vom 8. Mai 2025, L. [Kleinsendungen nicht kommerzieller Art], C‑405/24, EU:C:2025:335, Rn. 28).
26 Art. 10 Abs. 3 Buchst. b sieht in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2436 vor, dass der Inhaber einer eingetragenen Marke Dritten verbieten kann, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr, in Bezug auf Waren oder Dienstleistungen, ein diese Marke verletzendes Zeichen zu benutzen, und dass es somit u. a. verboten werden kann, „unter dem Zeichen Waren anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen oder unter dem Zeichen Dienstleistungen anzubieten oder zu erbringen“.
27 Wie sich aus diesem Wortlaut ergibt, kann der Inhaber einer solchen Marke den Besitz von Waren unter dem Zeichen nur dann verbieten, wenn der Dritte, der im Besitz dieser Waren ist, selbst den Zweck verfolgt, diese Waren anzubieten oder in den Verkehr zu bringen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. April 2020, Coty Germany, C‑567/18, EU:C:2020:267, Rn. 45).
28 Dagegen enthält dieser Wortlaut keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass der Inhaber einer in einem Mitgliedstaat eingetragenen Marke einem Dritten verbieten kann, im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats Waren unter diesem Zeichen zu besitzen.
29 Was den Kontext betrifft, in dem Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 steht, ist darauf hinzuweisen, dass der durch die Eintragung einer nationalen Marke gewährte Schutz grundsätzlich auf das Gebiet des Eintragungsmitgliedstaats beschränkt ist, so dass der Inhaber der Marke diesen Schutz in der Regel nicht außerhalb dieses Gebiets geltend machen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Juni 1994, IHT Internationale Heiztechnik und Danzinger, C‑9/93, EU:C:1994:261, Rn. 22, sowie vom 19. April 2012, Wintersteiger, C‑523/10, EU:C:2012:220, Rn. 25).
30 Der Zweck des ausschließlichen Rechts aus der Eintragung einer Marke nach Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2436 besteht darin, dem Inhaber der betreffenden Marke den Schutz seiner spezifischen Interessen als Inhaber dieser Marke zu ermöglichen, d. h., sicherzustellen, dass die Marke ihre Funktionen erfüllen kann. Die Ausübung dieses Rechts muss daher auf Fälle beschränkt bleiben, in denen die Benutzung des Zeichens durch einen Dritten die Funktionen der Marke beeinträchtigt oder beeinträchtigen könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. November 2002, Arsenal Football Club, C‑206/01, EU:C:2002:651, Rn. 50 bis 54). Zu diesen Funktionen gehören nicht nur die Hauptfunktion der Marke, die Gewährleistung der Herkunft der betreffenden Ware oder Dienstleistung gegenüber den Verbrauchern, sondern auch ihre anderen Funktionen wie u. a. die Gewährleistung der Qualität dieser Ware oder Dienstleistung oder die Kommunikations‑, Investitions- oder Werbefunktionen (Urteil vom 25. Januar 2024, Audi [Emblemhalterung auf einem Kühlergrill], C‑334/22, EU:C:2024:76, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).
31 Dieser Zweck und der geografische Schutzumfang der Marke haben mehrere Konsequenzen für die Auslegung von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436.
32 Erstens ist der Inhaber einer nationalen Marke berechtigt, einem Dritten zu verbieten, Waren unter dem Zeichen, dessen Benutzung diese Marke verletzt, im Eintragungsmitgliedstaat in den Verkehr zu bringen, wobei solche Waren jedoch nicht als in den Verkehr gebracht gelten, wenn sie einem Nichterhebungsverfahren wie dem des externen Versandverfahrens unterliegen und nicht in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. November 2006, Montex Holdings, C‑281/05, EU:C:2006:709, Rn. 19 bis 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).
33 Zweitens kann der Inhaber einer nationalen Marke einem Dritten verbieten, im Gebiet des Eintragungsmitgliedstaats Waren unter diesem Zeichen anzubieten. Der Inhaber kann somit einem solchen Anbieten widersprechen, und zwar auch dann, wenn es sich auf Waren bezieht, die in das Zollverfahren des externen Versandverfahrens übergeführt worden sind, sofern es die Überführung dieser Waren in den zollrechtlich freien Verkehr notwendig impliziert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Oktober 2005, Class International, C‑405/03, EU:C:2005:616, Rn. 61).
34 Außerdem hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Inhaber einer Marke einem Dritten verbieten kann, Waren unter diesem Zeichen u. a. durch Onlinewerbung anzubieten, und zwar auch dann, wenn sich der Dritte, der Server der von ihm benutzten Website oder diese Waren außerhalb des Eintragungsmitgliedstaats befinden, falls sich das Angebot oder die Werbung an Verbraucher in dem Gebiet dieses Mitgliedstaats richtet. Andernfalls würden nämlich die Wirtschaftsteilnehmer, die den elektronischen Geschäftsverkehr nutzen und Verbrauchern, die sich in diesem Gebiet befinden, Waren anbieten, die sich außerhalb dieses Gebiets befinden, jeder Verpflichtung zur Beachtung der Rechte aus dieser Marke entgehen, was die praktische Wirksamkeit des durch die Richtlinie 2015/2436 gewährleisteten Schutzes beeinträchtigen würde (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Juli 2011, L'Oréal u. a., C‑324/09, EU:C:2011:474, Rn. 62 und 63, sowie vom 6. Februar 2014, Blomqvist, C‑98/13, EU:C:2014:55, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
35 Der Gerichtshof hat klargestellt, dass die bloße Zugänglichkeit einer Website im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem die betreffende Marke geschützt ist, nicht den Schluss zulässt, dass sich die auf dieser Website angezeigten Verkaufsangebote an Verbraucher in diesem Gebiet richten. Es ist Sache der nationalen Gerichte, im Einzelfall zu prüfen, ob relevante Indizien vorliegen, die darauf schließen lassen, dass sich ein Verkaufsangebot, das auf einer Website oder einer Online-Verkaufsplattform angezeigt wird, die in diesem Gebiet zugänglich sind, an dort ansässige Verbraucher richtet. Zu diesen Indizien gehören auch die in diesem Verkaufsangebot gemachten Angaben der geografischen Gebiete, in die der betreffende Dritte bereit ist, die in Rede stehende Ware zu liefern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juli 2011, L'Oréal u. a., C‑324/09, EU:C:2011:474, Rn. 64 und 65).
36 Drittens schließlich erlaubt Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 dem Inhaber einer Marke, einem Dritten nicht nur zu verbieten, unter einem Zeichen, dessen Benutzung diese Marke verletzt, Waren anzubieten und in den Verkehr zu bringen, sondern auch, wie in den Rn. 26 und 27 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, sie „zu den genannten Zwecken zu besitzen“. Diese Bestimmung bezieht sich also nur auf den Besitz solcher Waren durch einen Dritten, wenn dieser Besitz die Voraussetzung für ein Anbieten oder Inverkehrbringen darstellt, das der Inhaber einer Marke verbieten darf.
37 Wie sich aus Rn. 34 des vorliegenden Urteils ergibt, kann der Inhaber einer Marke einem Dritten verbieten, Waren unter diesem Zeichen u a. durch Onlinewerbung anzubieten, und zwar auch dann, wenn sich der Dritte, der Server der von ihm benutzten Website oder diese Waren außerhalb des Eintragungsmitgliedstaats befinden, falls sich das Angebot an Verbraucher in dem Gebiet dieses Mitgliedstaats richtet. In einer solchen Situation ist der Inhaber auch berechtigt, dem Dritten zu verbieten, die Waren außerhalb dieses Gebiets zu besitzen, wenn dieser Besitz eine Vorstufe zur Abgabe oder Ausführung eines solchen Angebots darstellt, so dass der Besitz als zu diesem Zweck ausgeübt angesehen werden kann.
38 Im vorliegenden Fall geht aus den Angaben des vorlegenden Gerichts hervor, dass im Ausgangsverfahren die Online-Handelsplattform www.amazon.de in Ermangelung gegenteiliger Beweise offenbar an Verbraucher in dem Gebiet gerichtet ist, das durch die in Rede stehenden Marken erfasst wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 7. Dezember 2010, Pammer und Hotel Alpenhof, C‑585/08 und C‑144/09, EU:C:2010:740, Rn. 83, sowie vom 12. Juli 2011, L'Oréal u. a., C‑324/09, EU:C:2011:474, Rn. 66). Daher fallen die Verkaufsangebote auf dieser Plattform, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens sind, vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen in den Anwendungsbereich von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436.
39 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 dahin auszulegen ist, dass der Inhaber einer in einem Mitgliedstaat geschützten Marke einem Dritten verbieten kann, im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats Waren unter einem Zeichen nach Maßgabe der in Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen zu besitzen, um diese Waren in dem Mitgliedstaat, in dem diese Marke geschützt ist, zum Verkauf anzubieten oder in den Verkehr zu bringen.
Zur zweiten Frage
40 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 dahin auszulegen ist, dass es, um eine Ware im Sinne dieser Bestimmung unter einem Zeichen nach Maßgabe der in Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen zu „besitzen“, erforderlich ist, die unmittelbare und tatsächliche Herrschaft über diese Ware zu haben, oder ob es ausreicht, über eine Aufsichts- oder Leitungsbefugnis gegenüber der Person zu verfügen, die die unmittelbare und tatsächliche Herrschaft über diese Ware innehat.
41 Das vorlegende Gericht hat ausgeführt, dass die Zweifel, die seine zweite Frage rechtfertigten, auf Abweichungen zwischen den verschiedenen Sprachfassungen von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 beruhten. Die deutsche Sprachfassung dieser Bestimmung könne dahin ausgelegt werden, dass, eine Ware zu „besitzen“, nicht notwendigerweise bedeute, dass man Zugriff auf sie habe, während in anderen Sprachfassungen der Bestimmung Ausdrücke verwendet würden, die das Gegenteil nahelegten.
42 Insoweit ist festzustellen, dass die deutsche Fassung von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 (besitzen) sowie die französische (détenir) und die rumänische (deținute) sich zwar auf den Besitz beziehen, in anderen Sprachfassungen dieser Bestimmung jedoch Ausdrücke verwendet werden, die auf den Gedanken der Lagerung abstellen, wie diejenigen Ausdrücke, die im Spanischen (almacenar), Dänischen (oplagre), Englischen (stocking), Italienischen (stoccare) oder Schwedischen (lagra) verwendet werden. Die letztgenannten Ausdrücke könnten somit darauf hindeuten, dass diese Bestimmung die Aufbewahrung einer Gesamtheit von Waren betrifft, während der Ausdruck „Besitz“ nicht auf einen solchen quantitativen Aspekt schließen lässt und einen weiteren Sinn hat.
43 Weichen die Sprachfassungen einer Vorschrift des Unionsrechts voneinander ab, muss sie nach ständiger Rechtsprechung anhand der allgemeinen Systematik und des Zwecks der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört (Urteile vom 27. März 1990, Cricket St Thomas, C‑372/88, EU:C:1990:140, Rn. 19, und vom 8. Mai 2025, Pielatak, C‑410/23, EU:C:2025:325, Rn. 58 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Ferner ist bei mehreren möglichen Auslegungen einer Vorschrift des Unionsrechts derjenigen der Vorzug zu geben, die die praktische Wirksamkeit der Vorschrift zu wahren geeignet ist (Urteile vom 24. Februar 2000, Kommission/Frankreich, C‑434/97, EU:C:2000:98, Rn. 21, und vom 23. November 2023, EVN Business Service u. a., C‑480/22, EU:C:2023:918, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).
44 Trotz der in Rn. 42 des vorliegenden Urteils genannten sprachlichen Abweichungen impliziert jede Formulierung in Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436, unabhängig davon, ob sie sich eindeutig auf den Besitz bezieht oder eher auf den Gedanken der Lagerung abstellt, eine tatsächliche Gewalt und damit eine gewisse Kontrolle über die betreffenden Waren. Jedenfalls gehört diese Bestimmung, wie der Generalanwalt in Nr. 54 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, zu den Vorschriften, die bezwecken, dem Inhaber einer Marke ein rechtliches Instrument an die Hand zu geben, das es ihm ermöglicht, jedes Verhalten eines Dritten, der ein Zeichen unter den in Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen benutzt, zu verbieten und somit zu beenden. Insoweit ist davon auszugehen, dass jeder Dritte, der unmittelbar oder mittelbar die Herrschaft über die Handlung hat, die dieses Verhalten begründet, tatsächlich in der Lage ist, die Benutzung zu beenden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. April 2020, Coty Germany, C‑567/18, EU:C:2020:267, Rn. 37 und 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).
45 Daraus folgt, dass der Begriff „besitzen“ in Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 nicht nur die Fälle erfasst, in denen der Dritte die unmittelbare und tatsächliche Herrschaft über die betreffenden Waren hat, sondern auch die Fälle seiner mittelbaren, aber dennoch tatsächlichen Herrschaft über diese Waren, da er über eine Aufsichts- oder Leitungsbefugnis gegenüber der Person verfügt, die die unmittelbare und tatsächliche Herrschaft über diese Waren innehat.
46 Wäre diese Bestimmung nur auf einen Dritten anwendbar, der unmittelbar über die tatsächliche Herrschaft über die betreffenden Waren verfügt, wäre es dem Markeninhaber nicht möglich, einen Wirtschaftsteilnehmer auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen, der die Waren ohne seine Zustimmung, um sie anzubieten oder in den Verkehr zu bringen, einem Dienstleister übergibt, damit dieser zu den genannten Zwecken Dienstleistungen wie die Lagerung oder den Transport der Waren erbringt. Eine solche Auslegung wäre, wie der Generalanwalt in Nr. 62 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, mit dem Ziel der Richtlinie 2015/2436 unvereinbar und würde dem durch diese Richtlinie garantierten Schutz teilweise seine praktische Wirksamkeit nehmen.
47 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436 dahin auszulegen ist, dass es, um eine Ware im Sinne dieser Bestimmung unter einem Zeichen nach Maßgabe der in Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen zu „besitzen“, ausreicht, über eine Aufsichts- oder Leitungsbefugnis gegenüber der Person zu verfügen, die die unmittelbare und tatsächliche Herrschaft über diese Ware innehat.
Kosten
48 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.