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Wirtschaftsrecht
04.09.2025
Wirtschaftsrecht
EuGH: Markenrecht – Allgemeiner Grundsatz des innerstaatlichen Rechts und Verwirkung

EuGH, Urteil vom 1.8.2025 – C-452/24, Lunapark Scandinavia Oy Ltdgegen Hardeco Finland Oy

ECLI:EU:C:2025:618

Volltext: BB-Online BBL2025-2049-1

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

Art. 10 der Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ist dahin auszulegen, dass er der Anwendbarkeit eines allgemeinen Grundsatzes des innerstaatlichen Rechts entgegensteht, der die Verwirkung des Rechts des Inhabers einer eingetragenen Marke, einem Dritten die Benutzung eines mit dieser Marke identischen oder ihr ähnlichen Zeichens für Waren, die mit denjenigen identisch oder ihnen ähnlich sind, für die die Marke eingetragen ist, zu verbieten, in einem anderen als dem in Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 oder 2 dieser Richtlinie genannten Fall vorsieht.

 

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 10 der Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 2015, L 336, S. 1).

 

2          Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Lunapark Scandinavia Oy Ltd (im Folgenden: Lunapark) und der Hardeco Finland Oy (im Folgenden: Hardeco) über den Vertrieb von Süßwaren durch Hardeco, die die Marke, deren Inhaberin Lunapark ist, angeblich verletzen.

 

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3          Im zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 2015/2436 heißt es:

„Es muss unbedingt gewährleistet sein, dass eingetragene Marken im Recht aller Mitgliedstaaten einen einheitlichen Schutz genießen. …“

 

4          Art. 9 („Ausschluss der Nichtigerklärung aufgrund von Duldung“) der Richtlinie lautet:

„(1) Hat in einem Mitgliedstaat der Inhaber einer älteren Marke im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 oder Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe a die Benutzung einer später eingetragenen Marke in diesem Mitgliedstaat während eines Zeitraums von fünf aufeinanderfolgenden Jahren in Kenntnis dieser Benutzung geduldet, so kann dieser Inhaber für die Waren oder Dienstleistungen, für die die jüngere Marke benutzt worden ist, aufgrund der älteren Marke keine Nichtigerklärung der jüngeren Marke verlangen, es sei denn, die Anmeldung der jüngeren Marke wurde bösgläubig vorgenommen.

(2) Mitgliedstaaten können vorsehen, dass Absatz 1 dieses Artikels auch für den Inhaber eines sonstigen in Artikel 5 Absatz 4 Buchstabe a oder b genannten älteren Rechts gilt.

(3) In den Fällen der Absätze 1 oder 2 kann der Inhaber der später eingetragenen Marke sich der Benutzung des älteren Rechts nicht widersetzen, auch wenn dieses Recht gegenüber der jüngeren Marke nicht mehr geltend gemacht werden kann.“

 

5          Art. 10 („Rechte aus der Marke“) der Richtlinie bestimmt:

„(1) Mit der Eintragung der Marke erwirbt ihr Inhaber ein ausschließliches Recht an ihr.

(2) Der Inhaber einer eingetragenen Marke hat unbeschadet der von Inhabern vor dem Zeitpunkt der Anmeldung oder dem Prioritätstag der eingetragenen Marke erworbenen Rechte das Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr, in Bezug auf Waren oder Dienstleistungen, ein Zeichen zu benutzen, wenn

a) das Zeichen mit der Marke identisch ist und für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch sind, für die die Marke eingetragen ist;

b) das Zeichen mit der Marke identisch oder ihr ähnlich ist und für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch oder ihnen ähnlich sind, für die die Marke eingetragen ist, und für das Publikum die Gefahr einer Verwechslung besteht, die die Gefahr einschließt, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird;

c) das Zeichen mit der Marke identisch oder ihr ähnlich ist, unabhängig davon, ob es für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch sind oder denjenigen ähnlich sind oder nicht ähnlich sind, für die die Marke eingetragen ist, wenn diese in dem betreffenden Mitgliedstaat bekannt ist und die Benutzung des Zeichens die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt.

…“

 

6          Art. 18 („Zwischenrecht des Inhabers einer später eingetragenen Marke als Einrede in Verletzungsverfahren“) Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:

„In Verletzungsverfahren ist der Inhaber einer Marke nicht berechtigt, die Benutzung einer später eingetragenen Marke zu untersagen, wenn diese jüngere Marke nach Maßgabe von Artikel 8, Artikel 9 Absätze 1 oder 2 oder Artikel 46 Absatz 3 nicht für nichtig erklärt werden könnte.“

 

Finnisches Recht

7          Die Richtlinie 2015/2436 wurde durch das Tavaramerkkilaki (544/2019) (Markengesetz [544/2019]) vom 26. April 2019, das am 1. Mai 2019 in Kraft trat, in finnisches Recht umgesetzt.

 

8          Nach § 5 des Markengesetzes darf zum einen ein Zeichen, das mit einer für identische Waren oder Dienstleistungen eingetragenen oder durch Benutzung erworbenen Marke identisch ist, und zum anderen ein Zeichen, das wegen seiner Identität oder Ähnlichkeit mit einer Marke, die für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragen oder durch Benutzung erworben worden ist, für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen hervorruft, nicht ohne Zustimmung des Markeninhabers im geschäftlichen Verkehr für Waren oder Dienstleistungen benutzt werden.

 

9          Nach § 6 Abs. 1 des Markengesetzes darf der Inhaber einer Marke die Benutzung eines Zeichens im Sinne von § 5 dieses Gesetzes u. a. dann untersagen, wenn es sich um die Benutzung dieses Zeichens für Waren oder Dienstleistungen oder auf der Verpackung von Waren oder um das Angebot, das Inverkehrbringen oder die Einfuhr von Waren unter dem Zeichen handelt.

 

10        Gemäß § 15 dieses Gesetzes, der die Wirkung der Untätigkeit des Markeninhabers betrifft, bleibt das ausschließliche Recht an der Marke neben der älteren Marke bestehen, wenn die Eintragung der jüngeren Marke in gutem Glauben beantragt oder die durch Benutzung erworbene jüngere Marke in gutem Glauben benutzt wurde und der Inhaber der älteren Marke nicht innerhalb von fünf Jahren, nachdem er von der Benutzung der jüngeren Marke Kenntnis erlangt hat, Maßnahmen ergriffen hat, um die Benutzung der jüngeren Marke zu verhindern.

 

11        Nach § 62 dieses Gesetzes kann ein Gericht einer Person, die ein ausschließliches Recht an einer Marke verletzt, die Fortsetzung oder Wiederholung der Verletzungshandlung unter Androhung eines Zwangsgeldes verbieten.

 

12        Gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 1 des Markengesetzes kann ein Gericht die Benutzung einer jüngeren Marke nicht verbieten, wenn der Inhaber der betroffenen älteren Marke untätig im Sinne von § 15 dieses Gesetzes geblieben ist.

 

13        § 70 dieses Gesetzes legt die Ausschlussfrist für den Anspruch auf Entschädigung und Schadensersatz wegen Verletzung eines Markenrechts fest und sieht in Abs. 1 vor, dass Entschädigung und Schadensersatz nur für den Zeitraum von fünf Jahren vor Erhebung der entsprechenden Klage gefordert werden können.

 

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

14        Lunapark ist Inhaberin der am 29. August 2003 angemeldeten und am 14. August 2009 unter der Nr. 246144 für Süßwaren eingetragenen Marke DRACULA. Sie importiert solche Produkte, auf deren Verpackungen die Wortmarke DRACULA sowie Bildzeichen, die die Figur Dracula darstellen, benutzt werden, und vertreibt sie auf dem finnischen Markt.

 

15        Vor der Eintragung dieser Marke von Lunapark importierte die Karkkimies Oy – Candyman Ltd (im Folgenden: Karkkimies) Süßwaren mit dem Zeichen Dracula und vertrieb sie auf diesem Markt. Karkkimies hatte an diesen Zeichen kein auf Eintragung oder Benutzung beruhendes ausschließliches Recht, und zwischen ihr und Lunapark bestand keine Vereinbarung über das Recht, die Marke DRACULA zu benutzen.

 

16        Am 31. Oktober 2019 erwarb Hardeco Karkkimies, deren Geschäftstätigkeit sie fortführte. Infolgedessen begann Hardeco ab November 2019, Süßwaren in Produktverpackungen mit dem Wort „Dracula“ und mit Bildzeichen, die die entsprechende Figur darstellten, zu importieren und auf diesen Markt zu bringen.

 

17        Am 6. Oktober 2020 erhob Lunapark beim Markkinaoikeus (Marktgericht, Finnland) eine Klage, mit der sie beantragte, dass festgestellt wird, dass das Verhalten von Hardeco ihr ausschließliches Recht an der Marke DRACULA verletzt, dass diese Verletzung verboten wird, und dass ihr der daraus folgende Schaden ersetzt wird.

 

18        Hardeco beantragte, die Klage abzuweisen, und machte hierzu u. a. geltend, dass Lunapark wegen ihrer Untätigkeit das Recht verwirkt habe, gegen Hardeco eine Klage wegen der Verletzung der Marke DRACULA zu erheben. Hardeco machte geltend, dass sie sich darauf beschränke, eine langjährige Praxis von Karkkimies fortzuführen, der Lunapark nie widersprochen habe.

 

19        Mit Urteil vom 21. Dezember 2022 stellte das Markkinaoikeus (Marktgericht) fest, dass das Zeichen und die kollidierende Marke identisch seien, dass sie für identische Waren benutzt würden und dass die Benutzung dieses Zeichens durch Hardeco für die maßgeblichen Verkehrskreise zu einer Gefahr der Verwechslung mit der Marke DRACULA führe. Dieses Gericht war der Ansicht, dass die langjährige parallele Benutzung der Zeichen durch Lunapark und Karkkimies diese Gefahr nicht beseitigt habe, da diese Benutzung nicht dazu geführt habe, dass die maßgeblichen Verkehrskreise die von der einen Gesellschaft importierten Süßwaren von den von der anderen Gesellschaft importierten Süßwaren unterschieden.

 

20        Das Marktgericht wies jedoch die Anträge von Lunapark zurück. Es war der Auffassung, dass die im Markengesetz enthaltenen Vorschriften über die Folgen der Untätigkeit des Markeninhabers auf diesen Fall nicht anzuwenden seien, weil Hardeco nicht über ein ausschließliches Recht an den von ihr benutzten Zeichen verfügt habe. Nach einem im finnischen Zivilrecht weitgehend angewandten Grundsatz müsse ein Antragsteller seine Klage oder seinen Anspruch jedoch innerhalb angemessener Zeit nach dem Zeitpunkt erheben bzw. geltend machen, zu dem die Person die den Anspruch geltend mache, von den dem Anspruch zugrunde liegenden Tatsachen Kenntnis erlangt habe oder hätte erlangen müssen. Im vorliegenden Fall habe die Untätigkeit von Lunapark so lange angedauert, dass sie zur Verwirkung ihres Rechts geführt habe, gegen Hardeco eine Klage wegen Verletzung der Rechte aus der Marke DRACULA zu erheben. Der Umstand, dass das fragliche Zeichen nunmehr von Hardeco anstelle von Karkkimies benutzt werde, sei unerheblich, da die Tätigkeit von Hardeco die gleichen Süßwaren betroffen habe wie jene, die Karkkimies vertrieben habe, in Bezug auf die Lunapark untätig geblieben sei.

 

21        Lunapark hat gegen das Urteil des Markkinaoikeus (Marktgericht) Rechtsmittel beim Korkein oikeus (Oberstes Gericht, Finnland), dem vorlegenden Gericht, eingelegt.

 

22        Zur Stützung ihres Rechtsmittels macht Lunapark geltend, dass der vom Markkinaoikeus (Marktgericht) geltend gemachte allgemeine Grundsatz des Zivilrechts im vorliegenden Fall nicht angewandt werden könne, da dies darauf hinauslaufe, das ausschließliche Recht, das eine Marke ihrem Inhaber verleihe, unter Verstoß gegen die Richtlinie 2015/2436 einzuschränken. Außerdem sei sie jedenfalls innerhalb einer angemessenen Frist gegen das Verhalten von Hardeco vorgegangen, und ihre Untätigkeit gegenüber Karkkimies dürfe Hardeco keinesfalls zugutekommen. Hardeco macht dagegen geltend, dass keine Bestimmung dieser Richtlinie der Anwendung des genannten allgemeinen Grundsatzes des Zivilrechts und den vorgesehenen Folgen der Untätigkeit des Markeninhabers für sein Recht, die Benutzung dieser Marke zu verbieten, im vorliegenden Fall entgegenstehe.

 

23        Dem vorlegenden Gericht zufolge sei die Frage, ob Art. 10 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2015/2436 der Anwendung eines solchen Grundsatzes entgegenstehe, in der Rechtsprechung des Gerichtshofs noch nicht behandelt worden.

 

24        Aus diesem Grund möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Inhaber einer Marke durch Untätigkeit sein Recht, einem Dritten zu verbieten, ein Zeichen in einer Weise zu benutzen, die eine der Funktionen der Marke beeinträchtigt oder beeinträchtigen kann, in anderen Fällen als dem in der Richtlinie 2015/2436 geregelten Ausschluss aufgrund von Duldung verwirken kann.

 

25        Unter diesen Umständen hat das Korkein oikeus (Oberstes Gericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Steht Art. 10 der Richtlinie 2015/2436 dem entgegen, in einem Rechtsstreit über die Verletzung einer Marke einen innerstaatlichen Grundsatz anzuwenden, wonach der Inhaber einer Marke auch in anderen als den von Art. 18 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 oder 2 der Richtlinie erfassten Fällen das ihm nach Art. 10 Abs. 2 und 3 zustehende Recht, einem Dritten die Benutzung eines Zeichens zu verbieten, dessen Benutzung eine der Funktionen der Marke beeinträchtigt oder beeinträchtigen kann, verwirken kann, weil er in Kenntnis der Benutzung der Marke nicht innerhalb angemessener Zeit beantragt hat, diese Benutzung zu verbieten?

 

Zur Vorlagefrage

26        Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 10 der Richtlinie 2015/2436 dahin auszulegen ist, dass er der Anwendbarkeit eines allgemeinen Grundsatzes des innerstaatlichen Rechts entgegensteht, der die Verwirkung des Rechts des Inhabers einer eingetragenen Marke vorsieht, einem Dritten die Benutzung eines mit dieser Marke identischen oder ihr ähnlichen Zeichens für Waren, die mit denjenigen identisch oder ihnen ähnlich sind, für die die Marke eingetragen ist, in einem anderen als dem in Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 oder 2 dieser Richtlinie genannten Fall zu verbieten.

 

27        Zur Beantwortung dieser Frage ist zum einen darauf hinzuweisen, dass nach Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2436 mit der Eintragung der Marke ihr Inhaber ein ausschließliches Recht an ihr erwirbt. Nach Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie hat dieser Inhaber das Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr ein mit dieser Marke identisches oder ihr ähnliches Zeichen zu benutzen, wenn die in Abs. 2 Buchst. a, b oder c genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

 

28        Art. 10 der Richtlinie 2015/2436 nimmt eine umfassende Harmonisierung der Vorschriften über die Rechte aus der Marke vor und legt den materiellen Gehalt der Rechte von Markeninhabern in der Europäischen Union fest (Urteil vom 27. Oktober 2022, Soda-Club [CO2] und SodaStream International, C‑197/21, EU:C:2022:834, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

29        Zum anderen beschränkt Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2436 das Recht des Inhabers einer Marke, die Benutzung einer später eingetragenen Marke in einem Verletzungsverfahren zu untersagen, wenn diese jüngere Marke nach Maßgabe von u. a. Art. 9 Abs. 1 oder 2 dieser Richtlinie, der den Ausschluss der Nichtigerklärung aufgrund von Duldung betrifft, nicht für nichtig erklärt werden könnte.

 

30        Nach der letztgenannten Bestimmung kann der Inhaber einer älteren Marke, der die Benutzung einer später eingetragenen Marke in diesem Mitgliedstaat während eines Zeitraums von fünf aufeinanderfolgenden Jahren in Kenntnis dieser Benutzung geduldet hat, für die Waren oder Dienstleistungen, für die diese jüngere Marke benutzt worden ist, aufgrund der älteren Marke keine Nichtigerklärung der jüngeren Marke verlangen, es sei denn, die Anmeldung der jüngeren Marke wurde bösgläubig vorgenommen.

 

31        Was insbesondere den Ausschluss aufgrund von Duldung in einem Verfahren auf Nichtigerklärung betrifft, hat der Gerichtshof in Rn. 33 des Urteils vom 22. September 2011, Budějovický Budvar (C‑482/09, EU:C:2011:605), entschieden, dass Art. 9 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1), jetzt Art. 9 der Richtlinie 2015/2436, eine umfassende Harmonisierung der Voraussetzungen vornimmt, unter denen der Inhaber einer jüngeren eingetragenen Marke sein Recht an dieser Marke behalten kann, wenn der Inhaber einer identischen älteren Marke die Nichtigerklärung dieser jüngeren Marke beantragt.

 

32        In Anbetracht dessen, dass sowohl Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2436 als auch deren Art. 9 Abs. 1 oder 2, auf den die erstgenannte dieser Bestimmungen verweist, einen potenziellen Konflikt zwischen zwei eingetragenen Marken betreffen, ist diese Rechtsprechung, die den Ausschluss aufgrund von Duldung in einem Verfahren auf Nichtigerklärung betrifft, auf den Ausschluss aufgrund von Duldung, der im Rahmen einer gegen eine später eingetragene Marke erhobenen Verletzungsklage geltend gemacht wird, übertragbar.

 

33        Folglich nimmt Art. 18 Abs. 1 dieser Richtlinie eine umfassende Harmonisierung der Voraussetzungen vor, unter denen die durch eine Marke verliehenen ausschließlichen Rechte im Fall der Untätigkeit ihres Inhabers eingeschränkt werden können, und erfasst – unter bestimmten Voraussetzungen – nur die Duldung einer später eingetragenen Marke, nicht aber die Duldung eines nicht geschützten Zeichens, das kein ausschließliches Recht gewährt.

 

34        Im vorliegenden Fall haben weder Karkkimies noch Hardeco, wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, trotz des Umstands, dass die Benutzung des Zeichens Dracula durch Karkkimies zu einem Zeitpunkt vor der Eintragung der Marke DRACULA durch Lunapark begann, weder durch Eintragung noch aufgrund dieser Benutzung ein ausschließliches Recht an diesem Zeichen erworben, was jedoch vom vorlegenden Gericht zu überprüfen ist.

 

35        In diesem Zusammenhang möchte das vorlegende Gericht, ohne die Unanwendbarkeit von Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 oder 2 der Richtlinie 2015/2436 im Rahmen der Verletzungsklage im Ausgangsverfahren in Frage zu stellen, allerdings wissen, ob eine Beschränkung des Rechts des Inhabers der Marke DRACULA, sich der Benutzung des Zeichens Dracula zu widersetzen, auf einen allgemeinen Grundsatz des innerstaatlichen Rechts gestützt werden kann, wonach die Untätigkeit des Inhabers einer Marke innerhalb einer angemessenen Frist zur Verwirkung seines Rechts führt.

 

36        Wie sich aus den vorstehenden Gründen ergibt und wie im Übrigen die finnische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen geltend macht, kann ein nationales Gericht im Rahmen eines Rechtsstreits über das ausschließliche Recht aus einer Marke die Ausübung dieses Rechts nicht über das in Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2436 in Verbindung mit deren Art. 9 Abs. 1 oder 2 vorgesehene Maß hinaus beschränken.

 

37        Eine gegenteilige Auslegung von Art. 10 und Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2436 würde dem mit dieser Richtlinie verfolgten Ziel zuwiderlaufen, das, wie es in ihrem zehnten Erwägungsgrund heißt, u. a. darin besteht, einen einheitlichen Schutz eingetragener Marken im Recht aller Mitgliedstaaten zu gewährleisten.

 

38        Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 10 der Richtlinie 2015/2436 dahin auszulegen ist, dass er der Anwendbarkeit eines allgemeinen Grundsatzes des innerstaatlichen Rechts entgegensteht, der die Verwirkung des Rechts des Inhabers einer eingetragenen Marke, einem Dritten die Benutzung eines mit dieser Marke identischen oder ihr ähnlichen Zeichens für Waren, die mit denjenigen identisch oder ihnen ähnlich sind, für die die Marke eingetragen ist, zu verbieten, in einem anderen als dem in Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 oder 2 dieser Richtlinie genannten Fall vorsieht.

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