OLG Dresden: Löschung eines E-Mail-Account nach Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses
OLG Dresden, Beschluss vom 6.9.2012 - 4 W 961/12
Leitsatz
Wird im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses von einer Partei für die andere ein E-Mailaccount angelegt, darf dieser nach Kündigung des Vertrages solange nicht gelöscht werden, wie nicht feststeht, dass der Nutzer für die auf dem account abgelegten Daten keine Verwendung mehr hat. Die Verletzung dieser Pflicht kann einen Schadensersatzanspruch auslösen.
Aus den Gründen
I. Der Antragsteller war in der Zeit vom 7.3. bis 24.5.2011 als Fahrradkurier für den vom Antragsgegner betriebenen Fahrradkurierdienst Q... tätig. An Weisungen war er in dieser Zeit nicht gebunden, seine Arbeitszeit war nicht eingeschränkt, über die Annahme von Aufträgen durch die Zentrale konnte er eigenverantwortlich entscheiden. Nach Ziff. IV Nr. 1 des zwischen den Parteien geschlossenen „Transportvertrages" erhielt er für die Dauer der Vertragslaufzeit ein iPhone nebst Zubehör. Dieses forderte der Antragsgegner nach Beendigung der Zusammenarbeit heraus, was der Antragsteller verweigerte. Mit Schreiben vom 17.7.2011 (K 1) stellte der Antragsgegner daraufhin dem Antragsteller „die unberechtigt einbehaltenen und damit gestohlenen Gegenstände" in Rechnung. Der Antragsteller behauptet, der Antragsgegner habe sich in gleicher Weise auch gegenüber Dritten geäußert und vertritt die Auffassung, er werde hierdurch in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Des weiteren sei der Antragsgegner verpflichtet, ihm für den Monat April 2011 noch einmal und für Mai 2011 erstmals Auskunft über den Umfang der von ihm erbrachten Kurierleistungen zu erteilen und festzustellen, dass der Antragsgegner zur Herausgabe der sich nach Auskunft ergebenden Beträge verpflichtet ist sowie des weiteren sämtliche auf dem an ihn vermieteten E-Mail Account vorhandenen Daten an ihn herauszugeben.
Das Landgericht hat es abgelehnt, dem Antragsteller für die o.a. Anträge Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ausgeführt, der Antragsgegner habe bereits nicht konkret vorgetragen, wann die behaupteten Äußerungen gegenüber Dritten gefallen seien. Auskunft über die erbrachten Kurierfahrten, die er selbst erbracht habe, könne er nicht verlangen. Für einen Feststellungsantrag fehle es an einem Feststellungsinteresse. Auch einen Anspruch auf Herausgabe der auf dem Account gespeicherten Daten könne er nicht geltend machen, nachdem er mehrfach von dem Antragsgegner aufgefordert worden sei, sich deswegen mit ihm in Verbindung zu setzen, hierauf jedoch nicht reagiert habe.
Der sofortigen Beschwerde des Antragstellers hat das Landgericht nicht abgeholfen.
II. Die sofortige Beschwerde des bedürftigen Antragstellers (ASt.) hat Erfolg und führt zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses und zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang. Die weitergehende Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Dem ASt. steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 2, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog nicht zu. Dabei kann dahinstehen, ob sich dem Vorbringen die hinreichend konkrete Behauptung entnehmen lässt, der Antragsgegner (Ag.) habe sich auch gegenüber Dritten in einer dem Schreiben vom 17.7.2011 vergleichbaren Weise geäußert.
Eine solche Äußerung müsste der ASt. nämlich hinnehmen. Die Äußerung, der ASt. habe die ihm überlassenen Gegenstände „unberechtigt einbehalten und damit gestohlen" enthält zum einen die - unstreitig wahre - Behauptung, der ASt. habe diese Gegenstände nach Vertragsschluss entgegen Ziff. IV Nr. 1 („während der gesamten Vertragslaufzeit") nicht wieder herausgegeben. Die hieraus abgeleitete Schlussfolgerung, er habe diese „gestohlen" ist hingegen als Meinungsäußerung außerhalb des Bereichs der Schmähkritik einem Unterlassungsanspruch entzogen. Die Einstufung eines Vorgangs als strafrechtlich relevant ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nicht als Tatsachenbehauptung anzusehen (BGH VersR 2005, 277; NJW 1982, 2246). Enthält eine Äußerung einen rechtlichen Fachbegriff, deutet dies zunächst darauf hin, dass sie als Rechtsauffassung und damit als Meinungsäußerung aufzufassen ist (BGH NJW 2005, 280, 282). Anders ist dies lediglich dann, wenn diese Beurteilung des Sachverhalts nicht als Rechtsauffassung kenntlich gemacht wird, sondern bei dem Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, nachprüfbaren und dem Beweis zugänglichen, in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorruft (BGH, NJW 1982, 2246; NJW 2005, 280, 282; OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.3.3005 - 15 U 167/04 - juris; OLG Celle AfP 2002, 508). So liegt der Fall hier hingegen nicht. Aus dem Schreiben K 1 und der dortigen Verknüpfung des unberechtigten Einbehalts mit dem „Diebstahl" wird vielmehr deutlich, dass der Ag. dem ASt. nicht die Wegnahme als Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams, sondern die seiner Auffassung nach unberechtigte Rückgabeverweigerung vorhält. Einen solchen Vorwurf muss der ASt. unbeschadet der Berechtigung seines vermeintlichen Pfandrechts aber hinnehmen.
2. Zutreffend hat das Landgericht auch den Auskunftsanspruch für den Monat April 2011 abgelehnt. Nach ständiger Rechtsprechung besteht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine Auskunftspflicht, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, er sich die zur Vorbereitung und Durchsetzung seines Anspruchs notwendigen Auskünfte nicht auf zumutbare Weise selbst beschaffen kann und der Verpflichtete sie unschwer und ohne billige Belastung zu geben vermag. Dabei muss zwischen den Parteien eine besondere rechtliche Beziehung bestehen (vgl. nur BGH, Urt. v. 17.05.1994, X ZR 82/92, Rn.25 - juris). Darüber hinaus besteht eine entsprechende Abrechnungspflicht nach Ziff. III Nr. 3 des Mustertransportvertrages. Dies war hier zwar, anders als das Landgericht annimmt, auch für den April 2011 der Fall. Nach Ziff. III des Mustertransportvertrages, der unstreitig auch mit dem ASt. abgeschlossen wurde, errechnet sich der Anspruch des Unternehmers gegenüber der Zentrale nämlich aus dem Rechnungsbetrag, den die Zentrale dem Kunden in Rechnung stellt. Dieser ist dem Unternehmer aber regelmäßig nicht bekannt, mag er auch an den von diesen erbrachten Kurierfahrten ansetzen. Will er daher seine Provisionsansprüche berechnen, genügt es mithin nicht, wenn er seine Kurierfahrten addiert. Den Gesamtrechnungsbetrag kennt nämlich nur die Zentrale, d.h. der Ag., der hierüber auch unschwer Auskunft erteilen kann. Der ASt. hat daher auch nicht Auskunft über die von ihm erbrachten Kurierfahrten, sondern über die von dem Ag. den Kunden in Rechnung gestellten Kurierleistungen begehrt.
Dieser Anspruch ist jedoch für den Monat April 2011 durch Erfüllung gem. § 362 BGB erloschen.
Es hätte im Anschluss an die Mitteilung dem ASt. oblegen, sich einen Ausdruck von dieser Mitteilung zu fertigen. Einen Anspruch auf deren nochmalige Mitteilung hat er hingegen nicht. Anders sieht dies freilich für den Monat Mai 2011 aus, über den unstreitig noch keine Abrechnung gefertigt wurde. Für diesen Monat hat der gestellte PKH-Antrag mithin hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 114 ZPO. Es handelt sich insofern auch nicht um einen Anspruch aus einem Arbeitsvertrag, der gem. §2 Abs. 1 Nr. 3 a, c ArbGG in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte fiele. Bei dem nach dem Mustertransportvertrag nicht weisungsgebundenen und wirtschaftlich nicht vom Ag. abhängigen ASt. handelt es sich nicht um einen Arbeitnehmer oder eine arbeitnehmerähnliche Person im Sinne des § 5 ArbGG.
Hiervon ist auch das Landgericht stillschweigend ausgegangen.
3. Allerdings fehlt es für den an die Auskunftserteilung anknüpfenden Antrag auf Feststellung, dass der Beklagte die sich nach Auskunft ergebenden Rechnungsbeträge schuldet, an einer hinreichenden Erfolgsaussicht. Der Anspruch könnte nämlich im Wege der Stufenklage nach § 254 ZPO verfolgt werden. Wo sie möglich ist, fehlt das Feststellungsinteresse für eine Feststellungsklage (BGH NJW 1996, 2097; Zöller-Greger, ZPO, 29. Aufl. § 254 Rn 2).
4. Auch einen Anspruch auf Herausgabe der unter seinem ehemaligen E-Mail account abgespeicherten Mails kann der ASt. zumindest gegenüber dem Ag. nicht geltend machen. Dabei kann dahinstehen, ob ein solcher Anspruch als Nebenpflicht aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Transportvertrag oder aus §§ 812, 985 BGB hergeleitet werden könnte. Das Vorbringen des Ag., er habe diesen account nach Ende des Vertragsverhältnisses zu dem ASt. gelöscht und habe auf etwaige Daten keinen Zugriff (mehr), ist unstreitig, die Herausgabe dieser Daten dem Ag. damit unmöglich im Sinne des §275 Abs. 1 BGB. Eine dem Ag. zumindest subjektiv nicht mögliche Leistung kann der ASt. aber nicht verlangen.
5. Demgegenüber kann die hinreichende Erfolgsaussicht für den hilfsweise gestellten Feststellungsantrag auf Feststellung der Einstandspflicht für die aus der Löschung der dort enthaltenen Daten entstehenden Schäden nicht mit der - vom ASt. bestrittenen - Behauptung, er habe auf die Schreiben des Ag. nicht reagiert, verneint werden. Im vorliegenden Fall kommen nämlich zugunsten des ASt. Ansprüche aus Schadenersatz gemäß § 823 Abs. 2 BGB sowie aus §280 BGB in Verbindung mit dem Mustertransportvertrag in Betracht (vgl. BGH, CR 2000, 424 ff.). Zwar stellen gelöschte Daten in einem E-Mail account kein Eigentum im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. §90 BGB dar, da "Sachen" in diesem Sinne nur körperliche Gegenstände in einem der drei möglichen Aggregatzustände (fest, flüssig, gasförmig) sind, elektronische Daten dagegen aus elektrischen Spannungen bestehen (LG Konstanz, NJW 1996, Seite 2662), jedoch können in Fällen wie hier Ansprüche, die aus einem Verstoß des Vertragspartners gegen vertragliche Nebenpflichten erwachsen sowie daneben auch Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem Schutzgesetz geltend gemacht werden (Wolfgang Rombach, CR 1990, Seiten 101 ff.; OLG Düsseldorf, CR 1991, Seiten 668 f.).
Zu den vertraglichen Nebenpflichten gehört es auch, Schäden von Rechtsgütern des anderen Vertragspartners fern zu halten, die aus der eigenen Sphäre entstehen können. Wird im Rahmen eines Vertragsverhältnisses von einem Vertragspartner für den anderen ein E-Mail account angelegt, auf dem dieser auch private Mails speichert, entspricht es den vertraglichen Nebenpflichten, von einer Löschung des accounts nach Beendigung des Vertragsverhältnisses solange abzusehen, bis klar ist, dass die andere Partei an der Nutzung des accounts kein Interesse mehr hat. Dies lässt sich aber dem Verhalten des ASt. nach Ende des Vertragsverhältnisses nicht entnehmen. Dass er auf Aufforderungen, das Zubehör zurück zu geben, nicht reagiert hat, lässt insofern keinen Rückschluss zu. Die unberechtigte Löschung eines E-Mail accounts kann darüber hinaus auch nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 274 Abs. 1 Nr. 2 und § 303 a StGB zu Schadenersatzansprüchen führen. Gelöscht werden elektronische Daten gemäß § 303 a StGB, wenn sie vollständig und unwiederbringlich unkenntlich gemacht werden, also sich nicht mehr rekonstruieren lassen (vgl. hierzu: BT-Drs.10/5058, Seite 34; v. Gravenreuth, NStZ 1989, Seite 206). Ein Unbrauchbarmachen im Sinne von §303 a StGB liegt zudem vor, wenn Daten in ihrer Gebrauchsfähigkeit so beeinträchtigt werden, dass sie nicht mehr ordnungsgemäß verwendet werden können und damit ihren bestimmungsgemäßen Zweck nicht mehr zu erfüllen vermögen (BT-Drs.10/5058, Seite 35).
Dies erscheint nach dem Vorbringen des Ag. im Schriftsatz vom 29.4.2012 nicht ausgeschlossen.
Dass der ASt. zum Inhalt der in dem account noch vorhandenen Mails sowie zu dem ihm möglicherweise entstehenden Schaden nichts vorgetragen hat, lässt sein Feststellungsinteresse nicht entfallen. Bei der - hier nicht auszuschließenden - Verletzung eines absoluten Rechtsgutes reicht es aus, wenn künftige, wenngleich nur entfernte Schadensfolgen möglich, ihre Art und ihr Umfang, sogar ihr Eintritt aber noch ungewiss sind (BGH MDR 2007, 792; NJW 2011, 1432). Der Behauptung des Ag. im Zeitpunkt der Abmeldung des accounts seien keine Daten mehr vorhanden gewesen, da diese vom Provider nach 30 Tagen gelöscht worden seien, wird das Landgericht ggf. im Hauptsacheverfahren nachzugehen haben.
III: Da die Beschwerde zum Teil Erfolg hatte, war die Beschwerdegebühr gem. Ziff. 1812 KV GKG auf die Hälfte zu ermäßigen. Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde kommt nicht in Betracht.