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Wirtschaftsrecht
14.01.2021
Wirtschaftsrecht
BGH: LKW-Kartell-Schadensersatzprozess - Vermutung eines Preiseffekts der Kartellabsprachen - Beginn der Verjährungshemmung

BGH, Urteil vom 23.9.2020 – KZR 35/19

ECLI:DE:BGH:2020:230920UKZR35.19.0

Volltext: BB-Online BBL2021-129-1

Amtliche Leitsätze

a) Sind von einem Kartell mit hoher Marktabdeckung über einen längeren Zeitraum Preislisten und Listenpreiserhöhungen abgestimmt worden, ist bei der Prüfung, ob einem Unternehmen durch den Erwerb eines Produkts eines Kartellbeteiligten ein Schaden entstanden ist, der Erfahrungssatz, dass die im Rahmen eines Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten, auch dann zu berücksichtigen, wenn eine Koordinierung der Transaktionspreise nicht stattgefunden hat.

b) In die dem Tatrichter obliegende Gesamtwürdigung, ob die Kartellabsprache einen Schaden verursacht hat, ist dieser Erfahrungssatz mit dem Gewicht einzustellen, das ihm im konkreten Fall nach Inhalt, Umfang und Dauer der Verhaltenskoordinierung sowie aller weiterer erheblicher Umstände zukommt, die für oder gegen einen Preiseffekt des Kartells sprechen. Dabei sind bindende Feststellungen der Kommission oder der Kartellbehörde umfassend und erschöpfend zu berücksichtigen; der Tatrichter ist nicht gehindert, aus diesen Feststellungen Schlussfolgerungen zu ziehen, die als solche von der Bindungswirkung nicht umfasst sind.

c) Die Hemmung der Verjährung eines Schadensersatzanspruchs beginnt nicht erst mit der förmlichen Einleitung eines Verfahrens durch die Europäische Kommission, sondern bereits mit einer Maßnahme, die erkennbar darauf abzielt, gegen das betreffende Unternehmen wegen einer verbotenen Beschränkung des Wettbewerbs zu ermitteln.

Sachverhalt

Die Klägerin nimmt die beklagte Daimler AG auf Ersatz kartellbedingten Schadens im Zusammenhang mit dem Erwerb mehrerer Lastkraftwagen in Anspruch.

Die Beklagte ist einer der führenden Lkw-Hersteller im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Mit - auf einem Vergleich (Settlement) mit den Betroffenen beruhenden - Beschluss vom 19. Juli 2016 stellte die Europäische Kommission fest, dass die Beklagte und mindestens vier weitere Lkw-Hersteller, nämlich MAN, Volvo/Renault, Iveco und DAF, die ebenso wie Scania Streithelferinnen der Beklagten sind, durch Absprachen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen für mittelschwere und schwere Lastkraftwagen sowie über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien für diese Fahrzeuge nach den Abgasnormen EURO 3 bis EURO 6 gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 EWR-Abkommen verstoßen haben. Für die Zuwiderhandlung, die sich über den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum erstreckte und vom 17. Januar 1997 bis zum 18. Januar 2011 andauerte, verhängte die Kommission gegen die Beklagte ein Bußgeld von gut einer Milliarde Euro.

Die Klägerin ist die Muttergesellschaft zweier im Bausektor tätiger Unternehmen. Diese erwarben in den Jahren 1998, 2000, 2010 und 2011 von der Beklagten elf individuell konfigurierte Lkw - mehrere Sattelschlepperfahrgestelle, zwei Kipperfahrgestelle, ein Betonmischerfahrgestell sowie ein Pritschenfahrgestell - zu Nettopreisen zwischen etwa 70.000 und etwa 93.000 Euro. Beide Unternehmen haben ihre Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte an die Klägerin abgetreten.

Die Klägerin macht geltend, ihre Tochtergesellschaften hätten aufgrund des Kartells überhöhte Preise für die elf Lastkraftwagen und ein weiteres im Jahr 1997 erworbenes Fahrzeug sowie erhöhte Haftpflichtprämien zahlen müssen. Sie hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie insgesamt 285.303,84 € und weitere 19.399,61 €, jeweils zuzüglich Zinsen, zu bezahlen. Das Landgericht hat die Klage für dem Grunde nach gerechtfertigt erklärt. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht überwiegend zurückgewiesen und die Klage lediglich hinsichtlich des auf den Lkw-Erwerb aus dem Jahr 1997 entfallenden Ersatzbetrags in Höhe von 28.567,66 € nebst Zinsen abgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen und von den Streithelferinnen unterstützten Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die vollständige Abweisung der Klage.

Aus den Gründen

5          I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

6          Die Klage sei mit Ausnahme des im Zusammenhang mit dem Erwerbsvorgang aus dem Jahr 1997 geltend gemachten Schadens begründet. Durch den Beschluss der Kommission vom 19. Juli 2016 sei bindend festgestellt, dass die Beklagte gegen das Kartellverbot des Art. 101 AEUV und dessen Vorgängernormen vorsätzlich verstoßen habe. Die in Streit stehenden Erwerbsvorgänge seien mit Ausnahme des im Jahr 1997 erfolgten Lkw-Kaufs von dem Kartellverstoß betroffen. Insoweit gelte der Beweismaßstab des § 286 ZPO.

7          Hinsichtlich der Erwerbsvorgänge im Jahr 2010 ergebe sich die Kartellbetroffenheit aus den Feststellungen des Kommissionsbeschlusses, in dem ausgeführt werde, dass die von der Beklagten und den übrigen Adressaten ausgetauschten EWR-Bruttopreislisten die Preise aller mittelschweren und schweren Lkw-Modelle sowie sämtlicher vom jeweiligen Hersteller ab Werk angebotener Sonderausstattungen enthalten hätten, sowie aus dem Umstand, dass die Beklagte diese Preislisten ab 2006 verwendet habe. Der Einwand der Beklagten, es habe sich nur um einen punktuellen, nicht umfassenden Austausch gehandelt, sei mit dieser Feststellung der Kommission nicht vereinbar. Ein Austausch über die Bruttopreise von Basismodellen habe notwendig auch die Konfigurationen im Einzelfall erfasst, da diese sich von den Basismodellen ableiteten. Zudem sei im Kommissionsbeschluss festgestellt, dass die Kartellbeteiligten durch die wechselseitigen Informationen über aktuelle Bruttopreise und Bruttopreislisten in Verbindung mit weiteren, im Wege der Marktforschung gewonnenen Daten die ungefähren aktuellen Nettopreise ihrer Konkurrenten besser hätten berechnen können. Für die Erwerbsvorgänge in den Jahren 1998 und 2000 gelte im Ergebnis das Gleiche. Auch vor dem Jahr 2006 habe zwischen den Kartellbeteiligten ein Austausch stattgefunden, der zwar nicht über harmonisierte, europaweite Bruttopreislisten erfolgt sei, aber nach den bindenden Feststellungen der Kommission den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum betroffen habe. Bei dem im Jahr 2011 vorgenommenen Lkw-Kauf sei von einem absprachebedingt erhöhten Preis auszugehen, weil das maßgebliche Listenpreisblatt bereits im Jahr 2010 und damit während des laufenden Kartells erstellt worden sei. Nach den bindenden Feststellungen des Kommissionsbeschlusses seien auch die Erwerbsvorgänge über zwei Kipperfahrgestelle und ein Betonmischerfahrgestell kartellbetroffen. Nicht kartellbetroffen sei nur der Erwerbsvorgang aus dem Jahr 1997.

8          Die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten dem Grunde nach lägen vor. Dass der Klägerin ein Schaden in irgendeiner Höhe entstanden sei, beweise allerdings noch nicht die Berechnung der Klägerin, da diese außer Acht lasse, dass die Preisbildung nicht nur durch das Kartell, sondern auch durch weitere Faktoren beeinflusst werde. Der Klägerin komme auch kein Anscheinsbeweis zugute. Im Streitfall greife jedoch eine tatsächliche Vermutung für den Eintritt eines Schadens, die auf dem wirtschaftlichen Erfahrungssatz basiere, dass die Gründung eines Kartells grundsätzlich der Steigerung des Gewinns der am Kartell beteiligten Unternehmen diene und deshalb eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spreche, dass das Kartell gebildet und erhalten werde, weil es höhere als am Markt erzielbare Preise erbringe, womit es wiederum zugleich wahrscheinlich sei, dass bei den Abnehmern der Kartellbeteiligten hierdurch ein Schaden verursacht werde. Diese Vermutung greife in gleicher Weise bei Kartellen, die lediglich dem Informationsaustausch über Bruttopreise dienten. Könne sich die Klägerin auf eine solche Vermutung stützen, dann komme dieser im Rahmen der freien Beweiswürdigung eine starke indizielle Bedeutung zu. Zwar sei eine umfassende Würdigung aller Umstände geboten. Die Vermutung bewirke aber, dass ein Schadenseintritt als gegeben angesehen werden müsse, wenn die hiergegen angeführten Argumente der Kartellbeteiligten alle aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht griffen, da in diesem Fall als alleiniges starkes Indiz für einen Schaden das Bestehen des Kartells übrigbleibe.

9          Die Einwendungen der Beklagten und ihrer (zweitinstanzlichen) Streithelferin seien nicht geeignet, die Vermutungswirkung zu erschüttern. Dies gelte zunächst für das Argument, die Kartellbeteiligten hätten keine bindenden Preisabsprachen getroffen. Denn bereits eine bloße Information über die Preisgestaltung der Wettbewerber könne Auswirkungen auf die eigene Preisgestaltung haben und damit die Preisbildung beeinflussen. Dass im konkreten Fall eine preissteigernde Wirkung des Kartells nicht belegt sei, sei unerheblich, da die Vermutung auf der wirtschaftlichen Zielsetzung der an dem Kartell beteiligten Unternehmen gründe. Soweit die Beklagte behaupte, ein kartellbedingter Schaden sei schon deshalb ausgeschlossen, weil der Nettopreis nicht vom Bruttolistenpreis abhänge und der Informationsaustausch sich deshalb nicht auf die Nettopreisbildung habe auswirken können, sei dies aus rechtlichen wie tatsächlichen Gründen nicht überzeugend. Das Argument stehe in Widerspruch zu den Feststellungen der Kommission, dass die Listenpreise Ausgangspunkt der Preisgestaltung gewesen seien und eine Abschätzung der Nettopreise der Konkurrenten erlaubt hätten. Daraus folge notwendigerweise, dass die Listenpreise einen Erkenntniswert und einen Einfluss auf den jeweiligen Nettoverkaufspreis gehabt hätten. Dieser Befund werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass er auch durch zahlreiche weitere Faktoren mitbestimmt werde. Auch stehe die Behauptung der Beklagten in einem inneren Widerspruch zu den im Kommissionsbeschluss beschriebenen Zielen der kollusiven Praktiken der Beklagten und der übrigen Kartellteilnehmer, welche allein in der Verfälschung der Preisgestaltung und der üblichen Preisbewegungen für Lastkraftwagen im Europäischen Wirtschaftsraum gelegen hätten und während des gesamten Kartellzeitraums unverändert geblieben seien. Sie besagten zwar nur etwas über die Absichten der Kartellbeteiligten. Wäre aber die Behauptung der Beklagten zutreffend, hätte sich die Beklagte über 13 Jahre vergebens an dem Kartell beteiligt.

10        Unzutreffend sei auch der Einwand der Beklagten, die ausgetauschten Informationen seien wegen der starken Individualisierung der Lastkraftwagen nicht detailliert genug gewesen, um Rückschlüsse vom Bruttolistenpreis des Grundmodells auf die tatsächlichen Nettopreise zuzulassen. Auch insoweit ergebe sich aus den Feststellungen der Kommission, dass die ausgetauschten Informationen einen Vergleich der Angebote ermöglicht hätten. Zudem habe die Beklagte in Bezug auf die in Streit stehenden Fahrzeuge das Gegenteil nicht dargelegt. Die weitere Behauptung der Beklagten, der zeitliche Ablauf des Informationsaustauschs habe eine Einflussnahme auf die Listenpreisfestsetzung verhindert, sei ebenfalls widerlegt durch die bindende Feststellung der Kommission, die Kartellbeteiligten hätten die ausgetauschten Informationen bei ihren internen Planungsprozessen und bei der Planung zukünftiger Listenpreiserhöhungen für das kommende Kalenderjahr berücksichtigen können. Soweit die Beklagte eine Auswirkung des Kartells auf die Verkaufspreise mit dem Argument bestreite, dass zwischen den Herstellern ein erheblicher Wettbewerb mit dem Risiko von Marktanteilsverlusten bestanden habe, sei dies gleichfalls nicht geeignet, die Vermutung zu widerlegen. Denn die Kommission habe in dem Beschluss bindend festgestellt, dass der gemeinsame Zweck des Kartells gerade darin bestanden habe, diesen Wettbewerb teilweise auszuschalten.

11        Der - im Rahmen der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigende - Einwand der Schadensabwälzung (Passing-on-Einwand) der Beklagten stehe dem Erlass eines Grundurteils nicht entgegen, da die Beklagte nicht dargelegt und mangels geeigneten Beweisantritts nicht bewiesen habe, dass die Klägerin ihren Schaden auf ihre Kunden habe weiterwälzen können. Auf eine die Klägerin treffende sekundäre Darlegungslast könne sich die Beklagte im Streitfall nicht berufen, da die Tochtergesellschaften der Klägerin die in Streit stehenden Lastkraftwagen nicht weiterverkauft, sondern als Mittel zur Wertschöpfung im Rahmen ihrer Bautätigkeit genutzt und daher ihren kartellbedingten Schaden allein durch eine Kalkulation höherer Kosten gegenüber zahlreichen Abnehmern ihrer Bauleistungen über die gesamte Lebensdauer des jeweiligen Lkw hätten weitergeben können. Eine Schadensabwälzung sei daher nur bei vollständiger Offenlegung der Kalkulation der Tochterunternehmen der Klägerin bezüglich aller Baustellen seit dem Erwerb der streitgegenständlichen LKWs feststellbar, die der Klägerin und ihren Tochterunternehmen angesichts der geringen Wahrscheinlichkeit einer Weiterwälzung des Schadens nicht zumutbar sei. Hinzu komme, dass die Beklagte eine kartellbedingte Inanspruchnahme durch Kunden der Tochtergesellschaften der Klägerin wegen überhöhter Baupreise oder aus anderen Gründen nicht vorgetragen habe.

12        Die von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzansprüche seien - mit Ausnahme des auf den Lkw-Kauf im Jahr 1997 gründenden Anspruchs - nicht verjährt. Vor Vollendung der Verjährung sei die jeweils zehnjährige kenntnisunabhängige Verjährungsfrist zunächst durch die Einleitung des Verfahrens der Kommission nach § 33 Abs. 5 GWB aF gehemmt worden, wobei nicht auf die formelle Verfahrenseröffnung am 20. November 2014 abzustellen sei, sondern auf die Vornahme von Ermittlungsmaßnahmen gegen bestimmte Unternehmen; diese seien im Januar 2011 in Form von Nachprüfungen unter anderem in den Räumlichkeiten der Beklagten durchgeführt worden.

13        II. Die Revision ist uneingeschränkt zulässig (§ 543 Abs. 1 ZPO). Das Berufungsgericht hat das Rechtsmittel ohne Beschränkung zugelassen, und eine solche folgt auch nicht aus seiner Begründung, die Fragen der Bindungswirkung des Kommissionsbeschlusses, der Reichweite der Vermutung und des Beginns der Verjährungshemmung seien höchstrichterlich noch nicht entschieden.

14        Zwar kann eine - zulässige - Beschränkung der Revision aus den Urteilsgründen folgen, wenn dort eine als zulassungsrelevant angesehene Rechtsfrage aufgeführt wird, die sich nur für einen eindeutig abgrenzbaren selbständigen Teil des Streitstoffs stellt, der Gegenstand eines Teilurteils oder eines eingeschränkt eingelegten Rechtsmittels sein kann. Sie setzt jedoch die Selbständigkeit des von der Zulassungsbeschränkung erfassten Teils des Streitstoffs in dem Sinne voraus, dass dieser in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von dem übrigen Streitstoff beurteilt werden und auch im Falle einer Zurückverweisung kein Widerspruch zum nicht anfechtbaren Teil des Streitstoffs auftreten kann (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 28. Januar 2020 - KZR 24/17, WuW 2020, 202 Rn. 15 - Schienenkartell II mwN). Diese Voraussetzungen wären im Streitfall nicht erfüllt, weil die aufgeworfenen Rechtsfragen alle geltend gemachten Ansprüche betreffen. Ungeachtet dessen lässt sich weder dem Tenor noch den Entscheidungsgründen mit der erforderlichen Deutlichkeit entnehmen, dass das Berufungsgericht mit dem Verweis auf die im Entscheidungszeitpunkt ungeklärten Rechtsfragen überhaupt eine Beschränkung der Revision auf Teile des Streitstoffs erwogen hat und nicht bloß den Anlass für die - unbeschränkte - Zulassung der Revision benennen wollte.

15        III. Die Revision hat auch in der Sache Erfolg. Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch dem Grunde nach nicht bejaht werden.

16        1. Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass sich die mögliche Anspruchsgrundlage für die Klageansprüche nach dem im jeweiligen Belieferungszeitpunkt geltenden Recht richtet (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 - KZR 75/10, BGHZ 190, 145 Rn. 13 - ORWI; Urteil vom 11. Dezember 2018 - KZR 26/17, NZKart 2019, 101 Rn. 44 - Schienenkartell I; Urteil vom 28. Januar 2020 - KZR 24/17, WuW 2020, 202 Rn. 18 - Schienenkartell II). Als Anspruchsgrundlage für die Schäden aus den in Rede stehenden vier Erwerbsvorgängen im Jahr 1998, auf die die Klägerin ihre Klage unter anderem stützt, kommt daher § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 85 EGV in Betracht. Gleiches gilt für die Schäden aus den beiden Erwerbsvorgängen im Jahr 2000, deren Kompensation zugleich auf § 33 Satz 1, 2. Halbsatz i.V.m. § 1 GWB in der vom 1. Januar 1999 bis 30. Juni 2005 geltenden Fassung gestützt werden kann. Für die Erwerbsvorgänge in den Jahren 2010 und 2011 ist § 33 Abs. 3 GWB in der vom 1. Juli 2005 bis zum 29. Juni 2013 geltenden Fassung (GWB 2005) die zutreffende Anspruchsgrundlage. Nach allen Vorschriften ist derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine drittschützende Vorschrift des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen oder die Vorgaben in Art. 81, 82 EGV (jetzt: Art. 101, 102 AEUV) verstößt, zum Ersatz des aus dem Verstoß entstandenen Schadens verpflichtet.

17        2. Mit Recht hat das Berufungsgericht auch einen schuldhaften Verstoß der Beklagten gegen Art. 81 EGV und Art. 101 Abs. 1 AEUV sowie die entsprechenden Normen im nationalen Kartellrecht festgestellt und dabei angenommen, dass die Beklagte über einen längeren Zeitraum an wettbewerbsbeschränkenden Absprachen beteiligt war.

18        a) Die Europäische Kommission hat im Beschluss vom 19. Juli 2016 festgestellt, dass die Beklagte, MAN, Volvo/Renault, Iveco und DAF eine komplexe Zuwiderhandlung gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV begangen haben, bestehend aus verschiedenen Handlungen, die entweder als Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen einzustufen sind, und mit deren Hilfe die Beteiligten die Risiken des Wettbewerbs wissentlich durch die praktische Zusammenarbeit untereinander ersetzt haben. Die Kommission hat das Verhalten der Kartellbeteiligten als Preiskoordinierungen eingeordnet, die in der praktizierten Weise zu den schädlichsten Einschränkungen des Wettbewerbs gehörten.

19        Konkret bestand die Zuwiderhandlung gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV nach den Feststellungen im Kommissionsbeschluss in einem kollusiven Verhalten bei der Preissetzung und der Anhebung von Bruttolistenpreisen ("collusive arrangements on pricing and gross price increases") für mittelschwere und schwere Lastkraftwagen sowie in der Koordinierung ihres Marktverhaltens bei den Zeitplänen und der Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien für solche Lastkraftwagen nach den Abgasnormen EURO 3 bis EURO 6. Das kollusive Verhalten umfasste Vereinbarungen ("agreements") und/oder abgestimmte Verhaltensweisen ("concerted practices") bei Preissetzungen und Listenpreiserhöhungen mit dem Ziel, die Bruttopreise im EWR anzugleichen, sowie über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien nach den Abgasnormen EURO 3 bis EURO 6. Sämtliche Kartellbeteiligten tauschten Preislisten und Informationen über Bruttopreise untereinander aus. Jeder der Beteiligten - mit Ausnahme von DAF - hatte Zugang zu mindestens einem computerbasierten Lkw-Konfigurator eines der anderen Beteiligten.

20        Die Zuwiderhandlung, die sich über den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum erstreckte, dauerte vom 17. Januar 1997 bis zum 18. Januar 2011 an. Von 1997 bis 2010 fanden die kollusiven Kontakte zwischen der Beklagten und den übrigen Beteiligten mehrmals jährlich in Form regelmäßiger Treffen bei Tagungen von Industrieverbänden, Messen, Produktvorstellungen der Hersteller oder zum Zweck dieser Zuwiderhandlung organisierter Wettbewerbertreffen statt. Sie umfassten auch regelmäßige Kontakte über E-Mail und Telefon. In die Diskussion der Preise, Preiserhöhungen und die Einführung neuer Emissionsstandards waren bis Ende 2004 die Hauptverwaltungen aller beteiligten Unternehmen durch höhere Führungskräfte direkt eingebunden. Ab August 2002 wurden die Gespräche über deutsche Tochtergesellschaften geführt, die an ihre Hauptverwaltungen berichteten.

21        Bei den Treffen besprachen die Teilnehmer ihre jeweiligen Listenpreiserhöhungen, und in einigen Fällen vereinbarten sie diese auch. In den Jahren 1997 und 1998 tauschten die Beteiligten bei zusätzlichen bilateralen Treffen, die neben den regelmäßigen detaillierten Diskussionen über zukünftige Listenpreis-erhöhungen stattfanden, Informationen über die Harmonisierung der Preislisten für den Europäischen Wirtschaftsraum aus. Gelegentlich wurden unter Beteiligung von Vertretern der Hauptverwaltungen sämtlicher Beteiligter auch Nettopreise für einige Länder beraten. Die Kartellbeteiligten einigten sich außerdem auf den jeweiligen Zeitplan für die Einführung der EURO-Emissionsstandards und den damit verbundenen Preisaufschlag. Zusätzlich zu Vereinbarungen über den Umfang der Preiserhöhungen informierten sie sich regelmäßig über ihre geplanten zukünftigen Listenpreiserhöhungen. Ferner tauschten sie sich über ihre jeweiligen Lieferfristen und länderspezifische allgemeine Marktprognosen, aufgeschlüsselt nach Ländern und Lkw-Kategorien, aus. Die bevorstehende Euro-Einführung wurde unter Einbindung aller an der Absprache Beteiligten zu Diskussionen über die Reduzierung von Rabatten genutzt. Nach Umstellung auf den Euro und mit der erstmaligen Erstellung gesamteuropäischer Preislisten für fast alle Hersteller begannen die an den Absprachen beteiligten Unternehmen sich systematisch über ihre jeweils geplanten Listenpreiserhöhungen über ihre deutschen Tochtergesellschaften auszutauschen, während in den Jahren 2002 bis 2004 parallel dazu die geheimen Kontakte auf Ebene der höheren Führungskräfte der Hauptverwaltungen fortgesetzt wurden.

22        Die Absprachen versetzten die daran beteiligten Unternehmen zumindest in die Lage, die ausgetauschten Informationen bei ihren internen Planungsprozessen und der Planung zukünftiger Listenpreiserhöhungen für das kommende Kalenderjahr zu berücksichtigen. Die durch die jeweilige Hauptverwaltung festgelegten Listenpreise waren wiederum bei allen an den Absprachen beteiligten Lkw-Herstellern der Ausgangspunkt der Preisgestaltung; sodann wurden die Verrechnungspreise für die Einfuhr der Lastkraftwagen in verschiedene Märkte durch eigene oder fremde Vertriebsunternehmen und anschließend die von den Händlern auf nationalen Märkten zu zahlenden Preise festgelegt. Die Endkundenpreise wurden schließlich entweder durch einen Händler oder - bei direktem Verkauf an Händler oder Flotten-Kunden - unmittelbar durch den Hersteller verhandelt und festgelegt.

23        b) Diese Feststellungen im Beschluss der Kommission sind für den vorliegenden Rechtsstreit als nachfolgendem Schadensersatzprozess gemäß § 33 Abs. 4 GWB 2005 bindend.

24        aa) Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, hängt der Umfang der Bindungswirkung nach § 33 Abs. 4 Satz 1 GWB 2005 von den in der Entscheidung der Kartellbehörde oder der Europäischen Kommission getroffenen tatsächlichen Feststellungen ab. Maßgeblich ist danach, in welchem Umfang eine Zuwiderhandlung gegen Kartellrecht im Tenor oder in den tragenden Gründen der abschließenden Entscheidung festgestellt worden ist (BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 - KZR 25/14, BGHZ 211, 146 Rn. 18 f. - Lottoblock II). Die Bindungs- oder Feststellungswirkung erstreckt sich mithin auf alle Feststellungen tatsächlicher und rechtlicher Natur, mit denen die Wettbewerbsbehörde einen Verstoß gegen das materielle Wettbewerbsrecht begründet. Darüber hinaus-gehende Beschreibungen und Erwägungen erfasst sie hingegen nicht (Franck in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl., § 33b GWB Rn. 26), und auch Fragen der Schadenskausalität sowie der Schadenshöhe nehmen nicht an ihr teil, sondern unterliegen der freien Beweiswürdigung des Gerichts (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur siebten Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drucks. 15/3640, S. 54).

25        bb) Diese Bindungswirkung ist entgegen der Ansicht der Revision im Streitfall nicht deshalb ausgeschlossen oder beschränkt, weil der Kommissionsbeschluss vom 19. Juli 2016 im Rahmen eines Vergleichsverfahrens nach Art. 10a der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 (VO (EG) 773/2004) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 622/2008 ergangen ist.

26        (1) Das nationale Recht differenziert insoweit auch in den nach Einführung des Vergleichsverfahrens im Jahr 2008 in Kraft getretenen Fassungen (§ 33 Abs. 4 GWB 2013 und § 33b GWB in der aktuell geltenden Fassung) nicht nach der Art des dem Bußgeldbescheid zugrundeliegenden Verfahrens.

27        (2) Die von der Revision geforderten Einschränkungen sind nicht aufgrund höherrangigen nationalen Rechts oder vorrangigen Unionsrechts geboten. Dass die Geltung der Bindungswirkung im beschriebenen Sinne strukturell den Anspruch der Kartellbeteiligten auf rechtliches Gehör oder ihren Anspruch auf ein faires Verfahren verletzte, ist nicht ersichtlich. Bereits die Regelungen des Vergleichsverfahrens selbst sehen im Rahmen der Sachverhaltsfeststellung eine umfassende Beteiligung der Betroffenen in Form von "Vergleichsgesprächen" vor; damit ist die Gewährung rechtlichen Gehörs prozedural verankert. Darüber hinaus ist die Kontrolle der tatsächlichen Feststellungen durch die beteiligten Unternehmen dadurch sichergestellt, dass sie diese im Rahmen des Vergleichsverfahrens "annehmen" müssen (Art. 10a Abs. 2 a.E., Abs. 3 VO (EG) 773/2004). Der Umstand, dass die tragenden Gründe einer daraufhin (einvernehmlich) ergehenden Entscheidung nicht isoliert angegriffen werden können, stellt insofern keine unverhältnismäßige Einschränkung von Verfahrensgrundrechten in nachfolgenden zivilrechtlichen Prozessen dar.

28        Im Streitfall ist eine (konkrete) Beeinträchtigung der Verfahrensrechte der Beklagten und der übrigen Adressatinnen des Kommissionsbeschlusses zudem in keiner Weise dargelegt oder ersichtlich. Vielmehr ergibt sich aus  3 des Kommissionsbeschlusses vom 19. Juli 2016 ausdrücklich, dass sämtliche Adressatinnen den im Beschluss dargelegten Sachverhalt "akzeptiert" haben. Inwiefern dieser fehlerhaft beschrieben sein sollte, teilt die Revision nicht mit.

29        (3) Auch Sinn und Zweck des Vergleichsverfahrens stehen der Annahme einer Bindungswirkung aller den Kartellverstoß begründenden tatsächlichen Feststellungen nicht entgegen. Soweit die Revision auf die Erwägungsgründe 4 und 6 der Verordnung (EU) Nr. 2015/1348 (VO (EU) 2015/1348) Bezug nimmt, wonach es nicht möglich sein sollte, die im Rahmen eines Vergleichsverfahrens erlangten Informationen in Verfahren vor nationalen Gerichten zu verwenden, wenn dies die Wirksamkeit der Durchsetzung der Artikel 101 und 102 AEUV durch die Kommission übermäßig beeinträchtigen sollte, vermag dies ihren Standpunkt nicht zu stärken. Denn in Erwägungsgrund 7 wird sodann erläutert, dass auf diese Problematik nicht durch Ausschluss der Bindungswirkung zu reagieren ist, sondern durch Beschränkungen des Einsichtsrechts Dritter in die von den am Vergleichsverfahren Beteiligten erklärten Anerkenntnisse.

30        3. Das Berufungsgericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin von der Kartellabsprache betroffen und damit anspruchsberechtigt ist.

31        a)Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Voraussetzung des haftungsbegründenden Tatbestands eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs sowohl nach § 33 Satz 1 GWB 1999 als auch nach § 33 Abs. 3, Abs. 1 GWB 2005 ebenso wie nach § 823 Abs. 2 BGB, dass dem Anspruchsgegner ein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten anzulasten ist, das - vermittelt durch den Abschluss von Umsatzgeschäften oder in anderer Weise - geeignet ist, einen Schaden des Anspruchstellers unmittelbar oder mittelbar zu begründen (BGH, WuW 2020, 202 Rn. 25 - Schienenkartell II; Urteil vom 19. Mai 2020 - KZR 8/18, WuW 2020, 597 Rn. 25 - Schienenkartell IV). Für die Feststellung dieser Voraussetzung gilt der Maßstab des § 286 ZPO. Nichts anderes gilt für einen Anspruch, der auf einem Verstoß gegen Art. 101 AEUV respektive Art. 81 EGV beruht. Auf die weitergehende Frage, ob sich die Kartellabsprache auf den in Rede stehenden Beschaffungsvorgang, welchen der Anspruchsteller seinem Schadensersatzbegehren zugrunde legt, tatsächlich nachteilig ausgewirkt hat und das Geschäft damit in diesem Sinn "kartellbefangen" oder "kartellbetroffen" war, kommt es im Rahmen der Prüfung der haftungsbegründenden Kausalität hingegen nicht an. Die Anforderungen an die Haftungsbegründung tragen damit dem Umstand Rechnung, dass das Kartellverbot als Gefährdungstatbestand bereits die Absprache zwischen den Wettbewerbern ohne Rücksicht auf die aus ihr folgenden unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen auf die Marktakteure sanktioniert, die ohnehin nur mit erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden können. Anders als die Revision meint, bedarf es angesichts der Besonderheiten des nicht gegen einzelne Marktteilnehmer, sondern die Marktgegenseite gerichteten kartellrechtlichen Deliktstatbestands daher auch nicht der Feststellung einer konkret-individuellen Betroffenheit.

32        b) Im Streitfall sind diese Voraussetzungen ohne weiteres erfüllt, weil die Tochterunternehmen der Klägerin mit den elf noch in Streit stehenden Lastkraftwagen von der am Kartell beteiligten Beklagten Waren erworben haben, die Gegenstand des Austauschs über zukünftige Preislisten und Listenpreiserhö-hungen sowie der weiteren festgestellten wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen und damit Gegenstand der Kartellabsprache waren.

33        aa) Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob und inwieweit die Transaktionspreise der konkreten, individualisierten Fahrzeuge durch die Kartellabsprache beeinflusst waren. Es genügt, dass die Fahrzeuge auf den Grundmodellen ("Ecktypen") aufbauten, deren Listenpreise Gegenstand der Absprachen waren. Die durch das Kartell bewirkte Verfälschung der Bedingungen des Marktgeschehens war damit jedenfalls geeignet, sich auf die individuellen Transaktionspreise für Fahrzeuge der kartellbeteiligten Lkw-Hersteller auszuwirken. Hieraus ergibt sich zugleich, dass die Tochtergesellschaften der Klägerin - wie andere Mitglieder der Marktgegenseite, die Fahrzeuge der Kartellbeteiligten erworben haben - von dem Kartellverstoß so betroffen waren, dass nachteilige Folgen für ihre Vermögenslage eintreten konnten. Weiterer Feststellungen zu den Auswirkungen auf einzelne Transaktionen bedarf es für die haftungsbegründende Kausalität nicht.

34        bb) Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht einen solchen für die haftungsbegründende Kausalität ausreichenden Zusammenhang mit der Kartellabsprache auch für die Erwerbsvorgänge bejaht, die ein Betonmischerfahrgestell, zwei Kipperfahrgestelle und ein Pritschenfahrgestell zum Gegenstand hatten. Es hat den Feststellungen der Kommission zu Recht keinen Anhalt dafür entnommen, dass diese Fahrzeuge als "Sonderfahrzeuge" einzuordnen und von den Kartellabsprachen nicht erfasst waren. Nach dem im Kommissionsbeschluss vom 19. Juli 2016 festgestellten, für den vorliegenden Rechtsstreit bindenden (vgl. oben Rn. 23 ff.) Sachverhalt waren von der Zuwiderhandlung Lastkraftwagen zwischen 6 und 16 Tonnen ("mittelschwere Lkw") sowie solche über 16 Tonnen ("schwere Lkw") betroffen, und zwar sowohl Sattelzugmaschinen als auch Solofahrzeuge. Ausgenommen waren (lediglich) Lastkraftwagen für den militärischen Bereich, der "After-sales"-Bereich, andere Dienstleistungen und Garantien für Lastkraftwagen, der Verkauf von gebrauchten Lastkraftwagen und sämtliche anderen von den Beteiligten verkauften Waren und erbrachten Dienstleistungen.

35        Die Revision zeigt auch keinen Vortrag in den Tatsacheninstanzen auf, aus dem sich ergäbe, inwiefern sich die betreffenden Fahrgestelle ohne die für einen Kipper oder Betonmischer charakteristischen Aufbauten von den Grundmodellen oder "Ecktypen" unterschieden haben sollen, auf welche die Beklagte und die Streithelferinnen verweisen und die jedenfalls Gegenstand der Listenpreisabsprachen waren sowie gerade die Funktion hatten, die Grundlage für eine Vielzahl individueller Fahrzeugkonfigurationen zu bilden. Ohne einen solchen Vortrag sind jedoch die Formulierungen in dem von der Beklagten und ihren Streithelferinnen ins Feld geführten Fragebogen der Kommission vom 30. Juni 2015, der den Kartellbeteiligten über ein Jahr vor dem Bußgeldbescheid zugegangen ist und seinerseits Mittel der Sachverhaltsaufklärung zu Beginn des Vergleichsverfahrens war, welches schließlich zu dem Beschluss vom 16. Juli 2016 geführt hat, ohne Belang.

36        cc) Nichts anderes gilt hinsichtlich des Fahrzeugs, das im Jahr 2011 und damit nach Beendigung des Kartells erworben worden ist, da die Preislisten dieses Jahres Gegenstand der Kartellabsprachen im Vorjahr waren.

37        4. Die vom Berufungsgericht gegebene Begründung trägt jedoch nicht die Feststellung, dass der Klägerin aufgrund der Kartellabsprache zwischen den beteiligten Unternehmen - mit der für ein Zwischenurteil nach § 304 ZPO erforderlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BGH, WuW 2020, 202 Rn. 28 - Schienenkartell II, mwN) - ein Schaden entstanden ist.

38        a) Allerdings ist das Berufungsgericht zutreffend und in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs davon ausgegangen, dass mangels eines hinreichend typischen Sachverhalts, aus dem sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf einen kartellbedingten Preiseffekt schließen lässt, kein Anscheinsbeweis für einen der Klägerin entstandenen Schaden streitet (vgl. zum Fall des Quoten- und Kundenschutzkartells BGH, NZKart 2019, 101 Rn. 57 - Schienenkartell I). Insofern hat es im Ausgangspunkt richtig angenommen, die Feststellung eines der Klägerin entstandenen Schadens erfordere mangels eines solchen Anscheinsbeweises eine umfassende tatrichterliche Würdigung aller vorgebrachten und feststellbaren Umstände, die für oder gegen einen durch das Kartell verursachten Schaden sprechen.

39        b) Zutreffend ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin könne sich auf eine tatsächliche Vermutung dafür stützen, dass infolge des zwischen der Beklagten und den Streithelferinnen praktizierten Kartells das Preisniveau für die betroffenen Lastkraftwagen im Schnitt über demjenigen lag, welches sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätte.

40        aa) Der Bundesgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass zugunsten des Abnehmers eines an einer Kartellabsprache beteiligten Unternehmens eine auf der hohen Wahrscheinlichkeit eines solchen Geschehens beruhende tatsächliche Vermutung - im Sinne eines Erfahrungssatzes - dafür streitet, dass die im Rahmen des Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten (BGH, Urteil vom 8. Januar 1992 - 2 StR 102/91, BGHSt 38, 186, 194; Beschluss vom 28. Juni 2005 - KRB 2/05, WuW/E DE-R 1567, 1569 - Berliner Transportbeton I; Beschluss vom 26. Februar 2013 - KRB 20/12, BGHSt 58, 158 Rn. 76 - Grauzementkartell I; Urteil vom 12. Juni 2018 - KZR 56/16, WRP 2018, 941 Rn. 35 - Grauzementkartell II; NZKart 2019, 101 Rn. 55 - Schienenkartell I; WuW 2020, 202 Rn. 40 - Schienenkartell II). Grundlage dieses Erfahrungssatzes ist die wirtschaftliche Erfahrung, dass die Gründung und Durchführung eines Kartells regelmäßig zu einem Mehrerlös der daran beteiligten Unternehmen führt. Durch Kartellabsprachen sind die beteiligten Unternehmen jedenfalls in einem gewissen Umfang der Notwendigkeit enthoben, sich im Wettbewerb zur Erlangung von Aufträgen gegen konkurrierende Unternehmen durchzusetzen, und Unternehmen, die sich aufgrund solcher Absprachen nicht dem Wettbewerb, insbesondere dem Preiswettbewerb, stellen müssen, werden im Regelfall keinen Anlass sehen, bestehende Preissenkungsspielräume zu nutzen (vgl. BGH, NZKart 2019, 101 Rn. 55 - Schienenkartell I; zur ökonomischen Evidenz s. zusammenfassend jüngst Coppik/Heimeshoff, WuW 2020, 584).

41        bb) Auf Grundlage des im Kommissionsbeschluss vom 19. Juli 2016 festgestellten Sachverhalts hat das Berufungsgericht im Streitfall im Ergebnis rechtsfehlerfrei eine tatsächliche Vermutung für einen Anstieg des Marktpreis-niveaus bei Lastkraftwagen und damit für einen Schaden der Klägerin bejaht.

42        (1) Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht möglicherweise davon ausgegangen ist, das von der Beklagten und den Streithelferinnen praktizierte Kartell habe lediglich einem Informationsaustausch über Listenpreise gedient. An eine solche Einschätzung wäre der Senat revisionsrechtlich nicht gebunden, da das Berufungsurteil den gesamten von der Europäischen Kommission festgestellten Sachverhalt in Bezug nimmt. Aus den Feststellungen der Kommission kann aber bereits nicht der Schluss gezogen werden, zwischen der Beklagten und den Streithelferinnen habe lediglich ein Informationsaustausch über Listenpreise stattgefunden.

43        Wie oben (Rn. 19 ff.) wiedergegeben, haben die Kartellbeteiligten vielmehr ihre künftigen Listenpreise sowie deren Erhöhung miteinander besprochen und ihre zukünftige Preissetzung sowohl durch Vereinbarungen als auch durch abgestimmte Verhaltensweisen koordiniert. Auch wenn es - abgesehen von der Festlegung der Preisaufschläge für die Einführung der neuen EURO-Emissionsstandards - nur punktuell ("in some cases") zu Vereinbarungen über Preise gekommen sein mag, unterscheidet sich ein solches Verhalten fundamental von einem bloßen Informationsaustausch, den die Revision ihrer Argumentation zugrunde legt. Denn auch eine nicht in eine ausdrückliche Absprache mündende Abstimmung des Preissetzungsverhaltens hat zur Folge, dass sich die beteiligten Unternehmen jedenfalls in erheblich geringerem Umfang dem Preiswettbewerb stellen müssen und weniger Anreiz haben, bestehende Preissenkungsspielräume zu nutzen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es eine intensive und häufige Koordinierung der (Listen-)Preissetzung über mehrere Jahre hinweg für einen einzelnen Kartellbeteiligten nicht dauerhaft erfolgversprechend erscheinen lässt, den Versuch zu unternehmen, statt eines gemeinsamen Margeneffekts einen unternehmensindividuellen Mengeneffekt zu erzielen.

44        Ob und gegebenenfalls unter welchen weiteren Voraussetzungen auch bei einem bloßen Informationsaustausch über aktuelle und künftige Listenpreise eine tatsächliche Vermutung nicht nur dafür streitet, dass die an der Abstimmung beteiligten Unternehmen die mit ihren Wettbewerbern ausgetauschten Informationen bei der Bestimmung ihres Marktverhaltens berücksichtigen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 13. Juli 2020 - KRB 99/19, WuW 2020, 605 Rn. 40 - Bierkartell; Urteile vom 12. Juli 2016 - KZR 25/14, BGHZ 211, 146 Rn. 23 f. - Lottoblock II; vom 12. April 2016 - KZR 31/14, NZKart 2016, 371 Rn. 44 - Gemeinschaftsprogramme; Beschluss vom 14. August 2008 - KVR 54/07, WM 2008, 1983 Rn. 43 - Lottoblock I; EuGH, Urteil vom 4. Juni 2009 - C-8/08, Slg. 2009, I-4529 Rn. 52 - T-Mobile Netherlands/NMa; Urteil vom 21. Januar 2016 - C-74/14, WuW 2016, 126 Rn. 33 - Eturas), sondern weitergehend auch dafür, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Preiseffekt eintritt, bedarf im Streitfall somit keiner Entscheidung.

45        (2) Der Umstand, dass sich die Kartellbeteiligten im Wesentlichen über Listenpreise verständigt haben, hindert die Annahme einer tatsächlichen Vermutung für einen Preiseffekt nicht.

46        (a) Wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, haben sich diese - bis auf Ausnahmefälle - nicht über Nettopreise ausgetauscht, welche die Erwerber von Lastkraftwagen auf dem Markt zu zahlen hatten, sondern über Listenpreise und deren Heraufsetzung. Sie haben damit Bezugsgrößen koordiniert, die typischerweise erheblich über den von den Abnehmern gezahlten Transaktionspreisen liegen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Kartellabsprachen die auf dem Markt erzielten Transaktionspreise nicht ebenfalls mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nachteilig beeinflusst hätten.

47        (b) Entgegen der Meinung der Revision schließen die mehrstufige Preisfindung bei Lastkraftwagen, insbesondere die Auswirkungen der konkreten Konfiguration des individuellen Fahrzeugs, der verbreiteten Koppelung des Verkaufs mit Serviceleistungen zu einem "individuellen Gesamtpaket" und der fehlenden Kenntnis der Erwerber von den Listenpreisen sowie die Folgen der Preissetzungsspielräume von Absatzmittlern beim Transaktionspreis, einen Zusammenhang zwischen Listenpreis und Marktpreis nicht aus. Der Umstand, dass die Marktpreisbildung von zahlreichen Faktoren abhängt, der Listenpreis nur einer dieser Faktoren ist und die Faktoren von Fall zu Fall unterschiedlich gewichtet sein können, mag zwar die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass das Verhältnis zwischen Listen- und Marktpreis variabel ist und kein "systematischer" Zusammenhang besteht. Daraus ist jedoch nicht zu schließen, ein Einfluss einer Listenpreiserhöhung auf den auf dem Markt erzielbaren Endpreis scheide vernünftigerweise aus.

48        Listenpreiserhöhungen spiegeln Kostensteigerungen bei der Fahrzeugproduktion wider oder vor und sind schon deshalb jedenfalls potentiell und in gewissem Umfang geeignet, auf die - wie die Beklagte und ihre Streithelferinnen vielfach hervorheben - hochkomplexen und unmittelbar auf der Ebene der Hersteller kaum koordinierbaren einzelnen Transaktionspreise durchzuschlagen. Dementsprechend hat das Berufungsgericht zutreffend berücksichtigt, dass bei allen an den Absprachen beteiligten Lkw-Herstellern die durch die jeweilige Hauptverwaltung festgelegten Listenpreise, wie von der Kommission festgestellt, typischerweise den Ausgangspunkt der Preisgestaltung bildeten und ihre Kenntnis es überdies ermöglichte, die Marktpreise besser abzuschätzen als ohne Kenntnis dieser Größe.

49        Entgegen der Auffassung der Revision handelt es sich hierbei nicht um eine nicht bindende, "überschießende" Feststellung der Kommission zu einem möglichen Kartellschaden. Erst aus einem mindestens möglichen und sei es auch schwankenden und schwer quantifizierbaren Einfluss von Preislisten und Listenpreiserhöhungen auf die erzielbaren Marktpreise ergibt sich die wettbewerbsrechtliche Relevanz einer Listenpreiskoordinierung; die Feststellungen der Kommission zu einer Erhöhung der Markttransparenz hinsichtlich der Trans-aktionspreise sind damit zentraler Bestandteil der Charakterisierung des konkreten Verstoßes, für den die Geldbuße festgesetzt worden ist.

50        (3) Durch die von der Revision in Bezug genommenen wirtschaftswissenschaftlichen Gutachten wird die Vermutung eines Preiseffekts der Absprachen im Streitfall nicht ausgeschlossen.

51        (a) Die Anwendung eines Erfahrungssatzes darf sich allerdings nicht in Widerspruch zu gesicherten ökonomischen Erkenntnissen setzen. Denn der Erfahrungssatz ist zwar revisionsrechtlich als Rechtssatz zu behandeln; seine Gültigkeit und Reichweite hängen aber davon ab, inwieweit seine tatsächlichen Grundlagen geeignet sind, den vermuteten Sachverhalt wahrscheinlicher zu machen als einen möglichen abweichenden Sachverhalt.

52        (b) Im Streitfall ergeben die fraglichen Gutachten einen solchen Widerspruch zwischen der Anwendung des dargestellten Erfahrungssatzes auf den Streitfall und gesicherten ökonomischen Erkenntnissen jedoch nicht.

53        (aa) In dem von der Streithelferin Scania in Auftrag gegebenen Gutachten von RBB Economics vom 22. Oktober 2019 wird ausgeführt, speziell zu einem Informationsaustausch zu Listenpreisen gebe es keine ökonomische Forschung. Aussagen seien einerseits zu finden zu einem Informationsaustausch über Transaktionspreise, andererseits zu Vereinbarungen über Listenpreise; sie ergäben deutliche Hinweise auf eine in beiden Fällen typischerweise fehlende Erhöhung der Transaktionspreise. Bei einem Informationsaustausch über Listenpreise seien daher Preiseffekte erst recht nicht zu erwarten. Daraus ergibt sich kein Hinweis auf wissenschaftliche Erkenntnisse, die der Anwendung des Erfahrungssatzes im Streitfall entgegenstehen könnten. Denn es trifft, wie ausgeführt, nicht zu, dass lediglich ein Informationsaustausch über Listenpreise in Rede steht. Dass die Anwendung des Erfahrungssatzes auf eine langjährige Koordinierung von Preislisten und die Heraufsetzung von Listenpreisen, die zudem durch jedenfalls gelegentliche direkte Vereinbarungen in Bezug auf die Weitergabe bestimmter Kostenpositionen - hier der Anpassung der Abgastechnik an veränderte gesetzliche Standards - begleitet wird, ökonometrischer Evidenz widerspricht, zeigt das Gutachten nicht auf.

54        (bb) Entsprechendes gilt für das Oxera-Gutachten vom 8. Mai 2019, dem, wie im Gutachten unter 1.9 ausgeführt, die Bitte der auftraggebenden Hersteller zugrunde liegt, sich "auf die Zuwiderhandlung in Form des Informationsaustauschs zu Bruttopreisen" zu konzentrieren, das für die Beklagte erstattete Gutachten der E.CA Economics vom 14. November 2018, welches ebenfalls ausdrücklich nur von einem "Informationsaustausch über beabsichtigte Bruttolistenpreisänderungen" ausgeht, und das von MAN bei Compass Lexecon in Auftrag gegebene Gutachten vom 20. September 2018, das der ökonomischen Beurteilung einen "Informationsaustausch zu Listenpreisen" zugrunde legt.

55        c) Nicht frei von Rechtsfehlern ist jedoch die vom Berufungsgericht zur Feststellung eines Schadenseintritts bei der Klägerin vorgenommene Würdigung der Umstände des Streitfalls.

56        aa) Die Feststellung, ob der Preis, den ein an einer Kartellabsprache beteiligtes Unternehmen mit einem Abnehmer vereinbart, höher ist, als er ohne die Kartellabsprache wäre, oder allgemein das Preisniveau, welches sich auf einem von einer Kartellabsprache betroffenen Markt einstellt, über demjenigen Preisniveau liegt, das sich ohne die Absprache eingestellt hätte, kann der Tat-richter, da Preise und Preisniveau unter nicht manipulierten Marktbedingungen notwendigerweise hypothetisch sind, nur unter Heranziehung derjenigen Umstände treffen, die darauf schließen lassen, wie sich das Marktgeschehen ohne die Kartellabsprache wahrscheinlich entwickelt hätte. Er hat diese Feststellung unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu treffen, wobei ihm die Befugnis zur Schadensschätzung nach den Maßstäben des § 287 Abs. 1 ZPO zusteht, sodass für die richterliche Überzeugungsbildung eine deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit, dass ein Schaden entstanden ist, ausreicht (BGH, WuW 2020, 202 Rn. 34 f. - Schienenkartell II mwN). In die Würdigung sind alle Umstände einzubeziehen, die festgestellt sind oder für die diejenige Partei, die sich auf einen ihr günstigen Umstand mit indizieller Bedeutung für oder gegen einen Preiseffekt des Kartells beruft, Beweis angeboten hat.

57        Zieht das Gericht bei der Würdigung der relevanten Indiztatsachen einen Erfahrungssatz heran, muss es beachten, dass diesem - anders als einem Anscheinsbeweis - kein abstrakt quantifizierbarer Einfluss auf das Ergebnis der Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zukommt. Vielmehr hängt sein Gewicht entscheidend von der konkreten Ausgestaltung des Kartells und seiner Praxis ab und erhöht sich, je länger und nachhaltiger ein Kartell praktiziert wurde und je größer daher die Wahrscheinlichkeit ist, dass es Auswirkungen auf das Preisniveau gehabt hat, welches sich infolge der Ausschaltung oder zumindest starken Dämpfung des Wettbewerbs eingestellt hat (BGH, WuW/E DE-R 1567, 1569 - Berliner Transportbeton I; NZKart 2019, 101 Rn. 55 - Schienenkartell I; WuW 2020, 202 Rn. 40 - Schienenkartell II; Urteil vom 23. September 2020 - KZR 4/19, juris Rn. 26 - Schienenkartell V).

58        Der danach vorzunehmende Indizienbeweis ist geführt, wenn das Gericht auf Grundlage einer Gesamtwürdigung sämtlicher Indizien die am Maßstab des § 287 ZPO zu messende Überzeugung von der Richtigkeit der zu beweisenden Haupttatsache erlangt hat. Die Beweislast für die die Haupttatsache stützenden Indiztatsachen trägt dabei die Partei, die auch die Haupttatsache zu beweisen hat. Dem Anspruchsgegner obliegt es hingegen, Indiztatsachen vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, die geeignet sind, die Überzeugung des Tatrichters von der zu beweisenden Haupttatsache in Frage zu stellen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 2020 - KZR 8/18, WuW 2020, 597 Rn. 40 - Schienenkartell IV). Der Indizienbeweis ist misslungen, wenn unter Berücksichtigung sämtlicher festgestellter oder - mangels erhobenen Beweises - zu unterstellender Indiztatsachen und des ihnen jeweils zukommenden Gewichts zumindest Zweifel daran verbleiben, dass ein Schaden mit der nach § 287 ZPO geforderten Wahrscheinlichkeit eingetreten ist. Nicht erforderlich ist, dass der Gegner den Beweis des Gegenteils führt, mithin den Richter davon überzeugt, dass ein Schaden nicht entstanden ist.

59        bb) Diesen Anforderungen ist das Berufungsgericht im Ergebnis nicht gerecht geworden. Es hat sich zwar auf die gebotene Gesamtwürdigung aller Umstände gestützt, den Erfahrungssatz jedoch nicht hinreichend in diese eingebettet. Seine Würdigung des Sachverhalts lässt besorgen, dass es der Beklagten entgegen den eigenen Bekundungen in der Sache doch die Widerlegungslast für einen zu vermutenden Schaden aufgebürdet hat.

60        (1) Allerdings ergibt sich aus dem oben Ausgeführten (Rn. 47 ff.), dass das Berufungsgericht entgegen den Rügen der Revision aus dem Umstand, dass die Marktpreisbildung von zahlreichen Faktoren abhängt, nicht schließen musste, ein Einfluss einer Listenpreiserhöhung auf den Endpreis scheide vernünftigerweise aus.

61        Unabhängig davon ist auch gegen die weitere Erwägung des Berufungsgerichts nichts zu erinnern, es erscheine nicht plausibel, dass sich die Kartellbeteiligten über Jahre vielfach und intensiv über Listenpreise und deren Erhöhung ausgetauscht haben, obwohl diesen Preisen keinerlei Bedeutung für die letztlich auf dem Markt erzielbaren Preise zukam. Entgegen der Rüge der Revision hat das Berufungsgericht damit nicht unzulässigerweise die festgestellten Intentionen der Kartellbeteiligten mit den tatsächlich erzielten Marktergebnissen gleichgesetzt, sondern eine mögliche und für sich genommen rechtsfehlerfreie tatrichterliche Schlussfolgerung aus dem über mehr als ein Jahrzehnt praktizierten Austausch von Preislisten, geplanten Listenpreiserhöhungen und zahlreichen weiteren unmittelbar oder mittelbar preisrelevanten Informationen gezogen, der nicht nur darauf abzielte, sondern auch dazu geeignet war, sich in Gestalt höherer Transaktionspreise auszuwirken, als sie ohne das Kartell durchsetzbar gewesen wären. Dass die Bindung des Tatrichters auf die tragenden Feststellungen der Entscheidung der Kartellbehörde beschränkt ist, bedeutet nicht, dass der Tatrichter gehindert wäre, aus diesen Feststellungen weitergehende Folgerungen abzuleiten, von deren Richtigkeit er überzeugt ist.

62        (2) Ebenfalls erfolglos bleibt die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe zu Unrecht den Einwand verworfen, der Informationsaustausch habe schon aus zeitlichen Gründen keinen Einfluss auf die Bruttopreissetzung haben können.

63        Das Berufungsgericht hat hierzu zwar nur knapp auf die Feststellung der Kommission verwiesen, der Austausch habe die Kartellbeteiligten zumindest in die Lage versetzt, die ausgetauschten Informationen bei der Planung zukünftiger Bruttopreiserhöhungen für das kommende Kalenderjahr zu berücksichtigen. Angesichts der festgestellten Treffen, die mehrmals jährlich stattgefunden haben und bei denen beabsichtigte Preiserhöhungen nicht nur ausgetauscht, sondern auch diskutiert und in einigen Fällen sogar vereinbart wurden, sowie des weiteren Austausches durch Telefongespräche und E-Mails war dies jedoch ausreichend.

64        (3) Die Gesamtwürdigung des Berufungsgerichts erweist sich jedoch als nicht frei von Rechtsfehlern.

65        (a) Bereits die einleitende Formulierung des Berufungsgerichts, die Einwendungen der Beklagten seien "nicht geeignet, die Vermutungswirkung zu erschüttern", lässt besorgen, dass das Berufungsgericht den - an sich rechtsfehlerfrei - herangezogenen Erfahrungssatz nicht fallbezogen angewendet hat. In dieselbe Richtung weist die Begründung, mit der das Berufungsgericht den seitens der Beklagten und ihrer Streithelferinnen gegen einen Preiseffekt der Absprachen ins Feld geführten Einwand für nicht durchgreifend erachtet, zwischen den Kartellbeteiligten habe erheblicher Wettbewerb mit dem Risiko von tatsächlich auch aufgetretenen Marktanteilsverlusten bestanden. Hier führt es aus, dieser Wettbewerb sei "nicht geeignet, die Vermutung (scil. eines der Klägerin entstandenen Schadens) zu widerlegen", da die Kommission bindend festgestellt habe, dass der gemeinsame Zweck des Kartells gerade in der teilweisen Ausschaltung dieses Wettbewerbs bestanden habe.

66        (b) Wie sich aus einer anderen Passage des Berufungsurteils ergibt, nimmt das Berufungsgericht offenbar an, der einmal für einschlägig erachteten Vermutung für einen Kartellschaden komme generell und unabhängig von den konkreten Umständen des Kartells eine starke indizielle Bedeutung zu. So führt es aus, der tatsächlichen Vermutung komme im Rahmen der freien Beweiswürdigung eine starke indizielle Wirkung zu, sofern sich die Klägerin auf eine Vermutung berufen könne, dass ihr durch die Gründung des Kartells ein Schaden entstanden sei. Damit leitet es den Eintritt eines Schadens der Klägerin fehlerhaft allein aus einem abstrakt und unabhängig von den konkreten Umständen begründeten "starken" Gewicht der tatsächlichen Vermutung ab.

67        (c) Bei der Formulierung dieser Rechtssätze hat das Berufungsgericht nicht beachtet, dass der Tatrichter eine tatsächliche Vermutung bei seiner Überzeugungsbildung nur - mit dem ihr im Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zukommenden Gewicht - berücksichtigen muss und darf und sich daher unter Umständen bereits bei schwachen gegenläufigen Indizien gehindert sehen kann, auf die vermutete Tatsache zu schließen. Auch hat es die von der Beklagten und ihren Streithelferinnen vorgebrachten Indiztatsachen nur unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Widerlegung der tatsächlichen Vermutung und nur je für sich gewürdigt.

68        Dies fällt umso stärker ins Gewicht, als das Berufungsgericht - zugunsten der Beklagten - die Feststellungen der Kommission nicht einmal ausgeschöpft hat, sondern die Listenpreiskoordinierung unter den Kartellbeteiligten durchweg nur als Informationsaustausch behandelt und auch weitergehende festgestellte Absprachen zwischen den Kartellbeteiligten mit der Begründung außer Acht gelassen hat, es stehe nicht fest, dass diese den deutschen (Teil-)Markt und die den Klageansprüchen zugrunde liegenden Erwerbsvorgänge betroffen hätten.

69        (4) Vor diesem Hintergrund kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht von einer unzutreffenden Verteilung der Beweislast ausgegangen ist und angenommen hat, den Beklagten obliege in Ansehung der tatsächlichen Vermutung für einen Preiseffekt der praktizierten Absprachen und damit eines Schadens der Klägerin der Beweis des Gegenteils, und dass es möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn es sich nicht in einem solchen Sinne für gebunden gehalten hätte.

70        IV. Da sich das Urteil des Berufungsgerichts nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO), ist es aufzuheben (§ 562 ZPO).

71        V. Der Senat kann in der Sache nicht - auch nicht teilweise - selbst entscheiden.

72        1. Eine Endentscheidung kann der Senat insbesondere nicht im Hinblick auf eine etwaige Verjährung eines Teils der von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzansprüche treffen. Auch die Ansprüche wegen der von ihren Tochtergesellschaften in den Jahren 1998 und 2000 erworbenen Lastkraftwagen sind nicht verjährt.

73        a) Das Berufungsgericht ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs davon ausgegangen, dass die aus den einzelnen Erwerbsvorgängen abgeleiteten Schäden, welche die Klägerin geltend macht, materiell-rechtlich jeweils selbständige Ansprüche bilden und somit auch die Frage der Verjährung etwaiger Schadensersatzansprüche für jeden Erwerbsvorgang gesondert zu beurteilen ist. Es hat weiter zu Recht angenommen, dass die Ansprüche aus den Erwerbsvorgängen in den Jahren 1998 und 2000 jedenfalls mit Vollzug der Kaufverträge zu kartellbedingt erhöhten Preisen entstanden sind.

74        b) Zutreffend ist das Berufungsgericht zu dem Schluss gelangt, dass die Verjährung dieser Schadensersatzansprüche nicht vor dem 31. Dezember 2011 vollendet war.

75        aa) Für die Ansprüche galt nach §§ 852 Abs. 1, 198 BGB aF (zunächst) eine dreijährige Verjährungsfrist, die jedoch erst zu dem Zeitpunkt in Lauf gesetzt wurde, in welchem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangte. Es ist nicht festgestellt, dass die Klägerin oder ihre Tochtergesellschaften diese Kenntnis vor der Aufdeckung des Kartells durch die Europäische Kommission im Jahr 2011 erlangt haben.

76        bb) Da die Ansprüche wegen der Erwerbsvorgänge in den Jahren 1998 und 2000 demnach am 1. Januar 2002 noch nicht verjährt waren, finden auf sie gemäß Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB die Verjährungsbestimmungen in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung Anwendung. Damit ist für sie die kenntnisunabhängige Verjährungsfrist von zehn Jahren nach § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB nF einschlägig, die kürzer ist als die kenntnisunabhängige Höchstfrist von 30 Jahren nach altem Recht (§ 852 Abs. 1 BGB aF). Diese begann nach den Übergangsregelungen in Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB am 1. Januar 2002 zu laufen und wäre mit Ablauf des 31. Dezember 2011 vollendet gewesen. Die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 BGB wäre, da sie ebenfalls Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen voraussetzt, erst später vollendet gewesen und greift daher nicht.

77        c) Ebenfalls frei von Rechtsfehlern hat das Berufungsgericht schließlich angenommen, dass die Verjährung der genannten Ansprüche vor ihrer Vollendung am 31. Dezember 2011 gehemmt worden ist.

78        aa) Nach § 33 Abs. 5 GWB 2005 wird die Verjährung eines Schadensersatzanspruchs wegen wettbewerbswidriger Absprachen gehemmt, wenn die nationale Kartellbehörde wegen eines Verstoßes gegen nationales oder europäisches Kartellrecht oder wenn die Europäische Kommission wegen eines Verstoßes gegen Art. 81 oder 82 EGV bzw. Art. 101 oder 102 AEUV ein Verfahren einleitet. Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, findet § 33 Abs. 5 GWB 2005 in Verbindung mit § 204 Abs. 2 BGB auf eine solche Fallgestaltung mit der Maßgabe Anwendung, dass der Lauf der Verjährung mit Inkrafttreten dieser Norm bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der rechtskräftigen Entscheidung oder einer anderweitigen Beendigung des Bußgeldverfahrens gehemmt ist (BGH, Urteil vom 12. Juni 2018 - KZR 56/16, WuW 2018, 405 Rn. 66 ff. - Grauzementkartell II).

79        bb) Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass eine Verfahrenseinleitung im Sinne des § 33 Abs. 5 GWB 2005 auch bei Tätigwerden der Europäischen Kommission nicht die Einleitung eines förmlichen Verfahrens voraussetzt, sondern lediglich die Durchführung von behördlichen Maßnahmen gegen ein Unternehmen erfordert, die erkennbar darauf abzielen, gegen dieses Unternehmen wegen einer Beschränkung des Wettbewerbs zu ermitteln.

80        (1) Nach überwiegender Meinung in der Literatur beginnt die Verjährungshemmung bereits mit der Vornahme von gegen bestimmte Unternehmen gerichteten Ermittlungsmaßnahmen (vgl. Bornkamm/Tolkmitt in Langen/Bunte, Kartellrecht, Band 1, 13. Aufl., § 33h GWB Rn. 33; Emmerich in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., § 33 Rn. 79; Seifert, WuW 2017, 474, 479). Die Gegenmeinung will hingegen auf die formelle Verfahrenseröffnung durch die Kartellbehörde abstellen (Klöppner/Schmidt, NZKart 2018, 449, 452 mwN).

81        (2) Gegen die Heranziehung der förmlichen Verfahrenseinleitung als für den Beginn der Verjährungshemmung maßgeblichen Zeitpunkt spricht allerdings bereits der Umstand, dass ein solcher Akt im nationalen Kartellrecht - anders als auf europäischer Ebene - nicht vorgesehen ist. Vielmehr findet beim Bundeskartellamt die Einleitung eines (Bußgeld-)Verfahrens allein durch die Aufnahme von Ermittlungen statt. Die Hemmungswirkung würde daher je nachdem, welche Wettbewerbsbehörde tätig geworden ist, an unterschiedliche Sachverhalte anknüpfen, wollte man bei einem von der Europäischen Kommission betriebenen Bußgeldverfahren auf den formalen Akt abstellen.

82        Zudem hat die förmliche Verfahrenseinleitung im Wettbewerbsrecht der Europäischen Union einen gänzlich anderen Zweck. Nach Art. 11 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (Kartellverordnung) entfällt mit ihr die Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden für die Anwendung des Unionswettbewerbsrechts in der jeweiligen Sache. Art. 16 Abs. 1 der Kartellverordnung besagt ferner, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten keine Entscheidungen treffen dürfen, die einem Beschluss zuwiderlaufen, den die Kommission in einem von ihr eingeleiteten Verfahren zu erlassen beabsichtigt. Damit dient die förmliche Verfahrenseinleitung zumindest in erster Linie der Abgrenzung von Zuständigkeiten zwischen in derselben Angelegenheit agierenden nationalen Kartellbehörden und der Europäischen Kommission.

83        (3) Davon abgesehen würde es Sinn und Zweck der Verjährungshemmung widersprechen, dem Geschädigten zuzumuten, trotz laufender - und sich gegebenenfalls über mehrere Jahre erstreckender - Ermittlungsmaßnahmen eine Klage einzureichen, um eine Verjährung seiner Ansprüche vor der formellen Verfahrenseröffnung abzuwenden (Seifert, WuW 2017, 474, 479). Denn durch die Regelung in § 33 Abs. 5 GWB 2005 sollte erreicht werden, dass individuell Geschädigte tatsächlich in den Genuss der Tatbestandswirkung nach § 33 Abs. 4 GWB 2005 kommen können und zivilrechtliche Schadensersatzansprüche nach Ablauf eines langwierigen Bußgeldverfahrens nicht bereits verjährt sind (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/3640, S. 55).

84        Diese Zielsetzung belegt auch die Neufassung des § 33 Abs. 5 GWB 2005 durch § 33h GWB. Wie sich aus der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung ergibt, soll die Formulierung in § 33h Abs. 6 GWB, wonach die Hemmung der Verjährung eintritt, wenn die Kartellbehörde "Maßnahmen im Hinblick auf eine Untersuchung" oder auf ihr Verfahren wegen eines Verstoßes im Sinne des § 33 Abs. 1 GWB oder die Europäische Kommission "Maßnahmen im Hinblick auf eine Untersuchung" oder auf ihr Verfahren wegen eines Verstoßes gegen Art. 101 oder 102 AEUV trifft, weitgehend dem bisherigen § 33 Abs. 5 GWB 2005 entsprechen. Der Gesetzgeber der 9. GWB-Novelle ist somit nicht davon ausgegangen, dass § 33 Abs. 5 GWB 2005 auf eine formelle Verfahrenseröffnung abstellt.

85        cc) Da die Kommission bereits im Januar 2011 Durchsuchungsmaßnahmen bei der Beklagten durchgeführt hat, ist zu diesem Zeitpunkt der Ablauf der Verjährungsfrist gehemmt worden. Bei Klageerhebung waren somit auch die geltend gemachten Ansprüche aus den Erwerbsvorgängen in den Jahren 1998 und 2000 noch nicht verjährt.

86        2. Die Sache ist daher insgesamt zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

87        VI. Bei der erneuten Prüfung, ob den Tochtergesellschaften der Klägerin durch die Absprachen, an denen sich die Beklagte und ihre Streit-helferinnen beteiligt haben, jeweils ein Schaden entstanden ist, und der sich daran gegebenenfalls anschließenden Prüfung der Höhe des jeweiligen Schadens wird das Berufungsgericht Folgendes zu berücksichtigen haben:

88        1. Wie ausgeführt (vgl. oben Rn. 56 ff.), ist der von der Klägerin zu erbringende Beweis der Entstehung eines kartellbedingten Schadens im Zweifel im Wege des Indizienbeweises zu führen. Dem Tatrichter steht dabei zwar im Grundsatz frei, welche Beweiskraft er den Indizien im Einzelnen und in einer Gesamtschau seiner Überzeugungsbildung beimisst. Er hat jedoch alle Umstände vollständig zu berücksichtigen und darf nicht gegen Denk- oder Erfahrungssätze verstoßen. Auch hat er zu berücksichtigen, dass eine einzelne Indiztatsache, die für sich genommen nicht überzeugungskräftig ist, um die Haupttatsache zu beweisen, dies doch in der Summe mit allen weiteren Indizien sein kann (vgl. Laumen in Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der Beweislast, 4. Aufl., Bd. 1, Kapitel 18 Rn. 36).

89        a) Auf dieser Grundlage wird das Berufungsgericht im Streitfall zunächst die Feststellungen der Europäischen Kommission zu den Absprachen und abgestimmten Verhaltensweisen der Kartellbeteiligten auf dem sich über den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum erstreckenden Markt für mittelschwere und schwere Lastkraftwagen umfassend und erschöpfend zu berücksichtigen haben, um das Gewicht abzuschätzen, das im Streitfall dem für einen Preiseffekt des Kartells streitenden Erfahrungssatz zukommt. Da das Kartell auf dem gesamten europäischen Markt über mehr als ein Jahrzehnt praktiziert worden ist, auf dem die beteiligten Unternehmen einen hohen Marktanteil von etwa 90% haben, sind dabei grundsätzlich auch Feststellungen zu berücksichtigen, die keinen unmittelbaren Bezug zu Erwerbsvorgängen in Deutschland aufweisen, da sie gleichwohl Auskunft über Umfang und Intensität der Verhaltenskoordinierung sowie über deren Eignung geben können, sich auf Bedingungen und Preise für Transaktionen auszuwirken, die in den einzelnen Mitgliedstaaten der Europä-ischen Union und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum durchgeführt worden sind. Dementsprechend ist - anders, als es das Berufungsgericht bislang getan hat - ebenso die festgestellte Koordinierung des Marktverhaltens bei der Einführung neuer Abgastechnologien in den Blick zu nehmen, die durch dasselbe Kartell erfolgt ist und nicht deswegen außer Betracht bleiben darf, weil die Klägerin erklärt hat, die Klageansprüche auf diesen Aspekt des einheitlichen, die Klagegrundlage bildenden Lebenssachverhalts nicht stützen zu wollen.

90        b) Das Berufungsgericht wird gegebenenfalls darüber hinaus zu prüfen haben, ob nach dem Vortrag der Klägerin weitere zugunsten der zu beweisenden Haupttatsache - dem Eintritt eines kartellbedingten Schadens bei den Tochterunternehmen der Klägerin infolge einer kartellbedingten Erhöhung des Marktpreisniveaus - streitende Indizien zu berücksichtigen sind. Solche könnten sich im Streitfall beispielsweise aus den von der Klägerin vorgelegten Baugerätelisten des Hauptverbands der deutschen Bauindustrie oder den Vertragsbedingungen der Beklagten über Anpassungen vereinbarter Kaufpreise bei Anstieg der Listenpreise ergeben.

91        c) Ebenso wird das Berufungsgericht von der Beklagten und ihren Streithelferinnen angeführte und als erheblich einzustufende Gegenindizien in den Blick zu nehmen haben.

92        Soweit es in dem angefochtenen Urteil angenommen hat, ein fortbestehender Wettbewerb zwischen den am Kartell beteiligten Unternehmen, der sich auch in Veränderungen der Marktanteile niedergeschlagen hat, stehe der Annahme nicht entgegen, dass es den Kartellbeteiligten gelungen sei, mit dem langjährig praktizierten Austausch über beabsichtigte und wünschenswerte Preiserhöhungen den Preiswettbewerb dem Zweck des Kartells entsprechend jedenfalls zu dämpfen, wird diese Erwägung für sich genommen allerdings nicht zu beanstanden sein. Erhebliche Marktanteilsverschiebungen dürfen gleichwohl bei der Gesamtwürdigung nicht unberücksichtigt bleiben. Welches Gewicht ihnen im Ergebnis zukommt, ist eine Frage des Einzelfalles und kann im Streitfall auch davon abhängen, wie plausibel ein Einfluss auf die Transaktionspreise im Allgemeinen und die in Rede stehenden konkreten Erwerbsvorgänge im Besonderen erscheint.

93        2. Sollte das Berufungsgericht erneut zu der Feststellung gelangen, den Tochtergesellschaften der Klägerin sei ein Schaden entstanden, wird seine weitere Annahme nicht zu beanstanden sein, die Beklagte habe eine Weitergabe des entstandenen Schadens an deren Kunden nicht dargetan.

94        a) Das wegen eines Kartellverstoßes auf Schadensersatz in Anspruch genommene Unternehmen kann sich allerdings grundsätzlich darauf berufen, seinem Abnehmer sei deshalb kein oder nur ein geringerer Schaden verblieben, weil er die durch die kartellbedingte Preiserhöhung bedingte Erhöhung seiner Kosten ganz oder zum Teil an seine eigenen Abnehmer weitergegeben habe. Dies beruht allerdings nicht darauf, dass durch eine Kostenwälzung der Schaden im Rechtssinne entfiele. Der Schaden des Abnehmers entsteht vielmehr (end-gültig) mit dem Abschluss des Vertrages, der ihn zur Zahlung eines Kaufpreises verpflichtet, der höher ist, als er ohne den kartellbedingten Preiseffekt wäre. Steht eine feststellbare Kostenwälzung in adäquatem Kausalzusammenhang mit dem kartellbedingten Preisaufschlag, kann der Mehrerlös des Primärgeschädigten gleichwohl als Schaden seiner Kunden und damit zugleich als ausgleichs-pflichtiger Vorteil auf Seiten des Primärgeschädigten angesehen werden (BGH, Urteile vom 19. Mai 2020 - KZR 8/18, WuW 2020, 597 Rn. 46 - Schienenkartell IV; vom 28. Juni 2011 - KZR 75/10, BGHZ 190, 145 Rn. 58 - ORWI).

95        Ein Vorteilsausgleich darf jedoch den Geschädigten nicht unzumutbar belasten, und er darf auch nicht zu einer unbilligen Begünstigung des Schädigers führen. Da der Ersatz kartellbedingter Schäden integraler Bestandteil des Systems zur effektiven Durchsetzung kartellrechtlicher Verbotstatbestände ist und die behördliche Durchsetzung dieser Vorschriften ergänzt, ist im Rahmen der Vorteilsausgleichung und der dabei zu beantwortenden Frage, ob eine Anrechnung der durch eine Schadensweitergabe zugeflossenen Vorteile den Schädiger unbillig entlastet, auch das öffentliche Interesse an der Gewährleistung eines unverfälschten Wettbewerbs zu berücksichtigen. Dieses würde beeinträchtigt, wenn die Einstandspflicht der Kartellbeteiligten für die von ihnen verursachten Schäden wegen eines lediglich möglichen, aber nicht feststellbaren auszugleichenden Vorteils beschränkt oder gar vollständig verneint würde (BGH, Urteil vom 23. September 2020 - KZR 4/19, juris Rn. 50 - Schienenkartell V).

96        b) Daher kommt eine Vorteilsausgleichung nicht schon deshalb in Betracht, weil der Primärgeschädigte wie jedes Unternehmen typischerweise ein Interesse daran hat, seinen Preis an den Gestehungskosten auszurichten und seine Ware mit Gewinn zu verkaufen oder seine Dienstleistung mit Gewinn zu erbringen. Die Kausalität der Kartellabsprache für den Vorteil, der dem Primärgeschädigten in Form höherer Erlöse zufließt, ist vielmehr im Grundsatz nach den gleichen Maßstäben zu beurteilen wie die Feststellung der kartellbedingten Preisüberhöhung, weil sein kartellbedingter Vorteil das Spiegelbild des seinem Kunden kartellbedingt entstehenden Schadens ist. Es ist also auch in diesem Zusammenhang anhand der ökonomischen Gegebenheiten auf den Anschlussmärkten zu beurteilen, ob und inwieweit die Preisbildung auf einer nachfolgenden Marktstufe durch den Preiseffekt des Kartells bedingt ist (BGH, WuW 2020, 597 Rn. 46 - Schienenkartell IV; BGHZ 190, 145 Rn. 59 - ORWI). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass ein Erfahrungssatz, der - wie im Streitfall - für einen Preiseffekt des Kartells und damit einen bei den Teilnehmern der ersten Marktstufe entstandenen Schaden streitet, jedenfalls nicht ohne weiteres auch Aussagen über die Wahrscheinlichkeit einer Kostenwälzung erlaubt.

97        c) Da den Kartellteilnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der Vorteilsausgleichung trifft, muss dieser anhand der allgemeinen Marktverhältnisse auf dem relevanten Absatzmarkt, insbesondere der Nachfrageelastizität, der Preisentwicklung und der Produkteigenschaften, plausibel dazu vortragen, dass eine Weiterwälzung der kartellbedingten Preiserhöhung zumindest ernsthaft in Betracht kommt (BGH, WuW 2020, 597 Rn. 51 - Schienenkartell IV; BGHZ 190, 145 Rn. 64 - ORWI). Der erforderliche Detaillierungsgrad des Vorbringens hat dabei den Umständen des Einzelfalles, insbesondere der Komplexität der ökonomischen Zusammenhänge, Rechnung zu tragen (BGH, Urteil vom 23. September 2020 - KZR 4/19, juris Rn. 38 - Schienenkartell V). Kommt wie im Streitfall eine Kostenwälzung auf unterschiedlichen Absatzmärkten in Betracht - hier zum einen dem Markt der Bauleistungen, zum anderem dem Markt der gebrauchten Lastkraftwagen -, muss der Kartellteilnehmer für jeden Absatzmarkt gesondert darlegen, dass und in welcher Weise sich eine kartellbedingte Preisüberhöhung auf diesem Markt ausgewirkt hat.

98        d) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Beklagte diesen Anforderungen nicht gerecht geworden ist. Mit ihrer Behauptung, die Tochtergesellschaften der Klägerin hätten gegenüber ihren eigenen Kunden für die von ihnen erbrachten Bauleistungen höhere Preise abgerechnet, hat sie zwar eine wie in aller Regel auch im Streitfall grundsätzlich mögliche Weitergabe höherer Kosten an die Abnehmer des nachgelagerten Marktes aufgezeigt, nicht aber dargelegt, dass eine solche ernsthaft in Betracht kommt. Denn ihre Ausführungen enthalten keinerlei Informationen zur Preisbildung auf dem Baumarkt und dem möglichen Einfluss der Neupreise für Lastkraftwagen auf die von Bauunternehmen erzielbaren Vergütungen. Soweit die Beklagte eine Weiterveräußerung einzelner der in Streit stehenden Lkw durch die Tochtergesellschaften der Klägerin einwendet, fehlen gleichfalls jegliche Angaben zur Preisbildung auf dem Markt für gebrauchte Lastkraftwagen.

99        e) Unter diesen Umständen hat das Berufungsgericht zu Recht keinen Raum für eine sekundäre Darlegungslast der Klägerin gesehen.

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