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Wirtschaftsrecht
17.10.2024
Wirtschaftsrecht
BGH: LKW-Kartell IV

BGH, Urteil vom 9.7.2024 – KZR 98/20

ECLI:DE:BGH:2024:090724UKZR98.20.0

Volltext: BB-Online BBL2024-2434-2

Amtlicher Leitsatz

Für die Darlegung eines kartellbedingten Preishöhenschadens genügt es, wenn der Kläger alle greifbaren Anhaltspunkte für die nach § 287 ZPO vorzunehmende Schadensschätzung vorträgt, zu deren Darlegung er ohne weiteres in der Lage ist. Die Vorlage einer Vergleichsmarktanalyse kann von ihm nicht verlangt werden, vielmehr können sich Anhaltspunkte je nach den Umständen des Einzelfalls auch aus sonstigen Indizien ergeben, die geeignet sind, auf einen erheblichen Schaden zu schließen.

 

Sachverhalt

Die Beklagten gehören zu den führenden Herstellern von Lastkraftwagen im Europäischen Wirtschaftsraum. Mit - auf einem Vergleich beruhenden - Beschluss vom 19. Juli 2016 (nachfolgend Kommissionsbeschluss) stellte die Europäische Kommission fest, dass die Beklagten und mindestens drei weitere LKW-Hersteller durch Absprachen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen für mittelschwere und schwere Lastkraftwagen sowie über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien für diese Fahrzeuge nach den Abgasnormen EURO 3 bis EURO 6 gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 EWR-Abkommen verstoßen haben. Für die Zuwiderhandlung, die sich über den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum erstreckte und vom 17. Januar 1997 bis zum 18. Januar 2011 andauerte, verhängte die Kommission gegen die Beklagte zu 2, die zu diesem Zeitpunkt als Daimler AG firmierende Mercedes-Benz Group AG, ein Bußgeld von gut einer Milliarde Euro; die Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 1, die MAN SE, wurde als Kronzeugin nicht mit einem Bußgeld belegt.

Der Kläger erbringt mit seinem Unternehmen Transportdienstleistungen. Er nimmt die Beklagten auf Ersatz kartellbedingten Schadens im Zusammenhang mit dem Erwerb von Lastkraftwagen in den Jahren 1998 bis 2010 in Anspruch. Seiner Klage liegen 112 Erwerbsvorgänge über von Tochtergesellschaften der Beklagten hergestellte Lastkraftwagen zugrunde, die er zum Teil über Mietkaufverträge oder Darlehensverträge finanziert hat; bei einigen Fahrzeugen handelt es sich um Vorführ- oder Gebrauchtwagen. Für die Bemessung seines Schadens beruft sich der Kläger auf eine von der EU-Kommission bei der Beratungsfirma Oxera in Auftrag gegebene Studie zur Quantifizierung von Kartellschäden aus dem Jahr 2009 (nachfolgend Oxera-Studie 2009), wonach Kartelle im Median zu einem kartellbedingten Preisaufschlag von 18 Prozent des gezahlten Preises führten. Davon ausgehend bemisst er seinen Schaden mit 15 Prozent des jeweiligen Erwerbspreises und fordert insgesamt Schadensersatz in Höhe von 1.575.631,20 €.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine in der Berufungsinstanz gestellten Klageanträge weiter.

Aus den Gründen

4          I.    Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

 

5          Die Beklagten hätten, wie durch den Kommissionsbeschluss bindend festgestellt sei, gegen das Kartellverbot des Art. 101 AEUV und dessen Vorgängernormen vorsätzlich verstoßen, indem sie unter anderem Bruttolistenpreiserhöhungen vereinbart oder jedenfalls miteinander abgestimmt hätten. Die in der Berufungsinstanz noch zu beurteilenden 112 Erwerbsvorgänge seien auch kartellbetroffen. Der Senat schließe sich nach eigener Prüfung der Beurteilung durch das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht in dessen Urteil vom 17. Februar 2020 an, dass bei umfassender Würdigung aller von den Parteien vorgebrachten Umstände eine tatsächliche Vermutung für die Kartellbetroffenheit spreche und praktisch ausgeschlossen sei, dass durch die im vorgenannten Kommissionsbeschluss festgestellten verbotenen abgestimmten Verhaltensweisen die Endkundenpreise im Ergebnis nicht beeinflusst worden sein könnten.

 

6          Es fehle jedoch an einer hinreichenden Substantiierung des Schadens durch den Kläger. Ein Erfahrungssatz, dass ein Kartell wie das vorliegende typischerweise einen Schaden in Form einer Preisüberhöhung von 15 Prozent bewirke, bestehe nicht und lasse sich auch nicht aus der Oxera-Studie 2009 ableiten. Danach wiesen zwar die untersuchten empirischen ökonomischen Daten darauf hin, dass die Mehrzahl der untersuchten Kartelle zu Preisüberhöhungen führe. Bei etwa sieben Prozent der untersuchten Kartelle sei jedoch keine kartellbedingte Preisüberhöhung festgestellt worden. Zudem sei nicht auszuschließen, dass viele Kartelle ohne Preiseffekt keinen Eingang in die Studie gefunden hätten. Angesichts der Vielgestaltigkeit und Komplexität wettbewerbsbeschränkender Absprachen lasse sich somit anhand der Oxera-Studie 2009 nicht auf wissenschaftlich-empirischer Grundlage belegen, dass im Fall des LKW-Kartells eine für eine tatrichterliche Schätzung ausreichende Wahrscheinlichkeit für eine kartellbedingte Preisüberhöhung von 15 Prozent oder in Höhe eines anderen Prozentsatzes im Sinne eines Mindestschadens bestehe. Die lange Dauer von rund 14 Jahren und die hohe Marktabdeckung des LKW-Kartells im Europäischen Wirtschaftsraum stellten zwar Indizien dafür dar, dass dieses zu über dem Wettbewerbsniveau liegenden Preisen geführt habe. Zeitliche Dauer und Umfang der Marktabdeckung allein erlaubten indes keine Rückschlüsse darauf, wie sich das konkrete Marktgeschehen für schwere und mittelschwere LKW ohne die Kartellabsprache entwickelt hätte. Das gelte vorliegend umso mehr, als der genaue Inhalt der Kartellabsprachen zu einer etwaigen Preisüberhöhung weder vom Kläger dargelegt sei noch sich aus dem Beschluss der EU-Kommission ergebe.

 

7          Die für eine Schadensermittlung erforderlichen Anknüpfungstatsachen habe der Kläger nicht dargelegt. Für die Schätzung eines Preisaufschlags taugliche Indizien könnten sich beispielsweise aus einem Vergleich der Preise und deren Entwicklung während der Kartellperiode mit den Preisen vor und/oder nach der Kartellperiode ergeben. Ebenso könnten Indizien für eine Schätzung aus dem Vergleich der Preise oder deren Entwicklung auf dem kartellbetroffenen Markt mit Preisen auf nicht von dem Kartellverstoß betroffenen, anderen regionalen Märkten resultieren oder auf solchen nicht von dem Kartellverstoß betroffenen Märkten, die zwar andere Güter zum Gegenstand hätten, die aber erfahrungsgemäß eine ähnliche Kosten- und Preisentwicklung aufwiesen. Mangels Darlegung derartiger Anknüpfungstatsachen sei auch der vom Kläger angebotene Sachverständigenbeweis nicht zu erheben und sei nicht einmal die Schätzung eines Mindestschadens möglich.

 

8          II.    Dies hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Anspruch des Klägers auf Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 81 EGV, § 33 Satz 1, 2. Halbsatz i.V.m. § 1 GWB in der vom 1. Januar 1999 bis 30. Juni 2005 geltenden Fassung und § 33 Abs. 3 GWB in der vom 1. Juli 2005 bis zum 29. Juni 2013 geltenden Fassung nicht verneint werden. Die Revision rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht einen (bezifferten) Schaden des Klägers für nicht feststellbar gehalten hat.

 

9          1.    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Feststellung, ob der von einem am Kartellverstoß beteiligten Unternehmen vereinbarte Preis wegen des Kartells höher war, als er ohne das Kartell gewesen wäre, nur im Wege eines Indizienbeweises unter Heranziehung derjenigen Umstände getroffen werden, die darauf schließen lassen, wie sich das Marktgeschehen ohne das Kartell wahrscheinlich entwickelt hätte. Diese Feststellung, für die der Maßstab des § 287 Abs. 1 ZPO gilt, hat das Tatgericht nach freier Überzeugung zu treffen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 23. September 2020 - KZR 35/19, BGHZ 227, 84 Rn. 56 - LKW-Kartell; vom 13. April 2021 - KZR 19/20, WuW 2021, 569 Rn. 53 mwN - LKW-Kartell II; vom 29. November 2022 - KZR 42/20, BGHZ 235, 168 Rn. 39 bis 41 mwN - Schlecker).

 

10        a)    Um die erforderliche Überzeugung von der Schadensentstehung verfahrensfehlerfrei zu gewinnen, muss das Gericht eine Gesamtwürdigung vornehmen und sich umfassend mit den Umständen des Einzelfalls auseinandersetzen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2020 - KZR 24/17, WuW 2020, 202 Rn. 52 - Schienenkartell II; BGHZ 227, 84 Rn. 88 - LKW-Kartell; WuW 2021, 569 Rn. 53 f. - LKW-Kartell II). Die Gesamtwürdigung hat alle Umstände einzubeziehen, die festgestellt sind, oder für die diejenige Partei, die sich auf einen ihr günstigen Umstand mit indizieller Bedeutung für oder gegen einen Preiseffekt des Kartells beruft, Beweis angeboten hat. Das Tatgericht ist jedoch nicht gezwungen, jeden angebotenen Beweis zu erheben. Weil es bei der Behandlung von Anträgen zum Beweis von Indizien freier gestellt ist als bei sonstigen Beweisanträgen, darf und muss es bei einem Indizienbeweis vor der Beweiserhebung prüfen, ob die vorgetragenen Indizien - ihre Schlüssigkeit unterstellt - es von der Wahrheit der Haupttatsache überzeugen (BGHZ 235, 168 Rn. 41 mwN - Schlecker).

 

11        b)    Im Rahmen der Gesamtwürdigung muss das Tatgericht berücksichtigen, dass zugunsten des Abnehmers eines an einer Kartellabsprache beteiligten Unternehmens eine auf der hohen Wahrscheinlichkeit eines solchen Geschehens beruhende tatsächliche Vermutung - im Sinne eines Erfahrungssatzes - dafür streiten kann, dass die im Rahmen des Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten. Grundlage dieses Erfahrungssatzes ist die wirtschaftliche Erfahrung, dass die Gründung und Durchführung eines Kartells regelmäßig einen Mehrerlös der daran beteiligten Unternehmen zur Folge hat. Durch Kartellabsprachen sind die beteiligten Unternehmen jedenfalls in einem gewissen Umfang der Notwendigkeit enthoben, sich im Wettbewerb zur Erlangung von Aufträgen gegen konkurrierende Unternehmen durchzusetzen, und Unternehmen, die sich aufgrund solcher Absprachen nicht dem Wettbewerb, insbesondere dem Preiswettbewerb, stellen müssen, werden im Regelfall keinen Anlass sehen, bestehende Preissenkungsspielräume zu nutzen (st. Rspr., vgl. nur BGHZ 227, 84 Rn. 40 - LKW-Kartell; WuW 2021, 569 Rn. 26 - LKW-Kartell II; Urteil vom 28. Juni 2022 - KZR 46/20, WuW 2022, 681 Rn. 42 - Stahl-Strahlmittel; BGHZ 235, 168 Rn. 44 - Schlecker, jeweils mwN). Das Gewicht des Erfahrungssatzes hängt entscheidend von der konkreten Ausgestaltung des Kartells und seiner Praxis ab und erhöht sich, je länger und nachhaltiger ein Kartell praktiziert wurde und je größer daher die Wahrscheinlichkeit ist, dass es Auswirkungen auf das Preisniveau gehabt hat, welches sich infolge der Ausschaltung oder zumindest starken Dämpfung des Wettbewerbs eingestellt hat (BGH, Beschluss vom 28. Juni 2005 - KRB 2/05, WuW/E DE-R 1567, 1569 Rn. 20 - Berliner Transportbeton I; WuW 2020, 202 Rn. 40 - Schienenkartell II; BGHZ 227, 84 Rn. 57 - LKW-Kartell).

 

12        c)    Der Indizienbeweis ist geführt, wenn das Tatgericht auf Grundlage einer Gesamtwürdigung sämtlicher Indizien die am Maßstab des § 287 Abs. 1 ZPO zu messende Überzeugung von der Richtigkeit der zu beweisenden Haupttatsache erlangt hat. Er ist misslungen, wenn unter Berücksichtigung sämtlicher festgestellter oder - mangels erhobenen Beweises - zu unterstellender Indiztatsachen und des ihnen jeweils zukommenden Gewichts zumindest Zweifel daran verbleiben, dass ein Schaden mit der nach § 287 Abs. 1 ZPO geforderten Wahrscheinlichkeit eingetreten ist. Nicht erforderlich ist, dass der Gegner den Beweis des Gegenteils führt, mithin den Richter davon überzeugt, dass ein Schaden nicht entstanden ist (BGHZ 227, 84 Rn. 58 - LKW-Kartell).

 

13        d)    Da die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs in erster Linie Sache des dabei nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters ist, unterliegt sie nur eingeschränkter Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Sie kann revisionsrechtlich nur beanstandet werden, wenn das Tatgericht den Streitstoff nicht umfassend, widerspruchsfrei oder ohne Verstoß gegen Denk- und Erfahrungssätze gewürdigt hat und wenn es Rechtsgrundsätze der Schadenbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (st. Rspr., vgl. zuletzt etwa BGHZ 235, 168 Rn. 40 f. - Schlecker; Urteil vom 15. Dezember 2022 - VII ZR 177/21, juris Rn. 15; vom 7. Februar 2023 - VI ZR 137/22, VersR 2023, 596 Rn. 50, jeweils mwN).

 

14        2.    Solche Rechtsfehler liegen hier vor. Die Annahme des Berufungsgerichts, es könne auf Grundlage des festgestellten Sachverhalts und des Vortrags des Klägers einen diesem entstandenen Schaden nicht ermitteln, beruht auf einer Verkennung von Rechtsgrundsätzen der Schadensbemessung und einer in sich widersprüchlichen Würdigung des Streitstoffs.

 

15        a)    Allerdings ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass es Sache des Anspruchstellers ist, diejenigen Umstände vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, die seine Vorstellungen zur Schadenshöhe rechtfertigen sollen. Enthält der diesbezügliche Vortrag Lücken oder Unklarheiten, ist es jedoch in der Regel nicht gerechtfertigt, dem jedenfalls in irgendeiner Höhe Geschädigten jeden Ersatz zu versagen. Vielmehr nimmt das Gesetz mit der Einräumung der Befugnis, die Höhe des Schadens zu schätzen (§ 287 Abs. 1 ZPO), in Kauf, dass das Ergebnis der Abschätzung mit der Wirklichkeit vielfach nicht übereinstimmt; die Schätzung soll nur möglichst nahe an diese heranführen. Um der Beweisnot des Geschädigten abzuhelfen, hat das Gericht den Schaden - gegebenenfalls in Form eines Mindestschadens - zu schätzen, wenn und soweit die festgestellten Umstände hierfür noch eine genügende Grundlage abgeben. Insbesondere wenn feststeht, dass ein Schaden in einem der Höhe nach nicht bestimmbaren, aber jedenfalls erheblichen Ausmaß entstanden ist, wird sich in der Regel aus den Umständen, die die Annahme eines erheblichen Schadens begründen, eine ausreichende Grundlage für die Ermittlung eines gewissen (Mindest-)Schadens gewinnen lassen (BGH, Urteile vom 16. Dezember 1963 - III ZR 47/63, NJW 1964, 589 [juris Rn. 19]; vom 13. Dezember 2011 - XI ZR 51/10, BGHZ 192, 90 Rn. 68). Gänzlich absehen von einer Schätzung darf das Tatgericht erst, wenn diese mangels greifbarer Anhaltspunkte völlig in der Luft hängen würde (vgl. BGH, Urteile vom 7. Juli 1970 - VI ZR 233/69, VersR 1970, 924 [juris Rn. 45]; vom 22. Mai 1984 - III ZR 18/83, BGHZ 91, 243 [juris Rn. 55]; vom 8. Mai 2012 - VI ZR 37/11, NJW 2012, 2267 Rn. 9; vom 6. Juli 2021 - KZR 11/18, WuW 2021, 642 Rn. 29 - wilhelm.tel, jeweils mwN).

 

16        b)    Vor diesem Hintergrund hat das Berufungsgericht überzogene Anforderungen an die Darlegungslast des Klägers gestellt und damit wesentliche Grundsätze der Schadensbemessung verkannt.

 

17        aa)    An die Darlegung konkreter Anhaltspunkte für die Feststellung des aus einer wettbewerbswidrigen Absprache resultierenden Schadens eines Abnehmers im Rahmen des § 287 Abs. 1 ZPO dürfen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (vgl. zu einem Schaden in Form entgangenen Gewinns BGH, Urteil vom 17. April 1997 - X ZR 2/96, NJW-RR 1998, 331 [juris Rn. 26] - Chinaherde, sowie zur ebenfalls mit großen Unsicherheiten behafteten Feststellung eines Erwerbsschadens BGH, Urteile vom 17. Januar 1995 - VI ZR 62/94, NJW 1995, 1023 [juris Rn. 18, 21]; vom 12. Januar 2016 - VI ZR 491/14, NJW-RR 2016, 793 Rn. 18; vom 19. September 2017 - VI ZR 530/16, NJW 2018, 864 Rn. 16, jeweils mwN).

 

18        (1)    Die Bezifferung eines Schadens, der aus einem Verstoß gegen das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen resultiert, ist regelmäßig mit erheblichen tatsächlichen Schwierigkeiten und zudem oftmals mit großem sachlichen und finanziellen Aufwand verbunden. In besonderem Maße gilt dies für den durch Kartellabsprachen verursachten Preishöhenschaden, weil dieser Schaden aus einem Vergleich des vertraglich vereinbarten Preises mit dem hypothetischen Preis zu ermitteln ist, der sich ohne Kartellabsprache ergeben hätte. Dieser hypothetische Wettbewerbspreis kann auf Grundlage der Umstände des Einzelfalls nur näherungsweise bestimmt werden (BGH, Urteil vom 10. Februar 2021 - KZR 63/18, WuW 2021, 356 Rn. 34 mwN - Schienenkartell VI; vgl. auch Schweitzer/Woeste, ZWeR 2022, 46, 54). Denn die Auswirkungen einer wettbewerbswidrigen Absprache auf den Marktpreis hängen von einer Vielzahl von Faktoren ab (vgl. BGH, WuW 2021, 356 Rn. 35 - Schienenkartell VI) und sind ihrerseits keiner wissenschaftlich exakten Beurteilung zugänglich. Aus diesem Grund sind die Parteien und die Rechtsanwender bei der Ermittlung von Kartellschäden mit einem besonders hohen Maß an Unsicherheit konfrontiert (vgl. Schweitzer/ Woeste, ZWeR 2022, 46, 54).

 

19        (2)    Für die Annäherung an den hypothetischen Wettbewerbspreis finden in der deutschen Gerichtspraxis in erster Linie räumliche, sachliche oder zeitliche Vergleichsmarktbetrachtungen Anwendung, die in unterschiedlichen ökonometrischen Modellen umgesetzt werden. Dabei kommt den Vergleichsmarktbetrachtungen kein zwingender Vorrang zu; vielmehr können je nach den Umständen des Einzelfalls auch andere anerkannte Methoden zur Ermittlung des hypothetischen Wettbewerbspreises in Betracht kommen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Mai 2012 - KVR 51/11, WuW/E DE-R 3632 Rn. 14 - Wasserpreise Calw; vom 14. Juli 2015 - KVR 77/13, BGHZ 206, 229 Rn. 22 bis 25 - Wasserpreise Calw II; vom 9. Oktober 2018 - KRB 51/16, WuW 2019, 146 Rn. 66 - Flüssiggas; allgemein zur ökonomischen Diskussion Oxera-Studie 2009, S. iv, v; Haucap/Heimeshoff, ZWeR 2022, 80, 82 ff., 100 ff.; Hüschelrath/Leheyda/Müller/Veith, Schadensermittlung und Schadensersatz bei Hardcore-Kartellen, 2012, S. 81; Coppik/Heimeshoff, Praxis der Kartellschadensermittlung, 2021, S. 17 f.; Schweitzer/Woeste, ZWeR 2022, 46, 6 ff.). Teilweise nehmen die Tatgerichte auch selbst Schadensschätzungen vor, gegebenenfalls auf der Basis vorgelegter Parteigutachten (vgl. OLG Celle, Urteil vom 12. August 2021, WuW 2021, 591 Rn. 97; LG Berlin, Urteil vom 15. Juni 2023, WuW 2024, 161 Rn. 63, 142).

 

20        (3)    Der Kartellgeschädigte, der seinen Schadensersatzanspruch gerichtlich durchsetzen möchte, verfügt typischerweise weder über die erforderlichen Daten noch den notwendigen Sachverstand, um den Preishöhenschaden zu ermitteln. Das gilt insbesondere für die Schadensermittlung auf Grundlage einer anerkannten ökonomischen Methode. Nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen ist er auch nicht verpflichtet, den Umfang des geltend gemachten Schadens durch ein privates Sachverständigengutachten näher darzulegen (vgl. BGH, Urteile vom 5. Dezember 1995 - X ZR 121/93, NJW 1996, 775 [juris Rn. 9]; vom 19. Februar 2003 - IV ZR 321/02, MDR 2003, 766 [juris Rn.10]; Beschlüsse vom 22. Dezember 2015 - VI ZR 67/15, MDR 2016, 270 Rn. 4; vom 8. Dezember 2021 - VIII ZR 280/20, MDR 2022, 363 Rn. 27). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2019 - VI ZR 396/18, MDR 2020, 27 Rn. 17 mwN). Im Anwendungsbereich des § 287 ZPO kann es sich dabei auch ohne Antrag der Partei sachverständiger Hilfe bedienen (§ 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

 

21        (4)    Danach genügt es für die Darlegung eines kartellbedingten Preishöhenschadens, wenn der Kläger alle greifbaren Anhaltspunkte für die nach § 287 ZPO vorzunehmende Schadensschätzung vorträgt, zu deren Darlegung er (ohne weiteres) in der Lage ist. Solche Anhaltspunkte können sich aber nicht nur aus (ökonometrischen) Vergleichsbetrachtungen, sondern je nach den Umständen des Einzelfalls auch aus sonstigen Indizien ergeben, die unter Berücksichtigung des genannten Erfahrungssatzes geeignet sind, auf einen erheblichen Schaden des Klägers zu schließen, insbesondere aus den im Bußgeldbescheid festgestellten Umständen.

 

22        bb)    Vor diesem Hintergrund hat das Berufungsgericht überzogene Anforderungen an die Darlegung konkreter Anhaltspunkte für die Schadenshöhe durch den Kläger gestellt.

 

23        (1)    Zu Unrecht hat es beanstandet, der Kläger habe den genauen Inhalt der Kartellabsprache zu einer etwaigen Preisüberhöhung nicht dargelegt. Wie sich aus dem Bußgeldbescheid ergibt, haben die Kartellteilnehmer keine Absprachen zu (konkreten) Preisüberhöhungen getroffen. Letztere waren vielmehr - mit vom Berufungsgericht angenommener äußerst hoher Wahrscheinlichkeit - Folge des von der Europäischen Kommission festgestellten Informationsaustauschs über Bruttolistenpreise. Es erschließt sich daher bereits nicht, welchen weitergehenden Inhalt der Kartellabsprachen der Kläger hätte vortragen sollen und inwiefern dadurch bessere Rückschlüsse auf den kartellbedingten Preiseffekt ermöglicht worden wären.

 

24        (2)    Auf einer Verkennung von Rechtsgrundsätzen der Schadensbemessung beruht die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger hätte als weitere Anknüpfungstatsachen Indizien vortragen müssen, die sich aus von ihm angestellten Preisvergleichen ergäben. Der Kläger hat detailliert zu den seiner Klage zugrundeliegenden Erwerbsvorgängen vorgetragen und mit der Vorlage der Oxera-Studie 2009 weitere ihm zugängliche und seine Schadensberechnung stützende Umstände vorgetragen. Soweit das Berufungsgericht meint, ein solcher Vergleich hätte sich etwa aus einem Vergleich der Preise und deren Entwicklung während der Kartellperiode mit den Preisen vor und/oder nach der Kartellperiode ergeben können, oder aus dem Vergleich der Preise und deren Entwicklung auf dem kartellbetroffenen Markt mit Preisen auf nicht von dem Kartellverstoß betroffenen, anderen regionalen Märkten oder auf solchen nicht von dem Kartellverstoß betroffenen Märkten, die zwar andere Güter zum Gegenstand hätten, aber erfahrungsgemäß eine ähnliche Kosten- und Preisentwicklung aufwiesen, hat es vom Kläger eine Vergleichsmarktanalyse gefordert, die dieser letztlich nur mittels eines von ihm eingeholten ökonomischen Sachverständigengutachtens hätte beibringen können. Dazu war er nach den oben genannten zivilprozessualen Grundsätzen aber nicht verpflichtet. Sofern das Berufungsgericht im Streitfall eine Vergleichsmarktanalyse als für die Schadensermittlung geeignet und - mangels hinreichender Grundlage für eine eigene Schadensschätzung - notwendig angesehen hätte, hätte es nach den von ihm getroffenen Feststellungen gemäß § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO den vom Kläger angebotenen Sachverständigenbeweis erheben müssen.

 

25        (3)    Schließlich beruht auch die Annahme des Berufungsgerichts, angesichts der Vielgestaltigkeit und Komplexität wettbewerbsbeschränkender Absprachen lasse sich anhand der Oxera-Studie 2009 nicht auf wissenschaftlich-empirischer Grundlage belegen, dass im Falle des LKW-Kartells eine für eine tatrichterliche Schätzung ausreichende Wahrscheinlichkeit für eine kartellbedingte Preisüberhöhung von 15 Prozent oder in Höhe eines anderen Prozentsatzes im Sinne eines Mindestschadens bestehe, entweder auf einer Verkennung der dem Tatrichter durch § 287 Abs. 1 ZPO eingeräumten Freiheit bei der Schadensschätzung oder auf einer in sich widersprüchlichen Würdigung des Streitstoffs. Denn das Berufungsgericht hat zuvor die umfassende Gesamtwürdigung aller zu berücksichtigenden Indizien, insbesondere der Feststellungen im Bußgelbescheid, durch das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht in dessen Urteil vom 17. Februar 2020 (16 U 43/19 Kart, NZKart 2020, 206) wörtlich wiedergegeben und sich sodann nach eigener Prüfung dessen Schlussfolgerung ausdrücklich zu eigen gemacht, es sei praktisch ausgeschlossen, dass durch die verbotenen Verhaltensweisen der Beklagten und ihrer Mittäter die Endkundenpreise im Ergebnis nicht beeinflusst worden sein könnten. Diese Würdigung und weitere Schlussfolgerungen aus dem Bußgeldbescheid hat der Senat bereits in einer früheren Entscheidung gebilligt (vgl. BGH, WuW 2021, 569 Rn. 54 bis 59 - LKW-Kartell II). Das Berufungsgericht hat also aus den Umständen und der ihm bekannten Wirkungsweise des konkreten Kartells den - zulässigen - Schluss gezogen, dass dieses mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu den in der Oxera-Studie 2009 genannten etwa sieben Prozent wirkungslosen Kartellen zählt, sondern vielmehr zur großen Mehrzahl von Kartellen, bei denen mit einem spürbaren Preiseffekt zu rechnen ist. Dadurch, dass das Berufungsgericht vor diesem Hintergrund nicht einmal die Schätzung eines Mindestschadens für möglich gehalten hat, hat es den Streitstoff widersprüchlich gewürdigt und sich vorschnell seiner Aufgabe entzogen, auf der Grundlage des § 287 Abs. 1 ZPO eine Schadensermittlung vorzunehmen.

 

26        cc)    Nachdem das Berufungsgericht im Übrigen keine Mängel im Vortrag des Klägers zu den für die Schadensermittlung erheblichen Details der einzelnen Erwerbsvorgänge gesehen hat und auch in denjenigen Fällen, in denen der Kläger Lastkraftwagen von einem Vertragshändler gekauft, Leasing- und Mietkaufverträge (dazu sogleich Rn. 28) über von ihm bestellte Neufahrzeuge abgeschlossen oder Vorführ- und Gebrauchtwagen (dazu sogleich Rn. 29) erworben hat, von einer an den Kläger weitergegebenen kartellbedingten Preiserhöhung ausgegangen ist, hätte es die Klage nicht wegen einer fehlenden Substantiierung des Schadens durch den Kläger abweisen dürfen.

 

27        III.    Die Abweisung der Klage durch das Berufungsgericht stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als - teilweise - richtig dar (§ 561 ZPO).

 

28        1.    Das Berufungsgericht hat die Klage nicht deshalb teilweise zu Recht abgewiesen, weil ein Teil der vom Kläger erworbenen Lastkraftwagen über Mietkaufverträge finanziert worden ist. Wie der Bundesgerichtshof zwischenzeitlich entschieden hat, kann der Erfahrungssatz, dass die im Rahmen des Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten (vgl. dazu oben Rn. 11), in dieser Konstellation schon deshalb uneingeschränkt herangezogen werden, weil diese Vertriebsform auf die volle Deckung der Anschaffungs- und Finanzierungskosten durch den Erwerber gerichtet ist (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2023 - KZR 46/21, WuW 2024, 108 Rn. 28 - LKW-Kartell III).

 

29        2.    Auch hinsichtlich der auf den Erwerb von Gebraucht- und Vorführwagen gestützten Schadensersatzansprüche erweist sich die Klagabweisung durch das Berufungsgericht nicht aus anderen Gründen als richtig. Zwar findet der Erfahrungssatz, dass die im Rahmen des Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten, insoweit keine unmittelbare Anwendung. Denn die Absprachen der Kartellbeteiligten bezogen sich nach den bindenden Feststellungen des Kommissionsbeschlusses vom 19. Juli 2016 allein auf Neuwagen, der Erwerb eines gebrauchten Lastkraftwagens fand mithin auf einer nachgelagerten Marktstufe statt. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass dem Kläger auch wegen des Erwerbs der Gebraucht- und Vorführwagen ein kartellbedingter Schaden entstanden ist. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass sämtliche betroffenen Fahrzeuge während des Bestehens des Kartells hergestellt worden seien. Mangels weitergehender Feststellungen ist im Übrigen vom Vortrag des Klägers auszugehen, wonach es sich um neun Gebraucht- oder Vorführwagen handelt, die im Zeitpunkt des Erwerbs zwischen ein und acht Monate alt waren. Damit besteht die Möglichkeit, dass der jeweilige Verkäufer des Gebrauchtfahrzeugs einen ihm auf der ersten Marktstufe entstandenen Kartellschaden auf den Kläger - teilweise - abgewälzt haben könnte.

 

30        IV.    Das angefochtene Urteil ist daher insgesamt aufzuheben (§ 562 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden. Diese ist daher zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

 

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