BGH: Kopplung von Preisausschreiben und Gewinnspiel an ein Umsatzgeschäft
BGH, Urteil vom 5.10.2010 - I ZR 4/06
Leitsätze
a) Im Hinblick auf die erhebliche Anlockwirkung, die im Allgemeinen von einem an den Produktabsatz gekoppelten Preisausschreiben oder Gewinnspiel ausgeht, ist das Merkmal der Spürbarkeit (§ 3 Abs. 1 UWG) bei einer sol-chen Verkaufsförderungsmaßnahme in der Regel erfüllt. Bei der Regelung in §§ 3, 4 Nr. 6 UWG 2008 handelt es sich daher um ein generelles Verbot der Kopplung solcher Preisausschreiben und Gewinnspiele an ein Umsatz-geschäft, dem die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken entgegensteht (EuGH, Urteil vom 14. Januar 2010 - C-304/08, GRUR 2010, 244 = WRP 2010, 232 - Plus). Das generelle Verbot lässt sich insbesondere nicht damit rechtfertigen, dass die Kopplung solcher Preisausschreiben oder Gewinnspiele generell nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie den Erfor-dernissen der beruflichen Sorgfalt widerspricht.
b) Die Regelung in §§ 3, 4 Nr. 6 UWG 2008 ist in der Weise richtlinienkonform auszulegen, dass die Kopplung eines Preisausschreibens oder Gewinn-spiels an ein Umsatzgeschäft nur dann unlauter ist, wenn sie im Einzelfall eine irreführende Geschäftspraxis darstellt (Art. 6 und 7 der Richtlinie) oder den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt widerspricht (Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie).
UWG 2008 § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 6; Richtlinie 2005/29/EG Art. 5 Abs. 2
Sachverhalt
Die Klägerin, die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, nimmt die Beklagte, ein Einzelhandelsunternehmen, wegen wettbewerbswidri-ger Bewerbung einer "Bonusaktion" auf Unterlassung und Erstattung von Ab-mahnkosten in Anspruch.
Die Beklagte, die in Deutschland etwa 2.700 Filialen unterhält, warb in der Zeit vom 16. September bis 13. November 2004 mit dem Hinweis "Einkau-fen, Punkte sammeln, gratis Lotto spielen" für die Teilnahme an der Bonusakti-on "Ihre Millionenchance". Kunden konnten im genannten Zeitraum "Bonus-punkte" sammeln; sie erhielten bei jedem Einkauf für 5 € Einkaufswert je einen Bonuspunkt. Ab 20 Bonuspunkten bestand die Möglichkeit, kostenlos an den Ziehungen des Deutschen Lottoblocks am 6. oder 27. November 2004 teilzu-nehmen. Hierzu mussten die Kunden auf einer in den Filialen der Beklagten er-hältlichen Teilnahmekarte unter anderem die Bonuspunkte aufkleben und sechs Lottozahlen nach ihrer Wahl ankreuzen. Die Beklagte ließ die Teilnahmekarten in ihren Filialen einsammeln und leitete sie an ein drittes Unternehmen weiter, das dafür sorgte, dass die entsprechenden Kunden mit den jeweils ausgewähl-ten Zahlen an der Ziehung der Lottozahlen teilnahmen. Das Werbematerial, mit dem die Beklagte für diese Aktion geworben hat, ist im Vorlagebeschluss des Senats vom 5. Juni 2008 (I ZR 4/06, GRUR 2008, 807, 808 = WRP 2008, 1175 - Millionen-Chance I) wiedergegeben.
Die Klägerin sieht in der Bonusaktion der Beklagten eine wettbewerbs-widrige Verknüpfung des Warenabsatzes mit einem Gewinnspiel. Die Kunden der Beklagten erlangten zwar eine kostenlose Teilnahme an der Lotterie, jedoch bestehe eine rechtliche Abhängigkeit zwischen der kostenlosen Teilnahme und dem Erwerb von Waren bei der Beklagten. Eine derartige Verknüpfung versto-ße gegen § 4 Nr. 6 UWG.
Die Klägerin hat die Beklagte nach erfolgsloser Abmahnung auf Unter-lassung und auf Zahlung einer Abmahnpauschale in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt (LG Duisburg, WRP 2005, 764). Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 13. Dezember 2005 - 20 U 81/05, juris). Der Senat hat die Revision zugelassen.
Mit Beschluss vom 5. Juni 2008 hat der Senat dem Gerichtshof der Eu-ropäischen Union folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt (BGH, GRUR 2008, 807 - Millionen-Chance I):
Ist Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken dahin auszulegen, dass diese Vorschrift einer nationalen Regelung entgegen-steht, nach der eine Geschäftspraktik, bei der die Teilnahme von Verbrauchern an einem Preisausschreiben oder Gewinnspiel vom Erwerb einer Ware oder von der Inanspruchnahme einer Dienstleistung abhängig gemacht wird, grund-sätzlich unzulässig ist, ohne dass es darauf ankommt, ob die Werbemaßnahme im Einzelfall Verbraucherinteressen beeinträchtigt?
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat diese Frage wie folgt be-antwortet (EuGH, Urteil vom 14. Januar 2010 - C-304/08, GRUR 2010, 244 = WRP 2010, 232 - Plus):
Die Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäi-schen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Ge-schäftspraktiken) ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach der Geschäftsprakti-ken, bei denen die Teilnahme von Verbrauchern an einem Preisausschreiben oder Gewinnspiel vom Erwerb einer Ware oder von der Inanspruchnahme einer Dienstleistung abhängig gemacht wird, ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls grundsätzlich unzulässig sind.
Die Beklagte verfolgt mit ihrer Revision den Klageabweisungsantrag wei-ter. Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision.
Aus den Gründen
8 I. Das Berufungsgericht hat die Klage aus § 4 Nr. 6 UWG für begründet erachtet. Dazu hat es ausgeführt:
9 Die beanstandete Werbung sei wegen unzulässiger Kopplung der Teil-nahme an der Lotterie an einen vorherigen Warenkauf wettbewerbswidrig. Der Gesetzgeber habe durch § 4 Nr. 6 UWG jegliche Kopplung des Absatzes von Waren oder Dienstleistungen mit der Teilnahme an Gewinnspielen unter dem Gesichtspunkt einer unsachlichen Beeinflussung des Verkehrs durch Ausnut-zung der Spiellust und der Hoffnung auf einen leichten Gewinn als unlauter klassifiziert. Eine solche unzulässige Kopplung sei im Streitfall gegeben. Die Vorschrift des § 4 Nr. 6 UWG sei so zu verstehen, dass es an einer Abhängig-keit nur dann fehle, wenn dem angesprochenen Verkehr eine "diskriminierungs-freie" Alternative der Teilnahme an dem Gewinnspiel offenstehe. Eine solche Alternative bestehe beim beanstandeten Gewinnspiel nicht.
10 Der Wettbewerbsverstoß sei auch nicht unerheblich im Sinne von § 3 UWG. Einer solchen Annahme stünden bereits die Marktmacht der Beklagten und die Vielzahl der angesprochenen Kunden entgegen. Ohne Bedeutung sei der nur geringe Wert der in Aussicht gestellten Vergünstigung. Zudem würden jedenfalls diejenigen Personen angesprochen, die ansonsten kein Lotto spiel-ten, aber von der kostenlosen Teilnahmemöglichkeit profitieren wollten.
11 II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben im Wesentlichen Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Abweisung der Klage, soweit die Beklagte zur Unterlassung verurteilt worden ist. Keinen Erfolg hat die Revision, soweit sie sich gegen die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Abmahnkosten richtet.
12 1. Die Klägerin hat ihren Unterlassungsanspruch auf Wiederholungsge-fahr (§ 8 Abs. 1 Satz 1 UWG) und auf eine Verletzungshandlung gestützt, die vom September bis November 2004 begangen worden sein soll. Da der Unter-lassungsanspruch auf die Abwehr künftiger Rechtsverstöße gerichtet ist, ist er nur begründet, wenn auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Rechts Unterlassung verlangt werden kann. Zudem muss die Hand-lung zum Zeitpunkt ihrer Begehung wettbewerbswidrig gewesen sein, weil es anderenfalls an der Wiederholungsgefahr fehlt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. April 2010 - I ZR 23/08, GRUR 2010, 652 Rn. 10 = WRP 2010, 872 - Costa del Sol, mwN). Für den auf § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG gestützten An-spruch auf Erstattung der Abmahnkosten kommt es hingegen darauf an, ob die Abmahnung zu dem Zeitpunkt, in dem sie dem Schuldner zugegangen ist, be-rechtigt war (vgl. Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 12 Rn. 1.84).
13 Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004 (UWG 2004), das zum Zeitpunkt des beanstandeten Verhaltens galt, ist Ende 2008, also nach Verkündung des Berufungsurteils, geändert worden (UWG 2008). Diese - der Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäfts-praktiken dienende - Gesetzesänderung ist insofern von Bedeutung, als die Be-stimmung des § 3 UWG geändert worden und die unverändert gebliebene Be-stimmung des § 4 Nr. 6 UWG nunmehr - genauer: seit dem endgültigen Ablauf der Umsetzungsfrist am 12. Dezember 2007 - im Lichte der Richtlinie und unter Berücksichtigung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszulegen ist.
14 2. Der Senat hat bereits im Vorlagebeschluss vom 5. Juni 2008 (GRUR 2008, 807 Rn. 11 ff. - Millionen-Chance I) im Einzelnen dargelegt, dass die be-anstandete Werbung im Herbst 2004 nach §§ 3, 4 Nr. 6 UWG 2004 wettbe-werbswidrig war. Es handelt sich nicht lediglich um ein Zugabeversprechen, sondern um die Werbung für ein Gewinnspiel (BGH, GRUR 2008, 807 Rn. 12 f.), an dem nur teilnehmen konnte, wer zuvor bei der Beklagten Waren in einem bestimmten Umfang erworben hatte (BGH, GRUR 2008, 807 Rn. 14). Die beanstandete Werbung war auch geeignet, den Wettbewerb nicht nur uner-heblich zum Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher oder der sonstigen Marktteilnehmer zu beeinträchtigen (§ 3 UWG 2004; BGH, GRUR 2008, 807 Rn. 15). Da der Klägerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zum Zeitpunkt der Abmahnung zustand (§ 8 Abs. 1 und 3 Nr. 2 UWG), ist die Be-klagte zu Recht zur Zahlung der Abmahnkosten verurteilt worden (§ 12 Abs. 1 Satz 2 UWG).
15 3. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch steht der Klägerin da-gegen auf der Grundlage des heute geltenden Rechts nicht (mehr) zu. Auch wenn der Wortlaut der Bestimmung des § 4 Nr. 6 UWG im Rahmen der Geset-zesänderung 2008 unverändert geblieben ist und sich die Verbotsnorm des § 3 UWG 2004 mit nur geringfügigen Änderungen in § 3 Abs. 1 UWG 2008 wieder-findet, verbietet eine richtlinienkonforme Auslegung dieser Bestimmungen die Anwendung auf den Streitfall. Ein Verstoß gegen einen anderen Unlauterkeits-tatbestand des Gesetzes scheidet ebenfalls aus.
16 a) Nach § 4 Nr. 6 UWG handelt unlauter, wer die Teilnahme von Ver-brauchern an einem Gewinnspiel vom Erwerb einer Ware abhängig macht. Die Bestimmung enthält - anders als vergleichbare Beispielstatbestände des § 4 UWG - keine Wertungsmöglichkeit. Die Kopplung eines Gewinnspiels an ein Umsatzgeschäft führt zwar nach dieser Bestimmung nicht stets zur Unzulässig-keit des fraglichen Verhaltens; hinzu kommen muss, dass die Wettbewerbs-handlung geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher oder der sonstigen Marktteilnehmer spürbar zu beeinträchtigen (§ 3 Abs. 1 UWG 2008). An der Spürbarkeit wird es aber bei intensiv beworbe-nen Gewinnspielen schon im Hinblick auf die erhebliche Anlockwirkung, die von ihnen ausgeht, nicht fehlen (vgl. BGH, GRUR 2008, 807 Rn. 21 - Millionen-Chance I, zu § 3 UWG 2004). Damit untersagt die Vorschrift des § 4 Nr. 6 UWG im Zusammenwirken mit § 3 Abs. 1 UWG 2008 gekoppelte Preisausschreiben und Gewinnspiele generell und unabhängig von einer Gefährdung der Verbraucherinteressen im Einzelfall. Denn das Verbot beansprucht auch dann Geltung, wenn von dem beworbenen Angebot keine unsachliche Beeinflussung der Verbraucher ausgeht, die Teilnahmebedingungen klar und deutlich angegeben sind und die Verbraucher über ihre Gewinnchancen nicht irregeführt werden (BGH, GRUR 2008, 807 Rn. 21 - Millionen-Chance I).
17 b) Mit diesem Inhalt ist § 4 Nr. 6 UWG mit der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken nicht vereinbar.
18 aa) Bei einem Angebot, das den Erwerb von Waren oder die Inan-spruchnahme von Dienstleistungen mit der Teilnahme der Verbraucher an ei-nem Gewinnspiel oder einem Preisausschreiben koppelt, handelt es sich um eine Geschäftspraxis im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken. Werbemaßnahmen, die - wie im Streitfall - die kostenlose Teilnahme des Verbrauchers an einer Lotterie davon abhängig machen, dass in einem bestimmten Umfang Waren erworben oder Dienstleistungen in Anspruch genommen werden, zielen unmittelbar auf die Förderung des Absatzes des betreffenden Gewerbetreibenden ab und fallen damit in den Geltungsbereich von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (EuGH, GRUR 2010, 244 Rn. 37 - Plus; vgl. dazu Leible, EuZW 2010, 186, 187). Die beanstandete Werbung der Beklagten ist daher an den in der Richtlinie über un-lautere Geschäftspraktiken aufgestellten Vorschriften zu messen.
19 bb) Die Regeln über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen ge-genüber Verbrauchern sind mit der Richtlinie 2005/29/EG auf Unionsebene vollständig harmonisiert worden. Daher dürfen die Mitgliedstaaten keine stren-geren als die in der Richtlinie festgelegten Maßnahmen erlassen (Art. 4 der Richtlinie), und zwar auch nicht zur Erreichung eines höheren Verbraucher-schutzniveaus (EuGH, GRUR 2010, 244 Rn. 41 - Plus; BGH, GRUR 2008, 807 Rn. 17 - Millionen-Chance I).
20 cc) Nach der Generalklausel des Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie über unlau-tere Geschäftspraktiken ist eine Geschäftspraxis unlauter, wenn sie den Erfor-dernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widerspricht und in Bezug auf das je-weilige Produkt das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen. Eine in diesem Sinne wesentliche Beeinflussung ist nach der Definition des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie immer dann gegeben, wenn eine Geschäftspraxis die Fähigkeit des Verbrauchers, eine "informierte Entscheidung" zu treffen, spürbar beeinträchtigt und damit den Verbraucher zu einer geschäftlichen Ent-scheidung veranlasst, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
21 In Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie werden zwei Arten von Geschäftspraktiken genannt, die als unlauter einzustufen sind, nämlich die "irreführenden Prakti-ken" im Sinne der Art. 6 und 7 und die "aggressiven Praktiken" im Sinne der Art. 8 und 9 der Richtlinie. Darüber hinaus stellt die Richtlinie in ihrem Anhang I eine erschöpfende Liste von 31 Geschäftspraktiken auf, die gemäß Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie "unter allen Umständen" als unlauter anzusehen sind. Nur diese Geschäftspraktiken können ohne eine Beurteilung des Einzelfalls anhand der Bestimmungen der Art. 5 bis 9 der Richtlinie über unlautere Geschäftsprak-tiken als unlauter gelten (EuGH, GRUR 2010, 244 Rn. 44 f. - Plus).
22 dd) Anhang I der Richtlinie und - ihm folgend - der Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG 2008 enthalten kein Verbot der Kopplung eines Gewinnspiels an ein Um-satzgeschäft. Es liegt auf der Hand, dass sich ein solches generelles Verbot nicht unter den Tatbestand einer irreführenden Geschäftspraxis (Art. 6 und 7 der Richtlinie) fassen lässt. Es kann aber auch nicht als aggressive Geschäfts-praxis im Sinne der Art. 8 und 9 der Richtlinie angesehen werden. Denn eine solche Kopplung stellt weder eine Belästigung oder Nötigung noch eine unzu-lässige Beeinflussung - also die Ausnutzung einer Machtposition zur Ausübung von Druck (Art. 2 Buchst. j der Richtlinie) - dar, weil von ihr für den Verbraucher nur ein besonderer Anreiz ausgeht, ohne dass der Verbraucher dadurch unter Druck gesetzt wird (vgl. Köhler, GRUR 2010, 177, 182).
23 Damit stünde die deutsche Regelung mit der Richtlinie nur dann im Ein-klang, wenn das generelle Verbot der Kopplung eines Gewinnspiels an ein Um-satzgeschäft unter die Generalklausel des Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie fiele. Die Generalklausel setzt sich aus einem Unlauterkeitskriterium und einem Rele-vanzkriterium zusammen (vgl. Köhler, GRUR 2010, 767, 773): Das fragliche Verhalten muss zum einen den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widersprechen (Art. 5 Abs. 2 Buchst. a in Verbindung mit Art. 2 Buchst. h der Richtlinie), es muss zum anderen das wirtschaftliche Verhalten der Verbraucher zu beeinflussen geeignet sein (Art. 5 Abs. 2 Buchst. b in Verbindung mit Art. 2 Buchst. e der Richtlinie). Dass die Kopplung von Gewinnspielen an ein Um-satzgeschäft generell der beruflichen Sorgfalt widerspräche, lässt sich nicht an-nehmen. Dies entnimmt der Senat der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union, in der die Generalklausel zwar angeführt (EuGH, GRUR 2010, 244 Rn. 43 - Plus), aber nicht als Rechtfertigung der deutschen Regelung herangezogen worden ist (EuGH, GRUR 2010, 244 Rn. 47 ff. - Plus).
24 Noch deutlicher kommt diese Auffassung des Gerichtshofs in dem - noch vor dem Absetzen der vorliegenden Entscheidungsgründe ergangenen - Urteil "Mediaprint" zum Ausdruck (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 - C-540/08, GRUR 2011, 76 = WRP 2011, 45). Dort hatte der österreichische Oberste Ge-richtshof mit seiner zweiten Frage zum Zugabeverbot in § 9 Abs. 1 Nr. 1 des österreichischen UWG wissen wollen, ob die Kopplung eines Gewinnspiels an den Erwerb einer Zeitung eine unlautere Geschäftspraxis im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie darstellt, wenn diese Teilnahmemöglichkeit für einen Teil der angesprochenen Verbraucher das ausschlaggebende Motiv für den Erwerb der Zeitung bildet. In seiner Antwort weist der Gerichtshof darauf hin, dass das angeführte Motiv möglicherweise das Relevanzkriterium erfülle; daneben müs-se aber - um eine unlautere Geschäftspraxis zu bejahen - das fragliche Verhal-ten den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt widersprechen (EuGH, GRUR 2011, 76 Rn. 46 - Mediaprint). Dass dies der Fall sein könnte, wird vom Ge-richtshof in der abschließenden Antwort auf diese Frage noch nicht einmal er-wogen (EuGH, GRUR 2011, 76 Rn. 47 - Mediaprint).
25 c) Ist ein generelles Verbot der Kopplung von Gewinnspielen mit Um-satzgeschäften mit der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken nicht ver-einbar, ist die Bestimmung des § 4 Nr. 6 UWG richtlinienkonform in der Weise auszulegen, dass eine solche Kopplung nur dann unlauter ist, wenn sie im Ein-zelfall eine unlautere Geschäftspraxis im Sinne der Richtlinie darstellt. Da we-der der Verstoß gegen ein Per-se-Verbot des Anhangs I der Richtlinie noch ei-ne aggressive Geschäftspraxis nach Art. 8 und 9 der Richtlinie (vgl. dazu oben Rn. 22) in Betracht kommt, bleibt insofern lediglich zu prüfen, ob das beanstan-dete Verhalten im Einzelfall als irreführende Geschäftspraxis oder als Verstoß gegen die berufliche Sorgfalt einzuordnen ist. Dies ist zu verneinen.
26 Dass die Beklagte die Verbraucher über die Gewinnchancen in die Irre geführt oder auch nur unzureichend über Teilnahmebedingungen oder Gewinn-möglichkeiten unterrichtet hätte, ist dem Vortrag der Klägerin nicht zu entneh-men. Ebenso fehlt es für einen Verstoß gegen die berufliche Sorgfalt (Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie) zumindest am Unlauterkeitskriterium. Dabei kann offen-bleiben, ob es im Einzelfall einen Verstoß gegen die berufliche Sorgfalt darstel-len kann, wenn von dem gekoppelten Gewinnspielangebot eine so starke An-lockwirkung ausgeht, dass die Rationalität der Nachfrageentscheidung der Ver-braucher vollständig in den Hintergrund tritt (vgl. Haberkamm/Kühne, EWS 2010, 417, 419 zu § 4 Nr. 1 UWG; ablehnend Köhler, GRUR 2010, 767, 775). Denn im Streitfall ist eine solche von der Werbung ausgehende Wirkung ohne-hin ausgeschlossen.
27 d) Auch ein Verstoß gegen einen anderen Unlauterkeitstatbestand des Gesetzes kommt nicht Betracht. Für eine Irreführung nach § 5 UWG 2008 ist - wie sich bereits aus den Ausführungen zur richtlinienkonformen Auslegung (s. oben Rn. 26) ergibt - nichts ersichtlich. Für eine mangelnde Transparenz im Sinne von § 4 Nr. 4 und 5 UWG lässt sich weder dem festgestellten Sachverhalt noch dem Klagevortrag etwas entnehmen. Ob eine extreme Anlockwirkung un-ter § 4 Nr. 1 UWG zu subsumieren ist oder allenfalls von der Generalklausel des § 3 Abs. 2 Satz 1 UWG erfasst wird, bedarf im Streitfall ebenfalls keiner Klärung, weil von der beanstandeten Werbung eine solche Anlockwirkung nicht ausgeht (s. oben Rn. 26).
28 III. Danach ist das angefochtene Urteil auf die Revision der Beklagten aufzuheben, soweit das Berufungsgericht die Verurteilung der Beklagten zur Unterlassung bestätigt hat. Der Senat hat selbst in der Sache zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Da der Klägerin der geltend gemachte Unterlassungsan-spruch nicht (mehr) zusteht, ist die Klage unter Abänderung des landgerichtli-chen Urteils mit dem Unterlassungsantrag abzuweisen.
29 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.