BGH: Kooperationsverhältnis im Lebensmittelrecht zwischen Lebensmittelunternehmer und Gesundheitsbehörden und dadurch bedingte Begrenzung der Amtsermittlungspflicht
BGH, Urteil vom 19.12.2024 – III ZR 24/23
ECLI:DE:BGH:2024:191224UIIIZR24.23.0
Volltext: BB-Online BBL2025-66-3
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Amtliche Leitsätze
a) Die Amtsermittlungspflicht der Behörden kann durch fachgesetzliche Mitwirkungs- und Kooperationspflichten der Beteiligten begrenzt sein.
b) Im Lebensmittelrecht besteht zwischen dem Lebensmittelunternehmer und den für die Überwachung der Lebensmittelsicherheit zuständigen Behörden ein Kooperationsverhältnis. Der Lebensmittelunternehmer ist auf Grund dieses Kooperationsverhältnisses verpflichtet, bei einer öffentlichen Produktwarnung beziehungsweise bei einem Produktrückruf mit den zuständigen Behörden aktiv zusammenzuarbeiten.
c) Bleibt ein ordnungsgemäß eingelegtes Rechtsmittel wegen unzulänglichen Sachvortrags oder sonstiger Nachlässigkeiten des Geschädigten ohne Erfolg, begründet dies für sich genommen keinen Haftungsausschluss gemäß § 839 Abs. 3 BGB.
BGB § 839 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Ca, H; LFGB § 39 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 9, § 40 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 (F: 26. Januar 2016); BayVwVfG Art. 24 Abs. 1, 2, Art. 26 Abs. 2
Sachverhalt
Der Kläger macht als Insolvenzverwalter über das Vermögen der S. Gesellschaft für Wurst- und Schinkenspezialitäten mbH (im Folgenden: S. GmbH oder Insolvenzschuldnerin) gegenüber dem beklagten Freistaat Bayern Schadensersatzansprüche aus Amtshaftung im Zusammenhang mit einer öffentlichen Produktwarnung geltend.
Die S. GmbH stellte Wurst- und Schinkenprodukte sowie vegetarische Nahrungsmittel her. Am 16. März 2016 entnahm die Lebensmittelüberwachung des Landratsamts Nürnberger Land in einem R. -Betrieb eine Probe des von der Insolvenzschuldnerin hergestellten Produkts "Original Bayerisches Wacholderwammerl". In dieser Probe stellte das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (im Folgenden: LGL) unter dem 24. März 2016 qualitativ Listerien mit einer quantitativen Anzahl von mehr als 1.000 KbE/g (Kolonie bildende Einheiten pro Gramm) fest.
Listerien sind Bakterien, die insbesondere für Schwangere, Neugeborene und Immungeschwächte lebensgefährlich sein können. Sie können durch Erhitzung abgetötet werden. Auch ein ordnungsgemäßes "Nachpasteurisieren" von Produkten in der Verpackung tötet Listerien zuverlässig ab.
Am 24. März 2016 rief die S. GmbH das Produkt "Original Bayerisches Wacholderwammerl" mit bestimmten Mindesthaltbarkeitsdaten wegen der festgestellten bakteriellen Kontamination zurück. Ausweislich des abschließenden Gutachtens des LGL vom 30. März 2016 wurde in der am 16. März 2016 entnommenen Probe das Bakterium Listeria monocytogenes "über Anreicherung" und quantitativ in einer Zahl von 190.000 KbE/g nachgewiesen.
Anhang I Kapitel 1 Nr. 1.2 der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 der Kommission vom 15. November 2005 über mikrobiologische Kriterien für Lebensmittel sieht in der hier maßgeblichen Fassung (ABl. L 338, 1) für die Kategorie der anderen als für Säuglinge oder für besondere medizinische Zwecke bestimmten verzehrfertigen Lebensmittel, die das Wachstum von Listeria monocytogenes begünstigen können, zwei Grenzwerte für dieses Bakterium vor: Gemäß Fußnote 5 zu dieser Bestimmung gilt für während ihrer Haltbarkeitsdauer in Verkehr gebrachte Erzeugnisse ein Grenzwert von 100 KbE/g, sofern der Hersteller zur Zufriedenheit der zuständigen Behörde nachweisen kann, dass diese Erzeugnisse diesen Wert während ihrer gesamten Haltbarkeitsdauer nicht überschreiten. Bevor das Lebensmittel die unmittelbare Kontrolle des Lebensmittelunternehmers, der es hergestellt hat, verlassen hat, gilt gemäß Fußnote 7 ein zweiter Grenzwert, der eine Nulltoleranz festlegt ("in 25 g nicht nachweisbar"), wenn der Lebensmittelunternehmer den zuständigen Behörden nicht zufriedenstellend nachweisen kann, dass das Erzeugnis den Grenzwert von 100 KbE/g während der gesamten Haltbarkeitsdauer nicht überschreitet.
Bei einer von der S. GmbH in Auftrag gegebenen Untersuchung wurden Listerien auf einer Edelstahlschütte festgestellt. Daraufhin wurde die Produktion des "Original Bayerischen Wammerl" örtlich in einen anderen Teil der Betriebsstätte verlagert und die Verpackung umgestellt.
Im April 2016 wurden im Betrieb der Insolvenzschuldnerin weitere Proben von Wammerlprodukten (Bauchspeck) entnommen. In mehreren dieser Proben wurden Listerien qualitativ festgestellt, wobei die quantitative Bestimmung jeweils eine Keimzahl von weniger als 100 KbE/g ergab.
Am 19. Mai 2016 teilte das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg dem Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz mit, Untersuchungen beim Robert Koch-Institut (RKI) und beim Bundesamt für Risikobewertung hätten ergeben, dass die im März 2016 entnommene "Wacholderwammerl-Probe" identisch mit einem humanen Erkrankungs-Cluster sei, an dem in Süddeutschland seit 2012 über 75 Menschen erkrankt seien. Befragungen der erkrankten Patienten beziehungsweise ihrer Angehörigen hätten epidemiologische Hinweise auf Fleischerzeugnisse aus Schweinefleisch ergeben, die im süddeutschen Raum über die Firma R. vertrieben worden seien. Die Behörden des Beklagten reagierten auf diese Information zunächst mit einer Betriebskontrolle bei der S. GmbH am 20. Mai 2016 unter Beteiligung einer Spezialeinheit des LGL, bei der weitere Proben entnommen wurden.
Am 25. Mai 2016 übersandte das Robert Koch-Institut dem LGL per E-Mail eine fachliche Einschätzung zu dem Listeriose-Geschehen. Darin teilte es mit, der Fund des gleichen NGS-Listeria-Typs (Genomanalyse) in dem Produkt "Original Bayerisches Wacholderwammerl" und bei den Patienten weise mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Zusammenhang auf. Es wies unter anderem darauf hin, Erfahrungen zeigten, dass die Ursache bei der herstellenden Firma liegen und dann auch andere Produkte betreffen könne. Das Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen erließ daraufhin noch am 25. Mai 2016 einen Auflagenbescheid gegenüber der S. GmbH, der ausschließlich die Herstellung von Wammerlprodukten betraf.
Am 27. Mai 2016 übermittelte das LGL der S. GmbH die Ergebnisse der Untersuchungen von Proben, die am 20. sowie zusätzlich am 23. Mai 2016 entnommen worden waren. In Proben von fünf Produkten (Fleischwurst mit Paprika, zweimal Gelbwurst mit Petersilie, einmal Regensburger und einmal S. Gelbwurst) wurden Listerien qualitativ in 25 g festgestellt. Der Wert von 100 KbE/g wurde bei keinem Produkt überschritten.
Ebenfalls am 27. Mai 2016 kamen die zuständigen Behördenmitarbeiter des Beklagten bei einer Telefonkonferenz unter Leitung des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz zu dem Ergebnis, dass es erforderlich sei, die Öffentlichkeit zu informieren, auf dem Markt befindliche Produkte der S. GmbH zurückzurufen und der S. GmbH zu verbieten, ihre am Betriebsstandort in Geretsried hergestellten Produkte in den Verkehr zu bringen. Die S. GmbH wurde zu der beabsichtigten Pressemitteilung, in der vor ihren Produkten gewarnt werden sollte, angehört und beantragte am selben Tag um 16.34 Uhr beim Verwaltungsgericht München, dem Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu untersagen, vor den Produkten (Fleisch- und Wurstwaren) der S. GmbH öffentlich, insbesondere wie angekündigt, zu warnen. Eine öffentliche Warnung vor sämtlichen Produkten ohne nachhaltig gesicherte Tatsachenbasis erscheine völlig unverhältnismäßig. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom selben Tag ab. Die S. GmbH legte dagegen kein Rechtsmittel ein.
Das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz warnte daraufhin in einer noch am 27. Mai 2016 in den Abendstunden (nach 20.10 Uhr) veröffentlichten Pressemitteilung vor allen Schinken- und Wurstprodukten der S. GmbH wegen einer möglichen Kontamination mit Listeria monocytogenes. In der Pressemitteilung führte es unter anderem aus:
"Nachdem umfangreiche amtliche Untersuchungen der bayerischen Lebensmittelüberwachung von derzeit auf dem Markt befindlicher Ware der Firma S. heute in fünf weiteren Fällen positive Listerienergebnisse auf verschiedenen Wurstwaren ergeben haben, bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass von Erzeugnissen der Firma S. eine Gefährdung für die Gesundheit der Verbraucher ausgehen kann, auch wenn ein direkter Nachweis von Listerien nicht für sämtliche Produkte der Firma S. vorliegt. Die insoweit bestehende Unsicherheit kann auf Grund der beschränkten Möglichkeiten der vollständigen wissenschaftlichen Aufklärung lebensmittelbedingter Krankheitsausbrüche nicht innerhalb der gebotenen Zeit behoben werden."
Bereits zuvor hatte ein Mitarbeiter des Landratsamts Bad Tölz-Wolfratshausen um 20.10 Uhr der S. GmbH telefonisch aufgegeben, alle Erzeugnisse der Produktionsanlage Geretsried zurückzurufen. Am 28. Mai 2016 erließ das Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen einen sofort vollziehbaren Auflagenbescheid, in dem der Insolvenzschuldnerin nunmehr schriftlich der Rückruf aller Erzeugnisse aus der Produktionsanlage Geretsried aufgegeben wurde, von ihr verlangt wurde, die Listerienkontaminationsquelle ausfindig zu machen, und in dem ihr bis auf weiteres untersagt wurde, Produkte aus dem Herstellungsbetrieb Geretsried als Lebensmittel in Verkehr zu bringen. Am 29. Mai 2016 rief die S. GmbH in einer Pressemitteilung alle Produkte ihres Sortiments zurück.
Gegen die ergangenen Anordnungen erhob die Insolvenzschuldnerin beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage und beantragte, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen beziehungsweise wiederherzustellen. Am 16. Juni 2016 lehnte das Gericht den Antrag der S. GmbH gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gegen den Bescheid vom 28. Mai 2016 ab.
Die S. GmbH gab entsprechend dem Auflagenbescheid vom 28. Mai 2016 ein Listerienkontrollkonzept in Auftrag. Aus dem hierzu erstellten Bericht ergibt sich, dass Listerien in der Verpackungslinie 5 (auf Riemen) nachgewiesen wurden.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Wolfratshausen vom 1. September 2016 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der S. GmbH wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestimmt.
Der Kläger verlangt Schadensersatz zum einen wegen des Rückrufs von Produkten, die nach seinen Angaben nachpasteurisiert oder zwingend vor dem Verzehr zu erhitzen gewesen seien und von denen daher keine gesundheitliche Gefahr habe ausgehen können. Der Insolvenzschuldnerin sei wegen des Rückrufs dieser unbedenklichen Produkte ein Schaden in Höhe von 46.591,90 € entstanden (Klageantrag zu 1). Der Kläger macht zum anderen geltend, die Insolvenz der S. GmbH beruhe darauf, dass die Beamten des Beklagten amtspflichtwidrig vor sämtlichen Produkten gewarnt und deren Inverkehrbringen verboten hätten. Er verlangt daher auch Ersatz des durch die Insolvenz der S. GmbH entstandenen Schadens, den er mit 10.709.199,73 € beziffert (Klageantrag zu 2).
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil abgeändert. Auf den Klageantrag zu 1 hat es den Beklagten wegen des Rückrufs nachpasteurisierter Produkte verurteilt, an den Kläger 28.695,04 € zu zahlen. Den Anspruch auf Ersatz des Schadens, welcher der S. GmbH durch die Veröffentlichung der Pressemitteilung vom 27. Mai 2016, die mündliche Anordnung vom 27. Mai 2016 und den Auflagenbescheid vom 28. Mai 2016 dadurch entstanden sei, dass in der Verpackung nachpasteurisierte Produkte von der Verzehrwarnung sowie von der Rückruf- und Untersagungsanordnung nicht ausgenommen worden seien (Klageantrag zu 2), hat es unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des damaligen Geschäftsführers der S. GmbH dem Grunde nach zu zwei Dritteln für gerechtfertigt erachtet. Insoweit hat das Berufungsgericht den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über die Schadenshöhe an das Landgericht zurückverwiesen. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision strebt der Beklagte die vollständige Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils an.
Aus den Gründen
19 Die zulässige Revision des Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist.
20 I. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in LMuR 2023, 577 veröffentlicht ist, hat im Wesentlichen ausgeführt:
21 Der Kläger könne als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin im eigenen Namen von dem Beklagten aus § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG Ersatz von zwei Dritteln des Schadens verlangen, welcher der Insolvenzschuldnerin dadurch entstanden sei, dass in der Pressemitteilung vom 27. Mai 2016 undifferenziert vor dem Konsum sämtlicher Schinken- und Wurstprodukte gewarnt worden sei und die von der Insolvenzschuldnerin in der Verpackung nachpasteurisierten Produkte von der Warnung und der Rückruf- und Untersagungsanordnung nicht ausgenommen worden seien.
22 Die Warnung in der Pressemitteilung vom 27. Mai 2016 vor für den Verbraucher gefährlichen Schinken- und Wurstprodukten der Insolvenzschuldnerin habe grundsätzlich ergehen dürfen. Die im Betrieb der Insolvenzschuldnerin sowie im Einzelhandel in dem Zeitraum bis zum 23. Mai 2016 entnommenen und untersuchten Produkt(eigen)proben belegten eine fortdauernde Listerienproblematik, die auch durch die Umstrukturierung der Produktion im April 2016 nicht behoben worden sei und die insbesondere ab dem 20. Mai 2016 nachweislich nicht auf "Wammerl" beschränkt gewesen sei, sondern auch Wurstprodukte und vegetarische Erzeugnisse umfasst habe.
23 Der Einwand des Klägers, bei einem Teil der Proben, auf die der Beklagte die ergriffenen Maßnahmen gestützt habe, sei der maßgebliche Grenzwert von 100 KbE/g nicht erreicht gewesen, sodass diese lebensmittelrechtlich unbedenklich gewesen seien, greife nicht durch. Der Grenzwert nach Anhang I Kapitel 1 Nr. 1.2 i.V.m. Fußnote 5 Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 gelte für in den Verkehr gebrachte Erzeugnisse während der Haltbarkeitsdauer nur, sofern der Hersteller "zur Zufriedenheit der zuständigen Behörde" nachweisen könne, dass das Erzeugnis während der gesamten Haltbarkeitsdauer den Wert von 100 KbE/g nicht übersteige, wobei dieser Nachweis durch die in Anhang II zu Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 genannten Untersuchungen zu führen sei. Einen entsprechenden Nachweis habe die Insolvenzschuldnerin nicht geführt. Er sei auch nicht deswegen entbehrlich, weil das Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen als zuständige Aufsichtsbehörde erstmals in dem Auflagenbescheid vom 25. Mai 2016 explizit sogenannte mikrobiologische Challenge-Tests für die Wammerlprodukte der Schuldnerin angeordnet habe. Die verarbeitenden Betriebe müssten von sich aus und in eigener Verantwortung die Vorgaben des Lebensmittelrechts einhalten. Nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 30. Juni 2022 (C-51/21, LMuR 2022, 421) könne die Behörde nach Art. 14 Abs. 8 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (Basisverordnung, ABl. L 31, 1) als "geeignete Maßnahme" die - unmittelbar nicht einschlägige - Nulltoleranzgrenze aus Anhang I Kapitel 1 Nr. 1.2 Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 ("in 25 g nicht nachweisbar") auf ein Produkt anwenden, wenn - wie vorliegend - ein bereits in den Verkehr gebrachtes Produkt einen positiven Listerienbefund <100 KbE/g aufweise und der Hersteller nicht zur Zufriedenheit der Behörde nachweisen könne, dass das Erzeugnis während der gesamten Haltbarkeitsdauer den Wert von 100 KbE/g nicht übersteige.
24 Eine Amtspflichtverletzung liege auch nicht darin begründet, dass Erzeugnisse der Insolvenzschuldnerin, die bestimmungsgemäß vor dem Verzehr durchzuerhitzen gewesen seien, nicht von der Warnung ausgenommen worden seien. Das Erhitzen durch den Verbraucher sei nach den in der Beweisaufnahme gewonnenen Erkenntnissen nicht geeignet, die Abtötung von Listerien vor dem Verzehr zuverlässig sicherzustellen.
25 Eine jedenfalls fahrlässige Amtspflichtverletzung des für den Beklagten handelnden Personals liege aber darin, dass dieses vor Herausgabe der Pressemitteilung nicht hinreichend ermittelt habe, ob beziehungsweise welche Erzeugnisse der Insolvenzschuldnerin vor dem Inverkehrbringen ordnungsgemäß in der Verpackung nachpasteurisiert worden seien, und in der Pressemitteilung undifferenziert auch vor dem Verzehr dieser Produkte gewarnt habe, von denen per se keine Gesundheitsgefahr für die Verbraucher habe ausgehen können. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass die Insolvenzschuldnerin sachgerecht nachpasteurisierte Produkte in ihrem Sortiment gehabt habe. Die behördlichen Vertreter des Beklagten seien nach dem Amtsermittlungsgrundsatz angesichts der schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen für die Insolvenzschuldnerin, die absehbar aus einer unbeschränkten Produktwarnung resultierten, verpflichtet gewesen, trotz der im Hinblick auf eine Gesundheitsgefahr für die Konsumenten gebotenen Eile, vor Herausgabe der Pressemitteilung von sich aus durch Befragung des Personals der Insolvenzschuldnerin zu eruieren, welche nachpasteurisierten Erzeugnisse sie in ihrem Sortiment geführt habe. Bei lebensnaher Betrachtung sei davon auszugehen, dass der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin in diesem Fall der Behörde kurzfristig eine entsprechende Produktliste vorgelegt hätte, um noch weitergehende Nachteile für seinen Betrieb abzuwenden. Wäre die Pressemitteilung so verfasst worden, dass die nachpasteurisierten Produkte von der Verzehrwarnung ausgenommen worden wären, erscheine es zumindest als möglich, dass die Insolvenz und damit der weitaus größte Teil des geltend gemachten Schadens vermieden worden wäre.
26 Den damaligen Geschäftsführer der S. GmbH treffe jedoch ein nicht unerhebliches Mitverschulden an der Schadensentstehung, das sich die Insolvenzschuldnerin zurechnen lassen müsse. Zum einen wäre es für ihn als Verantwortlichen für die Abläufe im Betrieb trotz der kurzfristigen Ankündigung einer umfassenden Produktwarnung naheliegend gewesen, die Vertreter des Beklagten direkt darauf hinzuweisen, dass die Insolvenzschuldnerin auch von vornherein unbedenkliche Wurstwaren in ihrem Sortiment führe, die von der beabsichtigten Warnung ausgenommen werden müssten. Zum anderen hätte er den Prozessbevollmächtigten der Insolvenzschuldnerin vor Beantragung der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO entsprechend instruieren können und müssen, um weitergehenden Schaden von seinem Betrieb abzuwenden. Abweichend vom Landgericht erachte der Berufungssenat das Mitverschulden nicht als so gravierend, dass ein vollständiger Haftungsausschluss gerechtfertigt sei, sondern bewerte es lediglich mit einem Drittel.
27 Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht aus § 839 Abs. 3 BGB. Der Gebrauch eines Rechtsmittels mit unzulänglicher Begründung falle nicht unter diese Vorschrift, da es sich hierbei um eine eng auszulegende Ausnahmebestimmung zum auch bei der Amtshaftung anwendbaren § 254 BGB handele. Die Nichteinlegung eines weiteren Rechtsmittels gegen eine gerichtliche Entscheidung sei ebenfalls kein Anwendungsfall von § 839 Abs. 3 BGB.
28 Die mündliche Rückruf- und Untersagungsanordnung vom 27. Mai 2016 und ihre schriftliche Bestätigung durch den Auflagenbescheid vom 28. Mai 2016 seien grundsätzlich nach Art. 54 Abs. 1 und 2 Buchst. c) und h) der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz (ABl. L 165, 1) gerechtfertigt gewesen. Eine schuldhafte Amtspflichtverletzung liege indes auch hinsichtlich der Rückruf- und Verbotsanordnungen darin, dass die nachpasteurisierten Produkte der Insolvenzschuldnerin nicht ausgenommen worden seien.
29 Der Rechtsstreit sei der Höhe nach insoweit zur Entscheidung reif, als die Insolvenzschuldnerin auf Grund der mündlichen Rückrufanordnung und des Auflagenbescheids an die Firma N. ausgelieferte, nachpasteurisierte Produkte (Rostbratwürste und Minirostbratwürste) zum Verkaufspreis von insgesamt 43.042,56 € habe zurücknehmen müssen. Unter Berücksichtigung des Mitverschuldensanteils von einem Drittel ergebe sich hieraus ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 28.695,04 €.
30 II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
31 Das Berufungsgericht hat eine Warnung vor dem Verzehr potentiell gefährlicher Schinken- und Wurstprodukte der Insolvenzschuldnerin und den Rückruf sowie die Untersagungsanordnung zwar zutreffend als im Grundsatz nicht amtspflichtwidrig erachtet (1.). Nicht frei von Rechtsfehlern ist indessen die Würdigung, Behördenmitarbeiter hätten ihre Amtspflichten verletzt, indem sie undifferenziert vor dem Konsum sämtlicher Wurst- und Schinkenprodukte gewarnt und unbedenkliche - da nachpasteurisierte - Produkte von der Warnung nicht ausgenommen hätten. Das Berufungsgericht hat insoweit rechtsfehlerhaft unberücksichtigt gelassen, dass eine Mitwirkungs- und Kooperationspflicht der Insolvenzschuldnerin bestand, die zu einer Beschränkung der behördlichen Pflicht zur Amtsermittlung führte (2.). Eine Pflicht zu Nachforschungen hätte nur bestanden, sofern den zuständigen Beamten bekannt gewesen wäre, dass im Betrieb der Insolvenzschuldnerin auch nachpasteurisierte Produkte hergestellt wurden, oder ihnen dies hätte bekannt sein müssen. Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen ergaben sich jedoch für die Behördenmitarbeiter im Rahmen der durchgeführten Betriebskontrollen keine Anhaltspunkte für die regelmäßige Herstellung nachpasteurisierter Produkte (3.). Dies gilt auch für die weitere behauptete Amtspflichtverletzung, die darin liegen soll, dass sich der Produktrückruf und die Untersagungsanordnung auch auf nachpasteurisierte Produkte erstreckten (4.). Das Vorliegen einer Amtspflichtverletzung kann nicht dahinstehen, weil dem Amtshaftungsanspruch, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, weder § 839 Abs. 3 BGB noch ein ganz überwiegendes Mitverschulden der S. GmbH gemäß § 254 BGB entgegenstehen (5.).
32 1. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass eine Warnung vor dem Verzehr potentiell gefährlicher Schinken- und Wurstprodukte der S. GmbH auf der Grundlage von § 39 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 9, § 40 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Januar 2016 (BGBl. 2016 I 108) i.V.m. Art. 10 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 grundsätzlich ergehen durfte.
33 Gemäß Art. 10 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 unternehmen die Behörden, wenn ein hinreichender Verdacht besteht, dass ein Lebensmittel ein Risiko für die Gesundheit von Menschen mit sich bringen kann, je nach Art, Schwere und Ausmaß des Risikos geeignete Schritte, um die Öffentlichkeit über die Art des Gesundheitsrisikos möglichst umfassend aufzuklären. Daran anknüpfend bestimmt § 39 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 9 LFGB, dass die Öffentlichkeit nach Maßgabe von § 40 LFGB informiert werden kann, wenn dies zum Schutz vor Gesundheitsgefahren erforderlich ist. Nach § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LFGB soll eine Information der Öffentlichkeit auch erfolgen, wenn im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass von einem Erzeugnis eine Gefährdung für die Sicherheit und Gesundheit ausgeht oder ausgegangen ist und auf Grund unzureichender wissenschaftlicher Erkenntnis oder aus sonstigen Gründen die Unsicherheit nicht innerhalb der gebotenen Zeit behoben werden kann.
34 a) Im Zeitpunkt der Warnung lagen hinreichende Anhaltspunkte für eine von Erzeugnissen der Insolvenzschuldnerin ausgehende Gefährdung für die Sicherheit und Gesundheit der Verbraucher vor. Hinreichende Anhaltspunkte im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LFGB bestehen, wenn hinreichend konkrete Verdachtsmomente festgestellt werden, aus denen sich eine Gefährdung für die Sicherheit und Gesundheit (von Mensch oder Tier) ergeben kann (Boch, Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch, 10. Online-Aufl., § 40 Rn. 16). Dabei können weniger belastbare Indizien als beim hinreichenden Verdacht genügen, solange bei einer Gesamtbetrachtung die Möglichkeit einer drohenden oder erfolgten Gefährdung plausibel erscheint (Holle in Streinz/Meisterernst, Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch, 2. Aufl., § 40 Rn. 16). Entsprechende Indizien ergaben sich, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat (BU 18-21), aus mehreren Produktproben der S. GmbH, die zwischen März und Mai 2016 im Betrieb der Insolvenzschuldnerin oder im Einzelhandel entnommen worden waren und in denen Listerien des Typs Listeria monocytogenes nachgewiesen wurden.
35 b) Die Anhaltspunkte für eine Gesundheitsgefährdung beschränkten sich dabei nicht auf Wammerlprodukte. Einen eindeutigen Hinweis auf eine Kontamination im Betrieb der Insolvenzschuldnerin lieferte zwar zunächst das am 16. März 2016 beprobte "Wacholderwammerl", bei dem der in Anhang I Kapitel 1 Nr. 1.2 Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 normierte Grenzwert für Listerien für in Verkehr gebrachte Erzeugnisse von 100 KbE/g exorbitant überschritten war. Die zuständigen Behörden durften jedoch, wie das Berufungsgericht frei von Rechtsfehlern festgestellt hat, angesichts der späteren Listerienbefunde in unterschiedlichen Produkten annehmen, dass weder die von der Insolvenzschuldnerin vorgenommene Umstrukturierung der Wammerlproduktion noch der ausschließlich auf Wammerlprodukte bezogene Auflagenbescheid vom 25. Mai 2016 ausreichten, um eine weitere Gefährdung von Verbrauchern zu verhindern.
36 aa) Nicht zu beanstanden ist, dass das Berufungsgericht in seine Beurteilung auch die Listerienbefunde in den Produkten Aufschnitt "vegetaris" und "Mini Rostbratwürstchen mit Heumilchkäse" als Indiz für eine Gefährdung einbezogen hat. Die Listerienbefunde durften von den zuständigen Behörden berücksichtigt werden, auch wenn bei beiden Produkten streitig ist, ob es sich um in den Verkehr gebrachte, verzehrfertige Produkte handelte und mithin, ob die Lebensmittelsicherheitskriterien gemäß Anhang I Kapitel 1 Nr. 1.2 Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 auf diese Produkte überhaupt anzuwenden waren. Ein behördliches Einschreiten wegen der Befürchtung einer Kontamination mit Listerien setzt nicht zwingend einen Verstoß gegen diese Verordnung voraus. Die in der Verordnung verankerten mikrobiologischen Kriterien richten sich zunächst an den Lebensmittelunternehmer und dienen nicht unmittelbar als Grenzwerte für die behördliche Sicherheitsbeurteilung (Grube/Langen in Sosnitza/Meisterernst, Lebensmittelrecht, Mikrobiologische KriterienV, Art. 1 Rn. 16 [Stand: 189. EL April 2024]). Auch wenn es naheliegt, dass sich auch die amtliche Lebensmittelüberwachung bei der Beurteilung von Lebensmitteln an den Kriterien der Verordnung orientiert (Grube/Langen aaO Rn. 17), bedeutet dies nicht, dass eine behördliche Maßnahme ausschließlich bei einem Verstoß gegen die dort niedergelegten Kriterien in Betracht kommt. Mit den lebensmittelrechtlichen Vorgaben soll ein hohes Maß an Schutz für Leben und Gesundheit des Menschen gewährleistet werden, wie sich insbesondere auch aus Erwägungsgrund (2) der Basisverordnung ergibt. Zur Gewährleistung dieses Schutzniveaus sieht Art. 14 Abs. 8 Basisverordnung vor, dass, auch wenn ein Lebensmittel den geltenden spezifischen Bestimmungen entspricht, geeignete Maßnahmen getroffen werden können, um Beschränkungen für das Inverkehrbringen dieses Lebensmittels zu verfügen oder seine Rücknahme vom Markt zu verlangen, sofern der begründete Verdacht besteht, dass es nicht sicher ist. Es begegnet vor diesem Hintergrund keinen rechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht diese Listerienbefunde bei der Prüfung, ob für die Behörden hinreichende Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Gesundheit vorlagen, einbezogen hat, auch wenn insoweit möglicherweise keine Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften vorlagen.
37 bb) Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass auch die weiteren Produktproben, in denen Listerien festgestellt worden waren und die unstreitig den Lebensmittelsicherheitskriterien in Anhang I Kapitel 1 Nr. 1.2 Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 unterfielen (Rückstellprobe "Wacholderwammerl" vom 11. April 2016, Fleischwurst mit Paprika, Gelbwurst mit Petersilie, Regensburger und zweimal Gelbwurst), von den zuständigen Behörden berücksichtigt werden durften. Die Proben waren nicht wegen der Einhaltung des Grenzwerts von 100 KbE/g als unbedenklich zu werten, da die Voraussetzungen für die Anwendung des Grenzwerts nicht vorlagen.
38 (1) Gemäß Fußnote 5 zu Anhang I Kapitel 1 Nr. 1.2 der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 gilt der Grenzwert von 100 KbE/g nur, sofern der Hersteller zur Zufriedenheit der zuständigen Behörde nachweisen kann, dass das Erzeugnis während der gesamten Haltbarkeitsdauer den Wert von 100 KbE/g nicht übersteigt. Die Feststellung des Berufungsgerichts, die Insolvenzschuldnerin habe diesen Nachweis nicht geführt, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Zufriedenheit der zuständigen Behörde ist gemäß Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 auf der Basis von Untersuchungen gemäß Anhang II dieser Verordnung herzustellen. Zu den Untersuchungen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 gehört zunächst, dass der Lebensmittelunternehmer die chemisch-physikalischen Merkmale des Erzeugnisses spezifiziert (Grube/Langen in Sosnitza/Meisterernst aaO Art. 3 Rn. 36). Neben dieser Produktcharakterisierung und der Berücksichtigung von wissenschaftlichen Daten und Forschungsergebnissen sind gegebenenfalls weitergehende Untersuchungen wie Challenge-Tests, mathematische Modellierung und Haltbarkeitsstudien vorzunehmen (Meisterernst/Sosnitza in Sosnitza/Meisterernst aaO Anhang I Rn. 20). Der Kläger hat indessen keinen Vortrag zu im Betrieb der Insolvenzschuldnerin durchgeführten Untersuchungen, die diesen Anforderungen genügten, gehalten. Sein Vorbringen erschöpft sich vielmehr in einer abstrakten Darstellung der Kontrollen und des Listerien-Managements ohne Bezug zu den verfahrensgegenständlichen, mit Listerien belasteten Produkten. Erkenntnisse zum Wachstumsverhalten von Listerien in diesen Produkten, die geeignet waren, nachzuweisen, dass der Grenzwert während der gesamten Haltbarkeitsdauer eingehalten wurde, ergeben sich aus seinem Vortrag nicht. Unabhängig davon, ob es sich bei den nach der Darstellung des Klägers durchgeführten Endproduktkontrollen um Untersuchungen im Sinne des Anhangs II der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 handelte, genügte sein Vorbringen daher nicht, um den gemäß Fußnote 5 zu Anhang I Kapitel 1 Nr. 1.2 Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 geforderten Nachweis zu erbringen.
39 (2) Im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union hat das Berufungsgericht angenommen, dass Produktproben, bei denen Listerien unterhalb des Werts von 100 KbE/g festgestellt wurden, von den Behörden als Verdachtsmoment für eine Gefährdung der Gesundheit von Verbrauchern berücksichtigt werden durften, obgleich keine Überschreitung der in der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 festgelegten Grenzwerte vorlag. Der Gerichtshof hat mit Urteil vom 30. Juni 2022 (C-51/21, LMuR 2022, 421) klargestellt, dass die vorgenannte Verordnung dahingehend auszulegen ist, dass die "Nulltoleranzgrenze" (Listeria monocytogenes in 25 g des betreffenden Erzeugnisses nicht nachweisbar) nicht unmittelbar anwendbar ist auf in Verkehr gebrachte Erzeugnisse, bei denen der Nachweis nicht erbracht wurde, dass das Erzeugnis während der gesamten Haltbarkeitsdauer den Wert von 100 KbE/g nicht übersteigt (aaO Rn. 25). Allerdings hindere die Einhaltung der spezifischen, für ein Lebensmittel geltenden Bestimmungen die nationalen Behörden gemäß Art. 14 Abs. 8 Basisverordnung nicht, "geeignete Maßnahmen" zu treffen, um Beschränkungen für das Inverkehrbringen von Lebensmitteln zu verfügen oder deren Rücknahme zu verlangen, sofern nach Ansicht der Behörden objektiv der begründete Verdacht bestehe, dass diese Lebensmittel nicht sicher seien. Mithin kann auch bei einer bakteriellen Belastung eines Lebensmittels ohne Verstoß gegen die Grenzwerte der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 ein behördliches Einschreiten gerechtfertigt sein (vgl. EuGH, LMuR 2022, 297 Rn. 24; 2022, 421 Rn. 26 f). Bezogen auf eine Listerienbelastung hat der Gerichtshof ausgesprochen, dass die Anwendung der "Nulltoleranzgrenze" auf Lebensmittel, die in den Verkehr gebracht wurden, ohne dass der Hersteller der zuständigen Behörde zufriedenstellend nachgewiesen hat, dass diese Lebensmittel während ihrer Haltbarkeitsdauer den Grenzwert von 100 KbE/g nicht überschreiten, eine "geeignete Maßnahme" im Sinne von Art. 14 Abs. 8 der Verordnung Nr. 178/2002 sein kann (EuGH, LMuR 2022, 421 Rn. 28).
40 (3) Angesichts des erstrebten hohen Schutzniveaus für Leben und Gesundheit des Menschen kann die "Nulltoleranzgrenze" von den Gesundheitsbehörden immer dann angewendet werden, wenn ein begründeter Verdacht besteht, dass ein Lebensmittel nicht sicher ist. Soweit der Kläger dagegen einwendet, dies habe zur Folge, dass Erzeugnisse einem "bedingten Verkehrsverbot" beziehungsweise einer "permanenten Rückruflast" unterlägen, verkennt er, dass behördliche Maßnahmen sowohl nach nationalem Recht als auch nach Unionsrecht nur in Betracht kommen, wenn hinreichende Anhaltspunkte beziehungsweise ein begründeter Verdacht für eine Gefährdung der Gesundheit der Verbraucher bestehen. Ob dies der Fall ist, muss einzelfallbezogen unter Berücksichtigung der Gesamtumstände geprüft werden.
41 (4) Aus der vom Kläger angeführten, ab dem 1. Juli 2026 geltenden Verordnung (EU) Nr. 2024/2895 der Kommission vom 20. November 2024 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 hinsichtlich Listeria monocytogenes (ABl. L, 2024/2895) folgt nichts Abweichendes. Diese bestätigt vielmehr die oben dargestellte Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und führt diese konsequent fort, indem nunmehr die Nulltoleranzgrenze ("in 25 g nicht nachweisbar") zum maßgebenden Grenzwert auch bei bereits in den Verkehr gebrachten Erzeugnissen bestimmt wird, sofern der Hersteller nicht zur Zufriedenheit der zuständigen Behörde nachweisen kann, dass der Gehalt an Listeria monocytogenes während der gesamten Haltbarkeitsdauer den Wert von 100 KbE/g nicht übersteigt.
42 (5) Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 2, 3 AEUV ist nicht veranlasst. Auf Grund der genannten Entscheidung des Gerichtshofs vom 30. Juni 2022 steht mit der nach der "acte-clair-" beziehungsweise "acte-éclairé-Doktrin" erforderlichen Gewissheit (vgl. hierzu EuGH, NJW 1983, 1257, 1258; EuZW 2016, 111 Rn. 38; Senat, Urteil vom 24. März 2022 - III ZR 270/20, VersR 2022, 1242 Rn. 29 mwN) fest, dass die "Nulltoleranzgrenze" im Falle eines objektiv begründeten Verdachts, dass ein Lebensmittel nicht sicher ist, angewendet werden darf. Dessen ungeachtet wäre diese Frage auch nicht entscheidungserheblich, weil ein Amtshaftungsanspruch des Klägers jedenfalls auch am fehlenden Verschulden der Beamten des Beklagten scheitern würde (siehe dazu nachfolgend unter Buchst. d).
43 cc) Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht auf Grund der erhobenen Listerienbefunde in Verbindung mit den Erkenntnissen aus der E-Mail des RKI vom 25. Mai 2016 die Annahme der zuständigen Beamten, von Erzeugnissen der Insolvenzschuldnerin gehe ein Gesundheitsrisiko für die Verbraucher aus, als gerechtfertigt erachtet. Aus der Nachricht des RKI ergaben sich hinreichende Verdachtsmomente dafür, dass Produkte aus dem Betrieb der Insolvenzschuldnerin bereits Listerieninfektionen verursacht hatten. Da das RKI in seiner Nachricht zusammenfassend außerdem darauf hinwies, dass Listeriose eine schwerwiegende Erkrankung mit einer hohen Sterblichkeit sei, und empfahl, alles zu versuchen, um die Ursache für das Geschehen zu ermitteln und sicherzustellen, dass sie abgestellt werde, resultierte aus dieser den Behörden des Beklagten vorliegenden fachlichen Einschätzung ein dringender Handlungsbedarf. Im Hinblick darauf, dass das RKI mitgeteilt hatte, die Kontamination mit Listerien sei voraussichtlich nicht auf einzelne Produkte beschränkt, und Listerien bereits in unterschiedlichen Produkten der Insolvenzschuldnerin festgestellt worden waren, war die Annahme der zuständigen Behörden, dass nur eine sofortige umfassende Produktwarnung der Gefährdung effektiv entgegenwirken könne, gerechtfertigt. Weitere Untersuchungen mussten nicht abgewartet werden. § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LFGB regelt gerade den Fall, dass bezüglich der Gefährdung noch eine "Unsicherheit" besteht, die nicht innerhalb der gebotenen Zeit beseitigt werden kann.
44 c) Der Kläger hat im Revisionsverfahren hingenommen, dass das Berufungsgericht keine Amtspflichtverletzung darin gesehen hat, dass sich die Warnung auch auf bestimmungsgemäß vor dem Verzehr durchzuerhitzende Erzeugnisse erstreckte. Die diesbezügliche Klageabweisung durch die Vorinstanzen ist somit rechtskräftig.
45 d) Soweit das Berufungsgericht eine Amtspflichtverletzung verneint hat, würde ein Amtshaftungsanspruch auch an fehlendem Verschulden scheitern. Nach der Rechtsprechung des Senats trifft den Amtsträger in der Regel kein Verschulden, wenn ein mit mehreren Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht die Amtstätigkeit als objektiv rechtmäßig angesehen hat. Diese sogenannte Kollegialgerichts-Richtlinie beruht auf der Erwägung, dass von einem Beamten eine bessere Rechtseinsicht als von einem mit mehreren Rechtskundigen besetzten Kollegialgericht regelmäßig nicht erwartet und verlangt werden kann (zB Senatsurteile vom 2. August 2018 - III ZR 466/16, VersR 2019, 28 Rn. 24; vom 9. Juli 2020 - III ZR 245/18, VersR 2020, 1185 Rn. 17 und vom 11. März 2021 - III ZR 27/20, VersR 2021, 1043 Rn. 20). Eine Verneinung des Verschuldens ist allerdings nur in denjenigen Fällen gerechtfertigt, in denen das Kollegialgericht die Rechtmäßigkeit der Amtstätigkeit nach sorgfältiger Prüfung bejaht hat. Die Richtlinie greift daher nicht ein, wenn die Annahme des Kollegialgerichts, die Amtshandlung sei rechtmäßig gewesen, auf einer unzureichenden tatsächlichen oder rechtlichen Beurteilungsgrundlage beruht. Das ist etwa dann der Fall, wenn das Gericht infolge unzureichender Tatsachenfeststellung von einem anderen Sachverhalt als dem, vor den der Beamte gestellt war, ausgegangen ist, wenn es den festgestellten Sachverhalt nicht sorgfältig und erschöpfend gewürdigt hat, etwa für die Beurteilung des Falls wesentliche Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen hat, wenn es sich bereits in seinem Ausgangspunkt von einer rechtlich oder sachlich verfehlten Betrachtungsweise nicht hat freimachen können oder eine gesetzliche Bestimmung "handgreiflich falsch" ausgelegt hat (Senat aaO). Anhaltspunkte hierfür sind - wie oben dargelegt - nicht ersichtlich. Die Kollegialgerichts-Richtlinie findet daher Anwendung; ein Verschulden der Behördenmitarbeiter wäre bei einer unterstellten Amtspflichtverletzung zu verneinen.
46 2. Indessen ist die Würdigung des Berufungsgerichts, die zuständigen Beamten hätten amtspflichtwidrig gehandelt, da sie nachpasteurisierte Produkte von der Warnung nicht ausgenommen hätten, nicht frei von Rechtsfehlern.
47 a) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings die tatrichterliche Würdigung, ein Teil der Erzeugnisse sei im Betrieb der Insolvenzschuldnerin nachpasteurisiert worden. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen kann indes nicht angenommen werden, dass nachpasteurisierte Produkte von der Warnung hätten ausgenommen werden müssen. Das Berufungsgericht hat nämlich festgestellt, dass keiner der als Zeugen vernommenen Mitarbeiter des LGL beziehungsweise des Landratsamtes Bad Tölz-Wolfratshausen bei der Betriebskontrolle am 20. Mai 2016 oder anlässlich von Kontrollen in den zurückliegenden Jahren seit 2011 Wahrnehmungen gemacht oder Unterlagen gesehen hat, die auf ein Nachpasteurisieren der vom Kläger bezeichneten Produkte (Rostbratwürste und Rostbratwürstchen, Weißwürste, Wollwürste und vegetarische Grillwürste) hätten schließen lassen. Insbesondere enthielten weder die Produktlisten der S. GmbH noch die Gefahrenanalysen (sog. HACCP = Hazard Analysis Critical Control Points) Hinweise auf eine Nachpasteurisierung, obwohl diese als kritischer Kontrollpunkt hätte ausgewiesen werden müssen. Ebenso wenig erfolgten mündliche Hinweise vonseiten des damaligen Geschäftsführers der S. GmbH oder von Beschäftigten auf einen Nachpasteurisierungsprozess (BU 24-29). Die vom Berufungsgericht ausgewerteten Unterlagen, aus denen sich Hinweise auf eine möglicherweise stattgefundene Nachpasteurisierung ergaben (BU 30), sind erst im Rahmen des Amtshaftungsprozesses von dem klagenden Insolvenzverwalter zu den Akten gereicht worden. Nach alledem waren die zuständigen Beamten, anders als das Berufungsgericht meint, nicht verpflichtet, von sich aus durch Befragung des Personals der Insolvenzschuldnerin gleichsam "ins Blaue hinein" zu eruieren, ob und welche nachpasteurisierten Erzeugnisse die Insolvenzschuldnerin in ihrem Sortiment führte. Was ein Amtsträger trotz sorgfältiger und gewissenhafter Prüfung im Zeitpunkt seiner Entscheidung "nicht sieht" und nach den ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen auch "nicht zu sehen braucht", kann von ihm nicht berücksichtigt werden und braucht von ihm auch nicht berücksichtigt zu werden (Senat, Urteile vom 13. Juli 1993 - III ZR 22/92, BGHZ 123, 191, 195 und vom 6. Oktober 2016 - III ZR 140/15, BGHZ 212, 173 Rn. 46). Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die Pflicht zur Sachverhaltsermittlung überspannt und verkannt, dass es der Insolvenzschuldnerin auf Grund ihrer Mitwirkungs- und Kooperationspflicht oblag, auf unbedenkliche Produkte in ihrem Sortiment von sich aus aktiv hinzuweisen. Die vom Berufungsgericht lediglich angenommene Marktüblichkeit nachpasteurisierter Produkte führt zu keiner abweichenden Beurteilung, da insoweit schon keine Feststellungen getroffen wurden und hier - wie dargelegt - für die Gesundheitsbehörden keine Anhaltspunkte für einen Nachpasteurisierungsprozess erkennbar waren.
48 b) Die Annahme des Berufungsgerichts, die handelnden Beamten seien vor Herausgabe der Pressemitteilung verpflichtet gewesen, Sachverhaltsaufklärung zu betreiben, ist im Grundsatz zutreffend (vgl. Art. 24 Abs. 1 und 2 BayVwVfG). Jeder Amtsträger hat die Pflicht, vor einer hoheitlichen Maßnahme, die geeignet ist, einen anderen in seinen Rechten zu beeinträchtigen, den Sachverhalt im Rahmen des Zumutbaren so umfassend zu erforschen, dass die Beurteilungs- und Entscheidungsgrundlage nicht in wesentlichen Punkten zum Nachteil des Betroffenen unvollständig bleibt (Senat, Urteil vom 19. Mai 1988 - III ZR 32/87, NJW 1989, 99; BeckOGK/Thomas, BGB, § 839 Rn. 148 [Stand: 1. Oktober 2024]). Dies ist insbesondere bei Sachverhalten notwendig, die wegen ihrer Komplexität nicht offen zutage liegen und aus denen Konsequenzen gezogen werden sollen, die mit erheblichen Beeinträchtigungen oder Risiken für den Betroffenen verbunden sein können (vgl. Senat, Urteil vom 22. Mai 1986 - III ZR 237/84, NJW 1986, 2829, 2830; BeckOGK/Thomas aaO).
49 Die Reichweite der Amtsermittlungspflicht hängt im Wesentlichen von der wahrzunehmenden Aufgabe ab (BeckOGK/Thomas aaO). Auch die Eilbedürftigkeit und das Gewicht einer drohenden Gefahr, deren Abwendung durch die weitere Sachverhaltsermittlung verzögert würde, sind bei der Beurteilung einzubeziehen. Der Ermittlungsumfang kann auch durch das materielle Fachrecht begrenzt werden. So verhält es sich im Bereich des Lebensmittel- oder Produktsicherheitsrechts: Die tätig werdende Behörde muss den Sachverhalt unter bestimmten Umständen nicht bis zum sicheren Wissen ausermitteln, sondern soll - auf der Grundlage ihrer Einschätzung - schon auf der Basis von nicht sicherem Wissen eine Maßnahme ergreifen (Deißler, Gewährleistung von Informationsqualität in europäischen Informationssystemen, 2018, S. 326 f). Damit soll das im Lebensmittelrecht erstrebte hohe Maß an Schutz für Leben und Gesundheit des Menschen gewährleistet werden. Ob die Behörden des Beklagten bereits infolge der aus der Natur des Lebensmittelrechts folgenden reduzierten "Ermittlungstiefe" nicht verpflichtet waren, das Produktsortiment der Insolvenzschuldnerin auf nachpasteurisierte Produkte zu überprüfen, kann im Ergebnis allerdings dahinstehen. Eine Beschränkung der Amtsermittlungspflicht ergibt sich hier jedenfalls aus einer der Insolvenzschuldnerin obliegenden Mitwirkungs- und Kooperationspflicht.
50 c) Die Amtsermittlungspflicht der zuständigen Beamten war auf Grund des Kooperationsverhältnisses zwischen der Insolvenzschuldnerin als Lebensmittelunternehmen und den Behörden des Beklagten begrenzt. Die Insolvenzschuldnerin war infolgedessen verpflichtet, an der Warnung aktiv mitzuwirken und dafür Sorge zu tragen, dass die Verbraucher zutreffend darüber informiert wurden, von welchen Produkten eine Gefährdung ausging. Die Insolvenzschuldnerin traf diesbezüglich nicht nur eine allgemeine, im Verwaltungsverfahren vorgesehene Mitwirkungsobliegenheit, sondern eine fachgesetzlich normierte Mitwirkungs- und Kooperationspflicht (vgl. Art. 26 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG).
51 aa) Die Insolvenzschuldnerin hatte eine umfassende eigene Verantwortlichkeit für die Sicherheit der von ihr produzierten Lebensmittel. Nach dem Verursacherprinzip, das dem Risikoverwaltungsrecht inhärent ist, trägt vorrangig der Verursacher eines Risikos die sachliche und finanzielle Verantwortung für die Gefahren, Belastungen und Schäden, die von seinem Verhalten ausgehen (vgl. Kobor, Kooperative Amtsermittlung im Verwaltungsrecht, 2007, S. 367). Nach der Systematik des Unionsrechts sind daher die Unternehmen primär und vollumfänglich für die Sicherheit von Erzeugnissen und die Einhaltung der einschlägigen Normen verantwortlich (Ludwig in Sosnitza/Meisterernst, Lebensmittelrecht, EG-Lebensmittel-Basisverordnung, Art. 50 Rn. 23 [Stand: 189. EL April 2024]). In Erwägungsgrund (30) der Basisverordnung ist festgehalten, dass der Lebensmittelunternehmer die primäre rechtliche Verantwortung für die Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit tragen solle, da er am besten in der Lage sei, ein sicheres System der Lebensmittellieferung zu entwickeln und dafür zu sorgen, dass die von ihm gelieferten Lebensmittel sicher seien. Diese Verantwortungszuweisung hat an verschiedenen Stellen Eingang ins Lebensmittelrecht gefunden. Den Lebensmittel- und Futtermittelunternehmern obliegt es gemäß Art. 17 Abs. 1 Basisverordnung, auf allen Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen in den ihrer Kontrolle unterstehenden Unternehmen dafür zu sorgen, dass die Lebensmittel oder Futtermittel die Anforderungen des Lebensmittelrechts erfüllen, die für ihre Tätigkeit gelten, und die Einhaltung dieser Anforderungen zu überprüfen. Als Ausprägung hiervon haben die Lebensmittelunternehmer gemäß Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 auch für die Einhaltung der Grenzwerte für Mikroorganismen Sorge zu tragen und daher auch bei bestimmten, in den Verkehr gebrachten Erzeugnissen gemäß Anhang I Kapitel 1 Nr. 1.2 Fußnote 5 dieser Verordnung zur Zufriedenheit der Behörde nachzuweisen, dass der geltende Grenzwert während der gesamten Haltbarkeitsdauer eingehalten wird. Infolge seiner primären Verantwortlichkeit treffen den Lebensmittelunternehmer gemäß Art. 19 Abs. 1 und 2 Basisverordnung weitreichende Pflichten, die eine Rücknahme und den Rückruf von Lebensmitteln sowie eine Unterrichtung von Verbrauchern beinhalten, sofern er erkennt oder Grund zu der Annahme hat, dass ein von ihm eingeführtes, erzeugtes, verarbeitetes, hergestelltes oder vertriebenes Lebensmittel den Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit nicht entspricht.
52 bb) Aus dem Zusammenspiel unternehmerischer Pflichten einerseits und ergänzender behördlicher Maßnahmen andererseits ergibt sich im Lebensmittelrecht ein Kooperationsverhältnis. Die zuständigen Behörden haben nicht nur Kontroll- und Überprüfungsbefugnisse, wie sie sich aus Art. 17 Abs. 2 Basisverordnung ergeben; sie verfügen auch über weitreichende Eingriffsbefugnisse, wie etwa Art. 10 und Art. 14 Abs. 8 Basisverordnung oder § 40 Abs. 1 S. 1 LFGB zu entnehmen ist. Die Verantwortung zur Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit ist nicht strikt trennbar. Notwendig ist vielmehr eine Kooperation zwischen Behörden und Lebensmittelunternehmen. Lebensmittelsicherheit kann nur dann gewährleistet werden, wenn die Überwachungsbehörden ausreichend über die Maßnahmen des Lebensmittelunternehmers zur Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit informiert sind (Müller, Die Bewältigung von Lebensmittelrisiken durch Risikokommunikation, 2010, S. 34). Das Prinzip der Kooperation ist auch in der Basisverordnung verankert. So ergibt sich aus den in Art. 3 Nr. 12 und Nr. 13 Basisverordnung enthaltenen Begriffsdefinitionen, dass im Rahmen des Risikomanagements und der Risikokommunikation ein interaktiver Austausch mit allen Beteiligten stattzufinden hat (siehe hierzu auch Simon, Kooperative Risikoverwaltung im neuen Lebensmittelrecht, 2007, S. 133). Art. 19 Abs. 4 der Basisverordnung sieht vor, dass die Lebensmittelunternehmer bei Maßnahmen, die getroffen werden, um die Risiken durch ein Lebensmittel, das sie liefern oder geliefert haben, zu vermeiden oder zu verringern, mit den zuständigen Behörden zusammenarbeiten. Beteiligte werden insbesondere dort in die Sachverhaltsermittlung eingebunden, wo die zu ermittelnden Tatsachen in ihrer Sphäre liegen und für die Behörden nicht anders oder ansonsten nur schwer zugänglich sind (Deißler aaO S. 229). Ist die verantwortliche Behörde auf Beiträge privater Dritter zur Sachverhaltsermittlung angewiesen, wandelt sich die eigene Sachverhaltsermittlungspflicht in eine Überprüfungspflicht für fremde Informationen ("nachvollziehende Sachverhaltsermittlungspflicht") um (Ramsauer/Schlatmann in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 25. Aufl., § 24 Rn. 9, 10a; Deißler aaO S. 229).
53 cc) Die Insolvenzschuldnerin war nach den dargelegten Grundsätzen verpflichtet, an der Warnung aktiv mitzuwirken. Auf nachpasteurisierte und damit unbedenkliche Produkte in ihrem Sortiment hätte sie schon deshalb hinweisen müssen, weil es sich bei der Nachpasteurisierung um einen betriebsinternen Vorgang im Rahmen der Produktion handelte, der sich außerhalb der Wahrnehmung der Behörden abspielte. Ein solcher Hinweis war erforderlich, um sicherzustellen, dass die Warnung zielgerichtet (nur) die Produkte umfasste, von denen möglicherweise eine Gefahr für die Gesundheit von Verbrauchern ausging.
54 Auch unter Berücksichtigung des engen Zeitfensters, das der Insolvenzschuldnerin zur Stellungnahme blieb, wäre es ihr möglich und zumutbar gewesen, auf die Nachpasteurisierung eines Teils ihrer Produkte hinzuweisen. Eine entsprechende Mitteilung hätte genügt, um eine Pflicht der zuständigen Behörden auszulösen, sich mit diesem Einwand zu befassen und die Warnung gegebenenfalls auf nicht nachpasteurisierte Produkte zu beschränken. Möglich und zumutbar wäre auch eine Information der Prozessbevollmächtigten der Insolvenzschuldnerin über nachpasteurisierte Produkte gewesen, damit diese in dem Antrag gemäß § 123 VwGO entsprechend hätten vortragen können. Dabei berücksichtigt der Senat durchaus, dass für die Prozessbevollmächtigten nur ein enges Zeitfenster zur Rücksprache und Fertigung des Antrags gemäß § 123 VwGO blieb. Der eingereichte Antrag verdeutlicht jedoch, dass es möglich war, in der zur Verfügung stehenden Zeit eine differenzierte Stellungnahme zu verfassen. Dabei hätte auch auf die Nachpasteurisierung eingegangen werden müssen.
55 dd) Die Pflicht der zuständigen Beamten, den Sachverhalt von sich aus durch eigene Ermittlungen weiter aufzuklären, war auf Grund der der Insolvenzschuldnerin obliegenden Mitwirkungs- und Kooperationspflicht begrenzt. Die Gesundheitsbehörden durften vielmehr darauf vertrauen, dass die Insolvenzschuldnerin einen Hinweis auf nachpasteurisierte Lebensmittel spätestens nach Ankündigung der umfassenden Produktwarnung vorgebracht hätte. Bereits eine Mitwirkungsobliegenheit im Sinne des Art. 26 Abs. 2 Satz 1, 2 BayVwVfG - die vorliegend im Übrigen auch bestünde - kann zu einer Beschränkung der Amtsermittlungspflicht der Behörde führen (vgl. BVerwG, NVwZ 1987, 404, 405; 2013, 1418 Rn. 22 und 2014, 1586 Rn. 37; OVG Münster, NVwZ-RR 1994, 386, 387; BeckOK VwVfG/Herrmann, § 26 Rn. 37 [64. Edition, Stand: 1. Juli 2024]; Ramsauer/Schlatmann in Kopp/Ramsauer aaO § 26 Rn. 43; Schenk in Obermayer/ Funke-Kaiser, VwVfG, 6. Aufl., § 24 Rn. 52; Kallerhoff/Fellenberg in Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl., § 24 Rn. 28; kritisch Zaumseil, VR 2012, 325, 327; kritisch bezogen auf den Bereich der Eingriffsverwaltung Kobor aaO S. 104). Die Ermittlungspflicht der Behörde auf Grund des im Verwaltungsverfahren geltenden Untersuchungsgrundsatzes endet, wo es ein Beteiligter in der Hand hat, die notwendige Erklärung abzugeben und Beweismittel vorzulegen, um eine seinem Interesse entsprechende Entscheidung herbeizuführen (BGH, Beschluss vom 17. März 2014 - NotZ(Brfg) 17/13, DNotZ 2014, 548 Rn. 9). Dies muss erst recht gelten, wenn - wie hier - ein Beteiligter auf Grund einer Mitwirkungs- und Kooperationspflicht zur Abgabe einer solchen Erklärung verpflichtet ist.
56 3. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht bislang getroffenen Feststellungen kann nach alledem eine fahrlässige Amtspflichtverletzung der zuständigen Beamten nicht angenommen werden. Im Rahmen der durchgeführten Betriebskontrollen ergaben sich für die Behördenmitarbeiter keine Anhaltspunkte, die auf eine (kontinuierliche) Herstellung nachpasteurisierter Produkte schließen ließen. Das Berufungsgericht hat jedoch - aus seiner Sicht konsequent - die Behauptung des Klägers dahinstehen lassen, die Behördenmitarbeiter hätten positive Kenntnis von der Nachpasteurisierung gehabt, und die hierfür benannten Zeugen nicht vernommen (BU 33 Abs. 1 aE). Eine schuldhafte Amtspflichtverletzung käme jedoch in Betracht, wenn den zuständigen Beamten bekannt gewesen wäre, dass die Insolvenzschuldnerin einen Teil ihrer Produkte nachpasteurisierte, oder ihnen dies selbst ohne entsprechenden Hinweis vonseiten der Insolvenzschuldnerin hätte bekannt sein müssen. In einem solchen Fall waren sie zu Nachforschungen verpflichtet, ob bestimmte Produkte unbedenklich und von der Verzehrwarnung auszunehmen waren. Selbst wenn die noch zu vernehmenden Zeugen das positive Wissen der Behördenmitarbeiter um den Nachpasteurisierungsprozess nicht bestätigen sollten, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass sich daraus Anhaltspunkte für ein fahrlässiges Verhalten von Amtsträgern ergeben könnten. Das Berufungsgericht wird daher die Frage einer schuldhaften Amtspflichtverletzung nach durchgeführter Zeugenvernehmung und gegebenenfalls weiterer Beweisaufnahme erneut zu beurteilen haben.
57 4. Die noch zu treffenden ergänzenden Feststellungen sind auch entscheidend dafür, ob eine Amtspflichtverletzung zudem darin zu sehen ist, dass der angeordnete Produktrückruf und die Untersagung, Produkte aus der Produktionsanlage in Geretsried als Lebensmittel in den Verkehr zu bringen, auch nachpasteurisierte Produkte umfassten. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass Art. 54 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 882/2004 in der bis zum 13. Dezember 2019 geltenden Fassung die getroffenen Maßnahmen im Grundsatz rechtfertigte. Danach trifft die zuständige Behörde, wenn sie einen Verstoß feststellt, die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass der Unternehmer Abhilfe schafft. Bei dem angeordneten Produktrückruf und der Untersagung des Inverkehrbringens als Lebensmittel handelte es sich um solche Maßnahmen, die gemäß Art. 54 Abs. 2 Buchst. b) (Untersagung des Inverkehrbringens) und Buchst. c) (Anordnung des Rückrufs) der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 ergriffen werden durften. Ob es "erforderlich" war, die getroffenen Anordnungen auf alle Produkte zu erstrecken, kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden. Gelangt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass den zuständigen Beamten bekannt war oder hätte bekannt sein müssen, dass Produkte im Betrieb der Insolvenzschuldnerin nachpasteurisiert wurden, kommt auch hinsichtlich des umfassenden Rückrufs und der uneingeschränkten Untersagungsanordnung eine schuldhafte Amtspflichtverletzung in Betracht.
58 5. Die Frage der Amtspflichtverletzung kann vorliegend auch nicht dahinstehen, da weder der Haftungsausschluss nach § 839 Abs. 3 BGB eingreift noch ein haftungsausschließendes Mitverschulden nach § 254 BGB vorliegt, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat.
59 a) Ein Amtshaftungsanspruch ist nicht von vornherein gemäß § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, weil die Insolvenzschuldnerin ihren gegen die Veröffentlichung der Pressemitteilung gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, ein Rechtsmittel im Sinne der vorgenannten Bestimmung, nicht mit der Nachpasteurisierung von Produkten, sondern nur mit der Unverhältnismäßigkeit einer öffentlichen Warnung vor sämtlichen Produkten der S. GmbH auf "nicht nachhaltig gesicherter Tatsachenbasis" begründete. Bleibt ein Rechtsmittel wegen unzulänglichen Sachvortrags oder sonstiger Nachlässigkeiten des Geschädigten (zB fehlende Beweisanträge, nicht erhobene Einreden) ohne Erfolg, bringt er sich zwar schuldhaft um den Erfolg seines Rechtsmittels; dies begründet jedoch für sich genommen keinen Haftungsausschluss wegen Nichtgebrauch eines Rechtsmittels (vgl. Senat, Urteil vom 29. März 1971 - III ZR 98/69, BGHZ 56, 57, 59; RGZ 138, 309, 311; BeckOGK/Thomas aaO Rn. 680; MüKoBGB/Papier/Shirvani, 9. Aufl., § 839 Rn. 402; Soergel/Vinke, BGB, 13. Aufl. § 839 Rn. 220; a.A. OLG Celle, Urteil vom 20. Juli 2016 - 4 U 102/13, juris Rn. 41; OLG Brandenburg, BeckRS 2020, 36812 Rn. 19; Staudinger/Wöstmann, BGB, Neubearbeitung 2020, § 839 Rn. 344, Erman/Mayen, BGB, 17. Aufl., § 839 Rn. 86).
60 aa) Hierfür spricht bereits der Wortlaut des § 839 Abs. 3 BGB, wonach die Ersatzpflicht nicht eintritt, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch "Gebrauch eines Rechtsmittels" abzuwenden. Von einem Rechtsmittel wird regelmäßig bereits dann Gebrauch gemacht, wenn es ordnungsgemäß eingelegt wird, um einen sachlichen Erfolg zu erzielen. Lediglich, wenn das Rechtsmittel nur "formell" eingelegt wird (zB ohne Begründung, obwohl das Gesetz eine solche vorschreibt), dient es nicht zur Abwendung eines Schadens (vgl. Senat aaO; RG aaO; BeckOGK/Thomas aaO).
61 bb) Für dieses Verständnis des Wortlauts lässt sich auch die Entstehungsgeschichte der Norm anführen. § 839 Abs. 3 BGB, der seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 1. Januar 1900 unverändert geblieben ist, geht auf ältere Gesetzeswerke zurück (zB aus Bayern, Hessen und Sachsen). Die scharfe Sanktion eines völligen Haftungsausschlusses wurde unter anderem damit gerechtfertigt, "heutzutage finde man nicht mehr, namentlich auch nicht in den unteren Schichten der Bevölkerung den guten Glauben an die Unanfechtbarkeit der Entscheidung einer Unterinstanz, ebenso wenig sei es heute Gepflogenheit der Leute, eine ihnen nicht genehme behördliche Entscheidung ohne weiteres für richtig zu halten" (Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Recht der Schuldverhältnisse, 1899, S. 461, 1156). Dabei wurde allein die Rechtsmitteleinlegung in den Blick genommen und zum Beispiel darauf hingewiesen, dass nicht ganz zweifellos sei, ob die Praxis in der unterlassenen Einlegung von Rechtmitteln ein mitwirkendes Verschulden des Beschädigten erblicken werde (vgl. Mugdan aaO S. 1156 f).
62 cc) Sinn und Zweck des § 839 Abs. 3 BGB gebieten es ebenfalls nicht, einen Haftungsausschluss anzunehmen, wenn das Rechtsmittel ordnungsgemäß eingelegt, aber unzureichend begründet wurde. Der dem Haftungsausschluss bei Nichtgebrauch eines Rechtsmittels zugrundeliegende Vorrang des Primärrechtschutzes soll einem Verhalten im Sinne eines "dulde und liquidiere" entgegenwirken. Es soll nicht erlaubt sein, den Schaden entstehen oder größer werden zu lassen, um ihn schließlich, gewissermaßen als Lohn für eigene Untätigkeit, dem Beamten oder dem Staat in Rechnung zu stellen (Senat, Urteile vom 29. März 1971 aaO S. 63 und vom 4. Juli 2013 - III ZR 201/12, BGHZ 197, 375 Rn. 22). Mit der ordnungsgemäßen, nicht bloß "formellen" Einlegung eines Rechtsmittels zeigt ein Geschädigter jedoch in der Regel, dass er sich ernsthaft darum bemüht, die Entstehung eines Schadens abzuwenden.
63 dd) Auch der Grundsatz der nach beiden Seiten interessengerechten Auslegung spricht gegen einen Haftungsausschluss gemäß § 839 Abs. 3 BGB bei lediglich unzulänglicher Begründung des ordnungsgemäß eingelegten Rechtsmittels. Eine Berücksichtigung und Abwägung der Einzelfallumstände sowie die Möglichkeit der Anspruchsminderung und Schadensteilung, wie sie bei § 254 BGB möglich ist, sieht § 839 Abs. 3 BGB nicht vor. Es würde eine unbillige Härte darstellen, wenn der Geschädigte bei jeder (leicht) fahrlässigen unzulänglichen Begründung mit einem vollständigen Anspruchsverlust sanktioniert würde. Den Interessen des Staates kann genügt werden, wenn, wie bereits das Reichsgericht entschieden hat, ein Anspruchsausschluss gemäß § 839 Abs. 3 BGB vor allem dann eingreift, wenn das Rechtsmittel nur "formell" eingelegt wird und nicht auf einen sachlichen Erfolg abzielt. Eine unzutreffende oder unvollständige Begründung ist dagegen regelmäßig unschädlich (RG aaO).
64 b) Ein Haftungsausschluss gemäß § 839 Abs. 3 BGB ergibt sich ferner nicht daraus, dass die Insolvenzschuldnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 27. Mai 2016 kein Rechtsmittel einlegte. Eine Partei verstößt in der Regel noch nicht gegen die in ihrem eigenen Interesse gebotene Sorgfalt, wenn sie sich auf die Richtigkeit einer erstinstanzlichen Gerichtsentscheidung verlässt; es müssen vielmehr besondere Umstände vorliegen, die eine Anfechtung der Gerichtsentscheidung aussichtsreich erscheinen lassen (Senat, Urteile vom 6. Dezember 1984 - III ZR 141/83, VersR 1985, 358, 359 und vom 21. Februar 2019 - III ZR 115/18, NJW 2019, 1374 Rn. 19). Es ist einzelfallbezogen zu prüfen, ob die unterbliebene Einlegung eines Rechtsmittels gegen eine gerichtliche Entscheidung nach diesen Maßstäben als schuldhaft zu werten ist (Grüneberg/Sprau, BGB, 83. Aufl., § 839 Rn. 71 f, 81). Besondere Umstände, die eine Anfechtung als aussichtsreich erscheinen ließen, sind hier nicht dargetan und auch nicht ersichtlich. Da es für den "Gebrauch" eines Rechtsmittels, wie dargelegt, nicht auf die Qualität der Begründung ankommt, kann auch nicht darauf abgestellt werden, dass die Insolvenzschuldnerin in der Beschwerdeinstanz zur Nachpasteurisierung hätte vortragen können und die Beschwerde sodann (teilweise) erfolgreich gewesen wäre. Dies gilt unabhängig davon, ob entsprechender Vortrag, wenn er erstmals in der Beschwerdeinstanz gehalten worden wäre, überhaupt noch zu berücksichtigen gewesen wäre. Da die Pressemitteilung unmittelbar nach Bekanntgabe des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 27. Mai 2016, durch den der Antrag der S. GmbH auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO abgelehnt wurde, veröffentlicht wurde, wäre ein Rechtsmittel im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ohnehin zu spät gekommen.
65 c) Ein etwaiger Amtshaftungsanspruch scheitert auch nicht an einem anspruchsausschließenden Mitverschulden der S. GmbH gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB. Liegt der Verstoß gegen die Obliegenheit zur Schadensabwendung nicht in dem unterlassenen Gebrauch eines Rechtsmittels im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB, so kann ein Mitverschulden nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB vorliegen (Senat, Urteile vom 6. Dezember 1984 aaO und vom 21. Februar 2019 aaO; Grüneberg/Grüneberg aaO § 254 Rn. 45; Grüneberg/Sprau aaO § 839 Rn. 81). Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht ein der S. GmbH gemäß § 31 BGB zuzurechnendes Mitverschulden ihres damaligen Geschäftsführers in dem Unterlassen gesehen hat, die Behördenmitarbeiter unmittelbar auf das Vorhandensein von vornherein unbedenklicher nachpasteurisierter Wurstwaren hinzuweisen oder wenigstens die Prozessbevollmächtigten der S. GmbH vor Beantragung der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO entsprechend zu informieren. Auch wenn der S. GmbH nach der Ankündigung der Pressemitteilung für ihren Antrag gemäß § 123 VwGO nur ein enges Zeitfenster zur Verfügung stand, wäre dies möglich gewesen. Auf die obigen Ausführungen unter 2 b cc wird Bezug genommen. Eine Mitverschuldensquote von mindestens einem Drittel steht auf Grund der insoweitigen Klageabweisung, die der Kläger hingenommen hat, rechtskräftig fest (vgl. MüKoBGB/Oetker, 9. Aufl., § 254 Rn. 148).
66 Die bislang getroffenen Feststellungen rechtfertigen jedoch keinen vollständigen Haftungsausschluss wegen eines Mitverschuldens des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin. Die tatrichterliche Würdigung der besonderen Fallumstände (enormer Zeitdruck, gänzliche Schadensvermeidung als Hauptziel) durch das Berufungsgericht ist angesichts des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (dazu BGH, Urteil vom 25. Juni 1991 - X ZR 103/89, NJW-RR 1991, 1240, 1241) nicht zu beanstanden. Auf der Grundlage der noch zu treffenden Feststellungen zu einer etwaigen Kenntnis beziehungsweise fahrlässigen Unkenntnis der Beamten des Beklagten von der Nachpasteurisierung wird das Berufungsgericht die Verantwortlichkeiten von Schädiger und Geschädigtem unter Beachtung der rechtskräftig feststehenden Mitverschuldensquote von mindestens einem Drittel gegebenenfalls erneut abzuwägen haben.
67 III. Das angefochtene Urteil ist nach alledem aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO).