OLG München: Kontrahierungszwang im Nutzfahrzeug-Service-Bereich
OLG München, Urteil vom 8.1.2009 - U (K) 1501/08; nicht rechtskräftig
Leitsätze (des Einsenders)
1. Nach § 20 Abs. Abs. 1 GWB ist die Ablehnung von Bewerbern für Selektivvertriebssysteme im Nutzfahrzeug-Service-Bereich unzulässig, soweit die Ablehnung durch den Hersteller eine sachlich ungerechtfertigte Behinderung oder Diskriminierung darstellt. Dabei ist für die Beurteilung eines Kontrahierungszwangs im markengebundenen Kfz-Werkstatt- und Kundendienstgeschäft das jeweils anwendbare nationale Recht maßgebend. Denn zivilrechtlicher Rechtsschutz gegen Verletzungen von Art. 81 EG ist Sache des nationalen Rechts.
2. Der räumlich relevante Markt bei Kundendienstvereinbarungen im Nutzfahrzeugsektor ist der nationale Markt.
3. Der sachlich relevante Markt bei Kundendienstvereinbarungen ist der Markt der Erbringung von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen für Nutzfahrzeuge des betreffenden Fabrikats; er ist also nicht markenunabhängig zu bestimmen.
4. Der Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, einen Wettbewerber zum eigenen Schaden zu fördern, ist dahin einzuschränken, dass in die im Rahmen von § 20 Abs. 1 GWB vorzunehmende Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen der Beteiligten aufgrund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem innerstaatlichen Recht die Wertungen des europäischen Kartellrechts mit einzufließen haben.
5. Einer Freistellung vom Kartellverbot des Art. 81 EG nach der Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Kommission vom 31.7.2002 über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 des Vertrags auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor (nachfolgend: GVO 1400/2002) steht entgegen, wenn ein Lieferant die Zulassung eines Kundendienstleisters zu dessen selektivem Vertriebssystem mit der Begründung verweigert, der Bewerber sei als Handelsvertreter für eine andere Marke tätig.
6. Verfügt der ablehnende Hersteller über einen Marktanteil unter 30%, kann dieser Gesichtspunkt gleichwohl die Ablehnung der Autorisierung nicht rechtfertigen, wenn der Hersteller keine ,,Merkmale für die Auswahl der Händler und Werkstätten verwendet. durch die deren Zahl unmittelbar begrenzt wird" (GVO 1400/2002 Art. 1 Abs. 1 Buchst. g) und den Werkstätten die Kriterien für die quantitative Selektion nicht bekannt gibt.
GWB § 20 Abs. 1
Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Vergabe eines Servicevertrages bzw. eines Teile-Vertriebsvertrages durch die Beklagte. Die Klägerin ist seit 1992 an mehreren Standorten als Handelsvertreterin und autorisierter Servicebetrieb der AG, dem Marktführer im Bereich des Vertriebs von Nutzfahrzeugen in Europa, tätig.
Bei der Beklagten handelt es sich um eine 100%-ige Tochtergesellschaft des Herstellers von Nutzfahrzeugen, der AG. Letztere unterhält ein internationales Servicenetz, dem unter anderem 28 herstellereigene Niederlassungen, 168 eigene Servicebetriebe sowie 222 autorisierte Servicewerkstätten angehören. Die Klägerin bewarb sich unter dem 17.3.2003 in mündlicher Form sowie mit Schreiben vom 29.9.2003 bei der innerhalb der Gruppe hierfür zuständigen Beklagten - Vertrieb GmbH - „um die Aufnahme in das Servicebetrieb auf der Grundlage des als Anlage A vorgelegten Service-Vertrages". Mit Schreiben vom 8.12.2004 und vom 16.12.2004 teilte die Beklagte mit, dass sie sich nicht in der Lage sehe, der Klägerin den Abschluss eines Servicevertrages anbieten zu können. Die auf Abgabe einer Willenserklärung zum Abschluss eines Service-Vertrages und auf Feststellung eines Schadensersatzes gerichtete Klage der Klägerin hat erstinstanzlich keinen Erfolg. Ihre Berufung führte zur Aufhebung des Ersturteils und zur Verurteilung der Beklagten in dem von der Klägerin erstrebten Umfang.
Aus den Gründen
A) Service-Vertrag (Berufungsantrag 1.)
Der mit dem Hauptantrag verfolgte Anspruch der Klägerin auf Abgabe einer Willenserklärung durch die Beklagte, gerichtet auf den Abschluss des als Anl. A vorgelegten Service-Vertrages, folgt aus § 20 Abs. 1 GWB.
Im Einzelnen:
Der Anspruch auf Abgabe einer Willenserklärung lässt sich weder aus einer mündlich noch aus einer in konkludenter Form getroffenen vorvertraglichen Vereinbarung ableiten
1. Ein vertraglicher Anspruch der Klägerin auf Abgabe einer zum Abschluss eine Service-Vertrages gemäß Anl. A gerichteten Willenserklärung der Beklagten besteht nicht. Ohne Erfolg macht die Klägerin insoweit geltend, die Parteien hätten einen Vorvertrag geschlossen, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet sei, mit der Klägerin einen Hauptvertrag mit dem aus Anl. A (Service-Vertrag) hervorgehenden Inhalt abzuschließen ...
Der Anspruch ergibt sich auch nicht aus einem treuwidrigen Verhalten der Beklagten
2. Soweit sich die Klägerin darauf stützt, mit dem sich auf einen Wechsel der Vergabestrategie (von der qualitativen zur quantitativen Selektion) berufenden Abbruch der Vertragsverhandlungen habe sich die Beklagte im Sinne von § 242 BGB treuwidrig verhalten, kann ihre gegen die Abweisung der Klage auf Abgabe einer Willenserklärung zum Abschluss eines Service-Vertrages gerichtete Berufung ebenfalls keinen Erfolg haben.
Selbst wenn - was hier offen bleiben kann - die Beklagte ohne triftigen Grund die Vertragsverhandlungen abgebrochen haben sollte und die Klägerin - wie im Streitfall unstreitig erfolgt - im Vertrauen auf einen Vertragsabschluss Aufwendungen getätigt hat, so sind allenfalls letztere ersatzfähig. Eine aus dem Abbruch von Vertragsverhandlungen resultierende Verpflichtung der Beklagten zum Abschluss des von der Klägerin erstrebten Vertrages besteht hingegen nicht (Palandt/Grüneberg, BGB, § 311 Rn. 30 unter Hinweis auf KG WM 2005, 1118).
Allein der Hinweis auf eine sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung der Klägerin kann die Antragsablehnung nicht begründen
3. Zu Recht wendet sich die Klägerin allerdings dagegen, dass das Landgericht einen Anspruch auf Abgabe einer Willenserklärung unabhängig vom Vorliegen der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 20 Abs. 1 GMB mit der Begründung abgelehnt hat, dem Streitfall liege eine sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung der Klägerin im Vergleich zu von der Beklagten bereits in früherer Zeit autorisierten Werkstätten bzw. zu potentiellen anderweitigen Konkurrenten um die Vergabe eines Service-Vertrages zugrunde.
Zwar ist dem Landgericht darin zu folgen, dass grundsätzlich niemand verpflichtet ist, einen Wettbewerber zum eigenen Schaden zu fördern (vgl. BGH WuW/E 2755, 2759 - Aktionsbeiträge; WuW/E 2589, 2592 - Frankiermaschine; WuW/E 2535, 2539 - Lüsterbehangsteine; WuW/E 1288, 1292 -EDV-Ersatzteile; Bechtold, GWB, 5. Aufl. 2008, § 20 Rn. 41 m.w.N.).
Dieser Grundsatz ist hier allerdings aufgrund des Umstands einzuschränken, dass in die im Rahmen von § 20 Abs. 1 GWB vorzunehmende Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen der Beteiligten aufgrund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem innerstaatlichen Recht die Wertungen des europäischen Kartellrechts mit einzufließen haben (vgl. hierzu Bechtold a.a.O., Einführung Rn. 60 ff., 76; MünchKommEuWettbR/Kirchhoff, 2007, Einl. Rn. 454 ff.). Im Streitfall gilt es nämlich zu berücksichtigen, dass einer Freistellung vom Kartellverbot des Art. 81 EG nach der Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Kommission vom 31.07.2002 über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 des Vertrags auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor (nachfolgend: GVO 1400/2002) entgegensteht, wenn ein Lieferant die Zulassung eines Kundendienstleisters zu dessen selektivem Vertriebssystem mit der Begründung verweigert, der Bewerber sei als Handelsvertreter für eine andere Marke tätig (vgl. GVO 1400/2002, Art. 5 Abs. 1 Buchst b) sowie Schreiben der Europäischen Kommission vom 2.2.2008: ,,... Nicht für konkurrierende Fabrikate tätig zu sein, ist dagegen kein zulässiges Kriterium für Werkstätten", vgl. ferner Art. 4 Abs. 1 Buchst d) und e) der GVO 1400/2002; Creutzig, EG-Gruppenfreistellungs-Verordnung (GVO) für den Kraftfahrzeugsektor, 2003, Rn. 534). Ebenso wenig kann die Beklagte dem Anspruch der Klägerin auf Abgabe einer zum Abschluss des von ihr begehrten Service-Vertrages führenden Willenserklärung mit Erfolg entgegenhalten, dass der Klägerin als autorisiertem Werkstattbetrieb Zugang zu allen technischen Informationen aus dem Hause der Beklagten zu gewähren sei. § 4 Abs. 2 der GVO 1400/2002 sieht ausdrücklich vor, dass eine Freistellung vom Kartellverbot unterbleibt, wenn dem autorisierten Service Betrieb diese Informationen vorenthalten werden.
Der - nicht näher konkretisierte - Vorhalt der Beklagten, eine Autorisierung der Klägerin könnte dazu führen, dass die Klägerin versuche, Kunden der Beklagten zur Konkurrentin AG abzuwerben, vermag daher für sich genommen keinen ausreichenden sachlichen Grund zu bilden, die Klägerin gegenüber anderen Bewerbern um einen Service-Vertrag ungleich zu behandeln. Eine sich auf diese Frage beschränkende Interessenabwägung im Rahmen von § 20 Abs. 1 GWB lässt den Grundgedanken der GVO 1400/2002, durch die darin geregelte strenge Autorisierungspflicht einer Abschottung des Reparaturmarktes gegen, qualifizierte Neueintritte entgegenzuwirken (vgl. Erläuterungen der Kommission zum Entwurf der GVO 1400/2002, ABI. C 67/13 vom 16.03.2002, Nr. 11), unberücksichtigt.
Nicht zuletzt begegnet die Darstellung der Beklagten, die - abstrakt - drohende Gefahr einer Kundenabwerbung bzw. eines möglichen Imagetransfers rechtfertige eine Ungleichbehandlung der Klägerin, auch vor dem Hintergrund Bedenken, dass der Beklagten von Beginn an bekannt war, dass es sich bei der Klägerin als potentieller Vertragspartnerin um eine Handelsvertreterin ihrer größten Konkurrentin handelt, die Beklagte sich gleichwohl erst nach über einem Jahr gehalten sah, aus diesem Grund die laufenden Vertragsverhandlungen abzubrechen.
Autorisierungsanspruch der Klägerin ergibt sich unmittelbar aus § 20 Abs. 1 GWB
4. Der mit Berufungsantrag 1. verfolgte Autorisierungsanspruch der Klägerin folgt unmittelbar aus § 20 Abs. 1 GWB. Für die Beurteilung eines Kontrahierungszwangs im markengebundenen Kfz-Werkstatt- und Kundendienstgeschäft ist das jeweils anwendbare nationale Recht maßgeblich (Nolte in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Band 2, 10. Aufl. 2006, Art. 81 Rn. 859; MünchKommEuWettbR/Becker a.a.O.., GVO Nr. 1400/2002, Art. 3, Rn. 7). Denn zivilrechtlicher Rechtsschutz gegen Verletzungen von Art. 81 EG ist Sache. des nationalen Rechts (Nolte a.a.O. unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 20.9.2001 - Courage, Slg. 2001, 1-6297 Rn. 29). Mangels ausdrücklicher Regelung ist unmittelbar aus der GVO 1400/2002 ein zivilrechtlicher Kontrahierungszwang nicht abzuleiten (vgl. Nolte a.a.O., Art. 81 Rn. 858 m.w.N.; Bechtold NJW 2003, 3729, 3732: a.A. Creutzig a.a.O. Rn. 1503).
Nach § 20 Abs. 1 GWB ist die Ablehnung von Bewerbern für Selektivvertriebssysteme unzu-. lässig, soweit die Maßnahmen des Herstellers eine sachlich ungerechtfertigte Behinderung oder, Diskriminierung darstellen (Nolte aa0., Art. 81 Rn. 860 m.w.N.). So liegt der Fall hier:
Wettbewerbsbeschränkung: Zurückweisung von Bewerbern aufgrund quantitativer Selektion trotz Erfüllung der qualitativen Standards - Marktabschottung ohne Freistellung
a) Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, ihr Vertriebs- und Servicesystem enthalte mangels Vertriebsbindung für Kundendienstleistungen keine kartellrechtlich relevante Wettbewerbsbeschränkung und bedürfe keiner Freistellung vom Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG. Aufgrund des in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (nachfolgend: VO 1/2003) zum Ausdruck kommenden Vorrangs des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht komme daher nach Ansicht der Beklagten eine Verurteilung im Streitfall nicht in Betracht.
Diese Auffassung teilt der Senat aus folgenden Gründen nicht:
Zwar darf nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VO 1/2003 die Anwendung des einzelstaatlichen Wettbewerbsrechts nicht zum Verbot von den Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt nicht einschränkenden Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG führen. Vom Wortlaut des Art. 81 Abs. 2 Satz 1 der VO 1/2003 ist allerdings (im Gegensatz zu Art. 3 Abs. 1 Satz 2 VO 1/2003) der - im Streitfall allein relevante - Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung eines Marktteilnehmers im Sinne von Art. 82 EG nicht erfasst.
Die Klägerin weist auch zu Recht darauf hin, dass von streitentscheidender Bedeutung nicht sei, ob der Service-Vertrag gemäß Anl. A Vertriebsbindungen, denen ein wettbewerbsbeschränkender Charakter zu entnehmen sei, enthalte. Die Wettbewerbsbeschränkung ist vielmehr im Streitfall darin zu sehen, dass die Beklagte unter Hinweis auf eine quantitative Selektion Bewerber (wie die Klägerin) zurückweist, obwohl diese die von der Beklagten geforderten qualitativen Standards erfüllen und damit den (auch den Gemeinsamen) Markt abschottet, ohne hiervon nach der GVO 1400/2002 vom Kartellverbot des Art. 81 EG freigestellt zu sein (vgl. die nachfolgenden Ausführungen unter 11.A) 4. b bis d).
Darüber hinaus räumt Art. 3 Abs. 2 Satz 2 VO 1/2003 ausdrücklich die Möglichkeit zur Anwendung strengeren nationalen Rechts auf einseitige Handlungen von Unternehmen (hier: die Nichtzulassung der Klägerin als X. Servicebetrieb) ein. Solche sind in §§ 19 bis 21 GWB enthalten (vgl. Sura in Langen/Bunte a.a.O., VO Nr. 1/2003, Art. 3 Rn. 20).
Die Beklagte kann der Berufung der Klägerin auch nicht entgegenhalten, nach Art. 81 Abs. 3 EG vom Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG freigestellt zu sein. Auch in diesem Fall wäre es der Beklagten verwehrt, die Klägerin im Sinne von Art. 82 Satz 2 EG bzw. § 20 Abs. 1 GWB ohne sachlichen Grund zu diskriminieren (insofern kann sich die Beklagte auch nicht mit Erfolg auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs „Citroen", WuW DE-R 1335 ff., der ein im Verhältnis zum Streitfall nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag, berufen). Eine Möglichkeit der Freistellung vom Verbot des Art. 82 EG gibt es nicht (Bechtold/Bosch/Brinkner/Hirsbrunner, EG Kartellrecht, 2005, EG Art. 82 Rn. 2).
Normadressatin des § 20 Abs. 1 GWB ist die Beklagte als marktbeherrschendes Unternehmen
b) Die Beklagte ist als marktbeherrschendes Unternehmen Normadressatin im Sinne von § 20 Abs. 1 GWB. Hiervon ist auszugehen, wenn ein Unternehmen auf dem räumlich und sachlich relevanten Markt entweder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder eine überragende Marktstellung hat (vgl. § 19 Abs. 2 Nrn. 1, 2 GWB).
Der räumlich relevante Markt beschränkt sich im Streitfall auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Der Senat schließt sich insoweit der Auffassung der EU-Kommission (vgl. Leitfaden zur GVO 1400/2002, Abschnitt 6.2., Beispiel c), S. 83/85) an, wonach bei Kundendienstvereinbarungen zwischen einem Fahrzeughersteller und Werkstätten, die in dessen Servicenetz zugelassen sind, „der nationale Markt als der von der Vereinbarung betroffene geografische Markt betrachtet" (a.a.O., S. 84) wird. In diesem Sinne hat sich die Beklagte in ihrem Ablehnungsschreiben vom 16.12.2004 (Anl. K 3) auch darauf berufen, „im Bereich des Kundendienstes in Deutschland" lediglich über einen unter 30% liegenden Marktanteil zu verfügen.
Der sachlich relevante Markt umfasst sämtliche Erzeugnisse und/oder Dienstleistungen, die von den Verbrauchern hinsichtlich ihrer Eigenschaften, Preise und ihres vorgesehenen Verwendungszwecks als austauschbar oder substituierbar angesehen werden (vgl. BGH WuW/E 1445, 1447 - Valium Librium; BGH WuW/E 1533, 1535 - Erdgas Schwaben). Im Streitfall ist der sachlich relevante Markt (der Auffassung der Beklagten folgend, vgl. auch Creutzig a.a.O. Rn. 331, abweichend von der zu weiten Interpretation der Klägerin, die von einem sachlich relevanten Markt für Zusammenarbeitsverträge ausgeht) zu definieren als Markt der Erbringung von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen für Nutzfahrzeuge.
Auf diesem Markt hat die Beklagte eine marktbeherrschende, ihre Normadressateneigenschaft im Sinne von § 20 Abs. 1 GWB begründende Position inne ...
Diskriminierung der Klägerin
c) Die Klägerin wird auch in einem für sie üblicherweise zugänglichen Geschäftsverkehr im Sinne von § 20 Abs. 1 GWB diskriminiert. Die in Rechtsprechung und Literatur strittige Frage, ob das Diskriminierungsverbot auch innerhalb geschlossener Vertriebssysteme - wie dies bei einer (im Streitfall nicht vorliegenden) freigestellten quantitativen Selektion der Fall wäre - gilt (vgl. hierzu Bechtold aa0., § 20, Rn. 38 m.w.N.), muss hier nicht entschieden werden. Eine Freistellung vom Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG kann die Beklagte nach den vorstehenden Ausführungen (II.A.4b) in Ansehung von Art. 3 Abs. 1 der GVO 1400/2002 nur bei Anwendung eines qualitativen selektiven Vertriebssystems beanspruchen. In diesem Fall ist ein für die Werkstätten üblicherweise zugänglicher Geschäftsverkehr anzunehmen, wenn und solange die Werkstätten objektiv die Händlerstandards erfüllen (Nolte aa0. Art. 81 Rn. 865).
Für die Ungleichbehandlung gibt es keinen sachlichen Grund
d) Auf einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung der Klägerin gegenüber ihren Mitkonkurrenten (§ 20 Abs. 1 GWB) kann sich die Beklagte nicht berufen.
Wie bereits unter II.A)3. ausgeführt, stellt die Tätigkeit für einen Konkurrenten der Beklagten auf dem Markt des Vertriebs von Neufahrzeugen bzw. auf dem Markt der Kundendienstleistungen keinen sachlichen Differenzierungsgrund dar.
Im Übrigen beruft sich die Beklagte gegenüber dem Anspruch der Klägerin auf Abgabe einer Willenserklärung zum Abschluss eines Service-Vertrages gemäß Anl. A lediglich darauf, zur quantitativen Selektion nach Maßgabe von Art. 3 Abs. 1 GVO 1400/2002 berechtigt zu sein. Dass dieser Einwand wegen Überschreitens eines Marktanteils von 30 % auf dem hier relevanten Markt der Erbringung von Instandsetzungs- und Wartungsdienstleistungen für Nutzfahrzeuge im Streitfall nicht greift, wurde bereits unter II.A)4b dieses Urteils ausgeführt...
Aber auch dann, wenn man den klägerischen Vortrag, über einen geringeren Marktanteil als 30% zu verfügen, als zutreffend unterstellte, würde dies nicht den von der Beklagten vertretenen Rechtsstandpunkt tragen, zur Aufnahme der Klägerin in das Vertriebssystem der Beklagten nicht verpflichtet zu sein. Dieser Gesichtspunkt kann bei der im Rahmen des § 20 Abs. 1 GWB vorzunehmenden Interessenabwägung für eine Auswahlentscheidung jedenfalls dann nicht ausschlaggebend sein, wenn - wie im Streitfall, nachdem den Ablehnungsschreiben ... eine Begrenzung der Zahl der zu autorisierenden Kundendienstbetriebe nicht entnommen werden kann und die Beklagte sich auch im Übrigen hierzu nicht erklärt hat - der Lieferant keine „Merkmale für die Auswahl der Händler und Werkstätten verwendet, durch die deren Zahl unmittelbar begrenzt wird" (GVO 1400/2002 Art. 1 Abs. 1 Buchst. g) und den Werkstätten die Kriterien für die quantitative Selektion nicht bekannt gibt (vgl. Bechtold NJW 2003, 3729, 3733, Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, a.a.O., VO 1400/2002 Art. 1 Rn. 33) ...
Fazit: Vorzugswürdiges Interesse der Klägerin an Zulassung zum Service-Vertriebssystem
(4) Dem Begehren der Klägerin, für den Fall der Erfüllung der von der Beklagten gesetzten Standards zum Service-Vertriebssystem der Beklagten zugelassen zu werden, ist daher im Streitfall bei Würdigung der sich gegenüberstehenden Interessen der Parteien in Anwendung des § 20 Abs. 1 GWB der Vorrang einzuräumen gegenüber dem nicht vorzugswürdigen Interesse der Beklagten, den Handelsvertreter eines Konkurrenten als Servicebetrieb vom eigenen selektiven Vertriebssystem auszuschließen.
B) Schadensersatzfeststellung (Berufungsantrag 2.)
Auch insoweit ist die Berufung der Klägerin bereits im Umfang des gestellten Hauptantrages (Berufungsantrag 2.) begründet ... [wird ausgeführt].
Hinweis der Redaktion: Der BGH führt die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten unter Az.: KZR 6/09. Die Entscheidung wurde Prof. Dr. Creutzig eingesandt.