AG Halle (Saale): Konstitutives Schuldanerkenntnis nach Fernabsatzvertrag
AG Halle (Saale), Urteil vom 4.7.2013 - 93 C 120/13
Leitsätze
1. Im Gegensatz zu einem deklaratorischen Schuldanerkenntnis, welches eine bereits bestehende Schuld bestätigen und bis zu diesem Zeitpunkt entstandene Einwendungen ausschließen oder beseitigen soll, schafft das konstitutive Schuldanerkenntnis einen neuen, selbstständigen Schuldgrund. Im Gegensatz zum deklaratorischen Schuldanerkenntnis kann daher das konstitutive Schuldanerkenntnis nach den Regeln über die ungerechtfertigte Bereicherung zurückgefordert werden, wenn es ohne Rechtsgrund erlangt wurde. Dies ergibt sich aus § 812 Abs. 2 BGB.
2. Ob es sich um ein deklaratorisches oder ein konstitutives Schuldanerkenntnis handelt, ist durch Auslegung zu ermitteln.
3. Es erscheint sehr bedenklich, wenn Unternehmen, die mit Verbrauchern Fernabsatzverträge im Sinne des § 312b BGB schließen, konstitutive Schuldanerkenntnisse erlangen und auf deren Grundlage sogleich im Urkundenprozess einen vollstreckbaren Titel erwirken können. Der Schutz vor Übereilung, der der Regelung des § 312d Abs. 1 BGB zu Grunde liegt, könnte sonst unterlaufen werden.
§ 312b BGB, § 312d Abs 1 BGB, § 781 BGB, § 812 Abs 2 BGB, § 592 ZPO ... mehr
Sachverhalt
Die Klägerin macht im Urkundenprozess einen Anspruch aus einem Schuldanerkenntnis geltend.
Die Beklagte unterzeichnete am 3. Januar 2012 eine mit „Schuldanerkenntnis und Teilzahlungsvereinbarung" überschriebene Vereinbarung mit der durch die Firma V... beauftragten Klägerin, in welcher sie anerkannte, der Firma V... 75,02 € nebst Zinsen sowie Kontoführungskosten in Höhe von 2,95 € und Kosten der Vereinbarung in Höhe von 45,00 € zu schulden. Zugleich schlossen die Parteien eine Ratenzahlungsvereinbarung. Wegen der Einzelheiten wird auf die Vereinbarung Bl. 13 d. A. verwiesen.
Mit Urkunde vom 20. November 2011 trat die Firma V... ihre Forderung gegen die Beklagte an die Klägerin ab. Wegen der Einzelheiten wird auf die Abtretung Bl. 14 d. A. verwiesen.
Die Beklagte leistete an die Klägerin Teilzahlungen in Höhe von 50,00 €, sodass sich eine Restforderung von 131,95 € (Stand: 20. November 2012) ergibt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Forderungsaufstellung Bl. 15 d. A. verwiesen.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagte zur Zahlung auf Grund ihres konstitutiven Schuldanerkenntnisses verpflichtet sei. Auf das zu Grunde liegende Rechtsverhältnis käme es nicht an, sodass die Einwendungen der Beklagten unerheblich seien. Die Klägerin bestreitet, dass die Beklagte unter Druck gesetzt worden sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 131,96 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. November 2012 zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, sie sei Opfer einer „Telefonabzocke" geworden. Ein Mitarbeiter der Firma V... habe sie angerufen und behauptet, er führe im Auftrag der „Apotheken-Umschau" eine Umfrage durch. Wenn die Beklagte daran teilnehme, bekäme sie zum Dank eine Probepackung eines Mittels gegen Arthrose. Hierauf habe sich die - an schwerer Arthrose leidende - Beklagte eingelassen, jedoch zu keinem Zeitpunkt bei der Klägerin kostenpflichtige Lieferungen bestellt. Die Klägerin habe ihr dann auch tatsächlich „Hirschberger Gelenk Forte Plus" übersandt, allerdings mit einer Rechnung über 9,95 €. Zudem sei angekündigt worden, dass der Beklagten nun jeden Monat Packungen zu einem Kaufpreis von etwa 19,00 € übersandt würden. Die Beklagte sei dann von der Klägerin unter Druck gesetzt worden: Wenn sie nicht freiwillig zahle, gehe das vor Gericht, hier habe die Beklagte ohnehin keine Chance. Dies könne die Beklagte nur durch die Unterzeichnung eines Schuldanerkenntnisses abwenden. Aus Angst habe sie das Schuldanerkenntnis unterschrieben. Sie ist der Ansicht, dass das von ihr abgegebene Schuldanerkenntnis der Rückforderung gemäß § 812 BGB unterliege.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 6. Juni 2013 verwiesen.
Aus den Gründen
Die Klage ist unbegründet.
Die Klage ist bereits unschlüssig.
Die Klägerin macht einen Anspruch aus einem konstitutiven Schuldanerkenntnis geltend. Im Gegensatz zu einem deklaratorischen Schuldanerkenntnis, welches eine bereits bestehende Schuld bestätigen und bis zu diesem Zeitpunkt entstandene Einwendungen ausschließen oder beseitigen soll, schafft das konstitutive Schuldanerkenntnis einen neuen, selbstständigen Schuldgrund. Im Gegensatz zum deklaratorischen Schuldanerkenntnis kann daher das konstitutive Schuldanerkenntnis nach den Regeln über die ungerechtfertigte Bereicherung zurückgefordert werden, wenn es ohne Rechtsgrund erlangt wurde. Dies ergibt sich aus § 812 Abs. 2 BGB.
Ob es sich um ein deklaratorisches oder ein konstitutives Schuldanerkenntnis handelt, ist durch Auslegung zu ermitteln (Palandt-Sprau, BGB, 72. Auflage, § 781 Rn. 1). Vorliegend ist zu beachten, dass die - anwaltlich vertretene - Klägerin das Schuldanerkenntnis ausdrücklich als konstitutives bezeichnet und dass in dem Text des Schuldanerkenntnisses mit keinem Wort auf einen vorangegangenen Kaufvertrag zwischen der Firma V... und der Beklagten eingegangen wird. Wenn die Parteien Einwendungen aus dem Kaufvertrag zwischen der Firma V... und der Beklagten hätten ausschließen wollen, hätten sie dies in irgendeiner Form in dem Schuldanerkenntnis erwähnen müssen.
Ob der Gläubiger das Anerkenntnis behalten darf oder der Schuldner es zurückfordern darf, ist nach Sinn und Zweck des Anerkenntnisses zu entscheiden (Palandt-Sprau a. a. O. § 812 Rn. 81). Vorliegend ging es den Parteien nicht darum, Einwendungen aus dem Kaufvertrag zwischen V... und der Beklagten auszuschließen, sondern darum, einen neuen, selbstständigen Schuldgrund zu schaffen. Dies ergibt sich, wie schon gesagt, aus dem Wortlaut des Anerkenntnisses. In den Schriftsätzen vom 28. Mai 2013 und vom 25. Juni 2013 stellt die Klägerin noch einmal ausdrücklich klar, dass „die Beklagte eine selbstständige von dem ursprünglichen Rechtsgrund losgelöste Verbindlichkeit begründet" hat. Gerade dieser Umstand zeigt aber, dass das Schuldanerkenntnis gemäß § 812 Abs. 2 BGB kondizierbar ist. Wenn die Klägerin meint, dass Rechtsgrund des streitgegenständlichen Anspruchs das konstitutive Schuldanerkenntnis sei, so liegt hier der entscheidende Denkfehler der Klägerin: Rechtsgrund für das Schuldanerkenntnis kann nicht das Schuldanerkenntnis selbst sein. Dies wäre ein Zirkelschluss. Rechtsgrund für das Behalten-Dürfen einer Leistung kann nur ein außerhalb der Leistung liegender Umstand, nicht die Leistung selbst sein. Sonst wäre § 812 BGB überflüssig.
Angesichts der von der Beklagten erhobenen Einwendung hat aber nun die Klägerin vorzutragen, aus welchem rechtlichen Grund im Sinne des § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB die Klägerin meint, das Schuldanerkenntnis behalten zu dürfen. Denn die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen des rechtlichen Grundes liegt bei dem, der die Leistung behalten möchte. Hierauf ist die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch hingewiesen worden. Entsprechender Vortrag fehlt jedoch. Da dieser Vortrag fehlt, ist die Klage unschlüssig. Es kann auch nicht zunächst gegen die Beklagte ein Vorbehaltsurteil gemäß § 599 Abs. 1 ZPO ergehen. Die Beklagte hat nicht etwa Einwendungen vorgebracht, für die sie Beweismittel angeboten hat, die erst im Nachverfahren gemäß § 600 ZPO zugelassen sind. Vielmehr fehlt es bereits an substantiiertem und daher schlüssigem Vortrag der Klägerin. Daher ist die Klage gemäß § 597 Abs. 1 BGB als unbegründet abzuweisen. Ein Vorbehaltsurteil gemäß § 599 Abs. 1 ZPO hätte daher nur ergehen können, wenn die Klägerin auch den Kaufvertrag mit der Beklagten selbst als Rechtsgrund für das Behalten-Dürfen des Schuldanerkenntnisses vorgetragen und mit den Beweismitteln des § 592 ZPO unter Beweis gestellt hätte.
Selbst wenn man aber die Klage für schlüssig und das Vorbringen der Klägerin für ausreichend substantiiert halten würden, so wäre der Anspruch der Klägerin doch der so genannten „dolo-agit"-Einrede (dolo agit qui petit quod statim redditurus est = arglistig handelt, wer etwas fordert, was er sofort zurückgeben muss) der Beklagten ausgesetzt. Indem sich die Beklagte auf ungerechtfertigte Bereicherung beruft, hat sie diese Einrede erhoben. Diese ist bereits im Urkundenprozess und nicht erst im Nachverfahren zu beachten, da der Sachverhalt unstreitig ist: Die Klägerin hat keinen Rechtsgrund vorgetragen, der es rechtfertigt, dass sie das konstitutive Schuldanerkenntnis behalten darf; im Grunde hat sie den Sachvortrag der Beklagten bis auf die Frage des Unter-Druck-Setzens noch nicht einmal bestritten. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist daher die Klage gemäß § 597 Abs. 1 ZPO als unbegründet abzuweisen.
Im vorliegenden Fall stellt sich zudem, ohne dass dies noch abschließend geprüft werden müsste, die Frage, ob nicht ohnehin im vorliegenden Fall der Urkundenprozess unstatthaft ist, da es mit wesentlichen Grundgedanken des Verbraucherschutzes unvereinbar ist.
Auf der Internetseite der Verbraucherzentrale Bremen (http://www.verbraucherzentrale-bremen.de/NOSES/forceses/.../www.vz-nrw.de/Abzocker-2011) findet sich folgender Hinweis:
„Abonnement für Nahrungsergänzungsmittel
Gleich mehrere Firmen versuchten bei Werbeanrufen, getarnt als "Informationsgespräch" oder "Umfrage zum Arzneimittelkauf", zu Abonnements für Nahrungsergänzungsmittel zu überreden. Ob M. GmbH und Me.-P., ob H. N., V... oder H. v.: Die Anbieter lockten mit günstigen Probepackungen, um dann denen, die der Lieferung zugestimmt hatten, zugleich einen Abo-Vertrag mit Kosten bis zu rund 380 Euro unterzuschieben. Wer sich wehrte, der wurde, um Druck aufzubauen, auf das aufgezeichnete Telefonat verwiesen. Zu den Tricks zählte zudem, sich mehrerer Anschriften zu bedienen. Widerrufe der angeblichen Kunden wurden deshalb gern mit dem Hinweis abgewiesen, das Schreiben sei sicher falsch adressiert gewesen und nun die gesetzliche Frist verstrichen. Weigerten sich Verbraucher dennoch zu zahlen, wurde ihnen mit einer Inkasso-Gesellschaft und "erheblichen Gebühren" gedroht."
Auf der Website einer Anwaltskanzlei (http://www.ratgeberrecht.eu/wettbewerbsrecht-aktuell/unerlaubte-telefonwerbung-fuer-nahrungsergaenzungsmittel.html) findet sich folgender Hinweis:
„Unerlaubte Telefonwerbung für Nahrungsergänzungsmittel
Mit der Zustellung einer Probepackung schieben die M. GmbH, Me.-P. und H. N. derzeit Verträge über die monatliche Zusendung angeblich gesundheitsfördernder Nahrungsergänzungsmittel (z.B. Ginkgo-Präparate) unter. Nach Informationen der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg werden dabei gezielt Senioren angerufen. Die Unternehmen gehen ausgeklügelt vor. Die Verbraucher werden ohne Einwilligung angerufen. Das Gespräch beginnt getarnt als Informationsgespräch oder als Umfrage zum Arzneimittelkauf. Ziele des Gesprächs sind aber, dass Verbraucher eine Monatspackung zum Probierpreis bestellen oder sich diese als Dankeschön zuschicken lassen. Mit Erhalt der Probepackung schieben die Unternehmen dann einen Abonnementvertrag unter, wenn ihnen innerhalb von 14 Tagen kein Widerruf zugeht. Durch einen solchen Abovertrag sollen Forderungen in Höhe von bis zu 338,75 Euro entstehen. Als Unternehmensadresse sind entweder nur eine Postfachfachadresse angegeben oder gar zwei unterschiedliche Adressen. Egal bei welcher der Adressen widerrufen wird, meist behaupten die Unternehmen, der Widerruf sei an die falsche Adresse gesandt worden. Begleichen die Verbraucher die untergeschobene Rechnung nicht, drohen die Unternehmen mit der Einschaltung von Inkasso-Fimen und ‚erheblichen Gebühren'. Zudem werden die Telefongespräche aufgezeichnet, um zusätzlich Druck aufzubauen. Es handelt sich um die Unternehmen: M. GmbH, M.-P. der B. H. AG, Schweiz und H. N. der V... AG, Schweiz. 18.08.2011 - Verbraucherzentrale Baden-Württemberg - PM vom 18.08.2011"
Im offiziellen Gesundheitsportal der deutschen Apothekerinnen und Apotheker (http://www.aponet.de/aktuelles/ihr-apotheker-informiert/verbraucherzentrale-warnt. html) findet sich folgender Hinweis:
„Vorsicht bei Pillen-Abos
Zeitschriften, Versicherungen oder vermeintliche Lotteriegewinne per Telefonansage: Nicht alle Verbraucher begegnen solchen Anrufen mit Vorsicht. Die Verbraucherzentrale Thüringen warnte kürzlich vor einer neuen Art von "Angebot".
Gegenwärtig versuchen Anbieter wie M., V..., Me.-P. oder H. v. verschiedene Produkte per Telefonakquise an den Verbraucher zu bringen. Geködert werden diese mit supergünstigen Probepackungen, die keine zehn Euro für den Monatsbedarf kosten. Der Absatz ist jedoch nicht nur auf eine Probepackung, sondern eine langfristige Belieferung ausgerichtet. Dann geht es um Summen, die zwischen 50 und knapp 100 Euro pro Monat liegen. Den meisten Verbrauchern wird aber genau das bei den Telefonaten nicht deutlich. In der Mehrzahl lassen sie sich auf die Probelieferung ein. Es fällt ihnen sichtlich schwer, sich den freundlichen und kompetenten Anrufern zu entziehen.
Die Verärgerung setzt dann ein, wenn nach der Probelieferung, die abgenommen und bezahlt wird, weitere Lieferungen eintreffen. Mit einem aufgezeichneten Telefonat, das Verbraucher unter einer kostenfreien Rufnummer abhören können, wollen Anbieter den vermeintlichen Vertragsschluss belegen. Nehmen die Verbraucher die Ware nicht ab oder zahlen diese nicht, tauchen ziemlich schnell Mahn- und Inkassoschreiben auf. Diese sollen die Betroffenen mit Nachdruck und der Androhung weit höherer Kosten zur Einhaltung der angeblich geschlossenen Lieferverträge bewegen.
(...) Viel zu gutgläubig lassen sich insbesondere ältere Verbraucher auf nette Telefonate mit geschulten Firmenvertretern ein, deren Ziel es letztlich nur ist, längerfristig laufende Kaufverträge abzuschließen. Die Verbraucherzentrale Thüringen e.V. rät deshalb Verbrauchern, dringend darauf zu achten, wofür sie am Telefon ihre Einwilligung geben und wann sie einer Aufzeichnung dieses Gespräches zustimmen.
Verbraucherzentrale Thüringen/MP"
Die zitierte Pressemitteilung der Verbraucherzentrale Thüringen (http://www.vzth.de/ Vorsicht-Pillen-Abo-per-Telefon) lautet wie folgt:
„03.08.2011
Vorsicht: Pillen-Abo per Telefon
Verbraucherzentrale Thüringen e.V. warnt in diesem Zusammenhang vor unübersichtlichen Vertragsschlüssen
Gegenwärtig versuchen Anbieter wie M., V..., Me.-P. oder H. v. in Größenordnungen ihre Produkte per Telefonakquise an den Mann oder die Frau zu bringen. Geködert werden die Verbraucher mit supergünstigen Probepackungen, keine zehn Euro für den Monatsbedarf.
"Sie werden begeistert sein, denn damit können Sie auf natürliche Art Ihre Gelenkgesundheit für mehr Mobilität im Alltag unterstützen.....Eine gute Entscheidung für Ihre geistige Fitness, Ihr Gedächtnis und Ihre Konzentration, und ebenfalls gut für eine gesunde Durchblutung von Beinen, Kopf und dem empfindlichen Innenohr......" Die Anbieter dieser "Wundermittelchen" überschlagen sich bei den Lobpreisungen für ihr Produkt.
Gegenwärtig versuchen Anbieter wie M., V..., Me.-P. oder H. v. in Größenordnungen ihre Produkte per Telefonakquise an den Mann oder die Frau zu bringen. Geködert werden die Verbraucher mit supergünstigen Probepackungen, keine zehn Euro für den Monatsbedarf. Aber die Produkte wurden für eine dauerhafte Anwendung entwickelt, was bedeutet, dass der Absatz nicht nur auf eine Probepackung sondern eine langfristige Belieferung ausgerichtet ist. Dann geht es aber um Summen, die zwischen 50 und knapp 100 Euro pro Monat liegen. Den meisten angerufenen Verbrauchern wird aber genau das bei den Telefonaten offensichtlich nicht deutlich. Sie lassen sich in der Mehrzahl der Fälle auf die Probelieferung ein, es fällt ihnen sichtlich schwer, sich den freundlichen und fachlich offensichtlich kompetenten Anrufern zu entziehen. Die Verärgerung setzt dann ein, wenn nach der Probelieferung, die abgenommen und bezahlt wird, weitere Lieferungen eintreffen. Mit einem aufgezeichneten Telefonat, das unter einer kostenfreien Rufnummer abgehört werden kann, will man den vermeintlichen Vertragsschluss belegen. Wird nicht abgenommen und bezahlt, tauchen ziemlich schnell Mahn- und Inkassoschreiben auf, in denen mit Nachdruck und der Androhung weit höherer Kosten die Betroffenen zur Einhaltung der angeblich geschlossenen Lieferverträge bewegt werden sollen.
Wer Ärger aus dem Weg gehen möchte, der sollte handeln und mit Zusendung der Probelieferung sofort, möglichst nachweisbar dem angeblichen Vertragsschluss für weitere Lieferungen widersprechen und hilfsweise widerrufen. Entscheidend ist das, was letztlich am Telefon mit dem Anbieter besprochen worden ist. Man kann am Telefon wirksam Verträge schließen, Voraussetzung ist aber, dass beide Parteien bewusst Laufzeit, Kosten und Lieferrhythmus zur Kenntnis nehmen und diesen wesentlichen Vertragsinhalten auch ausdrücklich zustimmen. Viel zu gutgläubig lassen sich insbesondere ältere Verbraucher auf nette Telefonate mit geschulten Firmenvertretern ein, deren Ziel es letztlich nur ist, längerfristig laufende Kaufverträge abzuschließen. Die Verbraucherzentrale Thüringen e.V. rät deshalb Verbrauchern, dringend darauf zu achten, wofür Sie am Telefon ihre Einwilligung geben und wann sie einer Aufzeichnung dieses Gespräches zustimmen."
Unter diesen Umständen erscheint es sehr bedenklich, wenn Unternehmen, die mit Verbrauchern Fernabsatzverträge im Sinne des § 312b BGB schließen, konstitutive Schuldanerkenntnisse erlangen und auf deren Grundlage sogleich im Urkundenprozess einen vollstreckbaren Titel erwirken können. Der Schutz vor Übereilung, der der Regelung des § 312d Abs. 1 BGB zu Grunde liegt, könnte sonst unterlaufen werden. Die Gefahr, dass ein konstitutives Schuldanerkenntnis durch ein Unternehmen nach einem mündlichen Fernabsatzvertrag missbräuchlich erlangt wird, ist nach den obigen Verlautbarungen nicht lediglich theoretisch. Dies kann aber letztlich dahinstehen, da - selbst wenn der Urkundenprozess unstatthaft ist - die Klage nicht als im Urkundenprozess unstatthaft gemäß § 597 Abs. 2 ZPO, sondern auf Grund der oben stehenden Ausführungen gemäß § 597 Abs. 1 ZPO als unbegründet abzuweisen ist (Zöller-Greger, ZPO, 29. Auflage, § 597 Rn. 6). Zugleich zeigen die oben angegebenen Fundstellen eindrucksvoll auf, warum die Klägerin unbedingt eine Erörterung des Grundverhältnisses vermeiden will und ihren Anspruch ausschließlich auf ein konstitutives Schuldanerkenntnis stützt. Dies kann sie ja auch tun, nur übersieht sie, dass ein selbstständiges Schuldanerkenntnis gemäß § 812 Abs. 2 BGB womöglich der Rückforderung wegen ungerechtfertigter Bereicherung ausgesetzt ist.
Zu betonen ist noch, dass die von der Beklagten geleisteten Teilzahlungen nicht etwa als (erneutes oder erstmaliges) Anerkenntnis der Forderung der Klägerin ausgelegt werden können. Zwar kann es im Einzelfall, insbesondere bei Kfz-Haftpflichtversicherungen im Verkehrsunfallprozess, rechtsmissbräuchlich sein, sich darauf zu berufen, es bestehe schon dem Grunde nach kein Anspruch, wenn man zuvor Teilzahlungen geleistet hat. Dies betrifft aber Fälle, in denen davon auszugehen ist, dass der Schuldner, bevor er Teilzahlungen geleistet hat, bereits eine rechtliche Prüfung vorgenommen hat (etwa durch eine Rechtsabteilung oder einen Rechtsanwalt). Im vorliegenden Fall hat aber die Beklagte als Verbraucherin, die sich gegenüber der Klägerin in einer unterlegenen Stellung befindet, vor ihren Teilzahlungen keine rechtliche Prüfung vorgenommen. Die Klägerin konnte derartiges auch nicht annehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 ZPO ist, wie auch von der Klägerin beantragt, die Berufung zuzulassen, da es um grundsätzliche und häufig auftauchende Rechtsfragen im Zusammenhang mit behaupteter „Telefonabzocke" geht.