R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Wirtschaftsrecht
16.02.2023
Wirtschaftsrecht
EuGH: Konkrete Fassung eines Mustergruppenvertrags über fondsgebundene Lebensversicherungen kann „unlautere Geschäftspraxis“ i. S. v. Art. 3 Abs. 1 RL 2005/29/EG sein

EuGH, Urteil vom 2.2.2023 – C-208/21, K. D. gegen Towarzystwo Ubezpieczeń Ż S.A.

ECLI:EU:C:2023:64

Volltext: BB-Online BBL2023-385-2

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

1. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) ist dahin auszulegen, dass es eine „unlautere Geschäftspraxis“ im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann, wenn ein Versicherungsunternehmen einen Mustergruppenvertrag über fondsgebundene Lebensversicherungen so verfasst, dass es dem Verbraucher, der diesem Gruppenvertrag auf Angebot eines zweiten Unternehmens, das Versicherungsnehmer ist, beitritt, nicht möglich ist, die Art und die Konzeption des angebotenen Versicherungsprodukts und die damit verbundenen Risiken zu verstehen, und dass dieses Versicherungsunternehmen für diese unlautere Geschäftspraxis haften muss.

2. Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29 in Verbindung mit Art. 13 dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass er einer Auslegung des nationalen Rechts nicht entgegensteht, die einem Verbraucher, der einen Vertrag aufgrund einer unlauteren Geschäftspraxis eines Gewerbetreibenden geschlossen hat, das Recht verleiht, die Ungültigerklärung dieses Vertrags zu verlangen.

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29) sowie von Art. 2 Buchst. d und Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. 2005, L 149, S. 22).

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen K. D. und der Towarzystwo Ubezpieczeń Ż S.A. (im Folgenden: TUŻ) über die Erstattung der für einen Vertrag über fondsgebundene Gruppenlebensversicherungen (im Folgenden: Unit-linked-Gruppenvertrag) gezahlten Versicherungsprämien, dem K. D. beigetreten ist.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 93/13

3          Art. 5 der Richtlinie 93/13 sieht vor:

„Sind alle dem Verbraucher in Verträgen unterbreiteten Klauseln oder einige dieser Klauseln schriftlich niedergelegt, so müssen sie stets klar und verständlich abgefasst sein. …“

Richtlinie 2002/83/EG

4          Art. 36 der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen (ABl. 2002, L 345, S. 1), die zum 1. Januar 2016 durch die Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) (ABl. 2009, L 335, S. 1) in der durch die Richtlinie 2013/58/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2013 (ABl. 2013, L 341, S. 1) geänderten Fassung aufgehoben und ersetzt wurde, bestimmte in Abs. 1:

„Vor Abschluss des Versicherungsvertrags sind dem Versicherungsnehmer mindestens die in Anhang III Buchstabe A aufgeführten Angaben mitzuteilen.“

Richtlinie 2005/29

5          In den Erwägungsgründen 7 und 9 der Richtlinie 2005/29 heißt es:

„(7)       Diese Richtlinie bezieht sich auf Geschäftspraktiken, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidungen des Verbrauchers in Bezug auf Produkte stehen. …

(9)        Diese Richtlinie berührt nicht individuelle Klagen von Personen, die durch eine unlautere Geschäftspraxis geschädigt wurden. Sie berührt ferner nicht die gemeinschaftlichen und nationalen Vorschriften in den Bereichen Vertragsrecht … Für Finanzdienstleistungen und Immobilien sind aufgrund ihrer Komplexität und der ihnen inhärenten ernsten Risiken detaillierte Anforderungen erforderlich, einschließlich positiver Verpflichtungen für die betreffenden Gewerbetreibenden. Deshalb lässt diese Richtlinie im Bereich der Finanzdienstleistungen und Immobilien das Recht der Mitgliedstaaten unberührt, zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher über ihre Bestimmungen hinauszugehen. …“

6            Art. 2 dieser Richtlinie sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

b)         ‚Gewerbetreibender‘ jede natürliche oder juristische Person, die im Geschäftsverkehr im Sinne dieser Richtlinie im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, und jede Person, die im Namen oder Auftrag des Gewerbetreibenden handelt;

c)         ‚Produkt‘ jede Ware oder Dienstleistung, einschließlich Immobilien, Rechte und Verpflichtungen;

d)         ‚Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern‘ (nachstehend auch ‚Geschäftspraktiken‘ genannt) jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt;

…“

7            Art. 3 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)       Diese Richtlinie gilt für unlautere Geschäftspraktiken im Sinne des Artikels 5 zwischen Unternehmen und Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts.

(2)        Diese Richtlinie lässt das Vertragsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Wirksamkeit, das Zustandekommen oder die Wirkungen eines Vertrags unberührt.“

8          Art. 5 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)       Unlautere Geschäftspraktiken sind verboten.

(4)        Unlautere Geschäftspraktiken sind insbesondere solche, die

a)         irreführend im Sinne der Artikel 6 und 7

oder

b)         aggressiv im Sinne der Artikel 8 und 9 sind.

…“

9          In Art. 7 der Richtlinie 2005/29 heißt es:

„(1)       Eine Geschäftspraxis gilt als irreführend, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände und der Beschränkungen des Kommunikationsmediums wesentliche Informationen vorenthält, die der durchschnittliche Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und die somit einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er sonst nicht getroffen hätte.

(2)        Als irreführende Unterlassung gilt es auch, wenn ein Gewerbetreibender wesentliche Informationen gemäß Absatz 1 unter Berücksichtigung der darin beschriebenen Einzelheiten verheimlicht oder auf unklare, unverständliche, zweideutige Weise oder nicht rechtzeitig bereitstellt oder wenn er den kommerziellen Zweck der Geschäftspraxis nicht kenntlich macht, sofern er sich nicht unmittelbar aus den Umständen ergibt, und dies jeweils einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er ansonsten nicht getroffen hätte.

(5)        Die im Gemeinschaftsrecht festgelegten Informationsanforderungen in Bezug auf kommerzielle Kommunikation einschließlich Werbung oder Marketing, auf die in der nicht erschöpfenden Liste des Anhangs II verwiesen wird, gelten als wesentlich.“

10        Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten stellen im Interesse der Verbraucher sicher, dass geeignete und wirksame Mittel zur Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken vorhanden sind, um die Einhaltung dieser Richtlinie durchzusetzen.“

11        Art. 13 dieser Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei Verstößen gegen die nationalen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie anzuwenden sind, und treffen alle geeigneten Maßnahmen, um ihre Durchsetzung sicherzustellen. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“

12        Nach Anhang II dieser Richtlinie gehören zu den Informationen, die im Sinne ihres Art. 7 als wesentlich gelten, die in Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83 genannten Informationen.

13        Die Richtlinie 2005/29 wurde durch die Richtlinie (EU) 2019/2161 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 (ABl. 2019, L 328, S. 7) geändert. Mit dieser Richtlinie, deren Umsetzungsfrist gemäß ihrem Art. 7 Abs. 1 am 28. November 2021 ablief, wurde ein Art. 11a in die Richtlinie 2005/29 eingefügt, der wie folgt lautet:

„(1)       Verbraucher, die durch unlautere Geschäftspraktiken geschädigt wurden, haben Zugang zu angemessenen und wirksamen Rechtsbehelfen, einschließlich Ersatz des dem Verbraucher entstandenen Schadens sowie gegebenenfalls Preisminderung oder Beendigung des Vertrags. Die Mitgliedstaaten können die Voraussetzungen für die Anwendung und die Folgen der Rechtsbehelfe festlegen. Die Mitgliedstaaten können gegebenenfalls die Schwere und Art der unlauteren Geschäftspraktik, den dem Verbraucher entstandenen Schaden sowie weitere relevante Umstände berücksichtigen.

(2)        Diese Rechtsbehelfe berühren nicht die Anwendung anderer Rechtsbehelfe, die den Verbrauchern nach dem Unionsrecht oder dem nationalen Recht zur Verfügung stehen.“

Polnisches Recht

14        Die Richtlinie 2005/29 wurde durch die Ustawa o przeciwdziałaniu nieuczciwym praktykom rynkowym (Gesetz über die Bekämpfung unlauterer Marktpraktiken) vom 23. August 2007 (Dz. U. Nr. 171, Position 1206) in das polnische Recht umgesetzt. Art. 12 Abs. 1 dieses Gesetzes in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits anwendbaren Fassung bestimmt:

„Im Fall einer unlauteren Geschäftspraxis kann der Verbraucher, dessen Interessen bedroht oder verletzt worden sind, verlangen:

4)         Ersatz der entstandenen Schäden nach den allgemeinen Grundsätzen; insbesondere kann er die Kündigung des Vertrags mit Verpflichtung zur gegenseitigen Rückerstattung der Leistungen und Erstattung der mit dem Kauf des Produkts verbundenen Kosten durch den Gewerbetreibenden verlangen; …“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

15        Mit einer am 10. Januar 2012 wirksam gewordenen Erklärung trat K. D. als Versicherte für einen Zeitraum von 15 Jahren dem Unit‑linked‑Gruppenvertrag bei, der zwischen TUŻ, einem Versicherungsunternehmen, und Y, einer als Versicherungsnehmerin handelnden Bank, abgeschlossen wurde.

16        Gegenstand dieses Vertrags war es, die von den Versicherten monatlich gezahlten Versicherungsprämien zu sammeln und über einen aus diesen Prämien gebildeten Investmentfonds anzulegen. Nach der Umwandlung in Fondsanteile wurde der diesen Prämien entsprechende Betrag in von einer Wertpapierfirma ausgestellte Zertifikate (im Folgenden: dem Unit‑linked‑Gruppenvertrag zugrunde liegende Vermögenswerte) angelegt, deren Wert anhand eines Indexes berechnet wurde.

17        Im Gegenzug verpflichtete sich TUŻ zur Auszahlung von Leistungen im Fall des Todes des Versicherten oder seines Erlebens des Endes der Versicherungszeit. Der Betrag dieser Leistungen durfte nicht niedriger sein als der Nominalwert der vom Versicherten gezahlten Prämien unter Berücksichtigung etwaiger positiver Entwicklungen des Werts der Fondsanteile. Für den Fall einer Kündigung des Versicherungsvertrags vor Ablauf seiner Laufzeit verpflichtete sich TUŻ hingegen, dem Versicherten einen Betrag zurückzuzahlen, der dem aktualisierten Wert der Fondsanteile des Versicherten abzüglich einer Auflösungsgebühr entsprach.

18        Der Unit‑linked‑Gruppenvertrag wurde durch die allgemeinen Versicherungsbedingungen, eine Tabelle der Kosten und Prämienobergrenzen und die Regelung des Fonds reglementiert, bei denen es sich um Standardvertragsklauseln von TUŻ handelt. Diese Dokumente enthielten weder Regeln hinsichtlich der Umwandlung der monatlichen Prämien in Anteile des Investmentfonds sowie der Bewertung dieser Anteile, des Nettovermögens des gesamten Fonds bzw. der Zertifikate, in denen das Fondskapital angelegt war, noch die Methode zur Berechnung des Werts des Indexes, auf dessen Grundlage die Auszahlung der Zertifikate erfolgte. In der Regelung des Investmentfonds wurde jedoch darauf hingewiesen, dass die Anlage u. a. dem Kreditrisiko des Emittenten der Zertifikate sowie dem Risiko des Verlusts eines Teils der gezahlten Prämien im Fall einer vorzeitigen Auflösung dieses Vertrags ausgesetzt war.

19        Der Vertrieb des Unit‑linked‑Gruppenvertrags an die Verbraucher sowie seine Verwaltung erfolgte durch die Bank Y, die dafür von TUŻ Provisionen erhielt. Obwohl Y nicht an der Entwicklung des Versicherungsprodukts, das vollständig von TUŻ konzipiert wurde, beteiligt gewesen war, schulte sie ihre Angestellten, die damit betraut waren, dieses Produkt anzubieten, und erstellte zu diesem Zweck Fortbildungsmaterial, das von TUŻ bestätigt wurde.

20        Im vorliegenden Fall trat K. D. dem Unit‑linked‑Gruppenvertrag auf Vermittlung eines Angestellten von Y bei, der K. D. nach deren Angaben das betreffende Versicherungsprodukt als Anlageprodukt mit einem am Ende der Laufzeit dieses Vertrags garantierten Kapital darstellte. Das Beitrittsangebot beruhte auf den allgemeinen Versicherungsbedingungen und der Regelung des Investmentfonds von TUŻ, die der Angestellte von Y an K. D. übergab.

21        Nachdem K. D. Kenntnis davon erlangt hatte, dass der Wert ihrer Anteile am Investmentfonds deutlich niedriger war als die von ihr gezahlten Versicherungsprämien, kündigte sie mit Schreiben vom 4. April 2017 ihren Versicherungsvertrag und forderte TUŻ auf, ihr sämtliche Versicherungsprämien zurückzuzahlen. Mit Schreiben vom 25. April 2017 lehnte TUŻ diese Forderung ab.

22        K. D. erhob am 10. Januar 2018 Klage beim Sąd Rejonowy dla Warszawy-Woli w Warszawie (Rayongericht Warschau‑Wola, Polen), dem vorlegenden Gericht, und beantragte, TUŻ dazu zu verurteilen, ihr einen Betrag zu zahlen, der im Wesentlichen der Differenz zwischen dem Rückkaufwert des Versicherungsvertrags zum Zeitpunkt seiner Auflösung, der sich – abzüglich der Auflösungsgebühren – auf etwa ein Drittel der von K. D. gezahlten Versicherungsprämien belief, und den gesamten Versicherungsprämien entspricht.

23        Zur Stützung dieser Klage macht K. D. mehrere Klagegründe geltend, mit der sie u. a. die Unwirksamkeit ihrer Beitrittserklärung zum Unit‑linked‑Gruppenvertrag sowie die Anwendung einer unlauteren Geschäftspraxis durch TUŻ rügt, die im Verkauf von Produkten, die nicht an die Bedürfnisse des Verbrauchers angepasst sind, und in der Erteilung irreführender Informationen an den Verbraucher bei dem Beitritt zu diesem Vertrag besteht. Zur Stützung dieser Klagegründe macht K. D. im Wesentlichen geltend, die Standardvertragsklauseln dieses Vertrags enthielten unklare, ungenaue und daher irreführende Bestimmungen, die es dem Verbraucher nicht ermöglichten, Art und Konzeption des angebotenen Versicherungsprodukts sowie die damit verbundenen Risiken zu bestimmen.

24        TUŻ macht geltend, die von K. D. behaupteten unlauteren Praktiken beträfen den Verkauf des Versicherungsprodukts, den Y im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit für eigene Rechnung und im eigenen Namen durchgeführt habe. Außerdem behauptet TUŻ, ihren Informationspflichten nachgekommen zu sein, da alle Informationen zu diesem Versicherungsprodukt in den Dokumenten enthalten gewesen seien, die K. D. bei ihrem Beitritt zum Unit‑linked‑Gruppenvertrag erhalten habe.

25        Vor diesem Hintergrund fragt sich das vorlegende Gericht nach der Auslegung mehrerer Bestimmungen der Richtlinie 2005/29 und der Richtlinie 93/13, um den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden. Erstens beziehe sich nach einer wörtlichen Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 im Licht ihres siebten Erwägungsgrundes der Begriff „unlautere Geschäftspraxis“ im Sinne dieser Richtlinie nur auf Umstände, die den Vertragsschluss und die Präsentation des Produkts gegenüber dem Verbraucher beträfen, und nicht auf die Vorstufe, die die Konzeption dieses Produkts und die Festlegung des Inhalts des Musterversicherungsvertrags betreffe.

26        Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts sind jedoch die Besonderheiten eines dreiseitigen Rechtsverhältnisses wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden zu berücksichtigen. In einem solchen Rechtsverhältnis beruhe das Angebot des vom Versicherungsunternehmen konzipierten und vom Versicherungsnehmer vertriebenen Versicherungsprodukts auf einem von diesem Versicherungsunternehmen erstellten Musterversicherungsvertrag, der den Umfang der Verpflichtungen dieses Unternehmens bzw. des Verbrauchers bestimme.

27        Wenn ein solcher Mustervertrag nicht verständlich verfasst sei, weil er es dem Durchschnittsverbraucher nicht ermögliche, die wesentlichen Merkmale des angebotenen Versicherungsprodukts zu bestimmen, könnte der Begriff „unlautere Geschäftspraxis“ somit auch dahin ausgelegt werden, dass er sich auf das Verhalten eines Gewerbetreibenden beziehe, der zwar nicht am Vertrieb dieses Produkts beteiligt sei, aber einen irreführenden Musterversicherungsvertrag verfasst habe, der als Grundlage für ein kommerzielles Angebot diene, das von einem anderen Gewerbetreibenden vorbereitet und Verbrauchern angeboten werde.

28        Wenn dies der Fall sei, stelle sich zweitens auch die Frage, ob es sich bei dem für diese unlautere Geschäftspraxis verantwortlichen Gewerbetreibenden um denjenigen handele, der den irreführenden Musterversicherungsvertrag ausgearbeitet habe, oder um denjenigen, der das auf diesem Mustervertrag beruhende Produkt dem Verbraucher präsentiert habe und der unmittelbar für seinen Vertrieb verantwortlich sei, oder ob beide Gewerbetreibende als für eine solche Praxis verantwortlich anzusehen seien.

29        Insoweit weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass beide Wirtschaftsteilnehmer verantwortlich gemacht werden könnten, da der Versicherungsnehmer damit betraut sei, den Beitritt zum Unit‑linked‑Gruppenvertrag vorzuschlagen, und hierfür eine Provision vom Versicherungsunternehmen erhalte und da der Begriff „Gewerbetreibender“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 2005/29 auch jede Person bezeichne, die im Namen und im Auftrag eines Gewerbetreibenden handele.

30        Drittens hat das vorlegende Gericht Zweifel an der Vereinbarkeit von Art. 12 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes über die Bekämpfung unlauterer Marktpraktiken mit der Richtlinie 2005/29. Diese Bestimmung – in ihrer Auslegung durch die polnischen Gerichte – ermögliche es nämlich, die Ungültigerklärung eines aufgrund einer unlauteren Geschäftspraxis geschlossenen Vertrags zu fordern.

31        Aus Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29 ergebe sich aber, dass die Feststellung der Unlauterkeit einer Geschäftspraxis die Gültigkeit des Vertrags nicht unmittelbar berühre. Außerdem ergebe sich aus Art. 13 dieser Richtlinie, dass die von den Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen nationale Rechtsvorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie vorgesehenen Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssten. Diese Sanktionen seien daher unter Berücksichtigung der in Art. 3 Abs. 2 dieser Richtlinie enthaltenen Abgrenzungsregel festzulegen.

32        Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts kann die Richtlinie 2005/29 nicht als Grundlage für die Feststellung der Ungültigkeit eines Vertrags dienen. Daraus folge, dass eine Bestimmung des nationalen Rechts zur Umsetzung dieser Richtlinie, die die Ungültigerklärung eines aufgrund einer unlauteren Geschäftspraxis geschlossenen Vertrags vorsehe, eine unverhältnismäßige Sanktion darstelle. Erst mit der Richtlinie 2019/2161 habe der Unionsgesetzgeber die Möglichkeit vorgesehen, ausnahmsweise die Auflösung eines auf diese Weise geschlossenen Vertrags zu verlangen, indem nach Inkrafttreten von Art. 12 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes über die Bekämpfung unlauterer Marktpraktiken ein neuer Art. 11a in die Richtlinie 2005/29 eingefügt worden sei.

33        Viertens fragt sich das vorlegende Gericht für den Fall, dass die Richtlinie 2005/29 dem entgegenstehe, dass eine unlautere Geschäftspraxis durch die Ungültigerklärung dieses Vertrags sanktioniert werde, wie es im polnischen Recht der Fall sei, ob Art. 5 der Richtlinie 93/13 eine geeignete Rechtsgrundlage darstelle, um eine solche Ungültigerklärung zu fordern.

34        Insoweit führt das vorlegende Gericht aus, dass die in Art. 5 der Richtlinie 93/13 festgelegte Pflicht, Vertragsbestimmungen klar und verständlich abzufassen, verletzt werde, wenn der Verbraucher aufgrund der Verwendung eines unverständlichen und unklaren Musterversicherungsvertrags weder die wesentlichen Merkmale des vertriebenen Produkts noch die Verteilung und den Umfang des von ihm getragenen Investitionsrisikos verstehen könne. Eine solche Feststellung könnte es nationalen Gerichten unter bestimmten Voraussetzungen gestatten, bestimmte Klauseln eines solchen Mustervertrags aufgrund ihrer Missbräuchlichkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie für ungültig zu erklären.

35        Unter diesen Umständen hat der Sąd Rejonowy dla Warszawy-Woli w Warszawie (Rayongericht Warschau‑Wola) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.         Ist Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. d dieser Richtlinie dahin auszulegen, dass er das Vorliegen einer unlauteren Geschäftspraxis nur an die Umstände knüpft, die im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss und der Präsentation eines Produkts gegenüber dem Verbraucher stehen, oder unterfällt dem Anwendungsbereich der Richtlinie und ist damit als eine unlautere Geschäftspraxis auch das Verfassen irreführender allgemeiner Geschäftsbedingungen durch den Gewerbetreibenden, der Ersteller des Produkts ist, anzusehen, wenn diese als Grundlage für das Verkaufsangebot eines anderen Gewerbetreibenden dienen, d. h. in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen des Produkts stehen?

2.         Falls die erste Frage bejaht wird, muss dann angenommen werden, dass für die Anwendung der unlauteren Geschäftspraxis nach der Richtlinie 2005/29 der Gewerbetreibende haftet, der die irreführenden allgemeinen Geschäftsbedingungen verfasst hat, oder trifft die Haftung den Gewerbetreibenden, der auf der Grundlage dieser allgemeinen Geschäftsbedingungen dem Verbraucher das Produkt präsentiert und unmittelbar für das Inverkehrbringen des Produkts verantwortlich ist, oder muss angenommen werden, dass nach der Richtlinie 2005/29 beide Unternehmer haften?

3.         Steht Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29 einer innerstaatlichen Rechtsvorschrift (einer Auslegung des innerstaatlichen Rechts) entgegen, die dem Verbraucher das Recht einräumt, die Ungültigerklärung eines Vertrags, der mit einem Gewerbetreibenden geschlossen wurde, unter gegenseitiger Rückgewährung der Leistungen durch das nationale Gericht zu fordern, wenn die auf den Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung des Verbrauchers aufgrund einer unlauteren Geschäftspraxis des Gewerbetreibenden abgegeben wurde?

4.         Falls die dritte Frage bejaht wird, muss dann angenommen werden, dass für die Beurteilung des Vorgehens des Gewerbetreibenden, der sich gegenüber einem Verbraucher unverständlicher und unklarer allgemeiner Geschäftsbedingungen bedient, die Richtlinie 93/13 als anwendbare Rechtsgrundlage zugrunde gelegt werden muss und deswegen das Erfordernis der Klarheit und Verständlichkeit einer Vertragsklausel in Art. 5 der Richtlinie 93/13 dahin ausgelegt werden muss, dass in Versicherungsverträgen, die an Versicherungskapitalfonds gebunden sind und mit Verbrauchern geschlossen werden, dieses Erfordernis durch eine nicht individuell ausgehandelte Vertragsklausel erfüllt wird, durch die das Ausmaß des Anlagerisikos während der Laufzeit des Versicherungsvertrags nicht ausdrücklich bestimmt wird, sondern lediglich über die Möglichkeit des Verlustes der eingezahlten Erstprämie und der laufenden Prämien im Fall der Kündigung der Versicherung vor Ablauf des Versicherungszeitraums informiert wird?

Verfahren vor dem Gerichtshof

36        Mit Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 28. Dezember 2021 ist das Verfahren in der vorliegenden Rechtssache gemäß Art. 55 Abs. 1 Buchst. b der Verfahrensordnung des Gerichtshofs bis zur Verkündung des Urteils in den verbundenen Rechtssachen C‑143/20 und C‑213/20, A u. a. (Unit‑linked‑Versicherungsverträge), ausgesetzt worden.

37        Mit Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 25. Februar 2022 ist das Urteil vom 24. Februar 2022, A u. a. (Unit‑linked‑Versicherungsverträge) (C‑143/20 und C‑213/20, EU:C:2022:118), dem vorlegenden Gericht zugestellt worden, damit es klarstellt, ob es sein Vorabentscheidungsersuchen aufrechterhalten möchte.

38        Mit Schreiben vom 6. Mai 2022 hat das vorlegende Gericht dem Gerichtshof mitgeteilt, dass es sein Vorabentscheidungsersuchen aufrechterhalte. Folglich ist die Fortsetzung des Verfahrens in der vorliegenden Rechtssache beschlossen worden.

Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

39        TUŻ äußert Zweifel an der Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens und macht geltend, dass eine Beantwortung der Vorlagefragen für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht erforderlich sei. Zum einen habe TUŻ nämlich den Betrag der von K. D. geltend gemachten Forderung anerkannt und am 25. November 2020 auf deren Konto überwiesen, so dass der Ausgangsrechtsstreit gegenstandslos geworden sei. Zum anderen würden diese Fragen bereits durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs und der nationalen Gerichte beantwortet.

40        Was zum einen den geltend gemachten Umstand betrifft, dass die Fragen des vorlegenden Gerichts bereits in der Rechtsprechung des Gerichtshofs beantwortet worden seien, genügt der Hinweis, dass es den innerstaatlichen Gerichten selbst bei Vorliegen einer Rechtsprechung zu der betreffenden Rechtsfrage unbenommen bleibt, den Gerichtshof zu befassen, wenn sie es für angebracht halten, ohne dass der Umstand, dass die Bestimmungen, um deren Auslegung ersucht wird, bereits vom Gerichtshof ausgelegt worden sind, einer neuerlichen Entscheidung des Gerichtshofs entgegenstünde und zur Unzulässigkeit der Vorlagefragen führte (Urteil vom 6. November 2018, Bauer und Willmeroth, C‑569/16 und C‑570/16, EU:C:2018:871, Rn. 21 und 22).

41        Was zum anderen das Bestehen eines Ausgangsrechtsstreits betrifft, ist es zwar zutreffend, dass die beantragte Vorabentscheidung, wie sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 267 AEUV ergibt, erforderlich sein muss, um dem vorlegenden Gericht den Erlass seines Urteils in der bei ihm anhängigen Rechtssache zu ermöglichen. Das Vorabentscheidungsverfahren setzt daher insbesondere voraus, dass bei den nationalen Gerichten tatsächlich ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sie eine Entscheidung erlassen müssen, bei der das im Vorabentscheidungsverfahren ergangene Urteil berücksichtigt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Februar 2022, TGSS [Arbeitslosigkeit von Hausangestellten], C‑389/20, EU:C:2022:120, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42        Im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist es jedoch allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten des Ausgangsverfahrens sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 24. Februar 2022, TGSS [Arbeitslosigkeit von Hausangestellten], C‑389/20, EU:C:2022:120, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43        Folglich gilt für Fragen, die das Unionsrecht betreffen, eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 24. Februar 2022, TGSS [Arbeitslosigkeit von Hausangestellten], C‑389/20, EU:C:2022:120, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44        Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht auf Nachfrage des Gerichtshofs angegeben, dass das Ausgangsverfahren noch immer anhängig sei, dass die Klägerin ihre Klage nicht zurückgezogen habe und dass dieses Verfahren seiner Ansicht nach nicht zu beenden sei, da TUŻ die Forderung anerkannt habe, damit das bei ihm anhängige Verfahren beendet und vermieden werde, dass der Gerichtshof eine Entscheidung treffe.

45        Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass die Angabe des vorlegenden Gerichts, dass das Ausgangsverfahren noch anhängig sei, den Gerichtshof bindet und von den Parteien des Ausgangsverfahrens grundsätzlich nicht in Zweifel gezogen werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Februar 2014, Pohotovosť, C‑470/12, EU:C:2014:101, Rn. 30, und vom 18. November 2020, DelayFix, C‑519/19, EU:C:2020:933, Rn. 33).

46        Da außerdem weder aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten noch aus der Antwort des vorlegenden Gerichts hinsichtlich der Aufrechterhaltung seines Vorabentscheidungsersuchens hervorgeht, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens ihre Klage zurückgenommen hätte oder dass ihre Forderungen in vollem Umfang befriedigt worden wären, so dass der Rechtsstreit gegenstandslos geworden wäre, ist nicht offensichtlich, dass das im Vorabentscheidungsersuchen beschriebene Problem hypothetisch geworden ist, so dass eine Beantwortung der Vorlagefragen für die Entscheidung dieses Rechtsstreits weiterhin erforderlich erscheint (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Dezember 2022, Caisse régionale de Crédit mutuel de Loire‑Atlantique et du Centre Ouest, C‑600/21, EU:C:2022:970, Rn. 25).

47        Unter diesen Umständen ist das Vorabentscheidungsersuchen als zulässig anzusehen.

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten und zur zweiten Frage

48        Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren. Außerdem kann der Gerichtshof veranlasst sein, unionsrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen, die das nationale Gericht in seinen Fragen nicht angeführt hat (Urteil vom 15. Juli 2021, Ministrstvo za obrambo, C‑742/19, EU:C:2021:597, Rn. 31).

49        Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, dass die Rechtfertigung des Vorabentscheidungsersuchens nicht in der Abgabe von Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen liegt, sondern darin, dass das Ersuchen für die tatsächliche Entscheidung eines Rechtsstreits erforderlich ist (Urteil vom 15. Juni 2021, Facebook Ireland u. a., C‑645/19, EU:C:2021:483, Rn. 116 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50        Im vorliegenden Fall geht aus der Darstellung des Sachverhalts in Rn. 23 des vorliegenden Urteils hervor, dass es im Ausgangsrechtsstreit u. a. um das Vorliegen einer angeblichen unlauteren Geschäftspraxis geht, die darin besteht, dass ein Versicherungsunternehmen einen Unit‑linked‑Mustergruppenvertrag in unklarer und ungenauer Weise verfasst, so dass der Verbraucher, der diesem Gruppenvertrag auf Angebot eines zweiten Unternehmens, das Versicherungsnehmer dieses Gruppenvertrags ist, beigetreten ist, nicht in der Lage ist, die Art und die Konzeption des angebotenen Versicherungsprodukts und die damit verbundenen Risiken zu verstehen.

51        Unter diesen Umständen möchte das vorlegende Gericht mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 dahin auszulegen ist, dass es eine „unlautere Geschäftspraxis“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn ein Versicherungsunternehmen einen Unit‑linked‑Mustergruppenvertrag so verfasst, dass es dem Verbraucher, der diesem Gruppenvertrag auf Angebot eines zweiten Unternehmens, das Versicherungsnehmer ist, beitritt, nicht möglich ist, die Art und die Konzeption des angebotenen Versicherungsprodukts und die damit verbundenen Risiken zu verstehen. Falls diese Frage bejaht wird, möchte das vorlegende Gericht außerdem wissen, ob das Versicherungsunternehmen, das als Versicherungsnehmer handelnde Unternehmen oder beide Gewerbetreibende gemeinsam für diese unlautere Geschäftspraxis haften müssen.

52        Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 gilt diese für unlautere Geschäftspraktiken im Sinne von Art. 5 dieser Richtlinie zwischen Unternehmen und Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts. Nach Art. 5 Abs. 4 dieser Richtlinie handelt es sich bei unlauteren Geschäftspraktiken um solche, die irreführend im Sinne der Art. 6 und 7 oder aggressiv im Sinne der Art. 8 und 9 sind.

53        Was als Erstes die Frage betrifft, ob die Abfassung eines Unit‑linked‑Mustergruppenvertrags durch ein Versicherungsunternehmen als „Geschäftspraxis“ im Sinne der Richtlinie 2005/29 einzustufen ist, ist erstens darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Geschäftspraktiken“ in Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/29 besonders weit definiert wird, da diese Praktiken zum einen gewerblicher Natur sein, d. h. von Gewerbetreibenden ausgeübt werden müssen, und zum anderen unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung von Produkten an Verbraucher zusammenhängen müssen. Insoweit hat der Gerichtshof zum einen klargestellt, dass der Ausdruck „unmittelbar mit … dem Verkauf … eines Produkts … zusammenhängt“ u. a. jede Maßnahme umfasst, die in Bezug auf den Abschluss eines Vertrags ergriffen wird, und dass der Begriff „Produkt“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie zudem jede Ware oder Dienstleistung bezeichnet. Zum anderen ergibt sich aus Art. 2 Buchst. b der Richtlinie, dass der Begriff „Gewerbetreibender“ „jede natürliche oder juristische Person“ erfasst, die eine entgeltliche Tätigkeit ausübt, sofern die Geschäftspraxis innerhalb der Tätigkeiten liegt, die diese Person im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit vornimmt, einschließlich dann, wenn diese Geschäftspraxis von einem anderen Unternehmen ausgeübt wird, das im Namen und/oder Auftrag dieser Person tätig wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Februar 2022, A u. a. [Unit‑linked‑Versicherungsverträge], C‑143/20 und C‑213/20, EU:C:2022:118, Rn. 129 und die dort angeführte Rechtsprechung).

54        Was zweitens die Anwendbarkeit eines solchen Begriffs auf das Verhalten eines Versicherungsunternehmens im Zusammenhang mit dem Beitritt von Verbrauchern zu einem Unit‑linked‑Gruppenvertrag betrifft, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass zunächst durch die Erklärung, mit der ein Verbraucher einem solchen Gruppenvertrag zwischen einem Versicherungsunternehmen und einem als Versicherungsnehmer handelnden Unternehmen beitritt, ein individueller Versicherungsvertrag zwischen diesem Versicherungsunternehmen und diesem Verbraucher entsteht. Durch das Angebot an diesen Verbraucher, diesem Gruppenvertrag beizutreten, übt das als Versicherungsnehmer handelnde Unternehmen selbst gegen Entgelt eine Tätigkeit der Versicherungsvermittlung im Sinne der Richtlinie 2002/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Dezember 2002 über Versicherungsvermittlung (ABl. 2003, L 9, S. 3) aus (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Februar 2022, A u. a. [Unit‑linked‑Versicherungsverträge], C‑143/20 und C‑213/20, EU:C:2022:118, Rn. 81, 87 und 88).

55        Dies setzt weiter voraus, dass der Verbraucher, der einem solchen Unit‑linked‑Gruppenvertrag beitreten möchte, die Informationen erhält, die dem Versicherungsnehmer gemäß Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83 vor Abschluss des Versicherungsvertrags mitgeteilt werden müssen (im Folgenden: vertragliche Informationen) (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Februar 2022, A u. a. [Unit‑linked‑Versicherungsverträge], C‑143/20 und C‑213/20, EU:C:2022:118, Rn. 82).

56        Hierzu hat der Gerichtshof festgestellt, dass diese vertraglichen Informationen, da das Versicherungsprodukt bei einem Unit‑linked‑Gruppenvertrag einen Anlagebestandteil enthält, der sich von diesem Produkt nicht trennen lässt, u. a. Angaben zu den wesentlichen Merkmalen der dem Unit‑linked‑Gruppenvertrag zugrunde liegenden Vermögenswerte umfassen müssen. Diese Angaben müssen eine klare, genaue und verständliche Beschreibung der wirtschaftlichen und rechtlichen Natur dieser zugrunde liegenden Vermögenswerte einschließlich der für ihre Rendite geltenden allgemeinen Grundsätze sowie klare, genaue und verständliche Informationen über die mit diesen zugrunde liegenden Vermögenswerten verbundenen strukturellen Risiken enthalten, d. h. die Risiken, die ihnen wesensgemäß anhaften und die sich aus dem Versicherungsverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten unmittelbar berühren können, wie etwa die Risiken eines Wertverlusts der Anteile des Investmentfonds, an den dieser Vertrag gebunden ist, oder das Kreditrisiko des Emittenten der Finanzinstrumente, aus denen diese zugrunde liegenden Vermögenswerte bestehen. Dagegen muss diese Angabe nicht zwingend eine detaillierte und umfassende Beschreibung der Art und des Umfangs aller Anlagerisiken enthalten, die mit den dem Unit‑linked‑Gruppenvertrag zugrunde liegenden Vermögenswerten verbunden sind, wie etwa der Risiken, die die Folge der Besonderheiten der verschiedenen Finanzinstrumente, aus denen die Vermögenswerte bestehen, oder der technischen Modalitäten der Berechnung des Werts des für die Auszahlung dieser Finanzinstrumente maßgeblichen Indexes sind. Sie muss ebenso wenig dieselben Informationen enthalten wie diejenigen, die der Emittent dieser Finanzinstrumente als Erbringer von Wertpapierdienstleistungen seinen Kunden zur Verfügung stellen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Februar 2022, A u. a. [Unit‑linked‑Versicherungsverträge], C‑143/20 und C‑213/20, EU:C:2022:118, Rn. 97 sowie 102 bis 105).

57        Schließlich hat das Versicherungsunternehmen dem als Versicherungsnehmer handelnden Unternehmen die vertraglichen Informationen mitzuteilen und diese Informationen im Hinblick auf ihre anschließende Übermittlung an die Endverbraucher in dem zum Beitritt zu einem Unit-linked-Gruppenvertrag führenden Verfahren auf klare, genaue und für sie verständliche Weise zu formulieren. Dieses Unternehmen, das einen Versicherungsvertrag abschließt und dabei als Versicherungsvermittler handelt, muss seinerseits diese vertraglichen Informationen jedem Verbraucher übermitteln, bevor er diesem Vertrag beitritt. Diese Informationen müssen alle weiteren Einzelheiten enthalten, die sich unter Berücksichtigung der Wünsche und Bedürfnisse dieses Verbrauchers als erforderlich erweisen. Diese Einzelheiten sind der Komplexität des genannten Vertrags anzupassen und in klarer, genauer und für diesen Verbraucher verständlicher Form zu formulieren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Februar 2022, A u. a. [Unit‑linked‑Versicherungsverträge], C‑143/20 und C‑213/20, EU:C:2022:118, Rn. 89 bis 91).

58        Der Gerichtshof hat außerdem klargestellt, dass die Übermittlung der vertraglichen Informationen an den Verbraucher, der einem Unit‑linked‑Gruppenvertrag beitreten möchte, durch einen vom Versicherungsunternehmen verfassten Mustervertrag erfolgen kann, sofern er diesem Verbraucher vom als Versicherungsnehmer handelnden Unternehmen rechtzeitig vor seinem Beitritt ausgehändigt wird, damit dieser auf informierter Grundlage das seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechende Versicherungsprodukt in voller Sachkenntnis auswählen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Februar 2022, A u. a. [Unit‑linked‑Versicherungsverträge], C‑143/20 und C‑213/20, EU:C:2022:118, Rn. 118).

59        Auf der Grundlage der in den Rn. 53 bis 58 des vorliegenden Urteils zusammengefassten Erwägungen hat der Gerichtshof im Urteil vom 24. Februar 2022, A u. a. (Unit‑linked‑Versicherungsverträge) (C‑143/20 und C‑213/20, EU:C:2022:118, Rn. 130), entschieden, dass die Mitteilung der vertraglichen Informationen vor dem Beitritt eines Verbrauchers zu einem Unit‑linked‑Gruppenvertrag zum einen von dem Versicherungsunternehmen und von dem Unternehmen, das als Versicherungsnehmer und Versicherungsvermittler handelt, stammt und zu den Tätigkeiten gehört, die diese Unternehmen im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit vornehmen, und zum anderen unmittelbar mit dem Abschluss eines Versicherungsvertrags im Sinne der Richtlinie 2002/83 durch diesen Verbraucher zusammenhängt, so dass diese Mitteilung eine „Geschäftspraxis“ im Sinne der Richtlinie 2005/29 darstellt.

60        Da diese Mitteilung – wie im vorliegenden Fall – in Form eines Mustervertrags erfolgt, auf dessen Grundlage das als Versicherungsnehmer handelnde Unternehmen den Beitritt zum Unit-linked-Gruppenvertrag anbietet, fällt auch die Erstellung dieses Mustervertrags durch das Versicherungsunternehmen unter den Begriff „Geschäftspraxis“ im Sinne der Richtlinie 2005/29.

61        Was als Zweites die Unlauterkeit einer Geschäftspraxis betrifft, die darin besteht, dass ein Versicherungsunternehmen einen Unit‑linked‑Mustergruppenvertrag in unklarer und ungenauer Weise verfasst, wodurch der Verbraucher, der diesem Vertrag auf Angebot eines als Versicherungsnehmer dieses Gruppenvertrags handelnden Unternehmens beitritt, die Art und die Konzeption des angebotenen Versicherungsprodukts sowie die damit verbundenen Risiken nicht verstehen kann, ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 eine Geschäftspraxis als irreführend gilt und somit eine unlautere Geschäftspraxis im Sinne von Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie darstellt, wenn im konkreten Fall betrachtet unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände und der Beschränkungen des Kommunikationsmediums zwei Voraussetzungen erfüllt sind. Zum einen müssen im Zuge dieser Praxis wesentliche Informationen vorenthalten werden, die der durchschnittliche Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen. Zum anderen muss diese Geschäftspraxis den Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlassen oder zu veranlassen geeignet sein, die er sonst nicht getroffen hätte (Urteil vom 24. Februar 2022, A u. a. [Unit‑linked‑Versicherungsverträge], C‑143/20 und C‑213/20, EU:C:2022:118, Rn. 131).

62        Ferner gilt nach Art. 7 Abs. 2 dieser Richtlinie eine Geschäftspraxis bei Vorliegen der in der vorstehenden Randnummer genannten zweiten Voraussetzung auch dann als irreführende Unterlassung, wenn ein Gewerbetreibender eine solche wesentliche Information verheimlicht oder sie auf unklare, unverständliche, zweideutige Weise oder nicht rechtzeitig bereitstellt (Urteil vom 24. Februar 2022, A u. a. [Unit‑linked‑Versicherungsverträge], C‑143/20 und C‑213/20, EU:C:2022:118, Rn. 132).

63        Insoweit hat der Gerichtshof zum einen festgestellt, dass die in Rn. 56 des vorliegenden Urteils genannten vertraglichen Informationen wesentliche Informationen im Sinne von Art. 7 der Richtlinie 2005/29 darstellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Februar 2022, A u. a. [Unit‑linked‑Versicherungsverträge], C‑143/20 und C‑213/20, EU:C:2022:118, Rn. 133).

64        Zum anderen hat der Gerichtshof in Anbetracht der fundamentalen Bedeutung, die der Übermittlung der in Rn. 56 genannten vertraglichen Informationen dabei zukommt, es dem Verbraucher, der einem Unit‑linked‑Gruppenvertrag beizutreten beabsichtigt, zu ermöglichen, auf informierter Grundlage das seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechende Versicherungsprodukt in voller Sachkenntnis auszuwählen, festgestellt, dass die Unterlassung der Mitteilung dieser Informationen, ihre Verheimlichung oder ihre Mitteilung auf unklare, unverständliche, zweideutige Weise oder ihre nicht rechtzeitige Mitteilung offensichtlich geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Februar 2022, A u. a. [Unit‑linked‑Versicherungsverträge], C‑143/20 und C‑213/20, EU:C:2022:118, Rn. 134).

65        Der Gerichtshof hat daraus geschlossen, dass die Unterlassung der Mitteilung dieser vertraglichen Informationen an den Verbraucher, der einem Unit‑linked‑Gruppenvertrag beitreten möchte, eine unlautere Geschäftspraxis im Sinne von Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie 2005/29 darstellen und insbesondere als irreführende Unterlassung im Sinne von Art. 7 dieser Richtlinie angesehen werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Februar 2022, A u. a. [Unit‑linked‑Versicherungsverträge], C‑143/20 und C‑213/20, EU:C:2022:118, Rn. 135).

66        Diese Geschäftspraxis kann somit als irreführende Unterlassung im Sinne von Art. 7 der Richtlinie 2005/29 angesehen werden und stellt folglich eine unlautere Geschäftspraxis gemäß Art. 5 Abs. 4 dieser Richtlinie dar, wenn zum einen dem Verbraucher, der diesem Vertrag beitreten möchte, die vertraglichen Informationen als Mustervertrag übermittelt werden, der vom Versicherungsunternehmen erstellt wird, und zum anderen die in Rn. 56 des vorliegenden Urteils genannten vertraglichen Informationen in diesem Mustervertrag gar nicht mitgeteilt, verheimlicht oder auf unklare, unverständliche oder zweideutige Weise mitgeteilt werden, so dass der Verbraucher die Art und die Konzeption des angebotenen Versicherungsprodukts sowie die damit verbundenen Risiken nicht verstehen und somit nicht auf informierter Grundlage das seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechende Versicherungsprodukt in voller Sachkenntnis auswählen kann.

67        Aus alledem ergibt sich daher, dass vorbehaltlich der von den nationalen Gerichten vorzunehmenden Prüfung, ob die in der vorstehenden Randnummer genannten Voraussetzungen erfüllt sind, die Erstellung eines Unit‑linked‑Mustergruppenvertrags durch ein Versicherungsunternehmen, der es dem Verbraucher nicht ermöglicht, die Art und die Konzeption des angebotenen Versicherungsprodukts sowie die damit verbundenen Risiken zu verstehen, eine „unlautere Geschäftspraxis“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 darstellen kann.

68        Was schließlich als Drittes die Zuweisung der Haftung für eine solche unlautere Geschäftspraxis an das Versicherungsunternehmen, an das als Versicherungsnehmer handelnde Unternehmen oder an diese beiden Gewerbetreibenden betrifft, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Richtlinie 2005/29 nach der in Rn. 53 des vorliegenden Urteils angeführten Definition des Begriffs des Gewerbetreibenden in Art. 2 Buchst. b dieser Richtlinie in einer Situation anwendbar sein kann, in der die Geschäftspraktiken eines Wirtschaftsteilnehmers von einem anderen Unternehmen ausgeübt werden, das im Namen und/oder Auftrag dieses Wirtschaftsteilnehmers tätig wird, so dass die Bestimmungen dieser Richtlinie in bestimmten Situationen sowohl diesem Wirtschaftsteilnehmer als auch diesem Unternehmen entgegengehalten werden können, wenn alle beide der Definition des Gewerbetreibenden entsprechen (Urteil vom 17. Oktober 2013, RLvS, C‑391/12, EU:C:2013:669, Rn. 38).

69        Im vorliegenden Fall geht u. a. aus den in den Rn. 54, 57 und 59 des vorliegenden Urteils dargelegten Erwägungen hervor, dass zum einen im Zusammenhang mit dem Beitritt von Verbrauchern zu einem Unit‑linked‑Gruppenvertrag sowohl das Versicherungsunternehmen als auch das als Versicherungsnehmer handelnde Unternehmen unter die Definition des Gewerbetreibenden im Sinne der Richtlinie 2005/29 fallen. Zum anderen sind diese Gewerbetreibenden alle beide individuell für die ordnungsgemäße Erfüllung des ihnen obliegenden Teils der in Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83 vorgesehenen vorvertraglichen Informationspflicht gegenüber dem Verbraucher verantwortlich, der einem Unit‑linked‑Gruppenvertrag beitritt.

70        Wenn die unlautere Geschäftspraxis darin besteht, dass das Versicherungsunternehmen den Unit‑linked‑Mustergruppenvertrag, der dem Verbraucher rechtzeitig vor dessen Beitritt zu diesem Gruppenvertrag übermittelt wurde, in irreführender Weise verfasst hat, hat dieses Unternehmen somit grundsätzlich für eine solche Praxis zu haften.

71        Dies gilt unbeschadet der etwaigen Haftung des als Versicherungsnehmer handelnden Unternehmens für andere unlautere Geschäftspraktiken im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Beitritt des Verbrauchers zum Unit‑linked‑Gruppenvertrag, die z. B. darin bestehen können, dass keine zusätzlichen konkreten Informationen im Sinne von Rn. 57 des vorliegenden Urteils bereitgestellt wurden, die insbesondere finanzielle Aspekte des Investments in das Versicherungsprodukt sowie die damit verbundenen Risiken betreffen und die dieses Unternehmen als Versicherungsvermittler im Sinne der Richtlinie 2002/92 dem Verbraucher mitteilen muss, oder darin, dass die Frist für die Übermittlung des Unit‑linked‑Mustergruppenvertrags an den Verbraucher im Sinne von Rn. 58 des vorliegenden Urteils nicht eingehalten wurde.

72        Nach alledem ist auf die erste und die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 dahin auszulegen ist, dass es eine „unlautere Geschäftspraxis“ im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann, wenn ein Versicherungsunternehmen einen Unit‑linked‑Mustergruppenvertrag so verfasst, dass es dem Verbraucher, der diesem Gruppenvertrag auf Angebot eines zweiten Unternehmens, das Versicherungsnehmer ist, beitritt, nicht möglich ist, die Art und die Konzeption des angebotenen Versicherungsprodukts und die damit verbundenen Risiken zu verstehen, und dass dieses Versicherungsunternehmen für diese unlautere Geschäftspraxis haften muss.

Zur dritten Frage

73        Aus der Vorlageentscheidung, wie sie in den Rn. 30 bis 32 des vorliegenden Urteils zusammengefasst worden ist, geht hervor, dass das vorlegende Gericht mit seiner dritten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob es in Anbetracht von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29, aus dem sich ergebe, dass die Feststellung der Unlauterkeit einer Geschäftspraxis die Wirksamkeit des Vertrags nicht unmittelbar berühre, als eine verhältnismäßige Sanktionsmaßnahme im Sinne von Art. 13 dieser Richtlinie angesehen werden kann, wenn das polnische Recht dahin ausgelegt wird, dass der Verbraucher das Recht hat, die Ungültigerklärung eines aufgrund einer unlauteren Geschäftspraxis geschlossenen Vertrags zu fordern.

74        Nach der in Rn. 48 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit dieser Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29 in Verbindung mit deren Art. 13 dahin auszulegen ist, dass er einer Auslegung des nationalen Rechts entgegensteht, die einem Verbraucher, der einen Vertrag aufgrund einer unlauteren Geschäftspraxis eines Gewerbetreibenden geschlossen hat, das Recht verleiht, die Ungültigerklärung dieses Vertrags zu verlangen.

75        Zur Beantwortung dieser Frage ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob Art. 3 Abs. 2 dieser Richtlinie dem entgegensteht, dass die Mitgliedstaaten Verbrauchern ein solches Recht als Sanktion bei Vorliegen einer unlauteren Geschäftspraxis einräumen, und, wenn nein, ob die Ungültigerklärung des Vertrags als eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion im Sinne von Art. 13 dieser Richtlinie angesehen werden kann.

76        Was als Erstes die Auslegung von Art. 3 Abs. 2 dieser Richtlinie betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen sind, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 26. April 2022, Landespolizeidirektion Steiermark [Höchstdauer von Kontrollen an den Binnengrenzen], C‑368/20 und C‑369/20, EU:C:2022:298, Rn. 56).

77        Was erstens den Wortlaut dieser Bestimmung betrifft, ergibt sich aus diesem bereits, dass die Gültigkeit von Verträgen mangels einer Harmonisierung der allgemeinen vertragsrechtlichen Aspekte auf Unionsebene vom nationalen Recht geregelt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Februar 2021, Stichting Waternet, C‑922/19, EU:C:2021:91, Rn. 42 und 45).

78        Was zweitens den Kontext betrifft, in den sich diese Bestimmung einfügt, heißt es zum einen im neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/29 eindeutig, dass diese nicht nur nationale Vorschriften über das Vertragsrecht unberührt lässt, sondern auch individuelle Klagen von Personen, die durch eine unlautere Geschäftspraxis geschädigt wurden.

79        Zum anderen hat der Gerichtshof entschieden, dass diese Richtlinie in ihrem Art. 5 Abs. 1 lediglich vorsieht, dass unlautere Geschäftspraktiken „verboten [sind]“, und folglich den Mitgliedstaaten einen Wertungsspielraum bezüglich der Wahl der nationalen Maßnahmen lässt, mit denen solche Praktiken gemäß den Art. 11 und 13 dieser Richtlinie bekämpft werden sollen, sofern die Maßnahmen geeignet und wirksam und die vorgesehenen Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind (Urteil vom 19. September 2018, Bankia, C‑109/17, EU:C:2018:735, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

80        Der Gerichtshof hat klargestellt, dass Art. 11 der Richtlinie 2005/29 zwar von den Mitgliedstaaten lediglich verlangt, sicherzustellen, dass geeignete und wirksame Mittel zur Bekämpfung dieser Praktiken vorhanden sind, diese Mittel jedoch in einem gerichtlichen Vorgehen gegen solche Praktiken bestehen können, das auf die Einstellung dieser Praktiken gerichtet ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. September 2018, Bankia, C‑109/17, EU:C:2018:735, Rn. 42).

81        Drittens besteht das Ziel der Richtlinie 2005/29 darin, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten und zu diesem Zweck zu garantieren, dass unlautere Praktiken im Interesse der Verbraucher wirksam bekämpft werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. April 2015, UPC Magyarország, C‑388/13, EU:C:2015:225, Rn. 32 und 51).

82        Aus einer wörtlichen, systematischen und teleologischen Auslegung von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29 ergibt sich daher, dass diese Bestimmung dem nicht entgegensteht, dass die Mitgliedstaaten dem Verbraucher, der einen Vertrag aufgrund einer unlauteren Geschäftspraxis geschlossen hat, das Recht einräumen, die Ungültigerklärung dieses Vertrags zu fordern, sofern eine solche Sanktion wirksam, verhältnismäßig und abschreckend im Sinne von Art. 13 dieser Richtlinie ist.

83        Diese Auslegung wird nicht dadurch entkräftet, dass mit der Richtlinie 2019/2161 ein neuer Art. 11a in die Richtlinie 2005/29 eingefügt wurde, der in Abs. 1 bestimmt, dass „Verbraucher, die durch unlautere Geschäftspraktiken geschädigt wurden, … Zugang zu angemessenen und wirksamen Rechtsbehelfen [haben], einschließlich Ersatz des dem Verbraucher entstandenen Schadens sowie gegebenenfalls … Beendigung des Vertrags“, wobei in Abs. 2 festgelegt ist, dass „die Anwendung anderer Rechtsbehelfe [nicht berührt wird], die den Verbrauchern nach … dem nationalen Recht zur Verfügung stehen“.

84        Abgesehen davon, dass die Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2019/2161 am 28. November 2021 abgelaufen ist, so dass dieser Art. 11a in der vorliegenden Rechtssache für die Auslegung von Art. 3 Abs. 2 und Art. 13 der Richtlinie 2005/29 unerheblich ist, bestätigt seine Aufnahme in die Richtlinie 2005/29 nämlich jedenfalls nur, dass es den Mitgliedstaaten freistand und weiterhin freisteht, andere Rechtsbehelfe zugunsten von Verbrauchern vorzusehen, die durch unlautere Geschäftspraktiken geschädigt wurden, darunter solche, die ein Recht des Verbrauchers vorsehen, die Ungültigerklärung eines aufgrund einer solchen Praxis geschlossenen Vertrags zu fordern.

85        Was als Zweites die Wirksamkeit, die Verhältnismäßigkeit und die abschreckende Wirkung einer Sanktionsmaßnahme im Sinne von Art. 13 dieser Richtlinie betrifft, die in der Ungültigerklärung des Vertrags besteht, hat der Gerichtshof zum einen darauf hingewiesen, dass es allein Sache der nationalen Gerichte ist, unter Berücksichtigung sämtlicher die bei ihnen anhängigen Rechtssachen kennzeichnenden Umstände zu beurteilen, ob die von den Mitgliedstaaten gemäß der in Rn. 79 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung vorgesehene Sanktionsregelung für Gewerbetreibende, die auf unlautere Geschäftspraktiken zurückgreifen, den Erfordernissen dieser Richtlinie und insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. April 2015, UPC Magyarország, C‑388/13, EU:C:2015:225, Rn. 58 und 59, sowie entsprechend Urteil vom 5. März 2020, OPR‑Finance, C‑679/18, EU:C:2020:167, Rn. 27).

86        Zum anderen hat der Gerichtshof als Klarstellung, die den nationalen Gerichten bei einer solchen Beurteilung als Richtschnur dienen soll, festgestellt, dass die Sanktion der Unwirksamkeit des Vertrags grundsätzlich den Erfordernissen der Wirksamkeit, der Verhältnismäßigkeit und der Abschreckung gemäß einer Art. 13 der Richtlinie 2005/29 entsprechenden Bestimmung genügt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. März 2020, OPR‑Finance, C‑679/18, EU:C:2020:167, Rn. 25, 26, 29 und 30 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

87        In diesem Kontext ist auch darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Hinblick auf Geschäftspraktiken im Zusammenhang mit dem Beitritt von Verbrauchern zu Unit‑linked‑Gruppenverträgen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entschieden hat, dass zwar gemäß der Richtlinie 2002/83 die nicht ordnungsgemäße Erfüllung der vorvertraglichen Informationspflicht gemäß Art. 36 Abs. 1 dieser Richtlinie nicht zur Nichtigkeit oder Ungültigkeit eines Unit‑linked‑Gruppenvertrags oder der Beitrittserklärung zu diesem Vertrag führt, die nationalen Gerichte jedoch prüfen müssen, ob in Anbetracht der fundamentalen Bedeutung, die den in Rn. 56 des vorliegenden Urteils genannten vertraglichen Informationen bei der Bildung des Entschlusses des Verbrauchers zum Beitritt zu diesem Vertrag zukommt, aufgrund der nicht ordnungsgemäßen Erfüllung der Mitteilungspflicht seine Zustimmung dazu, durch diesen Vertrag gebunden zu sein, möglicherweise ungültig wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Februar 2022, A u. a. [Unit‑linked‑Versicherungsverträge], C‑143/20 und C‑213/20, EU:C:2022:118, Rn. 125 und 126).

88        Unter diesen Umständen scheint es sich beim Recht des Verbrauchers, die Ungültigerklärung eines aufgrund einer unlauteren Geschäftspraxis geschlossenen Vertrags zu fordern, die in der Erstellung eines Unit‑linked‑Mustergruppenvertrags besteht, der es diesem Verbraucher nicht ermöglicht, die Art und die Konzeption des Versicherungsprodukts und die damit verbundenen Risiken zu verstehen, um eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion im Sinne von Art. 13 der Richtlinie 2005/29 zu handeln, was vom vorlegenden Gericht jedenfalls im Hinblick auf sämtliche maßgeblichen Umstände des konkreten Falls zu überprüfen ist.

89        Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29 in Verbindung mit deren Art. 13 dahin auszulegen ist, dass er einer Auslegung des nationalen Rechts nicht entgegensteht, die einem Verbraucher, der einen Vertrag aufgrund einer unlauteren Geschäftspraxis eines Gewerbetreibenden geschlossen hat, das Recht verleiht, die Ungültigerklärung dieses Vertrags zu verlangen.

Zur vierten Frage

90        Die vierte Frage wird nur für den Fall gestellt, dass die dritte Frage bejaht wird. Angesichts der Antwort auf die dritte Frage erübrigt sich eine Beantwortung dieser Frage.

stats