EuGH: Klage gegen missbräuchliche Vertragsklausel - Verjährungsfrist
EuGH, Urteil vom 9.7.2020 – C-698/18, SC Raiffeisen Bank SA gegen JB (C‑698/18) und BRD Groupe Société Générale SA gegen KC (C‑699/18)
ECLI:EU:C:2020:537
BB-Online BBL2020-1601-2
Tenor
1. Art. 2 Buchst. b, Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift nicht entgegenstehen, nach der zwar für eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit einer missbräuchlichen Klausel in einem zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossenen Vertrag keine Verjährungsfrist gilt, die aber für die Klage zur Geltendmachung der sich aus dieser Feststellung ergebenden Restitutionswirkung eine Verjährungsfrist vorsieht, soweit diese Frist nicht weniger günstig ausgestaltet ist als die für entsprechende innerstaatliche Klagen geltende (Äquivalenzgrundsatz) und sie die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung und insbesondere durch die Richtlinie 93/13 verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert (Effektivitätsgrundsatz).
2. Art. 2 Buchst. b, Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 sowie die Grundsätze der Äquivalenz, der Effektivität und der Rechtssicherheit sind dahin auszulegen, dass sie einer gerichtlichen Auslegung der nationalen Rechtsvorschrift entgegenstehen, nach der für die Klage auf Erstattung der Beträge, die aufgrund einer missbräuchlichen Klausel in einem zwischen einem Verbraucher und einem Gewerbetreibenden geschlossenen Vertrag rechtsgrundlos gezahlt wurden, eine Verjährungsfrist von drei Jahren gilt, die mit dem Tag der vollständigen Erfüllung dieses Vertrags zu laufen beginnt, wenn vermutet wird – ohne dass es hierfür einer Prüfung bedarf –, dass der Verbraucher zu diesem Zeitpunkt von der Missbräuchlichkeit der in Rede stehenden Klausel Kenntnis haben müsste, oder wenn der Lauf dieser Frist für entsprechende, auf bestimmte innerstaatliche Vorschriften gestützte Klagen erst ab der gerichtlichen Feststellung des Grundes beginnt, auf dem diese Klagen beruhen.
3. Was die Rechtssache C‑699/18 betrifft, ist der Gerichtshof der Europäischen Union für die Beantwortung der vom Tribunalul Specializat Mureş (Landgericht mit Sonderzuständigkeit Mureș, Rumänien) mit seiner Entscheidung vom 12. Juni 2018 gestellten Fragen nicht zuständig.
Aus den Gründen
1 Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 2 Buchst. b, Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29) sowie der Grundsätze der Äquivalenz, der Effektivität und der Rechtssicherheit.
2 Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten über die Missbräuchlichkeit bestimmter Klauseln in Darlehensverträgen zwischen der SC Raiffeisen Bank SA (im Folgenden: Raiffeisen Bank) und JB zum einen sowie zwischen der BRD Groupe Société Générale SA (im Folgenden: Société Générale) und KC zum anderen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 In den Erwägungsgründen 10, 12, 21, 23 und 24 der Richtlinie 93/13 heißt es:
„Durch die Aufstellung einheitlicher Rechtsvorschriften auf dem Gebiet missbräuchlicher Klauseln kann der Verbraucher besser geschützt werden. Diese Vorschriften sollten für alle Verträge zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern gelten. Von dieser Richtlinie ausgenommen sind daher insbesondere Arbeitsverträge sowie Verträge auf dem Gebiet des Erb‑, Familien- und Gesellschaftsrechts.
…
Beim derzeitigen Stand der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften kommt allerdings nur eine teilweise Harmonisierung in Betracht. So gilt diese Richtlinie insbesondere nur für Vertragsklauseln, die nicht einzeln ausgehandelt wurden. Den Mitgliedstaaten muss es freigestellt sein, dem Verbraucher unter Beachtung des Vertrags einen besseren Schutz durch strengere einzelstaatliche Vorschriften als den in dieser Richtlinie enthaltenen Vorschriften zu gewähren.
…
Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass in von einem Gewerbetreibenden mit Verbrauchern abgeschlossenen Verträgen keine missbräuchlichen Klauseln verwendet werden. Wenn derartige Klauseln trotzdem verwendet werden, müssen sie für den Verbraucher unverbindlich sein; die verbleibenden Klauseln müssen jedoch weiterhin gelten und der Vertrag im Übrigen auf der Grundlage dieser Klauseln für beide Teile verbindlich sein, sofern ein solches Fortbestehen ohne die missbräuchlichen Klauseln möglich ist.
…
Personen und Organisationen, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats ein berechtigtes Interesse geltend machen können, den Verbraucher zu schützen, müssen Verfahren, die Vertragsklauseln im Hinblick auf eine allgemeine Verwendung in Verbraucherverträgen, insbesondere missbräuchliche Klauseln, zum Gegenstand haben, bei Gerichten oder Verwaltungsbehörden, die für die Entscheidung über Klagen bzw. Beschwerden oder die Eröffnung von Gerichtsverfahren zuständig sind, einleiten können. Diese Möglichkeit bedeutet jedoch keine Vorabkontrolle der in einem beliebigen Wirtschaftssektor verwendeten allgemeinen Bedingungen.
Die Gerichte oder Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten müssen über angemessene und wirksame Mittel verfügen, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen ein Ende gesetzt wird.“
4 Art. 2 Buchst. b dieser Richtlinie sieht vor:
„Im Sinne dieser Richtlinie bedeuten:
…
b) Verbraucher: eine natürliche Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann;
…“
5 Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“
6 Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie lautet:
„(1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.
(2) Die in Absatz 1 genannten Mittel müssen auch Rechtsvorschriften einschließen, wonach Personen oder Organisationen, die nach dem innerstaatlichen Recht ein berechtigtes Interesse am Schutz der Verbraucher haben, im Einklang mit den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften die Gerichte oder die zuständigen Verwaltungsbehörden anrufen können, damit diese darüber entscheiden, ob Vertragsklauseln, die im Hinblick auf eine allgemeine Verwendung abgefasst wurden, missbräuchlich sind, und angemessene und wirksame Mittel anwenden, um der Verwendung solcher Klauseln ein Ende zu setzen.“
7 Art. 8 der Richtlinie 93/13 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten können auf dem durch diese Richtlinie geregelten Gebiet mit dem Vertrag vereinbare strengere Bestimmungen erlassen, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher zu gewährleisten.“
8 Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Richtlinie sieht vor:
„Diese Vorschriften gelten für alle Verträge, die nach dem 31. Dezember 1994 abgeschlossen werden.“
Rumänisches Recht
9 Art. 1 Abs. 3 der Legea nr. 193/2000 privind clauzele abuzive din contractele încheiate între profesioniști și consumatori (Gesetz Nr. 193/2000 über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern) vom 6. November 2000 in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 193/2000) sieht vor:
„Gewerbetreibenden ist es untersagt, in Verträge, die sie mit Verbrauchern abschließen, missbräuchliche Klauseln aufzunehmen.“
10 In Art. 2 Abs. 1 dieses Gesetzes heißt es:
„Unter dem Begriff ‚Verbraucher‘ ist jede natürliche Person oder Vereinigung von natürlichen Personen zu verstehen, die bei einem in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fallenden Vertrag zu einem Zweck handelt, der außerhalb ihrer gewerblichen, industriellen oder produzierenden Tätigkeit als Handwerker oder Freiberufler liegt.“
11 In Art. 6 des Gesetzes heißt es:
„Missbräuchliche Klauseln in einem Vertrag, die als solche individuell oder durch die gesetzlich dazu befugten Organe festgestellt wurden, haben gegenüber dem Verbraucher keine Rechtswirkungen, und der Vertrag behält seine Wirksamkeit nur dann, wenn der Verbraucher dem zustimmt und dies nach der Streichung dieser Klauseln noch möglich ist.“
12 Art. 12 Abs. 4 dieses Gesetzes lautet:
„Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 3 berühren nicht das Recht der Verbraucher, denen ein vorformulierter Standardvertrag mit einer missbräuchlichen Klausel entgegengehalten wird, unter den gesetzlich vorgesehenen Bedingungen klage- oder einredeweise die Nichtigkeit der Klausel geltend zu machen.“
13 Nach Art. 14 des Gesetzes Nr. 193/2000 gilt:
„Die Verbraucher, denen durch einen unter Verstoß gegen dieses Gesetz geschlossenen Vertrag ein Schaden entstanden ist, können sich gemäß den Bestimmungen des Zivilgesetzbuchs und des Gesetzbuchs über das Zivilverfahren an die Organe der Rechtsprechung wenden.“
14 Art. 993 des Codul civil (Zivilgesetzbuch) von 1864 in der auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung sieht vor:
„Wer irrtümlich eine Schuld begleicht, weil er sich für den Schuldner hält, hat einen Rückforderungsanspruch gegen den Gläubiger.
Dieser Anspruch entfällt, wenn der Gläubiger seinen Titel gutgläubig hat erlöschen lassen; dann fällt die Zahlungspflicht auf den tatsächlichen Schuldner zurück.“
15 Art. 994 des Zivilgesetzbuchs bestimmt:
„War der Empfänger bösgläubig, ist er zur Rückzahlung des Betrags einschließlich der Zinsen und Nutzungen ab dem Tag der Zahlung verpflichtet.“
16 Art. 1092 des Zivilgesetzbuchs lautet:
„Jede Zahlung setzt eine Schuld voraus; rechtsgrundlos gezahlte Beträge können zurückgefordert werden.“
17 In Art. 1 des Decretul nr. 167 privitor la prescripţia extinctivă (Dekret Nr. 167 über die rechtsvernichtende Verjährung) vom 10. April 1958 in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung heißt es:
„Das Recht auf Erhebung einer Zahlungsklage erlischt durch Verjährung, wenn es nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist ausgeübt worden ist.
Das Erlöschen des Klagerechts in Bezug auf ein Hauptrecht hat ein Erlöschen des Klagerechts in Bezug auf die Nebenrechte zur Folge.“
18 Art. 2 des Dekrets lautet:
„Die Nichtigkeit einer Rechtshandlung kann jederzeit klage- oder einredeweise geltend gemacht werden.“
19 Art. 7 des Dekrets sieht vor:
„Die Verjährung beginnt an dem Tag zu laufen, an dem das Klagerecht bzw. das Recht auf Beantragung der Zwangsvollstreckung entsteht.
Für die Verpflichtungen, die auf Antrag des Gläubigers zu erfüllen sind, sowie für die Verpflichtungen, für die keine Erfüllungsfrist festgelegt ist, beginnt die Verjährung an dem Tag zu laufen, an dem das Rechtsverhältnis entsteht.“
20 Art. 8 dieses Dekrets bestimmt:
„Die Verjährung des Rechts, Klage auf Ersatz des infolge einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zu erheben, beginnt an dem Tag zu laufen, an dem der Geschädigte Kenntnis sowohl vom Schaden als auch von der dafür verantwortlichen Person erlangt hat oder hätte erlangen müssen.
Die Bestimmungen des vorstehenden Absatzes gelten auch im Falle einer ungerechtfertigten Bereicherung.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Rechtssache C-698/18
21 Am 26. Juni 2008 schloss JB mit Raiffeisen Bank einen Darlehensvertrag über die Vergabe eines persönlichen Kredits in Höhe von 4 168,41 Euro mit einer Laufzeit von 84 Monaten, der im Jahr 2015 mit der vollständigen Tilgung des Darlehens durch JB endete.
22 Da JB einige Vertragsklauseln für missbräuchlich hielt, erhob er im Dezember 2016 beim Judecătoria Târgu Mureș (Amtsgericht Târgu Mureș, Rumänien) Klage auf Feststellung der Missbräuchlichkeit dieser Klauseln sowie auf Rückzahlung der gemäß diesen Klauseln entrichteten Beträge zuzüglich der gesetzlichen Zinsen.
23 Raiffeisen Bank berief sich auf die Einrede der fehlenden Klagebefugnis von JB, weil dieser gemäß den nationalen Rechtsvorschriften bei Klageerhebung kein Verbraucher mehr gewesen sei, da zu diesem Zeitpunkt das Vertragsverhältnis zwischen den an dem in Rede stehenden Darlehen beteiligten Parteien beendet gewesen sei und der Vertrag im Jahr zuvor durch seine vollständige Erfüllung geendet habe.
24 Die Judecătoria Târgu Mureş (Amtsgericht Târgu Mureș) gab der Klage von JB statt. JB sei beim Abschluss des in Rede stehenden Darlehensvertrags Verbraucher gewesen und die Tatsache, dass der Vertrag vollständig erfüllt worden sei, stehe einer Überprüfung der Missbräuchlichkeit der darin verwendeten Klauseln nicht entgegen. Die Voraussetzungen der nationalen Rechtsvorschriften seien erfüllt, da die fraglichen Klauseln nicht unmittelbar mit dem Verbraucher ausgehandelt worden seien und durch sie zu dessen Nachteil entgegen den Anforderungen des guten Glaubens ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten der Parteien geschaffen werde. Nach der Feststellung, dass sich aus einer für missbräuchlich erklärten Klausel keine Verpflichtungen für den Verbraucher ergeben könnten, stellte das Gericht diese Unwirksamkeit der absoluten Nichtigkeit gleich und verpflichtete gemäß dem Grundsatz der restitutio in integrum Raiffeisen Bank, JB die Beträge, die von ihm auf der Grundlage der für missbräuchlich erklärten Klauseln entrichtet worden waren, zu erstatten, zuzüglich der gesetzlichen Zinsen ab dem Tag des Eingangs dieser Beträge bei Raiffeisen Bank und bis zu ihrer tatsächlicher Rückzahlung.
25 Raiffeisen Bank legte beim vorlegenden Gericht Rechtsmittel ein und machte erneut geltend, dass JB vor Klageerhebung die Verbrauchereigenschaft dadurch verloren habe, dass der Darlehensvertrag infolge vollständiger Erfüllung beendet gewesen sei.
26 Das vorlegende Gericht führt hierzu aus, dass gemäß ständiger Rechtsprechung der rumänischen Gerichte die Unwirksamkeit missbräuchlicher Klauseln der absoluten Nichtigkeit gleichgestellt werde. Gemäß Art. 12 Abs. 4 des Gesetzes Nr. 193/2000 stütze sich der Verbraucher, der die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel geltend machen wolle, auf das allgemeine Nichtigkeitsrecht. Das Fortbestehen der Verbrauchereigenschaft bei einem vollständig erfüllten Vertrag und damit auch die Befugnis des Verbrauchers, eine Klage auf Erstattung der aufgrund von für missbräuchlich erklärten Klauseln erbrachten Leistungen zu erheben, werde von den rumänischen Gerichten jedoch unterschiedlich bewertet.
27 Nach Auffassung der unteren Instanzen verliere der Verbraucher im Sinne der Richtlinie 93/13, weil nach rumänischem Recht für die Klage auf Feststellung der absoluten Nichtigkeit keine Verjährungsfrist gelte, durch die vollständige Erfüllung des Vertrags seine Verbrauchereigenschaft nicht, und er könne die absolute Nichtigkeit jederzeit klage- oder einredeweise geltend machen. Der Verbraucher sei demnach befugt, binnen einer Frist von drei Jahren ab der Feststellung der Nichtigkeit der missbräuchlichen Klauseln eine Erstattungsklage zu erheben, wie dies im allgemeinen Nichtigkeitsrecht vorgesehen sei.
28 Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass der Înalta Curte de Casaţie şi Justiţie (Oberster Kassationsgerichtshof, Rumänien) einen anderen Standpunkt einnehme und es sich nach dessen Auffassung bei der Sanktion, die bei Feststellung der Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln verhängt werde, um eine Sanktion sui generis handle, die Wirkungen für die Zukunft entfalte, ohne die bereits erbrachten Leistungen in Frage zu stellen.
29 Allerdings hält das vorlegende Gericht eine Auslegung für möglich, wonach der Grundsatz eines hohen Verbraucherschutzniveaus und der Grundsatz der Rechtssicherheit miteinander in Einklang gebracht werden könnten. Bei dem Zeitpunkt, zu dem der betreffende Vertrag ende, also wenn der Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden von allen Verpflichtungen befreit sei und daher nicht mehr als diesem gegenüber unterlegen angesehen werden könne, handele es sich um einen objektiv bestimmten Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher von der Missbräuchlichkeit der Klausel(n) dieses Vertrags Kenntnis habe oder haben müsse und ab dem die für die Erhebung einer Zahlungsklage einschließlich einer Erstattungsklage geltende Verjährungsfrist von drei Jahren zu laufen beginne.
30 Mit einem solchen Ansatz würde vermieden, dass der Beginn der Verjährungsfrist von drei Jahren allein vom Willen des Verbrauchers abhänge, ohne dabei dessen Möglichkeit zu beeinträchtigen, jederzeit die Missbräuchlichkeit von Klauseln eines Vertrags feststellen zu lassen, den er mit einem Gewerbetreibenden geschlossen habe, und damit die Gewerbetreibenden auf die Rechtswidrigkeit dieser Klauseln hinzuweisen.
31 Im vorliegenden Fall hat JB eine Klage auf Feststellung der Missbräuchlichkeit der Klauseln in dem mit Raiffeisen Bank geschlossenen Vertrag, auf Feststellung ihrer Nichtigkeit und auf Erstattung der rechtsgrundlos gezahlten Beträge etwa ein Jahr nach der Beendigung dieses Vertrags erhoben, also innerhalb der für die Erhebung einer Zahlungsklage geltenden Frist von drei Jahren ab dem Zeitpunkt, der nach den allgemeinen Rechtsvorschriften vorgesehen ist.
Rechtssache C-699/18
32 Am 28. Mai 2003 schlossen KC und eine weitere Person als Mitkreditnehmer mit Société Générale einen Darlehensvertrag über die Vergabe eines persönlichen Darlehens in Höhe von 17 000 Euro mit einer Laufzeit von 120 Monaten. Der Vertrag wurde durch vorzeitige Tilgung beendet.
33 Da nach Auffassung von KC einige Klauseln dieses Vertrags im Hinblick auf die nationalen Rechtsvorschriften missbräuchlich waren, erhob er im Juli 2016 eine Klage auf Feststellung der Missbräuchlichkeit dieser Klauseln bei der Judecătoria Târgu Mureş (Amtsgericht Târgu Mureş). KC beantragte die Nichtigerklärung dieser Klauseln und die Erstattung der von ihm aufgrund dieser Klauseln gezahlten Beträge zuzüglich der gesetzlichen Zinsen ab dem Tag des Eingangs dieser Beträge bei Société Générale bis zu ihrer tatsächlichen Erstattung.
34 Société Générale wandte ein, dass KC nach den für missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen geltenden nationalen Rechtsvorschriften nicht klagebefugt sei. KC sei bei Klageerhebung kein Verbraucher mehr gewesen, da zu diesem Zeitpunkt zwischen den Parteien keine Vertragsbeziehungen mehr bestanden hätten und der in Rede stehende Vertrag seit elf Jahren durch vorzeitige Tilgung beendet gewesen sei.
35 Die Judecătoria Târgu Mureş (Amtsgericht Târgu Mureș) gab der Klage von KC teilweise statt. Er sei beim Abschluss des Darlehensvertrags mit Société Générale Verbraucher gewesen und die Tatsache, dass der Vertrag vollständig erfüllt worden sei, stehe der durch die Richtlinie 93/13 vorgeschriebenen Überprüfung der Missbräuchlichkeit der in diesem Vertrag verwendeten Klauseln nicht entgegen, so dass KC die Tatsache, dass er die Klauseln des in Rede stehenden Darlehensvertrags vollständig angenommen und erfüllt habe, nicht entgegengehalten werden könne. Die sich aus den geltenden nationalen Rechtsvorschriften ergebenden Voraussetzungen seien erfüllt, da die fraglichen Klauseln nicht unmittelbar mit dem Verbraucher ausgehandelt worden seien und durch sie zu dessen Nachteil entgegen den Anforderungen des guten Glaubens ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten der Parteien geschaffen werde. Der Verbraucher sei durch diese Klauseln nicht gebunden, und sie entfalteten ihm gegenüber keine Rechtswirkungen; die absolute Nichtigkeit dieser Klauseln sei die in einem solchen Fall anwendbare Sanktion. Wegen der Rückwirkung der absoluten Nichtigkeit gab das Gericht der Klage auf Erstattung der gemäß den für missbräuchlich erklärten Klauseln gezahlten Beträge zuzüglich der gesetzlichen Zinsen ab dem Zeitpunkt der Einreichung der Klageschrift statt.
36 Société Générale legte beim vorlegenden Gericht Rechtsmittel ein und machte erneut geltend, dass KC vor Klageerhebung die Verbrauchereigenschaft dadurch verloren habe, dass der in Rede stehende Darlehensvertrag elf Jahre zuvor durch vorzeitige Tilgung beendet worden sei. Weiterer Vortrag von Société Générale bezieht sich auf die Voraussetzungen, die die nationalen Rechtsvorschriften für die Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel vorsehen.
37 Das vorlegende Gericht hat in der Rechtssache C‑699/18 beschlossen, aus den bereits in der Rechtssache C‑698/18 dargestellten Gründen den Gerichtshof anzurufen.
38 Es weist allerdings darauf hin, dass KC die Klage auf Feststellung der Missbräuchlichkeit der Klauseln des in Rede stehenden Darlehensvertrags elf Jahre nach dessen Beendigung und damit nach Ablauf der vom nationalen Gesetzgeber für die Geltendmachung eines Zahlungsanspruchs vorgesehenen allgemeinen Verjährungsfrist von drei Jahren erhoben habe.
39 Vor diesem Hintergrund hat das Tribunal Specializat Mureş (Landgericht mit Sonderzuständigkeit Mureș, Rumänien) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende, in den Rechtssachen C‑698/18 und C‑699/18 gleichlautenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Erlauben die Bestimmungen der Richtlinie 93/13, insbesondere die Erwägungsgründe 12, 21 und 23 sowie Art. 2 Buchst. b, Art. 6 Abs. 1, Art. 7 Abs. 2 und Art. 8 dieser Richtlinie, in Anwendung des Grundsatzes der Verfahrensautonomie in Verbindung mit den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität eine Gesamtheit gerichtlicher Mittel, bestehend aus einer unverjährbaren Klage im ordentlichen Verfahren auf Feststellung der Missbräuchlichkeit von Klauseln in Verbraucherverträgen und aus einer der Verjährung unterliegenden persönlichen Zahlungsklage im ordentlichen Verfahren, mit denen das Ziel der genannten Richtlinie verfolgt wird, die Wirkungen aller Verpflichtungen zu beseitigen, die auf der Grundlage einer Klausel entstanden und wahrgenommen wurden, deren Missbräuchlichkeit zulasten des Verbrauchers festgestellt wurde?
2. Sofern die erste Frage bejaht wird: Stehen die genannten Bestimmungen einer Auslegung entgegen, die sich aus der Anwendung des Grundsatzes der Sicherheit zivilrechtlicher Rechtsverhältnisse ergibt und wonach der objektive Zeitpunkt, ab dem der Verbraucher vom Vorliegen einer missbräuchlichen Klausel wissen musste oder hätte wissen müssen, der Zeitpunkt der Beendigung des Darlehensvertrags ist, für den er die Verbrauchereigenschaft besessen hat?
40 Mit Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 12. Dezember 2018 sind die Rechtssachen C‑698/18 und C‑699/18 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren sowie zu gemeinsamem Urteil verbunden worden.
Zu den Vorlagefragen
Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs und zur Zulässigkeit der Vorlagefragen
41 Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs dieser zum einen für die Auslegung des Unionsrechts nur insoweit zuständig ist, als es um dessen Anwendung in einem neuen Mitgliedstaat ab dem Tag seines Beitritts zur Europäischen Union geht (Beschluss vom 3. Juli 2014, Tudoran, C‑92/14, EU:C:2014:2051, Rn. 27).
42 Zum anderen ist, da die Richtlinie 93/13, wie sich aus ihrem Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2 ergibt, nur auf Verträge anwendbar ist, die nach dem 31. Dezember 1994, an dem die Frist für ihre Umsetzung ablief, abgeschlossen wurden, das Datum des Abschlusses der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verträge zu berücksichtigen, um die Anwendbarkeit der Richtlinie auf diese Verträge zu bestimmen, während der Zeitraum, in dem Letztere ihre Wirkungen entfalten, unerheblich ist (Beschluss vom 3. Juli 2014, Tudoran, C‑92/14, EU:C:2014:2051, Rn. 28).
43 Rumänien ist der Union am 1. Januar 2007 beigetreten, während der im Ausgangsverfahren der Rechtssache C‑698/18 in Rede stehende Darlehensvertrag am 26. Juni 2008 und der im Ausgangsverfahren der Rechtssache C‑699/18 in Rede stehende Darlehensvertrag am 28. Mai 2003 geschlossen wurden.
44 Somit ist die Richtlinie 93/13 auf das Ausgangsverfahren in der Rechtssache C‑698/18 zeitlich anwendbar. Dagegen ist sie auf das Ausgangsverfahren in der Rechtssache C‑699/18 zeitlich nicht anwendbar.
45 Als Zweites ist in der Rechtssache C‑698/18 das Vorbringen der rumänischen Regierung zu prüfen, wonach die Beantwortung der zweiten Frage ausschließlich von der Auslegung und Anwendung nationaler Rechtsvorschriften abhänge.
46 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, allein das nationale Gericht für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits sowie die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts zuständig ist. Gleichermaßen hat nur das nationale Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit als auch die Erheblichkeit der Fragen, die es dem Gerichtshof vorlegt, zu beurteilen. Sofern die vorgelegten Fragen die Auslegung des Unionsrechts betreffen, ist der Gerichtshof somit grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (Urteil vom 26. Mai 2011, Stichting Natuur en Milieu u. a., C‑165/09 bis C‑167/09, EU:C:2011:348, Rn. 47).
47 Im vorliegenden Fall betreffen die Fragen in der Rechtssache C‑698/18 im Wesentlichen die Vereinbarkeit des rumänischen Rechts über die für Klagen betreffend missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen geltenden Verjährungsfristen mit verschiedenen Bestimmungen der Richtlinie 93/13 und allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts, nicht jedoch materiell-rechtliche Fragen des Ausgangsverfahrens oder die Auslegung und Anwendung nationaler Rechtsvorschriften.
48 Unter diesen Umständen ist der Gerichtshof für die Beantwortung der in der Rechtssache C‑698/18 gestellten Fragen zuständig, die auch zulässig sind, während er für die Beantwortung der in der Rechtssache C‑699/18 gestellten Fragen nicht zuständig ist.
Zur ersten Frage in der Rechtssache C-698/18
49 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Buchst. b, Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift nicht entgegenstehen, nach der zwar für eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit einer missbräuchlichen Klausel in einem zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossenen Vertrag keine Verjährungsfrist gilt, die aber für die Klage zur Geltendmachung der sich aus dieser Feststellung ergebenden Restitutionswirkung eine Verjährungsfrist vorsieht.
50 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 die Mitgliedstaaten vorsehen, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften festlegen.
51 In Anbetracht von Natur und Bedeutung des öffentlichen Interesses, auf dem der Schutz beruht, den die Richtlinie 93/13 für den Verbraucher sicherstellt, ist deren Art. 6 daher als eine Norm zu betrachten, die den nationalen Bestimmungen, die im nationalen Recht zwingend sind, gleichwertig ist (Urteil vom 20. September 2018, OTP Bank und OTP Faktoring, C‑51/17, EU:C:2018:750, Rn. 89).
52 Ebenfalls im Hinblick auf Natur und Bedeutung des öffentlichen Interesses am Schutz der Verbraucher verpflichtet die Richtlinie 93/13, wie sich aus ihrem Art. 7 Abs. 1 in Verbindung mit dem 24. Erwägungsgrund der Richtlinie ergibt, die Mitgliedstaaten, angemessene und wirksame Mittel vorzusehen, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird (Urteile vom 30. April 2014, Kásler und Káslerné Rábai, C‑26/13, EU:C:2014:282, Rn. 78, sowie vom 21. Dezember 2016, Gutiérrez Naranjo u. a., C‑154/15, C‑307/15 und C‑308/15, EU:C:2016:980, Rn. 56).
53 Hierfür haben die nationalen Gerichte missbräuchliche Klauseln für unanwendbar zu erklären, damit sie den Verbraucher nicht binden, sofern der Verbraucher dem nicht widerspricht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. November 2019, Profi Credit Polska, C‑419/18 und C‑483/18, EU:C:2019:930, Rn. 47).
54 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist daher Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen, dass eine für missbräuchlich erklärte Vertragsklausel grundsätzlich als von Anfang an nicht existent anzusehen ist, so dass sie gegenüber dem Verbraucher keine Wirkungen haben kann. Folglich muss die gerichtliche Feststellung der Missbräuchlichkeit einer solchen Klausel grundsätzlich dazu führen, dass die Sach- und Rechtslage wiederhergestellt wird, in der sich der Verbraucher ohne diese Klausel befunden hätte. Demnach entfaltet die Verpflichtung des nationalen Gerichts, eine missbräuchliche Vertragsklausel, nach der Beträge zu zahlen sind, die sich als rechtsgrundlos herausstellen, für nichtig zu erklären, im Hinblick auf diese Beträge grundsätzlich Restitutionswirkung (Urteil vom 21. Dezember 2016, Gutiérrez Naranjo u. a., C‑154/15, C‑307/15 und C‑308/15, EU:C:2016:980, Rn. 61 und 62).
55 Zwar steht gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs der den Verbrauchern durch die Richtlinie 93/13 gewährte Schutz einer innerstaatlichen Regelung entgegen, die es dem nationalen Gericht verwehrt, nach Ablauf einer Ausschlussfrist die Missbräuchlichkeit einer in einem zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossenen Vertrag enthaltenen Klausel festzustellen (Urteil vom 21. November 2002, Cofidis, C‑473/00, EU:C:2002:705, Rn. 38).
56 Der Gerichtshof hat jedoch bereits anerkannt, dass der Verbraucherschutz keine absolute Geltung hat (Urteil vom 21. Dezember 2016, Gutiérrez Naranjo u. a., C‑154/15, C‑307/15 und C‑308/15, EU:C:2016:980, Rn. 68) und dass die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit mit dem Unionsrecht vereinbar ist (Urteile vom 6. Oktober 2009, Asturcom Telecomunicaciones, C‑40/08, EU:C:2009:615, Rn. 41, und vom 21. Dezember 2016, Gutiérrez Naranjo u. a., C‑154/15, C‑307/15 und C‑308/15, EU:C:2016:980, Rn. 69).
57 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs hat bei Fehlen entsprechender Unionsvorschriften die innerstaatliche Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten die zuständigen Gerichte und die Verfahrensmodalitäten der Klagen zu bestimmen, die den Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sofern zum einen diese Modalitäten nicht weniger günstig ausgestaltet sind als die entsprechender innerstaatlicher Klagen (Äquivalenzgrundsatz) und sie zum anderen die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. u. a. Urteil vom 26. Oktober 2006, Mostaza Claro, C‑168/05, EU:C:2006:675, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).
58 Somit ist auf die erste Frage in der Rechtssache C‑698/18 zu antworten, dass Art. 2 Buchst. b, Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift nicht entgegenstehen, nach der zwar für eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit einer missbräuchlichen Klausel in einem zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossenen Vertrag keine Verjährungsfrist gilt, die aber für die Klage zur Geltendmachung der sich aus dieser Feststellung ergebenden Restitutionswirkung eine Verjährungsfrist vorsieht, sofern diese Frist nicht weniger günstig ausgestaltet ist als die für entsprechende innerstaatliche Klagen geltende (Äquivalenzgrundsatz) und sie die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung und insbesondere durch die Richtlinie 93/13 verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert (Effektivitätsgrundsatz).
Zur zweiten Frage in der Rechtssache C-698/18
59 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Buchst. b, Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 sowie die Grundsätze der Äquivalenz, der Effektivität und der Rechtssicherheit dahin auszulegen sind, dass sie einer gerichtlichen Auslegung der nationalen Rechtsvorschrift entgegenstehen, nach der für die Klage auf Erstattung der Beträge, die aufgrund einer missbräuchlichen Klausel in einem zwischen einem Verbraucher und einem Gewerbetreibenden geschlossenen Vertrag rechtsgrundlos gezahlt wurden, eine Verjährungsfrist von drei Jahren gilt, die mit dem Tag der vollständigen Erfüllung dieses Vertrags zu laufen beginnt, weil davon ausgegangen wird, dass der Verbraucher ab diesem Zeitpunkt von der Missbräuchlichkeit dieser Klausel Kenntnis hatte.
60 Was als Erstes den Effektivitätsgrundsatz betrifft, ist nach ständiger Rechtsprechung die Frage, ob eine nationale Vorschrift die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen. Dabei sind gegebenenfalls die Grundsätze zu berücksichtigen, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde liegen, wie z. B. der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens (Urteil vom 26. Juni 2019, Addiko Bank, C‑407/18, EU:C:2019:537, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).
61 Diese Gesichtspunkte sind bei der Prüfung der Merkmale der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verjährungsfrist zu berücksichtigen. Wie der Generalanwalt in Nr. 70 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, muss diese Prüfung u. a. die Dauer dieser Frist und die Modalitäten ihrer Anwendung umfassen, einschließlich der Modalität, wie diese Frist in Lauf gesetzt wird (vgl. entsprechend auch Urteil vom 29. Oktober 2015, BBVA, C‑8/14, EU:C:2015:731, Rn. 27).
62 Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass angemessene Ausschlussfristen, die im Interesse der Rechtssicherheit festgesetzt werden, nicht geeignet sind, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren, wenn diese Fristen faktisch ausreichend sind, um den Betroffenen zu ermöglichen, einen wirksamen Rechtsbehelf vorzubereiten und einzureichen (Urteil vom 29. Oktober 2015, BBVA, C‑8/14, EU:C:2015:731, Rn. 28 und 29).
63 Im vorliegenden Fall weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass es um die Anwendung der nach den allgemeinen Rechtsvorschriften geltenden Verjährungsfrist von drei Jahren auf die Klage zur Geltendmachung der sich aus der Feststellung der Nichtigkeit einer missbräuchlichen Klausel ergebenden Restitutionswirkung geht, deren Lauf gemäß der vom vorlegenden Gericht bevorzugten Auslegung ab der vollständigen Erfüllung des mit einem Gewerbetreibenden geschlossenen Vertrags beginnt. Dieser Beginn entspreche dem Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher Kenntnis von der Missbräuchlichkeit einer oder mehrerer Klauseln dieses Vertrags haben müsse oder hätte haben müssen.
64 Eine Verjährungsfrist von drei Jahren ist faktisch ausreichend, um den Betroffenen zu ermöglichen, einen wirksamen Rechtsbehelf vorzubereiten und einzulegen, wenn sie im Voraus festgelegt und bekannt ist.
65 Da aber nach der vom vorlegenden Gericht empfohlenen Auslegung des nationalen Rechts die Verjährungsfrist mit dem Tag der vollständigen Erfüllung des Vertrags beginnt, ist der Umstand zu berücksichtigen, dass die Verbraucher von der Missbräuchlichkeit einer Klausel in dem mit dem Gewerbetreibenden geschlossenen Vertrag möglicherweise nichts wissen oder sie selbst zum Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung des Vertrags oder danach den Umfang ihrer Rechte aus der Richtlinie 93/13 nicht richtig erfassen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. September 2018, Profi Credit Polska, C‑176/17, EU:C:2018:711, Rn. 69).
66 Weiter ist darauf hinzuweisen, dass das mit der Richtlinie 93/13 geschaffene Schutzsystem auf dem Gedanken beruht, dass der Verbraucher sich gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt, was dazu führt, dass er den vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen zustimmt, ohne auf deren Inhalt Einfluss nehmen zu können (Urteil vom 19. Dezember 2019, Bondora, C‑453/18 und C‑494/18, EU:C:2019:1118, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).
67 In Anbetracht dieses Umstands und der schwächeren Verhandlungsposition, in der sich der Verbraucher befindet, kann durch eine Verjährungsfrist von drei Jahren, die mit dem Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung des Vertrags beginnt, ein wirksamer Schutz des Verbrauchers nicht gewährleistet werden, da diese Frist abgelaufen sein könnte, bevor der Verbraucher die Möglichkeit hatte, von der Missbräuchlichkeit einer Klausel dieses Vertrags Kenntnis zu nehmen. Durch eine solche Frist wird also die Ausübung der dem Verbraucher durch die Richtlinie 93/13 verliehenen Rechte übermäßig erschwert.
68 Etwas anderes lässt sich auch nicht aus dem vom vorlegenden Gericht angeführten Grund ableiten, dass der Verbraucher mit der vollständigen Erfüllung des Vertrags seine Verbrauchereigenschaft verliere.
69 Insoweit ist auf den zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 hinzuweisen, wonach deren einheitliche Rechtsvorschriften auf dem Gebiet missbräuchlicher Klauseln für „alle Verträge“ zwischen „Gewerbetreibenden“ und „Verbrauchern“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b und c dieser Richtlinie gelten sollten (Urteil vom 21. März 2019, Pouvin und Dijoux, C‑590/17, EU:C:2019:232, Rn. 19).
70 Gemäß Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13 ist „Verbraucher“ eine natürliche Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann (Urteil vom 21. März 2019, Pouvin und Dijoux, C‑590/17, EU:C:2019:232, Rn. 22).
71 Insoweit ist festzustellen, dass die Definition des Begriffs „Verbraucher“ in Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13 keinen Anhaltspunkt enthält, dem sich entnehmen ließe, ab welchem Zeitpunkt eine Vertragspartei ihre Verbrauchereigenschaft im Sinne dieser Definition verliert und sich somit nicht mehr auf den Schutz berufen kann, den ihr diese Richtlinie verleiht.
72 Allerdings ist diese Bestimmung im Hinblick auf den in Rn. 67 des vorliegenden Urteils zum Ausdruck gebrachten Gedanken, dass der Verbraucher sich gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet, im Kontext des durch die Richtlinie 93/13 geschaffenen Schutzsystems auszulegen.
73 Wie der Generalanwalt in Nr. 57 seiner Schlussanträge ausführt, ändert die Vertragserfüllung nicht rückwirkend den Umstand, dass sich der Verbraucher zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in dieser schwächeren Position befand. Unter diesen Umständen ist eine Beschränkung des dem Verbraucher durch die Richtlinie 93/13 verliehenen Schutzes auf die Dauer der Erfüllung des fraglichen Vertrags in dem Sinne, dass ihm durch die vollständige Erfüllung dieses Vertrags jede Möglichkeit genommen wird, sich auf diesen Schutz zu berufen, nicht mit dem durch diese Richtlinie geschaffenen Schutzsystem vereinbar. Eine solche Beschränkung wäre, wie die polnische Regierung geltend macht, insbesondere im Rahmen von Verträgen unzulässig, die – wie etwa ein Kaufvertrag – zum Zeitpunkt ihres Abschlusses oder unmittelbar danach erfüllt werden, weil sie den Verbrauchern keine angemessene Frist ließen, um die in solchen Verträgen möglicherweise enthaltenen missbräuchlichen Klauseln zu beanstanden.
74 Demnach ist der Begriff „Verbraucher“ in Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen, dass die Qualifizierung einer Vertragspartei als „Verbraucher“ im Sinne dieser Bestimmung durch die vollständige Erfüllung eines Vertrags nicht ausgeschlossen wird.
75 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass es mit dem Effektivitätsprinzip unvereinbar ist, wenn für die Erstattungsklage eine Verjährungsfrist von drei Jahren gilt, deren Lauf unabhängig davon, ob der Verbraucher zu diesem Zeitpunkt von der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel, auf die er seine Erstattungsklage stützt, Kenntnis hatte oder vernünftigerweise haben konnte, mit der Beendigung des in Rede stehenden Vertrags beginnt, da durch solche Verjährungsvorschriften die Ausübung der diesem Verbraucher durch die Richtlinie 93/13 verliehenen Rechte übermäßig erschwert werden kann.
76 Was den Äquivalenzgrundsatz angeht, verlangt dieser nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die betreffende nationale Regelung in gleicher Weise für Rechtsbehelfe gilt, die auf die Verletzung des Unionsrechts gestützt sind, wie für solche, die auf die Verletzung des innerstaatlichen Rechts gestützt sind, sofern diese Rechtsbehelfe einen ähnlichen Gegenstand und Rechtsgrund haben (Urteil vom 27. Februar 2014, Pohotovosť, C‑470/12, EU:C:2014:101, Rn. 47).
77 Insoweit ist es allein Sache des nationalen Gerichts, das unmittelbare Kenntnis von den anwendbaren Verfahrensmodalitäten hat, die Gleichartigkeit der betreffenden Rechtsbehelfe unter dem Gesichtspunkt ihres Gegenstands, ihres Rechtsgrundes und ihrer wesentlichen Merkmale zu prüfen (Urteil vom 12. Februar 2015, Baczó und Vizsnyiczai, C‑567/13, EU:C:2015:88, Rn. 44 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
78 Vorliegend geht aus der Begründung des Vorabentscheidungsersuchens hervor, dass gemäß ständiger Rechtsprechung der rumänischen Gerichte die Unwirksamkeit missbräuchlicher Klauseln der absoluten Nichtigkeit gleichgestellt wird. Das vorlegende Gericht führt insoweit aus, dass die absolute Nichtigkeit im rumänischen Recht bei synallagmatischen Verträgen die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands im Wege einer Klage auf Erstattung des rechtsgrundlos gezahlten Betrags zur Folge hat. Nach rumänischem Recht beginnt der Lauf der Verjährungsfrist für die Erhebung einer solchen Klage mit der gerichtlichen Feststellung des Grundes, auf dem diese Klagen beruhen.
79 Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass aus Gründen der Rechtssicherheit der Lauf der Frist für die Erstattung der Beträge, die auf der Grundlage einer missbräuchlichen Klausel in einem Verbrauchervertrag gezahlt wurden, ab dem Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung dieses Vertrags beginnen könnte, anstatt hierfür auf die gerichtliche Feststellung der Missbräuchlichkeit und damit der Nichtigkeit der fraglichen Klauseln abzustellen.
80 Folglich würden bei Gleichartigkeit der in Rede stehenden Klagen, die allein vom vorlegenden Gericht überprüft werden kann, durch die von diesem ins Auge gefasste und in der vorstehenden Randnummer wiedergegebene Auslegung unterschiedliche Verfahrensmodalitäten eingeführt, durch die auf das Schutzsystem der Richtlinie 93/13 gestützte Klagen weniger günstig behandelt würden. Eine solche Ungleichbehandlung kann, wie der Generalanwalt in Nr. 84 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht mit Gründen der Rechtssicherheit gerechtfertigt werden.
81 Zwar soll durch die Verjährungsfristen die Rechtssicherheit gewährleistet werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. April 2020, Nelson Antunes da Cunha, C‑627/18, EU:C:2020:321, Rn. 60), aber da nach Einschätzung des rumänischen Gesetzgebers der Grundsatz der Rechtssicherheit der Verjährungsfrist für die in Rn. 79 des vorliegenden Urteils genannten Klagen nicht entgegensteht, ist es mit diesem Grundsatz nicht unvereinbar, nach dem Äquivalenzprinzip dieselbe Frist auf Klagen anzuwenden, die auf das Schutzsystem der Richtlinie 93/13 gestützt sind.
82 Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist der Äquivalenzgrundsatz vorbehaltlich einer Überprüfung der Gleichartigkeit der genannten Klagen durch das vorlegende Gericht dahin auszulegen, dass er einer Auslegung des nationalen Rechts entgegensteht, wonach der Lauf der Verjährungsfrist für eine Klage auf Erstattung der aufgrund einer missbräuchlichen Klausel rechtsgrundlos entrichteten Beträge ab dem Zeitpunkt der vollständigen Erfüllung des Vertrags beginnt, während der Lauf derselben Frist für eine entsprechende auf innerstaatliche Vorschriften gestützte Klage erst ab der gerichtlichen Feststellung des Grundes beginnt, auf dem die Klage beruht.
83 Nach alledem ist auf die zweite Frage in der Rechtssache C‑698/18 zu antworten, dass Art. 2 Buchst. b, Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 sowie die Grundsätze der Äquivalenz, der Effektivität und der Rechtssicherheit dahin auszulegen sind, dass sie einer gerichtlichen Auslegung der nationalen Rechtsvorschrift entgegenstehen, nach der für die Klage auf Erstattung der Beträge, die aufgrund einer missbräuchlichen Klausel in einem zwischen einem Verbraucher und einem Gewerbetreibenden geschlossenen Vertrag rechtsgrundlos gezahlt wurden, eine Verjährungsfrist von drei Jahren gilt, die mit dem Tag der vollständigen Erfüllung dieses Vertrags zu laufen beginnt, wenn vermutet wird – ohne dass es hierfür einer Prüfung bedarf –, dass der Verbraucher zu diesem Zeitpunkt von der Missbräuchlichkeit der in Rede stehenden Klausel Kenntnis haben müsste, oder wenn der Lauf dieser Frist für entsprechende, auf bestimmte innerstaatliche Vorschriften gestützte Klagen erst ab der gerichtlichen Feststellung des Grundes beginnt, auf dem diese Klagen beruhen.