BGH: Klage auf Feststellung einer Forderung zur Insolvenztabelle setzt kein Schlichtungsverfahren voraus
BGH, Versäumnisurteil vom 9.6.2011 - IX ZR 213/10
leitsatz
Die Zulässigkeit einer Klage, mit der ein Insolvenzgläubiger die Feststellung einer Forderung zur Insolvenztabelle betreibt, ist nicht von der vorherigen Durchführung eines Verfahrens der obligatorischen außergerichtlichen Streitschlichtung abhängig.
InsO § 180 Abs. 1 Satz 1; EGZPO § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; SchlG BW § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
sachverhalt
Die Beklagte ist Treuhänderin in dem Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des S. . Eine von der Klägerin wegen einer Kontoüberziehung des Schuldners zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung in Höhe von 3.480,04 € wurde von ihr vorläufig bestritten.
Die Klägerin hat daraufhin Klage auf Feststellung ihrer Forderung zur Tabelle erhoben. Das Amtsgericht hat den Streitwert der Klage auf 400 € fest-gesetzt und die Klage als unzulässig abgewiesen, weil vor der Klageerhebung kein Schlichtungsverfahren nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes zur obli-gatorischen außergerichtlichen Streitschlichtung des Landes Baden-Württemberg (im Folgenden: SchlG BW) durchgeführt worden war. Die vom Amtsgericht zugelassene Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Beru-fungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Feststellungsbe-gehren weiter.
aus den gründen
3 Über die Revision der Klägerin ist, weil die Beklagte trotz ordnungsge-mäßer Ladung im Revisionsverhandlungstermin nicht vertreten war, antrags-gemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden, das aber inhaltlich nicht auf der Säumnis, sondern auf einer sachlichen Prüfung des Antrags beruht (BGH, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 82).
4 Die Revision hat Erfolg. Die Sache ist jedoch noch nicht zur Endent-scheidung reif.
5 I. 1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Vor der Erhebung der Klage hät-te ein Schlichtungsverfahren nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SchlG BW in Verbin-dung mit § 15a EGZPO durchgeführt werden müssen, weil sich der Streitwert der Klage nach § 182 InsO auf 400 € belaufe. Die Anwendbarkeit des Schlich-tungsgesetzes sei nicht nach § 1 Abs. 2 Nr. 6 SchlG BW ausgeschlossen. Die Feststellungsklage nach § 179 Abs. 1 InsO stelle keine Klage wegen vollstre-ckungsrechtlicher Maßnahmen im Sinne dieser Norm dar.
6 2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Zulässigkeit einer Klage, mit der ein Insolvenzgläubiger die Feststellung einer Forderung zur Insolvenztabelle betreibt, ist nicht von der vorherigen Durchführung eines Verfahrens der obligatorischen außergerichtlichen Streit-schlichtung abhängig.
7 a) Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SchlG BW ist die Erhebung der Klage vor den Amtsgerichten in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vermögensrechtlicher Art über Ansprüche, deren Gegenstand an Geld oder Geldeswert bei Einrei-chung der Klage 750 Euro nicht übersteigt, erst zulässig, nachdem von einer Gütestelle im Sinne von § 15a Abs. 1 und 6 EGZPO versucht worden ist, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen. Das Landesgesetz macht damit von der Öffnungsklausel in § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGZPO Gebrauch. Zweck dieser Regelung ist es, bei Streitigkeiten, deren wirtschaftliche Bedeutung in keinem angemessenen Verhältnis zu Kosten und Zeitaufwand eines gerichtlichen Ver-fahrens steht, die Möglichkeiten einer außergerichtlichen Streitschlichtung zu einer raschen und kostengünstigen konsensualen Konfliktlösung zu nutzen und dadurch die Justiz zu entlasten (vgl. die Begründung zum Entwurf eines Geset-zes zur Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung, BT-Drucks. 14/980 S. 5 f). Vom Erfordernis einer vorherigen Streitschlichtung ausgenommen sind Klagen, die sich aus verschiedenen Gründen für die Schlichtung sachlich nicht eignen (§ 1 Abs. 2 SchlG BW, § 15a Abs. 2 Satz 1 EGZPO).
8 b) Klagen nach § 179 Abs. 1, § 180 Abs. 1 InsO, mit denen Gläubiger die Feststellung ihrer Forderungen zur Insolvenztabelle betreiben, fallen nicht unter § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SchlG BW.
9 aa) Wird der Forderungsanmeldung eines Gläubigers vom Insolvenzver-walter oder von einem Insolvenzgläubiger widersprochen, hat der Gläubiger auf die Feststellung der Forderung zur Tabelle im ordentlichen Verfahren Klage zu erheben. Den Streitwert einer solchen Klage kann der anmeldende Gläubiger regelmäßig nicht im Voraus ermessen. Er bestimmt sich nämlich nicht nach dem Nominalbetrag der geltend gemachten Forderung, sondern nach dem Be-trag, der bei der Verteilung der Insolvenzmasse für die Forderung zu erwarten ist (§ 182 InsO). Die voraussichtliche Insolvenzquote hängt unter anderem da-von ab, in welcher Höhe andere bestrittene Insolvenzforderungen zur Tabelle festgestellt werden, in welchem Umfang Masseschulden entstehen und wie hoch die nach der Verwertung von Massegegenständen und etwaiger Geltend-machung von Ansprüchen aus Insolvenzanfechtung zur Verfügung stehende Verteilungsmasse sein wird. Maßgeblich sind mithin Faktoren, die noch nicht feststehen und vom anmeldenden Gläubiger meist auch nicht näherungsweise beurteilt werden können. Nichts anderes gilt für die Wertgrenze des Schlich-tungserfordernisses nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SchlG BW, § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGZPO, die sich nach denselben Kriterien bestimmt (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2005 - III ZR 342/04, NJW-RR 2005, 867, 868). Kann der Gläubiger aber nicht einschätzen, ob die Wertgrenze von 750 Euro überschrit-ten ist, bliebe ihm selbst bei nominal hohen Forderungen nichts anderes übrig, als zunächst eine außergerichtliche Streitschlichtung zu beantragen. Andern-falls riskierte er, dass seine Klage mangels vorangegangener Schlichtung als unzulässig abgewiesen wird, weil das Schlichtungsverfahren nach Klageerhe-bung nicht mehr nachgeholt werden kann, wenn der Streitwert auf 750 Euro oder weniger festgesetzt wird (BGH, Urteil vom 23. November 2004 - VI ZR 336/03, BGHZ 161, 145, 148 ff).
10 bb) Für die Behandlung von nominal hohen Forderungen ist das Verfah-ren der außergerichtlichen Streitschlichtung nicht konzipiert. Vielfach ist bei hö-heren Forderungen auch die tatsächliche und rechtliche Beurteilung ihres Be-stehens erschwert. Das Schlichtungsverfahren hingegen ist vornehmlich für Bagatellstreitigkeiten vorgesehen (BT-Drucks. 14/980 S. 8), die keine besonde-ren rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten aufwerfen. Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, dass als Schlichtungsperson nicht nur Juristen in Frage kommen (vgl. etwa § 3 Abs. 4 SchlG BW).
11 cc) Feststellungsklagen nach § 180 Abs. 1 InsO können ungeachtet der Streitwertbestimmung nach § 182 InsO für die Beteiligten von beträchtlicher wirtschaftlicher Bedeutung sein. Denn die Feststellung einer Forderung berech-tigt den Gläubiger nicht nur zur Teilhabe an der Verteilung der Insolvenzmasse, sondern darüber hinaus nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach Maßgabe des § 201 Abs. 2 InsO auch zur Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner aus der Eintragung in die Tabelle wie aus einem vollstreckbaren Ur-teil, und zwar im vollen noch offenen Umfang der Feststellung.
12 dd) Die mangelnde Eignung des Schlichtungsverfahrens für die Fallge-staltung einer Feststellungsklage nach § 180 Abs. 1 InsO zeigt sich schließlich auch darin, dass im Schlichtungsverfahren nicht - jedenfalls nicht unmittelbar - die Rechtsfolgen herbeigeführt werden können, die mit einer gerichtlichen Fest-stellung verbunden sind. Gegenstand der gerichtlichen Feststellung ist nicht nur das Bestehen der angemeldeten Forderung, sondern auch ihre Eigenschaft als Insolvenzforderung als Voraussetzung ihrer Anmeldbarkeit und ihr Rang, nach anderer Ansicht das aus den genannten Elementen resultierende Insolvenz-gläubigerrecht auf Teilhabe an der zu verteilenden Masse (vgl. etwa MünchKomm-InsO/Schumacher, 2. Aufl., § 179 Rn. 7 f mwN; Eckardt, in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., S. 533 Rn. 1, 52, 53). Die über die Fest-stellung des Bestehens der Forderung hinausreichenden Wirkungen der ge-richtlichen Feststellung können nicht Gegenstand einer Einigung der Parteien im Schlichtungsverfahren sein. Verständigen sich die Parteien auf eine be-stimmte Forderungshöhe und wird der darauf bezogene Widerspruch zurück-genommen, gilt zwar die Forderung in diesem Umfang nach § 178 Abs. 1 Satz 1 InsO als festgestellt. Diese einer gerichtlichen Feststellung gleich kom-mende Feststellungswirkung, die sich auch auf die Anmeldbarkeit und den Rang der Forderung erstreckt, folgt aber unmittelbar aus dem Gesetz und nur mittelbar aus der Einigung der Parteien.
13 c) Ist sonach bereits der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SchlG BW nicht eröffnet, kommt es nicht darauf an, ob eine Ausnahme vom Schlichtungserfordernis vorliegt, sei es nach § 1 Abs. 2 Nr. 6 SchlG BW (Klagen wegen vollstreckungsrechtlicher Maßnahmen; insoweit ablehnend neben dem Berufungsgericht AG Wuppertal, ZInsO 2002, 91 und ihm folgend die einhellige Meinung im Schrifttum, vgl. etwa Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2010, § 180 Rn. 6 mwN) oder im Hinblick auf § 189 InsO die Ausnahme nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 SchlG BW (Klagen, die binnen einer gesetzlichen oder gericht-lich angeordneten Frist zu erheben sind).
14 II. Das Berufungsurteil war danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung kann der Senat nicht treffen (§ 563 Abs. 3 ZPO), weil die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist. Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass die Beklagte die von der Klägerin zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung nur vorläufig bestritten hat. Die Klägerin hat gleichwohl ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung, zumal sich die Beklagte auf die Aufforderung der Klägerin, mitzuteilen, ob die Forderung nunmehr anerkannt werde, nicht geäu-ßert hat (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2006 - IX ZB 160/04, WM 2006, 731 Rn. 8). Zur Beurteilung der Begründetheit der Klage fehlt es bislang an den erforderlichen Feststellungen.