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Wirtschaftsrecht
18.08.2011
Wirtschaftsrecht
OLG Stuttgart: Klärung von Rechten bei Mangelbeseitigung ist bei der Streitwertbestimmung zu berücksichtigen

OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.08.2011 - 12 W 36/11

Leitsatz

Hat ein selbständiges Beweisverfahren neben der Klärung der behaupteten Mängel und der Beseitigungskosten erkennbar auch den Zweck, für den Antragsteller zu klären, ob er Mangelbeseitigung verlangen oder vom Vertrag zurücktreten wird, so ist bei der Bestimmung des Streitwerts dem Interesse an dieser Klärung dadurch Rechnung zu tragen, dass ein Zuschlag zu den ermittelten und fiktiven Mangelbeseitigungskosten erfolgt.

sachverhalt

A. Die Antragsteller Ziff. 1 und 2 sowie die Antragsteller Ziff. 3 und 4 erwarben vom Antragsgegner je eine Eigentumswohnung auf dem Grundstück ... in M... zum Kaufpreis von jeweils 250.000,-- €. Im vorliegenden selbständigen Beweisverfahren beantragten sie die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zur Beurteilung von behaupteten Schallschutzmängeln sowie gegebenenfalls zu Kosten der Mangelbeseitigung und eines Minderwertes. Im Antrag wurde ausgeführt, dass die Antragsteller beabsichtigten, in Kürze die Schadensbeseitigung zu veranlassen. Dem Antrag waren u.a. Schreiben vom 13.05.2008 und 29.09.2008 beigefügt, in denen die anwaltlich vertretenen Antragsteller dem Antragsgegner für den Fall einer fehlenden Mangelbeseitigung die Geltendmachung der Rechte gemäß § 634 Nr. 2-4 BGB angedroht hatten. Mittlerweile haben die Antragsteller jeweils den Rücktritt vom Vertrag erklärt.

Das Landgericht hat den Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens auf 10.000,-- € festgesetzt. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass sich die Kosten für die Beseitigung der festgestellten Mängel auf maximal 4.000,-- € belaufen würden. Hinsichtlich der nicht festgestellten Mängel könne ein hypothetischer finanzieller Aufwand von weiteren 4.000,-- € angesetzt werden. Zudem sei ein Minderwert der Wohnungen von insgesamt 2.000,-- € zu berücksichtigen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Antragsteller, mit der sie eine Festsetzung des Streitwerts auf 50.000,-- € erstreben. Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, es sei von deutlich höheren Mangelbeseitigungskosten auszugehen. Zudem müsse sich streitwerterhöhend auswirken, dass von vornherein auch ein Rücktritt von den jeweiligen Kaufverträgen im Raum gestanden habe.

Der Antragsgegner ist der Beschwerde entgegengetreten. Er verteidigt den angefochtenen Beschluss. Das Landgericht habe die voraussichtlichen und fiktiven Mangelbeseitigungskosten zutreffend ermittelt. Der Vortrag, dass der Sachverständige die Kosten nicht richtig ermittelt habe, sei bei der Streitwertfestsetzung nicht zu berücksichtigen. Der Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens habe nur die Mangelbeseitigung zum Gegenstand gehabt, so dass sich der Streitwert auch nur nach den Mangelbeseitigungskosten richten könne. Daher sei auch der später erklärte Rücktritt unerheblich.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten im Beschwerdeverfahren wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

aus den gründen

B. I. Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Antragsteller ist zulässig (§ 68 Abs. 1 GKG i.V.m. § 32 Abs. 2 RVG).

II. Die Beschwerde ist auch begründet. Der Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens ist auf 50.000,-- € festzusetzen.

1. Der Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens richtet sich nach dem vollen mutmaßlichen Hauptsachestreitwert. Maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei das Interesse des Antragstellers zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung (BGH NJW 2004, 3488; OLG Stuttgart MDR 2009, 234).

a) Die Bestimmung dieses Interesses im Einzelnen ist noch nicht abschließend geklärt. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung sind in dem vorliegenden Fall, dass Gegenstand des Beweisverfahrens die Feststellung von Mängeln und deren Beseitigungskosten sind, die vom Sachverständigen ermittelten Kosten der Wertfestsetzung zugrunde zu legen (OLG Stuttgart vom 19.04.2010 - 3 W 21/10; OLG Celle BauR 2004, 705; OLG Düsseldorf BauR, 2001, 883). Soweit der Gutachter nicht alle behaupteten Mängel bestätigt, sind die Kosten zu schätzen, die sich ergeben hätten, wenn jene Mängel festgestellt worden wären (BGH NJW 2004, 3488).

b) Dem ist nur für den Fall zuzustimmen, dass das Interesse des Antragsstellers auf die Mangelbeseitigung beschränkt ist. Wenn jedoch der Antragssteller mit dem selbständigen Beweisverfahren erkennbar andere Ansprüche neben oder anstelle des Anspruchs auf Mangelbeseitigung vorbereiten will, so ist auch der Wert dieser Ansprüche bei der Bemessung des Streitwerts des selbständigen Beweisverfahrens zu berücksichtigen (so auch OLG München BauR 2002, 523; OLG Düsseldorf BauR 2001, 1785; Ingenstau/Korbion, VOB, 17. Aufl., Anhang 3, Rn. 31; vgl. auch Senat vom 26.07.2005 - 12 W 45/05). Die gegenteilige Auffassung (so etwa OLG Stuttgart, Beschluss vom 19.04.2010 - 3 W 21/10; OLG Düsseldorf BauR 2001, 883), wonach der Streitwert auf die Mangelbeseitigungskosten beschränkt ist, vermag nicht zu überzeugen. Es ist höchstrichterlich geklärt, dass sich der Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens nach dem vollen mutmaßlichen Hauptsachestreitwert richtet (BGH NJW 2004, 3488). Schon hieraus folgt, dass der Streitwert nicht in jedem Fall auf die Mangelbeseitigung beschränkt sein kann. Wenn - was im Falle von erheblichen Mängeln an einem Gebrauchtwagen häufig der Fall sein wird - aus Sicht des Antragstellers nur ein Rücktritt in Betracht kommt, so ist als mutmaßlicher Hauptsachewert der Streitwert eines zukünftigen Rücktrittsprozess anzusetzen (vgl. auch OLG Düsseldorf BauR 2001, 1785).

c) Der Streitwert ist aber auch dann nicht auf die tatsächlichen oder fiktiven Mangelbeseitigungskosten beschränkt, wenn bei Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens noch offen ist, welche Rechte der Antragssteller geltend machen will. Auch insoweit ist das Interesse nicht auf die Mängelbeseitigungskosten beschränkt. Allerdings kann in diesen Fällen auch nicht vom Wert des am weitestgehenden Anspruch ausgegangen werden, selbst wenn dieser im Anschluss an die Beweiserhebung geltend gemacht wird (so aber OLG München BauR 2002, 523). Dem steht schon entgegen, dass es auf das Interesse des Antragsstellers zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung ankommt. Wenn zu diesem Zeitpunkt der Anspruch noch offen war, so ist dem Interesse an der Klärung dadurch Rechnung zu tragen, dass bei der Festsetzung des Streitwerts ein Zuschlag zu den ermittelten und fiktiven Mangelbeseitigungskosten erfolgt.

2. Ausgehend von den genannten Grundsätzen ist im vorliegenden Fall der Streit auf 50.000,-- € festzusetzen.

a) Das Landgericht hat die tatsächlichen und fiktiven Mangelbeseitigungskosten einschließlich des verbleibenden Minderwerts zutreffend mit 10.000,-- € ermittelt.

aa) Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Landgericht die Mangelbeseitigungskosten mit 4.000,-- € und einen verbleibenden Minderwert von 2.000,-- € angesetzt hat. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 28.07.2009 ausgeführt, dass zur Vermeidung von Schallbrücken zwischen der Wohnung Nr. 3b im Wohnzimmer und der Wohnung Nr. 5 im Schlafzimmer Außenwandbereiche mit biegeweichen Vorsatzschalen ausgestattet werden müssten. Die Kosten beliefen sich auf 110,-- € pro m² einschließlich Malerarbeiten. Die erforderlichen Verbesserungsmaßnahmen bei den Türen und Jalousien würden etwa 500,-- € bis 1.000,-- € kosten. In welchem Umfang die Vorsatzschalen angebracht werden müssen, hat der Sachverständige offen gelassen. Daher können Mangelbeseitigungskosten, die über den vom Landgericht angenommenen Betrag von 4.000,-- € hinausgehen, nicht festgestellt werden. Soweit die Beschwerdeführer höhere Kosten behaupten, war dem nicht nachzugehen, da es nicht Aufgabe des Streitwertfestsetzungsverfahrens ist, im Anschluss an das selbständige Beweisverfahren den genauen Umfang der Mangelbeseitigung weiter zu ermitteln.

bb) Es begegnet auch keinen Bedenken, wenn das Landgericht hinsichtlich der nicht festgestellten Mittel von einem weiteren Aufwand von 4.000,-- € ausgegangen ist. Es liegt in der Natur der Sache, dass insoweit nur eine grobe Schätzung möglich ist.

b) Der Streitwert ist jedoch auf 50.000,-- € zu erhöhen.

aa) Im vorliegenden Fall war es zum Zeitpunkt der Antragstellung noch offen, welche Rechte die Antragsteller geltend machen wollen. Zwar haben sie in der Antragsschrift mitgeteilt, alsbald mit der Mangelbeseitigung beginnen zu wollen. Dem Antrag war aber auch die Vorkorrespondenz beigelegt, woraus sich ergibt, dass die Antragsteller sich die Rechte aus § 634 Nr. 2-4 BGB offen gelassen haben. Dass ein solcher Rücktritt im Raum stand, ergibt sich auch daraus, dass sie später den Rücktritt erklärt haben, obwohl das Sachverständigengutachten die Mängel nur teilweise bestätigt hat und insoweit Probleme hinsichtlich der Erheblichkeitsschwelle bestehen (vgl. insoweit auch OLG München BauR 2002, 523).

bb) Wenn aber ein möglicher Rücktritt der Antragsteller von den jeweiligen Kaufverträgen im Raum stand, dann ging das Interesse der Antragssteller an der Beweiserhebung mit Blick auf den Kaufpreis von jeweils 250.000,-- € erheblich über die Kosten der Mangelbeseitigung hinaus. Daher ist ein Streitwert von 50.000,-- € angemessen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 68 Abs. 3 GKG. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren richtet sich nach dem Interesse der Prozessbevollmächtigten der Antragsteller an der Erhöhung des Streitwerts. Eine Rechtsbeschwerde ist nach §§ 68, 66 Abs. 3 und 4 GKG ausgeschlossen, so dass sich die Frage der Zulassung nicht stellt (BGH DGVZ 2008, 187 Tz. 7).

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