OLG München: Keine analoge Anwendung des § 104 AktG bei Wahlanfechtung nach § 22 MitbestG
OLG München, Beschluss vom 22.12.2020 – 31 Wx 436/20
Volltext: BB-Online BBL2021-465-1
Leitsätze:
1. Eine gerichtliche Bestellung von Mitgliedern des Aufsichtsrates in analoger Anwendung des § 104 AktG kommt nicht allein deshalb schon in Betracht, weil deren Wahl angefochten wurde.
2. Eine analoge Anwendung des § 104 AktG setzt vielmehr eine Situation voraus, die einer akuten Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft gleichkommt.
3. Eine aufschiebend bedingte und auf den Zeitpunkt des Beschlusses rückwirkende gerichtliche Bestellung von Mitgliedern des Aufsichtsrates ist abzulehnen, da das Auswahlermessen des Registergerichts hierdurch unzulässig beeinträchtigt und die Wahlanfechtungsklage entwertet würde.
AktG § 104
Sachverhalt
I.
Die Beschwerdeführer sind sämtliche Mitglieder des Vorstands der Gesellschaft. Sie beantragten am 15.09.2020 beim Amtsgericht - Registergericht -, acht namentlich benannte Personen zu Mitgliedern des Aufsichtsrats der Gesellschaft zu bestellen. Hilfsweise beantragten sie die Bestellung der genannten acht Personen aufschiebend bedingt für den Fall der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung in einem beim Arbeitsgericht anhängigen Verfahren, mit dem die Nichtigkeit oder jedenfalls die Unwirksamkeit der Wahl einzelner oder aller benannter Personen zu Aufsichtsratsmitgliedern festgestellt bzw. erklärt wird und zwar im Falle der Nichtigkeitserklärung mit Wirkung vom Tage der hiesigen gerichtlichen Entscheidung und im Falle der Unwirksamkeitserklärung mit Wirkung vom Tage der rechtskräftigen arbeitsgerichtlichen Entscheidung. Hintergrund der Anträge ist ein beim Arbeitsgericht anhängiges Beschlussverfahren gemäß § 22 MitbestG, in dem aufgrund behaupteter formeller Wahlmängel die Feststellung der Nichtigkeit bzw. hilfsweise die Erklärung der Unwirksamkeit der Wahl aller acht Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat geltend gemacht wird. Ferner beantragten die Beschwerdeführer die gerichtliche Bestellung des Vorsitzenden des Aufsichtsrats und - für den Fall seiner (ggf. aufschiebend bedingten) gerichtlichen Bestellung zum Mitglied des Aufsichtsrats - dessen Stellvertreter, nachdem im Anschluss an die Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden die Wahl des stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden auf unbestimmte Zeit verschoben wurde.
Das Registergericht hat mit Beschluss vom 01.10.2020 sämtliche Anträge abgelehnt, der Gesellschaft die Kosten des Verfahrens auferlegt und den Geschäftswert auf 120.000 € festgesetzt. Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer Beschwerde vom 20.10.2020.
Aus den Gründen
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Zutreffend hat es das Registergericht abgelehnt, die benannten Personen zu Aufsichtsratsmitgliedern bzw. zu (stellvertretenden) Vorsitzenden des Aufsichtsrats der Gesellschaft zu bestellen.
1. Die gerichtliche Bestellung von Mitgliedern des Aufsichtsrats setzt voraus, dass der Aufsichtsrat beschlussunfähig ist (§ 104 Abs. 1 Satz 1 AktG), dass eine länger als 3 Monate andauernde Unterbesetzung vorliegt (§ 104 Abs. 2 Satz 1 AktG) oder dass bei einer weniger als 3 Monate andauernden Unterbesetzung ein dringender Fall vorliegt (§ 104 Abs. 2 Satz 2 AktG). In mitbestimmten Gesellschaften ist ferner gemäß § 104 Abs. 3 Nr. 2 AktG stets von einem dringenden Fall auszugehen, wenn dem Aufsichtsrat nicht alle Mitglieder angehören, aus denen er nach Gesetz oder Satzung zu bestehen hat. Keine dieser Voraussetzungen liegt vor.
Eine Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrats ist ebenso wenig gegeben wie eine Unterbesetzung bzw. ein sonstiger dringender Fall (der jedenfalls auch eine Unterbesetzung voraussetzt). Der Aufsichtsrat der Gesellschaft ist derzeit vollständig besetzt und dementsprechend auch beschlussfähig. Zu Recht hat das Registergericht darauf hingewiesen, dass die Anwendung des § 104 Abs. 2 AktG dem Wortlaut nach eine bereits bestehende Vakanz im Aufsichtsrat voraussetzt. Die Wahlanfechtung führt aber bis zur Rechtskraft eines Anfechtungsurteils nicht zur Unterschreitung der Mitgliederzahl, so dass § 104 AktG jedenfalls nicht direkt angewandt werden kann (Hüffer/Koch AktG 14. Aufl. <2020> § 104 Rn. 8; BeckOGK/Spindler AktG Stand:19.10.2020 § 104 Rn. 35). Die Anhängigkeit einer gegen die Wahl eines Aufsichtsrats gerichteten Anfechtungsklage hat bis zur Rechtskraft des der Klage stattgebenden Urteils keine Auswirkungen auf das Amt des Mitglieds, dessen Wahl angefochten ist (MüKoAktG/Habersack 5. Aufl. <2019> AktG § 104 Rn. 12). Die bloße Anhängigkeit einer Anfechtungsklage begründet per se keine Unterbesetzung (Gasteyer in: Semler/v.Schenk Der Aufsichtsrat 1. Aufl. <2015> AktG § 104 Rn. 66). Insofern ist der Vortrag der Beschwerdeführer auch nicht nachvollziehbar, dass eine satzungsmäßige Besetzung von Aufsichtsratsausschüssen nicht möglich sei. Auch die Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden und eines Stellvertreters ist derzeit unproblematisch möglich und zulässig. Es mag sein, dass ein Erfolg des am Arbeitsgericht anhängigen Verfahrens die Wirksamkeit von derzeit unter Mitwirkung der Arbeitnehmervertreter gefasster Aufsichtsratsbeschlüsse in Frage stellt, die Rechtsunsicherheit über die Wirksamkeit der Wahl der Arbeitnehmervertreter stellt aber keine im Gesetz genannte Unterbesetzung dar. Die Möglichkeit einer vorsorglichen Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern für den Fall einer drohenden Unterbesetzung oder aufschiebend bedingt für den Fall der erfolgreichen Klage gegen deren Wahl lässt sich mit dem Wortlaut des § 104 AktG nicht vereinbaren (Grigoleit/Grigoleit/Tomasic AktG 2. Aufl. <2020> § 104 Rn. 9).
2. In Betracht käme daher vorliegend allenfalls eine analoge Anwendung des § 104 Abs. 2 Satz 2 i. V. m Abs. 3 Nr. 2 AktG. Der Senat erachtet dies allerdings - zumindest für den vorliegenden Fall - als unzulässig.
Die analoge Anwendung setzt eine planwidrige Regelungslücke sowie eine vergleichbare Interessenlage des geregelten und zu regelnden Sachverhalts voraus. Der dem Gesetz zu Grunde liegende Regelungsplan ist richterrechtlich im Wege der Auslegung zu erschließen, wobei danach zu fragen ist, ob das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Regelungsabsicht, planwidrig unvollständig ist (Danwerth ZfPW 2017, 230/233).
a) Eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes als Voraussetzung für eine „gesetzesimmanente Rechtsfortbildung“ liegt nicht vor. Ob eine derartige Lücke vorhanden ist, die etwa im Wege der Analogie ausgefüllt werden kann, ist vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zu Grunde liegenden Regelungsabsicht zu beurteilen. Das Gesetz muss also, gemessen an seiner eigenen Regelungsabsicht, unvollständig sein (BGH GRUR 2002, 238/241; BGH NJW 1981, 1726/1727; BGH NJW 1988, 2109/2110; Larenz, Methodenlehre d. Rechtswissenschaft 6. Aufl., S. 373).
Vorliegend ist aufgrund der Regelungssystematik des § 104 AktG davon auszugehen, dass es dem Gesetzgeber darauf ankam, mit der Regelung die Handlungs- und Funktionsfähigkeit der Gesellschaft sicherzustellen, wenn die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats nicht mehr gegeben ist und erforderlichenfalls auch die Parität eines mitbestimmten Aufsichtsrates wiederherzustellen, nicht aber für jeden Fall einer rechtlichen Unsicherheit hinsichtlich der ordnungsgemäßen Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds eine Absicherungsmöglichkeit zu gewährleisten. Zutreffend hat insofern das OLG Köln in den Entscheidungen vom 29.03.2007 (BeckRS 2007, 8237) und vom 23.02.2011 (FGPrax 2011, 153) auch darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber trotz der bekannten Problematik der Rückwirkung einer erfolgreichen Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage weder bei der Einfügung des § 246 a AktG durch das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts vom 22.09.2005 (UMAG) noch bei der Verabschiedung des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) im Jahr 2009 einen Anlass gesehen hat, den Anwendungsbereich des § 104 AktG zu erweitern. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass zu den damaligen Zeitpunkten die Entscheidung des BGH vom 19.02.2013 (NJW 2013, 1535) noch nicht vorlag, in dem der BGH die Anwendung der Lehre vom faktischen Organ abgelehnt hat. Angesichts der bis dahin äußerst umstrittenen Frage der Folgen einer erfolgreichen Anfechtung der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern hätte eine Regelung durch den Gesetzgeber im Rahmen der genannten Gesetzesänderungen durchaus nahegelegen. Auch nach der genannten Entscheidung des BGH ist der Gesetzgeber trotz der hieraus resultierenden Problematik und der diesbezüglichen juristischen Diskussion (z.B. Florstedt NZG 2014, 681 ff.) untätig geblieben. Eine planwidrige Regelungslücke liegt aber nicht vor, wenn dem Gesetzgeber das Problem seit langem bekannt ist und keine Abhilfe geschaffen wird (Gasteyer in: Semler/v.Schenk AktG § 104 Rn. 32). Die Regelung des § 104 Abs. 2 Satz 2 AktG weist jedenfalls darauf hin, dass der Gesetzgeber keine umfassende gerichtliche Ersatzbestellung von Aufsichtsräten für jeden Zweifelsfall wollte, sondern nur für diejenigen Fälle eine Regelung beabsichtigte, in denen eine akute Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft vorliegt. Demzufolge kommt nach Auffassung des Senats eine analoge Anwendung des § 104 AktG dahingehend, dass auch bei jeglicher Unsicherheit über die Wirksamkeit einer Aufsichtsratswahl eine gerichtliche Bestellung zulässig wäre, nicht in Betracht. Erforderlich ist vielmehr eine Situation, die einer akuten Handlungsunfähigkeit gleichkommt.
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer ergibt sich anderes auch nicht aus der Entscheidung des OLG München vom 18.01.2006, BeckRS 2007, 4374. Das Gericht hat dort ausdrücklich festgehalten, dass es für seine Entscheidung auf die Frage, ob das Amtsgericht die Voraussetzungen des § 104 Abs. 3 Nr. 2 AktG zutreffend beurteilt hat und es insbesondere diese Vorschrift analog anwenden durfte, nicht ankam. Im Übrigen lag dem kein vergleichbarer Sachverhalt zu Grunde. Das Registergericht hatte damals zwar Aufsichtsräte bestellt, obwohl noch nicht rechtskräftig feststand, dass deren Wahl unwirksam war. Allerdings war dort bereits aufgrund gerichtlicher Hinweise in dem Anfechtungsprozess von einer Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit der Wahl auszugehen. Ferner sollte dort wenige Wochen später die Hauptversammlung der Gesellschaft stattfinden, aufgrund der zu erwartenden Nichtigkeitserklärung hinsichtlich der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder (die dann auch kurz darauf erfolgte) war eine Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft absehbar. Es lag somit eine Situation vor, die einer Handlungsunfähigkeit gleichkam, die Vorinstanz hatte daher mit durchaus nachvollziehbaren Gründen eine analoge Anwendung des § 104 AktG als gerechtfertigt angesehen (LG München I vom 09.06.2005, BeckRS 2005, 6873). Abweichend davon liegt im vorliegenden Fall keine Situation vor, in der von der Nichtigkeit der Wahl der Arbeitnehmervertreter auszugehen wäre oder die sonst einer Handlungsunfähigkeit gleichkäme. Bislang ist völlig offen, ob die Wahl der Arbeitnehmervertreter Bestand hat oder nicht. Eine analoge Anwendung des § 104 AktG im Sinne einer allgemeinen Rückversicherung für den Fall jeder rechtlichen Unsicherheit über die Wirksamkeit einer Aufsichtsratswahl würde jedenfalls Sinn und Zweck der Regelung sowie die Voraussetzung einer Analogie deutlich überdehnen.
Soweit die Beschwerdeführer im Übrigen darauf abstellen, dass die Rechtsmittel gegen die damalige Entscheidung des Registergerichts über mehrere Instanzen erfolglos geblieben sind, trifft dies zwar zu. Hieraus lässt sich allerdings nicht ableiten, dass die Entscheidung auch inhaltlich bestätigt worden wäre. Die Beschwerde sowie die weitere sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung des Registergerichts wurden jeweils bereits als unzulässig verworfen (BayObLG NZG 2005, 405), der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat lediglich festgestellt, dass der Beschluss des Registergerichts weder gegen das Willkürverbot (Art. 118 Abs. 1 BV) noch gegen das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV) verstoßen hat (BayVerfGH v. 24.8.2005 - Vf.80-VI/04, BeckRS 2005, 29984). Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer lässt sich hieraus daher keine „Rechtsprechungslinie“ ableiten, gegen die sich die hiesige Entscheidung des Registergerichts vom 01.10.2020 stellen würde.
b) Eine (analoge) Anwendung des § 104 AktG kommt auch nicht dahingehend in Betracht, dass eine gerichtliche Bestellung aufschiebend bedingt zulässig wäre. Eine gerichtliche Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern unter der aufschiebenden Bedingung, dass die Aufsichtsratswahl rechtskräftig für nichtig bzw. unwirksam erklärt wird, ist gesetzlich ebenfalls nicht vorgesehen. § 104 AktG normiert eine Vakanz im Aufsichtsrat als Voraussetzung für den gerichtlichen Bestellungsbeschluss. Eine Bestellung unter einer aufschiebenden Bedingung setzt daher ebenfalls eine analoge Anwendung des § 104 AktG voraus (insoweit zutreffend Brock, NZG 2014, 641/645 entgegen Vetter/van Laak, ZIP 2008, 1806/1811; Hüffer/Koch AktG 14. Aufl. <2020> § 104 Rn. 8).
aa) Für eine aufschiebend bedingte Bestellung auf den Zeitpunkt der Rechtskraft einer arbeitsgerichtlichen Entscheidung, mit der die Unwirksamkeit der Wahl der Arbeitnehmervertreter festgestellt wird, fehlt bereits das Rechtsschutzbedürfnis. Es steht den Antragsberechtigten frei, einen Antrag nach § 104 AktG zu stellen, sobald eine entsprechende rechtskräftige Entscheidung des Arbeitsgerichts vorliegt. Bei ordnungsgemäßem und vollständigem Antrag nimmt ein registergerichtliches Verfahren zur Bestellung von Aufsichtsräten in der Regel nur wenige Tage in Anspruch, so dass allenfalls für einen kurzen Zeitraum eine Unterbesetzung besteht. Wie sich aus § 104 Abs. 2 Satz 1 AktG ergibt, nimmt der Gesetzgeber solche kurzfristigen Vakanzen in Kauf. Insoweit kann daher auch nicht von einer planwidrigen Regelungslücke ausgegangen werden, die durch analoge Anwendung ausgefüllt werden müsste.
bb) Eine gerichtliche Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern - unter der aufschiebenden Bedingung, dass die Aufsichtsratswahl rechtskräftig für nichtig erklärt wird - mit Wirkung ex tunc auf den Zeitpunkt des Bestellungsbeschlusses, begegnet den gleichen Bedenken wie gegen die unbedingte Bestellung (s.o. unter 2.a)). Es fehlt auch hier - jedenfalls bezogen auf den vorliegend zu entscheidenden Sachverhalt - bereits eine planwidrige Regelungslücke als Voraussetzung einer analogen Anwendung. Darüber hinaus ist die Zulässigkeit einer solchen aufschiebend bedingten Bestellung umstritten. In der Literatur wird diese Möglichkeit teilweise als zulässig erachtet (Vetter/van Laak ZIP 2008, 1806/1810 ff.; Drygala in Schmidt/K.Lutter AktG 4. Aufl. <2020> § 104 Rn. 16), teilweise zweifelhaft beurteilt (BeckOGK/Spindler AktG § 104 Rn. 36; Hüffer/Koch AktG § 104 Rn. 8: „dogmatisch unsicherer Weg“; Schürnbrand, NZG 2013, 481/484) und teilweise abgelehnt (MüKoAktG/Habersack 5. Aufl. <2019> § 104 Rn. 12; Gasteyer in: Semler/v.Schenk AktG § 104 Rn. 33). In der obergerichtlichen Rechtsprechung hat sich ersichtlich nur das OLG Köln mit eine rückwirkend aufschiebenden Bestellung befasst und diese abgelehnt (OLG Köln FGPrax 2011, 153), insbesondere da das Auswahlermessen des Registergerichts hierdurch unzulässig beeinträchtigt würde. Dem schließt sich der Senat an. Da eine solche aufschiebende rückwirkende Bestellung nur dann zu dem gewünschten Ziel einer durchgängigen, gleichbleibenden und rechtssicheren Besetzung des Aufsichtsrats führt, wenn genau diejenigen Personen bestellt werden, deren Wahl angefochten ist, würde dies für die Entscheidung des Registergerichts eine Ermessensreduzierung auf Null voraussetzen. Dies ist allerdings grundsätzlich abzulehnen, da das Gericht seine Entscheidung grundsätzlich ohne Bindung an den Antrag der Beteiligten nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen hat (OLG München FGPrax 2006, 228). Hierbei sind die gesetzlichen Vorgaben nach § 104 Abs. 4 AktG zu berücksichtigen, was unter Umständen auch das Erfordernis einer Anhörung weiterer Beteiligter (z.B. Betriebsrat oder Gewerkschaften) mit der möglichen Folge abweichender Anträge und auch einer abweichenden Bewertung der Eignung der vorgeschlagenen Personen zur Folge haben kann (BeckOGK/Spindler AktG § 104 Rn. 48; Grigoleit/Grigoleit/Tomasic AktG § 104 Rn. 15 und Rn. 22). Dem Registergericht müsste bei einer Ermessensreduzierung auf Null dagegen möglicherweise Personen bestellen, an deren Eignung erhebliche Zweifel bestehen. Dies wiederum würde wohl kaum den Interessen der Gesellschaft dienen. Eine Forderung dahingehend, dass in der vorliegenden Konstellation eine Prüfung der Eignung der vorgeschlagenen Personen überhaupt nicht stattzufinden habe, wäre wiederum mit den gesetzlichen Vorgaben nicht vereinbar.
Entscheidend gegen die Möglichkeit einer rückwirkenden Bestellung spricht nach Auffassung des Senats ferner, dass dies letztendlich jegliche Wahlanfechtungsklage entwerten würde, die richterliche Bestellung wäre dann als verkappte Einführung der Lehre vom fehlerhaft bestellten Organ anzusehen (Florstedt NZG 2014, 681/685 f.). Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass es Ergebnis dieser Auffassung wäre, dass die Anfechtungsklage zumindest bei der Rüge aller rein formalen Fehler bedeutungslos wird. Dies läuft auf eine Aushöhlung der Rechte des Aktionärs hinaus und ist mit der Argumentation des BGH, eine begründete Anfechtungsklage dürfe nicht ins Leere laufen nicht zu vereinbaren (Gasteyer in: Semler/v.Schenk AktG § 104 Rn. 33). Entsprechendes gilt auch für den hier vorliegenden Fall einer Anfechtung nach § 22 MitbestG. Insofern kann dahinstehen, ob eine ex-tunc wirkende Bestellung nicht ohnehin gegen die grundsätzliche gesetzliche Konzeption der Rückwirkung im Rahmen von Rechtsgeschäften verstoßen würde (vgl. Brock NZG 2014, 641/645) und ob eine aufschiebend bedingte (und auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung rückwirkende) Tenorierung im Bereich des FamFG ohne eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage prozessrechtlich zulässig wäre.
3. Auch die Beschwerde gegen die Ablehnung der beantragten gerichtlichen Bestellung des Vorsitzenden des Aufsichtsrats und seines Stellvertreters bleibt im Ergebnis ohne Erfolg. Hinsichtlich des Antrags auf gerichtliche Bestellung des Herrn H.G. zum stellvertretenden Vorsitzenden des Aufsichtsrates scheitert dies bereits daran, dass der Antrag nur für den Fall seiner (ggf. aufschiebend bedingten) gerichtlichen Bestellung zum Mitglied des Aufsichtsrats gestellt wurde. Nachdem eine gerichtliche Bestellung von Herrn H.G. zum Mitglied des Aufsichtsrats aus den oben genannten Gründen abzulehnen war, ist die ansonsten innerprozessual zulässige Bedingung nicht eingetreten.
Zutreffend wendet sich die Beschwerde im Übrigen allerdings gegen die Begründung des Registergerichts, dass der Antrag aus den gleichen Gründen abzulehnen wäre, wie der Antrag auf Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder. Zu prüfen wäre hier, ob für den konkreten Sachverhalt der unterlassenen Wahl eines stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden eine analoge Anwendung des § 104 Abs. 2 AktG dahingehend möglich ist, sowohl den Vorsitzenden des Aufsichtsrats als auch dessen Stellvertreter gerichtlich zu bestellen (vgl. hierzu MüKoAktG/Habersack 5. Aufl. <2019> § 107 Rn. 26; Hölters/Hambloch-Gesinn/Gesinn AktG 3. Aufl. <2017> § 107 Rn. 15). Gegebenenfalls wären zu dem Antrag noch sämtliche Mitglieder des Aufsichtsrats anzuhören. Eine Entscheidung über die gerichtliche Bestellung kann aber ansonsten unabhängig von der Ablehnung des Antrags auf Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder erfolgen. Bei der Anfechtung der Wahl der Arbeitnehmervertreter und der unterbliebenen Wahl eines stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden handelt es sich um voneinander unabhängige Sachverhalte.
Es kann hier allerdings dahinstehen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine gerichtliche Bestellung des Vorsitzenden des Aufsichtsrats bzw. des stellvertretenden Vorsitzenden in analoger Anwendung des § 104 Abs. 2 AktG möglich ist. Es kann auch dahinstehen, ob eine solche gerichtliche Ersatzbestellung sich auch auf Fälle wie vorliegend erstreckt, in denen die gewählten Aufsichtsratsmitglieder pflichtwidrig keine Wahl vornehmen (ablehnend Mutter in: Semler/v.Schenck Der Aufsichtsrat 1. Aufl. <2015> AktG § 107 Rn. 36). Jedenfalls ist der vorliegende Antrag der Vorstandsmitglieder mangels Antragsbefugnis abzulehnen. Die Bestellung eines Vorsitzenden und des Stellvertreters ist internes Organisationsrecht des Organs Aufsichtsrat (BeckOGK/Spindler Stand: 19.10.2020 AktG § 107 Rn. 32). Die Antragsbefugnis steht daher allenfalls den Mitgliedern des Aufsichtsrats zu, da weder Vorstandsmitglieder noch Aktionäre das Recht haben, in die Organisationshoheit des Aufsichtsrats einzugreifen (Fett/Theusinger AG 2010, 425/427).
4. Die zulässige Beschwerde gegen den vom Registergericht festgesetzten Geschäftswert ist unbegründet.
a) Der Senat hat bereits entschieden, dass für die Bestellung mehrerer Aufsichtsratsmitglieder einer Gesellschaft nach § 104 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 2 AktG der Geschäftswert im Sinne des § 67 Abs. 1 Nr. 1 GNotKG (60.000 €) weder nach der Anzahl der bestellten Aufsichtsratsmitglieder zu vervielfachen ist, noch der Geschäftswert für das Verfahren unabhängig von der Anzahl der zu bestellenden Personen stets mit 60.000 € zu bemessen ist (Senat vom 15.02.2018 31 Wx 222/17 = NZG 2018, 792). Maßgeblich ist darauf abzustellen, ob die Voraussetzungen des § 67 Abs. 3 GNotKG für eine von dem Regelgeschäftswert abweichende Festsetzung des Geschäftswerts vorliegen. Hieran wird festgehalten.
b) Die Voraussetzungen des § 67 Abs. 3 GNotKG für eine abweichende Festsetzung des Geschäftswerts liegen hier vor. Die Anwendung der Ausnahmeregel kommt dann in Betracht, wenn eine Sache aufgrund des Arbeitsaufwands des Gerichts und der Beteiligten, etwa aufgrund des Umfangs oder der Schwierigkeit der Sache besonders deutlich von einem nach der gesetzlichen Regelung durchschnittlichen Verfahren abweicht (Korintenberg/Klüsener GNotKG 21. Aufl. <2020> § 67 Rn. 16a). Bereits der Antrag auf Bestellung mehrerer Aufsichtsratsmitglieder in einem Verfahren kann „besondere Umstände“ im Sinne des § 67 Abs. 3 GNotKG darstellen, da die Gebühren und der diesen zugrunde liegende Geschäftswert (auch) der Mühewaltung der Gerichte Rechnung zu tragen haben (Senat a.a.O.; KG BeckRS 2016, 00032; BayObLG NZG 2000, 647/648) und die Eignung sämtlicher Personen zu prüfen ist. Vorliegend kommt hinzu, dass sowohl über den Hauptantrag, als auch den Hilfsantrag zu entscheiden war, die jeweils gesonderte Rechtsschutzziele verfolgten und jeweils einer eigenständigen vertieften rechtlichen Prüfung bedurften. Ferner wurde unabhängig davon noch die Bestellung des Vorsitzenden des Aufsichtsrates und dessen Stellvertreter beantragt. Demgemäß ist auch nach Auffassung des Senats der Pauschalwert im Sinne des § 67 Abs. 1 Nr. 1 GNotKG gemäß § 67 Abs. 3 GNotKG deutlich zu erhöhen. In Anbetracht der genannten Umstände ist der vom Registergericht festgesetzte Geschäftswert von 120.000 € nicht zu beanstanden und wird auch vom Senat als angemessen erachtet.
III.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren war gemäß § 61 GNotKG ebenfalls auf 120.000 € festzusetzen.
IV.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.