EuGH: Keine Verpflichtung Einzelner durch Bezugnahme auf Marktanalyse-Leitlinien der Kommission im EU-Amtsblatt
EuGH, Urteil vom 12.5.2011 - C-410/09 Polska Telefonia Cyfrowa sp. z o. o. gegen Prezes Urzędu Komunikacji Elektronicznej
Tenor
Art. 58 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge ist dahin gehend auszulegen, dass er es einer nationalen Regulierungsbehörde nicht verbietet, sich in einer Entscheidung, mit der sie einem Betreiber von Diensten der elektronischen Kommunikation bestimmte Verpflichtungen auferlegt, auf die Leitlinien der Kommission zur Marktanalyse und Ermittlung beträchtlicher Marktmacht nach dem gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste zu beziehen, ungeachtet dessen, dass diese Leitlinien im Amtsblatt der Europäischen Union nicht in der Sprache des fraglichen Mitgliedstaats veröffentlicht worden sind, obwohl diese Sprache eine Amtssprache der Union ist.
Aus den Gründen
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Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 58 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. 2003, L 236, S. 33, im Folgenden: Beitrittsakte von 2003).
2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Polska Telefonia Cyfrowa sp. z o. o. (im Folgenden: PTC) und dem Prezes Urzędu Komunikacji Elektronicznej (Präsident des Amtes für elektronische Kommunikation, im Folgenden: Prezes) über bestimmte Verpflichtungen, die PTC durch den Prezes auferlegt wurden.
Rechtlicher Rahmen
Die Beitrittsakte von 2003
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Art. 2 der Beitrittsakte von 2003 lautet:
„Ab dem Tag des Beitritts sind die ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe und der Europäischen Zentralbank für die neuen Mitgliedstaaten verbindlich und gelten in diesen Staaten nach Maßgabe der genannten Verträge und dieser Akte."
4
Art. 58 der Beitrittsakte von 2003 bestimmt:
„Die vor dem Beitritt erlassenen und vom Rat, der Kommission oder der Europäischen Zentralbank in tschechischer, estnischer, ungarischer, lettischer, litauischer, maltesischer, polnischer, slowakischer und slowenischer Sprache abgefassten Rechtsakte der Organe und der Europäischen Zentralbank sind vom Tag des Beitritts an unter den gleichen Bedingungen wie die Wortlaute in den elf derzeitigen Sprachen verbindlich. Sie werden im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht, sofern die Wortlaute in den derzeitigen Sprachen auf diese Weise veröffentlicht worden sind."
Die Verordnung Nr. 1
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Nach Art. 1 der Verordnung Nr. 1 des Rates vom 15. April 1958 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. 1958, Nr. 17, S. 385) in der Fassung der Beitrittsakte von 2003 sind die Amtssprachen der Union:
„Dänisch, Deutsch, Englisch, Estnisch, Finnisch, Französisch, Griechisch, Italienisch, Lettisch, Litauisch, Maltesisch, Niederländisch, Polnisch, Portugiesisch, Schwedisch, Slowakisch, Slowenisch, Spanisch, Tschechisch und Ungarisch".
6
Art. 4 der Verordnung Nr. 1 bestimmt:
„Verordnungen und andere Schriftstücke von allgemeiner Geltung werden in den zwanzig Amtssprachen abgefasst."
7
In Art. 5 der Verordnung Nr. 1 heißt es:
„Das Amtsblatt der Europäischen Union erscheint in den zwanzig Amtssprachen."
8
Art. 8 der Verordnung Nr. 1 sieht vor:
„Hat ein Mitgliedstaat mehrere Amtssprachen, so bestimmt sich der Gebrauch der Sprache auf Antrag dieses Staates nach den auf seinem Recht beruhenden allgemeinen Regeln."
Die Richtlinie 2002/21/EG
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Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste (Rahmenrichtlinie) (ABl. L 108, S. 33) lautet:
„Mit dieser Richtlinie wird ein harmonisierter Rahmen für die Regulierung elektronischer Kommunikationsdienste und Kommunikationsnetze sowie zugehöriger Einrichtungen und zugehöriger Dienste vorgegeben. Sie legt die Aufgaben der nationalen Regulierungsbehörden sowie eine Reihe von Verfahren fest, die die [unions]weit harmonisierte Anwendung des Rechtsrahmens gewährleisten."
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Art. 15 der Richtlinie 2002/21, der das Marktdefinitionsverfahren betrifft, bestimmt in seinen Abs. 1 bis 3:
„(1) Nach Anhörung der Öffentlichkeit und der nationalen Regulierungsbehörden erlässt die Kommission eine Empfehlung in Bezug auf relevante Produkt‑ und Dienstmärkte (nachstehend ‚Empfehlung‘ genannt). In der Empfehlung werden gemäß Anhang I der vorliegenden Richtlinie diejenigen Märkte für elektronische Kommunikationsprodukte und ‑dienste aufgeführt, deren Merkmale die Auferlegung der in den Einzelrichtlinien dargelegten Verpflichtungen rechtfertigen können, und zwar unbeschadet der Märkte, die in bestimmten Fällen nach dem Wettbewerbsrecht definiert werden können. Die Kommission definiert die Märkte im Einklang mit den Grundsätzen des Wettbewerbsrechts.
Die Empfehlung wird regelmäßig von der Kommission überprüft.
(2) Die Kommission veröffentlicht spätestens zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie Leitlinien zur Marktanalyse und zur Bewertung beträchtlicher Marktmacht (nachstehend ‚Leitlinien‘ genannt), die mit den Grundsätzen des Wettbewerbsrechts in Einklang stehen müssen.
(3) Die nationalen Regulierungsbehörden legen unter weitestgehender Berücksichtigung der Empfehlung und der Leitlinien die relevanten Märkte entsprechend den nationalen Gegebenheiten - insbesondere der innerhalb ihres Hoheitsgebiets relevanten geografischen Märkte - im Einklang mit den Grundsätzen des Wettbewerbsrechts fest. Bevor Märkte definiert werden, die von denen in der Empfehlung abweichen, wenden die nationalen Regulierungsbehörden die in den Artikeln 6 und 7 genannten Verfahren an."
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Art. 16 („Marktanalyseverfahren") der Richtlinie 2002/21 sieht in seinen Abs. 1 bis 5 vor:
„(1) Sobald wie möglich nach der Verabschiedung der Empfehlung oder deren etwaiger Aktualisierung führen die nationalen Regulierungsbehörden unter weitestgehender Berücksichtigung der Leitlinien eine Analyse der relevanten Märkte durch. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden gegebenenfalls an dieser Analyse beteiligt werden.
(2) Wenn eine nationale Regulierungsbehörde gemäß den Artikeln 16, 17, 18 oder 19 der Richtlinie 2002/22/EG (Universaldienstrichtlinie) oder nach Artikel 7 oder Artikel 8 der Richtlinie 2002/19/EG (Zugangsrichtlinie) feststellen muss, ob Verpflichtungen für Unternehmen aufzuerlegen, beizubehalten, zu ändern oder aufzuheben sind, ermittelt sie anhand der Marktanalyse gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels, ob auf einem relevanten Markt wirksamer Wettbewerb herrscht.
(3) Kommt eine nationale Regulierungsbehörde zu dem Schluss, dass dies der Fall ist, so erlegt sie weder eine der spezifischen Verpflichtungen nach Absatz 2 auf noch behält sie diese bei. Wenn bereits bereichsspezifische Verpflichtungen bestehen, werden sie für die Unternehmen auf diesem relevanten Markt aufgehoben. Den betroffenen Parteien ist die Aufhebung der Verpflichtungen innerhalb einer angemessenen Frist im Voraus anzukündigen.
(4) Stellt eine nationale Regulierungsbehörde fest, dass auf einem relevanten Markt kein wirksamer Wettbewerb herrscht, so ermittelt sie Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht auf diesem Markt gemäß Artikel 14 und erlegt diesen Unternehmen geeignete spezifische Verpflichtungen nach Absatz 2 des vorliegenden Artikels auf bzw. ändert diese oder behält diese bei, wenn sie bereits bestehen.
(5) Im Falle länderübergreifender Märkte, die in der Entscheidung nach Artikel 14 Absatz 4 festgelegt wurden, führen die betreffenden nationalen Regulierungsbehörden gemeinsam die Marktanalyse unter weitestgehender Berücksichtigung der Leitlinien durch und stellen einvernehmlich fest, ob in Absatz 2 des vorliegenden Artikels vorgesehene spezifische Verpflichtungen aufzuerlegen, beizubehalten, zu ändern oder aufzuheben sind."
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In Anwendung von Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie 2002/21 hat die Kommission die Leitlinien zur Marktanalyse und Ermittlung beträchtlicher Marktmacht nach dem gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste (ABl. 2002, C 165, S. 6, im Folgenden: Leitlinien von 2002) erlassen.
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
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PTC ist einer der wichtigsten Telekommunikationsbetreiber in Polen.
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Am 17. Juli 2006 gelangte der Prezes zu der Auffassung, dass PTC über eine beträchtliche Marktmacht auf dem Markt für Anrufzustellungsdienste verfüge, und entschied, diesem Unternehmen bestimmte Verpflichtungen aufzuerlegen.
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Die Klage von PTC gegen diese Entscheidung des Prezes blieb in erster und zweiter Instanz erfolglos. Im Rahmen eines beim vorlegenden Gericht eingelegten Rechtsmittels trägt PTC vor, dass die Leitlinien von 2002, auf die diese Entscheidung gestützt sei, ihr nicht entgegengehalten werden könnten, da sie im Amtsblatt der Europäischen Union nicht in polnischer Sprache veröffentlicht gewesen seien.
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Der Sąd Najwyższy ist sich nicht sicher, welche Konsequenzen aus dieser fehlenden Veröffentlichung zu ziehen sind.
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Er weist darauf hin, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass Art. 58 der Beitrittsakte von 2003 es nicht gestattet, dass Verpflichtungen in einer Gemeinschaftsregelung, die nicht im Amtsblatt der Europäischen Union in der Sprache eines neuen Mitgliedstaats veröffentlicht worden ist, obwohl diese Sprache eine Amtssprache der Europäischen Union ist, Einzelnen in diesem Staat auferlegt werden, auch wenn sie auf anderem Wege Kenntnis von dieser Regelung hätten nehmen können (Urteile vom 11. Dezember 2007, Skoma-Lux, C‑161/06, Slg. 2007, I‑10841, Randnrn. 57 bis 59, und vom 4. Juni 2009, Balbiino, C‑560/07, Slg. 2009, I‑4447, Randnr. 30).
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Aufgrund dieser Rechtsprechung nimmt das vorlegende Gericht an, dass die polnischen Telekommunikationsunternehmen schlechter gestellt seien als die Unternehmen, die in anderen Mitgliedstaaten als der Republik Polen ansässig seien und von den Leitlinien in der jeweiligen Amtssprache dieser Staaten Kenntnis nehmen könnten.
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Das vorlegende Gericht fragt sich, ob mit der in Randnr. 51 des Urteils Skoma-Lux verwendeten Formulierung „Verpflichtungen in einer Gemeinschaftsregelung" ausschließlich auf Verordnungen und Entscheidungen abgestellt wird, die von Natur aus Verpflichtungen für die Einzelnen begründen, oder ob sie sich auch auf andere Maßnahmen der Unionsorgane erstreckt, die sich auf die Rechte oder die Pflichten der Einzelnen auswirken, die in Bestimmungen des nationalen Rechts geregelt sind, mit denen Gemeinschaftsrichtlinien umgesetzt werden. Es weist insoweit darauf hin, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 10. März 2009, Heinrich (C‑345/06, Slg. 2009, I‑1659), den Begriff der „Gemeinschaftsregelung" anscheinend so weit ausgelegt habe, dass alle Maßnahmen der Unionsorgane davon erfasst sein könnten. Außerdem scheine aus dem Urteil vom 21. Juni 2007, ROM-projecten (C‑158/06, Slg. 2007, I‑5103), hervorzugehen, dass nicht nur die Rechtsakte der Union, mit denen den Einzelnen Verpflichtungen auferlegt würden, veröffentlicht werden müssten, sondern dass eine Veröffentlichung bereits dann geboten sei, wenn ein Mitgliedstaat mit einer Maßnahme verpflichtet werde, eine konkrete Handlung gegenüber Einzelnen vorzunehmen.
20
Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die Leitlinien von 2002 berechtigte rechtliche Erwartungen bei den Personen begründeten, deren Situation vom Anwendungsbereich dieser Leitlinien erfasst werde. Außerdem gehe ihr Erlass unmittelbar auf eine in Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie 2002/21 vorgesehene Verpflichtung zurück. Art. 15 Abs. 3 und Art. 16 Abs. 1 dieser Richtlinie schrieben sowohl bei der Festlegung der relevanten Märkte als auch bei ihrer Analyse eine „weitestgehende Berücksichtigung" der Leitlinien durch die nationalen Regulierungsbehörden vor.
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Unter diesen Umständen hat der Sąd Najwyższy beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ermöglicht es Art. 58 der Beitrittsakte von 2003, sich gegenüber in einem Mitgliedstaat ansässigen Einzelnen auf die Leitlinien von 2002 zu berufen, die die nationale Regulierungsbehörde nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2002/21 bei der Analyse der relevanten Märkte so weit wie möglich zu berücksichtigen hat, wenn diese Leitlinien im Amtsblatt der Europäischen Union nicht in der Sprache dieses Staates veröffentlicht worden sind und die betreffende Sprache eine Amtssprache der Europäischen Union ist?
Zur Vorlagefrage
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Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 58 der Beitrittsakte von 2003 dahin auszulegen ist, dass er es einer nationalen Regulierungsbehörde nicht gestattet, sich in einer Entscheidung, mit der sie einem Betreiber von Diensten der elektronischen Kommunikation bestimmte Verpflichtungen auferlegt, auf die Leitlinien von 2002 zu beziehen, wenn diese Leitlinien im Amtsblatt der Europäischen Union nicht in der Sprache des fraglichen Mitgliedstaats veröffentlicht worden sind, obwohl diese Sprache eine Amtssprache der Union ist.
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Im Hinblick auf die Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass nach einem grundlegenden Prinzip der Unionsrechtsordnung ein hoheitlicher Rechtsakt den Bürgern nicht entgegengehalten werden darf, bevor sie die Möglichkeit haben, von diesem Rechtsakt Kenntnis zu nehmen (Urteil vom 25. Januar 1979, Racke, 98/78, Slg. 1979, 69, Randnr. 15).
24
Außerdem ergibt sich aus Art. 2 der Beitrittsakte von 2003, dass die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe für die neuen Mitgliedstaaten verbindlich sind und in diesen Staaten ab dem Tag des Beitritts gelten. Ob sie gegenüber natürlichen und juristischen Personen in diesen Staaten anwendbar sind, hängt jedoch von den allgemeinen Bedingungen der Umsetzung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten ab, wie sie in den ursprünglichen Verträgen und für die neuen Mitgliedstaaten in der Beitrittsakte von 2003 selbst vorgesehen sind (Urteil Skoma-Lux, Randnr. 32).
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Was Verordnungen des Rates und der Kommission sowie Richtlinien dieser Organe betrifft, die an alle Mitgliedstaaten gerichtet sind, ergibt sich aus Art. 254 Abs. 2 EG, dass diese Rechtsakte nur dann Rechtswirkungen erzeugen können, wenn sie im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Skoma-Lux, Randnr. 33).
26
Zudem dürfen diese Rechtsakte gegenüber natürlichen und juristischen Personen in einem Mitgliedstaat nicht angewandt werden, bevor diese die Möglichkeit hatten, von ihnen durch eine ordnungsgemäße Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union Kenntnis zu nehmen (Urteile Racke, Randnr. 15, und Skoma-Lux, Randnr. 37).
27
Die Beachtung dieser Grundsätze ist mit den gleichen Folgen geboten, wenn eine unionsrechtliche Regelung die Mitgliedstaaten verpflichtet, zu ihrer Durchführung Maßnahmen zu erlassen, mit denen den Einzelnen Verpflichtungen auferlegt werden. Nationale Maßnahmen, mit denen den Einzelnen in Durchführung einer unionsrechtlichen Regelung Verpflichtungen auferlegt werden, müssen daher veröffentlicht werden, damit die Betroffenen davon Kenntnis nehmen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Juni 2002, Mulligan u. a., C‑313/99, Slg. 2002, I‑5719, Randnrn. 51 und 52). In einer solchen Situation müssen die Betroffenen auch die Möglichkeit haben, sich über die Quelle der nationalen Maßnahmen zu informieren, mit denen ihnen Verpflichtungen auferlegt werden. Somit ist nicht nur die nationale Regelung zu veröffentlichen, sondern auch der Rechtsakt der Union, der die Mitgliedstaaten gegebenenfalls zum Erlass von Maßnahmen verpflichtet, mit denen den Einzelnen Verpflichtungen auferlegt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Heinrich, Randnrn. 45 bis 47).
28
Außerdem ergibt sich aus Art. 58 der Beitrittsakte von 2003 in Verbindung mit den Art. 4, 5 und 8 der Verordnung Nr. 1, dass unter einer ordnungsgemäßen Veröffentlichung einer Unionsverordnung im Fall eines Mitgliedstaats, dessen Sprache eine Amtssprache der Union ist, die Veröffentlichung des Rechtsakts im Amtsblatt der Europäischen Union in dieser Sprache zu verstehen ist (Urteil Skoma-Lux, Randnr. 34).
29
Daher hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 58 der Beitrittsakte von 2003 es nicht gestattet, dass Verpflichtungen in einer Unionsregelung, die nicht im Amtsblatt der Europäischen Union in der Sprache eines neuen Mitgliedstaats veröffentlicht worden ist, obwohl diese Sprache eine Amtssprache der Union ist, Einzelnen in diesem Staat auferlegt werden, auch wenn sie auf anderem Wege Kenntnis von dieser Regelung hätten nehmen können (Urteile Skoma-Lux, Randnr. 51, und Balbiino, Randnr. 30).
30
Im Licht der in den Randnrn. 23 bis 29 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Rechtsprechung, die durch die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Nichtdiskriminierung geleitet wird, ist zu prüfen, ob die Leitlinien von 2002 ihrem Inhalt nach den Einzelnen Verpflichtungen auferlegen. Sollte dies der Fall sein, könnten diese Leitlinien gegenüber den Einzelnen in Polen nicht angewandt werden, weil sie im Amtsblatt der Europäischen Union nicht in polnischer Sprache veröffentlicht worden sind.
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Die Art. 15 und 16 der Richtlinie 2002/21, die ausdrücklich an die nationalen Regulierungsbehörden gerichtet sind, bilden die Rechtsgrundlage für die Leitlinien von 2002. Diese Leitlinien bieten den nationalen Regulierungsbehörden eine Orientierung, wenn sie die relevanten Märkte festlegen und analysieren, um zu bestimmen, ob sie einer Vorabregulierung unterworfen werden sollen. Nach Randnr. 1 der Leitlinien von 2002 werden in diesen nämlich die Grundsätze beschrieben, die die nationalen Regulierungsbehörden bei der Analyse der Märkte und der Wirksamkeit des Wettbewerbs nach dem gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikation zugrunde legen sollen. Auch in Randnr. 6 dieser Leitlinien wird darauf hingewiesen, dass sie die nationalen Regulierungsbehörden bei der Wahrnehmung ihrer neuen Verantwortung im Hinblick auf die Marktdefinition und die Feststellung von beträchtlicher Marktmacht unterstützen sollen (Urteil vom 3. Dezember 2009, Kommission/Deutschland, C‑424/07, Slg. 2009, I‑11431, Randnrn. 75 und 76).
32
Die Leitlinien von 2002 enthalten in ihren ersten drei Abschnitten eine zusammenfassende Darstellung der Methoden und Kriterien, die für die Marktdefinition, die Würdigung beträchtlicher Marktmacht und die Bestimmung von Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht von Nutzen sind. Es handelt sich im Wesentlichen um einen Überblick über die einschlägige Rechtsprechung, die durch eine kurze Darstellung von drei im Amtsblatt der Europäischen Union in polnischer Sprache veröffentlichten Mitteilungen der Kommission ergänzt wird, nämlich die Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft (ABl. 1997, C 372, S. 5, Sonderausgabe des Amtsblatts der Europäischen Union in polnischer Sprache, Kapitel 8, Band 1, S. 155), die Leitlinien für die Anwendung der EG-Wettbewerbsregeln im Telekommunikationssektor (ABl. 1991, C 233, S. 2, Sonderausgabe des Amtsblatts der Europäischen Union in polnischer Sprache, Kapitel 8, Band 1, S. 43) und die Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Zugangsvereinbarungen im Telekommunikationsbereich (ABl. C 265, S. 2, Sonderausgabe des Amtsblatts der Europäischen Union in polnischer Sprache, Kapitel 8, Band 1, S. 255).
33
Die drei letzten Abschnitte beziehen sich unmittelbarer auf die Durchführung der Richtlinie 2002/21. Mit dem vierten Abschnitt („Auferlegung, Beibehaltung, Änderung oder Aufhebung von Verpflichtungen im Sinne des Rechtsrahmens") wird bezweckt, den nationalen Regulierungsbehörden Leitlinien zu den Maßnahmen an die Hand zu geben, die im Anschluss an die Analyse, ob auf dem Markt Wettbewerb herrscht, zu ergreifen sind. Der fünfte und der sechste Abschnitt betreffen zum einen die Untersuchungsbefugnisse und die Verfahren der Zusammenarbeit zum Zweck der Marktanalyse und zum anderen die Konsultationsverfahren und die Veröffentlichung der Entscheidungsentwürfe der nationalen Regulierungsbehörden. Neben einem Hinweis auf die relevanten Vorschriften des anwendbaren Rechtsrahmens soll mit diesen drei Abschnitten die Funktionsweise der Mechanismen der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Regulierungsbehörden, den nationalen Wettbewerbsbehörden und der Kommission präzisiert werden.
34
Daraus ergibt sich, dass die Leitlinien von 2002 keine Verpflichtung enthalten, die unmittelbar oder mittelbar Einzelnen auferlegt werden könnte. Daher schließt es die fehlende Veröffentlichung dieser Leitlinien im Amtsblatt der Europäischen Union in polnischer Sprache nicht aus, dass die nationale Regulierungsbehörde der Republik Polen in einer an einen Einzelnen gerichteten Entscheidung darauf Bezug nimmt.
35
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass diese Leitlinien im Jahr 2002 in der Reihe „C" des Amtsblatts der Europäischen Union veröffentlicht wurden. Anders als in der Reihe „L" des Amtsblatts sollen in der Reihe „C" keine rechtlich verbindlichen Rechtsakte, sondern nur Informationen, Empfehlungen und Stellungnahmen betreffend die Union veröffentlicht werden.
36
PTC meint nichtsdestoweniger, dass die Leitlinien, da sie im Jahr 2002 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht worden seien, nach Art. 58 der Beitrittsakte von 2003 auch in den Amtssprachen der neuen Mitgliedstaaten, u. a. in polnischer Sprache, hätten veröffentlicht werden müssen.
37
Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass Art. 58 der Beitrittsakte von 2003 den Rat, die Kommission oder die Europäische Zentralbank nicht dazu verpflichtet, alle vor dem Beitritt der neuen Mitgliedstaaten erlassenen Rechtsakte der Organe und der Europäischen Zentralbank in die in diesem Artikel aufgelisteten neun neuen Sprachen zu übersetzen. In diesem Artikel, in dem die Sprachenregelung und die Voraussetzungen hinsichtlich der Veröffentlichung von Rechtsakten niedergelegt sind, die die Organe und die Europäische Zentralbank vor dem Beitritt erlassen haben, ist nämlich lediglich vorgesehen, dass unter diesen Rechtsakten allein diejenigen, die in den Sprachen der neuen Mitgliedstaaten, die Amtssprachen der Union sind, abgefasst wurden, vom Tag des Beitritts an unter den gleichen Bedingungen wie die Wortlaute in den anderen Amtssprachen verbindlich sind und im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden, sofern die Wortlaute in den anderen Sprachen auf diese Weise veröffentlicht worden sind. Dieser Artikel impliziert daher, dass die Mitgliedstaaten und die Organe eine Auswahl hinsichtlich der Rechtsakte vornehmen, die im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden sollen, und schließt es nicht aus, dass bestimmte Rechtsakte unveröffentlicht bleiben können. Folglich war nach Art. 58 der Beitrittsakte von 2003 die Veröffentlichung der Leitlinien von 2002 im Amtsblatt in einer polnischen Sprachfassung nicht geboten.
38
Im Übrigen ist hervorzuheben, dass der Gerichtshof die Existenz eines allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts, wonach alles, was die Interessen eines Unionsbürgers berühren könnte, unter allen Umständen in seiner Sprache abzufassen wäre, bereits verneint hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. September 2003, Kik/HABM, C‑361/01 P, Slg. 2003, I‑8283, Randnrn. 82 und 83).
39
Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art. 58 der Beitrittsakte von 2003 dahin gehend auszulegen ist, dass er es einer nationalen Regulierungsbehörde nicht verbietet, sich in einer Entscheidung, mit der sie einem Betreiber von Diensten der elektronischen Kommunikation bestimmte Verpflichtungen auferlegt, auf die Leitlinien von 2002 zu beziehen, ungeachtet dessen, dass diese Leitlinien im Amtsblatt der Europäischen Union nicht in der Sprache des fraglichen Mitgliedstaats veröffentlicht worden sind, obwohl diese Sprache eine Amtssprache der Union ist.
Kosten
40
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.