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Wirtschaftsrecht
05.10.2023
Wirtschaftsrecht
OLG Frankfurt a. M.: Keine Erstattung von Patentanwaltskosten in Markensache

OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 21.8.2023 – 6 W 24/20

ECLI:DE:OLGHE:2023:0821.6W24.20.00

Volltext: BB-Online BBL2023-2306-6

unter www.betriebs-berater.de

Amtliche Leitsätze

Die Beauftragung eines Patentanwalts in einer Markensache, in der der Rechtbestand streitig ist, absolute Schutzhindernisse behauptet werden und die rechtserhaltende Benutzung bestritten wird, ist nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich, da diese Themen von einem Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz bearbeitet werden können.

§ 91 ZPO, § 140 Abs 4 MarkenG

Sachverhalt

    I.

Die Parteien haben markenrechtliche Unterlassungs- und Folgeansprüche gestritten. Der Senat hat durch Urteil vom 08.11.2018 die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die Kosten dem Beklagten auferlegt. In einem außergerichtlichen Vergleich haben die Parteien eine abschließende Regelung auch im Hinblick auf die Kostenerstattung getroffen, wonach die Beklagte zur Erstattung der bereits festgesetzten Kosten der zweiten Instanz in Höhe von 5.174,64 € verpflichtet ist.

Auf den Kostenfestsetzungsantrag des Klägers vom 07.10.2019 hat der Rechtspfleger des Landgerichts am 18.12.2019 die Kosten für die erste Instanz in Höhe von 7.831,98 € festgesetzt. Diese bestanden u.a. aus einer 1,3 Verfahrensgebühr für Rechts- und Patentanwalt, einer 1,5 Terminsgebühr für den Rechtsanwalt und einer 0,5 Terminsgebühr für den Patentanwalt.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beklagten, der das Landgericht nicht abgeholfen hat. Der Beklagte ist der Auffassung, durch den Vergleich seien alle Ansprüche abgegolten. Zudem seien Patentanwaltskosten nicht erstattungsfähig.

Aus den Gründen

    II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache teilweise Erfolg. Die Kosten des Patentanwaltes waren nicht festzusetzen, währen die Festsetzung der übrigen Kosten keinen Bedenken begegnet.

1. Über die Beschwerde war gemäß § 568 ZPO durch den Einzelrichter zu entscheiden, da die in Satz 2 dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

2. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Beklagte mit seinem Einwand, die Parteien hätten durch einen außergerichtlichen Vergleich auf die Erstattung weiterer - also auch der erstinstanzlichen - Kosten verzichtet, nicht durchdringt.

Materiell-rechtliche Einwände gegen den Kostenerstattungsanspruch sind nach ständiger Rechtsprechung (unter anderem BGH NJW 2006, 1962 Rn. 4; NJW-RR 2007, 422 Rn. 8 f.) im Kostenfestsetzungsverfahren im Grundsatz nicht zu berücksichtigen. Nach seiner Ausgestaltung als Massenverfahren eignet es sich nicht, schwierige Rechtsfragen und streitige Tatsachen zu klären (BGH BeckRS 2014, 11507). Soweit es auf sie ankommt, ist der Kostenschuldner auf die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767) zu verweisen, wobei das Kostenfestsetzungsverfahren insoweit keinen Einwendungsausschluss gem. § 767 Abs. 2 begründen kann, oder auf den Rechtsbehelf gem. § 775 Nr. 4 und Nr. 5.

Ausnahme zu diesem Grundsatz leitet sich aus den Grundsätzen der Prozessökonomie und der prozessualen Gleichbehandlung her: Ein Erkenntnisverfahren, aber auch ein gesondertes Rechtsbehelfsverfahren erfordert einen ungleich größeren Aufwand als das Kostenfestsetzungsverfahren. Bedarf die Prüfung des Einwands keiner Aufklärung von Tatsachen, weil sie unstreitig, zugestanden (§ 288) oder offenkundig (§ 291), sprich unzweifelhaft sind, und lässt sich der Einwand mit den im Kostenfestsetzungsverfahren zur Verfügung stehenden Mitteln ohne Weiteres klären, ist es nicht zu rechtfertigen, den Einwand zu ignorieren;

(BeckOK ZPO/Jaspersen, 49. Ed. 1.7.2023, ZPO § 104 Rn. 29)

Zu beachten ist aber, dass nicht nur das Vorliegen der Tatsachen, sondern auch deren rechtliche Bewertung, soweit nicht gerade originäre Fragen des Kostenrechts zu klären sind, außer Streit stehen muss. So ist es etwa nicht Aufgabe des Rechtspflegers, über die Auslegung eines nur dem Wortlaut nach unstreitigen außergerichtlichen Vergleichs zu entscheiden (BAG NJW 2015, 2606 Rn. 14; MüKoZPO/Schulz, 6. Aufl. 2020, ZPO § 104 Rn. 35).

3. Der Beklagte hat allerdings mit seiner Beschwerde Erfolg, soweit er eine Absetzung der Kosten des Patentanwaltes begehrt.

a) Nach (bisher) herrschender und auch vom Senat vertretenen Meinung ist § 140 IV MarkenG zwar als eine unwiderlegliche gesetzliche Vermutung zu verstehen, welche gerade von der gem. § 91 I 1 ZPO erforderlichen Prüfung, ob die Mitwirkung eines Patentanwalts in einer Kennzeichenstreitsache zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig war, befreit (BGH GRUR 2020, 781 - EPA-Vertreter; BGH GRUR 2003, 639 - Kosten des Patentanwalts).

b) An diesem Verständnis hält der Senat angesichts des Urteils des EuGH (Beschluss vom 28.4.2022 - C-531/20, GRUR-RS 2022, 8633 - Kosten des Patentanwalts VI) und der sich anschließenden Rechtsprechung des BGH (GRUR 2023, 446 - Kosten des Patentanwalts VII; Beschl. v. 13.10.2022 - I ZB 12/20, GRUR-RS 2022, 43962) indes nicht mehr fest. Die Vorschrift des § 140 III MarkenG aF ist vielmehr mit Blick auf Art. 3 und Art. 14 RL 2004/48/EG dahingehend richtlinienkonform auszulegen, dass nur die Kosten der für die zweckentsprechende Rechtsverfolgung notwendigen patentanwaltlichen Mitwirkung erstattungsfähig sind.

aa) Nach Art. 3 I RL 2004/48/EG sehen die Mitgliedstaaten die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe vor, die zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, auf die diese Richtlinie abstellt, erforderlich sind. Diese Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe müssen fair und gerecht sein, außerdem dürfen sie nicht unnötig kompliziert oder kostspielig sein und keine unangemessenen Fristen oder ungerechtfertigten Verzögerungen mit sich bringen. Nach Art. 14 RL 2004/48/EG stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Prozesskosten und sonstigen Kosten der obsiegenden Partei in der Regel, soweit sie zumutbar und angemessen sind, von der unterlegenen Partei getragen werden, sofern Billigkeitsgründe dem nicht entgegenstehen. Nach Erwgr. 17 RL 2004/48/EG sollen die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe in jedem Einzelfall so bestimmt werden, dass den spezifischen Merkmalen dieses Falls, einschließlich der Sonderaspekte jedes Rechts an geistigem Eigentum und gegebenenfalls des vorsätzlichen oder nicht vorsätzlichen Charakters der Rechtsverletzung gebührend Rechnung getragen wird.

bb) Nach der Rechtsprechung des EuGH verlangt Art. 14 RL 2004/48/EG von den Mitgliedstaaten, die Erstattung der „zumutbaren“ Prozesskosten sicherzustellen. Die Mitgliedstaaten müssen dafür sorgen, dass die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe, die zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, auf die diese Richtlinie abstellt, erforderlich sind, nicht unnötig kostspielig sind (EuGH GRUR 2022, 853 Rn. 45 - NovaText, mwN) (EuGH GRUR 2022, 853 Rn. 46 - NovaText, mwN).

Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass die Frage, ob Kosten iSv Art. 14 RL 2004/48/EG „angemessen“ sind, nicht unabhängig von den Kosten beurteilt werden kann, die der obsiegenden Partei tatsächlich durch den Beistand eines Anwalts entstanden sind, sofern diese im vorstehend beschriebenen Sinne „zumutbar“ sind. Zwar bedeutet das Erfordernis der Angemessenheit nicht, dass die unterlegene Partei zwangsläufig sämtliche Kosten der obsiegenden Partei erstatten muss, es verlangt jedoch, dass dieser Anspruch auf die Erstattung wenigstens eines erheblichen und angemessenen Teils der ihr tatsächlich entstandenen zumutbaren Kosten hat (EuGH GRUR 2022, 853 Rn. 47-48 - NovaText, mwN).

Die Art. 3 und Art. 14 RL 2004/48/EG sind deshalb dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung oder einer Auslegung dieser Regelung entgegenstehen, die es dem mit einem unter diese Richtlinie fallenden Verfahren befassten Gericht nicht erlaubt, bei der Beurteilung, ob die der obsiegenden Partei entstandenen Prozesskosten zumutbar und angemessen sind, in jedem ihm vorgelegten Fall dessen spezifischen Merkmale gebührend zu berücksichtigen (EuGH GRUR 2022, 853 Rn. 55 - NovaText).

bb) An der bisher anerkannten Sichtweise, dass die Kosten der Mitwirkung eines Patentanwalts nach § 140 III MarkenG ohne Prüfung der Notwendigkeit erstattungsfähig sind, kann danach nicht festgehalten werden. Vielmehr erfordern die Art. 3 und Art. 14 RL 2004/48/EG eine richtlinienkonforme Auslegung dieser Vorschrift dergestalt, dass nur die Kosten einer notwendigen patentanwaltlichen Mitwirkung erstattungsfähig sind.

 (1) Die nationalen Gerichte müssen das innerstaatliche Recht mithilfe der anerkannten Auslegungsmethoden so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der einschlägigen Richtlinie auslegen, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen (vgl. Art. 288 III AEUV). Diese Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung betrifft das gesamte nationale Recht, unabhängig davon, ob es vor oder nach der Richtlinie, um die es geht, erlassen wurde (vgl. EuGH NZA 2021, 333 Rn. 65 u. 68 - M. V. ua; BGH GRUR 2020, 891 Rn. 53 = WRP 2020, 1009 - Cookie-Einwilligung II).

 (2) Mit dem Wortlaut des § 140 III MarkenG aF ist die Auslegung, dass nur Kosten der für die zweckentsprechende Rechtsverfolgung notwendigen Mitwirkung eines Patentanwalts erstattet verlangt werden können, vereinbar (vgl. auch Gruber MarkenR 2022, 254). Insbesondere kann aus dem Umstand, dass der Ersatz von Auslagen ausdrücklich an deren Notwendigkeit geknüpft ist, nicht hergeleitet werden, dass die Berücksichtigung der Notwendigkeit der patentanwaltlichen Mitwirkung ausscheidet.

 (3) Diese Auslegung des § 140 Abs. 3 MarkenG aF erfasst nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Auslegung nationalen Rechts den gesamten Anwendungsbereich der Vorschrift. Deshalb kann offenbleiben, ob es in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem im Inland ansässige Parteien um die Verletzung deutscher Marken streiten, an einem für die Anwendung der RL 2004/48/EG etwaig erforderlichen Bezug zum Binnenmarkt der Europäischen Union fehlt (BGH Beschl. v. 13.10.2022 - I ZB 12/20, GRUR-RS 2022, 43962 Rn. 27).

c) Ausgehend hiervon verbietet sich eine Auslegung des § 140 IV MarkenG als unwiderlegliche Vermutungsregelung mit der Folge einer „automatischen“ Auferlegung der Kosten, die durch die Mitwirkung eines Patentanwalts entstanden sind, auf die unterlegene Partei. § 140 IV MarkenG ist unionsrechtskonform vielmehr dahingehend auszulegen, dass unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls die Prüfung eröffnet ist, ob die der obsiegenden Partei entstandenen Patentanwaltskosten zumutbar und angemessen sind.

Die Zumutbarkeit der entstandenen Kosten beurteilt sich anhand der zu § 91 ZPO entwickelten Grundsätze. Maßgeblich ist demnach, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme im damaligen Zeitpunkt (ex ante) als sachdienlich ansehen durfte (zu § 91 ZPO: BGH NJW 2018, 1693; BGH GRUR 2017, 854 - Anwaltskosten im Gestattungsverfahren; BGH GRUR 2005, 271 - Unterbevollmächtigter III; BGH NJW-RR 2005, 725 mwN). Dies ist der Fall, wenn die Maßnahme zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung erforderlich bzw. notwendig war. Die Kostentragung einer in diesem Sinne notwendigen Maßnahme ist der unterlegenen Partei unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der Art. 3, 14 RL 2004/48/EG der zumutbar.

d) Anhand des Vorbringens des Klägers kann der Senat nicht feststellen, dass die mittels anwaltlicher Versicherung glaubhaft gemachte Mitwirkung des Patentanwalts aus ex ante Sicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung sachdienlich, sprich notwendig gewesen ist. Dem unterlegenen Beklagten sind deshalb die Kosten des Patentanwalts nicht aufzuerlegen.

Der Kläger hat zur Begründung der Erforderlichkeit der Mitwirkung des Patentanwalts vorgebracht, der Beklagte habe im vorliegenden Fall diverse Einwendungen gegen den Rechtsbestand der Klagemarken vorgebracht. Er habe zudem absolute Schutzhindernisse hinsichtlich der Klagemarken behauptet und die rechtserhaltende Benutzung bestritten.

Dies vermag die Erforderlichkeit der Beauftragung eines Patentanwaltes nicht zu begründen. In Kennzeichenstreitsachen im Sinne von § 140 MarkenG kann bezüglich der Erforderlichkeit auf die Rechtsprechung des BGH zur den außergerichtlichen Kosten des Patentanwaltes zurückgegriffen werden. Danach gehören zu Tätigkeiten, die zum typischen Arbeitsgebiet eines Patentanwalts zählen etwa Recherchen zum Registerstand oder zur Benutzungslage (BGH GRUR 2011, 754 - Kosten des Patentanwalts II, GRUR 2012, 756 - Kosten des Patentanwalts III). Allerdings hat der BGH die Erstattungsfähigkeit verneint, wenn die entsprechende Tätigkeit auch von dem bereits beauftragten Rechtsanwalt hätte vorgenommen werden können, was jedenfalls dann der Fall sei, wenn es sich um einen Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz handelt (BGH GRUR 2012, 759 - Kosten des Patentanwalts IV). Aber auch im Übrigen hat der BGH hervorgehoben, dass es bei Kennzeichenstreitsachen nicht um naturwissenschaftliche oder technische Sachverhalte gehe, sondern dass es vielmehr oft entbehrlich sein werde, zusätzlich zu einem Rechtsanwalt auch noch einen Patentanwalt zu beauftragen. Es gebe zahlreiche Rechtsanwälte, die über besondere Sachkunde im Kennzeichenrecht verfügen und in der Lage sind, Mandanten ohne Hinzuziehung eines Patentanwalts in kennzeichenrechtlichen Angelegenheiten umfassend zu beraten (BGH aaO, Kosten des Patentanwalts II). Der Umstand, dass sich bei der Sache um eine komplexe oder bedeutsame Angelegenheit handelt, reicht für sich genommen nicht aus, um das Erfordernis einer Mitwirkung eines Patentanwalts darzulegen (BGH aaO, Kosten des Patentanwalts III).

Ob die neue Rechtsprechung des BGH dazu führt, dass die Notwendigkeit der Erstattung von Patentanwaltskosten allenfalls noch bei rein technischen Sachverhalten in Betracht kommt, was zu einem fast völligen Ausschluss der Erstattungsfähigkeit in Markensachen führen würde (so Klett/Mikyska, WRP 2023, 804, 807) kann dahinstehen.

Die vom Kläger vorgebrachten Tätigkeiten des Patentanwalts sind jedenfalls solche, die auch der Prozessbevollmächtigte des Klägers als Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz hätte vornehmen können. Bei Fragen der rechtserhaltenden Benutzung, des Rechtsbestandes sowie der Schutzhindernisse handelt es sich um Themen, die ein Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz eigenständig bearbeiten können muss. Nach § 14h Nr. 3 der Fachanwaltsordnung umfasst die Fachanwaltschaft für gewerblichen Rechtsschutz auch das Recht der nationalen und europäischen Marken. Dieses umfasst als kleines 1x1 auch die vom Kläger angesprochenen markenrechtlichen Standardfragen.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 I, 97 ZPO.

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