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Wirtschaftsrecht
14.03.2024
Wirtschaftsrecht
BGH: Keine Ergänzung eines beschlussunfähigen Aufsichtsrats (hier: dauerhaft boykottierendes Aufsichtsratsmitglied)

BGH, Beschluss vom 9.1.2024 - II ZB 20/22

ECLI:DE:BGH:2024:090124BIIZB20.22.1

Volltext: BB-Online BBL2024-641-3

unter www.betriebs-berater.de

 

Amtlicher Leitsatz

Ein Aufsichtsrat, der wegen eines dauerhaft boykottierenden Aufsichtsratsmitglieds beschlussunfähig ist, kann nicht entsprechend § 104 Abs. 1 Satz 1 AktG ergänzt werden.

AktG § 103 Abs. 1, 3, § 104 Abs. 1 Satz 1I.

 

Sachverhalt

Die Antragsteller zu 1 und 2 sind Vorstandsmitglieder, die Antragsteller zu 3 und 4 sind Aufsichtsratsmitglieder der P.                AG, deren Aufsichtsrat nach § 9 Abs. 2 ihrer Satzung aus drei Mitgliedern besteht. Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 der Satzung ist der Aufsichtsrat nur beschlussfähig, wenn drei Mitglieder an der Beschlussfassung teilnehmen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht E.                      (1 HK O 56/21) traten die beiden Aktionäre der P.              AG, die H.                KG, deren Gesellschafter die Töchter der weiteren Beteiligten sind, und die B.                   KG unter Verzicht auf alle Form- und Fristvorschriften zu einer außerordentlichen Hauptversammlung zusammen und bestellten die weitere Beteiligte für die Dauer bis zum Ablauf derjenigen Hauptversammlung, die über den Jahresabschluss und die Entlastung für das vierte Jahr nach der Bestellung beschließt, zum Mitglied des Aufsichtsrats.

Die Antragsteller beantragten mit Schriftsatz vom 9. Februar 2022, Rechtsanwalt Prof. Dr.       L.     gemäß § 104 Abs. 1 AktG für die Dauer bis zur Bestellung eines neuen Aufsichtsratsmitglieds durch die Hauptversammlung als Ersatzaufsichtsratsmitglied der P.              AG für die weitere Beteiligte zu bestellen, da diese ihre Mitwirkung im Aufsichtsrat verweigere und dessen Beschlussunfähigkeit herbeiführe.

Das Amtsgericht - Registergericht - hat den Antrag zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Begehren weiter.

Aus den Gründen

II.

5          Das Beschwerdegericht (Thüringer OLG, BeckRS 2022, 53394) hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

 

6          Die Voraussetzungen für die Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds nach § 104 Abs. 1 AktG lägen nicht vor. Der Aufsichtsrat der P.                AG bestehe nach § 9 Abs. 2 der Satzung, § 95 Satz 1, 2 AktG aus drei Aufsichtsratsmitgliedern und sei zahlenmäßig nicht unterbesetzt, da ihm die weitere Beteiligte sowie die Antragsteller zu 3 und 4 angehörten.

 

7          Dem Fehlen eines Mitglieds gemäß § 104 Abs. 1 AktG sei die dauernde Amtsverhinderung gleichgestellt. Der auf Sicherung der Handlungs- und Funktionsfähigkeit gerichtete Zweck des § 104 Abs. 1 AktG gebiete die Anwendung der Vorschrift immer dann, wenn die Verhinderung so beschaffen sei, dass das Aufsichtsratsmitglied längerfristig nicht in der Lage sei, seiner Überwachungsaufgabe nachzukommen und bei Beschlussfassungen seine Stimme zumindest schriftlich abzugeben. Ein Aufsichtsratsmitglied sei aber nicht dauerhaft verhindert iSd § 104 Abs. 1 AktG, wenn es zur Verfolgung von Eigeninteressen die Mitwirkung an den Beschlussfassungen des Aufsichtsrats verweigere. Das Amt des verhinderten Aufsichtsratsmitglieds erlösche nicht, sondern ruhe nur bis zur Beendigung des Amts des ersatzweise gerichtlich bestellten Aufsichtsratsmitglieds. Nach § 104 Abs. 6 AktG erlösche das Amt des gerichtlich bestellten Aufsichtsratsmitglieds wiederum kraft Gesetzes, sobald der Mangel behoben sei. Die Mitwirkung an den erforderlichen Beschlussfassungen in den Fällen der Obstruktion hänge deshalb ausschließlich vom entsprechenden Willen des Aufsichtsratsmitglieds ab. Hingegen erlösche das Amt des bestellten Ersatzmitglieds mit der zwischenzeitlichen Mitwirkung des verhinderten Aufsichtsratsmitglieds nach der gerichtlichen Entscheidung. Scheide die Einberufung einer Hauptversammlung aus, sei der Antrag auf Abberufung des Aufsichtsratsmitglieds nach § 103 Abs. 3 AktG mit dem Antrag auf Ersatzbestellung nach § 104 Abs. 1 AktG zu kombinieren. Das betroffene Aufsichtsratsmitglied sei dabei nicht stimmberechtigt. Die Durchführung und Wirksamkeit der Beschlussfassung nach § 103 Abs. 3 AktG könne entweder dadurch gesichert werden, dass die Beschlussfassung durch die verbleibenden Aufsichtsratsmitglieder als wirksam angesehen oder eine Ergänzungsbestellung nur für die anstehende Beschlussfassung beantragt werde.

 

III.

8          Die durch das Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Ergänzung des Aufsichtsrats gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 AktG liegen nicht vor.

 

9          1. Dem Aufsichtsrat der P.               AG gehört mit den Antragstellern zu 3 und 4 und der weiteren Beteiligten die zur Beschlussfähigkeit nötige Zahl von Mitgliedern an.

 

10        Nach § 104 Abs. 1 AktG sind der Vorstand, ein Mitglied des Aufsichtsrats oder ein Aktionär berechtigt, bei Gericht einen Antrag auf Ergänzung des Aufsichtsrats zu stellen, wenn dem Aufsichtsrat die zur Beschlussfassung erforderliche Anzahl von Mitgliedern nicht angehört. Die Norm soll die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats sicherstellen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 2002- II ZR 296/01, ZIP 2002, 1619, 1621 mwN). Dem Fehlen eines Mitglieds wird die dauerhafte Amtsverhinderung des Aufsichtsratsmitglieds gleichgesetzt, etwa wegen rechtlicher, wie die Vertretung eines Vorstandsmitglieds nach § 105 Abs. 2 S. 1 AktG, oder tatsächlicher Verhinderung, etwa infolge Krankheit, Unerreichbarkeit oder eines dauerhaften Interessenkonflikts (Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 5. Aufl., § 104 Rn. 3; Koch, AktG, 17. Aufl., § 104 Rn. 2; Simons in Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl., § 104 Rn. 7; BeckOGKAktG/Spindler, Stand: 01.07.2023, § 104 Rn. 12).

 

11        Die weitere Beteiligte ist weder rechtlich noch tatsächlich dauerhaft an der Ausübung ihres Aufsichtsratsmandats gehindert. Das Beschwerdegericht hat offengelassen, ob die weitere Beteiligte die Mitwirkung im Aufsichtsrat seit September 2021 boykottiert und damit dessen Beschlussunfähigkeit herbeiführt, um so die Geltendmachung von Zahlungsansprüchen der P.                AG gegen die Erbengemeinschaft nach H.          , der neben der weiteren Beteiligten auch ihre drei Töchter angehören, zu verhindern. Dies ist deshalb für das Rechtsbeschwerdeverfahren zu unterstellen. Dabei handelt es sich aber nicht um einen dauerhaften, sondern lediglich um einen punktuellen Interessenkonflikt der weiteren Beteiligten bei ihrer Aufsichtsratstätigkeit für die P.                AG, der auch nach den von der Rechtsbeschwerde dazu angeführten Literaturstimmen (MünchKommAktG/Habersack, 6. Aufl., § 104 Rn. 13; Koch, AktG, 17. Aufl., § 104 Rn. 2; MünchHdbGesR VII/Lieder, 6. Aufl., § 26 Rn. 270) nicht vom Anwendungsbereich des § 104 Abs. 1 AktG erfasst wird. Die von der Rechtsbeschwerde in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet (§ 577 Abs. 6 Satz 2, § 564 Satz 1 ZPO).

 

12        2. Ein Aufsichtsrat, der wegen eines dauerhaft boykottierenden Aufsichtsratsmitglieds beschlussunfähig ist, kann nicht entsprechend § 104 Abs. 1 Satz 1 AktG ergänzt werden.

 

13        a) Teilweise wird allerdings, insbesondere bei einem dreiköpfigen Aufsichtsrat, eine entsprechende Anwendung der Norm befürwortet (BeckOGK AktG/Spindler, Stand: 01.07.2023, § 104 Rn. 13, § 108 Rn. 45; MünchKommAktG/Habersack, 6. Aufl., § 104 Rn. 13; Jaeger in Hdb Aktiengesellschaft, Lfg. 80, Rn. I 9.103; Adenauer, NZG 2019, 85, 86; Reichard, AG 2012, 359, 361 ff.).Dagegen liegt nach einer anderen Ansicht auch im Fall eines dauerhaften obstruktiven Verhaltens des Aufsichtsratsmitglieds keine Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrats vor, die eine entsprechende Anwendung des § 104 Abs. 1 Satz 1 AktG erfordere. Vielmehr sei jeder Form von Obstruktion mit den üblichen Rechtsbehelfen gegen unbotmäßiges Verhalten von Organmitgliedern zu begegnen (Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 5. Aufl., § 108 Rn. 10; Henssler in Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl., § 104 Rn. 5; Koch, AktG, 17. Aufl., § 104 Rn. 2; MünchHdbGesR VII/Lieder, 6. Aufl., § 26 Rn. 270; Hopt/Roth in GroßkommAktG, 5. Aufl., § 104 Rn. 27; Simons in Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl., § 104 Rn. 7; Backhaus/Tielmann, Aufsichtsrat, 2. Aufl., § 104 Rn. 32;E. Vetter in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 5. Aufl., Rn. 25.39).

 

14        b) Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Ansicht an. Eine Analogie setzt voraus, dass das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke aufweist und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (BGH, Urteil vom 15. Februar 2022 - II ZR 235/20, BGHZ 232, 375 Rn. 25 mwN). Das ist nicht der Fall.

 

15        aa) Ein dauerhaftes, zur Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrats führendes Boykottverhalten des Aufsichtsratsmitglieds kann mit einer dauerhaften rechtlichen oder tatsächlichen Verhinderung bereits deshalb nicht gleichgesetzt werden, da es jederzeit beendet werden kann. Zudem ist eine gerichtliche Ergänzung des Aufsichtsrats nicht geeignet, die durch das obstruierende Aufsichtsratsmitglied herbeigeführte Situation rechtssicher aufzulösen. Gemäß § 104 Abs. 6 AktG erlischt das Amt des gerichtlich bestellten Aufsichtsratsmitglieds, sobald der Mangel behoben ist. Das obstruktive Aufsichtsratsmitglied hat es also in der Hand, durch sein Erscheinen zur Aufsichtsratssitzung nach der gerichtlichen Ersatzbestellung die Beschlussfähigkeit des Gremiums wieder herbeizuführen, was zum Amtsverlust des gerichtlich bestellten Aufsichtsratsmitglieds führt. Es bedürfte dann einer erneuten gerichtlichen Ersatzbestellung, wenn das Aufsichtsratsmitglied zu seinem obstruktiven Verhalten zurückkehrt (Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 5. Aufl., § 108 Rn. 10; Simons in Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl., § 104 Rn. 7 Fn. 27).

 

16        bb) Das Aktiengesetz eröffnet auch in der Konstellation eines drei-köpfigen Aufsichtsrats die Möglichkeit, ein ohne Bindung an Wahlvorschläge gewähltes, die Teilnahme an der Beschlussfassung boykottierendes Aufsichtsratsmitglied abzurufen, ein neues Aufsichtsratsmitglied durch die Hauptversammlung oder das Gericht zu bestellen und damit die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats sicherzustellen. Dem Schutzanliegen des § 104 AktG kann daher auch ohne entsprechende Anwendung der Norm Rechnung getragen werden.

 

17        (1) Nach § 103 Abs. 1 Satz 1 AktG können Aufsichtsratsmitglieder, die von der Hauptversammlung ohne Bindung an Wahlvorschläge gewählt worden sind, vor dem Ablauf ihrer Amtszeit abberufen werden. Der Möglichkeit der Abberufung durch die Hauptversammlung kann die Rechtsbeschwerde nicht mit Erfolg das Konfliktlösungspotential mit der Argumentation absprechen, die Abberufung des obstruierenden Aufsichtsratsmitglieds und die Neuwahl eines Nachfolgers durch einen Hauptversammlungsbeschluss sei schwerfällig und mit Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagerisiken behaftet (so aber Reichard, AG 2012, 359, 360). Im Übrigen verfängt der Einwand gerade im vorliegenden Fall nicht, wenn man berücksichtigt, dass die weitere Beteiligte anlässlich eines Gerichtstermins ad hoc im Wege einer außerordentlichen Hauptversammlung in den Aufsichtsrat der zweigliedrigen Aktiengesellschaft gewählt worden ist. Das zeigt jedenfalls, dass das Argument gerade in Aktiengesellschaften mit geschlossenem Aktionärskreis im Hinblick auf § 121 Abs. 6 AktG nicht überzeugt.

 

18        Etwas Anderes folgt auch nicht aus der Argumentation der Rechtsbeschwerde, die weitere Beteiligte könne mit Hilfe der H.                 KG als hälftiger Aktionärin ihre Abberufung dauerhaft verhindern, da sie als mittelbare Anteilseignerin bei der Beschlussfassung in der Hauptversammlung über ihre eigene Abberufung nicht ausgeschlossen sei (vgl. dazu Koch, AktG, 17. Aufl., § 103 Rn. 4 mwN). Es kann dahinstehen, ob eine solche Beherrschung der H.                KG durch die weitere Beteiligte, die ausweislich des von den Antragstellern vorgelegten Handelsregisterauszugs der H.              KG vom 8. Februar 2022 am 1. Dezember 2021 als persönliche Gesellschafterin ausgeschieden und auch nicht als Kommanditistin ausgewiesen ist, über ihre Töchter als Gesellschafter vorliegt. Dies hätte zwar für den konkreten Streitfall, in dem zwei Aktionäre zu gleichen Teilen an einer Aktiengesellschaft beteiligt sind, zur Konsequenz, dass in einer Situation, in der nur einer der Aktionäre die Abberufung wünscht, eine Abberufung nach § 103 Abs. 1 AktG nicht möglich ist. Das kann aber nicht zur Folge haben, dass der abberufungswillige Aktionär, der das betreffende Aufsichtsratsmitglied selbst in den Aufsichtsrat gewählt hat, aber nun nicht die Stimmrechtsmacht besitzt, sein Abberufungsverlangen durchzusetzen, seinen Willen über die gerichtliche Bestellung eines weiteren Aufsichtsratsmitglieds durch eine entsprechende Anwendung des § 104 Abs. 1 Satz 1 AktG durchzusetzen vermag. Mit derartigen Einzelfallerwägungen lässt sich die analoge Anwendung einer Norm nicht begründen.

 

19        (2) Daneben kann das Gericht ein boykottierendes Aufsichtsratsmitglied nach § 103 Abs. 3 AktG abberufen.

 

20        (a) Nach § 103 Abs. 3 Satz 1 AktG hat das Gericht auf Antrag des Aufsichtsrats ein Aufsichtsratsmitglied abzuberufen, wenn in dessen Person ein wichtiger Grund vorliegt. Ein wichtiger Grund im Sinne der Norm liegt bei einem nachweisbaren Boykottverhalten vor (OLG München, Beschluss vom 28. August 2018 - 31 Wx 61/17, ZIP 2018, 1932, 1933; Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 5. Aufl., § 103 Rn. 16; MünchKommAktG/Habersack, 6. Aufl., § 103 Rn. 41; Koch, AktG, 17. Aufl., § 103 Rn. 10).

 

21        (b) Der Aufsichtsrat beschließt über die Antragstellung mit einfacher Mehrheit, § 103 Abs. 3 Satz 2 AktG. Ein solcher Beschluss kann auch in einem dreiköpfigen Aufsichtsrat ohne Teilnahme des boykottierenden Aufsichtsratsmitglieds an der Abstimmung mit den Stimmen der beiden anderen Aufsichtsratsmitglieder wirksam gefasst werden.

 

22        Gemäß § 108 Abs. 2 Satz 3 AktG müssen in jedem Fall drei Mitglieder des Aufsichtsrats an der Beschlussfassung teilnehmen. Besteht ein Aufsichtsrat, wie vorliegend, nur aus der gesetzlichen Mindestzahl von drei Mitgliedern (§ 95 Satz 1 AktG), kann deshalb das obstruktive Aufsichtsratsmitglied durch seine Nichtteilnahme nach dem Wortlaut der Norm eine wirksame Beschlussfassung tatsächlich verhindern. Diesem ist es jedoch verwehrt, sich auf diese formale Rechtsposition zu berufen, wonach der Aufsichtsrat als Organ aufgrund seiner Nichtteilnahme beschlussunfähig sei.

 

23        Ein Aufsichtsratsmitglied, gegen das ein Abberufungsverfahren nach § 103 Abs. 3 AktG eingeleitet werden soll, unterliegt bei der Abstimmung einem Stimmverbot (BayObLGZ 2003, 89, 92; Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 5. Aufl., § 103 Rn. 13; Koch, AktG, 17. Aufl., § 103 Rn. 12; Mertens/Cahn in KK-AktG, 3. Aufl., § 103 Rn. 30; MünchKommAktG/Habersack, 6. Aufl., § 103 Rn. 35; Hopt/Roth in GroßkommAktG, 5. Aufl., § 103 Rn. 58; Simons in Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl., § 103 Rn. 31; BeckOGKAktG/Spindler, Stand: 01.07.2023, § 103 Rn. 31) und kann die Einleitung des Abberufungsverfahrens deshalb nicht verhindern. Der Stimmrechtsausschluss eines von drei Aufsichtsratsmitgliedern führt nicht zur Beschlussunfähigkeit des Organs gemäß § 108 Abs. 2 Satz 2, 3 AktG. Vielmehr kann und muss das betreffende Aufsichtsratsmitglied zur Vermeidung einer Beschlussunfähigkeit des Organs an der Beschlussfassung teilnehmen, hat sich aber der Stimme zu enthalten (BGH, Urteil vom 2. April 2007 - II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056 Rn. 13). Infolgedessen missbraucht das betreffende Mitglied seine formale Rechtsposition, wenn es sich auf die durch sein eigenes schuldhaftes Fernbleiben verursachte Beschlussunfähigkeit beruft, um so den Beschluss über den erforderlichen Antrag nach § 103 Abs. 3 Satz 1 AktG zu vereiteln. § 108 Abs. 2 Satz 3 AktG ist deshalb in einem Fall des zielgerichteten Rechtsmissbrauchs dahingehendteleologisch zu reduzieren, dass der Antrag nach § 103 Abs. 3 AktG auch dann zulässig ist, wenn bei der Beschlussfassung nur die zwei übrigen Aufsichtsratsmitglieder mitgewirkt haben, der Aufsichtsrat also an sich beschlussunfähig war (Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 5. Aufl., § 108 Rn. 10; Hopt/Roth in GroßkommAktG, 5. Aufl., § 103 Rn. 59; BeckOGKAktG/Spindler, Stand: 01.07.2023, § 103 Rn. 31, § 108 Rn. 44 f.; Stadler/Berner, NZG 2003, 49, 51 ff.; Stadler/Berner, AG 2004, 27, 29; aA MünchKommAktG/Habersack, 6. Aufl., § 103 Rn. 35; BayObLGZ 2003, 89, 94; Keusch/Rotter, NZG 2003, 671, 673).

 

24        Diese Rechtsauffassung hat sich der Aufsichtsrat der P.                AG auch in seinem Antrag vom 21. Juni 2022, die weitere Beteiligte nach § 103 Abs. 3 AktG abzuberufen, zu eigen gemacht.

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