EuGH: Keine Entlastung eines Automobilherstellers von seiner Haftung für unzulässige Abschalteinrichtung wegen Vorliegen einer EG-Typgenehmigung
EuGH, Urteil vom 1.8.2025 – C-666/23, CM, DS gegen Volkswagen AG
ECLI:EU:C:2025:604
Volltext:BB-ONLINE BBL2025-1857-1
Tenor
1. Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 385/2009 der Kommission vom 7. Mai 2009 geänderten Fassung sind in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge
dahin auszulegen, dass
sie im Rahmen einer vom Käufer eines Kraftfahrzeugs erhobenen Klage auf Ersatz des durch das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne dieses Art. 5 Abs. 2 verursachten Schadens den Hersteller des Fahrzeugs daran hindern, sich zu seiner Entlastung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum hinsichtlich der Unzulässigkeit dieser Abschalteinrichtung zu berufen, der darauf zurückzuführen sein soll, dass für diese Abschalteinrichtung oder das damit ausgerüstete Fahrzeug von der zuständigen Behörde eine EG-Typgenehmigung erteilt wurde oder diese Behörde, wenn sie von diesem Hersteller dazu befragt worden wäre, seine rechtliche Beurteilung bezüglich der angeblichen Zulässigkeit der betreffenden Abschalteinrichtung bestätigt hätte.
2. Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 sowie Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung Nr. 715/2007 in der durch die Verordnung (EU) Nr. 566/2011 der Kommission vom 8. Juni 2011 geänderten Fassung
sind dahin auszulegen, dass
sie verlangen, dass der Erwerber eines Fahrzeugs gegen den Fahrzeughersteller einen Anspruch auf Schadensersatz hat, wenn dem Erwerber wegen einer im Sinne dieses Art. 5 Abs. 2 unzulässigen Abschalteinrichtung, die vom Hersteller nach der EG-Typgenehmigung für dieses Fahrzeug mittels eines Software-Updates installiert wurde, ein Schaden entstanden ist.
3. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es zum einen nicht daran hindert, auf den Schadensersatzbetrag, der dem Erwerber eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestatteten Fahrzeugs geschuldet wird, dem durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist, einen Betrag anzurechnen, der dem Vorteil der Nutzung dieses Fahrzeugs entspricht, und zum anderen einer Begrenzung dieser Entschädigung auf einen Betrag, der 15 % des Kaufpreises des Fahrzeugs entspricht, nicht entgegensteht, sofern diese Entschädigung eine angemessene Wiedergutmachung für den erlittenen Schaden darstellt.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. 2007, L 171, S. 1).
2 Es ergeht im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen CM bzw. DS auf der einen Seite und der Volkswagen AG auf der anderen Seite über den Ersatz des aufgrund des Kaufs von mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgerüsteten Fahrzeugen erlittenen Schadens.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 1999/44/EG
3 Die Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. 1999, L 171, S. 12) wurde durch die Richtlinie (EU) 2019/771 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs, zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/2394 und der Richtlinie 2009/22/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 1999/44/EG (ABl. 2019, L 136, S. 28) mit Wirkung vom 1. Januar 2022 aufgehoben. In Anbetracht des für die Ausgangsrechtsstreitigkeiten maßgeblichen Zeitpunkts bleibt jedoch die Richtlinie 1999/44 auf diese anwendbar.
4 Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 1999/44 bestimmte:
„Bei Vertragswidrigkeit hat der Verbraucher entweder Anspruch auf die unentgeltliche Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung nach Maßgabe des Absatzes 3 oder auf angemessene Minderung des Kaufpreises oder auf Vertragsauflösung in Bezug auf das betreffende Verbrauchsgut nach Maßgabe der Absätze 5 und 6.“
Richtlinie 2007/46/EG
5 Die Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) (ABl. 2007, L 263, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 385/2009 der Kommission vom 7. Mai 2009 (ABl. 2009, L 118, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2007/46) wurde durch die Verordnung (EU) 2018/858 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge, zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 715/2007 und (EG) Nr. 595/2009 und zur Aufhebung der Richtlinie 2007/46/EG (ABl. 2018, L 151, S. 1) mit Wirkung vom 1. September 2020 aufgehoben. In Anbetracht des für die Ausgangsrechtsstreitigkeiten maßgeblichen Zeitpunkts bleibt die Richtlinie 2007/46 jedoch auf diese anwendbar.
6 Art. 3 Nrn. 3, 5, 17 und 36 der Richtlinie 2007/46 lautete:
„Im Sinne dieser Richtlinie und der in Anhang IV aufgeführten Rechtsakte – soweit dort nichts anderes bestimmt ist – bezeichnet der Ausdruck
…
3. ,Typgenehmigung‘ das Verfahren, nach dem ein Mitgliedstaat bescheinigt, dass ein Typ eines Fahrzeugs, eines Systems, eines Bauteils oder einer selbstständigen technischen Einheit den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen entspricht;
…
5. ‚EG-Typgenehmigung‘ das Verfahren, nach dem ein Mitgliedstaat bescheinigt, dass ein Typ eines Fahrzeugs, eines Systems, eines Bauteils oder einer selbstständigen technischen Einheit den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen dieser Richtlinie und der in Anhang IV oder XI aufgeführten Rechtsakte entspricht;
…
17. ‚Typ eines Fahrzeugs‘ Fahrzeuge einer bestimmten Fahrzeugklasse, die sich zumindest hinsichtlich der in Anhang II Teil B aufgeführten wesentlichen Merkmale nicht unterscheiden. Ein Fahrzeugtyp kann Varianten und Versionen im Sinne des Anhangs II Teil B umfassen;
…
36. ,Übereinstimmungsbescheinigung‘ das in Anhang IX wiedergegebene, vom Hersteller ausgestellte Dokument, mit dem bescheinigt wird, dass ein Fahrzeug aus der Baureihe eines nach dieser Richtlinie genehmigten Typs zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen Rechtsakten entspricht“.
7 Art. 8 Abs. 6 dieser Richtlinie bestimmte:
„Die Genehmigungsbehörde unterrichtet die Genehmigungsbehörden der anderen Mitgliedstaaten unverzüglich über jede Verweigerung und jeden Entzug einer Typgenehmigung sowie über die Gründe hierfür.“
8 Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie sah vor:
„Die Mitgliedstaaten erteilen eine entsprechende EG-Typgenehmigung für ein Bauteil oder eine selbstständige technische Einheit, das/die mit den Angaben in der Beschreibungsmappe übereinstimmt und den technischen Anforderungen der in Anhang IV aufgeführten einschlägigen Einzelrichtlinie oder Einzelverordnung entspricht.“
9 Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie sah vor:
„Der Hersteller unterrichtet den Mitgliedstaat, der die EG-Typgenehmigung erteilt hat, unverzüglich über jede Änderung der Angaben in den Beschreibungsunterlagen. Dieser Mitgliedstaat entscheidet dann nach den Bestimmungen dieses Kapitels, wie weiter zu verfahren ist. Sofern erforderlich, kann der Mitgliedstaat im Benehmen mit dem Hersteller entscheiden, dass eine neue EG-Typgenehmigung zu erteilen ist.“
10 Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46 lautete:
„Der Hersteller in seiner Eigenschaft als Inhaber einer EG-Typgenehmigung für Fahrzeuge legt jedem vollständigen, unvollständigen oder vervollständigten Fahrzeug, das in Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ hergestellt wurde, eine Übereinstimmungsbescheinigung bei.“
11 In Art. 26 Abs. 1 dieser Richtlinie hieß es:
„Unbeschadet der Artikel 29 und 30 gestatten die Mitgliedstaaten die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme von Fahrzeugen nur dann, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung nach Artikel 18 versehen sind.
Die Mitgliedstaaten gestatten den Verkauf von unvollständigen Fahrzeugen; sie können jedoch ihre unbefristete Zulassung und ihre Inbetriebnahme verweigern, solange sie nicht vervollständigt sind.“
12 Art. 30 Abs. 1 der Richtlinie sah vor:
„Stellt der Mitgliedstaat, der eine EG-Typgenehmigung erteilt hat, fest, dass neue Fahrzeuge, Systeme, Bauteile oder selbstständige technische Einheiten, die mit einer Übereinstimmungsbescheinigung oder einem Genehmigungszeichen versehen sind, nicht mit dem Typ übereinstimmen, für den er die Genehmigung erteilt hat, so ergreift er die notwendigen Maßnahmen, einschließlich erforderlichenfalls eines Entzugs der Typgenehmigung, um sicherzustellen, dass die hergestellten Fahrzeuge, Systeme, Bauteile oder selbstständigen technischen Einheiten mit dem jeweils genehmigten Typ in Übereinstimmung gebracht werden. Die Genehmigungsbehörde dieses Mitgliedstaats unterrichtet die Genehmigungsbehörden der anderen Mitgliedstaaten von den ergriffenen Maßnahmen.“
13 Art. 46 dieser Richtlinie bestimmte:
„Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei Verstößen gegen diese Richtlinie, insbesondere gegen die in Artikel 31 vorgesehenen oder sich daraus ergebenden Verbote und die in Anhang IV Teil I aufgeführten Rechtsakte, anzuwenden sind, und ergreifen alle für ihre Durchführung erforderlichen Maßnahmen. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission diese Vorschriften bis zum 29. April 2009 sowie etwaige Änderungen so bald wie möglich mit.“
Verordnung Nr. 715/2007
14 In den Erwägungsgründen 6 und 15 der Verordnung Nr. 715/2007 heißt es:
„(6) Zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte ist insbesondere eine erhebliche Minderung der Stickstoffoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen erforderlich. Dabei ist es notwendig, in der Euro-6-Stufe ambitionierte Grenzwerte zu erreichen, ohne die Vorteile des Dieselmotors beim Kraftstoffverbrauch und bei der Kohlenwasserstoff- und Kohlenmonoxidemission aufgeben zu müssen. Die frühzeitige Festlegung einer solchen Stufe für die Reduzierung der Stickstoffoxidemissionen ermöglicht den Automobilherstellern eine langfristige, europaweite Planungssicherheit.
…
(15) Die Kommission sollte prüfen, ob der Neue Europäische Fahrzyklus, der den Emissionsmessungen zugrunde liegt, angepasst werden muss. Die Anpassung oder Ersetzung des Prüfzyklus kann erforderlich sein, um Änderungen der Fahrzeugeigenschaften und des Fahrerverhaltens Rechnung zu tragen. Überprüfungen können erforderlich sein, um zu gewährleisten, dass die bei der Typgenehmigungsprüfung gemessenen Emissionen denen im praktischen Fahrbetrieb entsprechen. Der Einsatz transportabler Emissionsmesseinrichtungen und die Einführung des ,not-to-exceed‘-Regulierungskonzepts (der Hersteller muss gewährleisten, dass sein Fahrzeug in allen Betriebszuständen die Grenzwerte nicht überschreitet) sollten ebenfalls erwogen werden.“
15 Art. 3 Nr. 10 dieser Verordnung bestimmt:
„Im Sinne dieser Verordnung und ihrer Durchführungsmaßnahmen bezeichnet der Ausdruck:
…
10. ,Abschalteinrichtung‘ ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“.
16 Art. 4 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung sieht vor:
„(1) Der Hersteller weist nach, dass alle von ihm verkauften, zugelassenen oder in der [Europäischen] Gemeinschaft in Betrieb genommenen Neufahrzeuge über eine Typgenehmigung gemäß dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen verfügen. Der Hersteller weist außerdem nach, dass alle von ihm in der Gemeinschaft verkauften oder in Betrieb genommenen neuen emissionsmindernden Einrichtungen für den Austausch, für die eine Typgenehmigung erforderlich ist, über eine Typgenehmigung gemäß dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen verfügen.
Diese Pflichten schließen ein, dass die in Anhang I und in den in Artikel 5 genannten Durchführungsmaßnahmen festgelegten Grenzwerte eingehalten werden.
(2) Der Hersteller stellt sicher, dass die Typgenehmigungsverfahren zur Überprüfung der Übereinstimmung der Produktion, der Dauerhaltbarkeit der emissionsmindernden Einrichtungen und der Übereinstimmung in Betrieb befindlicher Fahrzeuge beachtet werden.
Die von dem Hersteller ergriffenen technischen Maßnahmen müssen außerdem sicherstellen, dass die Auspuff- und Verdunstungsemissionen während der gesamten normalen Lebensdauer eines Fahrzeuges bei normalen Nutzungsbedingungen entsprechend dieser Verordnung wirkungsvoll begrenzt werden. Daher ist die Übereinstimmung in Betrieb befindlicher Fahrzeuge über einen Zeitraum von bis zu 5 Jahren oder 100 000 km zu kontrollieren; es gilt der Wert, der zuerst erreicht wird. Die Dauerhaltbarkeit emissionsmindernder Einrichtungen ist über eine Laufleistung von 160 000 km zu prüfen. Zu diesem Zweck sollten die Hersteller die Möglichkeit haben, Alterungsprüfungen auf dem Prüfstand durchzuführen, die den in Absatz 4 genannten Durchführungsmaßnahmen unterliegen.
Die Übereinstimmung in Betrieb befindlicher Fahrzeuge wird insbesondere im Hinblick auf die Auspuffemissionen geprüft, die die in Anhang I enthaltenen Grenzwerte nicht überschreiten dürfen. Um die Kontrolle von Verdunstungsemissionen und von Emissionen bei niedriger Umgebungstemperatur zu verbessern, werden die Prüfverfahren von der Kommission überprüft.“
17 Art. 5 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 715/2007 hat folgenden Wortlaut:
„(1) Der Hersteller rüstet das Fahrzeug so aus, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht.
(2) Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. Dies ist nicht der Fall, wenn:
a) die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten;
b) die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist;
[oder]
c) die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind.“
18 In Art. 13 der Verordnung Nr. 715/2007 heißt es:
„(1) Die Mitgliedstaaten legen für Verstöße von Herstellern gegen die Vorschriften dieser Verordnung Sanktionen fest und treffen die zu ihrer Anwendung erforderlichen Maßnahmen. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. …
(2) Zu den Arten von Verstößen, die einer Sanktion unterliegen, gehören folgende:
…
d) Verwendung von Abschalteinrichtungen
…“
Verordnung Nr. 692/2008
19 Die Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung Nr. 715/2007 (ABl. 2008, L 199, S. 1) wurde durch die Verordnung (EU) Nr. 566/2011 der Kommission vom 8. Juni 2011 (ABl. 2011, L 158, S. 1) geändert (im Folgenden: Verordnung Nr. 692/2008). Durch die Verordnung (EU) 2017/1151 der Kommission vom 1. Juni 2017 zur Ergänzung der Verordnung Nr. 715/2007, zur Änderung der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Verordnung Nr. 692/2008 sowie der Verordnung (EU) Nr. 1230/2012 der Kommission und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 692/2008 (ABl. 2017, L 175, S. 1) wurde die Verordnung Nr. 692/2008 mit Wirkung vom 1. Januar 2022 aufgehoben. In Anbetracht des für die Ausgangsrechtsstreitigkeiten maßgeblichen Zeitpunkts bleibt die Verordnung Nr. 692/2008 jedoch auf diese anwendbar.
20 Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 692/2008 sah vor:
„Der Hersteller gewährleistet, dass emissionsmindernde Einrichtungen für den Austausch, die in Fahrzeuge mit einer EG-Typgenehmigung nach der Verordnung … Nr. 715/2007 eingebaut werden, in Übereinstimmung mit Artikel 12, Artikel 13 und Anhang XIII dieser Verordnung über eine EG-Typgenehmigung als selbstständige technische Einheiten im Sinne von Artikel 10 Absatz 2 der Richtlinie [2007/46] verfügen.“
Deutsches Recht
21 § 276 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (im Folgenden: BGB) sieht vor:
„(1) Der Schuldner hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos, zu entnehmen ist. Die Vorschriften der §§ 827 und 828 finden entsprechende Anwendung.
(2) Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.
(3) Die Haftung wegen Vorsatzes kann dem Schuldner nicht im Voraus erlassen werden.“
22 § 823 BGB lautet:
„(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.“
23 § 826 BGB bestimmt:
„Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.“
24 Die Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge (EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung, im Folgenden: EG-FGV) vom 3. Februar 2011 bestimmt in ihrem § 6 Abs. 1:
„Für jedes dem genehmigten Typ entsprechende Fahrzeug hat der Inhaber der EG-Typgenehmigung eine Übereinstimmungsbescheinigung nach Artikel 18 in Verbindung mit Anhang IX der Richtlinie [2007/46] auszustellen und dem Fahrzeug beizufügen. Die Übereinstimmungsbescheinigung muss nach Artikel 18 Absatz 3 der Richtlinie [2007/46] fälschungssicher sein.“
25 § 27 Abs. 1 EG-FGV sieht vor:
„Neue Fahrzeuge, selbstständige technische Einheiten oder Bauteile, für die eine Übereinstimmungsbescheinigung nach Anhang IX der Richtlinie 2007/46 … vorgeschrieben ist, dürfen im Inland zur Verwendung im Straßenverkehr nur feilgeboten, veräußert oder in den Verkehr gebracht werden, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind. Dies gilt nicht für Fahrzeuge im Sinne des Artikels 8 der Richtlinie [2003/37].“
Ausgangsrechtsstreitigkeiten und Vorlagefragen
26 Volkswagen ist der Hersteller der Kraftfahrzeuge, die CM und DS gebraucht bei gewerblichen Verkäufern erwarben.
27 Gemäß Bestellung vom 14. März 2016 erwarb CM zum Preis von 49 950 Euro ein Fahrzeug der Marke Volkswagen, das mit einem Dieselmotor des Typs EA288 ausgestattet war. Zum Zeitpunkt des Erwerbs war dieses Fahrzeug mit einer Prüfstandserkennung, die am 10. Oktober 2017 durch ein Update der entsprechenden Software entfernt wurde, sowie mit einer weiteren Motorsteuerungssoftware ausgerüstet, die die Abgasrückführung verringert, wenn die Außentemperaturen unter einer gewissen Schwelle liegen, was eine Erhöhung der NOx-Emissionen zur Folge hat. Die Abgasrückführung ist somit nur dann voll wirksam, wenn die Außentemperatur nicht unter diese Schwelle sinkt (im Folgenden: Thermofenster).
28 Wegen des Vorhandenseins dieser beiden – angeblich unzulässigen – Abschalteinrichtungen meint CM, Opfer einer vorsätzlichen und sittenwidrigen Schädigung im Sinne von § 826 BGB zu sein, die Volkswagen zuzurechnen sei.
29 Mit seiner beim Landgericht Ravensburg (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, erhobenen Klage begehrt er zum Ersatz seines Schadens die Zahlung von 8 938 Euro, was 20 % des Kaufpreises des Fahrzeugs entspricht, und hilfsweise eine in das Ermessen dieses Gerichts gestellte Entschädigung, mindestens jedoch 6 703,50 Euro, was 15 % des Kaufpreises entspricht.
30 Gemäß dem Vorlagebeschluss räumt Volkswagen ein, dass das System der Prüfstandserkennung zu einer Software gehöre, die dazu genutzt werde, die Abgasrückführungsrate außerhalb des Neuen Europäischen Fahrzyklus bei Erreichen einer Betriebstemperatur von 200 °C zu reduzieren. Ab dieser Betriebstemperatur trage das Selective Catalytic Reduction System zur Reduktion der NOx-Emissionen bei, so dass die Grenzwerte trotzdem eingehalten würden.
31 In Bezug auf das Thermofenster trägt Volkswagen vor, dass eine Reduzierung der Abgasrückführungsrate unterhalb einer Umgebungstemperatur von +12 °C stattfinde. Dieses Thermofenster sei zulässig, da es zum sicheren Fahrzeugbetrieb notwendig sei.
32 Hilfsweise macht Volkswagen zur Entlastung von seiner Haftung in Bezug auf die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtungen einen unvermeidbaren Verbotsirrtum geltend und stützt sich dabei auf eine „hypothetische“ Genehmigung durch das Kraftfahrtbundesamt (Deutschland), und zwar auf die Tatsache, dass seine fehlerhafte rechtliche Bewertung, wonach die Abschalteinrichtung zulässig sei, von dieser für die EG-Typgenehmigung zuständigen Behörde bei einer entsprechenden Nachfrage bestätigt worden wäre (im Folgenden: hypothetische Genehmigung).
33 DS erwarb gemäß Bestellung vom 29. März 2016 zum Preis von 32 000 Euro ein Fahrzeug der Marke Volkswagen, das mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet war. Zum Zeitpunkt seines Erwerbs war dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet, die aus einer Prüfstandserkennung mit Umschaltlogik bestand.
34 Nachdem das Kraftfahrtbundesamt mit Anordnungen vom 14. Oktober 2015 und 15. Oktober 2015 Volkswagen aufgegeben hatte, diese Abschalteinrichtung in den von ihr in den Verkehr gebrachten Fahrzeugen zu beseitigen, wurde am 7. März 2017 eine von diesem Unternehmen entwickelte und vom Kraftfahrtbundesamt freigegebene Software bei dem Fahrzeug von DS aufgespielt. Allerdings wurde gleichzeitig eine andere Abschalteinrichtung, und zwar ein Thermofenster, bei dem Fahrzeug installiert.
35 Aus diesem Grund sieht sich DS von diesem Unternehmen vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt.
36 Mit seiner beim vorlegenden Gericht am 4. März 2021 erhobenen Klage begehrt DS zum einen die Zahlung eines in das Ermessen dieses Gerichts gestellten Schadensersatzbetrags, mindestens jedoch 4 800 Euro, was 15 % des Kaufpreises entspricht, und zum anderen die Feststellung, dass Volkswagen ihm die Schäden zu ersetzen hat, die ihm aus dem Einbau einer aus einem Thermofenster bestehenden Abschalteinrichtung entstehen.
37 Volkswagen erhebt die Einrede der Verjährung und beantragt jedenfalls Klageabweisung.
38 In Bezug auf das Thermofenster behauptet Volkswagen, die Abgasrückführung werde erst unterhalb von +10 °C reduziert, was für einen sicheren Betrieb des Fahrzeugs erforderlich sei.
39 Des Weiteren habe sich der Gerichtshof in den Urteilen vom 14. Juli 2022, GSMB Invest (C-128/20, EU:C:2022:570), Volkswagen (C-134/20, EU:C:2022:571) und Porsche Inter Auto und Volkswagen (C-145/20, EU:C:2022:572), für mit einem identischen Thermofenster ausgestattete Fahrzeuge der Marke Volkswagen auf einen Temperaturbereich zwischen 15 und 33 °C Außentemperatur gestützt. Dieser Ansatz liege jedoch an bindenden Tatsachenfeststellungen der nationalen Vorlagegerichte, die nicht den in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten in Rede stehenden Umständen entsprächen.
40 Die Beklagte macht hilfsweise einen unvermeidbaren Verbotsirrtum hinsichtlich der Unzulässigkeit dieser Abschalteinrichtung geltend und beruft sich dabei auf eine hypothetische Genehmigung des Kraftfahrtbundesamts.
41 Das vorlegende Gericht ist als Erstes der Auffassung, dass der Anspruch von CM und DS auf Schadensersatz gemäß § 826 BGB wegen vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigung nicht gegeben zu sein scheint.
42 Es stellt fest, dass das Fahrzeug von CM zum Zeitpunkt seines Erwerbs zwar mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet gewesen sei und dass eine solche Abschalteinrichtung beim Fahrzeug von DS beim Update einer Software aufgespielt worden sei.
43 Bei beiden Fahrzeugen werde die Abgasrückführung ab einer Umgebungstemperatur von +10°C reduziert, weshalb nach Ansicht des vorlegenden Gerichts in beiden Fällen ein unzulässiges Thermofenster vorliegt. In Bezug auf das Erfordernis, unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführsystems hervorgerufen würden, die derart schwerwiegend seien, dass sie eine konkrete Gefahr beim Fahren des mit diesem System ausgestatteten Fahrzeugs hervorriefen, könne das Thermofenster nicht gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 als zulässig erachtet werden, da eine solches konkretes Risiko im vorliegenden Fall nicht bestehen dürfte.
44 Darüber hinaus ist das vorlegende Gericht, was CM betrifft, der Ansicht, dass das andere sich aus dieser Vorschrift ergebende Ausnahmekriterium, wonach eine Abschalteinrichtung nicht während des überwiegenden Teils des Jahres aktiv sein dürfe, in Anbetracht der sich aus dem Urteil vom 14. Juli 2022, GSMB Invest (C-128/20, EU:C:2022:570, Rn. 65), ergebenden Rechtsprechung nicht als erfüllt angesehen werden dürfte. Die Abgasrückführung dieses Fahrzeugs werde ab einer Umgebungstemperatur von +12 °C reduziert, die jährlichen Durchschnittstemperaturen in Deutschland seien aber niedriger.
45 Trotz dieser Gesichtspunkte sei ein vorsätzliches sittenwidriges Verhalten im Sinne von § 826 BGB in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten nicht gegeben, da keine – gemäß dem Wortlaut der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Deutschland) – „offensichtlich unzulässigen“ Abschalteinrichtungen vorlägen.
46 Als Zweites hält das vorlegende Gericht einen Anspruch von CM und DS auf Entschädigung nach § 823 Abs. 2 BGB für möglich.
47 Unter Verweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. Juni 2023 (im Folgenden: Urteil des Bundesgerichtshofs) führt das vorlegende Gericht aus, dass § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1 und § 27 Abs. 1 EG-FGV die Interessen des Erwerbers eines Fahrzeugs schütze, keine Vermögenseinbuße wegen eines Verstoßes des Herstellers gegen das europäische Abgasrecht zu erleiden.
48 In diesem Zusammenhang habe Volkswagen erstens wegen des Einbaus eines unzulässigen Thermofensters in die betreffenden Fahrzeuge offenbar gegen das europäische Abgasrecht verstoßen.
49 Zweitens setze der Schadensersatzanspruch weiter voraus, dass der Hersteller des betreffenden Fahrzeugs in Bezug auf die fragliche Abschalteinrichtung zumindest fahrlässig gehandelt habe, wobei das Verschulden des Herstellers vermutet werde.
50 Der Hersteller könne sich jedoch von seiner Haftung entlasten, indem er außergewöhnliche Umstände darlege und beweise, die ein fehlendes Verschulden seinerseits erkennen ließen, was den Beweis eines unvermeidbaren Verbotsirrtums hinsichtlich der Unzulässigkeit der in Rede stehenden Abschalteinrichtung umfasse.
51 Drittens führt das vorlegende Gericht zum einen aus, dass ein solcher Irrtum vorliege, wenn der Hersteller die Rechtslage unter Einbeziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sorgfältig geprüft habe und er bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung nicht habe zu rechnen brauchen. Zum anderen sei ein solcher Irrtum unvermeidbar, wenn der Hersteller eine für die in Rede stehende Abschalteinrichtung in Einklang mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 erteilte EG-Typgenehmigung vorlegen könne.
52 Eine bloß hypothetische Genehmigung, wie sie in Rn. 32 des vorliegenden Urteils genannt wird, könne nunmehr nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs ausreichen.
53 Das vorlegende Gericht fragt sich, ob in Anbetracht des Unionsrechts ein Schadensersatzanspruch des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüsteten Fahrzeugs mit der Begründung verneint werden könne, dass der betreffende Hersteller einem unvermeidbaren Verbotsirrtum hinsichtlich der Unzulässigkeit dieser Abschalteinrichtung unterlegen sei, und, falls diese Frage bejaht werde, ob die Entlastung des Herstellers auf eine tatsächliche Genehmigung des in Rede stehenden Fahrzeugs durch die zuständige nationale Behörde oder sogar auf eine hypothetische Genehmigung gestützt werden könne.
54 Viertens stellt das vorlegende Gericht fest, dass im Fall von DS der Schadensersatzanspruch verjährt sei, da er auf die Abschalteinrichtung gestützt sei, die beim Erwerb des Fahrzeugs vorgelegen habe, d. h. die Prüfstandserkennung mit Umschaltlogik. Da das Fahrzeug seit dem von Volkswagen bereitgestellten Update allerdings eine neue unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters aufweise, stelle sich die Frage, ob seinem Eigentümer nicht ein Schadensersatzanspruch gegen den Hersteller zustehe.
55 Fünftens stellt das vorlegende Gericht fest, dass der Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1 und § 27 Abs. 1 EG-FGV auf den „kleinen Schadensersatz“ abziele, d. h. die Zahlung eines Geldbetrags, der der Differenz zwischen dem Wert des Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung und dem Wert des Fahrzeugs ohne eine solche Abschalteinrichtung entspreche.
56 Gemäß dem Urteil des Bundesgerichtshofs seien die Vorteile der Nutzung des Fahrzeugs auf den Entschädigungsbetrag anzurechnen, wenn diese zusammen mit dem Restwert des Fahrzeugs den Kaufpreis abzüglich des Schadenersatzbetrags überstiegen. Des Weiteren verlange der Bundesgerichtshof, dass der Schadensersatzbetrag aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht höher als 15 % des Kaufpreises sei.
57 Das vorlegende Gericht hat Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Rechtsprechung mit dem Unionsrecht.
58 Unter diesen Umständen hat das Landgericht Ravensburg beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Kann der Schadensersatzanspruch des Fahrzeugerwerbers gegen den Fahrzeughersteller wegen fahrlässigen Inverkehrbringens eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 mit der Begründung verneint werden,
a) dass ein unvermeidbarer Verbotsirrtum des Herstellers vorliege?
Wenn ja:
b) dass der Verbotsirrtum für den Hersteller unvermeidbar sei, da die für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständige Behörde die eingebaute Abschalteinrichtung tatsächlich genehmigt hat?
Wenn ja:
c) dass der Verbotsirrtum für den Hersteller unvermeidbar sei, da die Rechtsauffassung des Fahrzeugherstellers von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden wäre (hypothetische Genehmigung)?
2. Hat der Fahrzeughersteller, der ein Software-Update ausgeliefert hat, dem Fahrzeugeigentümer Schadensersatz zu leisten, wenn dieser durch eine mit dem Software-Update installierte unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 einen Schaden erleidet?
3. Ist es vereinbar mit Unionsrecht, wenn bei dem Schadensersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller wegen fahrlässigen Inverkehrbringens eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007
a) der Fahrzeugerwerber sich bei seinem Anspruch auf kleinen Schadensersatz auf den Schadenersatzbetrag die Vorteile der Nutzung des Fahrzeugs anrechnen lassen muss, soweit diese zusammen mit dem Restwert den gezahlten Kaufpreis abzüglich jenes Schadenersatzbetrags übersteigen;
b) der Anspruch des Fahrzeugerwerbers auf kleinen Schadensersatz auf maximal 15 % des gezahlten Kaufpreises begrenzt ist?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
59 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof dessen Aufgabe, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zweckdienliche Antwort zu geben. So gesehen kann der Gerichtshof veranlasst sein, unionsrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen, die das nationale Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat. Der Umstand, dass ein nationales Gericht eine Vorlagefrage ihrer Form nach unter Bezugnahme auf bestimmte Vorschriften des Unionsrechts formuliert hat, hindert den Gerichtshof nämlich nicht daran, diesem Gericht alle Auslegungshinweise zu geben, die ihm bei der Entscheidung über die bei ihm anhängige Rechtssache von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei der Formulierung seiner Fragen darauf Bezug genommen hat oder nicht. Der Gerichtshof hat insoweit aus allem, was das nationale Gericht vorgelegt hat, insbesondere aus der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (Urteil vom 26. September 2024, Luxone und Sofein, C-403/23 und C-404/23, EU:C:2024:805, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).
60 Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Ausgangsrechtsstreitigkeiten den Schadensersatzanspruch von CM und DS gegen Volkswagen wegen des Schadens, den sie infolge des Vorhandenseins unzulässiger Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 in ihren Fahrzeugen erlitten haben, sowie die Frage betreffen, ob sich der Fahrzeughersteller zur Entlastung von seiner Haftung auf die hypothetische Genehmigung der Fahrzeuge berufen kann, was den Tatbestand eines unvermeidbaren Verbotsirrtums hinsichtlich der Unzulässigkeit dieser Abschalteinrichtung erfüllen könnte.
61 Nach der sich aus dem Urteil vom 21. März 2023, Mercedes-Benz Group (Haftung der Hersteller von Fahrzeugen mit Abschalteinrichtungen) (C-100/21, im Folgenden: Urteil Mercedes-Benz Group, EU:C:2023:229, Rn. 91), ergebenden Rechtsprechung hat der Käufer eines mit einer Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs einen Anspruch auf Schadensersatz durch den Hersteller dieses Fahrzeugs aus Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist.
62 Es ist daher davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen sind, dass sie im Rahmen einer vom Käufer eines Kraftfahrzeugs erhobenen Klage auf Ersatz des durch das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne dieses Art. 5 Abs. 2 verursachten Schadens den Hersteller des Fahrzeugs daran hindern, sich zu seiner Entlastung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum hinsichtlich der Unzulässigkeit dieser Abschalteinrichtung zu berufen, der darauf zurückzuführen sein soll, dass für diese Abschalteinrichtung oder das damit ausgerüstete Fahrzeug von der zuständigen Behörde eine EG-Typgenehmigung erteilt wurde oder diese Behörde, wenn sie von diesem Hersteller dazu befragt worden wäre, seine rechtliche Beurteilung bezüglich der angeblichen Zulässigkeit der betreffenden Abschalteinrichtung bestätigt hätte.
63 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützen, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestattet ist (Urteil Mercedes-Benz Group, Rn. 88).
64 Aus diesen Bestimmungen geht somit hervor, dass ein individueller Käufer eines Kraftfahrzeugs gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs einen Anspruch darauf hat, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestattet ist (Urteil Mercedes-Benz Group, Rn. 89).
65 Es ist daher nach Art. 46 der Richtlinie 2007/46 Sache der Mitgliedstaaten, die Sanktionen festzulegen, die im Fall der Nichtbeachtung der Richtlinie anwendbar sind. Die verhängten Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Ebenso legen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 715/2007 für Verstöße gegen die Vorschriften dieser Verordnung Sanktionen fest. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein (Urteil Mercedes-Benz Group, Rn. 90).
66 Wie in Rn. 61 des vorliegenden Urteils ausgeführt wurde, ergibt sich unter diesen Umständen aus Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007, dass die Mitgliedstaaten vorsehen müssen, dass der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestatteten Fahrzeugs einen Anspruch auf Schadensersatz durch den Hersteller dieses Fahrzeugs hat, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist (Urteil Mercedes-Benz Group, Rn. 91).
67 In Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften über die Modalitäten für die Erlangung eines solchen Ersatzes durch die Käufer eines solchen Fahrzeugs ist es Sache jedes einzelnen Mitgliedstaats, diese Modalitäten festzulegen (Urteil Mercedes-Benz Group, Rn. 92).
68 Allerdings stünden nationale Rechtsvorschriften, die es dem Käufer eines Kraftfahrzeugs praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, einen angemessenen Ersatz des Schadens zu erhalten, der ihm durch den Verstoß des Herstellers dieses Fahrzeugs gegen das in Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung enthaltene Verbot entstanden ist, nicht mit dem Grundsatz der Effektivität in Einklang (Urteil Mercedes-Benz Group, Rn. 93).
69 Insbesondere dürfen die Voraussetzungen, unter denen sich ein Fahrzeughersteller auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum hinsichtlich der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung berufen kann, um sich von jeder Haftung dafür zu entlasten, nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Erlangung eines solchen Schadensersatzes durch den Käufer eines mit dieser Abschalteinrichtung ausgerüsteten Fahrzeugs praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.
70 Nach dem Vorlagebeschluss hat der betreffende Automobilhersteller gemäß dem Urteil des Bundesgerichtshofs die Möglichkeit, sich von jeder Haftung zu entlasten, indem er einen unvermeidbaren Verbotsirrtum hinsichtlich der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung, mit dem das in Rede stehende Fahrzeug ausgerüstet ist, darlegt und beweist, was eine Fahrlässigkeit seinerseits ausschließt und damit einen Anspruch des Käufers dieses Fahrzeugs auf Schadensersatz.
71 Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass ein unvermeidbarer Verbotsirrtum hinsichtlich der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung nach der nationalen Rechtsprechung als Grund für die Entlastung von der Haftung des Automobilherstellers für Fahrlässigkeit nur ausnahmsweise in Betracht kommt.
72 Wie das vorlegende Gericht ferner erläutert, kann dieser unvermeidbare Verbotsirrtum hinsichtlich der Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung, mit denen Fahrzeuge, wie sie in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten in Rede stehen, ausgestattet sind, vom Automobilhersteller mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn er darauf zurückzuführen ist, dass von der zuständigen Behörde eine EG-Typgenehmigung für den betreffenden Fahrzeugtyp erteilt wurde.
73 Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig ist. Allerdings gibt es von diesem Verbot drei Ausnahmen, die eng auszulegen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Mercedes-Benz Group, Rn. 60 und 61).
74 Nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. a bis c der Verordnung Nr. 715/2007 gilt dieses Verbot nicht, wenn „die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“ (Buchst. a), wenn „die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist“ (Buchst. b), oder wenn „die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind“ (Buchst. c).
75 Vorliegend geht aus dem Vorlagebeschluss hervor, dass die in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten in Rede stehenden Fahrzeuge mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgerüstet waren.
76 Sofern keine der in den Buchst. a bis c dieser Bestimmung genannten Ausnahmen auf die in Rede stehenden Abschalteinrichtungen anwendbar ist, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat, kann sich ein Automobilhersteller, der seine Fahrzeuge mit solchen Abschalteinrichtungen ausrüstet, daher nicht auf ein in Anbetracht dieser Bestimmung zulässiges Verhalten berufen.
77 Als Zweites ist festzustellen, dass sich nach Art. 3 Nr. 5 der Richtlinie 2007/46 der Begriff „EG-Typgenehmigung“ auf das Verfahren bezieht, nach dem ein Mitgliedstaat bescheinigt, dass ein Typ eines Fahrzeugs, eines Systems, eines Bauteils oder einer selbständigen technischen Einheit den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen dieser Richtlinie und der in Anhang IV oder XI dieser Richtlinie aufgeführten Rechtsakte entspricht.
78 Die EG-Typgenehmigung entspricht somit einem Konformitätsstandard für eine große Zahl von Fahrzeugen. Er stellt einen Hinweis darauf dar, dass die Konzeption des betreffenden Fahrzeugtyps einschließlich der installierten Abschalteinrichtung im Einklang mit den in der vorherigen Randnummer genannten anwendbaren Vorschriften und Anforderungen steht.
79 Nach der Rechtsprechung ist es indes nicht ausgeschlossen, dass ein Fahrzeugtyp, der über eine EG-Typgenehmigung verfügt, mit der dieses Fahrzeug auf der Straße verwendet werden kann, ursprünglich von der Typgenehmigungsbehörde genehmigt worden sein kann, ohne dass ihr das Vorhandensein einer als Thermofenster programmierten Software offenbart wurde. Die Richtlinie 2007/46 nimmt insoweit den Fall in den Blick, dass die Unzulässigkeit eines Bauteils eines Fahrzeugs, z. B. im Hinblick auf die Anforderungen von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007, erst nach dieser Genehmigung entdeckt wird. In einem solchen Fall sieht Art. 8 Abs. 6 dieser Richtlinie vor, dass diese Behörde die Typgenehmigung eines Fahrzeugs entziehen kann. Außerdem ergibt sich aus Art. 13 Abs. 1 Sätze 1 und 3 der Richtlinie 2007/46, dass ein Mitgliedstaat, der die EG-Typgenehmigung erteilt hat, dann, wenn ihn der Hersteller über eine Änderung der Angaben in den Beschreibungsunterlagen unterrichtet, im Benehmen mit dem Hersteller entscheiden kann, dass eine neue EG-Typgenehmigung zu erteilen ist, sofern dies erforderlich ist. Ferner sieht Art. 30 Abs. 1 dieser Richtlinie vor, dass ein Mitgliedstaat, der eine EG-Typgenehmigung erteilt hat, wenn er eine fehlende Übereinstimmung mit dem Fahrzeugtyp, für den er die Genehmigung erteilt hat, feststellt, die notwendigen Maßnahmen, einschließlich erforderlichenfalls eines Entzugs der Typgenehmigung, ergreift, um sicherzustellen, dass die Fahrzeuge mit dem jeweils genehmigten Typ in Übereinstimmung gebracht werden (Urteil Mercedes-Benz Group, Rn. 83 und die dort angeführte Rechtsprechung).
80 Infolgedessen kann die nach Erteilung der EG-Typgenehmigung für dieses Fahrzeug entdeckte Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung, mit der ein Kraftfahrzeug ausgerüstet ist, die Gültigkeit dieser Genehmigung und daran anschließend die der Übereinstimmungsbescheinigung, mit der bescheinigt werden soll, dass dieses Fahrzeug, das zur Baureihe des genehmigten Typs gehört, zum Zeitpunkt seiner Herstellung allen Rechtsakten entsprach, in Frage stellen (Urteil Mercedes-Benz Group, Rn. 84).
81 Daraus folgt, dass die EG-Typgenehmigung für ein mit einer Abschalteinrichtung ausgerüstetes Fahrzeug nicht zwangsläufig bedeutet, dass die zuständige nationale Behörde die Einschätzung des Herstellers des betreffenden Fahrzeugs bezüglich der angeblichen Zulässigkeit dieser Abschalteinrichtung bestätigt hat. Jedenfalls kann eine solche Genehmigung und noch weniger eine hypothetische Genehmigung diesen Hersteller von seiner Pflicht entbinden, den Käufer des betreffenden Fahrzeugs für einen etwaigen, durch das Vorhandensein dieser Abschalteinrichtung in seinem Fahrzeug verursachten Schaden zu entschädigen.
82 Würde man zulassen, dass die EG-Typgenehmigung für ein Fahrzeug mit Abschalteinrichtung einen Grund für die Entlastung von der Haftung des Fahrzeugherstellers darstellen kann, hätte dies zur Folge, dass es dem Käufer dieses Fahrzeugs unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert würde, angemessenen Ersatz für die Schäden zu erhalten, die ihm durch den Verstoß des Herstellers dieses Fahrzeugs gegen das in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 aufgestellte Verbot entstanden sind, was dem Effektivitätsgrundsatz zuwiderliefe. Einen solchen Entlastungsgrund zu akzeptieren, würde nämlich bedeuten, dass das Recht auf angemessene Entschädigung in all den Fällen ins Leere liefe, in denen das betreffende Fahrzeug dem genehmigten Typ entspricht, selbst wenn feststeht, dass dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist.
83 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen sind, dass sie im Rahmen einer vom Käufer eines Kraftfahrzeugs erhobenen Klage auf Ersatz des durch das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne dieses Art. 5 Abs. 2 verursachten Schadens den Hersteller des Fahrzeugs daran hindern, sich zu seiner Entlastung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum hinsichtlich der Unzulässigkeit dieser Abschalteinrichtung zu berufen, der darauf zurückzuführen sein soll, dass für diese Abschalteinrichtung oder das damit ausgerüstete Fahrzeug von der zuständigen Behörde eine EG-Typgenehmigung erteilt wurde oder diese Behörde, wenn sie von diesem Hersteller dazu befragt worden wäre, seine rechtliche Beurteilung bezüglich der angeblichen Zulässigkeit der betreffenden Abschalteinrichtung bestätigt hätte.
Zur zweiten Frage
84 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht allgemein wissen, ob ein Fahrzeughersteller, der ein Software-Update ausgeliefert hat, dem Fahrzeugeigentümer Schadensersatz zu leisten hat, wenn dieser durch eine mit dem Software-Update installierte unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 einen Schaden erleidet.
85 Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht indes hervor, dass mit dieser Frage genauer gesagt ermittelt werden soll, ob es sich gemäß Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 sowie Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 692/2008 auf den im Unionsrecht vorgesehenen Schadensersatzanspruch des Erwerbers des betreffenden Fahrzeugs, der diesen Schaden erlitten hat, auswirkt, ob eine unzulässige Abschalteinrichtung bereits zu dem Zeitpunkt installiert war, zu dem die EG-Typgenehmigung für das damit ausgestattete Fahrzeug erteilt wurde, oder aber erst danach installiert wurde.
86 In Anbetracht dieser Klarstellungen und der in Rn. 59 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ist die zweite Frage dahin umzuformulieren, dass das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 sowie Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 692/2008 dahin auszulegen sind, dass sie verlangen, dass der Erwerber eines Fahrzeugs gegen den Fahrzeughersteller einen Anspruch auf Schadensersatz hat, wenn dem Erwerber wegen einer im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung, die vom Hersteller nach der EG-Typgenehmigung für dieses Fahrzeug mittels eines Software-Updates installiert wurde, ein Schaden entstanden ist.
87 Weder dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007, wonach die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen unzulässig ist, noch dem Wortlaut von Art. 3 Nr. 10 dieser Verordnung, in dem der Begriff „Abschalteinrichtung“ definiert wird, lässt sich entnehmen, dass für die Beurteilung, ob die Verwendung dieser Einrichtung unzulässig ist, danach zu unterscheiden ist, ob eine Abschalteinrichtung in der Phase der Herstellung eines Fahrzeugs oder erst nach seiner Inbetriebnahme, u. a. infolge einer Nachbesserung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 1999/44, eingebaut wurde (Urteil vom 14. Juli 2022, Volkswagen, C-134/20, EU:C:2022:571, Rn. 88).
88 Diese Auslegung wird durch den Kontext, in dem diese Bestimmungen der Verordnung Nr. 715/2007 stehen, und das mit dieser Verordnung verfolgte Ziel gestützt (Urteil vom 14. Juli 2022, Volkswagen, C-134/20, EU:C:2022:571, Rn. 89).
89 Zum einen ist nämlich in Bezug auf den Kontext dieser Bestimmungen darauf hinzuweisen, dass die Hersteller nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 dieser Verordnung nachzuweisen haben, dass alle von ihnen in der Europäischen Union verkauften oder in Betrieb genommenen neuen emissionsmindernden Einrichtungen für den Austausch, für die eine Typgenehmigung erforderlich ist, über eine Typgenehmigung gemäß dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen verfügen. Nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Verordnung schließt diese Verpflichtung ein, dass die in Anhang I und in den in Art. 5 der Verordnung genannten Durchführungsmaßnahmen festgelegten Grenzwerte eingehalten werden (Urteil vom 14. Juli 2022, Volkswagen, C-134/20, EU:C:2022:571, Rn. 90).
90 Wenn ein individueller Käufer ein Fahrzeug erwirbt, das zur Serie eines genehmigten Fahrzeugtyps gehört und zudem mit einer Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist, kann er vernünftigerweise erwarten, dass die Verordnung Nr. 715/2007 und insbesondere deren Art. 5 bei diesem Fahrzeug eingehalten werden (Urteil Mercedes-Benz Group, Rn. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung).
91 Außerdem gewährleistet der Hersteller nach Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 692/2008, „dass emissionsmindernde Einrichtungen für den Austausch, die in Fahrzeuge mit einer EG-Typgenehmigung nach der Verordnung [Nr. 715/2007] eingebaut werden, in Übereinstimmung mit Artikel 12, Artikel 13 und Anhang XIII dieser Verordnung über eine EG-Typgenehmigung als selbstständige technische Einheiten im Sinne von Artikel 10 Absatz 2 der Richtlinie [2007/46] verfügen“ (Urteil vom 14. Juli 2022, Volkswagen, C-134/20, EU:C:2022:571, Rn. 91).
92 Aus diesen Bestimmungen der Verordnungen Nr. 715/2007 und Nr. 692/2008 ergibt sich, dass die emissionsmindernden Einrichtungen die Verpflichtungen aus der Verordnung Nr. 715/2007 unabhängig davon einhalten müssen, ob sie ursprünglich oder nach Inbetriebnahme eines Fahrzeugs eingebaut werden (Urteil vom 14. Juli 2022, Volkswagen, C-134/20, EU:C:2022:571, Rn. 92).
93 Zum anderen liefe es, wenn man Fahrzeugherstellern erlauben würde, nach der Inbetriebnahme eines Fahrzeugs eine Abschalteinrichtung einzubauen, die diese Verpflichtungen nicht einhält, dem Ziel der Verordnung Nr. 715/2007 zuwider, das darin besteht, ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte insbesondere die Stickstoffoxid-(NOx)-Emissionen bei Dieselkraftfahrzeugen zu mindern (Urteil vom 14. Juli 2022, Volkswagen, C-134/20, EU:C:2022:571, Rn. 93).
94 Der Umstand, dass eine Abschalteinrichtung nach der Inbetriebnahme eines Fahrzeugs bei einer Nachbesserung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 1999/44 eingebaut wurde, ist somit für die Beurteilung der Frage, ob die Verwendung dieser Einrichtung nach Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 unzulässig ist, unerheblich (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juli 2022, Volkswagen, C-134/20, EU:C:2022:571, Rn. 94).
95 Unabhängig von der Frage, ob eine Abschalteinrichtung ursprünglich, d. h. zum Zeitpunkt der EG-Typgenehmigung, eingebaut war oder danach eingebaut wurde, kann diese Abschalteinrichtung nämlich für Unsicherheit sorgen, ob das Fahrzeug angemeldet, verkauft oder in Betrieb genommen werden kann, und letztlich beim Käufer eines mit einer solchen Abschalteinrichtung ausgerüsteten Fahrzeugs zu einem Schaden führen (vgl. in diesem Sinne Urteil Mercedes-Benz Group, Rn. 84).
96 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 sowie Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 692/2008 dahin auszulegen sind, dass sie verlangen, dass der Erwerber eines Fahrzeugs gegen den Fahrzeughersteller einen Anspruch auf Schadensersatz hat, wenn dem Erwerber wegen einer im Sinne dieses Art. 5 Abs. 2 unzulässigen Abschalteinrichtung, die vom Hersteller nach der EG-Typgenehmigung für dieses Fahrzeug mittels eines Software-Updates installiert wurde, ein Schaden entstanden ist.
Zur dritten Frage
97 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass es zum einen daran hindert, auf den Schadensersatzbetrag, der dem Erwerber eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestatteten Fahrzeugs geschuldet wird, dem durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist, einen Betrag anzurechnen, der dem Vorteil der Nutzung dieses Fahrzeugs entspricht, und zum anderen einer Begrenzung dieser Entschädigung auf einen Betrag entgegensteht, der 15 % des Kaufpreises des Fahrzeugs entspricht.
98 Es ist darauf hinzuweisen, dass es gemäß der in Rn. 67 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung in Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften über die Modalitäten für die Erlangung von Schadensersatz durch die Käufer eines solchen Fahrzeugs für die Schäden, die durch die Abschalteinrichtung verursacht wurden, mit der dieses Fahrzeug ausgestattet ist, Sache jedes einzelnen Mitgliedstaats ist, diese Modalitäten festzulegen.
99 Allerdings stünden gemäß der in Rn. 68 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung von den Mitgliedstaaten festgelegte Modalitäten, die es dem Käufer eines Kraftfahrzeugs praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, einen angemessenen Ersatz des Schadens zu erhalten, der ihm durch den Verstoß des Herstellers dieses Fahrzeugs gegen das in diesem Art. 5 Abs. 2 enthaltene Verbot entstanden ist, nicht mit dem Grundsatz der Effektivität in Einklang.
100 Unter diesem Vorbehalt ist festzustellen, dass die nationalen Gerichte befugt sind, dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteten Rechte, einschließlich des Rechts des Käufers eines Kraftfahrzeugs auf angemessene Entschädigung für die Schäden, die ihm durch den Verstoß des Herstellers dieses Fahrzeugs gegen das in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 aufgestellte Verbot entstanden sind, nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt (vgl. in diesem Sinne Urteil Mercedes-Benz Group, Rn. 94 und die dort angeführte Rechtsprechung).
101 Das vorlegende Gericht hat somit zu prüfen, ob die Anrechnung eines Vorteils, den der betreffende Käufer im Rahmen der Nutzung der Fahrzeuge gezogen hat, oder im vorliegenden Fall die Anrechnung des Vorteils der tatsächlichen Nutzung der in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten in Rede stehenden Fahrzeuge den betreffenden Käufern eine angemessene Entschädigung gewährleistet, soweit festgestellt wird, dass diesen im Zusammenhang mit dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 in diese Fahrzeuge ein Schaden entstanden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Mercedes-Benz Group, Rn. 95).
102 In diesem Kontext kann die Tatsache, dass ein Mitgliedstaat einen Zusammenhang zwischen dem Kaufpreis eines solchen Fahrzeugs und dem Entschädigungsbetrag herstellt, mit dem der vom Käufer des betreffenden Fahrzeugs erlittene Schaden wiedergutgemacht werden soll, insofern nicht als unionsrechtswidrig angesehen werden, als die Bewertung des Umfangs dieses Schadens, der sich u. a. in dem Risiko materialisiert, dieses Fahrzeug nicht anzumelden, verkaufen oder in Betrieb nehmen zu können, mit dem Kaufpreis in Verbindung gebracht wird.
103 Hierzu geht aus dem Vorlagebeschluss hervor, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Umfang des Schadensersatzes in die Beurteilung des Tatrichters fällt, sie aber aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht weniger als 5 % und nicht mehr als 15 % des Kaufpreises betragen darf.
104 Gemäß der in Rn. 66 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung kann es grundsätzlich auch nicht als unionsrechtswidrig angesehen werden, wenn ein Mitgliedstaat für die Bestimmung einer angemessenen Entschädigung, die dem Käufer des betreffenden Fahrzeugs zugutekommen muss, eine Spanne zwischen einer in Prozent ausgedrückten Unter- und Obergrenze festlegt, sofern diese Spanne nicht zu einer unangemessenen Entschädigung des Schadens führt, der dem Käufer eines Fahrzeugs mit einer Abschalteinrichtung entstanden ist.
105 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass CM die Zahlung eines Betrags begehrt hat, der 20 % des Kaufpreises ausmacht oder, sollte dieser nicht gewährt werden, mindestens 15 % dieses Preises, während DS die Zahlung einer in das Ermessen dieses Gerichts gestellten Entschädigung beantragt hat, die jedoch nicht weniger als 15 % des Kaufpreises betragen dürfe.
106 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die in Rn. 103 des vorliegenden Urteils genannte Entschädigungsspanne es CM und DS unmöglich macht oder übermäßig erschwert, angemessenen Ersatz für die erlittenen Schäden zu erlangen.
107 Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass es zum einen nicht daran hindert, auf den Schadensersatzbetrag, der dem Erwerber eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestatteten Fahrzeugs geschuldet wird, dem durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist, einen Betrag anzurechnen, der dem Vorteil der Nutzung dieses Fahrzeugs entspricht, und zum anderen einer Begrenzung dieser Entschädigung auf einen Betrag, der 15 % des Kaufpreises des Fahrzeugs entspricht, nicht entgegensteht, sofern diese Entschädigung eine angemessene Wiedergutmachung für den erlittenen Schaden darstellt.
Kosten
108 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.