BGH: Keine Anwendung des § 89b HGB bei ein anonymes Massengeschäft betreffende Franchiseverträge
BGH, Urteil vom 5.2.2015 – VII ZR 109/13
Amtlicher Leitsatz
Bei Franchiseverträgen, die ein im Wesentlichen anonymes Massengeschäft betreffen, rechtfertigt eine bloß faktische Kontinuität des Kundenstamms nach Vertragsbeendigung eine entsprechende Anwendung der auf Handelsvertreter zugeschnittenen Bestimmung des § 89b HGB nicht.
§ HGB § 89b
Sachverhalt
Der Kläger verlangt als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des W. (im Folgenden: Schuldner) von der Beklagten Ausgleich ent-sprechend § 89b HGB nach Beendigung zweier Franchiseverträge, die der Schuldner mit der Beklagten abgeschlossen hatte.
Die Beklagte betreibt eine Handwerksbäckerei-Kette, zu der über 930 Bäckereien in Deutschland gehören. Von diesen Bäckereien werden über 90 % von Franchisepartnern geführt. Der Schuldner war einer dieser Franchisepart-ner mit zuletzt zwei Backshops in H. und in N. Nach den zwischen dem Schuld-ner und der Beklagten im Juni 2005 geschlossenen beiden Franchiseverträgen verkaufte der Schuldner die Waren in den Backshops im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Eine vertragliche Regelung, wonach der Schuldner nach Beendigung der Franchiseverträge zur Übertragung des Kundenstamms oder zur Übermittlung von Kundendaten verpflichtet war, bestand nicht. Der Schuld-ner war verpflichtet, die Geschäftsräume nach Vertragsbeendigung zurückzu-geben.
Die beiden Franchiseverträge wurden durch von den Vertragsparteien im Jahr 2007 geschlossene Aufhebungsverträge beendet.
Mit Beschluss des Amtsgerichts - Insolvenzgericht - R. vom 27. Mai 2008 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter ernannt.
Das Landgericht hat die auf Zahlung von Ausgleich entsprechend § 89b HGB in Höhe von 116.400,55 € nebst Zinsen gerichtete Klage abgewie-sen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zuge-lassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Aus den Gründen
6 Die Revision ist nicht begründet.
7 I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil in juris veröffentlicht ist, führt aus, dem Kläger stehe ein Ausgleichsanspruch gemäß § 89b HGB nicht zu.
8 Eine unmittelbare Anwendung des § 89b HGB scheide aus, weil der Schuldner nicht Handelsvertreter der Beklagten gewesen sei; vielmehr habe der Schuldner als Franchisenehmer der Beklagten die Waren im eigenen Namen und auf eigene Rechnung verkauft.
9 § 89b HGB sei auf die vorliegende Vertragskonstellation auch nicht ent-sprechend anwendbar. Ob § 89b HGB überhaupt im Franchiseverhältnis eben-so wie im Vertragshändlerverhältnis analog anwendbar sei, bedürfe hier keiner abschließenden Entscheidung, da schon die Voraussetzungen einer analogen Anwendung des § 89b HGB nicht gegeben seien. Voraussetzung hierfür sei zum einen, dass das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien so ausgestaltet sei, dass es sich nicht in einer Verkäufer-Käufer-Beziehung erschöpfe, sondern der Vertriebsmittler so in die Absatzorganisation seines Vertragspartners einge-gliedert sei, dass er wirtschaftlich in erheblichem Umfang einem Handelsvertre-ter vergleichbare Aufgaben zu erfüllen habe. Davon sei vorliegend auszugehen. Außerdem müsse der Franchisenehmer - woran es im Streitfall fehle - auch verpflichtet sein, seinen Kundenstamm zu übertragen, so dass sich der Fran-chisegeber bei Vertragsende die Vorteile des Kundenstamms sofort und ohne weiteres nutzbar machen könne. Eine rein tatsächliche Überlassung genüge nicht. Der Umstand, dass aufgrund der Anonymität im Massengeschäft keine Kundenlisten geführt würden, rechtfertige kein anderes Ergebnis. Schließlich könne die Pflicht des Schuldners, die Betriebsräume nach Vertragsbeendigung an die Beklagte herauszugeben und die daraus für diese folgende Möglichkeit, das Geschäftslokal an einen neuen Franchisenehmer zu übergeben, nicht mit der Verpflichtung zur Überlassung des Kundenstamms gleichgesetzt werden. Der Schutzbereich des § 89b HGB werde dadurch nicht berührt.
10 II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.
11 1. Soweit das Berufungsgericht eine unmittelbare Anwendung von § 89b HGB mangels Handelsvertretereigenschaft des Schuldners verneint hat, wird dies von der Revision hingenommen. Rechtsfehler sind insoweit auch nicht ersichtlich.
12 2. Die Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung von § 89b HGB sind im Streitfall nicht erfüllt.
13 a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Vorschriften des Handelsvertreterrechts auf einen Franchisevertrag entsprechend anwend-bar, wenn der hinter einer Einzelbestimmung stehende Grundgedanke wegen der Gleichheit der Interessenlage auch auf das Verhältnis zwischen Franchise-geber und Franchisenehmer zutrifft (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2002 VIII ZR 59/01, NJW-RR 2002, 1554, 1555, zur entsprechenden Anwendbarkeit von § 89 HGB; Urteil vom 12. November 1986 - I ZR 209/84, WM 1987, 512, 513, zur entsprechenden Anwendbarkeit von § 90a Abs. 1 HGB).
14 Grundsätzlich kann § 89b HGB auf andere im Vertrieb tätige Personen entsprechend anwendbar sein (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2010 I ZR 3/09, GRUR 2010, 1107 Rn. 24 - JOOP!). Dies gilt insbesondere für Vertragshändler. Die auf Handelsvertreter zugeschnittene Bestimmung des § 89b HGB ist auf Vertragshändler entsprechend anzuwenden, wenn sich das Rechtsverhältnis zwischen dem Vertragshändler und dem Hersteller oder Lieferanten nicht in einer bloßen Käufer-Verkäufer-Beziehung erschöpft, sondern der Vertragshänd-ler in der Weise in die Absatzorganisation des Herstellers oder Lieferanten ein-gegliedert war, dass er wirtschaftlich in erheblichem Umfang dem Handelsvertreter vergleichbare Aufgaben zu erfüllen hatte, und der Vertragshändler außer-dem verpflichtet ist, dem Hersteller oder Lieferanten seinen Kundenstamm zu übertragen, so dass sich dieser bei Vertragsende die Vorteile des Kunden-stamms sofort und ohne weiteres nutzbar machen kann (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 6. Oktober 2010 - VIII ZR 209/07, NJW 2011, 848 Rn. 17; Urteil vom 6. Oktober 2010 - VIII ZR 210/07, NJW-RR 2011, 389 Rn. 18; Urteil vom 29. April 2010 - I ZR 3/09, GRUR 2010, 1107 Rn. 24 - JOOP!; Urteil vom 13. Januar 2010 - VIII ZR 25/08, NJW-RR 2010, 1263 Rn. 15 m.w.N.). Dabei muss sich die Verpflichtung des Vertragshändlers zur Übertragung des Kun-denstamms nicht ausdrücklich und unmittelbar aus dem schriftlichen Händler-vertrag ergeben; sie kann sich auch aus anderen, dem Vertragshändler aufer-legten Pflichten ergeben (BGH, Urteil vom 26. Februar 1997 - VIII ZR 272/95, BGHZ 135, 14, 17 m.w.N.; Urteil vom 12. Januar 2000 VIII ZR 19/99, NJW 2000, 1413). Bei anderen im Vertrieb tätigen Personen gilt grundsätzlich Ent-sprechendes (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2010 - I ZR 3/09, GRUR 2010, 1107 Rn. 24 - JOOP!; Urteil vom 12. März 2003 - VIII ZR 221/02, NJW-RR 2003, 894, 895).
15 Eine bloß faktische Kontinuität des Kundenstamms rechtfertigt, wie der Bundesgerichtshof in Auseinandersetzung mit einer im Schrifttum (vgl. die Nachweise im Urteil vom 17. April 1996 - VIII ZR 5/95, NJW 1996, 2159, 2160) verbreiteten Ansicht entschieden hat, eine entsprechende Anwendung des § 89b HGB im Vertragshändlerverhältnis nicht (BGH, Urteil vom 17. April 1996 VIII ZR 5/95, NJW 1996, 2159, 2160; Urteil vom 26. November 1997 VIII ZR 283/96, NJW-RR 1998, 390, 391; vgl. ferner BGH, Urteil vom 16. Februar 1961 - VII ZR 244/59, VersR 1961, 401, 402).
16 b) Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 23. Juli 1997 - VIII ZR 130/96, NJW 1997, 3304, 3308 f. - Benetton, insoweit in BGHZ 130, 295 nicht abgedruckt) hat bisher allerdings offengelassen, ob § 89b HGB überhaupt im Franchisever-hältnis ebenso wie im Vertragshändlerverhältnis analog anwendbar ist. Er hat dort des Weiteren offengelassen, ob beim Franchising anders als im Vertrags-händlerverhältnis anstelle einer rechtlichen Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstamms das tatsächliche Verbleiben des vom Franchisenehmer gewor-benen Kundenstamms beim Franchisegeber (vgl. Martinek, Franchising, S. 363 f., 366 f.; ders., Moderne Vertragstypen II, S. 154, 156 f.; Eckert, WM 1991, 1237, 1243 f.; Köhler, NJW 1990, 1689, 1691, 1693 f.) die entsprechende Anwendung des § 89b HGB rechtfertigen könnte.
17 Auch im Streitfall braucht nicht entschieden werden, ob § 89b HGB über-haupt im Franchiseverhältnis ebenso wie im Vertragshändlerverhältnis analog anwendbar ist, da die erforderlichen Analogievoraussetzungen nicht erfüllt sind. Bei Franchiseverträgen, die ein im Wesentlichen anonymes Massengeschäft wie im Streitfall betreffen, rechtfertigt eine bloß faktische Kontinuität des Kun-denstamms eine entsprechende Anwendung der auf Handelsvertreter zuge-schnittenen Bestimmung des § 89b HGB nicht. Insoweit besteht keine hinrei-chende Ähnlichkeit der Interessenlage.
18 Der Franchisenehmer, der im eigenen Namen und für eigene Rechnung handelt, besorgt - anders als der Handelsvertreter - mit der Werbung eines Kundenstamms primär ein eigenes, kein fremdes Geschäft (vgl. Rauser in Metzlaff, Praxishandbuch Franchising, § 16 Rn. 212; Thume in Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, 9. Aufl., Band 2, Kap. II Rn. 91; Gies-ler in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, HGB, 4. Aufl., Franchising Rn. 122a; Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl., § 17 Rn. 25, zum Vertragshändler). Daran än-dert nichts, dass Franchisenehmer im Außenverhältnis gegenüber den Kunden meist nicht unter eigenem Kennzeichen, sondern unter dem des Franchisesys-tems in Erscheinung treten (a.M. Bodewig, BB 1997, 637, 639; Penners, Die Bemessung des Ausgleichsanspruchs im Handelsvertreter- und Franchiserecht, S. 204 ff.). Ein vom Franchisenehmer geworbener, im Wesentlichen anonymer Kundenstamm ist nach Vertragsbeendigung nicht ohne weiteres für den Fran-chisegeber nutzbar. Die tatsächliche Möglichkeit für den Franchisegeber, einen solchen Kundenstamm nach Vertragsende zu nutzen, ist insbesondere dann eingeschränkt, wenn der Franchisenehmer am selben Standort (vgl. Kroll, ZVertriebsR 2014, 290, 293) - beispielsweise unter eigenem Kennzeichen - wei-terhin ein Geschäft betreiben kann und von dieser Möglichkeit Gebrauch macht.
19 Soweit der Franchisenehmer wie der Schuldner im Streitfall verpflichtet ist, die Geschäftsräume nach Vertragsbeendigung an den Franchisegeber oder einen Dritten herauszugeben, rechtfertigt die sich daraus für den Franchisege-ber etwa ergebende tatsächliche Möglichkeit, diese Räume an einen neuen Franchisenehmer zu übergeben oder dort selbst ein entsprechendes Geschäft zu betreiben, eine entsprechende Anwendung des § 89b HGB nicht. Nach der gesetzlichen Wertung kommt bei der Rückgabe eines Pachtgegenstands ein etwaiger Wertzuwachs dem Verpächter zu; für einen solchen Wertzuwachs kann der Pächter keinen Ausgleich verlangen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 1986 II ZR 11/86, NJW 1986, 2306, 2307; Urteil vom 12. März 2003 VIII ZR 221/02, NJW-RR 2003, 894, 895). Durch die den Franchisenehmer etwa treffende Pflicht, die Geschäftsräume nach Vertragsbeendigung heraus-zugeben, wird der Schutzbereich des § 89b HGB dementsprechend nicht be-rührt (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 1986 - II ZR 11/86, aaO, S. 2307; Urteil vom 12. März 2003 - VIII ZR 221/02, aaO, S. 895).
20 Die entsprechende Anwendung des § 89b HGB bei Franchiseverträgen, die ein anonymes Massengeschäft betreffen, kann auch nicht mit der Erwägung gerechtfertigt werden, dass das Erfordernis einer Verpflichtung zur Übertragung des Kundenstamms bei solchem Geschäft sinnlos wäre (a.M. Penners, aaO, S. 209). Auch wenn dies zutreffen sollte, ändert sich nichts daran, dass bei bloß faktischer Kontinuität des Kundenstamms keine hinreichende Ähnlichkeit der Interessenlage mit derjenigen des Handelsvertreters besteht.
21 c) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht dem Kläger kein Aus-gleich entsprechend § 89b HGB zu. Die beendeten Franchiseverträge betreffen ein im Wesentlichen anonymes Massengeschäft.
22 III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.