OLG Brandenburg: Kein automatischer Ersatz entgangenen Gewinns bei Prospekthaftungsklagen
OLG Brandenburg, Urteil vom 14.7.2010 - 4 U 152/09
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Leitsatz (nicht amtlich)
Die Klage eines Anlegers auf entgangenen Gewinn erfordert die konkrete Darlegung, dass und warum im Einzelfall an Stelle einer Kapitalanlage mit Steuervorteilen eine festverzinsliche Kapitalanlage ohne steuerliche Vorteile gewählt worden wäre. Ohne den entsprechenden Vortrag kann das tatrichterliche Schätzungsermessen mangels konkreter Ausgangs- bzw. Anknüpfungstatsachen nicht ausgeübt werden.
BGB 252; ZPO 287
sachverhalt
Der Kläger nimmt die beklagte Bank im Wege des Schadensersatzes auf Rückabwicklung einer Beteiligung an der „F... GmbH & Co KG" (im Folgenden V.), sowie auf Feststellung der Verpflichtung zur Freistellung von aus der Beteiligung resultierenden Nachteilen in Anspruch; zudem begehrt er die Feststellungen des Annahmeverzuges der Beklagten hinsichtlich der Übertragung der Beteiligungen.
Der Kläger beteiligte sich als Gesellschafter über die Treuhandkommanditistin M. GmbH mit zwei Beträgen an der V., wobei der Kläger jeweils 50.000 Euro zzgl. eines Agios in Höhe von 5 % des Zeichnungskapitals an V. zeichnete. Vorangegangen waren Beratungsgespräche mit dem Leiter der Filiale der Beklagten in R., dem Zeugen R., der den Kläger schon über einen längeren Zeitraum hinweg bei Anlageentscheidungen beraten hatte. Der Kläger erhielt den der Anlage zugrundeliegenden Prospekt schon geraume Zeit vor Zeichnung der ersten Beteiligung. Der Kläger las den Prospekt aber nicht, da er aufgrund einer starken beruflichen Einbindung hierzu keine Zeit hatte, was er dem Zeugen R. auch mitteilte, und zeichnete die Beteiligungen allein aufgrund dessen Angaben.
Die Beteiligung entwickelte sich wirtschaftlich nicht wie erwartet, Ausschüttungen wurden nicht vorgenommen. Nachdem im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens u. a. gegen den Initiator des V. festgestellt wurde, dass die für die Filmproduktion vorgesehenen Mittel zu etwa 80 % zweckfremd investiert wurden, entzog das Finanzamt X. dem V. daher die vorläufige steuerliche Anerkennung der Verluste und hob den insoweit ergangenen Grundlagenbescheid auf.
Der Kläger begehrt, so gestellt zu werden, als habe er die Anteile nicht gezeichnet. Er hat der Beklagten vorgeworfen, er sei durch ihren Filialleiter, den Zeugen R., nicht interessegerecht beraten worden. Er begehrt ferner entgangenen Gewinn für den Zeitraum bis zur Rechtshängigkeit der Klage, da er die Anlagebeträge bei ordnungsgemäßer Beratung anderweitig angelegt und dabei eine Rendite von mindestens 4 %°p. a. erzielt hätte. Das LG der Klage überwiegend stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat in der Sache lediglich geringfügig, nämlich insoweit Erfolg, als ein Anspruch des Klägers auf entgangenen Gewinn in der zuerkannten Höhe von 2,11 % p.a. bzw. 2,20 % p.a. nicht begründet ist.
aus den gründen
Schadensersatzpflicht wegen Beratungsfehlers im Rahmen des Anlageberatungsvertrags
II. ... 1.) Die aus einem Beratungsfehler im Rahmen eines Anlagenberatungsvertrages resultierende Schadensersatzpflicht der Beklagten dem Grunde nach steht aufgrund der gemäß § 529 Abs. 1 ZPO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts fest ...
Kein die Haftung der Beklagten reduzierendes Mitverschulden des Klägers
2.) Die Beklagte kann sich auf ein Mitverschulden des Klägers im Sinne von § 254 BGB nicht berufen.
Durch § 254 BGB wird die Ersatzpflicht des Schädigers beschränkt, wenn bei der Entstehung oder Entwicklung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt hat, d. h. wenn der Geschädigte die Sorgfalt außer Acht lässt, die nach Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren (vgl. Palandt-Grüneberg § 254 Rn. 1).
Ein solches die Haftung der Beklagten reduzierendes Mitverschulden des Klägers kann nicht daraus hergeleitet werden, dass der Zeuge R. dem Kläger ... den Prospekt bereits geraume Zeit vor der Zeichnung der Anlage übergeben hatte.
Zwar kann der Anlageberater seiner Aufklärungspflicht grundsätzlich durch die Übergabe von Prospektmaterial nachkommen, sofern der Prospekt nach Form und Inhalt geeignet ist, die nötigen Informationen wahrheitsgemäß und verständlich zu vermitteln und er dem Anlageinteressenten so rechtzeitig vor Vertragsschluss übergeben wird, dass sein Inhalt noch zur Kenntnis genommen werden kann.
Selbst wenn man davon ausginge, dass die Hinweise in dem Prospekt zu V., soweit sie die Risiken des Verlustes des Anlagebetrages bis hin zur Möglichkeit eines Totalverlustes betreffen, ausreichend waren, so dass der Kläger sie vor Zeichnung der Beteiligung hätte zur Kenntnis nehmen können, genügt dies im vorliegenden Fall nicht zur Begründung eines Mitverschuldens.
Die Aushändigung des Prospekts ist für den Anlagevermittler und erst Recht für den Anlageberater kein Freibrief, Risiken abweichend von dem Prospekt darzustellen und mit seinen Erklärungen ein Bild zu zeichnen, das die Hinweise im Prospekt entwertet oder für die Entscheidung des Anlegers mindert. Die Beklagte als Anlageberaterin kann ihrer Haftung für eine fehlerhafte Beratung und Aufklärung über die für die Anlageentscheidung erheblichen Umstände nicht dadurch entgehen, dass sie den Anleger auf die Einholung anderweitiger Informationen verweist (so OLG Karlsruhe Urt. v. 7.5.2010 - 17 U 88/09 Rz. 71). Dies gilt selbst dann, wenn sich bei ausreichend rechtlichen und geschäftlichen Kenntnissen, die bei unerfahrenen Anlegern jedoch nicht vorausgesetzt werden können, Zweifel an der Richtigkeit der Aussage aufdrängen müssen (BGH Urteil vom 19.6.2008 - Ill ZR 159/07 - Rn. 7).
Der Kläger hat dem Zeugen R. vor Zeichnung der ersten Beteiligung unstreitig auf dessen ausdrückliche Nachfrage mitgeteilt, dass er den Prospekt nicht gelesen hatte, da er dafür keine Zeit gehabt habe. In dieser Situation kannte die Beklagte, die sich die Kenntnis des Zeugen R. zurechnen lassen muss, nicht darauf vertrauen, dass es in Gestalt des Prospektes einen Ausgleich für die Angaben in dem Beratungsgespräch gab. Es bestand für den Kläger kein Anlass, an den Angaben des Zeugen R., der darüber hinaus den Kläger über einen Zeitraum von mehreren Jahren beraten hatte, und zu dem nach der eigenen Aussage des Zeugen R. ein Vertrauensverhältnis bestand, zu zweifeln. Vor diesem Hintergrund kommt die Anrechnung eines Mitverschuldens nicht in Betracht, jedenfalls tritt es hinter dem Verschulden der Beklagten völlig zurück.
Die hier zu beurteilende Situation unterscheidet sich danach auch entscheidend von den Fallkonstellationen der von der Beklagten in Bezug genommenen Entscheidungen anderer Obergerichte, wie etwa OLG Frankfurt vom 14.1.2008 - 18 U 28/07,OLG Stuttgart vom 23.4.2007 - 5 U 157/06, OLG Karlsruhe vom 8.11.2006 - 7 U 247/05 und OLG Frankfurt vom 23.3.2007 - 3 U 141/06.
Gemeinsam ist diesen Entscheidungen, dass jeweils konkrete Umstände vorlagen, die dem Anleger Anlass zur Skepsis gegenüber den Angaben des Beraters gaben; Die diesbezüglich ebenfalls in Bezug genommene Entscheidung des BGH vom 6.3.2008 - III ZR 298/05 - verhält sich nur zur grundsätzlichen Möglichkeit eines Mitverschuldens bei rechtzeitiger Aushändigung eines Prospektes.
Anspruch des Klägers auf Ersatz des negativen Interesses
3.) Das Landgericht hat dem Kläger danach zu Recht gemäß § 249 Abs. 1 BGB den Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses, d.h. auf Erstattung seiner Einlage (2 x 50.000,00 Euro) nebst Agio (2 x 2.500,00 Euro) in voller Höhe von insgesamt 105.000,00 Euro zuerkannt, ohne dass es insoweit oder für die noch zu erörternden weiteren Rechtsfolgen darauf ankommt, ob der Beklagten eine weitere Pflichtverletzung in Form einer fehlenden Aufklärung über erhaltene Rückvergütungen zur Last gelegt werden kann.
Anspruch des Klägers auf Zinsen auf die Hauptforderung als Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit
4.) Entgegen der Auffassung der Beklagten stehen dem Kläger Zinsen auf die Hauptforderung als Prozesszinsen gemäß den §§ 286 Abs. 1, 291, 288 Abs. 1 BGB ab Rechtshängigkeit zu.
Die Verpflichtung zur Zahlung von Prozesszinsen setzt zunächst Fälligkeit und Durchsetzbarkeit der Hauptforderung voraus. Beide Voraussetzungen liegen trotz des Zug-um-Zug-Vorbehaltes vor.
Grundlage des hier in Rede stehenden Zug-um-Zug-Vorbehaltes ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht die Ausübung eines der Beklagten zustehenden Zurückbehaltungsrechts im Sinne des § 320 BGB, sondern das dem allgemeinen Schadensersatzrecht innewohnende Prinzip der Vorteilsausgleichung, welches bewirkt, dass die Schadensersatzpflicht der Beklagten nur gegen Herausgabe derjenigen Vorteile erfüllt zu werden braucht, die mit dem schädigenden Ereignis in adäquatem Zusammenhang stehen ...
Kein Anspruch des Klägers auf entgangenen Gewinn
5.) Der Kläger hat indes keinen Anspruch auf Ersatz entgangenen Gewinns gemäß § 252 BGB.
Hätte der Kläger die Beteiligungen nicht gezeichnet, hätte er die dafür aufgewandten Geldmittel anderweitig investieren können. Dieser entgangene Gewinn im Sinne von § 252 BGB ist damit grundsätzlich auch im Rahmen des negativen Interesses ersatzfähig (vgl. dazu Senat Urteil vom 28.10.2009 - 4 U 47/08).
Der Kläger hat jedoch nicht schlüssig dargelegt, dass er ohne die streitgegenständliche Fondsbeteiligung einen Gewinn im Umfang einer jährlichen Verzinsung des Beteiligungsbetrages erzielt hätte.
Nach § 252 Satz .2 BGB gilt der Gewinn als entgangen, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden kannte. Dem Tatrichter ist nach 287 ZPO diesbezüglich ein Schätzungsermessen eingeräumt, dessen Ausübung erfordert indes den Vortrag konkreter Ausgangs- bzw. Anknüpfungstatsachen, die eine Gewinnerwartung wahrscheinlich machen (so OLG Karlsruhe, Urt. v. 7.5.2010 - 17 U 88/09 unter Verweis auf BGH NJW 2004, 1945, 1946 f. m. w. N.).
Solche Tatsachen hat der darlegungs- und beweisbelastete Kläger aber nicht dargelegt. Die pauschale Behauptung, er hätte das Geld gewinnbringend und sicher angelegt, reicht hierfür nicht aus. Zwar mag die allgemeine Lebenserfahrung dafür sprechen, dass er den Betrag angelegt hätte - hieraus ergibt sich jedoch noch nicht, dass tatsächlich - etwa mit dem Erwerb eines festverzinslichen Wertpapiers - eine Verzinsung in einer Höhe der vom Kläger geltend gemachten 4 % oder aber der vom Landgericht zugrunde gelegten 2,11 % bzw. 2,20 % erzielt worden wäre.
Wie der Kläger den Betrag angelegt hätte, ist letztlich offen. Er war nach seinen eigenen Aussagen nicht nur an der (vermeintlich) zu erzielenden abgesicherten Wertsteigerung des Fonds interessiert, sondern wollte auch die steuerlich günstigen Auswirkungen des Anlagemodells in Anspruch nehmen. Es liegt deshalb nahe, dass er auch ohne die streitgegenständliche Pflichtverletzung eine Anlageform gewählt hätte, mit der er einen die Einkommensteuer mindernden Verlustabzug hätte erlangen können. Solche Anlageformen sind aber typischerweise gerade nicht mit einer festen Verzinsung bzw. garantierten Rendite, sondern mit bloßen Gewinnchancen bei entsprechenden Risiken verbunden (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 7.5.2010 - 17 U 88/09; OLG Düsseldorf, Urteil vom 30.11.2009 - 9 U 30/09 - Tz. 48; OLG Hamm, Urteil vom 25.11.2009 - 31 U 70/09 - Tz.83, jeweils zitiert nach juris) ...