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Wirtschaftsrecht
31.01.2013
Wirtschaftsrecht
LG München I: Kein Schadensersatzanspruch wegen Abbruch der Vertragsverhandlungen bei fehlendem Aufsichtsratsbeschluss

LG München I, Urteil vom 27.12.2012 - 5 HK O 20845/11


Leitsatz


Weist ein Aufsichtsratsmitglied bei Verhandlungen mit einem Bewerber für ein Vorstandsamt auf das Fehlen eines Aufsichtsratsbeschluss für dessen Bestellung hin, so steht dem Verhandlungspartner des Aufsichtsratsmitglieds ein Schadensersatzanspruch wegen Abbruchs der Vertragsverhandlungen auch dann nicht zu, wenn das Zustandekommen der entsprechenden Beschlüsse im Aufsichtsrat nur als bloße Formalität dargestellt wird. In dieser Situation des Fehlens eines Aufsichtsratsbeschlusses ist dann das Vertrauen des Verhandlungspartners nicht schutzwürdig.


Sachverhalt


Die Parteien streiten sich um das Bestehen von Schadensersatzansprüchen im Zusammenhang mit einer nicht erfolgten Anstellung des Klägers als Vorstandsmitglied bei der Beklagten.


Der Kläger arbeitete zu Beginn des Jahres 2010 als Manager Controlling China bei der I S.A. aus dem luxemburgischen E mit Arbeitsorten in L und P für einen Bruttolohn von insgesamt zuletzt 14.485,65 Euro pro Monat. Der Aufsichtsrat der Beklagten bestand zu dieser Zeit aus Herrn K als Vorsitzenden, Herrn B sowie Herrn A als Vertreter der Arbeitnehmer der Beklagten. Ohne vorherige Beschlussfassung des Aufsichtsrates beauftragte der Aufsichtsratsvorsitzende in den ersten Monaten des Jahres 2010 die K E C GmbH mit der Akquisition eines weiteren Vorstandsmitglieds neben dem bisherigen Alleinvorstand, Herrn P. Nach insgesamt drei Gesprächen des Klägers mit dem Headhunter sowie dem Aufsichtsratsvorsitzenden und Herrn B einigten sich der Kläger in einem Telefonat mit dem Headhunter Dr. W und dem Aufsichtsratsvorsitzenden am 16.7.2010 dahingehend, dass der Kläger mit Wirkung ab 1.10.2010 als weiteres Vorstandsmitglied der Beklagten bestellt wird und die Position des Finanzvorstandes erhält. Ebenso wurden die wesentlichen Vertragskonditionen bereits besprochen. Nachdem der Kläger den abzuschließenden Vorstandsdienstvertrag zur Unterschrift zugesandt erhalten hatte, ließ er am 31.7.2010 den von ihm unterschriebenen Vertrag in zwei Exemplaren bei der vom Aufsichtsratsvorsitzenden beauftragten Rechtsanwaltskanzlei abgeben.. Unter dem 23.7.2010 erklärte der Kläger die fristgerechte Kündigung seines bestehenden Arbeitsverhältnisses mit der I S.A. zum 31.8.2010. In der Folgezeit sollte auch ein kurzfristig anberaumtes Gespräch des Klägers mit Herrn A stattfinden. Der Aufsichtsrat der Beklagten fasste zu keinem Zeitpunkt einen Beschluss über die Bestellung des Klägers zum Vorstand und den Abschluss eines Vorstandsdienstvertrages.


Mitte August 2010 beauftragte der Kläger eine Spedition mit der am 27.8.2010 erfolgten Abwicklung seines Umzuges nach München. Im November 2010 erhielt der Kläger Kenntnis davon, dass Herrn K und Herrn B mittels einstweiliger Verfügung des Landgerichts München I untersagt worden war, die Einstellung durchzuführen. Mit Beschluss des Amtsgerichts - Registergerichts - München vom 8.3.2011 wurden die Herren K und B als Mitglieder des Aufsichtsrates der Beklagten abberufen.


§ 5 Abs. 5 der Satzung der Beklagten (Anlage K 10) enthielt folgende Regelung:


„§ 5


...


5. Der Vorsitzende ist ermächtigt, im Namen des Aufsichtsrats erforderliche Willenserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen."


Zur Begründung seiner Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, angesichts der verbindlichen mündlichen Zusage des damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden und der Darstellung des Vertragsabschlusses ihm gegenüber als gesichert könne er als Schaden seinen Verdienstausfall sowie die Umzugskosten in Höhe von insgesamt  65.172,55 Euro ersetzt verlangen. Der damalige Aufsichtsratsvorsitzende habe ihm mitgeteilt, pro forma müsse noch ein Treffen mit dem dritten Aufsichtsratsmitglied organisiert werden, was eine reine Formalität sei, weil er und Herr B sich fest entschlossen hätten, ihn als Vorstand zu bestellen, weshalb die Stimme des dritten Aufsichtsratsmitglieds kein Gewicht habe. Die Schutzwürdigkeit seines Vertrauens resultiere auch aus der Regelung in § 5 Abs. 5 der Satzung der Beklagten. Die Beklagte habe auch Kenntnis von den Verhandlungen mit dem Kläger angesichts der Kenntnis auch von Herrn B über die Gespräche mit dem Kläger gehabt. Auf eine im Innenverhältnis etwa fehlende Vertretungsmacht könne sie sich nicht berufen. Die Verhinderung der Einstellung mittels einstweiliger Verfügung liege ausschließlich in der Risikosphäre der durch den damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden vertretenen Beklagten. Die von ihm erklärte Kündigung sei einer zur Entgegennahme dieser Erklärung befugten Person seines damaligen Arbeitgebers zugegangen. Der ihm entstandene Aufwand für den Umzug umfasse auch die Verbringung der Möbel aus seiner bisherigen Wohnung in F sowie der Utensilien seiner Ehefrau für deren Umzug aus ihrer kleineren Wohnung in München in die gemeinsame Wohnung.


Der Kläger beantragt daher:


Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 165.172,55 Euro nebst 5 % Zinsen über Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.


Die Beklagte beantragt demgegenüber:


Klageabweisung.


Zur Begründung beruft sie sich im Wesentlichen darauf, es fehle bereits an einem zwischen den Parteien bestehenden Schuldverhältnis, nachdem die Beklagte die streitgegenständlichen Vertragsverhandlungen nicht zu verantworten habe. Sie habe dem Kläger angesichts des Fehlens eines hierzu erforderlichen Aufsichtsratsbeschlusses keine wirksame Zusage erteilt, ihn zum Vorstandsmitglied zu bestellen und einen Vorstandsdienstvertrag mit ihm abzuschließen. Jedenfalls aber fehle es an einer schuldhaften Pflichtverletzung, weil jeder Vertragspartner das Recht habe, von dem in Aussicht genommenen Vertragsabschluss Abstand zu nehmen. Mangels Vorliegens eines wirksamen Aufsichtsratsbeschlusses gebe es einen triftigen Grund für die unterbliebene Bestellung zum Vorstandsmitglied und den nicht erfolgten Abschluss des Vorstandsdienstvertrages. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers existiere nicht. Ebenso wenig liege wegen der fehlenden Beteiligung des Kollegialorgans Aufsichtsrat ein eigenes Verschulden der Beklagten vor. Eine Zurechnung des Verschuldens von Herrn K scheide aus, weil dieser nicht als Erfüllungsgehilfe der Beklagten in die Verhandlungen eingeschaltet gewesen sei. Zudem gebe es keine Kausalität zwischen der angeblichen Zusage und dem angeblichen Schaden. Dies gelte vor allem für die Auflösung der Wohnung in F und den Umzug des Klägers nach München, der durch die private Motivation bedingt gewesen sei, einen gemeinsamen Hausstand mit seiner Ehefrau zu begründen. Der Umzug von Frau C in die Wohnung des Klägers sei nichts anderes als dessen Privatvergnügen und wäre keinesfalls von der Beklagten veranlasst.


IV. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 22.5.2012 (BI. 55/58 d. A.) Herrn K den Streit verkündet mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beizutreten. Ein Beitritt ist nicht erfolgt.


V. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24.5.2012 (Bl. 62/65 d. A.).


Aus den Gründen


Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Dem Kläger steht unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu.


1. Ein solcher Anspruch lässt sich insbesondere nicht aus dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsabschluss gem. §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB herleiten. Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus einem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens verlangen. Dabei genügt es aufgrund der ausdrücklichen Regelung in § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB für die Bejahung eines Schuldverhältnisses, wenn Vertragsverhandlungen aufgenommen wurden. Vorliegend lässt sich jedoch eine zum Schadensersatz führende Pflichtverletzung nicht bejahen.


a. Zwar wird noch davon auszugehen sein, dass bereits Vertragsverhandlungen im Sinne des § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB stattfanden und demzufolge ein vorvertragliches Schuldverhältnis nicht verneint werden kann. Die Aufnahme der Vertragsverhandlungen mit dem Kläger durch Herrn K muss der Beklagten insoweit nämlich über § 31 BGB analog zugerechnet werden. Diese Vorschrift aus dem Recht des eingetragenen Vereins ist auf alle juristischen Personen entsprechend anzuwenden, weshalb das Handeln eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters der juristischen Person dieser als eigenes zugerechnet wird (vgl. nur Palandt-Ellenberger, BGB, 72. Aufl., Rdn. 1 und 3 zu § 31). Nicht erforderlich ist dabei, dass die Handlung durch die Vertretungsmacht des Organs gedeckt ist; § 31 BGB erfasst gerade auch die Fälle, in denen das Organ seine Vertretungsmacht überschritten hat. Ziel der Regelung ist es nämlich, durch Verbreiterung der Haftungsmasse den Rechtsverkehr vor Schadenshandlungen zu schützen, die das Organ in „amtlicher" Eigenschaft begangen hat. Maßgebend muss deshalb der dem Organ übertragene Funktionsbereich sein, mit dem das schädigende Verhalten in einem inneren Zusammenhang stehen muss. Dafür ist es im Prinzip sogar unerheblich, wenn ein Organ seine Stellung vorsätzlich missbraucht, so lange es sich aus Sicht eines außenstehenden Dritten nicht so weit von seinem Aufgabenbereich entfernt, dass der allgemeine Rahmen der ihm übertragenen Obliegenheiten überschritten erscheint (vgl. BGH NJW 1980, 115 f.; Palandt-Ellenberger, BGB, a. a. O., Rdn. 10 zu § 31).


Da eine Aktiengesellschaft im Verhältnis zu ihrem Vorstand und auch zu einem potentiellen künftigen Vorstandsmitglied gem. § 112 AktG vertreten wird (vgl. nur Habersack in: Münchener Kommentar zum AktG, 3. Aufl., Rdn. 11 zu § 112; Hüffer, AktG, 10. Aufl., Rdn. 2 zu § 112), muss sich die Beklagte das Verhalten ihres Aufsichtsratsvorsitzenden zurechnen lassen, auch wenn es im maßgeblichen Zeitpunkt weder für die Beauftragung des Headhunters der K E C GmbH noch für die Bestellung des Klägers als Organ und die Übermittlung des Vorstandsdienstvertrages einen entsprechenden Beschluss des Aufsichtsrates gab, mit dem diesen Handlungen zugestimmt wurde.


b. Allerdings kann eine Pflichtverletzung der Beklagten durch den unterbliebenen Abschluss des Vorstandsdienstvertrages nicht bejaht werden. Auch nach länger andauernden ertragsverhandlungen kann ein Verhandlungspartner - hier also die Beklagte - sich grundsätzlich ohne rechtliche Nachteile von den Verhandlungen zurückziehen. Ein Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss, der wegen Abbruchs der Vertragsverhandlungen geltend gemacht wird, kommt erst dann in Betracht; wenn ein Verhandlungspartner bei der Gegenseite zurechenbar das aus deren Sicht berechtigte Vertrauen erweckt, der Vertrag werde mit Sicherheit zustande kommen, dann aber die Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund abbricht (vgl. BGH NJW-RR 1989, 627; 2001, 381, 382; OLG Dresden ZIP 2001, 604 f.; OLG Hamm NJW 2008, 764, 766; Palandt-Grüneberg; BGB, a. a. O., Rdn. 31 zu § 311; Emmerich in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl., Rdn. 175 zu § 311). Ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers, das einen Schadensersatzanspruch aufgrund pflichtwidrigen schuldhaften Abbruchs der Vertragsverhandlungen rechtfertigen könnte, kann vorliegend nicht angenommen werden.


(1) Der Aufsichtsratsvorsitzende wies bei den Verhandlungen nach dem Vortrag des Klägers darauf hin, dass das dritte Aufsichtsratsmitglied (Herr A) noch beteiligt werden müsse. Daraus muss der Kläger dann indes zwingend den Schluss ziehen, dass der Aufsichtsrat insgesamt noch nicht mit der Personalie befasst war und es noch keinen Beschluss über seine Bestellung als Organ und über den Inhalt des abzuschließenden Vorstandsdienstvertrages gab. Diese Kenntnis führt dazu, dass das Vertrauen des Klägers in die Erklärung, alles weitere sei letztlich nur mehr eine bloße Formalität angesichts der Haltung der beiden Aufsichtsratsmitglieder K und B, nicht als schutzwürdig eingestuft werden kann.


Etwas anderes könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn die Kontaktaufnahme und die entsprechenden Erklärungen über den sicheren Vertragsabschluss auf der Basis eines Beschlusses des Aufsichtsrats erfolgt wären. Aufgrund der zentralen Vorschrift des § 108 Abs. 1 AktG entscheidet der Aufsichtsrat nämlich durch Beschluss, wobei in jedem Fall aufgrund von § 108 Abs. 2 S. 2 AktG mindestens drei Mitglieder an der Beschlussfassung mitwirken müssen. Dies war unstreitig nicht geschehen.


(2) Etwas anderes kann der Kläger auch nicht auf der Grundlage der in § 5 Abs. 5 der Satzung der Beklagten enthaltenen Regelung ableiten, wonach der Vorsitzende ermächtigt ist, im Namen des Aufsichtsrates erforderliche Willenserklärungen abzugeben. Diese Regelung kann keine wirksame Einzelvertretungsmacht des Aufsichtsratsvorsitzenden dergestalt begründen, dass er die Gesellschaft wirksam vertreten könnte, ohne dass zuvor ein Beschluss gefasst wurde. Die Vorschrift des § 5 Abs. 5 der Satzung setzt letztlich einen wirksamen Aufsichtsratsbeschluss voraus und ermächtigt dann den Vorsitzenden des Organs zur Umsetzung, indem die entsprechenden Willenserklärungen gegenüber dem Vertragspartner abgegeben werden. An den grundlegenden Bindungen des Aufsichtsrats durch die Vorgaben des Aktienrechts und dabei namentlich des § 108 AktG vermag diese Satzungsbestimmung nichts zu ändern und kann deshalb auch kein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers begründen, wenn dieser aus vorangegangenen Erklärungen des Aufsichtsrats zwingend entnehmen muss, dass der gesamte Aufsichtsrat mit seiner Personalie noch nicht befasst war. Eine Delegation der Entscheidung über den Abschluss eines derartigen Vorstandsdienstvertrages ist nicht möglich; sie muss stets dem gesamten Aufsichtsrat vorbehalten bleiben (vgl. BGH WM 1993, 1630, 1632; OLG Düsseldorf NZG 2004, 141, 142; Spindler in: Spindler/Stilz, 2. Aufl., Rdn. 30 zu § 112; Habersack in: Münchener Kommentar zum AktG, 3. Aufl., Rdn. 23 zu § 112; Bauer/Krieger, ZIP 2004, 1247, 1248).


2. Deliktische Ansprüche scheiden gleichfalls aus.


a. Ein Anspruch des Klägers aus §§ 823 Abs. 1, 31 BGB kommt nicht Betracht, weil kein absolut geschütztes Recht verletzt wurde. Das Vermögen, in das hier allenfalls eingegriffen worden sein könnte, stellt sich nicht als von § 823 Abs. 1 BGB geschütztes sonstiges Recht dar.


b. Die Voraussetzungen der §§ 826, 31 BGB sind nicht erfüllt. Da die Beklagte - wie oben ausgeführt - durch den Abbruch der Vertragsverhandlungen bereits keine schuldhafte Pflichtverletzung begangen hat, muss ein Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung erst recht ausscheiden.


Angesichts dessen konnte die Klage keinen Erfolg haben.


II. 1. Die Entscheidung über die Kosten hat ihre Grundlage in § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO; als Unterlegener hat der Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.


2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.


3. Der Streitwert bemisst sich nach der bezifferten Forderung in der Hauptsache.

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