BGH: Kein Beschlussaufhebungsverfahren bei nichtigen Beschlüssen der Gläubigerversammlung
BGH, Beschluss vom 21.7.2011 - IX ZB 128/10
leitsatz
Das Beschlussaufhebungsverfahren findet bei nichtigen Beschlüssen der Gläubiger-versammlung nicht statt.
InsO §§ 6, 7, § 78 Abs. 1, 2 Satz 3
sachverhalt
I. Am 1. Februar 2010 eröffnete das Insolvenzgericht auf Eigenantrag der Schuldnerin das Insolvenzverfahren und lud die Verfahrensbeteiligten zum "Be-richtstermin sowie Termin zur Beschlussfassung über die eventuelle Wahl eines anderen Insolvenzverwalters, über die Einsetzung eines Gläubigerausschusses sowie "über die in den §§ 66, 100, 149, 157, 160, 162, 233 InsO bezeichneten Angelegenheiten". Die Versammlung fand am 10. März 2010 statt. Neben dem Insolvenzverwalter, der Schuldnerin und den Gläubigern mit unbestrittenen Forderungen (die weiteren Beteiligten zu 5 und 6) nahmen an ihr die weiteren Beteiligten zu 1 bis 3 teil, deren Forderungen durch den Insolvenzverwalter un-ter Hinweis auf § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO bestritten waren. Der Insolvenzverwalter erstrebte Vorratsbeschlüsse zu besonders bedeutsamen Rechtshandlungen sowie zur Betriebsveräußerung (§§ 160, 162 InsO). Eine Einigung über die Stimmrechte der weiteren Beteiligten zu 1 bis 3 kam nicht zustande. Der Rechtspfleger setzte sie auf 0 € fest. Die stimmberechtigten Gläubiger erteilten dem Insolvenzverwalter die erbetenen Zustimmungen.
Am 23. März 2010 haben die weiteren Beteiligten zu 1 bis 3 die Feststel-lung beantragt, dass der Beschluss der Gläubigerversammlung vom 10. März 2010 betreffend die nach §§ 160, 162 InsO zustimmungsbedürftigen Geschäfte nichtig und die Stimmrechtsentscheidung des Rechtspflegers unwirksam sei. Der Rechtspfleger des Insolvenzgerichts hat die Anträge abgelehnt und die wei-teren Beteiligten zu 1 bis 3 auf die Feststellungsklage sowie auf § 18 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 RPflG verwiesen. Gegen diesen Beschluss haben diese so-fortige Beschwerde eingelegt, die das Landgericht als unbegründet zurückge-wiesen hat. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde, mit der die weiteren Beteiligten zu 1 bis 3 weiterhin die Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses der Gläubigerversammlung und der Unwirksamkeit der Stimmrechtsentschei-dung des Rechtspflegers begehren.
aus den gründen
3 II. Die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 2 und 3 ist gemäß § 4 InsO, § 577 Abs. 1, § 575 Abs. 1 ZPO unzulässig, weil sie verspätet eingelegt worden ist. Ihrem Verfahrensbevollmächtigten wurde der angefochtene Be-schluss am 18. Juni 2010 zugestellt, die Rechtsbeschwerde hätte mithin beim Bundesgerichtshof bis zum 19. Juli 2010 (einem Montag) eingehen müssen. Tatsächlich ging innerhalb dieser Frist nur eine Rechtsbeschwerdeschrift des weiteren Beteiligten zu 1 ein. Erst in dessen Rechtsbeschwerdebegründung, die am 21. September 2010 beim Bundesgerichtshof eingegangen ist, haben sich die weiteren Beteiligten zu 2 und 3 der Rechtsbeschwerde angeschlossen.
4 III. Die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 ist insoweit unstatt-haft, als er mit ihr die Feststellung der Unwirksamkeit der Stimmrechtsentschei-dung erreichen möchte. Denn insoweit ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Der weitere Beteiligte hätte nur nach Maßgabe des § 18 Abs. 3 RPflG Rechtspflege-rerinnerung einlegen können.
5 IV. Auch soweit der weitere Beteiligte zu 1 gestützt auf den Einladungsman-gel (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2008 - IX ZB 140/07, NZI 2008, 430 Rn. 3) die Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses der Gläubigerversamm-lung vom 10. März 2010 erreichen möchte, ist die Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 1 ZPO unstatthaft. Die Befugnis zur Rechtsbeschwerde setzt vo-raus, dass bereits die Erstbeschwerde statthaft war. War die sofortige Be-schwerde unstatthaft, fehlt es für das Verfahren vor dem Rechtsbeschwerdege-richt an einer Grundlage. Ein für den Beschwerdeführer vom Gesetz nicht vor-gesehener Rechtsmittelzug kann auch durch eine Fehlentscheidung des ersten Rechtsmittelgerichts nicht eröffnet werden. Die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde hat das Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu prüfen (BGH, Beschluss vom 25. Juni 2009 - IX ZB 161/08, NZI 2009, 553 Rn. 5, 7; vom 23. Oktober 2003 - IX ZB 369/02, NZI 2004, 166; vom 6. Mai 2004 - IX ZB 104/04, NZI 2004, 447; vom 21. Dezember 2006 - IX ZB 81/06, NZI 2007, 166 Rn. 6; vom 20. Mai 2010 - IX ZB 223/07, NZI 2010, 648 Rn. 5). An der Statthaf-tigkeit der Erstbeschwerde fehlt es.
6 1. In der Insolvenzordnung finden sich keine Regelungen zur Feststel-lung der Nichtigkeit eines Beschlusses der Gläubigerversammlung und zur Be-schwerdemöglichkeit bei Ablehnung dieser Feststellung. Die Norm des § 78 InsO findet, wie das Beschwerdegericht zutreffend ausführt, unmittelbar keine Anwendung, weil sie die Wirksamkeit des Beschlusses der Gläubigerversamm-lung voraussetzt, der aufgehoben werden soll. Nichtige Beschlüsse bedürfen keiner besonderen Aufhebungsentscheidung, sondern sie sind ipso iure unwirk-sam (Jaeger/Gerhardt, InsO, § 78 Rn. 3; Kübler in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2006, § 78 Rn. 5; MünchKomm-InsO/Ehricke, 2. Aufl., § 78 Rn. 10; Ner-lich/Römermann/Delhaes, InsO, 2008, § 78 Rn. 3; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 78 Rn. 8; FK-InsO/Schmitt, 6. Aufl., § 78 Rn. 10; HmbKomm-InsO/Preß, 3. Aufl., § 78 Rn. 6).
7 Die beanstandeten Beschlüsse der Gläubigerversammlung vom 10. März 2010 zu Punkt 4 der Tagesordnung (Zustimmung zu den Rechtshandlungen nach §§ 160, 162 InsO) sind nichtig, weil die Tagesordnung nicht ordnungsge-mäß bekannt gemacht worden ist. In dem Ankündigungsbeschluss hat das In-solvenzgericht nämlich nur die maßgeblichen Paragraphen aufgezählt. Zu einer ordnungsgemäßen Bekanntmachung der Tagesordnung gehört jedoch, wie der Senat bereits entschieden hat, eine wenigstens schlagwortartige Bezeichnung der Tagesordnungspunkte. Die in der Bekanntmachung mitgeteilte Paragraphenkette genügt diesen Anforderungen nicht. Wegen dieser formellen Mängel der Tagesordnung hätte der Beschluss zu den §§ 160, 162 InsO durch die Gläubigerversammlung nicht gefasst werden dürfen und ist deswegen nichtig (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2008 - IX ZB 104/07, NZI 2008, 430 Rn. 3).
8 2. Eine analoge Anwendung des § 78 InsO auf nichtige Beschlüsse kommt nicht Betracht.
9 a) Allerdings wird in Literatur und Rechtsprechung die Auffassung vertre-ten, das Insolvenzgericht könne die Nichtigkeit eines Beschlusses der Gläubi-gerversammlung analog § 78 InsO feststellen. Dies wird damit begründet, dass die Grenze zwischen unwirksamen Beschlüssen und wirksamen, deren Aufhe-bung im Verfahren nach § 78 begehrt werde, bisweilen fließend sei (vgl. Jaeger/Gerhardt, InsO, § 78 Rn. 3; MünchKomm-InsO/Ehricke, 2. Aufl., § 78 Rn. 10; Uhlenbruck InsO, 13. Aufl., § 78 Rn. 8). Auch wenn nichtige Beschlüsse der Gläubigerversammlung ipso iure keine Rechtswirkungen entfalteten und deshalb keiner Aufhebung bedürften, sei ein Aufhebungs- oder Nichtigkeitsfest-stellungsbeschluss zur Klarstellung der Rechtslage nicht nur als zulässig, son-dern als wünschenswert anzusehen (LG Cottbus, Beschluss vom 16. März 2007, 7 T 484/06, juris Rn. 20, 35; AG Duisburg, NZI 2010, 303 f; Kübler in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2006, § 78 Rn. 14; MünchKomm-InsO/Ehricke, 2. Aufl., § 78 Rn. 10; wohl auch Nerlich/Römermann/Delhaes, InsO, 2008, § 78 Rn. 4). Daraus wird auf das Recht zur Beschwerde analog § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO geschlossen (vgl. Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 78 Rn. 8; Kübler in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2006, § 78 Rn. 14; LG Cottbus, Beschluss vom 16. März 2007 - 7 T 484/06, juris Rn. 20, 35).
10 Andere Stimmen halten Insolvenz- und Beschwerdegericht nicht für be-fugt, die Nichtigkeit eines Beschlusses der Gläubigerversammlung festzustel-len. Das Insolvenzgericht sei funktional nicht zu einer Sachentscheidung beru-fen. Die Sachargumente für oder gegen die Nichtigkeit brauche und dürfe es nicht zur Kenntnis nehmen. Eine weiter reichende Entscheidungsbefugnis habe auch das Beschwerdegericht nicht (Kirchhof, ZInsO 2007, 1196, 1197; Blank, EWiR 2008, 373, 374; Pape, ZInsO 2000, 469, 474). Ist § 78 InsO nicht - auch nicht entsprechend - anwendbar, ist sowohl gegen die feststellende wie auch gegen eine die Feststellung ablehnende Entscheidung des Rechtspflegers kei-ne Beschwerde nach § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO gegeben. Wegen der Sperrwirkung des § 6 Abs. 1 InsO gelangt diese Auffassung deshalb dazu, dass der Richter des Insolvenzgerichts abschließend über den Rechtsbehelf zu ent-scheiden hat (vgl. § 11 Abs. 2 RPflG).
11 b) Der Bundesgerichtshof hat die Frage noch nicht entschieden. In sei-nem Beschluss vom 20. März 2008 (IX ZB 104/07, NZI 2008, 430) hat der Se-nat sich zur Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nicht geäußert. Er hat die Rechtsbeschwerde als unzulässig nach § 574 Abs. 2 InsO verworfen und dabei ausgeführt, auf den Fall eines nichtigen Beschlusses der Gläubigerversamm-lung finde § 78 InsO unmittelbar keine Anwendung. In dem umgekehrten Fall, in dem das Insolvenzgericht die Nichtigkeit eines in der Gläubigerversammlung gefassten Beschlusses festgestellt hatte, hat der Senat ausgeführt, diese Ent-scheidung unterliege gemäß § 6 Abs. 1 InsO keiner Beschwerde, ohne sich allerdings mit der Frage der analogen Anwendung des § 78 InsO auseinander-zusetzen (BGH, Beschluss vom 20. Mai 2010 - IX ZB 223/07, NZI 2010, 648 Rn. 6).
12 Der Senat sieht keinen Raum für eine entsprechende Anwendung des § 78 InsO. Nach § 6 InsO unterliegen Entscheidungen des Insolvenzgerichts nur in den Fällen dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde, in denen das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht. Zweck dieser Regelung ist es, den zügigen Ablauf des Insolvenzverfahrens als Vollstreckungsverfahren zu gewährleisten (vgl. Uhlenbruck/Pape, InsO, 13. Aufl. § 6 Rn. 2). Das spricht dagegen, durch Analogien die Beschwerdemöglichkeiten nach der Insolvenzordnung zu erwei-tern. Für eine analoge Anwendung des § 78 Abs. 2 Satz 3 InsO besteht schon kein dringender Bedarf. Nichtige Beschlüsse sind unbeachtlich. Die Unwirk-samkeit kann jeder Zeit und in jedem Zusammenhang von jedermann geltend gemacht werden (Jaeger/Gerhardt, InsO, § 78 Rn. 3; Kübler in Kübler/Prütting/ Bork, InsO, 2006, § 78 InsO Rn. 14). Daher wird in das Recht des Rechtsbeschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz nicht erheblich eingegriffen, wenn ihm die Möglichkeit versagt wird, die Nichtigkeit eines Beschlusses der Gläubi-gerversammlung im Insolvenzverfahren feststellen zu lassen.