EuGH: Kartellschadensersatzanspruch für jedermann
EuGH, Urteil vom 12.12.2019 – C-435/18, Otis GmbH, Schindler Liegenschaftsverwaltung GmbH, Schindler Aufzüge und Fahrtreppen GmbH, Kone AG, ThyssenKrupp Aufzüge GmbH gegen Land Oberösterreich u. a.
ECLI:EU:C:2019:1069
Volltext: BB-Online BBL2020-1-1
Tenor
Art. 101 AEUV ist dahin auszulegen, dass Personen, die nicht als Anbieter oder Nachfrager auf dem von einem Kartell betroffenen Markt tätig sind, sondern Subventionen in Form von Förderdarlehen an Abnehmer der auf diesem Markt angebotenen Produkte gewährt haben, verlangen können, dass Unternehmen, die an dem Kartell teilgenommen haben, zum Ersatz des Schadens verurteilt werden, den die betreffenden Personen erlitten haben, weil der Betrag der Subventionen höher war, als er ohne das Kartell gewesen wäre, so dass sie den Differenzbetrag nicht für andere gewinnbringendere Zwecke verwenden konnten.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 101 AEUV.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Otis GmbH, der Schindler Liegenschaftsverwaltung GmbH und der Schindler Aufzüge und Fahrtreppen GmbH (diese beiden Gesellschaften im Folgenden zusammen: Schindler), der Kone AG sowie der ThyssenKrupp Aufzüge GmbH (im Folgenden: ThyssenKrupp) einerseits und dem Land Oberösterreich sowie 14 weiterer Einrichtungen andererseits wegen einer Klage Letzterer auf Verurteilung der fünf Gesellschaften zum Ersatz des Schadens, der ihnen durch ein u. a. gegen Art. 101 AEUV verstoßendes Kartell dieser Gesellschaften entstanden sein soll.
Österreichisches Recht
3 § 1295 Abs. 1 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) lautet:
„Jedermann ist berechtigt, von dem Beschädiger den Ersatz des Schadens, welchen dieser ihm aus Verschulden zugefügt hat, zu fordern; der Schade mag durch Übertretung einer Vertragspflicht oder ohne Beziehung auf einen Vertrag verursacht worden sein.“
4 Nach § 1311 Satz 2 ABGB haftet derjenige, der „ein Gesetz, das den zufälligen Beschädigungen vorzubeugen sucht, übertreten“ hat, für den verursachten Schaden.
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
5 Am 21. Februar 2007 verhängte die Europäische Kommission gegen verschiedene Unternehmen aufgrund ihrer Teilnahme, zumindest seit den 1980er Jahren, an Kartellen beim Einbau und bei der Wartung von Aufzügen und Fahrtreppen in Belgien, Deutschland, Luxemburg und den Niederlanden eine Geldbuße von insgesamt 992 Mio. Euro. Mehrere Einheiten der Unternehmensgruppen, zu denen Otis, Schindler, Kone und ThyssenKrupp gehören, zählten zu diesen Unternehmen.
6 Mit Urteil vom 8. Oktober 2008 bestätigte der Oberste Gerichtshof (Österreich) als Kartellobergericht den Beschluss des Kartellgerichts (Österreich) vom 14. Dezember 2007, mit dem über Otis, Schindler und Kone sowie zwei weitere Gesellschaften Geldbußen wegen ihres wettbewerbswidrigen Verhaltens in Österreich verhängt wurden. ThyssenKrupp hatte zwar neben all diesen Gesellschaften an dem Kartell auf dem österreichischen Markt (im Folgenden: fragliches Kartell) teilgenommen, stellte aber einen Kronzeugenantrag und profitierte deshalb von der im österreichischen Recht vorgesehenen Kronzeugenregelung.
7 Das fragliche Kartell war u. a. darauf gerichtet, dem jeweils bevorzugten Unternehmen einen höheren Preis zu sichern, als er unter normalen Wettbewerbsbedingungen erzielbar gewesen wäre. Dadurch wurden der freie Wettbewerb und die Preisentwicklung im Vergleich zu der Situation ohne das Kartell verfälscht.
8 Mit einer am 2. Februar 2010 beim Handelsgericht Wien (Österreich) eingereichten Klage begehrten das Land Oberösterreich und 14 weitere Einrichtungen die Verurteilung von Otis, Schindler, Kone und ThyssenKrupp zum Ersatz des Schadens, der ihnen durch das fragliche Kartell entstanden sein soll. Im Unterschied zu den 14 weiteren Einrichtungen machte das Land Oberösterreich jedoch nicht geltend, als unmittelbarer oder mittelbarer Nachfrager der betreffenden Produkte durch das fragliche Kartell einen Schaden erlitten zu haben, sondern in seiner Eigenschaft als Einrichtung, die Fördermittel vergibt.
9 Zur Stützung seiner Klage führt das Land Oberösterreich aus, es habe im Rahmen seines Budgets für die Förderung von Wohnbauprojekten während des vom fraglichen Kartell betroffenen Zeitraums auf der Grundlage der gesetzlichen Wohnbauförderbestimmungen einer Vielzahl von Personen für die Durchführung von Bauprojekten u. a. Förderdarlehen im Ausmaß eines bestimmten Prozentsatzes der Gesamtbaukosten gewährt. Die Empfänger der Darlehen hätten somit durch den Ansatz eines niedrigeren als des marktüblichen Prozentsatzes die Möglichkeit zur Aufnahme günstigerer Fremdmittel gehabt. Die im Gesamtpreis, den sie für den Bau gezahlt hätten, enthaltenen Kosten für den Einbau von Aufzügen seien aufgrund des fraglichen Kartells höher gewesen. Infolgedessen habe das Land Oberösterreich höhere Darlehen vergeben müssen. Ohne das Kartell hätte es niedrigere Darlehen gewährt und hätte den Differenzbetrag zum durchschnittlichen Zinssatz von Bundesanleihen anlegen können.
10 Aus diesen Gründen beantragte das Land Oberösterreich die Verurteilung von Otis, Schindler, Kone und ThyssenKrupp zur Zahlung eines speziell dem Zinsverlust entsprechenden Betrags zuzüglich Zinsen.
11 Das Handelsgericht Wien wies die Klage des Landes Oberösterreich mit Urteil vom 21. September 2016 ab, weil das Land kein Teilnehmer am Markt der Aufzugs- und Fahrtreppenindustrie sei und daher nur einen mittelbaren Schaden geltend mache, der als solcher nicht ersatzfähig sei.
12 Das Berufungsgericht, das Oberlandesgericht Wien (Österreich), hob diese Entscheidung mit Beschluss vom 27. April 2017 auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es führte aus, das Kartellverbot diene auch dem Schutz finanzieller Interessen derjenigen, die den zusätzlichen Aufwand, der durch die Verzerrung der Marktverhältnisse entstanden sei, zu tragen hätten. Dazu gehörten auch öffentlich-rechtliche Körperschaften wie das Land Oberösterreich, die durch die institutionalisierte Bereitstellung von Fördermitteln die Durchführung von Bauvorhaben in einem wesentlichen Ausmaß ermöglichten. Solche Körperschaften sorgten damit für einen nicht zu vernachlässigenden Teil der Nachfrage auf dem Markt der Aufzüge und Fahrtreppen, auf dem die fünf im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gesellschaften ihre Leistungen zu kartellbedingt überhöhten Preisen hätten verkaufen können.
13 Otis, Schindler, Kone und ThyssenKrupp legten gegen diesen Beschluss des Oberlandesgerichts Wien Rekurs beim Obersten Gerichtshof ein.
14 Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass nach den Kriterien des österreichischen Rechts der vom Land Oberösterreich geltend gemachte Schaden in keinem ausreichenden Zusammenhang mit dem Zweck des Verbots von Kartellabsprachen – der Erhaltung des Wettbewerbs auf dem vom Kartell betroffenen Markt – stehe.
15 Nach österreichischem Recht genössen reine Vermögensschäden, die in der ohne Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts eintretenden nachteiligen Veränderung im Vermögen des Geschädigten bestünden, außerhalb einer vertraglichen Beziehung keinen umfassenden Schutz. Solche Vermögensschäden könnten nur ersetzt werden, wenn sich die Rechtswidrigkeit des schädigenden Verhaltens aus der Rechtsordnung ableiten lasse, insbesondere bei Schutzgesetzverletzungen. Schutzgesetze seien abstrakte Gefährdungsverbote, die die Mitglieder eines Personenkreises vor der Verletzung von Rechtsgütern schützen sollten. In diesem Fall sei Haftungsvoraussetzung, dass ein Schaden eintrete, den die übertretene Norm nach ihrem Schutzzweck gerade verhindern wolle. Der Schädiger hafte nur für Schäden, die sich als Verwirklichung jener Gefahr manifestierten, deretwegen ein bestimmtes Verhalten gefordert oder untersagt sei. Ein Schaden sei dann nicht ersatzfähig, wenn er infolge einer Seitenwirkung in einer Interessensphäre eintrete, die durch das im übertretenen Schutzgesetz ausgesprochene Verbot nicht geschützt werde.
16 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs verfolge Art. 101 AEUV das Ziel, die Aufrechterhaltung eines wirksamen unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt zu gewährleisten, so dass die Preise unter Bedingungen eines freien Wettbewerbs festgesetzt würden. Somit erstrecke sich der persönliche Schutzbereich des Kartellverbots auf alle Anbieter und Nachfrager, die auf den von einem Kartell betroffenen sachlich und räumlich relevanten Märkten tätig seien. Öffentlich-rechtliche Körperschaften, die durch finanzielle Förderungen bestimmten Gruppen von Abnehmern einen leichteren Erwerb des Produkts, das Gegenstand des Kartells sei, ermöglichten, seien dagegen keine unmittelbaren Marktteilnehmer, auch wenn ein wesentlicher Teil des Marktgeschehens erst durch diese Förderungen ermöglicht werde. Ein solcher Schaden stehe in keinem ausreichenden Zusammenhang mit dem Zweck des Kartellverbots, den Wettbewerb auf dem vom Kartell betroffenen Markt zu erhalten.
17 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs könne zwar jedermann den Ersatz des Schadens verlangen, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen könne, oder durch ein entsprechendes Verhalten entstanden sei, doch müsse ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Schaden und wettbewerbswidrigem Verhalten bestehen. Zudem sei auch die Bestimmung der Einzelheiten für die Ausübung dieses Rechts einschließlich der Modalitäten für die Anwendung des Begriffs „ursächlicher Zusammenhang“ Sache der Mitgliedstaaten, wobei der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten seien. Die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte dürfe das nationale Recht daher nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.
18 Außerdem stelle sich angesichts des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens die Frage, ob der Grundsatz, dass jedermann von einem Kartellanten den Ersatz seines Schadens verlangen könne, auch auf Personen zutreffe, die, auch wenn sie für das Funktionieren des betreffenden Markts von wesentlicher Bedeutung seien, dort nicht selbst als Anbieter oder Abnehmer aufträten und deren Schaden nur aus dem Schaden eines unmittelbar Betroffenen resultiere.
19 Unter diesen Umständen hat der Oberste Gerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Sind Art. 85 EG-Vertrag, Art. 81 EG bzw. Art. 101 AEUV dahin auszulegen, dass es zum Erhalt der vollen Wirksamkeit dieser Bestimmungen und der praktischen Wirksamkeit des sich aus diesen Bestimmungen ergebenden Verbots erforderlich ist, dass auch jene Personen von Kartellanten den Ersatz von Schäden verlangen können, die nicht auf dem von einem Kartell betroffenen sachlich und räumlich relevanten Markt als Anbieter oder Nachfrager tätig sind, sondern die im Rahmen gesetzlicher Vorschriften als Fördergeber zu begünstigten Bedingungen Darlehen an Abnehmer der auf dem vom Kartell betroffenen Markt angebotenen Produkte gewähren, und deren Schaden darin liegt, dass die in einem Prozentsatz der Produktkosten gewährte Darlehenssumme höher war, als sie ohne die Kartellabsprache gewesen wäre, weshalb sie diese Beträge nicht gewinnbringend anlegen konnten?
Zur Vorlagefrage
20 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 101 AEUV dahin auszulegen ist, dass Personen, die nicht als Anbieter oder Nachfrager auf dem von einem Kartell betroffenen Markt tätig sind, sondern Subventionen in Form von Förderdarlehen an Abnehmer der auf diesem Markt angebotenen Produkte gewährt haben, verlangen können, dass Unternehmen, die an dem Kartell teilgenommen haben, zum Ersatz des Schadens verurteilt werden, den die betreffenden Personen erlitten haben, weil der Betrag der Subventionen höher war, als er ohne das Kartell gewesen wäre, so dass sie den Differenzbetrag nicht für andere gewinnbringendere Zwecke verwenden konnten.
21 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV in den Beziehungen zwischen Einzelnen unmittelbare Wirkungen erzeugt und in deren Person Rechte entstehen lässt, die die nationalen Gerichte zu wahren haben (Urteile vom 20. September 2001, Courage und Crehan, C‑453/99, EU:C:2001:465, Rn. 23, und vom 14. März 2019, Skanska Industrial Solutions u. a., C‑724/17, EU:C:2019:204, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).
22 Die volle Wirksamkeit von Art. 101 AEUV und insbesondere die praktische Wirksamkeit des in seinem Abs. 1 ausgesprochenen Verbots wären beeinträchtigt, wenn nicht jedermann Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten entstanden ist (Urteile vom 20. September 2001, Courage und Crehan, C‑453/99, EU:C:2001:465, Rn. 26, und vom 14. März 2019, Skanska Industrial Solutions u. a., C‑724/17, EU:C:2019:204, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).
23 Daher kann jedermann Ersatz des ihm entstandenen Schadens verlangen, wenn zwischen dem Schaden und einem nach Art. 101 AEUV verbotenen Kartell oder Verhalten ein ursächlicher Zusammenhang besteht (Urteile vom 13. Juli 2006, Manfredi u. a., C‑295/04 bis C‑298/04, EU:C:2006:461, Rn. 61, sowie vom 14. März 2019, Skanska Industrial Solutions u. a., C‑724/17, EU:C:2019:204, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).
24 Das Recht eines jeden, Ersatz eines solchen Schadens zu verlangen, erhöht nämlich die Durchsetzungskraft der Wettbewerbsregeln der Union und ist geeignet, Unternehmen von – oft verschleierten – Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können; damit trägt es zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Europäischen Union bei (Urteil vom 5. Juni 2014, Kone u. a., C‑557/12, EU:C:2014:1317, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
25 Dabei dürfen speziell im Bereich des Wettbewerbsrechts die nationalen Vorschriften über die Modalitäten für die Ausübung des Rechts, Ersatz des sich aus einem nach Art. 101 AEUV verbotenen Kartell oder Verhalten ergebenden Schadens zu verlangen, die wirksame Anwendung dieser Bestimmung nicht beeinträchtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juni 2014, Kone u. a., C‑557/12, EU:C:2014:1317, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).
26 Demnach muss das Recht der Mitgliedstaaten insbesondere dem mit Art. 101 AEUV verfolgten Ziel Rechnung tragen, das darin besteht, die Aufrechterhaltung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt zu gewährleisten, so dass die Preise unter Bedingungen eines freien Wettbewerbs festgesetzt werden. Der Gerichtshof hat zur Sicherstellung der Effektivität des Unionsrechts – wie in Rn. 23 des vorliegenden Urteils ausgeführt – entschieden, dass nach den nationalen Vorschriften jeder das Recht haben muss, Ersatz des ihm entstandenen Schadens zu verlangen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juni 2014, Kone u. a., C‑557/12, EU:C:2014:1317, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
27 Ferner ist hervorzuheben, dass – wie auch die Generalanwältin in Nr. 78 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen dargelegt hat – sowohl die Gewährleistung der vollen Wirkung und praktischen Wirksamkeit von Art. 101 AEUV als auch der Schutz vor den nachteiligen Folgen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht in hohem Maße beeinträchtigt würden, wenn nur die Anbieter oder Nachfrager auf dem von einem Kartell betroffenen Markt die Möglichkeit hätten, den durch das Kartell entstandenen Schaden ersetzt zu verlangen. Denn damit würden potenziell Geschädigte von vornherein pauschal von der Möglichkeit, Schadensersatz zu verlangen, ausgeschlossen.
28 Das Land Oberösterreich macht im Ausgangsverfahren geltend, einen Schaden nicht als Nachfrager der vom fraglichen Kartell betroffenen Produkte erlitten zu haben, sondern in seiner Eigenschaft als öffentliche Einrichtung, die Förderungen vergibt. Es gewährt nämlich Dritten Förderdarlehen zu niedrigeren als den marktüblichen Zinssätzen. Da die Höhe der Darlehen mit den Baukosten zusammenhängt, meint das Land Oberösterreich, einen Schaden erlitten zu haben, weil der Darlehensbetrag – und damit der Betrag der von ihm zu einem günstigen Zinssatz gewährten finanziellen Beihilfe – höher gewesen sei als ohne Kartell.
29 Die Kläger des Ausgangsverfahrens halten dem im Wesentlichen entgegen, das Land Oberösterreich habe keinen Anspruch auf Ersatz des von ihm geltend gemachten Schadens, da dieser in keinem ausreichenden Zusammenhang mit dem Schutzzweck von Art. 101 AEUV stehe und somit nicht ersatzfähig sei.
30 Wie aus den Rn. 22 bis 25, 26 und 27 des vorliegenden Urteils hervorgeht, muss aber jeder in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV stehende Schaden ersatzfähig sein, um die wirksame Anwendung von Art. 101 AEUV sicherzustellen und dessen praktische Wirksamkeit zu erhalten.
31 Dabei ist es – wie die Generalanwältin in Nr. 84 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat – nicht erforderlich, dass der von der betreffenden Person erlittene Schaden zudem einen spezifischen Zusammenhang mit dem von Art. 101 AEUV verfolgten „Schutzzweck“ aufweist, denn sonst wären die Teilnehmer an einem Kartell nicht verpflichtet, alle von ihnen möglicherweise verursachten Schäden zu ersetzen.
32 Demnach müssen Personen, die nicht als Anbieter oder Nachfrager auf dem vom Kartell betroffenen Markt tätig sind, den Ersatz des Schadens verlangen können, der daraus resultiert, dass sie wegen des Kartells höhere Förderungen gewähren mussten als ohne das Kartell und deshalb diesen Differenzbetrag nicht gewinnbringender investieren konnten.
33 Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, zu klären, ob dem Land Oberösterreich im vorliegenden Fall konkret ein solcher Schaden entstanden ist; dabei muss es insbesondere prüfen, ob das Land die Möglichkeit zu gewinnbringenderen Anlagen hatte und, wenn ja, ob es die erforderlichen Nachweise für das Vorliegen eines Kausalzusammenhangs zwischen dem Schaden und dem fraglichen Kartell erbringt.
34 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 101 AEUV dahin auszulegen ist, dass Personen, die nicht als Anbieter oder Nachfrager auf dem von einem Kartell betroffenen Markt tätig sind, sondern Subventionen in Form von Förderdarlehen an Abnehmer der auf diesem Markt angebotenen Produkte gewährt haben, verlangen können, dass Unternehmen, die an dem Kartell teilgenommen haben, zum Ersatz des Schadens verurteilt werden, den die betreffenden Personen erlitten haben, weil der Betrag der Subventionen höher war, als er ohne das Kartell gewesen wäre, so dass sie den Differenzbetrag nicht für andere gewinnbringendere Zwecke verwenden konnten.