BGH: Kartellschaden – zur Anwendung des Erfahrungssatzes über die preissteigernde Wirkung von Kartellen auf Tochtergesellschaften – Stahl-Strahlmittel
BGH, Urteil vom 28.6.2022 – KZR 46/20
Volltext: BB-Online BBL2022-2497-2
Amtliche Leitsätze
Der zugunsten von Abnehmern eines an einer Kartellabsprache beteiligten Unternehmens streitende Erfahrungssatz, dass die im Rahmen des Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten, gilt auch dann, wenn die Ware nicht von der am Kartell beteiligten Muttergesellschaft, sondern von der zur selben wirtschaftlichen Einheit gehörenden Tochtergesellschaft erworben wird.
GWB 2005 § 33 Abs. 3, Abs. 4 (= § 33b GWB); ZPO § 287
Sachverhalt
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Ersatz kartellbedingten Schadens im Zusammenhang mit dem Erwerb von Stahl-Strahlmitteln in Anspruch.
Die Beklagte, die ihren Sitz in Frankreich hat, ist Herstellerin und Anbieterin von Stahl-Strahlmitteln. Dabei handelt es sich um lose Metallpartikel, die durch die Zerstäubung von geschmolzenem Stahl aus Stahlschrott hergestellt werden. Mit Beschluss vom 2. April 2014 stellte die Europäische Kommission fest, dass die Beklagte und mindestens drei weitere Hersteller von Stahl-Strahlmitteln durch Absprachen über die wichtigsten Preisbestandteile all ihrer diese Produkte betreffenden Verkäufe im Europäischen Wirtschaftsraum gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 EWR-Abkommen verstoßen haben. Die Absprachen betrafen die koordinierte Anwendung eines einheitlichen Modells für die Berechnung des Schrottaufschlags und die Einführung eines Energieaufschlags. Die Zuwiderhandlung bestand außerdem in einem koordinierten Verhalten gegenüber einzelnen Kunden.
Die Klägerin, eine der größten Gießereien in Deutschland, erwarb bis Mitte der 1990er Jahre von der Beklagten hergestellte Stahl-Strahlmittel von deren Tochtergesellschaft mit Sitz in Deutschland. Zwischen Mitte 2002 und Anfang 2014 bezog sie die von der Beklagten hergestellten Stahl-Strahlmittel von der in Luxemburg ansässigen A. SA (nachfolgend A. ), einem 100%igen Tochterunternehmen der Beklagten.
Die Klägerin hat die Feststellung begehrt, dass die Beklagte zum Ersatz des Schadens nebst Zinsen verpflichtet ist, der ihr wegen des Stahl-Strahlmittelkartells als Folge des Bezugs von Stahl-Strahlmitteln im Zeitraum zwischen dem 3. Oktober 2003 und dem 31. Dezember 2012 entstanden ist. Ferner hat sie beantragt, dass die Beklagte sie von Rechtsverfolgungskosten und (künftigen) Gutachterkosten freistellt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin, die sich gegen die Abweisung der Anträge auf Feststellung der Schadensersatzpflicht und zur Freistellung von den Gutachterkosten richtet, hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der vom Senat zugelassenen Revision.
Aus den Gründen
5 I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
6 Die Klage sei zulässig, jedoch unbegründet. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Klägerin kartellbetroffen sei. Der Klägerin sei der ihr obliegende Beweis dafür, dass das wettbewerbswidrige Verhalten der Beklagten geeignet gewesen sei, einen Preisaufschlag hinsichtlich der von A. erworbenen Stahl-Strahlmittel herbeizuführen, nicht gelungen. Es könne nicht festgestellt werden, dass auch A. die Kartellabsprache praktiziert habe.
7 Nach den Feststellungen der EU-Kommission seien die abgesprochene Berechnungsmethode des Schrottaufschlags erstmals im Februar 2004 angewandt und der Energieaufschlag erst am 1. Januar 2009 eingeführt worden. A. habe der Klägerin im hier streitigen Bezugszeitraum zu keinem Zeitpunkt einen Energieaufschlag in Rechnung gestellt. Schrottaufschläge habe A. der Klägerin zwischen dem 1. Februar 2004 und dem 31. Dezember 2004 sowie zwischen dem 26. September 2006 und dem 31. Dezember 2006 nicht berechnet. Soweit A. der Klägerin überhaupt einen Schrottzuschlag in Rechnung gestellt habe, sei dieser nicht annähernd an dem von den Kartellanten vereinbarten Schrottzuschlag ausgerichtet.
8 Es entspreche weder der Lebenserfahrung noch sei nachvollziehbar dargelegt, dass kartellbedingte verschleierte Zuschläge im Preis enthalten gewesen seien. Unbewiesen sei, dass der durchschnittliche Grundpreis infolge der Kartellabsprache angestiegen sei.
9 Soweit die EU-Kommission Absprachen in Bezug auf einzelne Kunden festgestellt habe, enthalte der Beschluss keine Hinweise auf die Betroffenheit der Klägerin. Das Landgericht habe zu Recht von der Einholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen und die Vernehmung der aus den Unternehmen der Kartellanten stammenden Zeugen abgelehnt. Es handele sich bei dem unter Beweis gestellten Vortrag der Klägerin, es sei höchstwahrscheinlich, dass sie als eine der größten Eisengießereien in Deutschland von den Kundenschutzabsprachen betroffen gewesen sei, um eine Behauptung ins Blaue hinein.
10 Dass das Kartell über die im Beschluss der EU-Kommission hinaus ausdrücklich genannten Begehungsweisen praktiziert worden sei, sei nicht anzunehmen. Allein der Bußgeldentscheidung komme Bindungswirkung zu.
11 Für eine Kartellbetroffenheit der Klägerin spreche weder der Anscheinsbeweis noch eine tatsächliche Vermutung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei zwar wahrscheinlich, dass bei den Abnehmern der Kartellanten ein Schaden verursacht werde. Grundlage für eine solche tatsächliche Vermutung für eine Kartellbetroffenheit könnten aber nur Umstände sein, die aufzeigten, dass A. an dem Kartellverstoß oder an dessen Umsetzung mitgewirkt habe. Entgegen den Ausführungen der Klägerin sprächen auch nicht die allgemeine Lebenserfahrung und die ökonomische Vernunft gegen die Hypothese, dass A. die streitgegenständlichen Stahl-Strahlmittel als unabhängiger Marktteilnehmer bezogen und diese sodann zu Wettbewerbspreisen weiterverkauft habe. Die Klägerin habe schon nicht substantiiert dargelegt, dass A. die Produkte von der Beklagten zu überhöhten Preisen erworben und diese an die Klägerin weitergegeben habe. Die von A. unstreitig angebotenen besonders günstigen Discounterpreise sprächen dagegen.
12 Die Klägerin könne weder die Vorlage der vertraulichen Fassung der Kommissionsentscheidung verlangen, noch habe das Landgericht Beweisanträge rechtswidrig übergangen. §§ 89b und 33g GWB fänden nur auf kartellrechtliche Schadensersatzansprüche Anwendung, die nach dem Inkrafttreten der 9. GWB-Novelle entstanden seien. Da sich bereits aus der vorliegenden nicht-vertraulichen Fassung die Kartellverstöße lückenlos ergäben, sei die Vorlage zudem nicht für die Erhebung der Schadensersatzklage erforderlich.
13 II. Die zulässige Revision hat in der Sache Erfolg. Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
14 1. Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass die Klage, auch soweit sie auf die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung der Beklagten gerichtet ist, zulässig ist.
15 a) Zwar ist die Feststellungsklage in der Regel nicht bereits deshalb zulässig, weil die für die Leistungsklage notwendige Bezifferung des Schadens die Einholung sachverständigen Rats erforderte (BGH, Urteile vom 21. September 1987 - II ZR 20/87, NJW-RR 1988, 445; vom 12. Juni 2018 - KZR 56/16, NZKart 2018, 315 Rn. 18 - Grauzementkartell II; vom 10. Februar 2021 - KZR 94/18, WuW 2021, 465 Rn. 16 mwN). Wegen der bei Klageerhebung noch unklaren Rechtslage in Bezug auf die zeitliche Anwendbarkeit des mit der 7. GWB-Novelle eingefügten § 33 Abs. 5 GWB 2005 und des daraus für die Klägerin resultierenden Verjährungsrisikos weist der Rechtsstreit jedoch Besonderheiten auf, die - wie der Senat bereits entschieden hat (vgl. BGH, NZKart 2018, 315 Rn. 18 - Grauzementkartell II; Urteil vom 11. Dezember 2018 - KZR 26/17, NZKart 2019, 101 Rn. 32 - Schienenkartell I; WuW 2021, 465 Rn. 16 mwN) - eine andere Beurteilung rechtfertigen.
16 b) Die Klägerin war auch nicht verpflichtet, ihre zulässig erhobene Feststellungsklage nach Klärung der Streitfrage durch den Senat im Urteil vom 12. Juni 2018 (BGH, NZKart 2018, 315 Rn. 61 ff. - Grauzementkartell II) auf eine Leistungsklage umzustellen. Grundsätzlich besteht keine Verpflichtung des Klägers, von der Feststellungsklage auf die Leistungsklage überzugehen, wenn letztere während des Prozesses möglich wird (BGH, Urteile vom 18. Dezember 1986 - I ZR 67/85, GRUR 1987, 524, 525 - Chanel No. 5 II; vom 28. Juni 2007 - I ZR 132/04, WRP 2008, 232 [juris Rn. 18] - INTERCONNECT/T-InterConnect).
17 c) Anders als in Fällen, in denen es um den Ersatz erst zukünftig erwachsender (reiner) Vermögensschäden geht (vgl. dazu BGH, Urteile vom 24. Januar 2006 - XI ZR 384/03, BGHZ 166, 84 Rn. 27; vom 27. September 2016 - X ZR 163/12, GRUR 2016, 1257 Rn. 28 - Beschichtungsverfahren; vom 26. Juli 2018 - I ZR 274/16, NJW-RR 2018, 1301 Rn. 20; vom 5. Oktober 2021 - VI ZR 136/20, NJW-RR 2022, 23 Rn. 28), hängt die Zulässigkeit der Feststellungsklage im Streitfall, in dem ausschließlich ein bereits entstandener Schaden geltend gemacht wird, nicht von der Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadens ab (vgl. BGH, Urteile vom 15. Oktober 1992 - IX ZR 43/92, NJW 1993, 648, 653 [juris Rn. 78]; vom 21. Juli 2005 - IX ZR 49/02, NJW 2005, 3275, 3276 [juris Rn. 7]; NJW-RR 2022, 23 Rn. 28). Vielmehr reicht es dann aus, wenn die Möglichkeit besteht, dass ein Schaden eingetreten ist. Diese ist nur zu verneinen, wenn aus Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund zu der Annahme besteht, dass ein Schaden eingetreten ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. Januar 2007 - VI ZR 133/06, NJW-RR 2007, 601 Rn. 5). Da die Klägerin im Kartellzeitraum Stahl-Strahlmittel von einem Tochterunternehmen einer Kartellbeteiligten erworben hat, ist eine solche Möglichkeit im Streitfall zu bejahen (vgl. dazu im Einzelnen Rn. 26 ff.).
18 2. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann der von der Klägerin gestellte Feststellungsantrag jedoch nicht als unbegründet abgewiesen werden.
19 a) Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass als mögliche Anspruchsgrundlagen § 33 Satz 1, Halbsatz 2 GWB in der vom 1. Januar 1999 bis zum 30. Juni 2005 geltenden Fassung (BGBl. I S. 3220, GWB 1999) i.V.m. § 1 GWB (vgl. BGH, NZKart 2019, 101 Rn. 44 - Schienenkartell I) und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 101 AEUV (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 - KZR 75/10, BGHZ 190, 145 Rn. 13 - ORWI; de Barros, NZKart 2020, 414) und § 33 Abs. 3 GWB in der vom 1. Juli 2005 bis zum 8. Juni 2017 geltenden Fassung i.V.m. § 33 Abs. 1 GWB in Betracht kommen. Danach ist derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Vorschrift des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen oder die Vorgaben in Art. 81, 82 EGV (jetzt: Art. 101, 102 AEUV) verstößt, zum Ersatz des aus dem Verstoß entstandenen Schadens verpflichtet.
20 b) Mit Recht hat das Berufungsgericht auch einen Verstoß der Beklagten gegen Art. 101 AEUV und § 1 GWB festgestellt.
21 aa) Die Europäische Kommission hat mit Beschluss vom 2. April 2014 für den vorliegenden Rechtsstreit bindend (Art. 16 Abs. 1 VO 1/2003; § 33 Abs. 4 GWB 2005 [= § 33b GWB]) festgestellt, dass die Beklagte und mindestens drei weitere Hersteller von Stahl-Strahlmitteln durch Absprachen über die wichtigsten Preisbestandteile all ihrer diese Produkte betreffenden Verkäufe im Europäischen Wirtschaftsraum vorsätzlich gegen Art. 101 AEUV verstoßen haben. Die Absprachen betrafen die koordinierte Anwendung eines einheitlichen Modells für die Berechnung des Schrottaufschlags und die Einführung eines Energieaufschlags. Die Zuwiderhandlung bestand außerdem in einem koordinierten Verhalten gegenüber einzelnen Kunden. Die Parteien tauschten sich (vor allem im Rahmen bilateraler Kontakte) darüber aus, welche Wettbewerbsparameter in Bezug auf einzelne Kunden zwischen ihnen möglich wären. Mit dem Ziel der Einschränkung des Preiswettbewerbs wiesen sich die Parteien in einigen Fällen auch bestimmte Kunden zu. Nach den Feststellungen im Kommissionsbeschluss betraf die Zuwiderhandlung den Zeitraum vom 3. Oktober 2003 bis zum 15. Juni 2010. Für die Beklagte wurde die Beteiligung für den gesamten Zeitraum festgestellt.
22 bb) Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht Kartellabsprachen über den im Bußgeldbescheid festgestellten Umfang hinaus als nicht nachgewiesen angesehen. Die Klägerin verweist vergeblich auf die im Amtsblatt der Kommission vom 14. Oktober 2014 veröffentlichte Zusammenfassung des Bußgeldbeschlusses, wonach die Kartellanten die wichtigsten Preisbestandteile all ihrer Verkäufe von Stahl-Strahlmitteln besprochen und insbesondere die oben genannten Maßnahmen vereinbart hätten. Da es sich um eine Zusammenfassung des Beschlusses der Kommission handelt, können die dort gemachten Angaben nicht über die Feststellungen im Bußgeldbeschluss hinausgehen. Dass es sich bei den vereinbarten Preisbestandteilen ausschließlich um die Schrott- und Energieaufschläge handelte, ergibt sich eindeutig aus der Kommissionsentscheidung, in der die Preisbestandteile entsprechend konkretisiert werden (vgl. Rn. 26: "key price components..., that is to say the scrap and energy surcharges").
23 c) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht jedoch die Kartellbetroffenheit der Klägerin und damit ihre Anspruchsberechtigung verneint.
24 aa) Die Kartellbetroffenheit, die Voraussetzung des haftungsbegründenden Tatbestandes eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs ist, setzt lediglich voraus, dass das wettbewerbsbeschränkende Verhalten geeignet ist, einen Schaden des Anspruchstellers unmittelbar oder mittelbar zu begründen. Für die Feststellung dieser Voraussetzung gilt der Maßstab des § 286 ZPO. Auf die weitergehende Frage, ob sich die Kartellabsprache auf den in Rede stehenden Beschaffungsvorgang, welchen der Anspruchsteller seinem Schadensersatzbegehren zugrunde legt, tatsächlich ausgewirkt hat und das Geschäft damit in diesem Sinn ʺkartellbefangenʺ oder ʺkartellbetroffenʺ war, kommt es bei der Prüfung der haftungsbegründenden Kausalität hingegen nicht an. Es bedarf daher nicht der Feststellung einer konkret-individuellen Betroffenheit (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH, Urteile vom 23. September 2020 - KZR 35/19, BGHZ 227, 84 Rn. 31 mwN - LKW-Kartell I; vom 10. Februar 2021 - KZR 63/18, NZKart 2021 Rn. 15 - Schienenkartell VI; vom 13. April 2021 - KZR 19/20, WuW 2021, 569 Rn. 21 - LKW-Kartell II).
25 bb) Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht zwar ausgegangen; es hat sie aber nicht rechtsfehlerfrei angewandt. Die Annahme, der Klägerin sei der ihr obliegende Beweis nicht gelungen, dass der Kartellverstoß der Beklagten geeignet gewesen sei, einen Schaden der Klägerin unmittelbar oder mittelbar zu begründen, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
26 (1) Das Berufungsgericht hat verkannt, dass die Betroffenheit der Klägerin in sachlicher Hinsicht bereits daraus folgt, dass sie von A. Stahl-Strahlmittel erworben hat, die Gegenstand der Kartellabsprache waren.
27 (a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann die Betroffenheit der Klägerin in sachlicher Hinsicht nicht mit der Begründung verneint werden, die Klägerin habe nicht bewiesen, dass A. die von der Kommission geahndete Kartellabsprache im Hinblick auf die Einführung eines Energieaufschlags und die Festlegung einer einheitlichen Berechnungsmethode für den Schrottaufschlag im Markt praktiziert habe.
28 (aa) Die Eignung des Kartellverstoßes zur Begründung eines Schadens der Klägerin ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht davon abhängig, dass A. sich bei der Preisgestaltung unmittelbar an den Kartellabsprachen orientiert hat, insbesondere also selbst einen Energieaufschlag gefordert oder den Schrottaufschlag nach der festgelegten Berechnungsmethode berechnet hat. Dies gilt selbst dann, wenn es sich bei der A. lediglich um eine unmittelbare oder mittelbare, von der Beklagten unabhängige Abnehmerin handelte. Es genügt nämlich, dass A. oder deren Vorlieferanten die Stahl-Strahlmittel von der am Kartell beteiligten Beklagten möglicherweise zu Preisen erworben haben, die durch die Kartellabsprache beeinflusst worden sind. Da sich die Preisbildung eines Kaufmanns auch an den durch ein Kartell beeinflussten Gestehungskosten orientiert (vgl. BGHZ 190, 145 Rn. 48 - ORWI), zählen die Weiterwälzung kartellbedingt überhöhter Preise und dadurch verursachte Preishöhenschäden zu den möglichen Auswirkungen einer Kartellabsprache (vgl. BGHZ 190, 145 Rn. 46 - ORWI; vgl. auch § 33c Abs. 2 GWB). Darauf, ob die Auswirkung tatsächlich eingetreten ist, kommt es - wie ausgeführt (Rn. 24) - bei der Frage der Betroffenheit nicht an. Ebenso, wie es deshalb für die Betroffenheit eines unmittelbaren Abnehmers genügt, wenn er von einem am Kartell beteiligten Unternehmen Waren erworben hat, welche Gegenstand der Kartellabsprache waren (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2020 - KZR 24/17, BGHZ 224, 281 Rn. 25 - Schienenkartell II; Urteile vom 23. September 2020 - KZR 4/19, WuW 2021, 37 Rn. 18 - Schienenkartell V; vom 13. April 2021 - KZR 69/18, NZKart 2021, 457 Rn. 14), reicht es für die Betroffenheit des mittelbaren Abnehmers aus, wenn er solche Waren von dem unmittelbaren Abnehmer des Kartellbeteiligten oder von dessen Abnehmern erworben hat (vgl. BGH, NZKart 2018, 315 Rn. 37 - Grauzementkartell II).
29 (bb) Nach diesen Grundsätzen kann die sachliche Betroffenheit der Klägerin hinsichtlich der Absprachen, die die Einführung der Energieaufschläge und die Berechnungsmethode der Schrottaufschläge betrafen, nicht verneint werden. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts wurden die von A. an die Klägerin gelieferten Stahl-Strahlmittel von der an dem Kartell beteiligten Beklagten hergestellt. Daraus ergibt sich ohne weiteres, dass die Beklagte diese in den Verkehr gebracht hat. Da sich nach den bindenden Feststellungen der Kommissionsentscheidung vom 2. April 2014 die Absprachen der Kartellanten auf "alle Verkäufe von Stahl-Strahlmitteln im Europäischen Wirtschaftraum" bezogen, waren die von der Beklagten hergestellten Stahl-Strahlmittel Gegenstand der Kartellabsprache.
30 (b) Für die Betroffenheit der Klägerin von den im Kommissionsbeschluss festgestellten Kundenschutzabsprachen ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht erforderlich, dass sich diese konkret auf die Klägerin bezogen. Die Feststellung der Betroffenheit setzt nicht voraus, dass sich die Kartellabsprache auf einen Beschaffungsvorgang, auf den der Anspruchsteller sein Schadensersatzbegehren stützt, tatsächlich ausgewirkt hat (vgl. oben Rn. 24). Es genügt, dass Preiseffekte und Preisschirmeffekte (vgl. dazu BGH, Urteil vom 19. Mai 2020 - KZR 8/18, WuW 2020, 597 Rn. 38 - Schienenkartell IV) und dadurch verursachte Preishöhenschäden auch für von der Absprache nicht unmittelbar betroffene Kunden zu den möglichen Wirkungen einer Kartellabsprache zählen. Dies gilt insbesondere auch bei einem Erwerb von einem am Kartell unbeteiligten Unternehmen (vgl. BGH, WuW 2020, 597 Rn. 25 - Schienenkartell IV).
31 (2) Auch in zeitlicher Hinsicht durfte das Berufungsgericht die Betroffenheit der Klägerin für den im Feststellungsantrag genannten Zeitraum nicht ausschließen.
32 (a) Da sich der Zeitraum der Zuwiderhandlung nach den Feststellungen im Bußgeldbescheid vom 3. Oktober 2003 bis zum 15. Juni 2010 erstreckte, kann eine Betroffenheit der Klägerin für die diesen Zeitraum betreffenden Erwerbsvorgänge nicht verneint werden.
33 (aa) Allerdings sollte nach den Feststellungen im Bußgeldbescheid nach der Kartellabsprache das neue Berechnungsmodell für den Schrottaufschlag erstmals am 1. Februar 2004 eingeführt werden. Insoweit konnte sich - wie das Berufungsgericht zu Recht ausgeführt hat - die Kartellabsprache erst ab dem 1. Februar 2004 nachteilig auswirken.
34 (bb) Ferner konnte die wettbewerbsbeschränkende Absprache zur Einführung eines Energieaufschlags vor dem 1. November 2008 keinen Einfluss auf den von der Klägerin zu zahlenden Preis haben und war nicht geeignet, vor diesem Zeitpunkt einen Vermögensschaden der Klägerin herbeizuführen. Da der Energieaufschlag nach den Feststellungen im Bußgeldbescheid erstmals am 1. November 2008 von einer Kartellbeteiligten eingeführt wurde, während die Beklagte und die anderen Kartellbeteiligten erstmals am 1. Januar 2009 einen Energieaufschlag berechneten, kam insoweit eine schädliche Wirkung des Kartells nicht vor dem 1. November 2008 in Betracht.
35 (cc) Jedoch koordinierten die Kartellbeteiligten während des gesamten Kartellzeitraums auch ihre Aktivitäten bezüglich einzelner Kunden. Wegen der möglichen Auswirkungen dieser Verhaltenskoordination für die Klägerin erstreckt sich deren Betroffenheit in zeitlicher Hinsicht auf Erwerbsvorgänge in dem gesamten Kartellzeitraum. Dies gilt insbesondere auch für den Fall, dass sich die Kundenschutzabsprachen nicht auf die Klägerin bezogen haben sollten. Die Betroffenheit ergibt sich dann jedenfalls aus den möglichen Preis(schirm)effekten (vgl. oben Rn. 30), deren Eintritt regelmäßig von der Dauer und der Marktabdeckung des Kartells abhängt (vgl. BGH, WuW 2020, 597 Rn. 39 - Schienenkartell IV). Die Frage, ob durch das Kartell tatsächlich Preis(schirm)effekte verursacht wurden, ist Gegenstand der Schadensfeststellung.
36 (b) Da Nachwirkungen eines Kartells zu den möglichen Folgen einer Kartellabsprache zählen (vgl. BGHZ 190, 145 Rn. 84 - ORWI; BGH, NZKart 2018, 315 Rn. 36 - Grauzementkartell II; BGHZ 224, 281 Rn. 49 - Schienenkartell II), kann eine Betroffenheit der Klägerin in zeitlicher Hinsicht auch für Erwerbsvorgänge nach dem 15. Juni 2010 bis Ende 2012 nicht verneint werden. Darauf, ob und in welchem Umfang und in welchem Zeitraum Nachwirkungen tatsächlich eingetreten sind, kommt es - wie ausgeführt (Rn. 24) - bei der Prüfung der Betroffenheit nicht an.
37 III. Da sich das Urteil des Berufungsgerichts nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO), ist es aufzuheben (§ 562 ZPO). Es fehlt gegenwärtig eine ausreichende Grundlage für die Annahme, dass ein Schaden der Klägerin mit der am Maßstab des § 287 Abs. 1 ZPO zu messenden Überzeugung ausgeschlossen ist.
38 1. Die (positive) Feststellung einer Ersatzpflicht im gerichtlichen Verfahren setzt, soweit bereits entstandene Schäden in Rede stehen, voraus, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden entstanden ist (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 24. Februar 1972 - II ZR 41/70, WM 1972, 545 [juris Rn. 11]; vom 17. Oktober 1991 - IX ZR 255/90, BB 1991, 2465, 2466 [juris Rn. 6]). Die für die Kartellbetroffenheit ausreichende Möglichkeit preiserhöhender Wirkungen des Kartells begründet eine solche Schadenswahrscheinlichkeit noch nicht. Hinreichend wahrscheinlich ist der Schadenseintritt dann, wenn sich der Tatrichter trotz Ausschöpfung aller nach seinem pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu berücksichtigenden Beweismittel bei freier Würdigung aller Umstände des Einzelfalls gemäß § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht die Überzeugung bilden kann, dass ein Schadenseintritt ausgeschlossen ist. Denn ohne diese Überzeugung darf er, sofern alle sonstigen Haftungsvoraussetzungen erfüllt sind, die auf Feststellung der Ersatzpflicht gerichtete Klage nicht abweisen (vgl. BGH, Urteile vom 24. Juni 1969 - VI ZR 48/67, NJW 1969, 2014, 2015 [juris Rn. 79]; vom 24. Februar 1972 - II ZR 41/70, WM 1972, 545 [juris Rn. 11]; vom 14. Juni 1983 - VI ZR 213/81, NJW 1983, 2694, 2695/2696 [juris Rn. 31]; BB 1991, 2465, 2466 [juris Rn. 8] insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 115, 382), muss ihr also stattgeben.
39 Jedoch folgt daraus nicht notwendig, dass über sämtliche für und gegen einen Schaden sprechenden Indizien Beweis erhoben werden muss. Kann sich der Tatrichter bereits bei einer Gesamtwürdigung der unstreitigen und der - als wahr unterstellten - von der Klägerseite vorgetragenen streitigen Indizien die Überzeugung bilden, dass jeglicher Schadenseintritt ausgeschlossen ist, so ist die Klage abzuweisen. Umgekehrt genügt für die positive Feststellung, dass sich der Tatrichter bei einer Gesamtwürdigung der unstreitigen und der - als wahr unterstellten - von der Beklagtenseite vorgetragenen streitigen Indizien nicht die Überzeugung bilden kann, dass ein Schaden ausgeschlossen ist.
40 2. Die vom Berufungsgericht im Rahmen seiner Prüfung der Betroffenheit festgestellten Umstände reichen nicht aus, um einen Schadenseintritt mit der am Maßstab des § 287 Abs. 1 ZPO zu messenden Überzeugung auszuschließen.
41 a) Dass die Klägerin die Ware von der Tochtergesellschaft der Beklagten erworben hat, schließt einen kartellbedingten Schaden nicht ohne weiteres aus. Nach dem revisionsrechtlich zugunsten der Klägerin zu unterstellenden Sachverhalt kommt vielmehr in Betracht, dass die Klägerin sich auf einen Erfahrungssatz berufen kann, der für einen Schaden spricht.
42 aa) Nach der Rechtsprechung des Senats streitet zugunsten des Abnehmers eines an einer Kartellabsprache über Preise, bestimmte Quoten sowie die Zuweisung bestimmter Kunden beteiligten Unternehmens eine auf der hohen Wahrscheinlichkeit eines solchen Geschehens beruhende tatsächliche Vermutung - im Sinne eines Erfahrungssatzes - dafür, dass die im Rahmen des Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten (BGH, Urteil vom 8. Januar 1992 - 2 StR 102/91, BGHSt 38, 186 [juris Rn. 41]; Beschlüsse vom 28. Juni 2005 - KRB 2/05, WuW/E DE-R 1567 [juris Rn. 20] - Berliner Transportbeton I; vom 26. Februar 2013 - KRB 20/12, BGHSt 58, 158 Rn. 76 - Grauzementkartell I; NZKart 2018, 315 Rn. 35 - Grauzementkartell II; NZKart 2019, 101 Rn. 55 - Schienenkartell I; BGHZ 224, 281 Rn. 40 - Schienenkartell II; BGHZ 227, 84 Rn. 40 - LKW-Kartell I).
43 (1) Grundlage dieses Erfahrungssatzes ist die wirtschaftliche Erfahrung, dass die Gründung und Durchführung eines Kartells regelmäßig zu einem Mehrerlös der daran beteiligten Unternehmen führt. Durch Kartellabsprachen sind die beteiligten Unternehmen jedenfalls in einem gewissen Umfang der Notwendigkeit enthoben, sich im Wettbewerb zur Erlangung von Aufträgen gegen konkurrierende Unternehmen durchzusetzen, und Unternehmen, die sich aufgrund solcher Absprachen nicht dem Wettbewerb, insbesondere dem Preiswettbewerb, stellen müssen, werden im Regelfall keinen Anlass sehen, bestehende Preissenkungsspielräume zu nutzen (vgl. BGH, NZKart 2019, 101 Rn. 55 - Schienenkartell I; BGHZ 227, 84 Rn. 40 - LKW-Kartell I).
44 (2) Die Anwendung des Erfahrungssatzes auf die Preise nachfolgender Marktstufen ist bereits dann gerechtfertigt, wenn keine klare Trennung der verschiedenen Marktstufen vorliegt. Dies gilt erst recht auch dann, wenn der Erwerb von der zur selben wirtschaftlichen Einheit gehörenden Tochtergesellschaft eines am Kartell beteiligten Unternehmens erfolgt.
45 (a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Ursächlichkeit einer Kartellabsprache für die Preisbildung auf nachfolgenden Marktstufen anhand des Preisniveaus zu ermitteln, das sich dort ohne die kartellbedingte Überteuerung eingestellt hätte. Da die Preisbildung üblicherweise von zahlreichen Faktoren der Marktstruktur und der jeweiligen kaufmännischen Strategie beeinflusst wird und die Möglichkeit besteht, dass der Preissetzungsspielraum des Abnehmers auf der vorgelagerten Marktstufe nicht auf der durch das Kartell geschaffenen Marktlage, sondern auf einer davon unabhängigen, besonderen Marktstellung oder anderen Gegebenheiten des Anschlussmarktes beruht, bedarf es für den erforderlichen Ursachenzusammenhang daher grundsätzlich der Feststellung, dass eine festgestellte Preiserhöhung gerade auf das Kartellgeschehen und nicht auf andere preisbildende Faktoren zurückgeht (BGHZ 190, 145 Rn. 46 - ORWI; WuW 2021, 569 Rn. 49 - LKW-Kartell II). Wie der Senat bereits entschieden hat, ist die Anwendung des Erfahrungssatzes jedoch bereits dann gerechtfertigt, wenn keine klare Trennung der verschiedenen Marktstufen vorliegt (vgl. BGH, WuW 2021, 569 Rn. 46, 50 - LKW- Kartell II).
46 (b) Da es bereits an unterschiedlichem Marktverhalten fehlt, wenn die Ware von einer Tochtergesellschaft erworben wird, die zur selben wirtschaftlichen Einheit wie die am Kartell beteiligte Muttergesellschaft gehört, kann in einem solchen Fall der Erfahrungssatz erst recht herangezogen werden.
47 (aa) Eine Tochtergesellschaft gehört zur selben wirtschaftlichen Einheit wie die Muttergesellschaft, wenn sie trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt (EuGH, Urteile vom 27. April 2017 - C-516/15 P, Slg. 2009, I-8237 Rn. 59 ff. - Akzo Nobel/Kommission; vom 6. Oktober 2021 - C 882/19, WuW 2021, 637 Rn. 43 - Sumal).
48 (bb) Das Marktverhalten einer zur selben wirtschaftlichen Einheit gehörenden Tochtergesellschaft unterscheidet sich danach regelmäßig nicht von dem der Muttergesellschaft. Dies rechtfertigt die Anwendung des Erfahrungssatzes über die preissteigernde Wirkung von Kartellen auch in dem Fall, in dem der Abnehmer nicht von der am Kartell beteiligten Muttergesellschaft, sondern von der zur selben wirtschaftlichen Einheit gehörenden Tochtergesellschaft erwirbt. Für eine Anwendung des Erfahrungssatzes spricht auch, dass die Annahme völlig unplausibel wäre, dass die Muttergesellschaft den kartellbedingt überhöhten Gewinn dadurch wieder zunichtemacht, dass die Preiserhöhung vollständig bei ihrer Tochtergesellschaft "hängenbleibt".
49 bb) Danach kommt die Anwendung des Erfahrungssatzes hier in Betracht. Mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts ist im Revisionsverfahren zugunsten der Klägerin davon auszugehen, dass A. zur selben wirtschaftlichen Einheit gehörte wie die Beklagte und mit ihr ein einziges Unternehmen bildete (vgl. EuGH, WuW 2021, 637 Rn. 43, 52 - Sumal mwN). Denn für einen bestimmenden Einfluss der Klägerin auf ihre Tochtergesellschaft spricht eine widerlegliche Vermutung, und A. vertrieb Stahl-Strahlmittel, welche Gegenstand der Kartellabsprache waren.
50 Die Beklagte hielt 100 % des Kapitals an ihrer Tochtergesellschaft A. . Damit besteht eine widerlegliche Vermutung, dass die Beklagte tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten der Tochtergesellschaft ausgeübt hat (EuGH, Slg. 2009, I-8237 Rn. 60 - Akzo Nobel/Kommission; vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2013 - KRB 20/12, BGHSt 58, 158 Rn. 71 - Grauzementkartell I). Mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts ist deshalb im Revisionsverfahren davon auszugehen, dass die Beklagte einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten dieser Tochtergesellschaft ausgeübt hat. Soweit die Beklagte behauptet, A. habe ihr Marktverhalten autonom bestimmt, hätte sie konkrete Tatsachen dafür vorzutragen und diese gegebenenfalls zu beweisen.
51 Da A. die von der Beklagten hergestellten Stahl-Strahlmittel vertrieben hat, die Gegenstand der Kartellabsprache waren, ist auch der nach der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs erforderliche Zusammenhang der wirtschaftlichen Bereiche der Muttergesellschaft und der Tochtergesellschaft im Hinblick auf den Gegenstand der Kartellabsprache gegeben (vgl. EuGH, WuW 2021, 637 Rn. 44 ff. - Sumal mwN).
52 b) Die vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen stellen keine Indizien dar, die bei der revisionsrechtlich zu unterstellenden Geltung des allgemeinen Erfahrungssatzes im Rahmen der Gesamtwürdigung einen Schaden der Klägerin ausschließen würden.
53 aa) Die Anwendung eines Erfahrungssatzes schließt nicht zwingend aus, dass das Gericht zur Überzeugung gelangt, dass ein Schaden ausgeschlossen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss sich das Gericht auch bei Geltung eines Erfahrungssatzes im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung grundsätzlich umfassend mit den Umständen des Einzelfalls, einschließlich der vorgebrachten Indizien und etwaiger vorgelegter Parteigutachten, auseinandersetzen (vgl. für das Grundurteil BGHZ 224, 281 Rn. 52 - Schienenkartell II). Diese Gesamtwürdigung hat der Tatrichter vorzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 2020 - KZR 70/17, WRP 2020, 1430 Rn. 28 - Schienenkartell III).
54 bb) Die vom Berufungsgericht festgestellten Umstände reichen nicht aus, um einen Schaden der Klägerin auszuschließen.
55 (1) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts spricht die konkrete Preisgestaltung für sich genommen weder gegen die Anwendung des Erfahrungssatzes noch gegen einen kartellbedingten Schaden der Klägerin. Weder eine Differenz zwischen den von der Klägerin bezahlten Schrottzuschlägen und den sich aus der abgesprochenen Berechnungsformel ergebenden Werten noch der vollständige Verzicht von A. auf die Erhebung von Schrott- und Energiezuschlägen schließen einen kartellbedingten Schaden der Klägerin aus. Denn das ändert nichts daran, dass Ausgangspunkt der mit der Klägerin vereinbarten Preise, Preisbestandteile und eines (vermeintlichen) Rabatts ein kartellbedingt erhöhtes Gesamtpreisniveau war.
56 (a) Soweit der Klägerin Schrottzuschläge in Rechnung gestellt wurden, spricht der Umstand, dass diese nicht in voller Höhe der zwischen den Kartellanten vereinbarten Berechnungsweise entsprachen, nicht gegen einen Preiseffekt des Kartells auf die hier in Rede stehenden Erwerbsvorgänge. Die Feststellung des Berufungsgerichts, der in Rechnung gestellte Schrottzuschlag sei nicht annähernd an dem von den Kartellanten vereinbarten Schrottzuschlag ausgerichtet, lässt sich anhand der von der Klägerin exemplarisch vorgelegten Rechnungen nicht treffen. Dies liegt für die vom Berufungsgericht festgestellte geringfügige Differenz in Höhe von + 2,10 € zwischen kartellgemäß berechneten und gefordertem Schrottzuschlag für die Bestellungen vom 18. März 2010 auf der Hand. Diese geringfügige Differenz lässt sich dadurch erklären, dass die Höhe des Schrottzuschlags zur bei der Preisbildung nicht unüblichen Vermeidung von Beträgen, die nicht volle Euro ergeben, großzügig aufgerundet wurde. Nichts anderes kann gelten, soweit das Berufungsgericht hinsichtlich der anderen Rechnungen festgestellt hat, dass der von A. in Rechnung gestellte Schrottzuschlag bis zu 207 € günstiger war als der koordinierte Schrottzuschlag. Es liegt nicht fern, dass die Abweichung auf einem Rabatt gegenüber der Klägerin beruht, der - wäre das Ausgangsniveau der Schrottzuschläge nicht kartellbedingt überhöht gewesen - zu einem noch geringeren Schrottzuschlag geführt hätte.
57 (b) Dass A. nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts der Klägerin zu keinem Zeitpunkt einen Energieaufschlag in Rechnung gestellt hat, schließt die Wahrscheinlichkeit eines Preiseffekts des Kartells auf die streitgegenständlichen Erwerbsvorgänge entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ebenso wenig aus.
58 (aa) Da für die Ermittlung des preisgünstigsten Angebots im Markt für den Abnehmer entscheidend ist, was er am Ende insgesamt bezahlen muss, und nicht, wie sich der Preis zusammensetzt, entspricht es unternehmerischer Vernunft, als Ausgangspunkt für die Kalkulation des Vertragspreises den Gesamtpreis zu nehmen und diesen an dem auf dem Markt herrschenden Gesamtpreisniveau und nicht an den einzelnen Preisbestandteilen auszurichten. Es liegt deshalb nahe, dass sich die Kalkulation des Gesamtpreises der A. an dem kartellbedingt durch den Energieaufschlag erhöhten Gesamtpreisniveau orientiert hat, auch wenn der Energieaufschlag nicht als Preisbestandteil in dem von A. verlangten Gesamtpreis ausgewiesen war, vielmehr eine Gesamtpreiserhöhung über die Anhebung des Grundpreises erfolgte. Damit ist hochwahrscheinlich, dass die Klägerin, die auch nach dem Vortrag der Beklagten äußerst preissensitiv war und mehrere Angebote einholte und verglich, bei hypothetischen Wettbewerbspreisen (also bei Preisen ohne den Energiezuschlag) bei Wettbewerbern der A. oder bei A. selbst zu einem günstigeren Gesamtpreis erworben hätte. Ein günstigerer Preis hätte sich insbesondere daraus ergeben können, dass der Gesamtpreis (Grundpreis und Stromkostenzuschlag) der Wettbewerber der A. ohne den Energiezuschlag günstiger gewesen wäre als mit dem Energiezuschlag oder A. wegen der günstigeren (Gesamt-)Wettbewerbspreise bereit gewesen wäre, der Klägerin einen höheren Rabatt auf den Gesamtpreis zu gewähren. Eine kartellbedingte Beeinflussung des Endpreises lässt sich damit entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht ohne weiteres ausschließen.
59 (bb) Die Feststellung des Berufungsgerichts, dass A. die Stahl-Strahlmittel der Klägerin zu einem erheblich reduzierten Grundpreis und zusätzlich mit einem anfänglichen Verzicht auf den Schrottaufschlag angeboten hatte, schließt nicht ohne weiteres aus, dass der Klägerin ein Schaden entstanden ist. Eine Reduzierung der von A. normalerweise verlangten Grundpreise und Schrottaufschläge ändert nichts daran, dass Ausgangspunkt des Rabatts das - nach dem Erfahrungssatz - kartellbedingt erhöhte Gesamtpreisniveau war.
60 (cc) Soweit das Landgericht festgestellt hat, dass die von A. verlangten Grundpreise im Kartellzeitraum erheblich geringer waren als die von der Klägerin behaupteten durchschnittlichen Grundpreise für Stahl-Strahlmittel liegt - wie auch das Landgericht nicht verkennt - nicht fern, dass dies allein auf der Verhandlungsmacht und dem Verhandlungsgeschick der Klägerin beruht und ohne die kartellbedingten Preiseffekte der Gesamtpreis noch günstiger gewesen wäre. Da auch nach Beendigung des Kartells die von A. verlangten Grundpreise nach den Feststellungen des Landgerichts erheblich geringer waren als die angeblichen durchschnittlichen Grundpreise, ist das Verhältnis zwischen Durchschnittspreisen und den von der Klägerin bezahlten Preisen für sich genommen ohne Aussagekraft.
61 (c) Entsprechendes gilt, soweit A. der Klägerin keinen Schrottzuschlag in Rechnung gestellt hat.
62 (2) Zwar kommen nachteilige Auswirkungen hinsichtlich der Absprache eines neuen Berechnungsmodells für den Schrottzuschlag erst ab dem 1. Februar 2004 und hinsichtlich der Einführung eines Energiezuschlags nicht vor dem 1. November 2008 in Betracht (vgl. Rn. 33, Rn. 34). Da das Berufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - jedoch keine Feststellungen zur Wahrscheinlichkeit eines durch die im gesamten Kartellzeitraum praktizierten Kundenschutzabsprachen verursachten Schadens getroffen hat, kann die Wahrscheinlichkeit eines kartellbedingten Schadens in den davorliegenden Zeiträumen nach dem im Revisionsverfahren zugrunde zu legenden Sachverhalt nicht ausgeschlossen werden.
63 (a) Allerdings wird die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadens für den Zeitraum vom 3. Oktober 2003 bis zum 1. Februar 2004 nur dann bejaht werden können, wenn sich die Kundenschutzabsprachen auch konkret auf die Klägerin bezogen. Preis(schirm)effekte der Kundenschutzabsprachen für nicht unmittelbar betroffene Kunden dürften sich in dem kurzen Zeitraum von nicht einmal fünf Monaten ohne Kenntnis des Umfangs der Kundenschutzabsprachen, also insbesondere der Marktabdeckung und weiterer maßgeblicher Marktfaktoren in der Regel nicht begründen lassen (vgl. BGH, WuW 2020, 597 Rn. 39 - Schienenkartell IV). Solche Umstände lassen sich der Kommissionsentscheidung nicht entnehmen. Auch die Revision zeigt keinen entsprechenden Vortrag der Klägerin auf. Das Berufungsgericht weist zu Recht darauf hin, dass das Verhalten der Kartellanten lediglich pauschal beschrieben wird.
64 (b) Jedoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Kundenschutzabsprachen sich auf die Klägerin bezogen. Verfahrensfehlerhaft haben Landgericht und Berufungsgericht die zum Beweis hierfür von der Klägerin benannten Zeugen nicht vernommen. Die Auffassung des Berufungsgerichts, bei der entsprechenden Behauptung der Klägerin handele es sich um eine unbeachtliche Behauptung "ins Blaue hinein", hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
65 (aa) Einer Partei darf nicht verwehrt werden, eine tatsächliche Aufklärung hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann. Sie kann deshalb genötigt sein, eine von ihr nur vermutete Tatsache zu behaupten und unter Beweis zu stellen. Unzulässig wird ein solches prozessuales Vorgehen erst dort, wo die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufstellt. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte, gerechtfertigt werden können (BGH, Urteile vom 27. Mai 2003 - IX ZR 283/99, NJW-RR 2004, 337, 338; vom 16. April 2015 - IX ZR 195/14, NJW-RR 2015, 829 Rn. 13). Das Gesetz verlangt nicht, dass der Beweisführer sich auch darüber äußert, welche Anhaltspunkte er für die Richtigkeit der in das Wissen des Zeugen gestellten Behauptung habe (BGH, Urteile vom 1. Dezember 1971 - VIII ZR 88/70, NJW 1972, 249, 250; vom 13. Juli 1988 - IVa ZR 67/87, NJW-RR 1988, 1529; vom 20. September 2002 - V ZR 170/01, MDR 2003, 45 [juris Rn. 8]; NJW-RR 2015, 829 Rn. 13). Für den Umfang der Darlegungslast ist der Grad der Wahrscheinlichkeit der Sachverhaltsschilderung ohne Bedeutung (BGH, MDR 2003, 45 [juris Rn. 8]). Für das Vorliegen eines hinreichend bestimmten Beweisantrags ist es nicht erforderlich, dass die Partei das Beweisergebnis im Sinne einer vorweggenommenen Beweiswürdigung wahrscheinlich macht (BVerfG, Beschluss vom 14. April 2003 - 1 BvR 1998/02, NJW 2003, 2976, 2977 [juris Rn. 15] - Prozesskostenhilfeverfahren).
66 (bb) Hieran gemessen hat das Berufungsgericht die Anforderungen an das Vorbringen der Klägerin überspannt. Der unter Beweis gestellte Vortrag beschränkt sich zwar auf die Behauptung, die Klägerin sei als eine der größten Eisengießereien in Deutschland von den Kundenschutzabsprachen der Kartellanten unmittelbar betroffen gewesen. Dabei handelt es sich nicht um eine Rechtsbehauptung, sondern um eine ausreichende, dem Beweis zugängliche Tatsachenbehauptung, da sich dem Vortrag der Tatsachenkern entnehmen lässt, dass auch Absprachen über die Klägerin getroffen wurden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fehlt es nicht an jeglichen tatsächlichen Anhaltspunkten für die Richtigkeit dieser Behauptung. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist die Klägerin eine der größten Eisengießereien in Deutschland. Daraus ergibt sich ohne weiteres, dass sie in Deutschland zu den Nachfragern mit dem größten Bedarf zählt. Dies legt es nahe, dass die Beklagte und ihre Unternehmensgruppe ein großes Interesse an einer langfristigen Kundenbeziehung mit der Klägerin hatten. Dafür spricht, dass nach dem als unstreitig festgestellten Vortrag der Beklagten nach Beendigung der Lieferbeziehung zwischen dem deutschen Tochterunternehmen und der Klägerin sich die Beklagte zwischen 1996 und 2002 vergeblich bemüht hatte, wieder eine Lieferbeziehung aufzubauen. Das große Interesse daran, die Klägerin als Kundin zu gewinnen und langfristig zu behalten, zeigt sich insbesondere darin, dass zu diesem Zweck auf A. zurückgegriffen wurde, welche die Stahl-Strahlmittel zu einem erheblich reduzierten Grundpreis und zusätzlich mit einem anfänglichen Verzicht auf den Schrottzuschlag angeboten hatte. Angesichts dieser Umstände liegt es nicht fern, die wiedergewonnene Lieferbeziehung durch Kundenschutzabsprachen zu sichern. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es insbesondere nicht darauf an, ob die große Nachfrage der Klägerin sich auf ganz Europa bezog. Soweit das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang ausführt, es habe sich um ein europaweites Kartell gehandelt, kommt dem keine Bedeutung zu. In dem Beschluss der Kommission vom 2. April 2014 finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kundenschutzabsprachen nur europaweit bedeutsame Stammkunden betrafen. Unerheblich ist dabei, dass nach dem unstreitigen Vortrag der Beklagten keine Lieferbeziehung der Klägerin mit den weiteren Kartellanten bestand. Denn als ein Beispiel für eine Kundenschutzabsprache wird im Bußgeldbescheid ausgeführt, dass ein Lieferant nicht versuchen sollte, Stammkunden eines anderen Lieferanten abzuwerben, zumindest nicht mittels Preissenkungen. Fehlende Angebote durch Lieferanten und nicht bestehende Lieferbeziehungen zu diesen schließen eine Kundenschutzabsprache zu Lasten der Klägerin damit nicht aus, sondern sprechen im Gegenteil dafür. Es kommt in diesem Zusammenhang auch nicht darauf an, ob A. selbst kundenbezogene Absprachen getroffen hat. Entscheidend ist vielmehr, dass die von der Beklagten mit anderen Kartellteilnehmern getroffenen Kundenschutzabsprachen die Geschäftsbeziehung mit A. vor Preisunterbietung schützen konnten.
67 Ohne Erfolg macht die Beklagte im Revisionsverfahren geltend, die Klägerin habe bereits vor dem Kartellzeitraum ihre Marktmacht durch eine preiszentrierte Verhandlungspolitik dazu genutzt, um einer gegen sie gerichteten, den Preiswettbewerb ausschaltenden Absprache von vornherein den Boden zu entziehen. Diese Argumentation übersieht den mit Kundenschutzabsprachen verfolgten Zweck, sicherzustellen, dass eine preiszentrierte Verhandlungspolitik des Kunden nicht die Wirkung hat, die ohne solche Vereinbarungen möglich wäre. Dass die Konditionen der Klägerin auch im Kartellzeitraum günstiger waren als die durchschnittlich erzielten Konditionen, schließt das Vorhandensein von Kundenschutzabsprachen zu Lasten der Klägerin nicht ohne weiteres aus. Denn auch dies kann Ausfluss der Nachfragemacht der Klägerin sein.
68 IV. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
69 V. Der Senat weist für die weitere Verhandlung auf Folgendes hin:
70 1. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadens muss für jeden einzelnen Schadensersatzanspruch vorliegen, dessen Bestehen festgestellt werden soll (vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 1991 - IX ZR 255/90, BB 1991, 2465 [juris Rn. 6] insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 115, 382; NJW 1993, 648 [juris Rn. 79]; vgl. zum Grundurteil: Urteil vom 13. April 2021 - KZR 40/19, WuW 2021, 715 Rn. 17). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bilden die aus den einzelnen Beschaffungsvorgängen abgeleiteten Schäden, die die Klägerin geltend macht, materiell-rechtlich jeweils selbständige Ansprüche (BGH, WuW 2021, 37 Rn. 70 - Schienenkartell V; WuW 2021, 715 Rn. 17).
71 2. Das Berufungsgericht wird die Anordnung auf Vorlage der Kommissionsentscheidung nicht mit der Begründung ablehnen dürfen, ihre Herausgabe sei nicht erforderlich, weil sich aus ihrer nicht-vertraulichen Fassung die Kartellverstöße lückenlos ergäben und die Klägerin nicht im Einzelnen vorgetragen habe, aus welchen Gründen sie eine Offenlegung benötige. Denn die Klägerin hat dargelegt, dass sich aus den Verweisen in "Fußnote 8 (...) betreffend die Einzelheiten der Kundenschutzabsprache" sowie aus den Referenzen in den Fußnoten 11 bis 33 die Kartellbetroffenheit der Klägerin ergebe. Dabei handelt es sich nicht um eine bloße Rechtsbehauptung. Dem Vortrag lässt sich vielmehr der dem Beweis zugängliche Tatsachenkern entnehmen, dass die Kundenschutzabsprachen sich auf die Klägerin bezogen. Die Fußnoten enthalten zwar offenbar lediglich Verweise auf Dokumente, die in der Anlage zum Schreiben der Kommission vom 10. Mai 2017 aufgeführt sind. Es kann jedoch nach dem im Revisionsverfahren maßgeblichen Sach- und Streitstand mangels weiterer Feststellungen des Berufungsgerichts nicht ausgeschlossen werden, dass sich aus diesen Dokumenten, hinsichtlich derer ein Anspruch auf Vorlage in Betracht kommt, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein Hinweis auf die Klägerin ergibt. Dies gilt unabhängig davon, ob §§ 33g, 89b GWB auf den Streitfall Anwendung finden, oder ob sich die Voraussetzungen einer Vorlage allein nach § 142 ZPO bestimmen. Es kann deshalb dahinstehen, ob der Anwendung der §§ 33g, 89b GWB hier Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsbeschränkende Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (ABl. 2014, L 349, S. 1) entgegensteht (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 22. Juni 2022 - C-267/20, juris Rn. 40 f. - Volvo und DAF Trucks; Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar vom 7. April 2022 - C-163/21, Rn. 41 - PACCAR).