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Wirtschaftsrecht
14.03.2024
Wirtschaftsrecht
EuGH: Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen (hier: unzulässige Abschalteinrichtung)

EuGH, Urteil vom 22.2.2024 – C-81/23, MA gegen FCA Italy SpA, FPT Industrial SpA

Volltext: BB-Online BBL2024-641-1

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass sich in einem Fall, in dem ein Fahrzeug, das von seinem Hersteller in einem ersten Mitgliedstaat mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet worden sein soll, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert, Gegenstand eines in einem zweiten Mitgliedstaat abgeschlossenen Kaufvertrags war und dem Erwerber in einem dritten Mitgliedstaat übergeben wurde, der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs im Sinne dieser Bestimmung im letztgenannten Mitgliedstaat befindet.

 

 

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).

 

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits, den MA, eine in Österreich ansässige Person, gegen die FCA Italy SpA sowie die FPT Industrial SpA, zwei italienische Gesellschaften, wegen der Haftung Letzterer für den Schaden führt, der sich daraus ergeben soll, dass in einem von MA gekauften Fahrzeug eine die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringernde Abschalteinrichtung verbaut ist.

 

Rechtlicher Rahmen

Verordnung Nr. 1215/2012

3          In den Erwägungsgründen 15 und 16 der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es:

„(15)     Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. …

(16)      Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten sollte durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Das Erfordernis der engen Verbindung soll Rechtssicherheit schaffen und verhindern, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte. Dies ist besonders wichtig bei Rechtsstreitigkeiten, die außervertragliche Schuldverhältnisse infolge der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte einschließlich Verleumdung betreffen.“

 

4          Kapitel II („Zuständigkeit“) der Verordnung Nr. 1215/2012 enthält u. a. einen Abschnitt 1 („Allgemeine Bestimmungen“) und einen Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten“). Der zu Abschnitt 1 der Verordnung gehörende Art. 4 Abs. 1 bestimmt:

„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“

 

5          In Art. 7 der Verordnung Nr. 1215/2012, der zu Abschnitt 2 ihres Kapitels II gehört, heißt es:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:

2.         wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht;

…“

 

Verordnung (EG) Nr. 715/2007

6          Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. 2007, L 171, S. 1) bestimmt:

„Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. …“

 

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

7          Mit Kaufvertrag vom 14. März 2019 kaufte MA, der in Krems an der Donau (Österreich) wohnhaft ist, zusammen mit seiner Ehefrau bei einem in Deutschland ansässigen Fahrzeughändler ein Wohnmobil. Die Übergabe des Fahrzeugs an die Käufer erfolgte durch das österreichische Auslieferungslager des Verkäufers, das sich in Salzburg (Österreich) befindet.

 

8          FCA Italy und FPT Industrial, zwei in Italien ansässige Gesellschaften, sind die Hersteller dieses Fahrzeugs bzw. von dessen Motor.

 

9          Da der Motor des Fahrzeugs nach Auffassung des Klägers unzulässigerweise mit einer Abschalteinrichtung, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert, im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgerüstet ist, erhob er beim Landesgericht Salzburg (Österreich) eine deliktische Schadensersatzklage gegen FCA Italy und FPT Industrial. Er machte geltend, dieses Gericht sei auf der Grundlage von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 für die Entscheidung über seine Klage international zuständig, da das schädigende Ereignis in Salzburg eingetreten sei, wo der Kauf mit der Übergabe der Sache vollendet worden sei.

 

10        FPT Industrial erhob eine Einrede der Unzuständigkeit dieses Gerichts, da sich nach dem Urteil vom 9. Juli 2020, Verein für Konsumenteninformation (C‑343/19, im Folgenden: Urteil VKI, EU:C:2020:534), in einer solchen Konstellation der Ort, an dem das schädigende Ereignis im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 eingetreten sein solle, in dem Mitgliedstaat befinde, in dem das Fahrzeug vom Verkäufer erworben worden sei. MA habe das Wohnmobil aber in Deutschland erworben, wo der Kaufvertrag von den Parteien unterzeichnet worden sei. Der Erfolgsort befinde sich demnach in Deutschland, so dass die deutschen Gerichte für die Entscheidung über die Rechtssache zuständig seien.

 

11        Mit Beschluss vom 31. Mai 2022 verwarf das Landesgericht Salzburg diese Einrede und führte aus, nach dem Vorbringen von MA habe sich sein Schaden erst mit der Übergabe des Fahrzeugs in Österreich verwirklicht.

 

12        Mit Beschluss vom 3. Oktober 2022 gab das Oberlandesgericht Linz (Österreich) dem Rekurs von FPT Industrial mit der Begründung Folge, dass das Erstgericht für die Entscheidung über die Rechtssache international unzuständig sei, da sich der Ort des Erwerbs des Fahrzeugs am Ort des Abschlusses des Kaufvertrags befinde, der das für die wechselseitigen Verpflichtungen zwischen den Parteien maßgebende Geschäft sei.

 

13        Beim Obersten Gerichtshof (Österreich), dem vorlegenden Gericht, wurde ein Revisionsrekurs gegen diesen Beschluss eingelegt.

 

14        Das vorlegende Gericht führt aus, im Unterschied zu den Konstellationen, die in der dem Urteil VKI zugrunde liegenden Rechtssache in Rede gestanden hätten, fielen hier der Ort des Kaufvertragsabschlusses und der Ort der Übergabe des Fahrzeugs an den Käufer auseinander.

 

15        Nach österreichischem Recht setze sich der Erwerb des Eigentumsrechts an einer beweglichen Sache aus dem Verpflichtungsgeschäft (Titel) und dem Verfügungsgeschäft (Modus) zusammen, wobei Letzteres erst zum Zeitpunkt und am Ort der Übergabe dieser Sache zustande komme. Die Anwendung des nationalen Rechts bei der Auslegung des Begriffs „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 würde jedoch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen und stünde daher dem autonomen Charakter dieses Begriffs im Unionsrecht entgegen.

 

16        Zum einen würde, wenn es bei der Anwendung der Vorschriften über die internationale Zuständigkeit auf den Ort des Kaufvertragsabschlusses ankäme, dies dem Erfordernis der engen Verbindung zwischen dem angerufenen Gericht und dem Rechtsstreit, die die Anwendung von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 begründe, widersprechen, da der Ausgangsrechtsstreit zum Ort des Vertragsabschlusses, der sich in Deutschland befinde, keinen relevanten Bezug aufweise.

 

17        Zum anderen lasse sich, auch wenn der Gerichtshof im Urteil VKI zur Bestimmung des Erfolgsorts auf den „Erwerb“ des Fahrzeugs Bezug genommen habe, den Rn. 30 bis 35 dieses Urteils doch ein anderes wesentliches Anknüpfungskriterium entnehmen. Der Gerichtshof habe nämlich ausgeführt, dass ein in einer Wertminderung bestehender Schaden, der aus dem Erwerb eines mangelhaften Fahrzeugs resultiere, einen Primärschaden darstelle, der kein reiner Vermögensschaden sei und erst mit dem Erwerb der mangelhaften Sache vom Verkäufer eintrete.

 

18        Aus dem Urteil VKI könne daher der Schluss gezogen werden, dass der Erfolgsort  in einer Konstellation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden der Ort sei, an dem sich der Sachmangel ausgewirkt habe. Liege der bestimmungsgemäße Gebrauch eines mangelhaften Fahrzeugs im Wohnsitzmitgliedstaat des Klägers, wäre die internationale Zuständigkeit für die Entscheidung über eine deliktische Schadensersatzklage in diesem Staat gegeben. Dieses Ergebnis stehe auch mit den vom Gerichtshof zu Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 entwickelten Rechtsprechungsgrundsätzen im Einklang.

 

19        Sei für die Bestimmung des Erfolgsorts nach dieser Vorschrift auf den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs abzustellen, ergäbe sich nämlich aus dieser Rechtsprechung, dass besondere Kriterien von vornherein für diesen Ort im Wohnsitzmitgliedstaat des Klägers sprechen könnten, was daher zu einem Klägergerichtsstand führe. Dies wäre u. a. bei Klagen der Fall, die auf einen Verstoß gegen die Prospektpflicht, auf die Verletzung einer gesetzlichen Informationspflicht im Wohnsitzmitgliedstaat des Klägers oder auf einen Schaden im Zusammenhang mit der Führung von Anlagekonten gestützt würden. Fraglich sei deshalb, ob der Ort, an dem sich ein die Funktionsfähigkeit einer Sache beeinträchtigender Mangel auswirke, auch als Erfolgsort angesehen werden könne.

 

20        Unter diesen Umständen hat der Oberste Gerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen, dass sich bei einer deliktischen Schadensersatzklage gegen den im Mitgliedstaat A (hier: Italienische Republik) ansässigen Entwickler eines Dieselmotors mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs in einem Fall, in dem das Fahrzeug von dem im Mitgliedstaat B (hier: Republik Österreich) wohnhaften Kläger von einem im Mitgliedstaat C (hier: Bundesrepublik Deutschland) ansässigen Dritten gekauft wurde,

a)         am Ort des Vertragsabschlusses,

b)         am Ort der Übergabe des Fahrzeugs oder

c)         am Ort der Verwirklichung des den Schaden begründenden Sachmangels und damit am Ort des bestimmungsgemäßen Gebrauchs des Fahrzeugs

befindet?

 

Zur Vorlagefrage

21        Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass sich in einem Fall, in dem ein Fahrzeug, das von seinem Hersteller in einem ersten Mitgliedstaat mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet worden sein soll, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert, Gegenstand eines in einem zweiten Mitgliedstaat abgeschlossenen Kaufvertrags war und dem Erwerber in einem dritten Mitgliedstaat übergeben wurde, in dem es bestimmungsgemäß gebraucht wurde, der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs im Sinne dieser Bestimmung am Ort des Vertragsabschlusses, am Ort der Übergabe des Fahrzeugs oder am Ort seines Gebrauchs befindet.

 

22        Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 1215/2012, da mit ihr gemäß ihrem 34. Erwägungsgrund die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1) aufgehoben und ersetzt wurde, die ihrerseits das Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung der aufeinander folgenden Übereinkommen über den Beitritt neuer Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen ersetzt hat, die vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung der Bestimmungen der letztgenannten Rechtsinstrumente auch für die Auslegung der Verordnung Nr. 1215/2012 gilt, soweit die betreffenden Bestimmungen als „gleichwertig“ angesehen werden können. Dies ist bei Art. 5 Nr. 3 dieses Übereinkommens und der Verordnung Nr. 44/2001 einerseits sowie Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 andererseits der Fall (Urteil VKI, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

23        Zur Beantwortung der vom vorlegenden Gericht gestellten Frage ist zum einen darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die besondere Zuständigkeitsregel in Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012, die es dem Kläger abweichend von der allgemeinen Regel der Zuständigkeit der Gerichte am Beklagtenwohnsitz (Art. 4 der Verordnung) erlaubt, seine Klage aus unerlaubter Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, vor dem Gericht des Ortes zu erheben, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, autonom und eng auszulegen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. März 2022, BMA Nederland, C‑498/20, EU:C:2022:173, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

24        Diese besondere Zuständigkeitsregel beruht darauf, dass zwischen der Streitigkeit und den Gerichten des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, eine besonders enge Beziehung besteht, die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses eine Zuständigkeit dieser Gerichte rechtfertigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. März 2022, BMA Nederland, C‑498/20, EU:C:2022:173, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

25        Bei unerlaubten Handlungen oder ihnen gleichgestellten Handlungen ist nämlich das Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, insbesondere wegen der Nähe zum Streitgegenstand und der leichteren Beweisaufnahme in der Regel am besten in der Lage, den Rechtsstreit zu entscheiden (Urteil vom 10. März 2022, BMA Nederland, C‑498/20, EU:C:2022:173, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

26        Zum anderen ist mit dem Ausdruck „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, sowohl der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs gemeint als auch der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens, so dass der Beklagte nach Wahl des Klägers vor dem Gericht eines dieser beiden Orte verklagt werden kann (Urteil VKI, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

27        Zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens besteht Uneinigkeit über die Bestimmung des Ortes, an dem der Schaden eingetreten ist.

 

28        Hierzu hat der Gerichtshof erstens bereits entschieden, dass zu unterscheiden ist zwischen dem sich unmittelbar aus dem kausalen Ereignis ergebenden Erstschaden, dessen Eintrittsort die Zuständigkeit des Gerichts dieses Ortes im Hinblick auf Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 begründen könnte, und den späteren nachteiligen Konsequenzen, die keine Zuständigkeitszuweisung anhand dieser Vorschrift begründen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juli 2019, Tibor-Trans, C‑451/18, EU:C:2019:635, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

29        Der Gerichtshof hat dabei entschieden, dass ein Schaden, der nur die mittelbare Folge des ursprünglich von anderen Rechtssubjekten unmittelbar erlittenen, an einem anderen Ort als dem, an dem anschließend dem mittelbar Betroffenen ein Schaden entstanden ist, eingetretenen Schadens ist, keine gerichtliche Zuständigkeit nach dieser Vorschrift begründen kann (Urteil vom 29. Juli 2019, Tibor-Trans, C‑451/18, EU:C:2019:635, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

30        Im Licht dieser Rechtsprechung hat der Gerichtshof in den Rn. 29 bis 31 des Urteils VKI einen Schaden, der in der Wertminderung eines Fahrzeugs bestand, die sich aus der Differenz zwischen dem Preis, den der Erwerber für dieses Fahrzeug gezahlt hatte, und dessen tatsächlichem Wert aufgrund des Einbaus einer Software, mit der die Daten über den Abgasausstoß manipuliert wurden, ergab, als „Primärschaden“ eingestuft, da dieser vor dem Kauf des Fahrzeugs durch den Endabnehmer nicht bestand, und nicht als mittelbare Folge des ursprünglich von anderen Rechtssubjekten erlittenen Schadens.

 

31        In den Rn. 32 bis 34 des Urteils VKI hat der Gerichtshof ferner entschieden, dass ein solcher Schaden keinen reinen Vermögensschaden darstellt, da es sich nicht um einen Schaden handelt, der unmittelbar die finanziellen Vermögenswerte des Geschädigten beeinträchtigt, sondern um einen materiellen Schaden in Form der Minderung des Sachwerts des von ihm erworbenen, mit einem Mangel behafteten Fahrzeugs.

 

32        Im vorliegenden Fall wird, wie sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt, nicht vorgebracht, dass sich die Art und die Einstufung des vom Kläger des Ausgangsverfahrens geltend gemachten Schadens von den im Urteil VKI in Rede stehenden unterschieden.

 

33        Was zweitens den Ort anbelangt, an dem ein materieller Schaden wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende eingetreten ist, hat der Gerichtshof in den Rn. 30, 31 und 35 des Urteils VKI entschieden, dass sich dieser erst zum Zeitpunkt des Erwerbs des mit einem Mangel behafteten Fahrzeugs zu einem über seinem Sachwert liegenden Preis verwirklicht. Der Gerichtshof hat daher auf die Frage des vorlegenden Gerichts in der Rechtssache, in der das Urteil VKI ergangen ist, geantwortet, dass Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass sich der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs in einem Fall, in dem ein Fahrzeug von seinem Hersteller in einem Mitgliedstaat rechtswidrig mit einer Software ausgerüstet wurde, die die Daten über den Abgasausstoß manipuliert, und danach bei einem Dritten in einem anderen Mitgliedstaat erworben wird, im letztgenannten Mitgliedstaat als dem Staat, in dem die Sache erworben wurde, befindet.

 

34        Im vorliegenden Fall möchte das vorlegende Gericht jedoch wissen, wo sich der Ort befindet, an dem sich der vom Erwerber eines solchen Fahrzeugs erlittene Schaden verwirklicht, wenn, anders als in der Rechtssache, in der das Urteil VKI ergangen ist, in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten der Ort sein kann, an dem das Fahrzeug erworben wurde. Im Ausgangsverfahren fanden nämlich der Abschluss des Kaufvertrags einerseits und die Übergabe des Fahrzeugs sowie sein bestimmungsgemäßer Gebrauch andererseits in verschiedenen Mitgliedstaaten statt.

 

35        In diesem Kontext möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob der Ort des Erwerbs eines mit einem Mangel behafteten Fahrzeugs und damit der „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 nach dessen Auslegung im Urteil VKI dem Ort des Abschlusses des Kaufvertrags über das Fahrzeug, dem Ort, an dem es dem Endabnehmer übergeben wurde, oder dem Ort, an dem es bestimmungsgemäß gebraucht wurde, entsprechen.

 

36        Was erstens den Ort des Abschlusses des Kaufvertrags angeht, kann dieser für sich genommen nicht für die Bestimmung des Ortes des Erwerbs in einem solchen Kontext ausschlaggebend sein.

 

37        Die deliktische Haftung der Hersteller eines Fahrzeugs beruht nämlich grundsätzlich auf dem Vorliegen einer rechtswidrigen Handlung, die darin besteht, dass das Fahrzeug mit einer unzulässigen Vorrichtung ausgerüstet wurde, sowie eines Schadens in Höhe der Differenz zwischen dem vom Erwerber gezahlten Preis und dem tatsächlichen Preis des Fahrzeugs, und auf der Feststellung eines Kausalzusammenhangs zwischen einer solchen rechtswidrigen Handlung und dem Schaden, wobei die Modalitäten des Erwerbs des Fahrzeugs insoweit unerheblich sind. Für die Prüfung des vorgeworfenen Verhaltens und des Umfangs des geltend gemachten Schadens erscheint es deshalb nicht unbedingt erforderlich, den Inhalt des Kaufvertrags zu analysieren, mit dem der Geschädigte das Fahrzeug erworben hat. Daher gebietet das Erfordernis einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses im Kontext einer Klage auf Haftung aus unerlaubter Handlung wie der des Ausgangsverfahrens nicht, dass dem Gericht des Ortes, an dem der Kaufvertrag geschlossen wurde, die internationale Zuständigkeit zuerkannt wird.

 

38        Zweitens muss, da es sich bei dem im vorliegenden Fall geltend gemachten Schaden nicht um einen reinen Vermögensschaden handelt (siehe oben, Rn. 32), der „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 auch nicht dem Ort entsprechen, an dem die Pflicht zur Zahlung der Differenz zwischen dem Preis, den der geschädigte Erwerber für das mangelhafte Fahrzeug gezahlt hat, und dessen tatsächlichem Wert entstanden ist. Eine Zuweisung der Zuständigkeit an das Gericht des Ortes, an dem das Vermögen des Klägers endgültig mit dem finanziellen Verlust belastet wurde, erweist sich nämlich nur im Fall eines reinen Vermögensschadens als einschlägig (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juni 2016, Universal Music International Holding, C‑12/15, EU:C:2016:449, Rn. 30 bis 32), was in einer Konstellation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht der Fall ist.

 

39        Drittens schließlich ist zu der Frage, ob der Ort des Erwerbs des mit einem Mangel behafteten Fahrzeugs und folglich der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 nach dessen Auslegung im Urteil VKI dem Ort entspricht, an dem das Fahrzeug dem Endabnehmer übergeben wurde, darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Rn. 27 des Urteils vom 16. Juli 2009, Zuid-Chemie (C‑189/08, EU:C:2009:475), entschieden hat, dass der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs der Ort ist, an dem das auslösende Ereignis seine schädigenden Wirkungen entfaltet, d. h. der Ort, an dem sich der durch das fehlerhafte Erzeugnis herbeigeführte Schaden konkret zeigt.

 

40        In Anbetracht dieser Rechtsprechung sowie der oben in den Rn. 36 bis 39 dargelegten Gründe ist davon auszugehen, dass in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Unterzeichnung des Kaufvertrags einerseits und die Übergabe des Fahrzeugs und sein Gebrauch andererseits in verschiedenen Mitgliedstaaten stattfanden, der Ort des Erwerbs des Fahrzeugs und damit der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs im Sinne von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 nach dessen Auslegung im Urteil VKI der Ort ist, an dem sich der Mangel, mit dem das Fahrzeug behaftet ist – d. h. der Einbau der unzulässigen Vorrichtung, der das schadensbegründende Ereignis darstellt –, zeigt und seine schädigenden Wirkungen für den Endabnehmer entfaltet, d. h. der Ort, an dem ihm das Fahrzeug übergeben wurde.

 

41        Eine solche Auslegung entspricht dem im 15. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 erwähnten Ziel der Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsvorschriften, da in Fortführung der vom Gerichtshof bereits in Rn. 36 des Urteils VKI getroffenen Feststellungen, wonach ein in einem Mitgliedstaat niedergelassener Automobilhersteller, der unzulässige Manipulationen an in anderen Mitgliedstaaten in den Verkehr gebrachten Fahrzeugen vornimmt, vernünftigerweise erwarten kann, dass er vor den Gerichten dieser Staaten verklagt wird, davon auszugehen ist, dass ein solcher Hersteller in gleicher Weise damit rechnen muss, vor den Gerichten der Mitgliedstaaten verklagt zu werden, in denen die in den Verkehr gebrachten Fahrzeuge den Endabnehmern übergeben wurden.

 

42        Im Übrigen kann der Ort , an dem das mit einem Mangel behaftete Fahrzeug gebraucht wird, für die Bestimmung des Ortes der Verwirklichung des Schadenserfolgs nicht maßgebend sein. Zum einen genügt dieses Kriterium, anders als der Ort der Übergabe, nicht dem Ziel der Vorhersehbarkeit, und zum anderen ist, wie sich aus den vorstehenden Erwägungen ergibt, davon auszugehen, dass sich der Schaden mit dem Erwerb des Fahrzeugs, d. h. im vorliegenden Fall bei seiner Übergabe, zeigt.

 

43        Nach alledem ist Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen, dass sich in einem Fall, in dem ein Fahrzeug, das von seinem Hersteller in einem ersten Mitgliedstaat mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet worden sein soll, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert, Gegenstand eines in einem zweiten Mitgliedstaat abgeschlossenen Kaufvertrags war und dem Erwerber in einem dritten Mitgliedstaat übergeben wurde, der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs im Sinne dieser Bestimmung im letztgenannten Mitgliedstaat befindet.

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