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Wirtschaftsrecht
10.04.2025
Wirtschaftsrecht
EuGH: Jones Day – Zur territorialen Beschränkung bei Rechtsanwaltsausbildung

EuGH, Urteil vom 3.4.2025 – C-807/23, Katharina Plavecgegen Rechtsanwaltskammer Wien

ECLI:EU:C:2025:234

Volltext: BB-Online BBL2025-897-2

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

Art. 45 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der ein bestimmter Teil einer praktischen Verwendung, die für den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf erforderlich ist und während derer der Rechtsanwaltsanwärter über eine gewisse Vertretungsbefugnis vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats verfügt, bei einem in diesem Mitgliedstaat niedergelassenen Rechtsanwalt zu absolvieren ist und nach der die Absolvierung dieser praktischen Verwendung bei einem in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Rechtsanwalt auch dann ausgeschlossen ist, wenn dieser Rechtsanwalt in ersterem Mitgliedstaat zugelassen ist und die im Rahmen der praktischen Verwendung ausgeübten Tätigkeiten das Recht des ersteren Mitgliedstaats betreffen, so dass es den betroffenen Juristen somit auch nicht erlaubt ist, diesen Teil der praktischen Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat unter der Bedingung zu absolvieren, dass sie den zuständigen nationalen Behörden gegenüber nachweisen, dass dieser Teil der Verwendung, so wie er absolviert wird, ihnen eine Ausbildung und Erfahrung bieten kann, die mit jener Ausbildung und Erfahrung vergleichbar ist, die eine praktische Verwendung bei einem in ersterem Mitgliedstaat niedergelassenen Rechtsanwalt bietet.

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 45 AEUV.

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Katharina Plavec und der Rechtsanwaltskammer Wien (Österreich) (im Folgenden: RAK) über die Abweisung der Anträge von Frau Plavec auf Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter und Ausstellung einer kleinen Legitimationsurkunde, aus der die begrenzte Vertretungsbefugnis gemäß § 15 Abs. 3 der Rechtsanwaltsordnung vom 15. Juli 1868 (RGBl. Nr. 96/1868) in der Fassung vom 20. April 2023 (BGBl. I 39/2023) (im Folgenden: RAO) ersichtlich ist.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3          Art. 45 AEUV bestimmt:

„(1)       Innerhalb der [Europäischen] Union ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet.

(2)        Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.

…“

4          Im ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde (ABl. 1998, L 77, S. 36), heißt es:

„Nach Artikel [26 AEUV] umfasst der Binnenmarkt einen Raum ohne Binnengrenzen. Nach Artikel [4 Absatz 2 Buchstabe a AEUV] ist die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten eines der Ziele der [Union]. Für die Angehörigen der Mitgliedstaaten bedeutet die Beseitigung dieser Hindernisse insbesondere, dass sie als Selbständige oder als abhängig Beschäftigte die Möglichkeit haben, einen Beruf in einem anderen Mitgliedstaat als dem auszuüben, in dem sie ihre berufliche Qualifikation erworben haben.“

5          Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie soll die ständige Ausübung des Rechtsanwaltsberufs als Selbständiger oder abhängig Beschäftigter in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Berufsqualifikation erworben wurde, erleichtern.“

6          Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 98/5 sieht vor:

„Der Rechtsanwalt, der unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätig ist und eine mindestens dreijährige effektive und regelmäßige Tätigkeit im Aufnahmestaat im Recht dieses Mitgliedstaats, einschließlich des Gemeinschaftsrechts, nachweist, wird für den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf im Aufnahmestaat von den in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b) der Richtlinie 89/48/EWG [des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen (ABl. 1989, L 19, S. 16)] vorgesehenen Voraussetzungen freigestellt. Unter ‚effektiver und regelmäßiger Tätigkeit‘ ist die tatsächliche Ausübung des Berufs ohne Unterbrechung zu verstehen; Unterbrechungen aufgrund von Ereignissen des täglichen Lebens bleiben außer Betracht.

…“

Österreichisches Recht

7          § 2 RAO sieht vor:

„(1)       Die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung hat in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei Gericht oder einer Staatsanwaltschaft und bei einem Rechtsanwalt zu bestehen; sie kann außerdem in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde, an einer Hochschule oder bei einem Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater bestehen. … Die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt ist nur anrechenbar, soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird; …

(2)        Die praktische Verwendung im Sinn des Abs. 1 hat fünf Jahre zu dauern. Hievon sind im Inland mindestens sieben Monate bei Gericht oder einer Staatsanwaltschaft und mindestens drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen.

(3)        Auf die Dauer der praktischen Verwendung, die nicht zwingend bei Gericht, einer Staatsanwaltschaft oder einem Rechtsanwalt im Inland zu verbringen ist, sind auch anzurechnen:

2.         eine im Sinn des Abs. 1 gleichartige praktische Verwendung im Ausland, wenn diese Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich gewesen ist;

3.         eine sonstige praktische rechtsberufliche Tätigkeit im In- oder Ausland, wenn diese Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich gewesen und sie unter der Verantwortung einer entsprechend qualifizierten Person oder Stelle erfolgt ist.

Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer hat Leitlinien dazu zu beschließen, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Ausmaß praktische Verwendungen im Sinn der Z 2 und 3 angerechnet werden; … Die Leitlinien sind auf der Website der Rechtsanwaltskammer zu veröffentlichen und dort dauerhaft bereitzustellen.

…“

8          § 15 Abs. 3 und 4 RAO bestimmt:

„(3)       Ist die Beiziehung eines Rechtsanwalts gesetzlich nicht vorgeschrieben, so kann sich der Rechtsanwalt vor allen Gerichten und Behörden auch durch einen anderen bei ihm in Verwendung stehenden Rechtsanwaltsanwärter unter seiner Verantwortung vertreten lassen; die Unterfertigung von Eingaben an Gerichte und Behörden durch einen Rechtsanwaltsanwärter ist jedoch unzulässig.

(4)        Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer hat den bei einem Rechtsanwalt in Verwendung stehenden Rechtsanwaltsanwärtern Legitimationsurkunden auszustellen, aus denen … die Vertretungsbefugnis nach Abs. 3 (kleine Legitimationsurkunde) ersichtlich ist.“

9          § 30 Abs. 1 RAO lautet:

„Um die Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter zu erwirken, ist beim Eintritt in die Praxis bei einem Rechtsanwalt die Anzeige an den Ausschuss unter Nachweis der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Nachweis des Abschlusses eines Studiums des österreichischen Rechts … zu erstatten. Die Zeit der praktischen Verwendung bei einem Rechtsanwalt (§ 2 Abs. 2) wird erst von dem Tag des Einlangens dieser Anzeige an gerechnet.

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

10        Frau Plavec war ab Jänner 2022 als abhängig Beschäftigte bei der Kanzlei Jones Day in Frankfurt am Main (Deutschland) tätig, wo sie von KI, einem österreichischen Rechtsanwalt und Partner dieser Kanzlei, ausgebildet wurde. Mit E‑Mail vom 14. Jänner 2022 beantragte sie bei der RAK die Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter sowie die Ausstellung einer kleinen Legitimationsurkunde, aus der die begrenzte Vertretungsbefugnis gemäß § 15 Abs. 3 RAO ersichtlich ist.

11        Auf Rückfrage der RAK übermittelte Frau Plavec mit Schreiben vom 7. März 2022 die nachfolgenden ergänzenden Informationen. Ihr derzeitiger Wohnort und gewöhnlicher Aufenthalt befinde sich in Frankfurt am Main; in Wien (Österreich) habe sie einen Nebenwohnsitz. Ihre Tätigkeit beziehe sich ausschließlich auf österreichisches Recht. Ihr Ausbildungsanwalt, KI, der ihr gegenüber bezüglich das österreichische Recht betreffende Erledigungen alleine weisungsberechtigt sei, berate österreichische und ausländische Mandanten der Kanzlei Jones Day im österreichischen Recht und vertrete diese vor österreichischen Behörden sowie Gerichten. Im Zuge ihrer Ausbildung habe sie zur Vertretung der Mandanten von KI somit mehrmals wöchentlich Kontakt mit österreichischen Behörden und Gerichten.

12        Mit Bescheid vom 14. Juni 2022 wies die zuständige Abteilung der RAK den Antrag von Frau Plavec gemäß § 30 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 RAO mit der Begründung ab, dass sie ihre praktische Verwendung nicht bei einem Rechtsanwalt in Österreich absolviere.

13        Per 31. August 2022 trat Frau Plavec aus der Kanzlei Jones Day aus.

14        Der gegen den Bescheid vom 14. Juni 2022 erhobenen Vorstellung gab der Ausschuss der RAK in seinem Bescheid vom 6. September 2022 keine Folge. In diesem Bescheid wurde u. a. angeführt, dass KI in Österreich Prüfungskommissär für die Rechtsanwaltsprüfung aus dem Stand der Rechtsanwälte sei und auch Verfahrenshilfe leiste. Hierzu verfüge er neben dem Sitz in Frankfurt am Main auch über einen Kanzleisitz in Wien, für den er gemäß der RAO eine andere österreichische Rechtsanwältin als Substitutin namhaft gemacht habe. Seit dem 15. November 2016 sei er daher aufgrund eines dauerhaften Auslandsaufenthalt als abwesend gemeldet.

15        Frau Plavec und KI erhoben gegen den Bescheid vom 6. September 2022 Berufung an den Obersten Gerichtshof (Österreich) – das vorlegende Gericht –, mit der sie beantragten, diesen Bescheid aufzuheben und der RAK aufzutragen, Frau Plavec für den Zeitraum vom 14. Jänner 2022 bis 31. August 2022 in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter einzutragen.

16        Das vorlegende Gericht stellt klar, dass es im vor ihm anhängigen Rechtsstreit nur noch um die Frage gehe, ob und gegebenenfalls in welchem Zeitraum Frau Plavec die Voraussetzungen für die Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter erfüllt habe, da sie die Kanzlei Jones Day am 31. August 2022 verlassen habe. Außerdem wies das vorlegende Gericht die Berufung von KI als unzulässig zurück, da er kein eigenständiges Interesse an der rückwirkenden Eintragung von Frau Plavec in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter habe.

17        Das vorlegende Gericht führt aus, dass sich aus § 2 Abs. 2 in Verbindung mit § 30 Abs. 1 RAO ergebe, dass von der fünfjährigen Gesamtdauer der praktischen Verwendung, die verpflichtend sei, um Rechtsanwalt zu werden, mindestens drei Jahre und sieben Monate in Österreich und davon mindestens drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu absolvieren seien. Befinde sich der Dienstort eines Rechtsanwaltsanwärters außerhalb von Österreich, könne die zuständige Rechtsanwaltskammer sich nicht in die Kanzlei dieses Rechtsanwaltsanwärters begeben, um ihren gesetzlichen Auftrag der Aufsicht über den Rechtsanwaltsanwärter und den Ausbildungsanwalt, der für eine umfassende Ausbildung des Rechtsanwaltsanwärters entsprechend dem Berufsbild des Rechtsanwalts Sorge zu tragen habe, wahrzunehmen.

18        Gemäß § 2 Abs. 3 Z 2 RAO könne die Zeit der praktischen Verwendung von Frau Plavec bei KI hingegen auf den Teil der praktischen Verwendung angerechnet werden, der im Ausland absolviert werden dürfe.

19        Zum Sachverhalt des bei ihm anhängigen Rechtsstreits weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die Ausbildung von Frau Plavec nicht in Österreich erfolgt sei, auch wenn sie unter Anleitung eines in Österreich eingetragenen Rechtsanwalts im Bereich des österreichischen Rechts tätig gewesen sei.

20        Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts stellt sich die Frage, ob nationale Bestimmungen, nach denen ein Teil der praktischen Ausbildungszeit eines Rechtsanwaltsanwärters zwingend im Inland zu verbringen ist, gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit verstoßen, obwohl ein anderer Teil der Ausbildungszeit im Ausland verbracht werden darf.

21        Es vertritt die Auffassung, dass solche Bestimmungen jedenfalls sachgerecht seien und mit den Wertungen des Unionsrechts übereinstimmten. Insbesondere mache Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 98/5 den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf im Aufnahmestaat davon abhängig, dass ein Rechtsanwalt, der unter der in seinem Herkunftsstaat erlangten Berufsbezeichnung tätig sei, eine mindestens dreijährige effektive und regelmäßige Tätigkeit im Aufnahmestaat nachweise. Müssten Rechtsanwälte, die in ihrem Herkunftsstaat schon über eine Berufsbefugnis verfügten und dort schon praktisch tätig gewesen seien, im Aufnahmestaat eine solche Berufserfahrung nachweisen, könne dies für den Zugang von Rechtsanwaltsanwärtern zum Rechtsanwaltsberuf erst recht verlangt werden.

22        Das vorlegende Gericht führt außerdem aus, dass eine Tätigkeit wie die von Frau Plavec in Frankfurt am Main ausgeübte auch unter Berücksichtigung der modernen Kommunikationsmöglichkeiten nicht jenen Grad an Intensität von Kontakten mit österreichischen Gerichten und Behörden aufweisen könne, den eine Ausbildung in einer Rechtsanwaltskanzlei mit Sitz in Österreich gewährleiste. Im Übrigen sei es wenig lebensnah, anzunehmen, dass Frau Plavec intendiert habe, zur Teilnahme an Verhandlungen vor österreichischen Gerichten und Behörden eigens von Frankfurt am Main anzureisen, insbesondere angesichts des Umstands, dass die von ihr angestrebte kleine Legitimationsurkunde nur ein sehr eingeschränktes Vertretungsrecht gewähre, das im Zivilverfahren im Wesentlichen die Zuständigkeit der Bezirksgerichte (Österreich) betreffe. Schließlich sei der Ausbildungsanwalt von Frau Plavec hauptsächlich im österreichischen Schiedsverfahrensrecht tätig, obwohl Ausbildungsanwälte nach der RAO verpflichtet seien, Rechtsanwaltsanwärtern eine umfassende Ausbildung zu vermitteln.

23        Vor diesem Hintergrund hat der Oberste Gerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art 45 AEUV über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer dahin auszulegen, dass diese Bestimmung nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach als Voraussetzung für die Eintragung in die Liste der österreichischen Rechtsanwaltsanwärter ein Teil der praktischen Verwendung (Ausbildungszeit) eines Berufsanwärters zwingend als Rechtsanwaltsanwärter bei einem Rechtsanwalt in Österreich, also im Inland, zu verbringen ist, während für diesen Teil der praktischen Verwendung (Ausbildungszeit) eine Tätigkeit bei einem Rechtsanwalt in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht ausreichend ist, auch wenn diese Tätigkeit dort unter der Aufsicht eines in Österreich zugelassenen Rechtsanwalts im Bereich des österreichischen Rechts erfolgt?

 Zur Vorlagefrage

24        Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 45 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der ein bestimmter Teil einer praktischen Verwendung, die für den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf erforderlich ist und während derer der Rechtsanwaltsanwärter über eine gewisse Vertretungsbefugnis vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats verfügt, bei einem in diesem Mitgliedstaat niedergelassenen Rechtsanwalt zu absolvieren ist und nach der die Absolvierung dieser praktischen Verwendung bei einem in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Rechtsanwalt auch dann ausgeschlossen ist, wenn dieser Rechtsanwalt in ersterem Mitgliedstaat zugelassen ist und die im Rahmen der praktischen Verwendung ausgeübten Tätigkeiten das Recht des ersteren Mitgliedstaats betreffen.

25        Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten, solange die Voraussetzungen für den Zugang zu einem Beruf nicht harmonisiert sind, festlegen dürfen, welche Kenntnisse und Fähigkeiten zu dessen Ausübung notwendig sind (Urteil vom 17. Dezember 2020, Onofrei, C‑218/19, EU:C:2020:1034, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26        Da die Voraussetzungen für den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf von Personen, die in keinem Mitgliedstaat zur Ausübung dieses Berufs zugelassen sind, bisher nicht auf Unionsebene harmonisiert sind, bleiben die Mitgliedstaaten weiterhin für die Festlegung dieser Voraussetzungen zuständig (Urteil vom 17. Dezember 2020, Onofrei, C‑218/19, EU:C:2020:1034, Rn. 25).

27        Daraus folgt, dass das Unionsrecht der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf vom Besitz der für notwendig erachteten Kenntnisse und Fähigkeiten abhängig macht (Urteil vom 17. Dezember 2020, Onofrei, C‑218/19, EU:C:2020:1034, Rn. 26), was die Absolvierung einer Phase der praktischen Verwendung umfassen kann.

28        Die Mitgliedstaaten müssen ihre Befugnisse in diesem Bereich jedoch unter Beachtung der durch den AEU‑Vertrag garantierten Grundfreiheiten ausüben, und die hierzu ergangenen nationalen Rechtsvorschriften dürfen keine ungerechtfertigte Behinderung der tatsächlichen Ausübung der u. a. durch Art. 45 AEUV garantierten Grundfreiheit darstellen (Urteil vom 17. Dezember 2020, Onofrei, C‑218/19, EU:C:2020:1034, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29        Es ist zu berücksichtigen, dass eine Regelung eines Mitgliedstaats wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende in den Anwendungsbereich von Art. 45 AEUV fällt, auch wenn sie eine praktische Verwendung regelt, die zu der Ausbildung gehört, die den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf ermöglicht, da die betroffenen Juristen ihre Tätigkeit im Rahmen der praktischen Verwendung als abhängig Beschäftigte ausüben, die ein Gehalt bekommen (vgl. entsprechend Urteil vom 13. November 2003, Morgenbesser, C‑313/01, EU:C:2003:612, Rn. 60). Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Akt, der dem Gerichtshof vorliegt, dass Frau Plavec im Rahmen ihrer praktischen Verwendung bei der Kanzlei Jones Day ein Gehalt bezogen hat.

30        Nach ständiger Rechtsprechung sollen sämtliche Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Freizügigkeit, einschließlich Art. 45 AEUV, den Unionsbürgern die Ausübung beruflicher Tätigkeiten aller Art im Gebiet der Union erleichtern und stehen Maßnahmen entgegen, die die Unionsbürger benachteiligen könnten, wenn sie eine wirtschaftliche Tätigkeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausüben wollen (Urteil vom 16. November 2023, Kommission/Niederlande [Übertragung des Werts von Rentenanwartschaften], C‑459/22, EU:C:2023:878, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31        Nationale Bestimmungen, die einen Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, daran hindern oder davon abhalten, sein Herkunftsland zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, stellen daher Beeinträchtigungen dieser Freiheit dar, auch wenn sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betreffenden Arbeitnehmer angewandt werden (Urteil vom 11. Juli 2019, A, C‑716/17, EU:C:2019:598, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32        Außerdem hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass Art. 45 AEUV einer nationalen Maßnahme, mit der hinsichtlich des Zugangs zum Rechtsanwaltsberuf festgelegt wird, unter welchen Voraussetzungen Berufserfahrung zu berücksichtigen ist, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen erworben wurde, der diese Maßnahme erlassen hat, grundsätzlich entgegensteht, wenn diese Maßnahme geeignet ist, die Ausübung der vom AEU‑Vertrag garantierten Grundfreiheiten durch die Unionsbürger einschließlich der Staatsangehörigen des Mitgliedstaats, der diese Maßnahme erlassen hat, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (Urteil vom 17. Dezember 2020, Onofrei, C‑218/19, EU:C:2020:1034, Rn. 30). Dies gilt auch für eine nationale Regelung, die die Anrechnung von Berufserfahrung, die im Rahmen eines bestimmten Teils der für den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf erforderlichen praktischen Verwendung erworben werden muss, nur deshalb ausschließt, weil dieser Teil der Verwendung bei einem in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Rechtsanwalt absolviert wird.

33        Daraus folgt, dass eine Regelung eines Mitgliedstaats wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, nach der ein bestimmter Teil der für den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf erforderlichen praktischen Verwendung bei einem in diesem Mitgliedstaat niedergelassenen Rechtsanwalt absolviert werden muss, eine Beschränkung der durch Art. 45 AEUV gewährleisteten Freizügigkeit darstellt, da sie geeignet ist, die Ausübung dieser Freizügigkeit zu behindern oder weniger attraktiv zu machen, indem sie für diese Unionsbürger die Möglichkeit, ihre berufliche Tätigkeit als Rechtsanwaltsanwärter bei einem in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Rechtsanwalt auszuüben, beschränkt.

34        Entgegen dem Vorbringen der österreichischen Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen wird diese Feststellung nicht dadurch entkräftet, dass gemäß dieser Regelung eine mehrmonatige Tätigkeit im Ausland als ein anderer Teil der praktischen Verwendung angerechnet werden kann. Da nämlich davon ausgegangen wird, dass die drei Jahre der praktischen Verwendung bei einem Rechtsanwalt, die dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Teil der Ausbildung entsprechen, verpflichtend bei einem Rechtsanwalt in Österreich zu absolvieren sind, werden Juristen, die den Beruf des Rechtsanwalts ergreifen möchten, durch diese Regelung daran gehindert, während dieses Teils der praktischen Verwendung von ihrem durch Art. 45 AEUV gewährleisteten Freizügigkeitsrecht Gebrauch zu machen.

35        Eine solche Beschränkung der Freizügigkeit ist nur dann zulässig, wenn sie erstens aus einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und zweitens verhältnismäßig ist, was bedeutet, dass sie geeignet sein muss, die Erreichung des verfolgten Ziels in kohärenter und systematischer Weise zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen darf, was hierzu erforderlich ist (Urteil vom 17. Dezember 2020, Onofrei, C‑218/19, EU:C:2020:1034, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36        Das vorlegende Gericht führt im Wesentlichen aus, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung die Ziele des Schutzes der Empfänger juristischer Dienstleistungen und einer geordneten Rechtspflege verfolge. Diese Ziele können als zwingende Gründe des Allgemeininteresses angesehen werden und eine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit rechtfertigen (Urteil vom 17. Dezember 2020, Onofrei, C‑218/19, EU:C:2020:1034, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37        Außerdem erscheint eine Regelung eines Mitgliedstaats, die die Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter von der Absolvierung einer praktischen Verwendung bei einem in diesem Mitgliedstaat niedergelassenen Rechtsanwalt abhängig macht, als solche zur Erreichung dieser Ziele nicht ungeeignet.

38        Zum einen kann eine solche Regelung dazu beitragen, sicherzustellen, dass ein Jurist, der in einem Mitgliedstaat Rechtsanwalt werden möchte, tatsächliche Erfahrungen im Bereich der Rechtspraxis in diesem Mitgliedstaat sammelt und die für Rechtsanwälte geltenden Regelungen sowie die Gepflogenheiten kennt, die deren Beziehungen mit den Gerichten und Behörden des Mitgliedstaats prägen, bevor er diesen Beruf ausüben darf. Zum anderen sind die zuständigen Behörden somit normalerweise in der Lage, auf einfache Weise die Bedingungen der Durchführung einer solchen praktischen Verwendung zu prüfen und insbesondere zu beurteilen, ob der Inhalt der praktischen Verwendung den Vorgaben des nationalen Rechts entspricht. Wie vom vorlegenden Gericht ausgeführt, ermöglicht eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende der zuständigen österreichischen Rechtsanwaltskammer im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags der Aufsicht über den Rechtsanwaltsanwärter und den Ausbildungsanwalt insbesondere den Zutritt zur Kanzlei des Ausbildungsanwalts, um sicherzustellen, dass die Ausbildung des Rechtsanwaltsanwärters den konkreten Vorgaben für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs entspricht.

39        Es ist jedoch festzustellen, dass die Voraussetzung, wonach ein Jurist einen bestimmten Teil der praktischen Verwendung bei einem im betreffenden Mitgliedstaat niedergelassenen Rechtsanwalt zu absolvieren hat, da sie – wie es sich aus dem Akt ergibt, der dem Gerichtshof vorliegt – sicherstellen soll, dass der Rechtsanwalt ausreichende Erfahrung in der Praxis des nationalen Rechts und mit Kontakten zu den österreichischen Behörden und Gerichten erworben hat, um gewährleisten zu können, dass die mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung verfolgten Ziele des Schutzes der Empfänger juristischer Dienstleistungen und einer geordneten Rechtspflege verwirklicht werden, über das hinausgeht, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist.

40        Die Absolvierung der praktischen Verwendung durch Juristen bei einem in Österreich eingetragenen, aber in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Rechtsanwalt zusammen mit dem Erfordernis, den zuständigen nationalen Behörden gegenüber nachzuweisen, dass diese Verwendung vergleichbare Erfahrungen ermöglicht wie eine praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt in Österreich, wäre nämlich eine Maßnahme, die die Verwirklichung der Ziele, die mit einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden verfolgt werden, ebenfalls ermöglichen würde, und erscheint weniger einschneidend als die durch die fragliche Regelung verursachte Beschränkung.

41        Hierzu ist erstens darauf hinzuweisen, dass nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass ein Jurist, der eine praktische Verwendung bei einem in Österreich eingetragenen, aber in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Rechtsanwalt absolviert, keine angemessene Ausbildung erhalten bzw. keine ausreichende Praxiserfahrung im österreichischen Recht erwerben kann, die mit der Ausbildung und Erfahrung eines Juristen vergleichbar sind, der seine praktische Verwendung in Österreich absolviert. Unter diesen Umständen erscheint eine Verpflichtung, hinreichend nachzuweisen, dass die im Lauf einer solchen praktischen Verwendung tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten eine Ausbildung und Erfahrung bieten, die der während einer praktischen Verwendung bei einem Rechtsanwalt in Österreich erworbenen Ausbildung und Erfahrung nicht nachstehen, geeignet, die tatsächliche Verwirklichung der Ziele dieser Verwendung zu gewährleisten.

42        Zweitens können die zuständigen Behörden im Rahmen einer Regelung wie der in Rn. 40 des vorliegenden Urteils beschriebenen die Bedingungen der Durchführung der praktischen Verwendung nach wie vor wirksam prüfen.

43        Erachten sie dies aufgrund der ihnen vorliegenden Informationen für erforderlich, können sie zunächst den Rechtsanwaltsanwärter und seinen Ausbildungsanwalt vorladen, um Erläuterungen zur Durchführung der praktischen Verwendung einzuholen; gegebenenfalls können sie auch die Unterbrechung der praktischen Verwendung anordnen oder ihre Anrechnung versagen, sollte der Vorladung keine Folge geleistet werden. Den Ausführungen der RAK in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof ist außerdem zu entnehmen, dass sie solche Vorladungen vornimmt, wenn es in konkreten Fällen berechtigte Zweifel an der Einhaltung der Vorgaben für die Ausbildung von Rechtsanwaltsanwärtern im Hinblick auf die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs gibt.

44        Außerdem sind, da im vom vorlegenden Gericht angeführten Fall sowohl der Rechtsanwaltsanwärter als auch der Ausbildungsanwalt in dem Mitgliedstaat, nach dessen Recht die Ausbildung zum Rechtsanwalt erfolgt, bei der Rechtsanwaltskammer eingetragen sind, normalerweise die Berufsaufsichtsbehörden für disziplinarrechtliche Maßnahmen zuständig, wenn die Betroffenen versuchen, die zuständigen Behörden über den Inhalt der praktischen Verwendung zu täuschen oder Aufsichtsmaßnahmen zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Durchführung dieser Verwendung zu missachten.

45        Schließlich trifft es zwar zu, dass im Rahmen einer Regelung wie der oben in Rn. 40 des vorliegenden Urteils beschriebenen die zuständigen Behörden zu Aufsichtszwecken nicht unbedingt Zutritt zur Kanzlei des Ausbildungsanwalts haben, jedoch kann dieser Zutritt für das Erreichen der mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung verfolgten Ziele nicht als unerlässlich betrachtet werden. Aus den Ausführungen der RAK in der mündlichen Verhandlung ergibt sich außerdem, dass sie für die Überprüfung, ob die Ziele der praktischen Verwendung erreicht werden, in der Praxis auf weniger einschneidende Aufsichtsmaßnahmen setzt als Vor‑Ort-Kontrollen in Anwaltskanzleien.

46        Der Umstand, dass nach österreichischem Recht ein Rechtsanwaltsanwärter nach 18 Monaten praktischer Verwendung bei einem Rechtsanwalt in Österreich über eine sehr weite Vertretungsbefugnis verfügt, vermag die vorstehenden Ausführungen nicht in Frage zu stellen, da in Anwendung einer Regelung wie der in Rn. 40 des vorliegenden Urteils beschriebenen die Erfahrung, die ein Jurist nach Abschluss dieser Phase der praktischen Verwendung bei einem in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Rechtsanwalt gesammelt hätte, mit jener vergleichbar wäre, über die ein Rechtsanwaltsanwärter nach Abschluss der gleichen Phase seiner praktischen Verwendung bei einem Anwalt in Österreich verfügt.

47        Sofern das vorlegende Gericht der Ansicht ist, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung einer vergleichbaren Logik folgt wie Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 98/5, ist im Übrigen festzustellen, dass die im Rahmen des Erlasses dieser Richtlinie getroffene Entscheidung des Unionsgesetzgebers in Bezug auf die Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten Rechtsanwälten auferlegen können, die nach Erwerb der Berufsqualifikation in einem anderen Mitgliedstaat ihren Beruf in ihrem Hoheitsgebiet ausüben wollen, die Anwendung der Bestimmungen des AEU-Vertrags nicht auf einen Sachverhalt beschränkt werden kann, der nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt.

48        Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 45 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der ein bestimmter Teil einer praktischen Verwendung, die für den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf erforderlich ist und während derer der Rechtsanwaltsanwärter über eine gewisse Vertretungsbefugnis vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats verfügt, bei einem in diesem Mitgliedstaat niedergelassenen Rechtsanwalt zu absolvieren ist und nach der die Absolvierung dieser praktischen Verwendung bei einem in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Rechtsanwalt auch dann ausgeschlossen ist, wenn dieser Rechtsanwalt in ersterem Mitgliedstaat zugelassen ist und die im Rahmen der praktischen Verwendung ausgeübten Tätigkeiten das Recht des ersteren Mitgliedstaats betreffen, so dass es den betroffenen Juristen somit auch nicht erlaubt ist, diesen Teil der praktischen Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat unter der Bedingung zu absolvieren, dass sie den zuständigen nationalen Behörden gegenüber nachweisen, dass dieser Teil der Verwendung, so wie er absolviert wird, ihnen eine Ausbildung und Erfahrung bieten kann, die mit jener Ausbildung und Erfahrung vergleichbar ist, die eine praktische Verwendung bei einem in ersterem Mitgliedstaat niedergelassenen Rechtsanwalt bietet.

 Kosten

49        Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 45 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der ein bestimmter Teil einer praktischen Verwendung, die für den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf erforderlich ist und während derer der Rechtsanwaltsanwärter über eine gewisse Vertretungsbefugnis vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats verfügt, bei einem in diesem Mitgliedstaat niedergelassenen Rechtsanwalt zu absolvieren ist und nach der die Absolvierung dieser praktischen Verwendung bei einem in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Rechtsanwalt auch dann ausgeschlossen ist, wenn dieser Rechtsanwalt in ersterem Mitgliedstaat zugelassen ist und die im Rahmen der praktischen Verwendung ausgeübten Tätigkeiten das Recht des ersteren Mitgliedstaats betreffen, so dass es den betroffenen Juristen somit auch nicht erlaubt ist, diesen Teil der praktischen Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat unter der Bedingung zu absolvieren, dass sie den zuständigen nationalen Behörden gegenüber nachweisen, dass dieser Teil der Verwendung, so wie er absolviert wird, ihnen eine Ausbildung und Erfahrung bieten kann, die mit jener Ausbildung und Erfahrung vergleichbar ist, die eine praktische Verwendung bei einem in ersterem Mitgliedstaat niedergelassenen Rechtsanwalt bietet.

Lycourgos

Rodin

Piçarra

 

Spineanu-Matei

 

Fenger

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 3. April 2025.

Der Kanzler

 

Der Kammerpräsident

 

A. Calot Escobar

 

C. Lycourgos


*           Verfahrenssprache: Deutsch.

 

 

 

 

 

BGH: Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag und Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB

BGH, Beschluss vom 21.1.2025 – XI ZR 560/20

ECLI:DE:BGH:2025:210125BXIZR560.20.0

Volltext: BB-Online BBL2025-770-2

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Amtliche Leitsätze

Bei einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag kann sich der Darlehens-geber nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB berufen, wenn er in der Widerrufsinformation die Angabe von weiteren verbundenen Verträgen mit dem Zusatz "ggf." versieht. Dieser Fehler hindert allerdings das Anlaufen der Widerrufsfrist nicht (Fortführung von Senatsurteil vom 15. Oktober 2024 ­ XI ZR 39/24, WM 2024, 2186).

BGB § 355 Abs. 2, § 356b Abs. 2 Satz 1, § 492 Abs. 2, § 495 Abs. 1

EGBGB Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3

Aus den Gründen

1          I. Der Kläger erwarb im Dezember 2015 einen Vorführwagen Renault Grand Scénic zum Kaufpreis von 27.060 €. Zur Finanzierung des über eine Anzahlung von 4.200 € hinausgehenden Kaufpreises und der Prämie für eine GAP-Versicherung in Höhe von 1.383 € schlossen die Parteien mit Datum vom 8. Dezember 2015 einen Darlehensvertrag über 24.243 €. Der Darlehensvertrag enthält auf Seite 1 unter anderem folgende Angaben:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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2          Seite 3 des Darlehensvertrags enthält unter anderem folgende Angaben:

"Kündigungsmöglichkeit der DN (Vorzeitige Rückzahlung)

Die DN haben das Recht, das Darlehen jederzeit ganz oder teilweise vorzeitig zurückzuzahlen.

Im Falle einer vorzeitigen Rückzahlung berechnet die Bank gemäß § 502 BGB eine angemessene Vorfälligkeitsentschädigung für den unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung zusammenhängenden Schaden. In diesem Fall wird dieser Schaden nach den vom Bundesgerichtshof für die Berechnung vorgeschriebenen finanzmathematischen Rahmenbedingungen berechnet, die insbesondere

• ein zwischenzeitlich verändertes Zinsniveau,

• die für das Darlehen ursprünglich vereinbarten Zahlungsströme,

• den dem Kreditgeber entgangenen Gewinn,

• den mit der vorzeitigen Rückzahlung verbundenen Verwaltungsaufwand (Bearbeitungsentgelt) sowie

• die infolge der vorzeitigen Rückzahlung ersparten Risiko- und Verwaltungskosten

berücksichtigen.

Die Vorfälligkeitsentschädigung darf folgende Beträge jeweils nicht überschreiten:

• 1 Prozent beziehungsweise, wenn der Zeitraum zwischen der vorzeitigen und der vereinbarten Rückzahlung weniger als ein Jahr beträgt, 0,5 Prozent des vorzeitig zurückgezahlten Betrages.

• Den Betrag der Sollzinsen, den die DN in dem Zeitraum zwischen der vorzeitigen und der vereinbarten Rückzahlung entrichtet hätten."

"Verzugskosten (Mahngebühren/Verzugszinssatz)

Für ausbleibende Zahlungen berechnet die Bank zurzeit den DN € 7,50 für die erste Mahnung und € 15,00 ab der zweiten Mahnung.

Nach einer Vertragskündigung berechnet die Bank den DN Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz entsprechend der gesetzlichen Regelung."

"Tilgungsplan

Der DN kann von der Bank jederzeit einen Tilgungsplan erhalten."

"Zuständige Aufsichtsbehörde

Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin),

                                                             "

"Verfügbarkeit außergerichtlicher Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren und Zugang zu ihnen

Für die Beilegung von Streitigkeiten mit R.     Bank haben die DN die Möglichkeit, die Schlichtungsstelle nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 Unterlassungsklagengesetz anzurufen. Näheres regelt die "Verfahrensordnung für die Schlichtung von Kundenbeschwerden im deutschen Bankgewerbe", die auf Wunsch zur Verfügung gestellt wird oder die auf der Internetseite der Deutschen Bundesbank www.bundesbank.de/Schlichtungsstelle eingesehen werden kann. Die Beschwerde ist schriftlich an die Schlichtungsstelle bei der Deutschen Bundesbank, Postfach  ,          F.         , zu richten (Email-Service:                                     )."

Über sein Widerrufsrecht informierte die Beklagte den Kläger auf Seite 4 des Darlehensvertrags wie folgt:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Abbildung

 

4          Mit Schreiben vom 26. Juni 2018 erklärte der Kläger den Widerruf seiner auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung. Die Beklagte wies den Widerruf als verfristet zurück.

 

5          Mit der Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass seine primären Leistungspflichten aus dem mit der Beklagten geschlossenen Darlehensvertrag zur Zahlung von Zinsen und Erbringung von Tilgungsleistungen aufgrund seiner Widerrufserklärung erloschen seien. Er hält die Widerrufsinformation in Bezug auf die Kaskadenverweisung und die Erwähnung der - von ihm nicht abgeschlossenen - Restschuldversicherung für fehlerhaft sowie die Pflichtangaben über die Vertragslaufzeit, das einzuhaltende Verfahren bei der Kündigung des Vertrags, die sonstigen Kosten, den Verzugszinssatz und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung, die Berechnungsmethode des Anspruchs auf Vorfälligkeitsentschädigung, den Anspruch auf einen Tilgungsplan, den Gesamtbetrag, die für den Darlehensgeber zuständige Aufsichtsbehörde und den Zugang des Darlehensnehmers zu einem außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren und gegebenenfalls die Voraussetzungen für diesen Zugang für nicht ordnungsgemäß. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

 

6          Mit der - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Im Hinblick auf die bereits im Januar 2021 erfolgte vollständige Ablösung des Darlehens durch den Kläger und die anschließende Freigabe der Sicherheit durch die Beklagte haben die Parteien den Feststellungsantrag in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.

 

7          II. Der Senat hat gemäß § 91a Abs. 1 ZPO über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden, nachdem die Parteien - was auch noch im Revisionsverfahren zulässig ist (vgl. Senatsbeschluss vom 8. März 2022 - XI ZR 571/21, juris Rn. 7 mwN) - den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Dabei hat der Senat unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen über die Kosten zu entscheiden, wobei der mutmaßliche Ausgang des Revisionsverfahrens zu berücksichtigen ist (Senatsbeschluss aaO Rn. 9 mwN). Danach sind die Kosten in vollem Umfang dem Kläger aufzuerlegen, weil nach dem Sach- und Streitstand bei Eintritt des erledigenden Ereignisses die Revision keinen Erfolg gehabt hätte.

 

8          Der Kläger hat den streitgegenständlichen, gemäß § 358 Abs. 3 BGB mit einem Kaufvertrag über ein Kraftfahrzeug und einer GAP-Versicherung verbundenen (Allgemein-)Verbraucherdarlehensvertrag nicht wirksam widerrufen. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger zwar bei Abschluss des Darlehensvertrags gemäß § 495 Abs. 1 i.V.m. § 355 BGB ein Widerrufsrecht zustand und die Widerrufsfrist nicht zu laufen begann, bevor der Kläger die Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB erhalten hatte. Dies war aber vorliegend bei Abschluss des Darlehensvertrags im Dezember 2015 der Fall, so dass der Widerruf vom 26. Juni 2018 verspätet war.

 

9          1. Zu den Pflichtangaben gehört nach § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 1 EGBGB die Erteilung einer ordnungsgemäßen Widerrufsinformation. Die dem Kläger erteilte Widerrufsinformation ist, was der Senat nach den Grundsätzen der objektiven Auslegung selbst bestimmen kann (Senatsurteil vom 12. Juli 2016 - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 15 mwN), zwar fehlerhaft, ohne dass sich die Beklagte insoweit auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB in der vom 13. Juni 2014 bis zum 20. März 2016 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) berufen kann. Dieser Fehler steht dem Anlaufen der Widerrufsfrist aber nicht entgegen.

 

10        a) Die Beklagte kann sich nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB aF berufen. Dies setzt voraus, dass die Widerrufsinformation dem Muster in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB in der vom 13. Juni 2014 bis zum 20. März 2016 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) entspricht. Vorliegend ist dies, was der Senat durch einen Vergleich selbst feststellen kann (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil vom 11. Oktober 2016 - XI ZR 482/15, BGHZ 212, 207 Rn. 26), nicht der Fall.

 

11        In der Widerrufsinformation hat die Beklagte unter der Zwischenüberschrift "Besonderheiten bei weiteren Verträgen" als mit dem Darlehensvertrag verbundenen Vertrag nicht nur den Fahrzeugkaufvertrag und die GAP-Versicherung, sondern - zu Unrecht - auch eine "Restschuldversicherung" aufgeführt, obwohl der Kläger eine solche nicht abgeschlossen hat. Ferner ist die Angabe der GAP-Versicherung mit dem Zusatz "ggf." versehen, wodurch die Beklagte der ihr obliegenden Pflicht zur verbindlichen Angabe verbundener Verträge nicht nachgekommen ist. Zwar sind optionale Bestandteile in der Widerrufsinformation zulässig, wenn hinreichend konkret angegeben ist, ob sie einschlägig sind (vgl. Senatsurteil vom 23. Februar 2016 - XI ZR 101/15, BGHZ 209, 86 Rn. 42 ff.), ohne dass dadurch die Musterkonformität in Frage steht. An einer solchen Angabe fehlt es hier aber (vgl. Senatsurteil vom 15. Oktober 2024 - XI ZR 39/24, WM 2024, 2186 Rn. 18 mwN, für BGHZ bestimmt).

 

12        b) Die dem Kläger erteilte Widerrufsinformation ist zwar fehlerhaft, weil die Belehrung über den Beginn der Widerrufsfrist eine Verweisung auf "alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB" enthält. Dieser Fehler hindert aber - was der Senat mit Urteil vom 15. Oktober 2024 (XI ZR 39/24, WM 2024, 2186 Rn. 20 ff. mwN) entschieden und im Einzelnen begründet hat - das Anlaufen der Widerrufsfrist nicht.

 

13        c) Die dem Kläger erteilte Widerrufsinformation weist auch im Übrigen keinen Fehler auf, der das Anlaufen der Widerrufsfrist hindert.

 

14        aa) Soweit die Widerrufsinformation darauf hinweist, dass die Widerrufsfrist "nach Abschluss des Vertrags" beginnt, berührt dies ihre Ordnungsgemäßheit nicht. Ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Verbraucher versteht diese Formulierung dahingehend, dass der Fristbeginn dem Vertragsschluss zeitlich unmittelbar nachfolgt und - entsprechend § 187 Abs. 1 BGB - am Tag nach dem Vertragsschluss beginnt (vgl. Senatsurteil vom 15. Oktober 2024 - XI ZR 39/24, WM 2024, 2186 Rn. 30 mwN).

 

15        bb) Der Hinweis, dass der Darlehensnehmer über in den Vertragstext nicht aufgenommene Pflichtangaben nachträglich auf einem dauerhaften Datenträger informiert werden kann und die Widerrufsfrist dann einen Monat beträgt, ist nicht in einer den Beginn der Widerrufsfrist hindernden Weise unvollständig. Er gibt den Regelfall einer Nachholung von Pflichtangaben nach § 492 Abs. 6 Satz 1 BGB wieder. Der Sonderfall des § 492 Abs. 6 Satz 2 BGB, wonach dann, wenn das Fehlen von Angaben zu einer Änderung der Vertragsbedingungen gemäß § 494 Abs. 2 Satz 2 bis Abs. 6 BGB geführt hat, die Nachholung der Angaben nur durch Aushändigung einer Vertragsabschrift nach § 494 Abs. 7 BGB erfolgen kann, muss nicht ausdrücklich erwähnt werden (Senatsurteil vom 15. Oktober 2024 - XI ZR 39/24, WM 2024, 2186 Rn. 31 mwN).

 

16        cc) Die Erwähnung eines tatsächlich nicht erfolgten "Antrag(s) auf Aufnahme in den Restschuldversicherungsschutz" als verbundener Vertrag und der Zusatz "ggf." hierbei wie auch bei der Angabe der tatsächlich abgeschlossenen GAP-Versicherung in der dem Kläger erteilten Widerrufsinformation stellen keine Fehler dar, die dem Anlaufen der Widerrufsfrist entgegenstehen. Sie führen den Verbraucher nicht in die Irre und verleiten ihn nicht zum Abschluss eines Vertrags, den er sonst nicht geschlossen hätte. Sie sind auch nicht geeignet, sich auf die Befähigung des Verbrauchers, den Umfang seiner Rechte und Pflichten zu erkennen, oder auf seine Vertragsabschlussfreiheit auszuwirken. Ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Verbraucher liest den gesamten Darlehensvertrag sorgfältig durch (vgl. Senatsurteil vom 15. Oktober 2024 - XI ZR 39/24, WM 2024, 2186 Rn. 32 mwN) und kennt daher die Erläuterungen auf Seite 1 des Darlehensvertrags zu den Versicherungen. Ihm ist bekannt, ob er eine Anmeldung zu diesen Versicherungen beantragt hat oder nicht. Der Darlehensnehmer, der nur die GAP-Versicherung abgeschlossen hat, weiß deshalb, dass die hierauf bezogenen Erläuterungen für ihn gelten, während die auf eine "Aufnahme in den Restschuldversicherungsschutz" bezogenen Erläuterungen für ihn keine Bedeutung haben.

 

17        dd) Die unter der Überschrift "Widerrufsfolgen" enthaltene Information über die Pflicht, ein bereits ausbezahltes Darlehen zurückzuzahlen und Zinsen zu vergüten, ist gemäß Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 1 EGBGB geboten und daher zu Recht in der Widerrufsinformation enthalten. Wie der Senat mit Urteil vom 15. Oktober 2024 (XI ZR 39/24, WM 2024, 2186 Rn. 33 mwN) entschieden und im Einzelnen begründet hat, ist dieser Hinweis auch bei Vorliegen eines verbundenen Vertrags nicht irreführend, weil die folgende Zwischenüberschrift "Besonderheiten bei weiteren Verträgen" unmissverständlich darauf aufmerksam macht, dass in einem solchen Fall Abweichendes gilt. Die unter dieser Zwischenüberschrift erteilte Information, dass der Darlehensgeber im Verhältnis zum Darlehensnehmer hinsichtlich der Rechtsfolgen des Widerrufs in die Rechte und Pflichten des Vertragspartners aus dem verbundenen Vertrag eintritt, wenn diesem das Darlehen bei Wirksamwerden des Widerrufs bereits zugeflossen ist, entspricht der Formulierung in § 358 Abs. 4 Satz 5 BGB. Genauer als der Gesetzgeber muss der Darlehensgeber nicht formulieren.

 

18        ee) Für die Ordnungsgemäßheit der Widerrufsinformation ist es unschädlich, dass die Beklagte in der Widerrufsinformation unter der Überschrift "Widerrufsfolgen" den pro Tag zu zahlenden Zinsbetrag mit "0,00 Euro" angegeben hat. Der in der Widerrufsinformation enthaltene Verzicht der Beklagten auf den ihr an sich aus § 358 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 357a Abs. 3 Satz 1 BGB in der jeweils bis zum 27. Mai 2022 geltenden Fassung zustehenden Zinsanspruch ist für den Darlehensnehmer lediglich günstig und ist auch objektiv nicht geeignet, einen normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher hinsichtlich der Höhe der vom ihm pro Tag zu zahlenden Zinsen irrezuführen (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2023 - C-38/21, C-47/21 und C-232/21, juris Rn. 238 - BMW Bank u.a.). Der Verbraucher erkennt ohne Weiteres, dass in der Widerrufsinformation mit Satz 1 unter der Überschrift "Widerrufsfolgen" lediglich abstrakt die Pflicht des Darlehensnehmers, für den Zeitraum zwischen Auszahlung und Rückzahlung des Darlehens den vereinbarten Sollzins zu entrichten, geschildert wird, diese Pflicht aber ausweislich der in Satz 3 dieses Abschnitts enthaltenen konkreten Zinsangabe "0,00 Euro" für ihn entfällt (vgl. Senatsurteil vom 24. September 2024 - XI ZR 32/22, WM 2024, 1955 Rn. 32 f. mwN).

 

19        ff) Schließlich wird die Ordnungsgemäßheit der Widerrufsinformation nicht durch die in Ziffer 11 Buchst. c der Darlehensbedingungen der Beklagten enthaltene, nicht gesetzeskonforme Aufrechnungsbeschränkung berührt (vgl. Senatsurteil vom 27. Februar 2024 - XI ZR 258/22, BGHZ 239, 337 Rn. 27 mwN).

 

20        2. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Beklagte nach § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB in der hier maßgeblichen, vom 11. Juni 2010 bis zum 20. März 2016 geltenden Fassung (im Folgenden insgesamt für § 6 Abs. 1: aF), § 3 Abs. 1 Nr. 6 EGBGB die Vertragslaufzeit und nach § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB aF, § 3 Abs. 1 Nr. 7 EGBGB Betrag, Zahl und Fälligkeit der Raten ordnungsgemäß angegeben hat.

 

21        Die Vertragslaufzeit lässt sich aus den beiden Angaben auf Seite 1 des Darlehensvertrags "59 Raten à 265,00 EUR" und "Schlussrate 9.876,23 EUR" ohne Weiteres ermitteln. Zugleich ergeben sich daraus Betrag und Zahl der Raten. Hinsichtlich der Fälligkeit ist nicht notwendig, dass im Kreditvertrag jeder Fälligkeitstag der vom Verbraucher zu leistenden Zahlungen durch Bezugnahme auf ein genaues Datum angegeben wird, sofern die Vertragsbedingungen es dem Verbraucher ermöglichen, ohne Schwierigkeiten und mit Sicherheit die Daten dieser Zahlungen zu erkennen (vgl. Senatsurteil vom 10. Dezember 2024 - XI ZR 85/22, juris Rn. 31 mwN). Dies ist hier der Fall. Nach Ziffer 1a der Darlehensbedingungen hat die Beklagte die Verpflichtung, dem Kläger die Daten der ersten Fälligkeit der Rate mitzuteilen. Die Fälligkeit der Folgeraten ergibt sich aus den Angaben auf Seite 1 des Darlehensvertrags.

 

22        3. Ohne Erfolg wendet sich der Kläger gegen die Ordnungsgemäßheit der Angaben der Beklagten über das einzuhaltende Verfahren bei der Kündigung des Vertrags.

 

23        Soweit nach § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 5 EGBGB aF zu den vorgeschriebenen Pflichtangaben, von deren Erteilung der Beginn der Widerrufsfrist abhängt, auch das "einzuhaltende Verfahren bei der Kündigung des Vertrags" gehört, bedurfte es dessen hier nicht. Zu diesen Angaben gehört, was der Senat mit Urteilen vom 5. November 2019 (XI ZR 650/18, BGHZ 224, 1 Rn. 29 ff. und XI ZR 11/19, juris Rn. 27 ff.; siehe auch Senatsurteil vom 27. Februar 2024 - XI ZR 258/22, BGHZ 239, 337 Rn. 41 mwN) bereits mit eingehender Begründung entschieden hat und vom Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 9. September 2021 (C-33/20, C-155/20 und C-187/20, juris Rn. 103 ff. - Volkswagen Bank u.a.) bestätigt worden ist, nicht die Information über das außerordentliche Kündigungsrecht nach § 314 BGB, sondern nur - soweit einschlägig, vorliegend allerdings nicht - die Information über das Kündigungsrecht gemäß § 500 Abs. 1 BGB.

 

24        4. Entgegen der Auffassung des Klägers ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die jährliche Gebühr für die Zusendung eines Jahreskontoauszugs mit "zurzeit EUR 2,90" und etwaige Mahngebühren mit "zurzeit" 7,50 € bzw. 15 € beziffert hat.

 

25        a) Unter Kosten i.S.d. Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB aF, § 3 Abs. 1 Nr. 10 EGBGB sind solche zu verstehen, die "im Zusammenhang" mit dem Darlehensvertrag anfallen. Hierunter fallen insbesondere Kosten, die aus der Durchführung des Darlehensvertrags erwachsen, wie etwa die Bepreisung von Überziehungsmöglichkeiten oder Kosten für die Auszahlung oder Nutzung von Zahlungsauthentifizierungsinstrumenten (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Februar 2020 - XI ZR 648/18, juris Rn. 44 mwN). Dagegen wird die auf Seite 1 des Darlehensvertrags zwischen den Parteien vereinbarte Gebühr für die Zusendung eines Jahreskontoauszugs - unabhängig davon, ob sie einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB standhält - nicht von § 3 Abs. 1 Nr. 10 EGBGB erfasst. Vielmehr betrifft diese - wie sich aus der Überschrift der in Bezug genommenen Ziffer 5 der Darlehensbedingungen ("Besondere Gebühren") ergibt - eine gesondert zu beauftragende fakultative Zusatzleistung.

 

26        b) Im Hinblick auf die Mahngebühren hat die Beklagte auf Seite 3 des Darlehensvertrags ihre aus § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB aF, § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB resultierende Verpflichtung, über gegebenenfalls anfallende Verzugskosten zu informieren, mit der konkreten Angabe der bei Vertragsschluss von ihr verlangten Mahngebühren ordnungsgemäß erfüllt.

 

27        5. Der Kläger beanstandet zwar zu Recht, dass die Beklagte auf Seite 3 des Darlehensvertrags ihre aus § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB aF, § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB resultierende Verpflichtung, über den Verzugszinssatz und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung zu unterrichten, nicht ordnungsgemäß erfüllt hat. Dies stellt aber - was der Senat mit Urteil vom 27. Februar 2024 (XI ZR 258/22, BGHZ 239, 337 Rn. 33 ff. mwN) entschieden und im Einzelnen begründet hat - keinen Belehrungsfehler dar, der das Anlaufen der Widerrufsfrist hindert.

 

28        6. Des Weiteren macht der Kläger ohne Erfolg geltend, dass die von der Beklagten erteilten Angaben zur Berechnungsmethode des Anspruchs auf Vorfälligkeitsentschädigung (§ 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 7 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB in der hier maßgeblichen, vom 11. Juni 2010 bis zum 20. März 2016 geltenden Fassung [im Folgenden insgesamt für § 7: aF]) nicht ordnungsgemäß sind. Nach den Maßgaben der Senatsrechtsprechung (Senatsurteil vom 27. Februar 2024 - XI ZR 258/22, BGHZ 239, 337 Rn. 38 mwN) erfüllen die von der Beklagten erteilten Angaben zur Berechnungsmethode des Anspruchs auf Vorfälligkeitsentschädigung die genannten Anforderungen, weil ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher jedenfalls den Höchstbetrag der zu zahlenden Vorfälligkeitsentschädigung leicht berechnen kann.

 

29        7. Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte auf Seite 3 des Darlehensvertrags die Pflichtangabe über den Anspruch auf einen Tilgungsplan nach Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 4 EGBGB aF ordnungsgemäß erteilt. Eines besonderen Hinweises auf die Kostenfreiheit bedurfte es nicht (vgl. Senatsurteil vom 4. Juni 2024 - XI ZR 113/21, WM 2024, 1207 Rn. 40 mwN).

 

30        8. Die Beklagte hat auch die Pflichtangabe über den effektiven Jahreszins gemäß § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB aF, § 3 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB ordnungsgemäß erteilt. Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte die für die GAP-Versicherung anfallenden Kosten zu Recht nicht in die Berechnung des effektiven Jahreszinses einbezogen, weil die GAP-Versicherung fakultativ war und aufgrund dessen die darauf entfallenden Kosten gemäß Art. 247 § 3 Abs. 2 Satz 3 EGBGB in der bis zum 6. November 2023 geltenden Fassung i.V.m. § 6 Abs. 3 Nr. 4 PAngV in der vom 1. Januar 2013 bis zum 20. März 2016 geltenden Fassung nicht in die Berechnung der für die Berechnung des anzugebenden effektiven Jahreszinses maßgeblichen Gesamtkosten einzubeziehen waren.

 

31        Nach den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Feststellungen des Landgerichts war der Abschluss der GAP-Versicherung fakultativ. Dies ergibt sich auch aus dem Darlehensvertrag, der auf Seite 2 den Abschluss der dort angebotenen Versicherungen optional durch Ankreuzen eines Kästchens vorsieht und auf Seite 4 in der Widerrufsinformation bei Angabe der verbundenen Verträge insoweit jeweils den Hinweis "ggf." enthält. Soweit der Kläger auf sein Vorbringen in den Tatsacheninstanzen verweist, der Abschluss der GAP-Versicherung sei wegen seiner (geringen) Bonität zwingend gewesen, ist dies im Hinblick auf die entgegenstehende Vertragslage unsubstantiiert. Der Kläger hat weder die Einzelheiten der Vertragsgespräche näher dargelegt noch seine damalige Selbstauskunft zum Beleg seiner (zu geringen) Bonität vorgelegt, sondern lediglich pauschal behauptet, dass der Abschluss der GAP-Versicherung Voraussetzung für die Darlehensvergabe gewesen sei. Eine Verletzung der dem Berufungsgericht obliegenden Hinweispflicht nach § 139 ZPO hatte die Revision nicht gerügt. Insoweit hätte es in der Revisionsbegründung auch an einem Vortrag dazu gefehlt, welchen konkreten Hinweis das Berufungsgericht dem Kläger aufgrund welcher Tatsachen hätte erteilen müssen und was dieser auf einen entsprechenden Hinweis vorgebracht hätte.

 

32        9. Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, dass die Beklagte auf Seite 3 des Darlehensvertrags gemäß Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB aF die für sie zuständige Aufsichtsbehörde angegeben hat. Dies ist nach der maßgeblichen Vorschrift des § 6 KWG die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und nicht, was der Kläger meint, zusätzlich noch die Deutsche Bundesbank (vgl. Senatsurteil vom 4. Juni 2024 - XI ZR 113/21, WM 2024, 1207 Rn. 39 mwN).

 

33        10. Schließlich hat die Beklagte die erforderliche Pflichtangabe gemäß § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 7 Nr. 4 EGBGB aF über den Zugang des Verbrauchers zu einem außergerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren und gegebenenfalls zu den Voraussetzungen für diesen Zugang nach der Senatsrechtsprechung (Senatsurteil vom 27. Februar 2024 - XI ZR 258/22, BGHZ 239, 337 Rn. 44 ff.) auf Seite 3 des Darlehensvertrags ordnungsgemäß erteilt. Sie hat die Schlichtungsstelle angegeben, die für sie zuständig ist. Eine Angabe zu den mit dem Schlichtungsverfahren verbundenen Kosten war entbehrlich, weil das Schlichtungsverfahren bei der Schlichtungsstelle bei der Deutschen Bundesbank für den Verbraucher kostenfrei ist. Ferner hat die Beklagte angegeben, dass die Beschwerde in Schriftform übermittelt werden kann und hierfür die Postadresse der Schlichtungsstelle mitgeteilt. Daneben hat sie auch deren E-Mail-Adresse mitgeteilt, so dass auch eine Beschwerde per E-Mail möglich gewesen wäre. Einer Angabe von sonstigen formalen Voraussetzungen bedurfte es nicht. Darunter sind nur solche zu verstehen, die bei Nichtvorliegen ohne Weiteres zur Zurückweisung des Schlichtungsantrags führen (vgl. Senatsurteil vom 27. Februar 2024 aaO Rn. 47), was indes nach der Verfahrensordnung der Schlichtungsstelle nicht der Fall ist.

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