OLG Frankfurt: Irreführung durch Antwort auf Anspruchsschreiben eines Kunden
OLG Frankfurt, Urteil vom 17.11.2011 - 6 U 126/11
Leitsatz
Ein Schreiben, mit dem ein von einem Kunden geltend gemachter vertraglicher Anspruch zurückgewiesen wird, kann eine unlautere Irreführung beinhalten, wenn der Unternehmer darin eine ihm nachteilige höchstrichterliche Rechtsprechung unrichtig wiedergibt oder durch unwahre Angaben eine solche Rechtsprechung negiert. Nicht zu beanstanden ist dagegen, wenn der Unternehmer dem Kunden, der sich auf die für ihn günstige Rechtsprechung berufen hat, die Zahlungsverweigerung in sachlicher Form damit erklärt, dass er diese Rechtsprechung für unzutreffend hält und daher auf eine Änderung dieser Rechtsprechung vertraut.
sachverhalt
I. Wegen des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil der 11. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main verwiesen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe sich mit der streitbefangenen Auskunft im Schreiben vom 11.10.2010 (Anlage K 5) nicht wettbewerbswidrig verhalten. Auskünfte über die Rechtslage seien nur wettbewerbswidrig, wenn die Rechtslage nicht zweifelhaft sei und der Vertragspartner planmäßig und wider besseres Wissens erkläre, ein geltend gemachtes Recht stehe dem Anspruchsteller nicht zu. Die Rechtsstellung von Fluggästen bei der Entschädigung wegen Flugverspätungen innerhalb der EU sei trotz einer zugunsten der Fluggäste ergangenen Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs nach wie vor zweifelhaft. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung hätten verschiedene Gerichte innerhalb der Europäischen Union, darunter der High Court of Justice in Großbritannien, ihre Verfahren ausgesetzt und diese dem Europäischen Gerichtshof zur Prüfung der Vereinbarkeit seiner Rechtsprechung mit dem sogenannten Montrealer Übereinkommen vorgelegt.
Im Berufungsverfahren wiederholen und vertiefen beide Parteien ihr erstinstanzliches Vorbringen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen zu Ziffer II. sowie auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und
I. der Beklagten zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr Verbrauchern, die bei der Beklagten einen Flug innerhalb des EU-Territoriums gebucht haben und sich im Anschluss an eine Verspätung von wenigstens drei Stunden zum Zwecke von Ausgleichszahlungen an die Beklagte wenden, Ausgleichszahlungen mit der Begründung zu verweigern,
a) ein Ausgleichsanspruch bestehe wegen Widerspruchs zu höherrangigem Recht, insbesondere zu Artikel 24 Abs. 1 WA und Artikel 29 MÜ, nicht,
und/oder
b) wegen dieses in Ziffer I. a) geschilderten Widerspruchs lägen Anfragen von Gerichten zur Prüfung an den EuGH vor, so dass nach wie vor Rechtsunsicherheit bestehe.
II. der Beklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,-- € (ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Wochen) oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten anzudrohen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
aus den gründen
II. Das Rechtsmittel der Klägerin ist nicht begründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Unterlassungsansprüche gegen die Beklagte nicht zu. Die von der Klägerin beanstandeten und in den Anträgen abstrakt formulierten Aussagen müssen im Kontext des Schreibens vom 11.10.2010 (Anlage K 5) bewertet werden. Deshalb können auch die Vorgeschichte des Schreibens und die Vorkenntnisse des Empfängers hier nicht ausgeblendet werden. Der Klageschrift lässt sich entnehmen, dass der Fluggast der Beklagten, Herr ..., schon im August Ausgleichsansprüche angemeldet und auf die Weigerung der Beklagten am 24.08.2010 darauf hingewiesen hatte, dass nach der hier maßgeblichen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs Ausgleichsansprüche auch bei Flugverspätungen zu zahlen seien.
1. Vor diesem Hintergrund ebenso wie nach dem Inhalt und der Diktion des Schreibens lässt sich eine unangemessene unsachliche Beeinflussung des Kunden im Sinne von § 4 Nr. 1 UWG nicht erkennen. Grundsätzlich kann es einem Unternehmer nicht verwehrt sein, im Rahmen seiner Rechtsverteidigung eine ihm nachteilige höchstrichterliche Rechtsprechung für falsch zu halten und zu versuchen, in einem von einem Kunden angestrengten gerichtlichen Verfahren eine Änderung dieser Rechtsprechung herbeizuführen. Diesen Rechtsstandpunkt muss der Unternehmer auch vorgerichtlich dem Kunden gegenüber vertreten dürfen. Ob sie sich als richtig erweist, kann nur im Rahmen des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses, nicht aber im Wettbewerbsprozess geklärt werden (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Auflage 2010, Rdn. 2.13 zu § 5 UWG).
Die Klägerin kann nicht mit dem Argument gehört werden, die Beklagte habe durch ihre Verweigerungshaltung das Verjährungsrisiko auf den Fluggast verlagert. Es hätte der Beklagten offen gestanden, sich zu dem Anspruchsschreiben des Fluggastes gar nicht zu äußern bzw. die Ansprüche ohne Begründung abzulehnen. Auch in einem solchen Fall hätte der Fluggast das Risiko getragen, seine Ansprüche innerhalb der Verjährungsfrist gerichtlich geltend machen zu müssen.
2. Die Grenze zulässiger Anspruchsabwehr eines Unternehmers wird überschritten, wenn er seinen Kunden durch unwahre Angaben an der Geltendmachung berechtigter Ansprüche hindert (§ 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 UWG). Dies kann auch der Fall sein, wenn der Unternehmer eine ihm nachteilige höchstrichterliche Entscheidung unrichtig wiedergibt oder wenn er durch unwahre Angaben eine ihm nachteilige gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung negiert (vgl. Köhler/Bornkamm, a.a.O.).
Dieser Fall liegt hier jedoch nicht vor, weil die Beklagte die zu ihren Lasten ergangene und ihrem Fluggast bekannte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 19. November 2009 (Rechtssache C-402/07 = NJW 2010, 43, Sturgeon/ Condor) nicht ableugnet. Aus Sicht eines verständigen, situationsadäquat aufmerksamen Verbrauchers wird hinreichend deutlich, dass die Beklagte ihren Hinweis auf die „bestehende Rechtsunsicherheit" ausschließlich auf die von ihr angesprochenen „Anfragen" an den Europäischen Gerichtshof bezieht, in denen um nochmalige Prüfung der Vereinbarkeit der Rechtsprechung mit dem Montrealer und Warschauer Übereinkommen gebeten wird. Diese Einschränkung wird ergänzend dadurch verdeutlicht, dass die Beklagte um Verständnis darum bittet, sich deswegen noch nicht abschließend äußern zu können. Da sich die Auslegung der EU- Fluggastrechteverordnung (Nr. 261/ 2004) allein an europarechtlichen Maßstäben orientiert, spielt es keine Rolle, dass die erste erneute Vorlage nicht von einen deutschen Gericht sondern vom High Court of Justice, Großbritannien, stammte.
Die Klägerin kann der Beklagten nicht vorwerfen, in ihrem Antwortschreiben das nach der EuGH - Entscheidung ergangene Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18.02.2010 (Xa ZR 95/06 = NJW 2010, 2281) nicht erwähnt zu haben. Darin hat der Bundesgerichtshof einem Fluggast eine Entschädigung wegen einer Flugverspätung zugesprochen und eine erneute Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union abgelehnt, da die Unklarheiten hinsichtlich der Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch diese Entscheidung beseitigt seien. Es ist zum einen fraglich, ob der Unterlassungsantrag der Klägerin dem Vorwurf, die BGH - Entscheidung „unterschlagen zu haben", überhaupt hinreichend Rechnung trägt. Unabhängig davon ergeben sich die hier relevanten Feststellungen und rechtlichen Grundsätze bereits aus dem eindeutigen Urteil des Europäischen Gerichtshofs, so dass die Beklagte dem Empfänger des Schreibens durch das Nichterwähnen der Entscheidung des Bundesgerichtshofs keinen maßgeblichen Kenntnisgewinn vorenthalten hat.
3. Die Klägerin kann der Beklagten zuletzt nicht vorwerfen, unwahre Angaben über die Anzahl erneuter Vorlageentscheidungen an den Europäischen Gerichtshof gemacht zu haben. Zwar war im Zeitpunkt des streitbefangenen Schreibens lediglich eine Vorlageentscheidung ergangen, nämlich die des High Court of Justice, London. Ein weiteres Vorabentscheidungsverfahren ist aber wenige Tage nach diesem Schreiben, nämlich am 3. November 2010 vom Amtsgericht Köln in dem Verfahren 142 C 535/08 eingeleitet worden (Bl. 79 ff. d. A.). Das Landgericht hat deshalb zutreffend festgestellt, dass die Aussage bei Schluss der mündlichen Verhandlung wahrheitsgemäß war.
Der Senat schließt sich dieser Bewertung an und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung.
Die Argumentation der Klägerin in der Berufungsbegründung rechtfertigt keine andere Beurteilung. Sie bringt vor, es dürfe für die Beurteilung der Irreführungsgefahr nicht auf den Schluss der mündlichen Verhandlung abgestellt werden, weil man es auf diese Weise dem Unternehmer ermöglichen würde, einer Haftung durch Abänderung seiner ursprünglich irreführenden Werbung zu entgehen. Dabei übersieht die Klägerin allerdings, dass sich der Klageantrag nicht auf die konkrete Verletzungshandlung und den ihm zugrundeliegenden Sachverhalt bezieht. Streitgegenstand ist vielmehr ein in die Zukunft gerichtetes, abstrakt umschriebenes Verbot. Deshalb hat das Landgericht mit Recht auch festgestellt, dass ein so formuliertes Unterlassungsbegehren nur Erfolg haben kann, wenn bei Schluss der mündlichen Verhandlung die angegriffene Aussage immer noch wettbewerbswidrig ist. Dies trifft hier aus den bereits geschilderten Gründen nicht zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit und zur Abwendungsbefugnis folgen §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.