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Wirtschaftsrecht
21.01.2016
Wirtschaftsrecht
OLG Frankfurt a. M.: Irreführende Werbung – Relevanz der hervorgerufenen Fehlvorstellung für die geschäftliche Entscheidung

OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 23.11.2015 – 6 W 99/15

Volltext: BB-ONLINE BBL2016-194-2

unter www.betriebs-berater.de

Leitsatz

Auch eine unzutreffende Blickfangangabe in einer Werbeanzeige führt dann nicht zu einer relevanten Irreführung, wenn sie den Werbeadressaten zwar zu einer weiteren Befassung mit der Anzeige veranlasst, dieser sich jedoch vor einer "geschäftlichen Entscheidung" im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - etwa dem Aufsuchen eines Ladengeschäfts - mit dem weiteren Anzeigeninhalt befasst und den wahren Sachverhalt erkennt; ein solcher Fall kann auch vorliegen, wenn die Blickfangangabe allein noch keine konkrete Vorstellung von dem beworbenen Produkt vermittelt und aus diesem Grund vor einer "geschäftlichen Entscheidung" eine weitere Befassung mit dem Anzeigeninhalt erforderlich ist.

UWG § 5

Sachverhalt

I.

Die Parteien gehören zu den führenden Wettbewerbern im Bereich der Telekommunikation. Die Antragstellerin bietet unter der Bezeichnung "Magenta EINS" ihren Kunden die Möglichkeit an, Festnetz- und Mobilfunkdienstleistungen durch den Abschluss von Paketverträgen mit entsprechenden Preisvorteilen zu kombinieren. Seit September 2015 bietet die Antragsgegnerin ein neues Produkt mit dem Namen "Family Card Start" an, das als Zweitkarte zu einem bestehenden Telekom Mobilfunklaufzeitvertrag hinzugebucht werden kann. Dieses Angebot, das u. a. eine Flatrate für Telefonate ins Mobilfunknetz der Antragsgegnerin und eine Flatrate zu einer persönlichen Zielfunknummer enthält, richtet sich an Eltern, deren Kinder neu in die Mobilfunkwelt einsteigen.

Die Antragsgegnerin hat diesen neuen Tarif durch Printanzeigen, Internetwerbung und in einem TV Spot beworben. Die mehrseitigen Werbeanzeigen gemäß Anlage AST 3 zur Antragsschrift sind auf der ersten Seite mit der Überschrift "Eins für den Start" und der Angabe "Wir begleiten den mobilen Start ihres Kindes", auf der zweiten Seite mit der Angabe "Kann mein Kind mich ohne Handyguthaben erreichen?" und auf der dritten Seite, wie auch die Anlage AST 5, wie nachfolgend ausgestaltet:

 

Die Angabe "Bei MAGENTA EINS INCLUSIVE" befindet sich in einem blauen Feld mit weißer Schrift. Hinter den in der nächsten Überschriftzeile am Ende enthaltenen Worten "...die mitwächst" befindet sich eine Fußnote 1, die am unteren Rand der Anzeige unter anderem mit folgendem Text aufgelöst wird:

1) Einmaliger Kartenpreis: 9,95 € ... Monatlicher Grundpreis Family Card Start: 2,95 €, die Family Card Start (buchbar zu einem bestehenden Telekom Mobilfunk Laufzeitvertrag von mind. 29,95 €/Monat) ist für Magenta EINS Kunden inklusive. Magenta EINS setzt das Bestehen eines Festnetz- und Mobilfunklaufzeitvertrages... voraus. Gespräche und SMS ins dt. Festnetz und andere deutsche Mobilfunknetze kosten 0,09 €/Minute bzw. 0,09 €/SMS....

Die Antragstellerin hat der Antragsgegnerin vorgeworfen, mit der dargestellten Printwerbung und mit ihrer Internet- und TV - Werbung dem angesprochenen Publikum vorzuspiegeln, dass "Magenta EINS" das beworbene Produkt "Family Card Start" beinhalte und dass ein Magenta EINS - Kunde dieses Produkt mithin automatisch und ohne zusätzliche Kosten erhalte. Tatsächlich müsse auch ein Magenta EINS - Kunde die Aktivierungsgebühr und die zusätzlichen Verbindungsentgelte zahlen; sein einziger Vorteil sei der Erlass der monatlichen Grundgebühr in Höhe von 2,95 €.

Das Landgericht hat durch einstweilige Verfügung vom 12. Oktober 2015 die Internet- und die TV-Werbung untersagt und im Übrigen den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Die im Blickfang stehende Aussage "Bei Magenta EINS inclusive" werde durch den Hinweis in der Fußnote hinreichend erläutert.

Die Antragstellerin hat gegen den Beschluss form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt, mit der sie unter Wiederholung ihres bisherigen Vortrages folgenden Antrag verfolgt:

Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 € für jeden Fall der Zuwiderhandlung, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken an den Geschäftsführern, untersagt, im geschäftlichen Verkehr handelnd

in Bezug auf das Produkt "Family Card Start" zu behaupten oder behaupten zu lassen, diese sei bei "Magenta EINS" inklusive, wenn dies geschieht wie in den Printanzeigen gemäß den Anlagen AST 3 und AST 5 zur Antragsschrift vom 5. Oktober 2015.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.

Aus den Gründen

II.

Das Rechtsmittel der Antragstellerin bleibt ohne Erfolg. Ihr stehen keine weitergehenden Unterlassungsansprüche gegen die Antragsgegnerin zu, weil die in den Werbeanzeigen gemäß AST 3 und AST 5 angegriffene Aussage "Bei Magenta EINS Inklusive" nicht zu einer Irreführung führt.

Der Bundesgerichtshof hat in der Entscheidung vom 18. Dezember 2014 (Az.: I ZR 129/13 = GRUR 2015, 698 - Schlafzimmer komplett) ausgeführt, dass eine objektiv unzutreffende Aussage, die blickfangmäßig herausgestellt ist, auch ohne einen Sternchenhinweis aufgeklärt werden kann, wenn sich der Verbraucher vor einer geschäftlichen Entscheidung mit dem gesamten Text befassen wird. Eine geschäftliche Entscheidung ist nach den Vorgaben in Art. 2 Buchst. k der Richtlinie 2005/29 EG jede Entscheidung eines Verbrauchers darüber, ob, wie und unter welchen Bedingungen er einen Kauf tätigen will. Dieser Begriff umfasst zwar auch damit unmittelbar zusammenhängende Entscheidungen, wie beispielsweise das Aufsuchen des Ladengeschäfts. Dagegen ist die Entscheidung des Verbrauchers, sich mit einem beworbenen Angebot in einer Werbeanzeige überhaupt näher zu befassen, für sich gesehen noch keine geschäftliche Entscheidung, weil ihr der unmittelbare Zusammenhang mit einem Erwerbsvorgang fehlt (BGH aaO. Tz. 20).

Nach diesen Vorgaben müssen hier sämtliche Angaben der Werbeanzeige einschließlich der Erläuterungen in der Fußnote bei der Ermittlung der Verkehrserwartung berücksichtigt werden. Anders als in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall handelt es sich hier zwar nicht um das Angebot für ein langlebiges und kostspieliges Wirtschaftsgut, bei dem sich der Verbraucher erfahrungsgemäß intensiver mit dessen Umfang und den Kaufbedingungen beschäftigt. Die Werbeanzeigen gem. Anlagen AST 3 und AST 5 sind aber so gestaltet, dass der Verbraucher durch die blickfangmäßig hervorgehobene Aussage bzw. durch den vorangestellten oder in der Nähe des Blickfangs dargestellten Text noch gar keine Vorstellung davon erhält, welches Produkt überhaupt beworben wird und sich deshalb mit der kurzen und übersichtlich gestalteten Werbeanzeige beschäftigen wird:

Ein Interessent, der durch die Vorderseiten des Angebots AST 3 und/oder durch die blickfangmäßig hervorgehobene Aussage "Bei Magenta EINS inklusive" angelockt wird, weiß zunächst noch gar nicht, was bei "Magenta EINS" inklusive sein soll. Er muss erst den weiteren Text der Werbeanzeige lesen, um sich überhaupt eine Vorstellung von dem Angebot machen zu können. Dies wird auch durch die Ausführungen der Antragstellerin in ihrer Stellungnahme vom 19. November 2015 nicht in Zweifel gezogen.

Wenn sich der Interessent mit der Werbeanzeige beschäftigt, so stößt er unmittelbar auf die unter dem Blickfang angebrachte Überschrift "Mit der Handykarte, die mitwächst", unter der verschiedene Leistungen dieser "Handykarte" aufgeführt sind. Die hinter dem Wort "mitwächst" angebrachte Fußnote stellt sich erkennbar als Auflösung des Angebots der bis dahin nicht konkret bezeichneten "Handykarte" dar. Ein Verbraucher wird unter diesen Umständen eine geschäftliche Entscheidung erst dann treffen können, wenn er den gesamten Text der Werbeanzeige einschließlich des Fußnotentextes zur Kenntnis genommen hat. Im Fußnotentext wird erstmals der Produktname "Family Card Start" genannt und zugleich hinreichend klargestellt, dass "Magenta EINS - Kunden" lediglich von der monatlichen Grundgebühr, nicht aber von der Aktivierungsgebühr und von weiteren Telefonkosten befreit sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

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