OLG Frankfurt: Intertemporaler Anwendungsbereich der Neufassung des § 32 b ZPO
OLG Frankfurt, Beschluss vom 13.11.2013 - 11 SV 100/13
leitsatz
Wurde ein Rechtsstreit, bei dem Ansprüche im Zusammenhang mit unzureichenden öffentlichen Kapitalmarktinformationen geltend gemacht werden, nach § 696 Abs. 1 S. 4 ZPO durch Abgabe der Akten an das Prozessgericht nach dem 1.11.2012 anhängig, so ist hinsichtlich der Zuständigkeit § 32 b ZPO in der Fassung nach lnkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes
und zur Änderung anderer Vorschriften vom 19.10.2012 anwendbar.
Wird der Anbieter/die Zielgesellschaft nicht mitverklagt, kommt grundsätzlich dem Sitz der beratenden Bank - u.a. im Hinblick auf die örtliche Nähe zum Kläger und evtl. zu hörenden Zeugen - größeres Gewicht zu, als dem Sitz der allein aufgrund ihrer Verknüpfung zur Zielgesellschaft in Anspruch genommenen Bank.
Aus den Gründen
I. Der Kläger nimmt mit seiner beim Landgericht Frankfurt am Main eingereichten Klage die Beklagten als Gesamtschuldner auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Beratung im Zusammenhang mit seiner Beteiligung an dem geschlossenen X-Fonds in Anspruch. Im Rahmen der vorausgegangenen Mahnanträge hatte der Kläger jeweils als Streitgericht das Landgericht Frankfurt am Main angegeben. Nach Widerspruch wurden die Akten mit Verfügung vom 15.11.2012 an das Landgericht Frankfurt am Main abgegeben und gingen dort am 23.11.2012 ein.
Der Kläger zeichnete Ende 1994 eine Beteiligung an dem genannten Fonds in Höhe von 300.000 DM zuzüglich 5 % Agio. Vorausgegangen war eine Beratung des Klägers durch einen Mitarbeiter der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 1. in den Büroräumen der Beklagten zu 1. Die Beklagte zu 2. ist Rechtsnachfolgerin der A-Bank, die Initiatorin des Fonds und Gründungskommanditisten des Fonds war und zudem als Treuhänderin des Fonds fungierte.
Der Kläger behauptet, durch den Mitarbeiter der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 1. unzureichend über die mit der Anlage verbundenen Risiken aufgeklärt worden zu sein. Zudem enthalte der zu Grunde liegende Emissionsprospekt, welcher von der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 2. herausgegeben worden sei, wesentliche Fehler.
Er ist der Ansicht, dass die Beklagte zu 1. - als Rechtsnachfolgerin - wegen Verletzung der von der Rechtsvorgängerin geschuldeten anleger- und objektgerechten Beratung auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden könne. Die Beklagte zu 2. hafte als Rechtsnachfolgerin der Gründungs- und Treuhandkommanditistin unter dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung im weiteren Sinne. Auch die Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 2. habe die Verpflichtung getroffen, den Kläger über alle wesentlichen Punkte der Beteiligung zu informieren.
Der Kläger beantragt, das Landgericht Frankfurt am Main als gemeinsam zuständiges Gericht zu bestimmen.
Die Beklagte zu 1. regt an, das Landgericht München II als gemeinsam zuständiges Gericht zu bestimmen. Dort befinde sich nicht nur der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten zu 1., sondern habe auch das hier maßgebliche Beratungsgespräch stattgefunden. Der Beklagte zu 2. regt demgegenüber an, das Landgericht Frankfurt am Main als gemeinsam zuständiges Gericht zu bestimmen. Vor diesem Gericht seien bereits zahlreiche Parallelverfahren im Zusammenhang mit geschlossenen Immobilienfonds der B anhängig, so dass Gründe der Zweckmäßigkeit für die Bestimmung des Landgerichts Frankfurt am Main sprächen.
II. Auf den nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zulässigen Antrag ist von dem nach § 36 Abs. 2 ZPO dazu berufenen Senat das Landgericht München II als das gemeinsam zuständige Gericht zu bestimmen.
Nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO erfolgt auf Antrag eine Gerichtsstandsbestimmung, wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben (§§ 12, 17 ZPO), als Streitgenossen verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist. Diese Voraussetzungen liegen vor.
Für die Prüfung der Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist vom Vortrag des Klägers auszugehen. Eine Prüfung der Zulässigkeit oder Schlüssigkeit der Klage findet im Verfahren der Zuständigkeitsbestimmung nicht statt (Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 36 Rn. 18).
Die Beklagten haben ihren allgemeinen Gerichtsstand in verschiedenen Landgerichtsbezirken, die Beklagte zu 2. im Bezirk des Landgerichts Frankfurt am Main, die Beklagte zu 1. im Bezirk des Landgerichts München II.
Ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand der Beklagten ist nicht begründet. Er ergibt sich insbesondere nicht aus § 32 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, da die Anbieterin des streitgegenständlichen Fonds, die B Gesellschaft mbH in Stadt1 (Anlage 1), nicht mitverklagt wird. Weitere Anhaltspunkte für einen besonderen Gerichtsstand - insbesondere im Bezirk des Landgerichts Frankfurt am Main - liegen nicht vor. Die hier zu Grunde liegende Beratung seitens des Mitarbeiters der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 1. erfolgte im Gerichtsbezirk des Landgerichts München II und weist keine Bezüge zum Bezirk des Landgerichts Frankfurt am Main auf.
Soweit der Kläger im Rahmen der Mahnverfahren jeweils das Landgericht Frankfurt am Main als Streitgericht angegeben hatte, steht dies der Gerichtsstandsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht entgegen. Da die Beklagten - wie dargestellt - nicht über einen gemeinsamen Gerichtsstand verfügen, konnte auch mit der Angabe des - vermeintlich gemeinsamen - Streitgerichts im Mahnbescheidsantrag kein Wahlrecht i.S.v. § 35 ZPO in bindender Weise ausgeübt werden (Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 696 Rd. 10).
Streitgenossenschaft auf Beklagtenseite ist gegeben. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO findet bei allen Arten der passiven Streitgenossenschaft Anwendung (vgl. BGH NJW 1998, 686; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 36 Rn. 14 m.w.N.). Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche wegen Aufklärungspflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Vermittlung der Kommanditbeteiligungen an den Kläger, also aus im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Gründen i. S. d. §§ 59 ff ZPO.
Unter den in Betracht kommenden Gerichten erfolgt die Auswahl nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten und unter Berücksichtigung der Prozesswirtschaftlichkeit, wobei im Regelfall nur ein solches Gericht bestimmt werden kann, bei dem einer der in Anspruch genommenen Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand hat (vgl. BGH NJW 1987, 439). Vorschläge oder Anträge auf Bestimmung eines konkret benannten Gerichts sind als Anregungen aufzufassen.
Die Zweckmäßigkeit spricht vorliegend dafür, das Landgericht München II als zuständiges Gericht zu bestimmen.
Der Hauptschwerpunkt des Rechtsstreits liegt nach den Ausführungen der Klägerseite auf dem Vorwurf einer (vermeintlichen) Pflichtverletzung der Beklagten zu 1. aus einem Anlagevermittlungs- bzw. Beratungsvertrag. Demgegenüber könnte sich eine Haftung der Beklagten zu 2. lediglich aus ihrer Stellung als Gründungs- und Treuhandkommanditistin der Anlagegesellschaft ergeben.
Zwar hat nach der Rechtsprechung des Senats unter der Geltung des § 32 b ZPO a.F. (zuletzt Beschluss des Senats vom 15.7.2013, Az: 11 AR 38/13 zitiert nach juris) - auf die sich der Klägervertreter vorliegend u.a. beruft - der Gerichtsstand derjenigen Antragsgegner, die wegen Verletzung des Anlagevermittlungs- bzw. Beratungsvertrages in Anspruch genommen werden, regelmäßig zugunsten des Gerichtstandes des Anbieters der Vermögensanlage zurückzutreten, wenn erkennbar eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten von enttäuschten Anlegern gegen die Anlagegesellschaft, gesellschaftsnahe Personen, Vermittler etc. anhängig gemacht wurden oder noch werden, die in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht gleich oder ähnlich liegen und die vor dem Hintergrund der geltend gemachten Ansprüche ohne Aufklärung der Verhältnisse der Anlagegesellschaft nicht sachgerecht beurteilt werden können.
Diese Erwägungen gelten nach der Neufassung des § 32 b ZPO durch das Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften, welches zum 1.11.2012 in Kraft trat, indes nicht mehr.
Vorliegend ist § 32 b ZPO in der seit dem 1.11.2012 geltenden neuen Fassung anwendbar. Das Gesetz selbst enthält zwar keine Übergangsvorschriften. Der Senat hält es - wie bereits im Rahmen des Beschlusses vom 15.7.2013, Az: 11 AR 38/13) ausgeführt - für sachgerecht, u.a. im Hinblick auf vergleichbare Gesetzesänderungen auf den Zeitpunkt der Anhängigkeit abzustellen. Diese trat mit Eingang der Akten beim Landgericht Frankfurt am Main am 23.11.2012 und damit nach Inkrafttreten der Neuregelung des § 32 b ZPO ein.
Ausweislich der Gesetzesbegründung für die Neufassung des § 32 b ZPO ist das Gewicht des Sitzes der beratenden Bank nunmehr grundsätzlich höher zu bewerten als das Gewicht der allein aufgrund ihrer Verknüpfung mit der Zielgesellschaft in Anspruch genommenen Bank, sofern die Zielgesellschaft - wie hier - selbst nicht auch Partei des Rechtsstreits ist. Demnach erscheint es nicht sinnvoll, auch in den Fällen, in denen die Zielgesellschaft nicht mitverklagt wird, eine ausschließliche Zuständigkeit am Ort der Zielgesellschaft vorzusehen, sofern keiner der Beteiligten dort auch einen Gerichtsstand aufweist (BT-Drucksache 17/8799, S. 27). Vielmehr befinde sich - so die Gesetzesbegründung - die beratende Bank häufig in örtlicher Nähe zum Kläger, so dass eine Verlagerung des Rechtsstreits an einen anderen, unter Umständen weit entfernten Gerichtsort unverhältnismäßig erschiene (ebenda).
Vor dem Hintergrund des erklärten gesetzgeberischen Willens und der im Rahmen von § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zu berücksichtigenden Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit und Prozessökonomie ist demnach auch hier dem allgemeinen Gerichtsstand der beratenden Bank im Bezirk des Landgerichts München II das größere Gewicht beizumessen. Dafür spricht auch die örtliche Nähe zu möglicherweise zu hörenden Zeugen, die - wie von der Beklagten zu 1. vorgetragen - in regionaler Nähe zur beratenden Bank wohnhaft sein dürften.