BGH: Internationaler Warenkauf - Eignung der Ware für den gewöhnlichen Gebrauch und Schadensverteilung bei mitwirkenden Pflichtverletzungen beider Vertragsparteien
BGH, Urteil vom 26.9.2012 - VIII ZR 100/11
Amtliche Leitsätze
1. Um den Anforderungen an den gewöhnlichen Gebrauch im Sinne von Art. 35 Abs. 2 Buchst. a CISG gerecht zu werden, muss sich eine gelieferte Ware für diejenigen Verwendungsmöglichkeiten eignen, die nach ihrer stofflichen und technischen Auslegung und der hieran anknüpfenden Verkehrserwartung nahe liegen. Bleiben die tatsächlich vorhandenen Verwendungsmöglichkeiten dahinter zurück, fehlt der Ware die Eignung zum gewöhnlichen Gebrauch, sofern der Verkäufer die bestehende Einschränkung nicht deutlich macht.
2. Die im UN-Kaufrechtsübereinkommen nicht ausdrücklich geregelte Frage, wie Fallgestaltungen zu behandeln sind, in denen die Vertragsparteien zum entstandenen Schaden unabhängig voneinander durch jeweils eigenständige Pflichtverletzungen beigetragen haben, ist gemäß Art. 7 Abs. 2 CISG durch Rückgriff auf die den Art. 77 und 80 CISG zugrunde liegenden allgemeinen Grundsätze dahin zu entscheiden, dass bei teilbaren Rechtsbehelfen wie dem Schadensersatz die jeweiligen Verursachungsbeiträge bei der Schadensverteilung angemessen zu berücksichtigen sind.
CISG Art. 7, Art. 35, Art. 40, Art. 45, Art. 74, Art. 77, Art. 80
Sachverhalt
Die in Deutschland ansässige Beklagte gewinnt und vertreibt mineralische Rohstoffe. Ihre Rechtsvorgängerinnen (im Folgenden einheitlich: Beklagte) belieferten die in den Niederlanden ansässige Klägerin, die dort tiefgekühlte Kartoffelprodukte herstellt, in langjähriger Geschäftsbeziehung mit gemahlenem Ton (Kaolinit) unter der Bezeichnung "Aardappelbescheidingsklei A 01" (Kartoffelseparierungston A 01) zur Sortierung von Kartoffeln. Hierzu wird ein Ton-Wasser-Bad hergestellt, in dem die stärkeärmeren Kartoffeln aufgrund ihres geringeren spezifischen Gewichts von den zur Lebensmittelverarbeitung benötigten stärkereicheren Kartoffeln getrennt werden. Die Klägerin veräußert anschließend die ausgeschiedenen stärkeärmeren Kartoffeln zusammen mit den Schälabfällen der stärkereicheren Kartoffeln an Futtermittelhersteller zur Weiterverwertung in Tierfutter.
Im Jahre 1999 war in Ton, der aus Tongruben im Westerwald gewonnen wurde, eine erhebliche natürliche Dioxinbelastung festgestellt worden, darunter auch in Ton aus der der Beklagten gehörenden Tongrube R. Der Beklagten war daraufhin durch Ordnungsverfügung untersagt worden, ihre Mahltone in den Verkehr zu bringen, "soweit sie dazu bestimmt sind, bei der Herstellung von Futtermitteln als Zusatzstoff verwendet zu werden". Im Zeitraum von Juli bis Oktober 2004 belieferte die Beklagte die Klägerin mit einem in der Tongrube R. gewonnenen "Aardappelbescheidingsklei A 01". Die Klägerin setzte den Ton in der beschriebenen Weise zur Separierung der Kartoffeln ein und lieferte die dabei ausgeschiedenen Kartoffeln einschließlich der Schälreste an Futtermittelhersteller. Nachdem im Herbst 2004 in Milch und Milchprodukten aus niederländischer Produktion erhöhte Dioxinwerte festgestellt worden waren, ergab eine Anfang November 2004 durchgeführte Überprüfung der bei der Klägerin vorhandenen Bestände des von der Beklagten gelieferten Tons einen Dioxingehalt, der weit über dem Grenzwert für KaolinitTone und andere in der Tierernährung zur Verwendung als Bindemittel, Fließhilfsstoffe oder Gerinnungshilfsstoffe zugelassene Zusatzstoffe lag. Dies rügte die Klägerin, in deren Kartoffelprodukten keine erhöhten Dioxinwerte gemessen wurden, unter dem 4.11.2004 gegenüber der Beklagten.
Die Feststellungsklage, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin und deren Haftpflichtversicherer sämtlichen Schaden zu ersetzen, der ihnen durch die Lieferung dioxinhaltiger Tonerde im Jahre 2004 an die Klägerin entstanden ist und noch entstehen wird, hat das LG abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG der Klage mit der Einschränkung stattgegeben, dass eine Ersatzverpflichtung der Beklagten nicht über den Betrag der Vermögensnachteile hinaus besteht, die der Klägerin entstanden wären, wenn sie durch Ergreifen der erforderlichen Maßnahmen verhindert hätte, dass Dioxin mit oder aus der gelieferten Tonerde in einer unzulässigen Konzentration in Futtermittel gelangt. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin hatte teilweise, die Revision der Beklagten dagegen keinen Erfolg
Aus den Gründen
16 II. ... Die Beklagte ist der Klägerin auf der Grundlage des hier zur Anwendung kommenden UN-Kaufrechtsübereinkommens (Art. 1 Abs. 1 Buchst. a CISG, Art. 3 Abs. 2 S. 1 EGBGB a. F.) gemäß Art. 45 Abs. 1 Buchst. b, Art. 74 CISG zum Schadenersatz verpflichtet. Sie hat ihre Pflicht zur Lieferung vertragsgemäßer Ware verletzt, weil der gelieferte Separierungston den Anforderungen des Vertrages im Sinne von Art. 35 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a CISG nicht entsprochen hat. Allerdings kann die Klägerin hierfür keinen vollen Schadensersatz beanspruchen. Denn sie hat selbst in schwerwiegender Weise gegen ihre Produktverantwortlichkeit bei dem Inverkehrbringen von (Vor)Produkten für die Futtermittelherstellung verstoßen und dadurch einen eigenen, bei der Bemessung des Ersatzanspruchs zu berücksichtigenden Beitrag zur Schadensentstehung geleistet.
- ► Mangelhaftigkeit des gelieferten Tons, da er nicht dem in Art. 35 Abs. 2 Buchst. a CISG geregelten Begriff der Anforderungen an die Tauglichkeit einer Ware zum gewöhnlichen Gebrauch entsprach
17 1. Das Berufungsgericht hat auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen die Frage der Mangelhaftigkeit des gelieferten Separierungstons zu Unrecht offen gelassen.
18 a) Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass der von der Klägerin als Herstellerin von Lebensmitteln ohne weitere Konkretisierung von Eigenschaften oder Beschaffenheitsanforderungen bestellte Mahlton (Kaolinit) angesichts seiner Produktbezeichnung als "Aardappelbescheidingsklei A 01" nicht nur technisch als Trennmittel zur Separierung von Kartoffeln geeignet sein musste. Er musste wegen seines Einsatzes als Verarbeitungshilfsstoff bei der Lebensmittelherstellung gemäß Art. 35 Abs. 1, 2 Buchst. b CISG auch den dafür bestehenden lebensmittelrechtlichen Anforderungen genügen ... Der Ton musste bei seiner üblichen Verwendung ... zugleich den bestehenden futtermittelrechtlichen Anforderungen genügen.
19 b) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht dagegen angenommen, dies sei deswegen der Fall, weil der dioxinbelastete Ton entsprechend den Behauptungen der Beklagten nach Sortierung der Kartoffeln durch Abwaschen vollständig und problemlos hätte entfernt werden können. Diese Auffassung engt den in Art. 35 Abs. 2 Buchst. a CISG geregelten Begriff der Anforderungen an die Tauglichkeit einer Ware zum gewöhnlichen Gebrauch angesichts der mit der Dioxinbelastung einhergehenden Verwendungseinschränkungen unzulässig ein.
20 aa) Nach Art. 35 Abs. 2 Buchst. a CISG entspricht eine gelieferte Ware, für die - wie hier - nichts anderes vereinbart ist, dem Vertrag nur, wenn sie sich für die Zwecke eignet, für die Ware der gleichen Art gewöhnlich gebraucht wird. Sie wird also den Anforderungen an ihren gewöhnlichen Gebrauch im Sinne dieser Bestimmung nur gerecht, wenn sie ganz allgemein den Erwartungen entspricht, die ein durchschnittlicher Nutzer bei Anlegung eines objektiven Maßstabs unter üblichen Verwendungsbedingungen zur Verwirklichung des normalen Gebrauchszwecks an sie stellt (Staudinger/Magnus, BGB, Neubearb. 2005, Art. 35 CISG Rn. 18 m. w. N.). Zwar muss sich eine Ware, um diesen Verkehrserwartungen zu genügen, nicht für alle theoretisch denkbaren Verwendungsformen und Verwendungsmöglichkeiten eignen, sondern nur für diejenigen, die nach ihrer stofflichen und technischen Auslegung und der hieran anknüpfenden Verkehrserwartung nahe liegen. Wird allerdings eine an sich nahe liegende Verwendung von den tatsächlich vorhandenen Verwendungs- und Einsatzmöglichkeiten nicht mehr abgedeckt, fehlt ihr die von Art. 35 Abs. 2 Buchst. a CISG geforderte Eignung zum gewöhnlichen Gebrauch, sofern der Verkäufer die bestehende Einschränkung nicht deutlich macht (Achilles, Kommentar zum UN-Kaufrechtsübereinkommen, 2000, Art. 35 Rn. 4; vgl. ferner Staudinger/Magnus, a. a. O. Art. 35 Rn. 20; Piltz, Internationales Kaufrecht, 2. Aufl., Rn. 545; Kröll in Kröll/Mistelis/Viscasillas, UN Convention on Contracts for the International Sale of Goods, 2011, Art. 35 Rn. 69; MünchKommBGB/ Gruber, 6. Aufl., Art. 35 CISG Rn. 16; jeweils m. w. N.).
21 bb) So liegt es im Streitfall. Entgegen der Sichtweise des Berufungsgerichts ist der gelieferte Ton allein schon wegen der besonderen Verwendungsanforderungen, die aufgrund der Dioxinverunreinigung und des dadurch selbst nach den Behauptungen der Beklagten unabdingbaren Erfordernisses einer anschließenden Reinigung der separierten Kartoffeln bestanden haben, nachteilig hinter den Verkehrserwartungen zurückgeblieben ...
- ► Die Klägerin hat ihr Recht, sich auf die Vertragswidrigkeit zu berufen, nicht wegen verspäteter Anzeige verloren
22 2. Die Klägerin hat ihr Recht, sich auf die Vertragswidrigkeit des gelieferten Tons zu berufen, nicht gemäß Art. 39 Abs. 1 CISG dadurch verloren, dass sie der Beklagten die Vertragswidrigkeit nicht innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Zeitpunkt angezeigt hat, in dem sie - wie von der Beklagten geltend gemacht - die Vertragswidrigkeit hätte feststellen müssen.
23 a) Das Berufungsgericht hat zwar in anderem Zusammenhang angenommen, dass die Klägerin sich über die Ungefährlichkeit des gelieferten Tons hätte vergewissern und ihn zu diesem Zweck in eigener Verantwortung auf eine eventuelle Überschreitung der zulässigen Dioxinwerte hätte kontrollieren können. Jedoch kann dahinstehen, ob die Klägerin eine aus Art. 38 f. CISG folgende Obliegenheit zur Untersuchung der Ware und zur Anzeige sich danach ergebender Vertragswidrigkeiten, die lediglich im Interesse der Vertragsparteien untereinander zur alsbaldigen Klärung einer Tauglichkeit der gelieferten Ware und der daraus zu ziehenden Folgerungen besteht (vgl. Staudinger/Magnus, a. a. O. Art. 39 Rn. 3; Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, 5. Aufl., Art. 38 Rn. 4), verletzt hat. Denn die Beklagte kann sich hierauf jedenfalls gemäß Art. 40 CISG nicht berufen, weil sie über die Dioxinverunreinigung des gelieferten Tons und ein daraus folgendes, den gewöhnlichen Gebrauch von Kartoffelseparierungston im Sinne von Art. 35 Abs. 2 Buchst. a CISG einschränkendes Erfordernis, die separierten Kartoffeln in einem zusätzlichen Waschvorgang zu reinigen, nicht in Unkenntnis sein konnte und weil sie der Klägerin diesen Umstand nicht offenbart hat.
24 b) ... c) ...
- ► Allerdings ist der Schadensersatzanspruch der Klägerin zu mindern
26 3. Die Klägerin kann danach gemäß Art. 45 Abs. 1 Buchst. b, Art. 74 Abs. 1 CISG den Ersatz des Schadens beanspruchen, der ihr daraus entstanden ist und noch entstehen wird, dass die Beklagte ihre nach Art. 35 Abs. 1, 2 Buchst. a CISG bestehende Pflicht verletzt hat, Kartoffelseparierungston zu liefern, der den vorstehend unter II 1 b bb beschriebenen Anforderungen des Vertrages entspricht, und dadurch aufgrund des Dioxingehalts des Tons eine hier eingetretene Verwendungsgefahr geschaffen hat, mit der bei normalem Gebrauch nicht zu rechnen war (vgl. Staudinger/Magnus, a. a. O. Art. 35 CISG Rn. 18 m. w. N.). Allerdings ist dieser Schadensersatz zu mindern, weil die Klägerin selbst in schwer wiegender Weise ihrer Produktverantwortlichkeit für die in die Futtermittelproduktion gegebenen ausgesonderten Kartoffeln und Kartoffelreste nicht genügt und dadurch einen ihr anzulastenden eigenen Beitrag zur Entstehung des durch die mangelhafte Lieferung verursachten (Regress)Schadens geleistet hat.
27 a) Die Klägerin war - wie das Berufungsgericht mit Recht annimmt - ihrerseits verpflichtet, angemessene Vorkehrungen dagegen zu treffen, dass von den von ihr in den Verkehr gebrachten Futtermitteln oder den dafür bestimmten Vorprodukten Gesundheitsgefahren für Mensch oder Tier in der nachfolgenden Futter und Nahrungsmittelkette ausgehen. Daran fehlt es ... [wird ausgeführt].
- ► Denn im Umfang des Gewichts ihrer eigenen Sorgfaltspflichtverletzung kann sich die Klägerin der Beklagten gegenüber nicht auf deren Pflichtverletzung berufen
30 b) Im Umfang des Gewichts ihrer eigenen Sorgfaltspflichtverletzung kann sich die Klägerin gegenüber der Beklagten nicht auf deren Pflichtverletzung durch Lieferung vertragswidrigen Tons berufen, so dass ihr Schadensersatzanspruch entsprechend zu kürzen ist.
- ► Allerdings kann die Kürzung weder unmittelbar auf Art. 77 CISG noch auf Art. 80 CISG gestützt werden
31 aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann eine Kürzung des der Klägerin zustehenden Schadensersatzes aufgrund des Beitrags, den sie durch ihre vorstehend unter II 3 a aa beschriebene Sorgfaltspflichtverletzung selbst zur Schadensverursachung geleistet hat, allerdings nicht unmittelbar auf Art. 77 CISG gestützt werden. Nach dieser Bestimmung kann in Fällen, in denen eine Partei es versäumt, alle den Umständen nach angemessenen Maßnahmen zur Verringerung des aus der Vertragsverletzung folgenden Verlusts zu treffen, die vertragsbrüchige Partei Herabsetzung des Schadens in Höhe des Betrages verlangen, um den der Verlust hätte verringert werden sollen. Allerdings erfasst die Vorschrift nur diejenigen Fälle, in denen die ersatzberechtigte Partei es nach Kenntniserlangung von den Umständen des (drohenden) Schadenseintritts unter Verstoß gegen eine dann einsetzende Obliegenheit unterlassen hat, den durch eine Vertragsverletzung der anderen Partei verursachten Schaden durch Vornahme angemessener Maßnahmen zu mindern oder den durch eine Vertragsverletzung der anderen Partei drohenden Schaden zu vermeiden (vgl. Senatsurteil vom 24.5.1999 - VIII ZR 121/98, BGHZ 141, 129, 135 f.; Staudinger/Magnus, a. a. O. Art. 77 Rn. 5, 8, 11; Piltz, a. a. O. Rn. 5555). Eine solche Kenntnis von den Umständen des (drohenden) Schadenseintritts, die der Klägerin hätten Anlass geben müssen, in den (drohenden) Schadensverlauf durch schadensmindernde Maßnahmen einzugreifen, stellt das Berufungsgericht indessen nicht fest. Dafür besteht auch sonst kein Anhalt.
32 Ebenso wenig kann - wie das Berufungsgericht mit Recht annimmt - eine Kürzung des Schadensersatzes unmittelbar auf Art. 80 CISG gestützt werden, wonach sich eine Partei auf die Nichterfüllung von Pflichten durch die andere Partei nicht berufen kann, soweit diese Nichterfüllung durch ihre Handlung oder Unterlassung verursacht wurde. Denn die Klägerin hat die in der Lieferung vertragswidrigen Tons liegende Vertragsverletzung der Beklagten nicht mitverursacht. Dass sie im Verhältnis zur Beklagten die Anforderungen an den zu liefernden Ton nicht näher spezifiziert und insbesondere nicht ausdrücklich auf das Erfordernis einer Dioxinfreiheit hingewiesen hat, stellt keinen berücksichtigungsfähigen Mitverursachungsbeitrag dar. Denn es lag auch für die Beklagte auf der Hand, dass der zu dem beschriebenen Zweck bestellte Ton kein Dioxin enthalten durfte, so dass diese Selbstverständlichkeit keiner ausdrücklichen Erwähnung bedurfte.
- ► Die im CISG nicht geregelte Frage, was bei jeweils eigenständigen Pflichtverletzungen der Vertragsparteien gilt, ist durch Lückenfüllung nach Art. 7 CISG zu beantworten
33 bb) Die im UN-Kaufrechtsübereinkommen nicht ausdrücklich entschiedene Frage, wie Fallgestaltungen zu behandeln sind, in denen - wie hier - die Vertragsparteien zum entstandenen Schaden unabhängig voneinander durch jeweils eigenständige Pflichtverletzungen beigetragen haben, ist gemäß Art. 7 Abs. 2 CISG durch Rückgriff auf die insbesondere den Art. 77 und 80 CISG zugrunde liegenden allgemeinen Grundsätze zu entscheiden.
34 (1) Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass beide Vorschriften einen besonderen Ausdruck des in Art. 7 Abs. 1 CISG geregelten Gebots darstellen, die Wahrung des guten Glaubens im internationalen Handel zu fördern (Staudinger/Magnus, a. a. O. Art. 77 CISG Rn. 2, Art. 80 CISG Rn. 2; Schwenzer, a. a. O. Art. 77 Rn. 1; MünchKomm-BGB/Huber, a. a. O., Art. 77 CISG Rn. 1, Art. 80 CISG Rn. 1; MünchKomm-HGB/Mankowski, 2. Aufl., Art. 80 CISG Rn. 1; Brunner, UN-Kaufrecht, 2004, Art. 77 Rn. 1, Art. 80 Rn. 1; Rathjen, RIW 1999, 561, 565). Dabei geht Art. 77 CISG auf den verallgemeinerungsfähigen Grundgedanken zurück, dass ein in zumutbarer Weise vermeidbarer Schaden nicht entschädigungswürdig ist (Schwenzer, a. a. O.; Staudinger/Magnus, a. a. O. Art. 77 CISG Rn. 2; MünchKomm-BGB/Huber, a. a. O. Art. 77 CISG Rn. 1; Brunner, a. a. O. Art. 77 Rn. 1), während Art. 80 CISG Ausdruck des Verbots widersprüchlichen Verhaltens ist und den allgemeinen Gedanken formuliert, dass ein Gläubiger aus eigenem schadensbegründenden Verhalten keinen Vorteil ziehen darf (Staudinger/Magnus, a. a. O. Art. 80 CISG Rn. 2; Brunner, a. a. O. Art. 80 Rn. 1; MünchKomm-BGB/Huber, a. a. O. Art. 80 CISG Rn. 1; Rathjen, a. a. O.). Zugleich lassen beide Vorschriften (Art. 77 CISG: "...Herabsetzung des Schadens in Höhe des Betrags..., um den der Verlust hätte verringert werden sollen"; Art. 80 CISG: "... soweit diese Nichterfüllung durch ihre Handlung oder Unterlassung verursacht wurde") erkennen, dass die Rechtsfolge einer Schadensmitverursachung durch den Gläubiger nicht dessen Anspruchsverlust sein soll, sondern dass im Falle beiderseitiger Schadensverursachung jedenfalls bei teilbaren Rechtsbehelfen wie dem Schadensersatz die jeweiligen Beiträge bei der Schadensverteilung durch Bewertung, Gewichtung und Abwägung zu berücksichtigen sind (Schwenzer, a. a. O. Art. 80 Rn. 7; Staudinger/Magnus, a. a. O. Art. 80 CISG Rn. 14; MünchKomm-BGB/Huber, a. a. O. Art. 80 CISG Rn. 6; Atamer in Kröll/Mistelis/ Viscasillas, a. a. O. Art. 80 Rn. 17; Rathjen, a. a. O.; jeweils mwN).
35 (2) Diesen allgemeinen Grundsätzen entsprechend ist der der Klägerin entstandene Schaden vorliegend dahin zu verteilen, dass die Klägerin ihren Schaden zur Hälfte selbst zu tragen hat. Dazu bedarf es keiner weiteren tatrichterlichen Feststellungen, so dass der Senat die Schadensverteilung selbst vornehmen kann. Denn das Berufungsgericht hat die zu den einzelnen Schadensbeiträgen der Parteien und ihrem Gewicht erforderlichen Feststellungen bereits getroffen und sich lediglich durch die von ihm für unmittelbar anwendbar erachtete Vorschrift des Art. 77 CISG rechtsfehlerhaft in der Rechtsfolge dahin gebunden gesehen, dass die Klägerin nur Ersatz derjenigen Vermögensnachteile sollte beanspruchen können, welche sie (noch) gehabt hätte, wenn sie die notwendigen Maßnahmen zur Verringerung des Schadens ergriffen hätte.
36 Im Rahmen der erforderlichen Gewichtung und Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge ist zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigen, dass der von ihr gelieferte Ton nicht nur den beschriebenen Mangel aufwies, sondern dass sie die Klägerin zudem über den ihr bekannten Dioxingehalt im Unklaren gelassen und dadurch in schwer wiegender Weise das Risiko eines Fehlgebrauchs durch die Klägerin erhöht hat. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin selbst jede Sorgfalt im Umgang mit dem in die Futtermittelverwertung gelangten Ton hat vermissen lassen, obgleich ihr die Gefahr einer Dioxinverunreinigung und die damit verbundenen Risiken nicht hatten verborgen bleiben können. Beide Parteien haben ihre Pflichten dadurch in einem unabhängig voneinander zum Schadenseintritt führenden Ausmaß verletzt, das in seiner Schwere etwa gleich wiegt und deshalb eine hälftige Schadensteilung rechtfertigt, worüber zugleich im hier gegebenen Verfahren über den Grund des Anspruchs zu entscheiden ist (vgl. Senatsurteil vom 24.3.1999 - VIII ZR 121/98, a. a. O.).
- ► Das Konkurrenzverhältnis von nationalem Deliktsrecht und UN-Kaufrecht bedarf im Streitfall keiner Entscheidung
37 4. Über die von der Revision der Klägerin weiter zur Überprüfung durch den Senat gestellte Frage, ob und inwieweit nationales Deliktsrecht bei den von der Klägerin geltend gemachten Schäden neben den für eine Verletzung vertraglicher Pflichten im UN-Kaufrecht vorgesehenen Rechtsbehelfen zur Anwendung kommen kann (zum Meinungsstand Staudinger/Magnus, a. a. O. Art. 5 CISG Rn. 11 ff.; Piltz, a. a. O. Rn. 2139 ff.; Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer, a. a. O. Art. 5 Rn. 12; jeweils m. w. N.), ist eine Entscheidung nicht veranlasst. Dieses Konkurrenzverhältnis bedarf vorliegend schon deshalb keiner näheren Klärung, weil man im Falle eines etwaigen deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruchs der Klägerin über den dann anwendbaren § 254 BGB in gleicher Weise zu der vorstehend beschriebenen Schadensteilung käme.
38 III. Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat hat, da der Rechtsstreit - wie aufgezeigt - nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif ist, in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 1 S. 1 ZPO). Dies führt unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zur erkannten Schadensteilung.