R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Wirtschaftsrecht
30.08.2012
Wirtschaftsrecht
LG Berlin: Interimsversorgung bei Kündigung eines Stromlieferungsvertrags

LG Berlin, Urteil vom 09.08.2012 - 5 O 429/10


Leitsatz


Stromlieferungsvertrag: Wenn nach Kündigung eines Sonderkundenvertrages kein neuer Vertrag geschlossen wird, der Kunde jedoch weiter Strom abnimmt und der Stromversorger weiter Strom liefert (sog. Interimsversorgung), dann ist bezüglich dieser Interimsversorgung nicht nach den allgemeinen Tarifen abzurechnen und die AVBEitV kommt nicht in Betracht. In derartigen Fällen ist vielmehr regelmäßig davon auszugehen, daß ein neuer Sonderabnahmevertrag zustande gekommen ist und das Versorgungsunternehmen in entsprechender Anwendung der §§ 315, 316 BGB berechtigt ist, nach billigem Ermessen die Höhe des Strompreises zu bestimmen. Die Substantiierung der Billigkeit der Preisbestimmung erfordert die Offenlegung der Kalkulation durch den Stromversorger (vgl.: BGH, Urteil vom 19.1.1983 - VIII ZR 81/92 -; OLG München, Urteil vom 14.10.1998 - 3 U 3587/98)


Sachverhalt


Die Klägerin begehrt - nach Rücknahme der Klage gegen die Beklagte zu 1. - von der Beklagten zu 2. die Bezahlung von Stromlieferungen an die Abnahmestelle Bürohaus M., ... 93 in ... Berlin (Zählernummer: ...).


Die Klägerin ist ein örtlicher Stromversorger und begehrt von der Beklagten zu 2. die Bezahlung von Stromlieferungen an die oben genannte Verbrauchsstelle in der Zeit vom 01.10.2006 bis zum 31.12.2006, die sie nach den Tarifpreisen ihres Produkts "..." mit Rechnung vom 24.01.2007 in Höhe von 5.249,12 € für den Verbrauch von 29.007 kWh abgerechnet hat.


Die Klägerin hat mit der Klage zunächst die Beklagte zu 1. auf Ausgleich dieser Rechnung in Anspruch genommen. Nachdem die Beklagte zu 1. darauf hingewiesen hat, dass sie Eigentümerin des Büro- und Geschäftshauses K. Str. 15 - 19 ist, dort von der Klägerin Strom bezogen hat und die von der Klägerin für die dortige Stromentnahme in der Zeit vom 01.10.2006 bis zum 31.12.2006 gelegte Rechnung vom 24.01.2007 zur Zählernummer: ... (Bl. 13 f. d. A.) ausgeglichen hat, hat die Klägerin die Klage gegen die Beklagte zu 1. im Termin am 24.11.2011 zurückgenommen. Bereits mit dem am 03.03.2011 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vom 03.03.2011 (Bl. 17 f. d. A.), der Beklagten zu 2. zugestellt am 14.03.2011 (Bl. 22 d. A.) hatte die Klägerin die auf ihre oben genannte Rechnung betreffend das Grundstück ... 93 gestützte Klageforderung auch gegen die Beklagte zu 2. geltend gemacht, die sie nunmehr alleine auf Ausgleich der Klageforderung in Anspruch nimmt.


Die Beklagte zu 2. betreibt auf dem Grundstück ... 93 ein gewerblich vermietetes Bürohaus und wurde von der Rechtsvorgängerin der Klägerin, der B. AG, auf der Grundlage des schriftlichen Vertrages vom 16./21.03.2001 (Bl. 66 - 69 d. A.) mit Strom beliefert. Dieser schriftliche Vertrag ist - nach dem Vortrag der Klägerin - von der Klägerin zum 30.09.2005 gekündigt worden. Der Zugang eines Kündigungsschreibens wird von der Beklagten zu 2. bestritten. Weiter unstreitig hat die B. AG und Co. KG der Beklagten zu 2. mit Schreiben vom 04.10.2005 (Bl. 93 f. d. A.) die Belieferung des Grundstücks ... 93 zur Zählernummer: ... zu den Konditionen der Interimsversorgung bestätigt. Mit Schreiben vom 03.04.2006 (Bl. 96 d. A.), in dem es im Betreff heißt:


"Vertragskonto: ... Interimsversorgung"


hat die Klägerin die Höhe der von der Beklagten zu 2. zu zahlenden Abschläge mitgeteilt. Mit Turnusrechnung vom 13.10.2006 (Bl. 97 d. A.) in der im Betreff ebenfalls der Begriff "Interimsversorgung" angegeben ist, hat die Klägerin ihre Stromlieferung für die Zeit vom 01.10.2005 bis zum 30.09.2006 abgerechnet. Mit der klagegegenständlichen Schlussrechnung vom 24.01.2007, in der im Betreff ebenfalls der Begriff "Interimsversorgung" angegeben ist, macht die Klägerin nunmehr für Stromlieferungen in der Zeit vom 01.10.2006 bis zum 31.12.2006 ein Entgelt in Höhe der Klageforderung geltend.


Die Beklagte zu 2. erhebt die Einrede der Verjährung.


Die Klägerin meint, zwischen den Parteien sei es zu einem Vertragsschluss gemäß § 2 Abs. 2 AVBEltV gekommen, indem die Beklagte zu 2. ohne Abschluss eines schriftlichen Vertrages Strom entnommen habe. Auf dieses Vertragsverhältnis sei die AVBEltV anzuwenden. Sie behauptet, die Beklagte zu 2. habe zu dem Sonderkundenvertrag auf eine andere Zählernummer als die hier streitgegenständliche Zählernummer ... Bezug genommen, so dass es bei dem streitgegenständlichen Vertrag nicht um eine Interimsversorgung zu diesem Sonderkundenvertrag gehen könne. Es handele sich vielmehr um eine Ersatzversorgung. Eine Verjährung der Klageforderung sei nicht gegeben, da zwischen den Parteien Verhandlungen stattgefunden hätte.


Nachdem die Klägerin die Klage gegen die Beklagte zu 1. zurückgenommen hat, beantragt sie nunmehr,


die Beklagte zu 2. zu verurteilen, an sie 5.249,12 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.02.2007 zu zahlen.


Die Beklagte zu 2. beantragt,


die Klage abzuweisen.


Sie meint, der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch sei verjährt, da die Verjährungsfrist mit Ablauf des 31.12.2006 begonnen und mit Ablauf des 31.12.2009 abgelaufen sei. Die Gespräche im Jahre 2010 hätten die Verjährung daher nicht mehr hemmen können. Die AVBEltV finde keine Anwendung, da eine Sondervertragsbeziehung bestehe.


Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.


Aus den Gründen


Die Klage ist unbegründet.


Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 2. keinen Anspruch auf Zahlung von 5.249,12 € für Stromlieferungen in der Zeit vom 01.10.2006 bis 31.12.2006 an die Verbrauchsstelle ... 93, denn ein Tarifvertrag "..." ist zwischen den Parteien nicht zustande gekommen, so dass die Klägerin ihren Anspruch gegen die Beklagte zu 2. nicht auf die Preisbestimmung nach dem Tarif "..." stützen kann. Nach der Kündigung des Sonderkundenvertrages fand durch die Klägerin vielmehr eine so genannte Interimsversorgung statt.


Zwischen den Parteien bestand zunächst der Sonderkundenvertrag vom 16./21.03.2001, der nach dem Vortrag der Klägerin von der B. zum 30.09.2005 gekündigt worden ist (Schriftsatz vom 23.03.2012, Bl. 91 d. A.). Anschließend teilte die B. der Beklagten zu 2. mit Schreiben vom 04.10.2005 mit, dass die Interimsversorgung begonnen habe, weil die Beklagte zu 2. trotz Kündigung weiter Strom entnommen habe (Schriftsatz vom 23.03.2012, Bl. 91 d. A. unten). In diesem Schreiben der B. vom 04.10.2005 (Bl. 93 d. A.) ist die Zählernummer ... angegeben. Mit Schreiben vom 03.04.2006 wurde der Beklagten zu 2. dann nochmals eine Vertragsbestätigung mit der streitgegenständlichen Vertragskontonummer übersandt (Schriftsatz vom 23.03.2012, Bl. 92 d. A. oben). Dieses Schreiben der B. vom 03.04.2006 (Bl. 95 f. d. A.) bezieht sich ebenfalls auf die Interimsversorgung und die Zählernummer .... Mit Rechnung vom 13.10.2006 erteilte die Rechtsvorgängerin der Klägerin der Beklagten zu 2. eine erste Turnusabrechnung für die Zeit vom 01.10.2005 bis 30.09.2006 (Schriftsatz vom 23.03.2012, Bl. 92 d. A.). Diese Turnusabrechnung (Bl. 97 - 100 d. A.) bezieht sich ebenfalls ausdrücklich auf die Interimsversorgung und die Zählernummer .... Anschließend legte die Rechtsvorgängerin der Klägerin die hier streitgegenständliche Schlussrechnung vom 24.01.2007, die sich wiederum ausdrücklich auf die Interimsversorgung bezieht und die Zählernummer ... angibt.


Mit Schriftsatz vom 14.05.2012 (Bl. 114 f. d. A.) vertieft die Klägerin ihren Vortrag zur Interimsversorgung der Beklagten zu 2., indem sie vorträgt, streitgegenständlich sei das Lieferverhältnis bezüglich der Zählernummer .... Zur Kündigung des Vorvertrages und die darauf erfolgte Reaktion der Beklagten zu 2. habe sie bereits vorgetragen. Auch habe sie bereits vorgetragen, dass sie - die Klägerin - der Beklagten zu 2. mit Schreiben vom 03.04.2006 nochmals die Vertragsbestätigung übersandt und die Höhe der veränderten Abschlagszahlungen mitgeteilt habe (Bl. 114 d. A.). Diese veränderten Abschläge habe die Beklagte zu 2. auch bezahlt (Schriftsatz vom 23.03.2012, Bl. 92 d. A.). Die veränderte Höhe der Abschläge könne die Beklagte zu 2. nur durch das Schreiben der Klägerin vom 03.04.2006 (Bl. 95 d. A.) erfahren haben (Schriftsatz vom 14.05.2012, Bl. 118 d. A.).


Dieser Vortrag der Klägerin ist unmissverständlich und wird durch die eingereichten Unterlagen bestätigt. Danach ist der Sonderkundenvertrag (Vertragskontonummer: ...) vom 16./21.03.2001 (Bl. 66 d. A.) zum 30.09.2005 gekündigt worden. Anschließend ist die Belieferung der Verbrauchsstelle ... 93 auf der Grundlage des streitgegenständlichen Interimsversorgungsvertrages (Vertragskontonummer: ...) über die Zählernummer ... erfolgt.


Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin - nach den rechtlichen Hinweisen des Gerichts im Termin am 09.08.2012 - nunmehr vortragen lässt, der Sonderkundenvertrag und der streitgegenständliche Vertrag seien nicht identisch. Es ist selbstverständlich, dass es sich bei dem Sonderkundenvertrag und dem - nach wirksamer Kündigung des Sonderkundenvertrages - anschließenden Vertragsverhältnis, der so genannten Interimsversorgung, nicht um ein identisches Vertragsverhältnis handelt. So erfolgt die Interimsversorgung z.B. nicht auf der Grundlage des zuvor vereinbarten Preises und auch die Kündigungsfristen des ursprünglichen Sonderkundenvertrages finden auf die Interimsversorgung keine Anwendung.


Dem schriftsätzlichen Vortrag der Klägerin zur Interimsversorgung nach Kündigung des Sonderkundenvertrages steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte zu 2. - nach dem Vortrag der Klägerin - zum Sonderkundenvertrag auf eine andere Zählernummer als die hier streitgegenständliche Bezug genommen haben soll. Tatsächlich hat die Beklagte zu 2. im Rahmen ihres Vortrages zu dem Sonderkundenvertrag nicht auf irgendeine bestimmte Zählernummer Bezug genommen (Schriftsatz vom 23.01.2012, Bl. 64 d. A.). Auch der Sonderkundenvertrag vom 14.03.2001 selbst (Bl. 66 - 69 d. A.) gibt keine bestimmte Zählernummer an, sondern bezieht sich allein auf die Belieferung des Grundstücks ... 93.


Auch aufgrund der Erklärung des Klägervertreters im Termin am 09.08.2012 sind daher keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte vorhanden, aus denen sich ergeben könnte, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Vertrag - entgegen dem bisherigen Vortrag der Klägerin - nicht um eine Interimsversorgung zu dem von der Beklagten zu 2. vorgelegten Sonderkundenvertrag handeln kann. Schriftsatznachlass zu den rechtlichen Hinweisen des Gerichts ist der Klägerin nicht zu gewähren, da der den rechtlichen Hinweisen des Gerichts zugrunde liegende Sachverhalt - wie oben dargelegt - von der Klägerin selbst unmissverständlich vorgetragen worden ist. Die Rechtsprechung zur Interimsversorgung ist den ständig die Klägerin vertretenden Prozeßbevollmächtigten der Klägerin bekannt.


Nach der Beendigung des Sonderkundenvertrages vom 16./21.03.2001 (Bl. 66 - 69 d. A.) aufgrund der Kündigung ist die Klägerin nicht berechtigt, von der Beklagten zu 2. das Entgelt für die Stromlieferungen nach den normalen Tarifen abzurechnen. Denn die Rechtsprechung zum Vertragsschluss für Energielieferungen zwischen Abnehmer und Versorgungsunternehmen zu den tariflich festgesetzten Bedingungen auch bei Widerspruch des Abnehmers findet auf Sonderkunden keine Anwendung. Gleiches gilt für die AVBEltV, die nur auf Tarifkunden Anwendung findet (OLG München, Urteil vom 14.10.1998 - 3 U 3587/98 -; juris Rn. 11). Dies bedeutet aber nicht, dass Versorgungsunternehmen und Sonderabnehmer im vertragslosen Raum handeln, wenn sie keinen neuen schriftlichen Sondervertrag schließen, aber gleichwohl Strom liefern und abnehmen. Vielmehr ist in einem solchen Fall entgegen der Auslegungsregel des § 154 Abs. 1 BGB grundsätzlich nicht anzunehmen, dass die Parteien als Lieferer und Abnehmer in einem vertragslosen Zustand bleiben wollen, in dem sich die von ihnen erbrachten und zu erbringenden Leistungen nur nach den Bereicherungsvorschriften (§§ 812 ff. BGB) beurteilen würden, die für die Abwicklung der von beiden Parteien gewollten und faktisch bereits bestehenden Dauerbeziehung ungeeignet sind. In derartigen Fällen ist daher regelmäßig davon auszugehen, dass ein Sonderabnahmevertrag zustande gekommen ist und das Versorgungsunternehmen in entsprechender Anwendung der §§ 315, 316 BGB berechtigt ist, nach billigem Ermessen die Höhe des Strompreises zu bestimmen (BGH, Urteil vom 19.01.1983 - VIII ZR 81/92 -, mit weiteren Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur, juris Rn. 13).


Bei Annahme eines faktisch entstandenen neuen Sondervertrages ist der Klageantrag nicht begründet, da die bloße Berufung der Klägerin auf den Tarif "...", der nach ihren Angaben in der Werbung für Geschäftskunden mit einem Jahresverbrauch von bis zu 10.000 kWh geeignet ist, nicht den Voraussetzungen des § 315 BGB genügt. Die Substantiierung der Billigkeit einer Preisbestimmung gemäß § 315 BGB erfordert die Offenlegung der Kalkulation (vgl.: OLG München, Urteil vom 14.10.1998 - 3 U 3587/98 -; juris Rn. 13 - 15). Die bloße Berufung auf einen allgemein geltenden Tarif für Geschäftsbetriebe mit einem Jahresverbrauch von bis zu 10.000 kWh genügt insoweit nicht. Die Beklagte zu 2. hatte zudem allein in den streitgegenständlichen drei Abrechnungsmonaten einen Verbrauch von 29.007 kWh und mithin einen Jahresverbrauch von über 100.000 kWh. Der Tarif "..." ist daher offensichtlich nicht für Kunden wie die Beklagte zu 2. vorgesehen.


Falls der Sonderkundenvertrag vom 16./21.03.2001 von der Klägerin nicht wirksam gekündigt worden sein sollte, ist die auf den Tarifpreis gestützte Klageforderung aufgrund des dann geltenden schriftlichen Sonderkundenvertrages ebenfalls nicht begründet.


Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO; diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

stats