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Wirtschaftsrecht
04.11.2021
Wirtschaftsrecht
BGH: Insolvenzverwaltervergütung – Bemessung von Zu- und Abschlägen

BGH, Beschluss vom 7.10.2021 – IX ZB 4/20

ECLI:DE:BGH:2021:071021BIXZB4.20.0

Volltext: BB-Online BBL2021-2625-3

Amtliche Leitsätze

Die Bemessung von Zu- und Abschlägen ist von dem Tatrichter so vorzunehmen, dass dem vorläufigen Insolvenzverwalter eine angemessene Vergütung gewährt wird. Eine Vergleichsrechnung anhand der Anzahl der aufgewendeten Stunden des Verwalters und seiner Mitarbeiter hat nicht stattzufinden (Fortführung BGH, Beschluss vom 1. März 2007 IX ZB 278/05).

InsVV §§ 10, 11 Abs. 3, § 3

Sachverhalt

I.

Auf den Eigenantrag der Schuldnerin bestellte das Insolvenzgericht den weiteren Beteiligten mit Beschluss vom 19. Juli 2017 zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt. Für seine Tätigkeit als Sachverständiger erhielt der weitere Beteiligte eine Vergütung in Höhe von 2.118,55 €. Mit Beschluss vom 1. September 2017 eröffnete das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den weiteren Beteiligten zum Insolvenzverwalter.

Der weitere Beteiligte hat beantragt, seine Vergütung als vorläufiger Insolvenzverwalter nach einer Berechnungsgrundlage von 2.491.854,03 € auf das 2,5-fache der Regelvergütung des Insolvenzverwalters, insgesamt auf 231.645,64 €, festzusetzen. Die Recherche der Vermögensverhältnisse der Schuldnerin habe sich - auch vor dem Hintergrund strafrechtlicher Ermittlungen - als schwierig erwiesen. Zuschläge begründeten sich weiter insbesondere aus der arbeitsaufwendigen Verwaltung des vermieteten Grundeigentums, der Einleitung vorbereitender Maßnahmen zur Fortführung des schuldnerischen Unternehmens, der Beteiligung von mehr als 100 Gläubigern, dem Auslandsbezug, der Bearbeitung von Aus- und Absonderungsrechten, den komplexen Konzernstrukturen und der Höhe des Jahresumsatzes der Schuldnerin.

Das Insolvenzgericht hat eine Erhöhung der Regelvergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters um 75 % für gerechtfertigt erachtet und die Vergütung auf 93.152,70 € festgesetzt. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde des weiteren Beteiligten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt er seinen Vergütungsantrag weiter.

Aus den Gründen

II.

4          Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

5          1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Bei der Bemessung des Zuschlags aufgrund ungeordneter und unübersichtlicher wirtschaftlicher Verhältnisse der Schuldnerin sei zu berücksichtigen, dass der weitere Beteiligte sich bereits im Rahmen seiner Tätigkeit als Sachverständiger Kenntnisse verschafft habe. Es sei nicht dargelegt, dass dies zu keiner Arbeitsersparnis geführt habe. Viele der geltend gemachten Erhöhungstatbestände beruhten auf den strafrechtlichen Vorwürfen und damit in Zusammenhang stehenden Schwierigkeiten der Informationslage, was bei der Gutachtervergütung erhöhend berücksichtigt worden sei. Im Blick auf erhebliche Überschneidungen der einzelnen Zuschlagstatbestände und auf die kurze Dauer des Eröffnungsverfahrens sei eine Kürzung auf 100 % der Regelvergütung des Insolvenzverwalters, wie vom Insolvenzgericht vorgenommen, gerechtfertigt. Die Angemessenheit des Zuschlags sei durch einen Vergleich mit Stundenlöhnen zu überprüfen. Nach dem Vorbringen des weiteren Beteiligten zu seinem Tätigwerden ergebe sich auf Basis der vom Insolvenzgericht gewährten Zuschläge ein täglicher Zuschlag von 1.939,68 € oder bei 10 Stunden Arbeit am Tag ein Stundenzuschlag von 193,97 €. Die vom weiteren Beteiligten beantragte Vergütung führe zu einem Stundenzuschlag von 581,90 € und sei deutlich überhöht.

6          2. Die angefochtene Entscheidung ist nicht bereits deswegen aufzuheben, weil das Beschwerdegericht bei Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Zwar hat die Kammer in einer gemäß § 568 Satz 1 ZPO allein dem Einzelrichter zufallenden Sache durch den Gesamtspruchkörper entschieden, ohne dass der Einzelrichter den erforderlichen Beschluss zur Übertragung auf den Gesamtspruchkörper gefasst hätte. Die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Beschwerdegerichts stellt nach § 576 Abs. 3, § 547 Nr. 1 ZPO einen absoluten Rechtsbeschwerdegrund dar. Dieser ist jedoch grundsätzlich nur auf Rüge zu prüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 - I ZB 38/20, NJW 2021, 941 Rn. 13 ff mwN). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Im Streitfall liegt weder ein willkürlicher Übertragungsbeschluss der Kammer vor noch rügt die Rechtsbeschwerde den einfachen Verfahrensfehler.

7          3. Indes hält die Entscheidung des Beschwerdegerichts der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

8          a) Die Bemessung von Zu- und Abschlägen ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. Sie ist in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur darauf zu überprüfen, ob sie die Gefahr der Verschiebung von Maßstäben mit sich bringt (st.Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2017 - IX ZB 65/15, ZInsO 2017, 1694 Rn. 6 mwN; vom 29. April 2021 - IX ZB 58/19, WM 2021, 1194 Rn. 9). Zu prüfen sind die Maßstäbe (Rechtsgrundsätze) und ihre Beachtung, nach denen das Leistungsbild der entfalteten Verwaltertätigkeit im Einzelfall gewürdigt und zu dem Grundsatz einer leistungsangemessenen Vergütung (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 63 InsO) in Beziehung gesetzt worden ist (BGH, Beschluss vom 4. Juli 2002 - IX ZB 31/02, ZIP 2002, 1459, 1460 unter III. 2.).

9          Maßgebend ist, ob die Bearbeitung den Insolvenzverwalter stärker oder schwächer als in entsprechenden Insolvenzverfahren allgemein üblich in Anspruch genommen hat, also der real gestiegene oder gefallene Arbeitsaufwand. Das Insolvenzgericht hat dabei die in Betracht kommenden Tatbestände im Einzelnen zu überprüfen und zu beurteilen. Einer Bewertung der Höhe jedes einzelnen Zu- oder Abschlags bedarf es nicht. Es genügt, wenn der Tatrichter die möglichen Zu- und Abschlagstatbestände dem Grunde nach prüft und anschließend in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung von Überschneidungen und einer auf das Ganze bezogenen Angemessenheitsbetrachtung den Gesamtzuschlag oder Gesamtabschlag bestimmt (st.Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 6. April 2017 - IX ZB 48/16, NZI 2017, 459 Rn. 8 mwN; vom 22. Juni 2017 - IX ZB 65/15, ZInsO 2017, 1694 Rn. 7 mwN; vom 14. Februar 2019 - IX ZB 25/17, ZIP 2019, 715 Rn. 14; vom 12. September 2019 - IX ZB 1/17, ZIP 2019, 2016 Rn. 6). Dabei gilt § 3 InsVV für den vorläufigen Insolvenzverwalter entsprechend (§ 10 InsVV; vgl. BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2019 - IX ZB 5/18, WM 2019, 2325 Rn. 10; vom 10. Juni 2021 - IX ZB 51/19, WM 2021, 1503 Rn. 33 f).

10        b) Diesen Grundsätzen genügt die Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht.

11        aa) Zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass die vorherige Tätigkeit des weiteren Beteiligten als Gutachter zwar nicht zu einer erheblichen Unterschreitung der Anforderungen an den Verwalter gegenüber dem Normalfall führt, weil die Einholung eines Sachverständigengutachtens gerade die Regel ist (BGH, Beschluss vom 18. Juni 2009 - IX ZB 97/08, WM 2009, 1661 Rn. 12), sich der weitere Beteiligte durch die Tätigkeit als Gutachter allerdings Kenntnisse über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Schuldnerin verschafft und bereits für die Vergütung des Gutachtens eine besonders aufwendige und zeitintensive Ermittlungsarbeit geltend gemacht hat. Insoweit zeigt die Rechtsbeschwerde keine Maßstabsverschiebung zum Nachteil des weiteren Beteiligten auf. Vermittelt ein Sachverständigengutachten dem Verwalter Kenntnisse für die vorläufige Insolvenzverwaltung, lässt dies den vom Verwalter zu betreibenden Ermittlungsaufwand in der Eröffnungsphase des Insolvenzverfahrens regelmäßig nicht unberührt (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 2004 - IX ZB 136/03, NZI 2004, 448). Es ist nicht ersichtlich, dass die Tätigkeit als Sachverständiger nach dem Vorbringen des weiteren Beteiligten zur Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Schuldnerin keinerlei Beitrag geleistet hätte.

12        bb) Indes fehlt es an einer tragfähigen Würdigung der Gesamtlage, die im Hinblick auf den konkreten Festsetzungsfall nachvollziehbar begründet, in welchem Maße der weitere Beteiligte durch die Aufgaben der vorläufigen Verwaltung stärker als allgemein üblich in Anspruch genommen worden ist und inwieweit der Tätigkeitsumfang daher auch in einer vom Normalfall abweichenden Festsetzung der Vergütung Niederschlag finden muss. Nach der Begründung des Beschwerdegerichts ist weder auszuschließen, dass der Mehraufwand in zu geringem, noch dass er - was auf die Beschwerde des weiteren Beteiligten allerdings nicht zu einer Schlechterstellung in der Gesamthöhe führen könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 2004 - IX ZB 349/02, BGHZ 159, 122, 124) - vom Insolvenzgericht bereits in zu hohem Maße berücksichtigt worden ist. Der für die Bewertung der Angemessenheit des Gesamtzuschlags neben den Überschneidungen der einzelnen Zuschlagstatbestände herangezogene Gesichtspunkt der Höhe des Stundensatzes, der sich aus der gewährten Erhöhung von 75 % bei Zugrundelegung der vom Beschwerdegericht geschätzten Zahl der aufgewendeten Arbeitsstunden des Verwalters ergebe, verschiebt die Maßstäbe. Der darin vorgenommene Vergleich mit Stundensätzen ist, wie der Senat bereits entschieden hat, kein geeignetes Kriterium für die Bemessung der Höhe des Vergütungssatzes (BGH, Beschluss vom 1. März 2007 - IX ZB 278/05, ZInsO 2007, 370 Rn. 11 mwN). Eine solche Vergleichsrechnung widerspräche dem System der insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung. Der Verordnungsgeber hat die Vergütungsregelung insbesondere im Interesse der Rechtssicherheit, leichterer Handhabbarkeit und Entlastung der Gerichte so ausgestaltet, dass sich die Vergütung nach einer festzustellenden Bemessungsgrundlage bemisst (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2004 - IX ZB 96/03, BGHZ 157, 282, 287). Eine Vergütungsbemessung nach dem Arbeits- und Kostenaufwand im Einzelfall und eine Berechnung nach Stundensätzen kommt danach nicht in Betracht (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2004, aaO S. 301, vom 1. März 2007, aaO).

13        4. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif und daher an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Bei der erneuten Entscheidung wird das Beschwerdegericht zu berücksichtigen haben, dass der Wert des mit Grundpfandrechten belasteten Immobiliareigentums der Schuldnerin in Höhe von 1,6 Mio. € in die von dem weiteren Beteiligten zugrunde gelegte Berechnungsgrundlage eingeflossen ist und diese damit in beträchtlichem Umfang erhöht hat. Feststellungen zu einer Befassung des weiteren Beteiligten mit den Vermögensgegenständen in erheblichem Umfang (§ 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV) sind bisher nicht getroffen. Soweit sich im Rahmen der Überprüfung der Berechnungsgrundlage (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2006 - IX ZB 108/05, NZI 2007, 45 Rn. 5 ff) nach den insoweit nachzuholenden Feststellungen die Einbeziehung des Wertes der Immobilie rechtfertigt (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 10. Juni 2021 - IX ZB 51/19, WM 2021, 1503 Rn. 15, 24), erhält der vorläufige Insolvenzverwalter eine Vergütung für den aus der erheblichen Befassung mit dem Vermögensgegenstand entstandenen Aufwand. Da nach der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung vergütungsrelevante Umstände nicht doppelt berücksichtigt werden dürfen, können solche über die Erhöhung der Berechnungsgrundlage vergütete Tätigkeiten nicht mehr herangezogen werden, um einen Zuschlag zu rechtfertigen (BGH, Beschluss vom 10. Juni 2021 - IX ZB 51/19, aaO Rn. 39; vgl. insoweit bereits zum alten Recht: BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2000 - IX ZB 105/00, BGHZ 146, 165, 177; vom 23. September 2004 - IX ZB 215/03, NZI 2004, 665). Das Beschwerdegericht wird daher insbesondere eine etwaige Überschneidung der die Einstellung des Werts des Grundstücks in die Berechnungsgrundlage begründenden Tätigkeiten mit den geltend gemachten Zuschlägen für die Bearbeitung von Aus- und Absonderungsrechten sowie die Verwaltung des Grundeigentums zu beachten haben.

14        Bei der Bewertung der Angemessenheit des Gesamtzuschlags wird angesichts einer für die Berechnungsgrundlage maßgeblichen Masse von rund 2,5 Mio. € weiter zu beachten sein, dass in einem größeren Insolvenzverfahren der regelmäßig anfallende Mehraufwand des Verwalters im Grundsatz bereits dadurch abgegolten wird, dass die größere Vermögensmasse zu einer höheren Vergütung führt (vgl. BGH, Beschluss vom 21. September 2017 - IX ZB 28/14, WM 2017, 2028 Rn. 24; vom 29. April 2021 - IX ZB 58/19, WM 2021, 1194 Rn. 16; Haarmeyer/Mock, InsVV, 6. Aufl., § 11 Rn. 106 f). Zuschläge für einen quantitativ höheren Aufwand setzen daher voraus, dass der tatsächlich erforderliche Aufwand in dem fraglichen Verfahrensabschnitt - hier im Eröffnungsverfahren - erheblich über dem bei vergleichbaren Massen Üblichen liegt (BGH, Beschluss vom 21. September 2017, aaO; vom 29. April 2021, aaO). Auch diese Betrachtung wird nachzuholen sein.

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