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Wirtschaftsrecht
12.03.2025
Wirtschaftsrecht
BGH: Insolvenzverfahren – Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses und Partikularinsolvenzverfahren

BGH, Urteil vom 6.3.2025 – IX ZR 234/23

Volltext: BB-Online BBL2025-642-3

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Amtliche Leitsätze

Der rechtskräftige Beschluss über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist vom Prozessgericht als gültig hinzunehmen, wenn ihm nicht ein offenkundiger, schwerer Fehler anhaftet, der zur Unwirksamkeit des Beschlusses führt.

InsO § 27

a) Kommt es infolge eines Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters einer Personengesellschaft und einer dadurch bedingten liquidationslosen Vollbeendigung der Gesellschaft zu einem Übergang des Gesellschaftsvermögens auf den letzten Gesellschafter, ist ein Partikularinsolvenzverfahren über das Gesellschaftsvermögen möglich; Insolvenzschuldner ist der letzte Gesellschafter, auf den das Gesellschaftsvermögen übergegangen ist.

b) Wird ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der unbemerkt bereits vollbeendeten Gesellschaft eröffnet, handelt es sich um ein von Anfang an wirksames Partikularinsolvenzverfahren über das Gesellschaftsvermögen in der Trägerschaft des verbliebenen Gesellschafters.

InsO § 11, § 35, § 38; HGB § 105 Abs. 3, § 161 Abs. 2; BGB § 712a Abs. 1

 

 

 

Sachverhalt

Mit Beschluss vom 9. Mai 2018 eröffnete das Insolvenzgericht wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren über das Vermögen der im Handelsregister des Amtsgerichts Hamburg eingetragenen A. GmbH & Co. (nachfolgend: Schuldnerin) und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Die Eröffnung erfolgte auf einen Antrag der Schuldnerin vom 26. Januar 2018.

Persönlich haftende Gesellschafterin der Schuldnerin war die ebenfalls im Handelsregister des Amtsgerichts Hamburg eingetragene Verwaltungs- und Beteiligungs-Gesellschaft mbH (nachfolgend: Komplementärin). Einzig verbliebener Kommanditist der Schuldnerin war bis Ende 2015 der Onkel der Beklagten gewesen. Dieser trat seinen Gesellschaftsanteil sodann an die V. AG mit Sitz in der Schweiz (nachfolgend: Kommanditistin) ab. Die Kommanditistin wurde am 22. Februar 2017 wegen Vermögenslosigkeit aus dem Schweizer Handelsregister gelöscht.

Mit Beschluss vom 9. März 2020 entschied das Insolvenzgericht, der Eröffnungsbeschluss vom 9. Mai 2018 werde "dahingehend klargestellt, dass es sich um die Eröffnung eines Sonderinsolvenzverfahrens analog den §§ 315 ff InsO über das Vermögen der durch Ausscheiden der einzigen Kommanditistin liquidationslos erloschenen" Schuldnerin handele, "welches sich aufgrund von Anwachsung in der Trägerschaft deren einziger Komplementärin (…)" befinde.

Mit Anspruchsbegründung vom 18. Juni 2020 machte der Kläger nach vorausgegangenem Mahnverfahren Zahlungsansprüche gegen die Beklagte geltend, die er mit Vermögensverschiebungen in der Zeit von Anfang 2016 bis Anfang 2017 begründete. Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage vollständig abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger persönlich auferlegt. Mit seiner durch den Senat zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Aus den Gründen

5          Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

6          I. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche bestehen. Jedenfalls sei der Kläger nicht sachbefugt. Der Senat sei an den Eröffnungsbeschluss des Insolvenzgerichts vom 9. Mai 2018 sowie an den ergänzenden, vermeintlich klarstellenden Beschluss des Insolvenzgerichts vom 9. März 2020 nicht gebunden. Eine anderweitige Sachbefugnis sei nicht feststellbar.

7          Die geltend gemachten Ansprüche seien in der Hand der Schuldnerin entstanden, aber noch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über deren Vermögen auf die Komplementärin übergegangen. Die Schuldnerin sei mit dem Ausscheiden der Kommanditistin infolge deren Löschung aus dem Schweizer Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit liquidationslos beendet worden. Etwaige Ansprüche der Schuldnerin seien auf die Komplementärin als ihre Rechtsnachfolgerin übergegangen.

8          Bei dieser Sachlage sei das (ehemalige) Vermögen der (ehemaligen) Schuldnerin nicht infolge des Eröffnungsbeschlusses des Insolvenzgerichts vom 9. Mai 2018 dem Insolvenzbeschlag und damit der Verwaltung durch den Kläger unterfallen. Der Beschluss habe sich auf eine nicht (mehr) existente Schuldnerin bezogen. Dies habe zur Nichtigkeit des Eröffnungsbeschlusses geführt und damit zu dessen fehlender Bindungskraft für später befasste Gerichte. Der Umstand, dass die Schuldnerin im Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses noch im Handelsregister eingetragen gewesen sei, ändere daran nichts.

9          Die Aktivlegitimation ergebe sich auch nicht aus dem "klarstellenden" Beschluss des Insolvenzgerichts vom 9. März 2020. Dieser habe nicht etwa die bis dahin wirkungslos gebliebene Eröffnung des Insolvenzverfahrens nachholen sollen. Der Beschluss habe vielmehr allein das "Rubrum" des vorangegangenen Beschlusses korrigieren sollen. Diese Wirkungen habe der Beschluss vom 9. März 2020 nicht hervorbringen können, weil der vorangegangene Beschluss ohne Rechtswirkungen geblieben sei.

10        II. Das hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

11        1. Der Kläger macht Ansprüche geltend, die jedenfalls ursprünglich zum Vermögen der Schuldnerin gehörten. Er ist dazu berechtigt, wenn er wirksam zum Insolvenzverwalter in einem Verfahren bestellt worden ist, welches die geltend gemachten Ansprüche erfasst. Die Bestellung ist wirksam, wenn die Schuldnerin als rechtsfähige Personengesellschaft bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch bestanden hat. Von einer wirksamen Bestellung des Klägers in einem solchen Insolvenzverfahren ist jedoch auch dann auszugehen, wenn die streitgegenständlichen Ansprüche infolge eines Ausscheidens der Kommanditistin und der dadurch bedingten liquidationslosen Vollbeendigung der Schuldnerin zusammen mit ihrem übrigen Aktiv- und Passivvermögen auf die Komplementärin übergegangen wären (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2004 - II ZR 247/01, NZI 2005, 287, 288; vom 1. Juni 2017 - VII ZR 277/15, ZIP 2017, 1330 Rn. 38; jetzt § 161 Abs. 2, § 105 Abs. 3 HGB, § 712a Abs. 1 BGB). Ob es zu einem solchen Rechtsübergang gekommen ist, muss daher nicht entschieden werden. Dies ist revisionsrechtlich zu unterstellen.

12        2. Rechtlich zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass der "klarstellende" Beschluss des Insolvenzgerichts vom 9. März 2020 für sich allein betrachtet keine Entscheidung über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens enthält.

13        a) Die Auslegung insolvenzgerichtlicher Entscheidungen folgt allgemeinen Grundsätzen. Den Ausgangspunkt der Auslegung bildet die Entscheidungsformel (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juli 2014 - I ZR 27/13, GRUR 2015, 269 Rn. 19 mwN; st. Rspr.). Ergänzend heranzuziehen sein können die Gründe der Entscheidung (BGH, Beschluss vom 12. Mai 2016 - IX ZA 32/15, ZInsO 2016, 1776 Rn. 3 mwN) oder der Inhalt der dem Verfahren zugrundeliegenden Akten (vgl. BGH, Urteil vom 9. Januar 2003 - IX ZR 85/02, NZI 2003, 197, 198).

14        b) Danach ist der "klarstellende" Beschluss vom 9. März 2020 kein selbständiger Eröffnungsbeschluss im Sinne des § 27 InsO. Durch den Beschluss ist weder ein Insolvenzverfahren erstmals oder erneut eröffnet noch der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Auch die von § 27 Abs. 2 InsO vorgesehenen Angaben enthält der Beschluss nicht. Es ist auch weder festgestellt noch sonst ersichtlich, dass dem Beschluss eine (erneute) Prüfung der Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorangegangen wäre. Unmissverständlicher Wille des Insolvenzgerichts war es vielmehr, den ursprünglichen und aus seiner Sicht wirksamen Eröffnungsbeschluss vom 9. Mai 2018 dahingehend klarzustellen oder zu berichtigen, dass Träger des insolvenzbefangenen Vermögens (von Anfang an) die Komplementärin gewesen sei und es sich um ein Sonderinsolvenzverfahren analog den §§ 315 ff InsO handele.

15        3. Unrichtig ist die Ansicht des Berufungsgerichts, von dem ursprünglichen Eröffnungsbeschluss des Insolvenzgerichts vom 9. Mai 2018 seien keine Wirkungen ausgegangen, die im vorliegenden Rechtsstreit zu beachten wären.

16        a) Der rechtskräftige Beschluss über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist vom Prozessgericht grundsätzlich auch dann als gültig hinzunehmen, wenn er verfahrensfehlerhaft ergangen ist; denn als in dem dafür vorgesehenen Verfahren ergangener hoheitlicher Akt beansprucht er Geltung gegenüber jedermann, sofern der Entscheidung nicht ausnahmsweise ein Fehler anhaftet, der zur Nichtigkeit führt (BGH, Urteil vom 9. Januar 2003 - IX ZR 85/02, NZI 2003, 197, 198; vom 10. Oktober 2013 - IX ZR 30/12, ZInsO 2014, 37 Rn. 12; jeweils mwN). Wegen der für das Insolvenzverfahren grundlegenden Bedeutung des die Eröffnung anordnenden Beschlusses ist er schon aus Gründen der Rechtssicherheit nur außerordentlich selten als nichtig zu behandeln, hauptsächlich dann, wenn dem Akt infolge des festgestellten Fehlers bereits äußerlich ein für eine richterliche Entscheidung wesentliches Merkmal fehlt. Dies folgt auch aus dem Grundsatz, dass gerichtliche Anordnungen erst dann schlechthin unwirksam sind, wenn ihnen ein offenkundiger schwerer Fehler anhaftet (BGH, Urteil vom 9. Januar 2003, aaO mwN).

17        Nach dieser Maßgabe hat die höchstrichterliche Rechtsprechung den Eröffnungsbeschluss über das Vermögen einer nach damaliger Rechtslage nicht konkursfähigen Gesellschaft als wirksam angesehen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Januar 1991 - II ZR 112/90, BGHZ 113, 216, 218), ebenso den Beschluss eines örtlich unzuständigen Amtsgerichts, obwohl das an sich zuständige Gericht nach einem anderen als dem angewandten Gesetz über die Verfahrenseröffnung hätte befinden müssen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 1998 - IX ZR 99/97, BGHZ 138, 40, 44 f). Als nichtig angesehen worden ist ein nicht unterschriebener Eröffnungsbeschluss (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 1997 - IX ZR 249/96, BGHZ 137, 49, 51 ff).

18        Ebenfalls als unwirksam behandelt hat der Bundesgerichtshof einen Eröffnungsbeschluss, der gegen einen nicht (mehr) existenten Schuldner ergangen war (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 2008 - II ZR 37/07, ZInsO 2008, 973 Rn. 13). In dem jener Entscheidung zugrundeliegenden Fall war es infolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des vorletzten Gesellschafters einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu dessen Ausscheiden und dadurch zur liquidationslosen Vollbeendigung der Gesellschaft gekommen. Der Bundesgerichtshof hat angenommen, dass die spätere Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der nicht mehr existierenden Gesellschaft die Prozessgerichte nicht binde (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 2008, aaO).

19        b) Nach diesen Grundsätzen musste das Berufungsgericht den ursprünglichen Beschluss des Insolvenzgerichts über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom 9. Mai 2018 auch dann als gültig hinnehmen, wenn die Schuldnerin infolge eines Ausscheidens der Kommanditistin nicht mehr existent war.

20        aa) Der Beschluss des Insolvenzgerichts vom 9. Mai 2018 betrifft die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin als besondere Vermögensmasse der Komplementärin und ist mit diesem Inhalt wirksam. Das Berufungsgericht hat nicht hinreichend erwogen, dass ein Partikularinsolvenzverfahren über das der Komplementärin angewachsene Vermögen der Schuldnerin in Betracht kam.

21        bb) Das von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens erfasste Vermögen ist regelmäßig nach § 35 Abs. 1 InsO zu bestimmen. Erfasst ist demnach das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und dass er während des Verfahrens erwirbt. Unbeschränkt ist in der Regel auch der Kreis der am Verfahren zu beteiligenden Gläubiger, soweit diese einen zur Zeit der Verfahrenseröffnung begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben (§ 38 InsO).

22        Das Recht kennt jedoch Insolvenzverfahren über Vermögensmassen, die nicht allen Gläubigern gleichermaßen haften. Ist nur eine solche Vermögensmasse erfasst, ist regelmäßig auch der Kreis der am Verfahren zu beteiligenden Gläubiger beschränkt. Sie müssen dann in einem besonderen Verhältnis zu dieser Vermögensmasse stehen, insbesondere über gegen diese Vermögensmasse gerichtete Forderungen verfügen. Insolvenzverfahren über solche Vermögensmassen sind teilweise gesetzlich ausdrücklich vorgesehen, zum Teil sind sie Gegenstand richterlicher Rechtsfortbildung. Gesetzlich vorgesehen sind die in § 11 Abs. 2 Nr. 2 InsO angeführten und in den §§ 315 bis 334 InsO näher ausgestalteten Insolvenzverfahren über einen Nachlass, über das Gesamtgut einer fortgesetzten Gütergemeinschaft und über das Gesamtgut einer Gütergemeinschaft, das von den Ehegatten oder Lebenspartnern gemeinschaftlich verwaltet wird. Das internationale Insolvenzrecht ermöglicht die Eröffnung von Partikularinsolvenzverfahren (§§ 354 f InsO und Art. 3 Abs. 2 und 4 der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren, nachfolgend nur noch EuInsVO) und von Sekundärinsolvenzverfahren (§§ 356 ff InsO und Art. 3 Abs. 3, 34 ff EuInsVO). Auf richterlicher Rechtsfortbildung beruht die Möglichkeit eines Insolvenzverfahrens, welches auf das nach § 35 Abs. 2 InsO freigegebene Vermögen beschränkt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2011 - IX ZB 175/10, NZI 2011, 633 Rn. 5 ff).

23        cc) Im Schrifttum (MünchKomm-InsO/Vuia, 4. Aufl., § 11 Rn. 71b; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 15. Aufl., § 11 Rn. 244; HK-InsO/Laroche, 11. Aufl., § 27 Rn. 38; Schmidt/Schmidt, InsO, 20. Aufl., § 11 Rn. 26; HmbKomm-InsO/Böhm, 10. Aufl., Vor § 315 Rn. 17; Bork/Jacoby, ZGR 2005, 611, 642 f und 646 f; Albertus/Fischer, ZInsO 2005, 246, 248 ff; Herchen, EWiR 2007, 527, 528; Keller, NZI 2009, 29, 31; differenzierend Kruth, NZI 2011, 844, 847 f) und in der Rechtsprechung (OLG Hamm, ZIP 2007, 1233, 1238; LG Dresden, ZIP 2005, 955, 956 f; AG Hamburg, ZIP 2006, 390, 391) ist anerkannt, dass auch das Gesellschaftsvermögen, das infolge des Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters einer Personengesellschaft auf den letzten Gesellschafter übergegangen ist, Gegenstand eines Partikularinsolvenzverfahrens sein kann. Insolvenzschuldner ist nach dieser Ansicht der letzte Gesellschafter, auf den das Gesellschaftsvermögen übergegangen ist. Vereinzelt wird dagegen eine entsprechende Anwendung von § 11 Abs. 3 InsO erwogen. Erfolge die Vollbeendigung der Gesellschaft ohne Vermögensliquidation könne man sie einer Auflösung im Sinne des § 11 Abs. 3 InsO gleichstellen (vgl. HK-InsO/Marotzke, 11. Aufl., Vor §§ 315 ff Rn. 12; Gundlach/Frenzel/Schmidt, DStR 2004, 1658, 1660 ff).

24        Beide Lösungsansätze haben den gleichen Ausgangspunkt. Zum einen geht es um den Schutz des letzten Gesellschafters vor einer unbeschränkten Haftung mit seinem persönlichen Vermögen für die im Wege der Gesamtrechtsnachfolge infolge des Ausscheidens des letzten Gesellschafters auf ihn übergegangenen Gesellschaftsverbindlichkeiten (etwa Bork/Jacoby, ZGR 2005, 611, 634 ff). Diese Erwägung greift freilich nur im Falle eines ursprünglich beschränkt haftenden Gesellschafters, wie dem Kommanditisten. Daneben werden auch die Gesellschaftsgläubiger für schutzwürdig gehalten, die nicht mit den persönlichen Gläubigern des letzten Gesellschafters in Konkurrenz um das auf diesen übergegangene Gesellschaftsvermögen treten sollen (etwa Bork/Jacoby, ZGR 2005, 611, 637 ff).

25        dd) Der Bundesgerichtshof hat sich mit einem insolvenzrechtlichen Schutz des verbliebenen Gesellschafters und der Gesellschaftsgläubiger noch nicht ausdrücklich befasst. Mit Urteil vom 15. März 2004 (II ZR 247/01, ZIP 2004, 1047, 1048) hat er allerdings außerhalb eines Insolvenzverfahrens eine im Grundsatz auf das zugefallene Gesellschaftsvermögen beschränkte Haftung des verbliebenen Kommanditisten angenommen (unter Verweis auf BGH, Urteil vom 10. Dezember 1990 - II ZR 256/89, BGHZ 113, 132, 138). Weiter hat der Bundesgerichtshof die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts bei bereits laufendem Verfahren über das Vermögen des letzten Gesellschafters als nichtig angesehen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 2008 - II ZR 37/07, ZInsO 2008, 973 Rn. 13; zustimmend Schmidt, ZIP 2008, 2337, 2340 ff; ablehnend Keller, NZI 2009, 29 ff).

26        ee) Kommt es infolge eines Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters einer Personengesellschaft und einer dadurch bedingten liquidationslosen Vollbeendigung der Gesellschaft zu einem Übergang des Gesellschaftsvermögens auf den letzten Gesellschafter, ist ein Partikularinsolvenzverfahren über das Gesellschaftsvermögen möglich. Insolvenzschuldner ist der letzte Gesellschafter, auf den das Gesellschaftsvermögen übergegangen ist. Die Fähigkeit der Gesellschaft, Schuldnerin eines Insolvenzverfahrens zu sein, endet mit ihrer Vollbeendigung. Der Anwendungsbereich des § 11 Abs. 3 InsO ist auf den Zeitraum zwischen der Auflösung und der Vollbeendigung beschränkt. Die mit Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters eintretende Vollbeendigung kann nicht deshalb einer Auflösung im Sinne des § 11 Abs. 3 InsO gleichgestellt werden, weil sie liquidationslos eintritt. § 11 Abs. 3 InsO ermöglicht die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, solange es noch verteilungsfähiges Vermögen in der Hand des entsprechenden Rechtsträgers gibt (vgl. HK-InsO/Sternal, 11. Aufl., § 11 Rn. 26; Prütting in Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2011, § 11 Rn. 52; MünchKomm-InsO/Vuia, 4. Aufl., § 11 Rn. 71). Solches gibt es nach Übergang des Gesellschaftsvermögens auf den letzten Gesellschafter nicht mehr.

27        Die Möglichkeit eines Partikularinsolvenzverfahrens über das Gesellschaftsvermögen in Trägerschaft des letzten Gesellschafters rechtfertigt sich unter dem Gesichtspunkt der Schutzbedürftigkeit des letzten Gesellschafters und der (bisherigen) Gesellschaftsgläubiger. Wenn der Übergang des Gesellschaftsvermögens auf den ursprünglich nur beschränkt haftenden Gesellschafter außerhalb eines Insolvenzverfahrens - zusätzlich zur fortbestehenden ursprünglichen Haftung - nur zu der Pflicht führt, die Vollstreckung in das Gesellschaftsvermögen zu dulden (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 1990 - II ZR 256/89, BGHZ 113, 132, 138; vom 15. März 2004 - II ZR 247/01, ZIP 2004, 1047, 1048), kann die Lage in der Insolvenz nicht anders sein.

28        Ein Partikularinsolvenzverfahren über das Gesellschaftsvermögen in Trägerschaft des letzten Gesellschafters ist aber auch dann nicht ausgeschlossen, wenn dieser - wie im Streitfall die Komplementärin - ursprünglich unbeschränkt mit seinem persönlichen Vermögen für die Gesellschaftsschulden einzustehen hatte. In diesem Fall kann der Schutz der Gesellschaftsgläubiger ein auf das Gesellschaftsvermögen beschränktes Insolvenzverfahren und den damit verbundenen Ausschluss der persönlichen Gläubiger des verbliebenen Gesellschafters erfordern. Das entspricht der Lage im Nachlassinsolvenzverfahren. Der Eintritt der unbeschränkten Erbenhaftung steht der Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens nicht entgegen (§ 316 Abs. 1 InsO). Dies dient nach allgemeiner Ansicht dem Interesse der Nachlassgläubiger, die von den persönlichen Gläubigern des Erben ungehindert auf den Nachlass zugreifen können sollen (etwa MünchKomm-InsO/Siegmann/Scheuing, 4. Aufl., § 316 Rn. 3; Uhlenbruck/Lüer/Weidmüller, InsO, 15. Aufl., § 316 Rn. 4; Graf-Schlicker/Busch, InsO, 6. Aufl., § 316 Rn. 7). Auch das Vertrauen der (bisherigen) Gesellschaftsgläubiger auf den Erhalt des zugriffsfähigen Vermögens unter Ausschluss der persönlichen Gläubiger des verbliebenen Gesellschafters ist schutzwürdig. Es gibt umgekehrt keinen Grund, den persönlichen Gläubigern des verbliebenen Gesellschafters einen Zugriff auch auf das Gesellschaftsvermögen zu ermöglichen (vgl. OLG Hamm, ZIP 2007, 1233, 1238; AG Hamburg, ZIP 2006, 390, 391; MünchKomm-InsO/Vuia, 4. Aufl., § 11 Rn. 71b; Schmidt/Schmidt, InsO, 20. Aufl., Vor § 315 Rn. 31 f; Bork/Jacoby, ZGR 2005, 611, 642 f und 646 f; Albertus/Fischer, ZInsO 2005, 246, 248 ff; Herchen, EWiR 2007, 527, 528; Keller, NZI 2009, 29, 30; aA Kruth, NZI 2011, 844, 847). Für den Fall, dass dem Urteil des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 7. Juli 2008 (II ZR 37/07, ZInsO 2008, 973 Rn. 13) etwas anderes zu entnehmen sein sollte, hat dieser auf Anfrage erklärt, daran nicht festzuhalten.

29        ff) Nach welchen Regeln sich ein Partikularinsolvenzverfahren über das Gesellschaftsvermögen in Trägerschaft des letzten Gesellschafters im Einzelnen richtet, insbesondere unter welchen Voraussetzungen der Gesellschafter befugt ist, die Eröffnung eines solchen zu beantragen, muss nicht entschieden werden. Für die Hinnahme des ursprünglichen Beschlusses des Insolvenzgerichts über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom 9. Mai 2018 als gültig, kommt es nur auf dessen Wirksamkeit an und nicht darauf, ob er rechtmäßig ergangen ist. Es reicht deshalb aus, dass ungeachtet der hier revisionsrechtlich unterstellten, der Verfahrenseröffnung vorausgegangenen Vollbeendigung der Schuldnerin ein Insolvenzverfahren über deren Vermögen weiterhin möglich war. Es muss deshalb insbesondere nicht entschieden werden, ob und falls ja welchen Grenzen die Eröffnung eines Partikularinsolvenzverfahrens über das Gesellschaftsvermögen in Trägerschaft des letzten Gesellschafters unterliegt.

30        Eine Anwendung von § 27 HGB als Ausdruck eines haftungsrechtlichen Verschmelzens der Vermögensmassen von Gesellschaft und Gesellschafter wird zur Begrenzung der Möglichkeit der Eröffnung des hier in Rede stehenden Partikularinsolvenzverfahrens erwogen (vgl. Bork/Jacoby, ZGR 2005, 611, 643, 647 f). Der Senat kann offenlassen, ob das zutrifft. Der Eröffnungsbeschluss ist auch dann wirksam, wenn eine entsprechende Grenze unbeachtet geblieben wäre.

 

31        gg) Der Wirksamkeit des ursprünglichen Beschlusses des Insolvenzgerichts über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom 9. Mai 2018 steht schließlich nicht entgegen, dass er die nicht mehr existente Schuldnerin als Trägerin des erfassten Vermögens benennt.

 

32        (1) Die Zwecke des Insolvenzverfahrens erfordern einen fortdauernden Vermögensbeschlag. Im Rahmen der gesetzlichen Regelungen und unter Berücksichtigung der nicht selten gegenläufigen Interessen der Beteiligten ist deshalb Sorge dafür zu tragen, dass es zu keiner unnötigen Unterbrechung des Vermögensbeschlags kommt. Der mit einer Unterbrechung verbundene "Rückfall" in die Rechtslage vor der Verfahrenseröffnung gefährdet den Bestand der Masse und auch die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung (§ 1 InsO).

33        Für das Nachlassinsolvenzverfahren ist deshalb anerkannt, dass der Tod des Schuldners nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne Weiteres eine Überleitung des bisherigen Insolvenzverfahrens in das Nachlassinsolvenzverfahren bewirkt, wobei dies sowohl für ein Regelinsolvenzverfahren als auch für ein Verbraucherinsolvenzverfahren gilt. Das bisherige Insolvenzverfahren nimmt ohne Unterbrechung seinen Fortgang mit dem Erben als neuem Schuldner (BGH, Urteil vom 26. September 2013 - IX ZR 3/13, ZInsO 2014, 40 Rn. 12 mwN). Bewirkt der spätere Tod des Schuldners eine Überleitung des bisherigen Verfahrens in ein Nachlassinsolvenzverfahren, ist es konsequent, das in Unkenntnis des Todes eröffnete Insolvenzverfahren als von Anfang an wirksam eröffnetes Nachlassinsolvenzverfahren anzusehen und dies durch einen entsprechenden Beschluss des Insolvenzgerichts klarzustellen (vgl. MünchKomm-InsO/Siegmann/Scheuing, 4. Aufl., Vorbemerkungen Vor §§ 315 bis 331 Rn. 4; Schmidt/Schmidt, InsO, 20. Aufl., Vor § 315 Rn. 24; vgl. auch Jaeger/Weber, KO, 8. Aufl., § 214 Rn. 21). In beiden Fällen wird ein Verfahren über das Vermögen des (vermeintlich) lebenden Schuldners eröffnet, das als Nachlassinsolvenzverfahren beendet wird. In beiden Fällen kommt es bei eingetretener Rechtskraft des ursprünglichen Eröffnungsbeschlusses nicht darauf an, ob das Verfahren auch nach Maßgabe der §§ 315 ff InsO hätte eröffnet werden dürfen. Die Verfahrenssondervorschriften der §§ 315 ff InsO sind dann überholt (vgl. Jaeger/Weber, aaO). Dies geschieht im Interesse einer Fortdauer des Insolvenzbeschlags.

34        (2) Für das Partikularinsolvenzverfahren über das dem verbliebenen Gesellschafter zugewachsene Gesellschaftsvermögen gilt nichts anderes. Die Interessenlage ist vergleichbar. Die mit Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters eintretende liquidationslose Vollbeendigung der Personengesellschaft entspricht dem Tod des Schuldners, der Übergang des Gesellschaftsvermögens auf den verbliebenen Gesellschafter der von § 1922 BGB angeordneten Gesamtrechtsnachfolge. Deshalb wird ein über das Vermögen der Gesellschaft eröffnetes Insolvenzverfahren in ein Partikularverfahren über das dem verbliebenen Gesellschafter zugewachsene Gesellschaftsvermögen übergeleitet, wenn es nach Verfahrenseröffnung zu einem Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters und deshalb zur liquidationslosen Vollbeendigung der Gesellschaft kommt (vgl. OLG Hamm, ZIP 2007, 1233, 1238; MünchKomm-InsO/Vuia, 4. Aufl., § 11 Rn. 71b; Schmidt/Schmidt, InsO, 20. Aufl., Vor § 315 Rn. 31 f; Albertus/Fischer, ZInsO 2005, 246, 250; Keller, NZI 2009, 29, 31). Wird ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der unbemerkt bereits vollbeendeten Gesellschaft eröffnet, handelt es sich um ein von Anfang an wirksames Partikularinsolvenzverfahren über das Gesellschaftsvermögen in der Trägerschaft des verbliebenen Gesellschafters (vgl. Keller, NZI 2009, 29, 31). So liegt der vorliegende Fall. Dies hat das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 9. März 2020 klargestellt.

35        III. Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung kann der Senat nicht treffen, weil die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

 

 

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