BGH: Insolvenzanfechtung - Ausschüttung eines Gewinnvortrags an einen Gesellschafter als Befriedigung einer darlehensgleichen Forderung
BGH, Urteil vom 22.7.2021 – IX ZR 195/20
ECLI:DE:BGH:2021:220721UIXZR195.20.0
Volltext: BB-Online BBL2021-2049-1
Amtliche Leitsätze
Beschließt der Alleingesellschafter einer GmbH, einen festgestellten Gewinn auf neue Rechnung vorzutragen, kann der aus einem später gefassten, auf Ausschüttung des Gewinnvortrags gerichteten Gewinnverwendungsbeschluss folgende Zahlungsanspruch eine wirtschaftlich einem Darlehen entsprechende Forderung darstellen.
Eine Behandlung als wirtschaftlich einem Darlehen entsprechende Forderung scheidet aus, wenn bereits zum Zeitpunkt des ersten, auf einen Vortrag des Gewinns auf neue Rechnung gerichteten Gesellschafterbeschlusses eine Gewinnausschüttung nicht vor-genommen werden durfte, weil und soweit die Auszahlung zu diesem Zeitpunkt eine Unterbilanz herbeigeführt oder vertieft hätte.
Sachverhalt
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 31. März 2010 über das Vermögen der M. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin) am 1. Juni 2010 eröffneten Insolvenzverfahren. Die Beklagte war die alleinige Gesellschafterin der Schuldnerin.
In der Gesellschafterversammlung der Schuldnerin am 28. September 2009 beschloss die Beklagte nach Feststellung des Jahresabschlusses zum 31. Dezember 2008, den im Geschäftsjahr 2008 erwirtschafteten Jahresüberschuss in Höhe von 246.178,14 € auf neue Rechnung vorzutragen. Mit weiterem Gesellschafterbeschluss vom 1. Dezember 2009 beschloss die Beklagte für das Geschäftsjahr 2008 einen Gewinn in Höhe von 200.000 € auszuschütten. Am 9. Dezember 2009 überwies die Schuldnerin der Beklagten einen Betrag von 200.000 €.
Der auf Zahlung von 200.000 € gerichteten Klage ist in den Vorinstanzen stattgegeben worden. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Aus den Gründen
4 Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
5 Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Kläger habe einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 200.000 € aus § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Der Gewinn des Geschäftsjahrs 2008 sei durch den Gewinnvortrag vorübergehend bei der Gesellschaft verblieben und in den verteilungsfähigen Gewinn übergegangen; die Beklagte habe es als Alleingesellschafterin aber jederzeit in der Hand gehabt, eine Gewinnverteilung tatsächlich durchzuführen. Mit der Ausschüttung des Gewinnvortrags an die Beklagte sei eine Forderung aus einer Rechtshandlung zurückgewährt worden, die einem Gesellschafterdarlehen nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO wirtschaftlich entspreche. Im Fall eines Alleingesellschafters einer GmbH sei der sachliche Anwendungsbereich des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO eröffnet, wenn der Gesellschafter der Gesellschaft durch einen Gewinnvortrag auf neue Rechnung liquide Mittel zur Verfügung stelle. Bei der gebotenen rein wirtschaftlichen Betrachtungsweise habe dies für die Gesellschaft dieselben Folgen wie eine Auszahlung des Gewinns an den Gesellschafter verbunden mit einer anschließenden vorübergehenden Zurverfügungstellung des ausgezahlten Betrags an die Gesellschaft. Zwar entstehe der Gewinnanspruch des Gesellschafters erst mit dem Gewinnverwendungsbeschluss. Der Alleingesellschafter könne aber jederzeit seinen Ausschüttungswillen durchsetzen, so dass durch geschickte Beschlussfassung das Anfechtungsrisiko des § 135 InsO umgangen werden könne. Dies habe der Gesetzgeber des am 1. November 2008 in Kraft getretenen Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. Oktober 2008 (BGBl. I S. 2026) nicht gewollt.
II.
6 Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand. Die Gewinnausschüttung an die Beklagte in Höhe von 200.000 € unterliegt als Rückführung einer einem Darlehen wirtschaftlich entsprechenden Forderung gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO der Anfechtung.
7 1. Die Vorschriften in § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO unterwerfen neben Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens auch Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, dem insolvenzrechtlichen Nachrang und damit der Insolvenzanfechtung. Die Generalklausel der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit soll die Rechtsprechung in den Stand setzen, sämtliche nicht ausdrücklich vom Wortlaut des Gesetzes erfasste, jedoch einem Gesellschafterdarlehen vergleichbare Sachverhalte entsprechend zu beurteilen (BGH, Urteil vom 27. Juni 2019 - IX ZR 167/18, BGHZ 222, 283 Rn. 22). Für eine Forderung, die einem Darlehen wirtschaftlich entspricht, ist eine Rechtshandlung erforderlich, die in gleicher Weise wie ein Darlehen Finanzierungsfunktion hat. Entscheidend ist, dass der Gesellschaft wie bei einem Darlehen zeitweise ein Kapitalwert zur Nutzung überlassen wird (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2020 - IX ZR 231/19, ZIP 2020, 2409 Rn. 11 f, 16). Der Nachrang beruht auf der Bereitschaft des Gesellschafters, der Gesellschaft auf Zeit Mittel zur Finanzierung zur Verfügung zu stellen. Dies richtet sich nicht nach der rechtlichen Form etwaiger Geldgeschäfte zwischen Gesellschaft und Gesellschafter, sondern nach der wirtschaftlichen Funktion des Geschäfts (BGH, Urteil vom 27. Juni 2019, aaO Rn. 23 mwN).
8 2. Nach diesen Maßstäben unterliegt die Auszahlung eines Gewinns an den Alleingesellschafter einer GmbH als Rückzahlung einer wirtschaftlich einem Darlehen entsprechenden Forderung der Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, wenn der nunmehr ausgeschüttete Gewinn zuvor aufgrund einer Finanzierungsentscheidung des Gesellschafters auf neue Rechnung vorgetragen worden war.
9 a) Der Senat hat bereits entschieden, dass eine darlehensgleiche Forderung vorliegt, wenn durch einen Gewinnverwendungsbeschluss ein Anspruch des Gesellschafters auf Ausschüttung des Gewinns der Gesellschaft begründet und die Gewinnforderung nicht zeitnah ausgeschüttet, sondern über einen längeren Zeitraum auf einem Kapitalkonto des Kommanditisten stehen gelassen wird (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - IX ZR 122/19, ZIP 2021, 93 Rn. 13 mwN). Denn ungeachtet des Entstehungsgrunds entsprechen einem Darlehen alle aus sonstigem Rechtsgrund herrührenden Forderungen, die der Gesellschaft rechtlich oder rein faktisch gestundet werden, weil eine Stundung bei wirtschaftlicher Betrachtung eine Darlehensgewährung bewirkt (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2020, aaO Rn. 12).
10 b) Die in der Literatur und obergerichtlichen Rechtsprechung streitige Frage, ob auch die Ausschüttung eines Gewinnvortrags an einen Gesellschafter als Befriedigung einer darlehensgleichen Forderung zu qualifizieren ist und damit der Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO unterliegt, hat der Senat zuletzt offengelassen (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2020, aaO Rn. 30).
11 aa) Nach einer verbreiteten Auffassung kann die Ausschüttung an den Gesellschafter bei Auflösung eines Gewinnvortrags mangels wirtschaftlicher Vergleichbarkeit nicht als Rückgewähr einer darlehensgleichen Forderung angesehen werden. Die Bestimmungen der § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO seien nur auf die Überlassung von Fremdkapital, nicht auf die Überlassung von Eigenkapital anwendbar. Erst mit dem Beschluss der Gesellschafter, den Gewinn auszuschütten, entstehe eine unentziehbare Forderung des einzelnen Gesellschafters, die in der Bilanz der Gesellschaft als Fremdkapital ausgewiesen werden könne. Bis dahin sei der Gewinnvortrag ein Bilanzposten des Eigenkapitals der Gesellschaft, das durch zukünftige Verluste der Gesellschaft aufgezehrt werden könne. Eine analoge Anwendung der § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO scheitere am Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke; aus den Erwägungen des Gesetzgebers bei der Einführung des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Vermeidung von Missbräuchen vom 23. Oktober 2008 erschließe sich, dass die Insolvenzanfechtung nach § 135 InsO auf die Gesellschafterfremdfinanzierung habe beschränkt werden sollen. Zudem bestehe kein Bedarf für eine analoge Anwendung der § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, da der Eigenkapitalschutz durch die speziellen Vorschriften der §§ 30, 31 GmbHG, die Haftung der Geschäftsführer nach § 64 GmbHG aF beziehungsweise § 15b InsO nF sowie die Grundsätze über den existenzvernichtenden Eingriff gewährleistet sei (vgl. OLG Schleswig, NZI 2017, 452, 453 f; Schmidt/Schmidt/Herchen, InsO, 19. Aufl., § 39 Rn. 53; Graf-Schlicker/Neußner, InsO, 5. Aufl., § 135 Rn. 9 f; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Görner, GmbHG, 6. Aufl., Anh. § 30 Rn. 86; Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 22. Aufl., Anh. § 64 Rn. 83a; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, GmbHG, 3. Aufl., § 29 Rn. 190; Menkel, NZG 2014, 982, 983 f; Seibold/Waßmuth, GmbHR 2016, 962, 963; Priester, GmbHR 2017, 1245 ff; Wünschmann, NZG 2017, 51 ff; Primozic, NZI 2017, 455 f; Berjasevic/Janning, DB 2017, 1957).
12 bb) Nach anderer Auffassung liegt eine darlehensgleiche Forderung vor, wenn die Gesellschafter durch einen Gewinnvortrag auf neue Rechnung der Gesellschaft liquide Mittel zur Verfügung stellen. Durch den Gewinnvortrag auf neue Rechnung verbleibe der Gewinn bis zum nächsten Gewinnverwendungsbeschluss vorübergehend bei der Gesellschaft. Auch wenn der Gewinnanspruch des Gesellschafters sich erst mit dem auf Ausschüttung gerichteten Gewinnverwendungsbeschluss zu einem der Höhe nach bestimmbaren Gläubigerrecht verfestige, sei er schon vorher als mitgliedsrechtlicher Anspruch gemäß § 29 GmbHG begründet. Außerdem bestehe ein Wertungswiderspruch im Hinblick darauf, dass im Insolvenzfall Gesellschafterdarlehen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) gegenüber dem Eigenkapital (§ 199 InsO) privilegiert würden, aber im Insolvenzvorfeld die Rückführung von zurückgezahlten Gesellschafterdarlehen zur Masse leichter möglich sei als die Rückführung von Eigenkapitalausschüttungen (vgl. Uhlenbruck/Hirte, InsO, 15. Aufl., § 39 Rn. 38; MünchKomm-InsO/Behme, 4. Aufl., § 39 Rn. 73; HK-InsO/Kleindiek, 10. Aufl., § 135 Rn. 29; Habersack in Habersack/Casper/Lübbe, GmbHG, 3. Aufl., Anh. § 30 Rn. 58; Scholz/Bitter, GmbHG, 12. Aufl., Anh. § 64 Rn. 231 ff; ders., ZIP 2019, 146, 153 f; Gehrlein, NZI 2021, 165, 167 f; Mylich, ZGR 2009, 474, 492 f; ders., ZIP 2017, 1255 ff; Freudenberg, ZInsO 2014, 1544, 1546 f; Haas, ZIP 2017, 545, 549; ausdrücklich beschränkt auf den Alleingesellschafter einer GmbH bzw. den Mehrheitsgesellschafter: OLG Koblenz, ZInsO 2013, 2168, 2169 f; LG Hamburg, ZIP 2015, 1795 f; Kruth, DStR 2017, 2126, 2129 f).
13 cc) Der Senat entscheidet die streitige Frage dahingehend, dass die Ausschüttung eines Gewinnvortrags an den Alleingesellschafter einer GmbH als Rückgewähr einer darlehensgleichen Forderung der Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO unterliegt. Indem sich der Gesellschafter bei der Fassung des Gewinnverwendungsbeschlusses entscheidet, den Jahresgewinn nicht auszuschütten, sondern auf neue Rechnung vorzutragen, trifft er - wie bei der Gewährung eines Darlehens - eine Finanzierungsentscheidung zugunsten der Gesellschaft.
14 (1) Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 GmbHG haben die Gesellschafter Anspruch auf den Jahresüberschuss zuzüglich eines Gewinnvortrags und abzüglich eines Verlustvortrags, soweit der sich ergebende Betrag nicht nach Gesetz oder Gesellschaftsvertrag, durch Beschluss nach § 29 Abs. 2 GmbHG oder als zusätzlicher Aufwand auf Grund des Beschlusses über die Verwendung des Ergebnisses von der Verteilung unter die Gesellschafter ausgeschlossen ist. Gemäß § 29 Abs. 2 GmbHG können Gesellschafter im Gewinnverwendungsbeschluss einen Betrag als Gewinn auf das nächste Geschäftsjahr vortragen. Der Gewinnvortrag steht mit dem Ergebnis des nächsten Geschäftsjahrs im Rahmen des neuen Gewinnverwendungsbeschlusses wieder zur Disposition der Gesellschafter, ohne dass es der vorherigen Auflösung durch Gesellschafterbeschluss bedarf. Aber auch schon zuvor kann - sofern gesellschaftsvertraglich nichts anderes bestimmt ist - jederzeit durch einen Änderungsbeschluss eine Auflösung des Gewinnvortrags und Ausschüttung des Betrags an die Gesellschafter bewirkt werden.
15 Der Gesellschafter überlässt der Gesellschaft beim Vortrag des Gewinns auf neue Rechnung, wie bei einem Darlehen, vorübergehend Kapital und verschafft ihr temporär Liquidität. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise macht es beim Alleingesellschafter einer GmbH keinen Unterschied, ob ein von der Gesellschaft erwirtschafteter Gewinn zunächst an den Gesellschafter ausgeschüttet und anschließend wieder als Gesellschafterdarlehen zur Verfügung gestellt wird oder der Gewinn gemäß § 29 Abs. 2 GmbHG auf neue Rechnung vorgetragen wird. Erst recht macht es keinen Unterschied, ob der erwirtschaftete Gewinn nach Fassung eines Ausschüttungsbeschlusses stehengelassen wird (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - IX ZR 122/19, ZIP 2021, 93 Rn. 13) oder erst auf neue Rechnung vorgetragen wird und ein Ausschüttungsbeschluss später gefasst wird. Stets stehen die Mittel der Gesellschaft zum Wirtschaften oder zur Vornahme von Investitionen zur Verfügung. Der Gesellschafter entscheidet sich in allen diesen Fällen dafür, der Gesellschaft eine Finanzierungsquelle für die weitere Geschäftstätigkeit zu überlassen, die ihm mittelbar über seine Stellung als Gesellschafter zugutekommt (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2019 - IX ZR 167/18, BGHZ 222, 283 Rn. 25).
16 Die in dem Beschluss nach § 29 Abs. 2 GmbHG liegende Finanzierungsentscheidung des Gesellschafters fällt in den Anwendungsbereich der § 39 Abs. 1 Nr. 5, § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Die vom Gesetzgeber gewählte Form einer Generalklausel soll die Erfassung gerade jener Sachverhalte ermöglichen, welche einer Darlehensgewährung durch einen Gesellschafter wirtschaftlich entsprechen und daher im Interesse des Gläubigerschutzes den gleichen Rechtsfolgen unterworfen werden müssen (BGH, Urteil vom 27. Juni 2019, aaO Rn. 22). Bei ihrer Auslegung ist Vorsorge dagegen zu treffen, dass der Gesellschafter das mit einer Darlehensgewährung verbundene Risiko auf die Gemeinschaft der Gesellschaftsgläubiger abwälzt (BGH, Urteil vom 21. Februar 2013 - IX ZR 32/12, BGHZ 196, 220 Rn. 12). Die Rechtsfolgen des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO dürfen nicht durch die Wahl einer bestimmten rechtlichen Konstruktion unterlaufen werden (BGH, Urteil vom 21. Februar 2013, aaO Rn. 31). Der Alleingesellschafter einer GmbH kann aber jederzeit eine von ihm gewünschte Gewinnverteilung beschließen oder abändern und durch die Vornahme eines Gewinnvortrags und dessen späterer Ausschüttung das Risiko einer Insolvenzanfechtung wegen Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens umgehen.
17 (2) Aus dem Umstand, dass ein selbständiger Gewinnauszahlungsanspruch des Gesellschafters erst mit der Feststellung des Jahresabschlusses und der Fassung des auf Ausschüttung gerichteten Gewinnverwendungsbeschlusses entsteht, folgt nichts Gegenteiliges. Der Auszahlungsanspruch der Beklagten ergibt sich aus dem Ausschüttungsbeschluss vom 1. Dezember 2009. Dieser Anspruch ist darlehensgleich, weil ihm der Gewinnverwendungsbeschluss vom 28. September 2009 vorausging und die Beklagte mit diesem Beschluss eine Finanzierungsentscheidung zugunsten der Gesellschaft traf.
18 Zwar trifft es zu, dass der Gewinnauszahlungsanspruch des Gesellschafters einer GmbH erst mit und durch einen auf Ausschüttung des Gewinns gerichteten Gewinnverwendungsbeschluss entsteht. Erst ab diesem Zeitpunkt wird der Ausschüttungsanspruch als selbständiger schuldrechtlicher Anspruch dem Vermögen des Gesellschafters zugeordnet und kann ihm auch durch Mehrheitsbeschluss nicht mehr gegen seinen Willen entzogen werden (BGH, Urteil vom 14. September 1998 - II ZR 172/97, BGHZ 139, 299, 302 f). Vor der Fassung eines auf Gewinnausschüttung gerichteten Verwendungsbeschlusses ist damit kein dem einzelnen Gesellschafter zuzuordnendes Fremdkapital vorhanden, welches der Gesellschafter der Gesellschaft überlassen und als Verbindlichkeit der Gesellschaft in der Bilanz verbucht werden könnte (§ 266 Abs. 3 C. HGB). Bei dem Gewinnvortrag handelt es sich bilanziell um Eigenkapital der Gesellschaft (§ 266 Abs. 3 A. IV HGB). Er kann durch spätere Verluste der Gesellschaft wieder aufgezehrt werden und steht dann für eine Ausschüttung an die Gesellschafter nicht mehr zur Verfügung. Sowohl bei dem als Eigenkapital zu verbuchenden Gewinnvortrag als auch bei dem als Fremdkapital zu verbuchenden (noch nicht ausgezahlten) Gewinnauszahlungsanspruch des Gesellschafters handelt es sich aber jeweils um Positionen auf der Passivseite der Bilanz. Beiden Bilanzpositionen ist gemein, dass sie die Finanzierungsquellen der Gesellschaft ausweisen (vgl. Marx/Dallmann in Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, 2015, § 266 HGB Rn. 22.3).
19 Die Regelungen in § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO setzen die Überlassung von Fremdkapital weder ihrem Wortlaut noch ihrem Sinn und Zweck nach voraus. So liegt zwar regelmäßig eine darlehensgleiche Forderung vor, wenn der Gesellschafter der Gesellschaft aus seinem Vermögen vorübergehend einen Geldbetrag zur Verfügung stellt und sich Gesellschafter und Gesellschaft von vornherein darüber einig waren, dass die Gesellschaft das Geld zurückzuzahlen habe (BGH, Urteil vom 27. Juni 2019 - IX ZR 167/18, BGHZ 222, 283 Rn. 30); in einem derartigen Fall ist der Rückforderungsanspruch des Gesellschafters bilanziell als Fremdkapital zu verbuchen. Dies schließt aber nicht aus, dass die vorübergehende Überlassung von bilanziellem Eigenkapital wirtschaftlich einem Darlehen gleichstehen kann. Entscheidend ist, dass der Gesellschafter seiner Gesellschaft einen ohne seine Handlung sonst im Vermögen der Gesellschaft nicht vorhandenen Geldbetrag verschafft oder belassen hat und die Gesellschaft hierdurch über zusätzliche finanzielle Mittel verfügt (BGH, Urteil vom 27. Juni 2019, aaO). Als darlehensgleich kann eine Forderung daher auch zu beurteilen sein, wenn der Gesellschafter einen fälligen Anspruch darlehensfremder Art nicht gegen die Gesellschaft geltend macht, insbesondere im Fall einer rechtlichen oder faktischen Stundung (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2020 - IX ZR 231/19, ZIP 2020, 2409 Rn. 12 mwN).
20 Dem entspricht der Fall bei der Entscheidung des Alleingesellschafters einer GmbH, nach Feststellung des Jahresabschlusses den erzielten Gewinn nicht sogleich auszuschütten, sondern auf neue Rechnung vorzutragen. Denn mit dem Ablauf des Geschäftsjahrs wird bereits ein mitgliedschaftlicher Anspruch des Gesellschafters auf Feststellung des Jahresabschlusses und Fassung eines Gewinnverwendungsbeschlusses begründet. Aufgrund des Gewinnstammrechts ist der Gewinnanspruch des Gesellschafters dem Grunde nach gemäß § 29 GmbHG bereits dann angelegt, wenn die Gesellschaft Gewinne erzielt hat und der Gesellschafter nach den gesetzlichen und gesellschaftsvertraglichen Verteilungsregeln daran teilhat. Sieht er gleichwohl von einer Ausschüttung ab und trägt den Gewinn auf neue Rechnung vor, überlässt er der Gesellschaft finanzielle Mittel zur weiteren Nutzung und verbessert so die finanzielle Leistungsfähigkeit der Gesellschaft. Denn der tragende Grund der Nachrangigkeit im Insolvenzfall liegt darin, dass der Gesellschafter mit seiner Finanzierungsentscheidung die Kapitalausstattung der eigenen Gesellschaft verbessert hat (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2019 - IX ZR 167/18, BGHZ 222, 283 Rn. 24).
21 (3) Der rechtlichen Einordnung der Forderung der Beklagten aufgrund des Gewinnausschüttungsbeschlusses vom 1. Dezember 2009 als wirtschaftlich einem Gesellschafterdarlehen entsprechende Forderung stehen keine anderen Gründe entgegen.
22 (a) Bei der Forderung handelt es sich nicht um eine erzwungene Stundung. Insbesondere hat keine der Parteien geltend gemacht, dass einer Ausschüttung des Gewinns bereits im Zeitpunkt des Beschlusses vom 28. September 2009 die Regelungen der §§ 30, 31 GmbHG entgegengestanden hätten.
23 Der Gewinnauszahlungsanspruch des Gesellschafters findet in §§ 30, 31 GmbHG seine Grenze. Erleidet die Gesellschaft nach dem Bilanzstichtag, aber vor der Beschlussfassung über die Ergebnisverwendung Verluste, so dass ein nach dem festgestellten Jahresabschluss ausschüttungsfähiger Gewinn im Zeitpunkt des Verwendungsbeschlusses ganz oder teilweise nur noch unter Verstoß gegen § 30 Abs. 1 GmbHG ausgeschüttet werden könnte, ist der auf vollständige Ausschüttung des nach dem Jahresabschluss ausschüttungsfähigen Gewinns gerichtete Gewinnverwendungsbeschluss gleichwohl wirksam. Jedoch ist die Ausschüttung an die Gesellschafter wegen §§ 30, 31 GmbHG so lange und so weit gehemmt, bis eine Ausschüttung wieder möglich ist, ohne das Stammkapital anzutasten (vgl. Scholz/Verse, GmbHG, 12. Aufl., § 29 Rn. 50; MünchKomm-GmbHG/Ekkenga, 3. Aufl., § 29 Rn. 162, 112; Baumbach/Hueck/Kersting, GmbHG, 22. Aufl., § 29 Rn. 56; Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, GmbHG, 3. Aufl., § 30 Rn. 118; vgl. auch BGH, Urteil vom 29. September 1977 - II ZR 157/76, BGHZ 69, 274, 281; Urteil vom 29. Mai 2000 - II ZR 118/98, BGHZ 144, 336, 340).
24 Kann eine Gewinnausschüttung trotz eines entsprechenden Gewinnverwendungsbeschlusses wegen §§ 30, 31 GmbHG nicht vorgenommen werden, ist dies mit einer erzwungenen Stundung des Gewinnauszahlungsanspruchs des Gesellschafters vergleichbar. Der Gesellschafter trifft in diesem Fall keine freiwillige Entscheidung, der Gesellschaft das Kapital weiter zu belassen; er ist vielmehr wegen §§ 30, 31 GmbHG daran gehindert, eine Auszahlung an sich durchzusetzen. Dann stellt das Stehenlassen des Gewinnauszahlungsanspruchs keine Rechtshandlung dar, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entspricht.
25 Lässt der Gesellschafter hingegen seine nach Fassung eines Gewinnverwendungsbeschlusses entstandene Forderung gegen die Gesellschaft auf Auszahlung stehen, obwohl eine Auszahlung ohne Verstoß gegen §§ 30, 31 GmbHG vorgenommen werden könnte, kann eine Umwandlung des Gewinnauszahlungsanspruchs in ein Darlehen im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO vorliegen. Der Gesellschafter hätte in diesem Fall auch die Auszahlung verlangen und den Betrag anschließend der Gesellschaft als echtes Darlehen wieder zur Verfügung stellen können (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 1977 - II ZR 157/76, BGHZ 69, 274, 281 zur Rückzahlung der Pflichteinlage; vom 17. Dezember 2020 - IX ZR 122/19, ZIP 2021, 93 Rn. 13).
26 Entsprechendes gilt, wenn der Alleingesellschafter einer GmbH einen Beschluss nach § 29 Abs. 2 GmbHG fasst, den Gewinn auf neue Rechnung vorzutragen. Auch hier fehlt es an einer Rechtshandlung, die einem Darlehen wirtschaftlich entspricht, wenn der Gesellschafter - hätte er die Ausschüttung des Betrags beschlossen - an der Auszahlung wegen §§ 30, 31 GmbHG gehindert gewesen wäre.
27 Im Streitfall standen die Regelungen der §§ 30, 31 GmbHG nach dem unstreitigen Sachvortrag der Parteien einer Ausschüttung des Gewinns zum Zeitpunkt des Beschlusses vom 28. September 2009 nicht entgegen. Auch die Beklagte, die sich gegen die Inanspruchnahme nach § 143 Abs. 1 Satz 1, § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO verteidigt, hat nicht behauptet, dass eine Auszahlung am 28. September 2009 aufgrund der damaligen bilanziellen Situation der Schuldnerin eine Unterbilanz herbeigeführt oder vertieft hätte. Sie ist im Gegenteil auch der Behauptung des Klägers, im Zeitpunkt der Auszahlung der 200.000 € am 9. Dezember 2009 habe eine Unterbilanz der Gesellschaft bestanden, entschieden entgegengetreten. Schließlich ergeben sich weder aus dem zum 31. Dezember 2008 festgestellten Jahresabschluss noch aus dem Gewinnverwendungsbeschluss vom 28. September 2009 Indizien, dass eine Unterbilanz bereits im September 2009 bestanden hat. Die Beklagte hat damit mit dem Beschluss vom 28. September 2009, den Gewinn des Geschäftsjahrs 2008 auf neue Rechnung vorzutragen, vergleichbar einer Darlehensgewährung eine Finanzierungsentscheidung zugunsten der Schuldnerin getroffen.
28 (b) Ebenso wenig steht der rechtlichen Einordnung als wirtschaftlich einem Darlehen entsprechende Forderung entgegen, dass zwischen den Parteien streitig und vom Berufungsgericht offengelassen worden ist, ob durch die Auszahlung am 9. Dezember 2009 eine Unterbilanz der Gesellschaft herbeigeführt oder vertieft wurde. Die Frage, ob deswegen Ansprüche aus §§ 30, 31 GmbHG bestanden, kann vorliegend offenbleiben. Sind die Voraussetzungen für die Einordnung des Gewinnanspruchs als wirtschaftlich einem Darlehen gleichstehende Forderung - wie im Streitfall - erfüllt, führt dies zur Anfechtbarkeit nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Selbst wenn die Auszahlung nur unter Verwendung des Stammkapitals möglich war, ändert dies nichts daran, dass die Forderung, auf die gezahlt wurde, eine nachrangige Insolvenzforderung nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO war und bleibt. Die Befriedigung ist daher anfechtbar. Ob und unter welchen Voraussetzungen in einem solchen Fall der lediglich wirtschaftlich einem Darlehen gleichstehenden Forderung daneben ein Anspruch auf Rückgewähr des ausgezahlten Betrags nach §§ 30, 31 GmbHG in Betracht kommt (vgl. für echte Fremdverbindlichkeiten: BGH, Urteil vom 29. September 1977 - II ZR 157/76, BGHZ 69, 274, 281 und jedenfalls insoweit auch § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG), kann dahinstehen. Würde ein solcher Anspruch aus §§ 30, 31 GmbHG bestehen, würde er neben den insolvenzrechtlichen Rückgewähranspruch treten und ihn keinesfalls ausschließen. Dies ergibt sich auch nicht aus § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG. Die Beklagte wäre deswegen in einem solchen Fall der Anspruchskonkurrenz - sofern und soweit ein Auszahlungsverbot erst zum Zeitpunkt der Ausschüttung am 9. Dezember 2009 bestanden haben sollte - zur Rückzahlung der Ausschüttung verpflichtet, sei es nach § 31 GmbHG, sei es aufgrund der erfolgreichen Anfechtung nach § 143 InsO.
29 (c) Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28. Januar 2020 (II ZR 10/19, BGHZ 224, 235) steht dem nicht entgegen. Die Entscheidung betrifft die Frage, ob eine Abfindungsforderung eines vor der Insolvenz der Gesellschaft ausgeschiedenen Gesellschafters als (nachrangige) Insolvenzforderung zur Tabelle festgestellt werden kann oder ob dem ihre kapitalerhaltungsrechtliche Bindung nach §§ 30, 31 GmbHG analog entgegensteht. Im Streitfall geht es hingegen um die Anfechtbarkeit einer vor Insolvenzeröffnung erfolgten Befriedigung einer Forderung eines Gesellschafters aufgrund eines Gewinnausschüttungsbeschlusses.