BGH: Insolvenz und Verjährungsbeginn
BGH, Urteil vom 7.4.2022 – IX ZR 107/20
ECLI:DE:BGH:2022:070422UIXZR107.20.0
Volltext: BB-Online BBL2022-1089-4
Amtlicher Leitsatz
Hinsichtlich des Beginns der Verjährungsfrist hat sich der Insolvenzverwalter die bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangte Kenntnis des Insolvenzschuldners von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Drittschuldners grundsätzlich zurechnen zu lassen.
Sachverhalt
Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. AG, vormals F. AG (nachfolgend: Schuldnerin). Die Schuldnerin war zusammen mit anderen Gesellschaften der sogenannten G. auf dem unregulierten Kapitalmarkt tätig. Der Beklagte ist Inhaber von Genussrechten bei der Schuldnerin, welchen deren Allgemeine Geschäftsbedingungen zugrunde lagen, wonach an die Genussrechtsinhaber unter bestimmten Voraussetzungen und abhängig von Jahresüberschüssen jährlich eine Basisdividende und eine Übergewinnbeteiligung ausgeschüttet werden sollten (vgl. zum Wortlaut der Allgemeinen Geschäftsbedingungen: BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020 - IX ZR 247/19, NJW 2021, 234). Die Jahresabschlüsse der Schuldnerin für die Jahre 2011 bis 2013 wiesen Jahresüberschüsse aus. Dementsprechend erhielt der Beklagte von der Schuldnerin am 25. August 2011 eine Basisdividende in Höhe von 612,50 € und eine Übergewinnbeteiligung in Höhe von 293,81 € (insgesamt 906,31 €), am 26. September 2012 eine Basisdividende in Höhe von 1.510,21 € und eine Übergewinnbeteiligung in Höhe von 958,82 € (insgesamt 2.469,03 €) und am 26. September 2013 eine Basisdividende in Höhe von 2.021,96 € und eine Übergewinnbeteiligung in Höhe von 1.951,54 € (insgesamt 3.973,50 €), insgesamt mithin 7.348,84 €.
Die hinter der G. stehenden Akteure gerieten wegen des Verdachts des Kapitalanlagebetrugs in den Blick der zuständigen Staatsanwaltschaft. Im Oktober/November 2013 kam es daher zu Durchsuchungen. Auf am 13. November 2013 beim Insolvenzgericht eingegangenen Eigenantrag wurde am 1. April 2014 über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Im Juli 2018 wurden Verantwortliche der G. wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs beziehungsweise der Beihilfe dazu verurteilt. Die Verurteilungen sind, mit Ausnahme der des Angeklagten P. , rechtskräftig (BGH, Urteil vom 29. Oktober 2021 - 5 StR 443/19, BeckRS 2021, 43375).
Der Kläger focht die Feststellung der Jahresabschlüsse der Schuldnerin für die streitgegenständlichen Jahre an, soweit die Jahresabschlüsse nach § 325 Abs. 2 HGB im Bundesanzeiger bekannt gemacht worden sind (§§ 256, 257 AktG).
Der Kläger verlangt mit der Behauptung, die vertraglichen Voraussetzungen der Ausschüttung von Dividende und Übergewinnbeteiligung hätten in den maßgeblichen Jahren nicht vorgelegen, die von der Schuldnerin an den Beklagten erbrachten Ausschüttungen aufgrund von Schenkungsanfechtung, hilfsweise bereicherungsrechtlich, zurück. Die Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision möchte der Kläger die Verurteilung des Beklagten erreichen.
Aus den Gründen
5 Die Revision hat Erfolg.
I.
6 Das Berufungsgericht hat zur Begründung ausgeführt: Der Rückzahlungsanspruch aus § 143 Abs. 1, § 129 Abs. 1, § 134 InsO scheide aus, weil es sich bei den Zahlungen an den Beklagten nicht um unentgeltliche Leistungen im Sinne von § 134 InsO gehandelt habe. Eine Leistung ohne Rechtsgrund könne eine unentgeltliche Leistung sein, wenn die Rückforderung der Leistung nach § 814 BGB wegen der Kenntnis des fehlenden Rechtsgrunds ausgeschlossen sei. Es sei schon fraglich, ob es für das Bestehen des Auszahlungsanspruchs nicht auf die festgestellten Jahresabschlüsse, sondern auf die wahre Ertragslage der Schuldnerin ankomme. Diese Frage könne aber dahinstehen, weil selbst im letzteren Fall eine unentgeltliche Leistung wegen fehlender Kenntnis der Schuldnerin von dem fehlenden Rechtsgrund nicht gegeben sei. Der Leistende müsse positive Kenntnis der Rechtslage im Zeitpunkt der Leistung haben, wobei eine Parallelwertung in der Laiensphäre ausreiche. Dass der Vorstand der Schuldnerin eine solche positive Kenntnis im Leistungszeitpunkt gehabt habe, könne im Streitfall nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. Mit dem Nachweis eines bewusst betriebenen Schneeballsystems könne nicht bewiesen werden, dass den Organen der Schuldnerin damit auch positiv bekannt gewesen sei, die Bilanzen seien bilanzrechtlich falsch gewesen. Denn auch ein bewusst betriebenes Schneeballsystem sage allein und für sich genommen nichts darüber aus, ob in diesem nur fingierte Scheingewinne erwirtschaftet würden. Gegen die Annahme, dass der Vorstand der Schuldnerin im Zeitpunkt der Auszahlung nicht nur gewusst habe, dass die Bilanzen fehlerhaft gewesen seien, sondern auch, dass bei Berücksichtigung notwendiger Abwertungserfordernisse und zutreffender Bilanzierung Jahresfehlbeträge bestanden hätten, die einem Auszahlungsanspruch des Beklagten entgegengestanden hätten, spreche entscheidend, dass die Jahresabschlüsse nicht nur mit Billigung des Aufsichtsrats verbindlich festgestellt, sondern darüber hinaus durch einen Wirtschaftsprüfer testiert worden seien. Es spreche nichts dafür, dass der Vorstand der Schuldnerin demgegenüber ein überlegenes Fachwissen gehabt habe. Auch fehle es an Anhaltspunkten dafür, dass der Vorstand der Schuldnerin zumindest im Rahmen einer laienhaft rechtlichen Schlussfolgerung angenommen habe, dass die Jahresabschlüsse der Schuldnerin nichtig und damit unverbindlich gewesen seien. Insbesondere könne nicht angenommen werden, dass die Organe der Schuldnerin zumindest im Rahmen einer Parallelwertung in der Laiensphäre gewusst hätten, was wann mit welchem Wert zutreffend hätte bilanziert werden müssen. Aus den vom Kläger vorgelegten Schriftstücken ergebe sich solches nicht.
II.
7 Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
8 1. Mit der Begründung des Berufungsgerichts lässt sich ein Anspruch des Klägers auf Rückgewähr der Ausschüttungen aus § 143 Abs. 1, § 134 Abs. 1 InsO nicht verneinen. Nach den vom Berufungsgericht bislang getroffenen Feststellungen lässt sich nicht ausschließen, dass der Beklagte von der Schuldnerin im Zeitraum von vier Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens unentgeltliche Leistungen erhalten hat (§ 134 Abs. 1 InsO).
9 a) Die zugunsten des Beklagten erfolgten Ausschüttungen stellen Leistungen der Schuldnerin dar. Infolge des Vermögensabflusses haben die Zahlungen eine objektive Gläubigerbenachteiligung (§ 129 Abs. 1 InsO) bewirkt (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020 - IX ZR 247/19, NJW 2021, 234 Rn. 13; vom 22. Juli 2021 - IX ZR 26/20, WM 2021, 1646 Rn. 9; vom 2. Dezember 2021 - IX ZR 110/20, WM 2022, 126 Rn. 8). Sie erfolgten innerhalb von vier Jahren vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung.
10 b) Die Auszahlungen können eine unentgeltliche Leistung im Sinne von § 134 Abs. 1 InsO darstellen.
11 aa) Eine unentgeltliche Leistung läge nicht vor, wenn der Beklagte aufgrund des Genussrechtsvertrags Anspruch auf die Ausschüttungen gehabt hat, weil diese dann objektiv den Ausgleich für die Gewährung des Genussrechtskapitals darstellten (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2021, aaO Rn. 11; vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 10). Das Gleiche gilt, wenn die Schuldnerin sie ohne Rechtsgrund vorgenommen und ihr deswegen ein Bereicherungsanspruch gegen den Beklagten zugestanden hat, wenn also der Beklagte aufgrund des Genussrechtsvertrags keinen Anspruch auf die Auszahlungen gegen die Schuldnerin gehabt hat und er einem Bereicherungsanspruch der Schuldnerin nicht § 814 BGB hat entgegenhalten können (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2021, aaO Rn. 12; vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 11).
12 bb) Revisionsrechtlich ist davon auszugehen, dass die Ausschüttungen der Schuldnerin an den Beklagten rechtsgrundlos erfolgten.
13 (1) Der Genussrechtsvertrag, den der Beklagte mit der Schuldnerin geschlossen hatte, ist weder nach § 138 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 13 mwN) noch nach § 134 BGB unwirksam (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 14 mwN).
14 (2) Ob dem Beklagten ein Anspruch auf die streitgegenständlichen Ausschüttungen zustand, ergibt sich mithin aus dem Genussrechtsvertrag und aus den dem Vertrag zugrundeliegenden Genussrechtsbedingungen. Die streitgegenständlichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind dahin auszulegen, dass die materiellen Voraussetzungen der Ausschüttungen sich nach der objektiven (wahren) Ertragslage der Schuldnerin bestimmen. Unerheblich sind die endgültig festgestellten Jahresabschlüsse sowie ihre Wirksamkeit nach dem Aktiengesetz (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020 - IX ZR 247/19, NJW 2021, 234 Rn. 21 ff; vom 22. Juli 2021 - IX ZR 26/20, WM 2021, 1646 Rn. 18; vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 17, 22).
15 (a) Danach kommt es - entgegen der Annahme des Berufungsgerichts - allein darauf an, ob die Schuldnerin in den streitgegenständlichen Jahren tatsächlich Gewinne erwirtschaftet hat. Ob dies der Fall war, hängt davon ab, ob die streitgegenständlichen Jahresabschlüsse, welche jeweils Gewinne ausgewiesen haben, fehlerhaft und bei fehlerfreier Erstellung der Jahresabschlüsse Gewinne nicht angefallen sind. Enthalten die Jahresabschlüsse handelsrechtlich zulässige Bewertungen, liegt ein Fehler nicht vor (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2021, aaO Rn. 19; vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 18).
16 (b) Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Jahresabschlüsse fehlerhaft sind, die Schuldnerin entgegen den Abschlüssen tatsächlich Verluste erwirtschaftet hat und ein Auszahlungsanspruch des Beklagten danach nicht bestand, die Auszahlungen mithin ohne Rechtsgrund erfolgt sind. Insbesondere hat es dahinstehen lassen, ob die Jahresabschlüsse nach § 256 AktG nichtig waren, ob die in den im Strafverfahren eingeholten Gutachten enthaltenen Bewertungen zu den Bilanzierungsfehlern zutreffen und ob die Jahresabschlüsse nach Zerschlagungswerten hätten aufgestellt werden müssen. Davon ist deswegen revisionsrechtlich auszugehen.
17 cc) Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann die Kondiktionssperre des § 814 BGB nicht verneint werden.
18 (1) Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass nach § 814 Fall 1 BGB das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden kann, wenn der Leistende oder der die Leistung bewirkende Vertreter gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war. Erforderlich ist die positive Kenntnis der Rechtslage im Zeitpunkt der Leistung (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020 - IX ZR 247/19, NJW 2021, 234 Rn. 30 mwN; vom 22. Juli 2021 - IX ZR 26/20, WM 2021, 1646 Rn. 22; vom 2. Dezember 2021 - IX ZR 110/20, WM 2022, 126 Rn. 21).
19 (2) Bereits die Formulierung im Berufungsurteil, es fehle an Anhaltspunkten, dass der Vorstand der Schuldnerin zumindest im Rahmen einer laienhaft rechtlichen Schlussfolgerung angenommen habe, die Jahresabschlüsse der Schuldnerin seien nichtig und deshalb habe ein Auszahlungsanspruch des Beklagten nicht bestanden, weckt Zweifel, ob das Berufungsgericht vom richtigen Maßstab ausgegangen ist. Die Schuldnerin leistete ohne Rechtsgrund, wenn sie nach ihrer wahren Ertragslage nur Verluste erwirtschaftete, die positiven Jahresabschlüsse also fehlerhaft wären, ohne dass es auf deren Nichtigkeit nach § 256 AktG ankäme (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020 - IX ZR 247/19, NJW 2021, 234 Rn. 25; vom 22. Juli 2021 - IX ZR 26/20, WM 2021, 1646 Rn. 18; vom 2. Dezember 2021 - IX ZR 110/20, WM 2022, 126 Rn. 22). Nur darauf musste sich daher die Kenntnis der Schuldnerin beziehen.
20 (3) Aber auch im Übrigen ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts fehlerhaft. Die Schuldnerin und die für sie handelnden Personen mussten nicht wissen, was wann mit welchem Wert hätte bilanziert werden dürfen. Vielmehr kann bereits das Wissen, dass verschiedene bilanzielle Wertansätze aufgrund der ihnen bekannten Tatsachen überhöht waren, dafür sprechen, dass ihnen die Unrichtigkeit der einen Überschuss ausweisenden Jahresabschlüsse bewusst war. Nach der maßgeblichen Parallelwertung in der Laiensphäre können sie dann auch die rechtliche Schlussfolgerung gezogen haben, dass Ansprüche der Genussrechtsinhaber nicht bestanden (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 22. Juli 2021, aaO Rn. 25 ff).
21 Den für die Schuldnerin handelnden Personen war die Wirkungsweise des Geschäftsmodells, das in dem Ankauf von Lebensversicherungspolicen, fondsgebundenen hochvolumigen Lebensversicherungen und von Goldsparverträgen bestand, bekannt. Ihnen kann damit bewusst geworden sein, dass die Vermögenswerte nicht ausreichend lange gehalten werden konnten, so dass die mit den hohen Anschaffungskosten bilanzierten Vermögensgegenstände nicht den bilanzierten Wert besaßen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 23 ff). Dann war den für die Schuldnerin verantwortlich Handelnden unter Berücksichtigung der Parallelwertung in der Laiensphäre möglicherweise klar, dass die auf den hohen Werten basierenden Jahresabschlüsse fehlerhaft waren (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 25 aE mwN).
22 (4) Auch ist die Würdigung des Berufungsgerichts hinsichtlich der vorgelegten Urkunden und der Aussage des Zeugen P. unvollständig und trägt den Schluss des Berufungsgerichts nicht, der Kläger habe nicht bewiesen, die Schuldnerin beziehungsweise die für sie verantwortlich handelnden Personen hätten Kenntnis von der etwaigen Nichtschuld im Sinne von § 814 BGB gehabt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 27).
23 (5) Das Berufungsgericht hätte den nicht widerlegten Vortrag des Klägers, dass die Schuldnerin in den maßgeblichen Geschäftszweigen bewusst ein betrügerisches Schneeballsystem betrieben habe, bei der Würdigung nicht in Gänze außer Acht lassen dürfen. Die Annahme des Berufungsgerichts, ein Schneeballsystem sage für sich genommen nichts darüber aus, ob lediglich (fingierte) Scheingewinne im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erwirtschaftet würden, ist in dieser Allgemeinheit nicht richtig. Ein Schuldner, der weiß, dass er zwar in einem geringen Umfang eine gewinnbringende Geschäftstätigkeit entfaltet, aber im Übrigen von den Neuanlegern Gelder einsammelt, um aus dem eingesammelten Geld an die Altanleger über die tatsächlich erwirtschafteten Gewinne hinausgehende Scheingewinne auszuzahlen, weiß, dass die über die tatsächlich erwirtschafteten Gewinne weitere Gewinne ausweisenden Jahresabschlüsse fehlerhaft sind, weil sie - wenn es sich um keine Fälschungen handelt - unzulässige Bewertungen enthalten, wie vorliegend der Kläger behauptet (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2021 - IX ZR 26/20, WM 2021, 1646 Rn. 35; vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 28).
24 dd) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, die Leistungen der Schuldnerin an den Beklagten seien nicht deswegen unentgeltlich im Sinne von § 134 Abs. 1 InsO, weil die Kondiktionssperre des § 817 Satz 2 BGB eingriffe. Die Voraussetzungen dieser Regelung liegen nicht vor (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2020 - IX ZR 247/19, NJW 2021, 234 Rn. 33 mwN; vom 22. Juli 2021, aaO Rn. 37; vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 31).
25 Die weiteren Angriffe der Revision führen zu keiner abweichenden Beurteilung. Soweit sie geltend macht, dass der Ausschluss der Kondiktionssperre des § 817 Satz 2 BGB dazu führe, dass das Schneeballsystem am Laufen gehalten werde, indem die ausgezahlten Gewinne zurückgefordert werden könnten, vermag dies keine andere Beurteilung zu begründen. Die Ausschüttungen an den Beklagten hatten ihre Grundlage in dem wirksamen Genussrechtsvertrag (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 32; so auch allgemein zur Rückzahlung von Gewinnen im Schneeballsystem MünchKomm-BGB/Schwab, 8. Aufl., § 817 Rn. 25). Da das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen hat, dass dem Beklagten oder seinen Eltern, anders als bei klassischen Schenkkreisen, bekannt war, dass es sich um ein Schneeballsystem handeln könnte, ist dieser Vertrag weder nach § 138 BGB noch nach § 134 BGB nichtig (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2021, aaO Rn. 13 f). Der Schutz des Genussrechtsinhabers wird über die Kondiktionssperre des § 814 BGB gewährleistet.
26 2. Soweit das Berufungsgericht einen etwaigen Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB für verjährt gehalten hat, ist dies rechtsfehlerfrei (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2021, aaO Rn. 39). Es hat darauf abgestellt, dass die Verjährung bereits Ende 2016 eingetreten ist, da die Organe der Schuldnerin bereits im Jahr 2013 davon Kenntnis hatten, dass kein Gewinn erzielt wurde. Insofern die Revision unter Verweis auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24. Juli 2012 (II ZR 177/11, WM 2012, 1779 Rn. 15) geltend macht, für den Beginn der Verjährung des bereicherungsrechtlichen Anspruchs sei nicht auf die Kenntnis des Schuldners, sondern nur auf die Kenntnis des Insolvenzverwalters und damit frühestens auf das Eröffnungsdatum abzustellen, ist dies nicht zutreffend.
27 Im Falle des Gläubigerwechsels durch Abtretung (§ 398 BGB), Legalzession (§ 412 BGB) oder Gesamtrechtsnachfolge muss sich der neue Gläubiger - entsprechend § 404 BGB - die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des alten Gläubigers zurechnen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 1995 - VI ZR 246/94, NJW 1996, 117, 118; vom 24. April 2014 - III ZR 156/13, NJW 2014, 2345 Rn. 25; vom 30. April 2014 - IV ZR 30/13, NJW 2014, 2492 Rn. 13; vom 30. April 2015 - IX ZR 1/13, WM 2015, 1246 Rn. 12). Dies gilt auch für den Fall eines Wechsels des Verwalters (BGH, Urteil vom 30. April 2015, aaO). Nichts anderes gilt bei der Bestellung eines Insolvenzverwalters und dem damit gemäß § 80 Abs. 1 InsO einhergehenden Übergang der Verfügungsbefugnis über die zur Insolvenzmasse gehörenden Forderungen auf ihn. Der Insolvenzverwalter hat sich die bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangte Kenntnis des Insolvenzschuldners von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Drittschuldners zurechnen zu lassen, weil die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ansonsten zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Neubeginn der Verjährung führen würde (vgl. OLG Hamm, VersR 2017, 610, 611; BeckOGK-BGB/Piekenbrock, 2022, § 199 Rn. 124). Der Neubeginn der Verjährung ist seit der Schuldrechtsreform gegenüber der Hemmung auf wenige Ausnahmefälle begrenzt (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 97).
28 Dieser Beurteilung steht die Entscheidung des II. Zivilsenats vom 24. Juli 2012 (aaO Rn. 15) nicht entgegen. Soweit dort für den Beginn der Verjährungsfrist auf die Kenntnis des Insolvenzverwalters abgestellt wurde, betraf dies den Sonderfall der als Innenhaftung ausgestalteten Existenzvernichtungshaftung. Bei dem existenzvernichtenden Eingriff besteht die Besonderheit, dass zwischen dem Schädiger und dem Geschäftsführer der anspruchsberechtigten Gesellschaft Personenidentität vorliegen kann. Ist der Schädiger das einzige Organ der Gesellschaft, ist seine Kenntnis für den Verjährungsbeginn bedeutungslos (vgl. BGH, Urteil vom 9. Februar 2009 - II ZR 292/07, BGHZ 179, 344 Rn. 34).
III.
29 Das Urteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung kann der Senat nicht treffen, weil die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).
30 Das Berufungsgericht wird die Frage, ob die für die Schuldnerin verantwortlich handelnden Personen wussten, dass keine Verpflichtung zur Zahlung von Basisdividenden und einer Übergewinnbeteiligung bestand, nach den Maßstäben des Senats neu zu beurteilen haben. Da für das Bestehen einer solchen Verpflichtung die objektive Ertragslage der Schuldnerin maßgeblich ist und nicht der Inhalt der festgestellten Jahresabschlüsse, wird die Kenntnis der Schuldnerin von einer fehlenden Leistungspflicht kaum beurteilt werden können, wenn nicht zunächst festgestellt wird, ob und in welchem Umfang die Jahresabschlüsse - gegebenenfalls aufgrund von die bilanzrechtlich eingeräumten Bewertungsspielräume überschreitenden Bewertungen - unzutreffende, von der objektiven Ertragslage abweichende Jahresüberschüsse ausweisen.