EuGH: Inkreal – Zur Zulässigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung
EuGH, Urteil vom 8.2.2024 – C-566/22, Inkreal s.r.o. gegen Dúha reality s.r.o.
ECLI:EU:C:2024:123
Volltext: BB-Online BBL2024-385-1
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Tenor
Art. 25 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung, mit der die in demselben Mitgliedstaat ansässigen Parteien eines Vertrags die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats für Rechtsstreitigkeiten aus diesem Vertrag vereinbaren, unter diese Bestimmung fällt, auch wenn der Vertrag keine weitere Verbindung zu diesem anderen Mitgliedstaat aufweist.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 25 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Inkreal s.r.o. und der Dúha reality s.r.o. über die Bestimmung des Gerichts, das für die Entscheidung über eine Zahlungsklage, die auf der Grundlage der Abtretung zweier Forderungen von FD gegen Dúha reality an Inkreal erhoben wurde, örtlich zuständig ist.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 In den Erwägungsgründen 3, 15, 19, 21, 22 und 26 der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es:
„(3) Die [Europäische] Union hat sich zum Ziel gesetzt, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu erhalten und weiterzuentwickeln, indem unter anderem der Zugang zum Recht, insbesondere durch den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen in Zivilsachen, erleichtert wird. Zum schrittweisen Aufbau eines solchen Raums hat die Union im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, die einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen, Maßnahmen zu erlassen, insbesondere wenn dies für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich ist.
…
(15) Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. …
…
(19) Vorbehaltlich der in dieser Verordnung festgelegten ausschließlichen Zuständigkeiten sollte die Vertragsfreiheit der Parteien hinsichtlich der Wahl des Gerichtsstands, außer bei Versicherungs‑, Verbraucher- und Arbeitsverträgen, wo nur eine begrenztere Vertragsfreiheit zulässig ist, gewahrt werden.
…
(21) Im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege müssen Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden, damit nicht in verschiedenen Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen. Es sollte eine klare und wirksame Regelung zur Klärung von Fragen der Rechtshängigkeit und der im Zusammenhang stehenden Verfahren sowie zur Verhinderung von Problemen vorgesehen werden, die sich aus der einzelstaatlich unterschiedlichen Festlegung des Zeitpunkts ergeben, von dem an ein Verfahren als rechtshängig gilt. …
(22) Um allerdings die Wirksamkeit von ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen zu verbessern und missbräuchliche Prozesstaktiken zu vermeiden, ist es erforderlich, eine Ausnahme von der allgemeinen Rechtshängigkeitsregel vorzusehen, um eine befriedigende Regelung in einem Sonderfall zu erreichen, in dem es zu Parallelverfahren kommen kann. Dabei handelt es sich um den Fall, dass ein Verfahren bei einem Gericht, das nicht in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung vereinbart wurde, anhängig gemacht wird und später das vereinbarte Gericht wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien angerufen wird. …
…
(26) Das gegenseitige Vertrauen in die Rechtspflege innerhalb der Union rechtfertigt den Grundsatz, dass eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung in allen Mitgliedstaaten anerkannt wird, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Außerdem rechtfertigt die angestrebte Reduzierung des Zeit- und Kostenaufwands bei grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten die Abschaffung der Vollstreckbarerklärung, die der Vollstreckung im ersuchten Mitgliedstaat bisher vorausgehen musste. Eine von den Gerichten eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung sollte daher so behandelt werden, als sei sie im ersuchten Mitgliedstaat ergangen.“
4 Art. 25 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:
„Haben die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig, es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell ungültig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Die Gerichtsstandsvereinbarung muss geschlossen werden:
a) schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung,
b) in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind, oder
c) im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten.“
Tschechisches Recht
5 § 11 Abs. 3 des Zákon č. 99/1963 Sb., občanský soudní řád (Gesetz Nr. 99/1963 über die Zivilprozessordnung, im Folgenden: Zivilprozessordnung) sieht vor:
„Handelt es sich um eine Rechtssache, die in den Zuständigkeitsbereich der Gerichte der Tschechischen Republik fällt, bei der aber die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit nicht gegeben sind oder nicht festgestellt werden können, so bestimmt der Nejvyšší soud (Oberstes Gericht, Tschechische Republik), welches Gericht in der Rechtssache verhandelt und entscheidet.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
6 FD, ansässig in der Slowakei, und Dúha reality, eine Gesellschaft slowakischen Rechts mit Sitz in der Slowakei, schlossen als Darlehensgeber bzw. als Darlehensnehmerin am 29. Juni 2016 bzw. am 11. März 2017 zwei Darlehensverträge.
7 Jeder dieser beiden Verträge enthält eine inhaltsgleiche Gerichtsstandsvereinbarung, nach der bei Auftreten einer Streitigkeit, die nicht durch Verhandlungen beigelegt werden kann, „das sachlich und örtlich zuständige tschechische Gericht … über diese Streitigkeit zu entscheiden“ hat.
8 Mit Forderungsabtretungsvertrag vom 8. Dezember 2021 trat FD seine Forderungen aus diesen beiden Darlehensverträgen, in Höhe von insgesamt 153 740 Euro, an Inkreal, eine Gesellschaft slowakischen Rechts mit Sitz in der Slowakei, ab.
9 Da Dúha reality die Darlehen nicht zurückgezahlt hatte, erhob Inkreal am 30. Dezember 2021 beim Nejvyšší soud (Oberstes Gericht), dem vorlegenden Gericht, eine Klage zum einen auf Zahlung der von Dúha reality geschuldeten Beträge und zum anderen auf Bestimmung des tschechischen Gerichts, das für die Entscheidung in der Sache gemäß § 11 Abs. 3 der Zivilprozessordnung auf der Grundlage der in den beiden Darlehensverträgen enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarung örtlich zuständig ist.
10 Inkreal trägt vor, dass es sich um eine gültige Gerichtsstandsvereinbarung handele, die den Anforderungen von Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 entspreche, und dass es keine weitere – besondere oder ausschließliche – Zuständigkeit eines Gerichts nach dieser Verordnung gebe.
11 Insoweit weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 1215/2012 vom Vorliegen eines Auslandsbezugs abhänge. Das vorlegende Gericht fragt sich, ob diese Verordnung auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbar ist, in dem sich der Auslandsbezug auf eine Gerichtsstandsvereinbarung beschränkt, die sich auf die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen bezieht, in dem die Vertragsparteien ansässig sind. Sowohl in der Lehre als auch in der nationalen Rechtsprechung der Mitgliedstaaten seien insoweit unterschiedliche Lösungen gewählt worden.
12 Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts könnte die Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 1215/2012 zwar u. a. durch die Notwendigkeit ihrer einheitlichen Auslegung und durch den vom Unionsgesetzgeber zum Ausdruck gebrachten Willen, die Vertragsfreiheit der Parteien zu wahren, gerechtfertigt sein, doch könnte ein Sachverhalt wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende auch als rein innerstaatlicher Sachverhalt eingestuft werden, weil der bloße Wille der Parteien nicht ausreiche, um ihrem Vertragsverhältnis internationalen Charakter zu verleihen.
13 Unter diesen Umständen hat der Nejvyšší soud (Oberstes Gericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Wird die Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 1215/2012 im Hinblick auf das Vorliegen eines internationalen Bezugs, der für die Anwendbarkeit dieser Verordnung erforderlich ist, allein dadurch begründet, dass zwei in demselben Mitgliedstaat ansässige Parteien die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union vereinbaren?
Zur Vorlagefrage
14 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung, mit der die in demselben Mitgliedstaat ansässigen Parteien eines Vertrags die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats für Rechtsstreitigkeiten aus diesem Vertrag vereinbaren, unter diese Bestimmung fällt, auch wenn der Vertrag keine weitere Verbindung zu diesem anderen Mitgliedstaat aufweist.
15 Zur Beantwortung dieser Frage ist vorab darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur deren Wortlaut, sondern auch der Zusammenhang, in dem sie steht, sowie die Zwecke und Ziele, die mit dem Rechtsakt, zu dem sie gehört, verfolgt werden, zu berücksichtigen sind (Urteil vom 22. Juni 2023, Pankki S, C‑579/21, EU:C:2023:501, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).
16 Was den Wortlaut von Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 betrifft, geht aus dieser Bestimmung zunächst hervor, dass, wenn die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz vereinbart haben, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig sind, es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell ungültig. Sodann sieht diese Bestimmung vor, dass diese Zuständigkeit ausschließlich ist, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Schließlich wird in den Buchst. a bis c dieser Bestimmung festgelegt, wie die Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen werden muss.
17 Insoweit ist festzustellen, dass der Wortlaut von Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 dem nicht entgegensteht, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung, mit der die in demselben Mitgliedstaat ansässigen Parteien eines Vertrags die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats für Rechtsstreitigkeiten aus diesem Vertrag vereinbaren, unter diese Bestimmung fällt, auch wenn der Vertrag keine andere Verbindung zu diesem anderen Mitgliedstaat aufweist.
18 Was den Zusammenhang angeht, in dem Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 steht, verlangt die Anwendung der Zuständigkeitsregeln dieser Verordnung nach ständiger Rechtsprechung einen Auslandsbezug (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. März 2005, Owusu, C‑281/02, EU:C:2005:120, Rn. 25, und vom 8. September 2022, IRnova, C‑399/21, EU:C:2022:648, Rn. 27 und 29).
19 Die Verordnung Nr. 1215/2012 verwendet zwar in ihren Erwägungsgründen 3 bzw. 26 den Begriff „Zivilsachen, die einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen“ und „grenzüberschreitende Rechtsstreitigkeiten“, enthält aber keine Definition von Auslandsbezug, wovon die Anwendbarkeit dieser Verordnung abhängt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Juni 2021, Generalno konsulstvo na Republika Bulgaria, C‑280/20, EU:C:2021:443, Rn. 30).
20 Allerdings ist in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (ABl. 2006, L 399, S. 1) der gleichwertige Begriff „grenzüberschreitende Rechtssache“ dahin definiert, dass eine grenzüberschreitende Rechtssache vorliegt, „wenn mindestens eine der Parteien ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem des befassten Gerichts hat“ (Urteil vom 3. Juni 2021, Generalno konsulstvo na Republika Bulgaria, C‑280/20, EU:C:2021:443, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
21 Da beide Verordnungen in den Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen fallen, ist die Auslegung gleichwertiger Begriffe, die der Unionsgesetzgeber in ihnen verwendet hat, zu harmonisieren (Urteil vom 3. Juni 2021, Generalno konsulstvo na Republika Bulgaria, C‑280/20, EU:C:2021:443, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
22 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht hervor, dass ein Auslandsbezug ferner dann vorliegt, wenn der Sachverhalt der betreffenden Rechtsstreitigkeit Fragen hinsichtlich der Festlegung der internationalen Zuständigkeit der Gerichte aufwerfen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. September 2022, IRnova, C‑399/21, EU:C:2022:648, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
23 Im vorliegenden Fall ist zum einen festzustellen, dass der Ausgangsrechtsstreit der in Rn. 20 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Definition des Begriffs „grenzüberschreitende Rechtssache“ entspricht, da die Parteien dieser Rechtsstreitigkeit in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Gerichts, das aufgrund der in Rede stehenden Gerichtsstandsvereinbarung angerufen wurde, ansässig sind.
24 Zum anderen wirft der Ausgangsrechtsstreit, wie die tschechische Regierung und die Europäische Kommission geltend gemacht haben, eine Frage nach der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit auf, genauer gesagt, ob für die Entscheidung dieses Rechtsstreits die Gerichte der Tschechischen Republik oder diejenigen der Slowakischen Republik als Mitgliedstaat, in dem beide Vertragsparteien ansässig sind, zuständig sind.
25 Unter diesen Umständen weist eine rechtliche Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende einen Auslandsbezug im Sinne der in Rn. 18 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung auf; das Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen, in dem die Vertragsparteien ansässig sind, zeigt für sich genommen den grenzüberschreitenden Bezug des Ausgangsrechtsstreits.
26 Die Auslegung von Art. 25 der Verordnung Nr. 1215/2012 ist außerdem im Licht der in den Erwägungsgründen 15, 19 und 22 dieser Verordnung genannten Ziele der Wahrung der Vertragsfreiheit der Parteien und der Verbesserung der Wirksamkeit ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen vorzunehmen.
27 Ferner hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass die Verordnung Nr. 1215/2012 bezweckt, die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen durch Zuständigkeitsvorschriften zu vereinheitlichen, die in hohem Maße vorhersehbar sind, und auf diese Weise einen Zweck der Rechtssicherheit verfolgt, der darin besteht, den Rechtsschutz der in der Europäischen Union ansässigen Personen in der Weise zu verbessern, dass ein Kläger ohne Schwierigkeiten festzustellen vermag, welches Gericht er anrufen kann, und ein Beklagter vorhersehen kann, vor welchem Gericht er verklagt werden kann (Urteil vom 14. September 2023, EXTÉRIA, C‑393/22, EU:C:2023:675, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). In diesem Zusammenhang erfordert das Ziel der Rechtssicherheit, dass das angerufene nationale Gericht in der Lage ist, ohne Schwierigkeiten über seine eigene Zuständigkeit zu entscheiden, ohne in eine Sachprüfung eintreten zu müssen (Urteil vom 28. Januar 2015, Kolassa, C‑375/13, EU:C:2015:37, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).
28 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Auslegung von Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012, wonach eine Gerichtsstandsvereinbarung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende von dieser Bestimmung erfasst wird, dem mit dieser Verordnung verfolgten Ziel der Rechtssicherheit entspricht.
29 Wenn zum einen die in demselben Mitgliedstaat ansässigen Vertragsparteien wirksam die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats für die Entscheidung über Rechtsstreitigkeiten aus diesem Vertrag vereinbaren können, ohne dass dieser Vertrag zusätzliche Verbindungen zu diesem anderen Mitgliedstaat aufweisen muss, trägt eine solche Möglichkeit nämlich dazu bei, sicherzustellen, dass der Kläger das Gericht, das er anrufen kann, kennt, dass der Beklagte vorhersieht, vor welchem Gericht er verklagt werden kann, und dass das angerufene Gericht in der Lage ist, ohne Schwierigkeiten über seine eigene Zuständigkeit zu entscheiden.
30 Zum anderen schränkt die Anwendbarkeit von Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 auf eine Gerichtsstandsvereinbarung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende die Möglichkeit von Parallelverfahren ein und verhindert, wie es das im 21. Erwägungsgrund dieser Verordnung genannte Ziel einer abgestimmten Rechtspflege verlangt, dass in verschiedenen Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen.
31 Würde nämlich im vorliegenden Fall das zuständige Gericht nicht nach den Bestimmungen der Verordnung Nr. 1215/2012, sondern nach den nationalen Vorschriften des internationalen Privatrechts der betreffenden Mitgliedstaaten bestimmt, bestünde eine erhöhte Gefahr von Kompetenzkonflikten, die der Rechtssicherheit abträglich wären, da die Anwendung dieser nationalen Vorschriften zu voneinander abweichenden Lösungen führen könnte.
32 Hinzuzufügen ist, dass das Ziel der Rechtssicherheit auch gefährdet wäre, wenn unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 nur unter der Voraussetzung anwendbar wäre, dass über die Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats hinaus zusätzliche Umstände vorliegen, die geeignet sind, den grenzüberschreitenden Bezug des betreffenden Rechtsstreits darzutun.
33 Da eine solche Voraussetzung impliziert, dass das angerufene Gericht das Vorliegen solcher zusätzlicher Umstände prüfen und ihre Erheblichkeit beurteilen müsste, würde nämlich nicht nur die Vorhersehbarkeit für die Vertragsparteien, welches Gericht für die Entscheidung über ihren Rechtsstreit zuständig ist, verringert, sondern auch die Prüfung der eigenen Zuständigkeit durch das angerufene Gericht erschwert.
34 Der Gerichtshof hat aber in diesem Zusammenhang bereits entschieden, dass die Wahl des in einer Gerichtsstandsvereinbarung bezeichneten Gerichts nur anhand von Erwägungen geprüft werden kann, die im Zusammenhang mit den Erfordernissen von Art. 25 der Verordnung Nr. 1215/2012 stehen, wobei Erwägungen zu den Bezügen zwischen dem vereinbarten Gericht und dem streitigen Rechtsverhältnis oder zur Angemessenheit der Vereinbarung nicht im Zusammenhang mit diesen Erfordernissen stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. März 1999, Castelletti, C‑159/97, EU:C:1999:142, Nr. 5 des Tenors).
35 Im Übrigen ist hervorzuheben, dass die Anwendbarkeit von Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 auf eine Gerichtsstandsvereinbarung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende das gegenseitige Vertrauen in die Rechtspflege innerhalb der Union widerspiegelt, auf das im 26. Erwägungsgrund dieser Verordnung Bezug genommen wird, und somit dazu beiträgt, im Sinne des dritten Erwägungsgrundes dieser Verordnung einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu erhalten und weiterzuentwickeln, indem u. a. der Zugang zum Recht erleichtert wird.
36 Schließlich wird diese Auslegung durch die Regel in Art. 1 Abs. 2 des Haager Übereinkommens vom 30. Juni 2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen in Anhang I des Beschlusses 2009/397/EG des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unterzeichnung – im Namen der Europäischen Gemeinschaft – des Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen (ABl. 2009, L 133, S. 1), das durch den Beschluss 2014/887/EU des Rates vom 4. Dezember 2014 (ABl. 2014, L 353, S. 5) genehmigt wurde, nicht entkräftet. Nach dieser Bestimmung „ist ein Sachverhalt international, es sei denn, die Parteien haben ihren Aufenthalt im selben Vertragsstaat und die Beziehung der Parteien sowie alle anderen für den Rechtsstreit maßgeblichen Elemente weisen nur zu diesem Staat eine Verbindung auf, wobei der Ort des vereinbarten Gerichts unbeachtlich ist“.
37 Hierzu ist festzustellen, dass, wie die Kommission geltend gemacht hat, die in Art. 1 Abs. 2 dieses Übereinkommens aufgestellte Regel die Entscheidung der Verfasser dieses Übereinkommens widerspiegelt, die im Hinblick auf die Notwendigkeit getroffen wurde, eine Lösung zu finden, die auf internationaler Ebene auf breite Zustimmung stoßen kann.
38 Im Unterschied zu den Verfassern dieses Übereinkommens hat sich der Unionsgesetzgeber jedoch dafür entschieden, keine gleichartige Regel in die Verordnung Nr. 1215/2012 aufzunehmen, wobei er im dritten Erwägungsgrund dieser Verordnung das Ziel hervorgehoben hat, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts durch den Erlass von Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, die einen grenzüberschreitenden Bezug haben, zu erhalten und weiterzuentwickeln.
39 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 25 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung, mit der die in demselben Mitgliedstaat ansässigen Parteien eines Vertrags die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats für Rechtsstreitigkeiten aus diesem Vertrag vereinbaren, unter diese Bestimmung fällt, auch wenn der Vertrag keine weitere Verbindung zu diesem anderen Mitgliedstaat aufweist.