OLG Köln: Informationsverlangen des besonderen Vertreters im einstweiligen Rechtsschutz
OLG Köln, 4.12.2015 – 18 U 149/15
NICHT AMTLICHER LEITSATZ
Der besondere Vertreter kann die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen verlangen, wobei ihm ein weitreichendes Ermessen zusteht.
AktG § 147
Sachverhalt
I.
1. Die Parteien streiten im Rahmen eines Verfahrens des einstweilgien Rechtsschutzes um die Gewährung bestimmter Informationen.
Mehrheitsgesellschafterin der Verfügungsbeklagten ist die T, deren Vorstandsvorsitzender zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Verfügungsbeklagten ist. Bereits anlässlich der Hauptversammlung der Verfügungsbeklagten im Jahr 2014 versuchten Minderheitsgesellschafter der Verfügungsbeklagten wegen des von ihnen gehegten Verdachts einer Reihe für die Verfügungsbeklagte nachteiliger Geschäfte zu Gunsten ihrer Mehrheitsgesellschafterin Beschlüsse über die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gemäß § 147 AktG zu erwirken. Jedoch stellte der damalige Versammlungsleiter die Beschlussvorschläge gestützt auf vermeintliche rechtliche Bedenken nicht zur Abstimmung, und das von einer Minderheitsgesellschafterin angerufene Landgericht wies die diesbezügliche Feststellungsklage ab – die Berufung ist hier unter dem Az. 18 U 96/15 anhängig.
Zu der Hauptversammlung vom 19. Juni 2015 verlangte eine Minderheitsgesellschafterin erneut eine Ergänzung der Tagesordnung im Sinne einer Beschlussfassung gemäß § 147 AktG und beantragte ferner die Bestellung eines unabhängigen Versammlungsleiters durch das Gericht. Nachdem die Verfügungsbeklagte erklärte, dem Ergänzungsverlangen nachkommen zu wollen, wurde der gerichtliche Ergänzungsantrag für erledigt erklärt. Den auf Bestimmung eines besonderen und damit nicht mit dem Vorstandsvorsitzenden der Mehrheitsgesellschafterin identischen Versammlungsleiters gerichteten Antrag wies das Amtsgericht zwar zunächst zurück. Auf eine Beschwerde hin bestimmte der Senat indessen Rechtsanwalt Dr. W zum Versammlungsleiter hinsichtlich der Tagesordnungspunkte des Ergänzungsverlangens. Die näheren Einzelheiten ergeben sich aus dem Senatsbeschluss vom 16. Juni 2015 – 18 Wx 1/15 (vgl. Anlage MHP 4).
Anlässlich der Hauptversammlung am 19. Juni 2015 ließ Dr. W sodann über die von der Aktionärsminderheit unterbreiteten Beschlussvorschläge im Sinne des § 147 AktG abstimmen (vgl. S. 40 ff. der not. Niederschrift des Sitzungsprotokolls vom 19. Juni 2015, Anlage MHP 5) und stellte anschließend unter Hinweis auf ein für die Mehrheitsaktionärin geltendes Stimmverbot gemäß § 136 Abs. 1 S. 1 AktG fest, dass Ansprüche gegen die Mehrheitsaktionärin wegen verschiedener Geschäfte der Verfügungsbeklagten geltend gemacht werden sollten und dass der Verfügungskläger insofern zum Besonderen Vertreter der Verfügungsbeklagten bestellt werde. Vorschläge hinsichtlich der Geltendmachung von Ansprüchen auch gegen den Aufsichtsrat und den Vorstand der Verfügungsbeklagten wurden hingegen abgelehnt, weil hier auch die Stimmen der Mehrheitsaktionärin berücksichtigt wurden (vgl. S. 63 ff. und S.78 ff. der not. Niederschrift des Sitzungsprotokolls vom 19. Juni 2015, Anlage MHP 5).
Sowohl die Mehrheitsaktionärin T als auch eine Minderheitsaktionärin haben wegen des Sachverhalts Anfechtungsklage erhoben, die beim Landgericht unter den Aktenzeichen 91 O 30 und 31/15 anhängig sind. Die Details ergeben sich aus dem Protokoll der Hauptversammlung vom 19. Juni 2015 (vgl. Anlage MHP 5).
Ungeachtet der seitens der Mehrheitsaktionärin erhobenen Anfechtungsklage richtete der Verfügungskläger umgehend ein Informationsverlangen an den Vorstand der Verfügungsbeklagten, das dieser zunächst hinhaltend beantwortete. Ferner wurde ein Rechtsgutachten übersandt, nach dem das Ergänzungsverlangen unzulässig gewesen sei, weil es sich mit Rücksicht auf die mangelnde Bestimmtheit des Begehrens um einen verkappten Sonderprüfungsantrag gehandelt habe. Es habe an der Darlegung der tatsächlichen Grundlagen gefehlt. Deshalb sei der Versammlungsleiter nicht berechtigt gewesen, die Anträge über die Geltendmachung von Ansprüchen sowie über die Bestellung eines Besonderen Vertreters zur Abstimmung zu stellen. Nach weiterer Korrespondenz und einem Gespräch mit dem Verfügungskläger lehnte die Verfügungsbeklagte schließlich die Herausgabe der verlangten Informationen ab.
Im ersten Rechtszug hat der Verfügungskläger sein Informationsbegehren mittels eines auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichteten Antrages verfolgt. Er hat die Auffassung vertreten, dass zum einen die auf § 147 AktG gestützten Beschlüsse der Verfügungsbeklagten keineswegs mangels Bestimmtheit anfechtbar seien, sondern dass die Bezeichnung des jeweiligen Tatsachenkomplexes mit Rücksicht auf die einschlägige obergerichtliche Rechtsprechung ausgereicht habe. Außerdem komme es für die Begründetheit des Informationsverlangens auf die Wirksamkeit der betreffenden Beschlüsse an, und bloß anfechtbare Beschlüsse, wie sie hier allenfalls vorlägen, seien jedenfalls vorläufig wirksam. Ferner hat der Verfügungskläger gemeint, dass sich die Verfügungsbeklagte schon deshalb nicht auf die Anfechtbarkeit der hier zugrundeliegenden Beschlüsse der Hauptversammlung berufen könne, weil ihr auch selbst zur Anfechtung befugter Vorstand nicht Anfechtungsklage erhoben habe, sondern lediglich die Mehrheitsgesellschafterin im Wege einer Klage vorgehe. Der schließlich notwendige Verfügungsgrund ergebe sich bereits aus der in § 147 Abs. 1 S. 2 AktG vorgesehenen Frist, aus der danach eingreifenden Haftung des Besonderen Vertreters für Verzögerungsschäden sowie aus den ausfallenden Zinsen.
Die Verfügungsbeklagte hat dem insbesondere ihre Auffassung entgegengehalten, dass sie auch dann nicht zur Umsetzung rechtswidriger Hauptversammlungsbeschlüsse verpflichtet sei, wenn ihr Vorstand diese nicht angefochten habe, sondern lediglich die Mehrheitsgesellschafterin. Im Hinblick auf den als solchen nicht streitigen Verjährungsverzicht der in Betracht kommenden Anspruchsgegner fehle es im Übrigen an einem Verfügungsgrund, der sich allein aus der sanktionslosen Frist des § 147 Abs. 1 S. 2 AktG nicht ergebe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im ersten Rechtszug einschließlich der gestellten Anträge wegen wird auf den Tatbestand der angegriffenen Entscheidung des Landgerichts (vgl. S. 2 ff. LGU, Bl. 214 R ff. GA) Bezug genommen.
2. Das Landgericht hat mit seinem am 22. September 2015 verkündeten (vgl. Bl. 119 GA) Urteil (vgl. Bl. 214 ff. GA mit dem Original), das dem Verfügungskläger noch am selben Tag zugestellt worden ist (vgl. Bl. 130 GA mit der entsprechenden Angabe des Verfügungsklägers) den Verfügungsantrag vollumfänglich abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass es ungeachtet der in § 147 Abs. 1 S. 2 AktG vorgesehenen Sechs-Monats-Frist an dem erforderlichen Verfügungsgrund fehle. Vielmehr könne der Verfügungskläger mit Rücksicht auf die Verjährungsverzichte, ohne einen Rechtsverlust fürchten zu müssen, zunächst den Ausgang des Anfechtungsprozesses bzw. die rechtskräftige Entscheidung über die Wirksamkeit derjenigen Beschlüsse abwarten, auf denen seine Tätigkeit beruhe.
Hinsichtlich der weiteren Details der rechtlichen Würdigung des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils verwiesen (vgl. S. 8 ff. LGU, Bl. 217 R ff. GA).
3. Mit seiner hier am 24. September 2015 eingegangenen und bereits in der Berufungsschrift begründeten Berufung (vgl. Bl. 168 ff. GA) hat der Verfügungskläger die vorgenannte Entscheidung des Landgerichts vollumfänglich zur Überprüfung gestellt. Er verfolgt mit dem Rechtsmittel sein erstinstanzliches Begehren weiter und hält auch inhaltlich an seinem Vorbringen fest.
Der Verfügungskläger beantragt,
das Urteil des Landgerichts Köln vom 22. September 2015 – 91 O 38/15 abzuändern und die Verfügungsbeklagte im Wege einer einstweiligen Verfügung zu verpflichten, ihm die unten aufgeführten Unterlagen und sonstigen Informationen der Verfügungsbeklagten zugänglich zu machen und die Anfertigung von Kopien zu ermöglichen:
Unterlagen zur Prüfung und zum Nachweis der Voraussetzungen der nach den Hauptversammlungsbeschlüssen der Verfügungsbeklagten vom 19. Juni 2015 zu TOP 7 durch den Verfügungskläger nach § 147 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 AktG geltend zu machenden Ersatzansprüchen der Verfügungsbeklagten, nämlich
1. Vorstandsprotokolle (einschließlich Protokolle eventueller Ausschüsse) und sonstige Entscheidungen der Geschäftsleitungen zu den in der oben genannten Hauptversammlungsbeschlussfassung genannten Geschäften;
2. Aufsichtsratsprotokolle einschließlich Protokolle eventueller Ausschüsse zu den vorgenannten Geschäften;
3. alle Verträge und sonstige Rechtsgeschäfte und Erklärungen in Hinblick auf die Komplexe der Verpflichtung des Verfügungsklägers zu Geltendmachung von Ersatzansprüchen;
4. Abhängigkeitsberichte der Verfügungsbeklagten, jeweils einschließlich Prüfungsberichten hierzu, die die Zeiträume der Vornahme und Abwicklung der Geschäfte betreffen, wegen welcher der Verfügungskläger Ersatzansprüche geltend zu machen hat;
5. Liste der Personen, die bei der Eingehung und Abwicklung der Geschäfte, die der Beauftragung des Verfügungsklägers zur Geltendmachung der Ersatzansprüche zugrunde liegen, als Organmitglieder (einschließlich ehemaliger) der Verfügungsbeklagten und der T tätig und/oder verantwortlich waren einschließlich der Angabe von Aufgabe, Position und Anschrift; die Liste ist mit einer Erläuterung zu versehen, wie die vorgenannten Personen mit den Komplexen befasst waren, aus denen Ersatzansprüche geltend zu machen sind;
6. Geschäftsverteilungspläne des Vorstands der Verfügungsbeklagten für die Zeiträume, die die Vornahme und Abwicklung der Geschäfte betreffen, wegen welcher der Verfügungskläger Ersatzansprüche geltend zu machen hat, aus denen sich die Ressorts der einzelnen Vorstandsmitglieder der Verfügungsbeklagten ergeben; soweit dies aus den Geschäftsverteilungsplänen nicht ersichtlich ist, zusätzliche Bezeichnung, innerhalb welchen Ressortbereichs welchen Vorstandsmitglieds die Geschäfte fallen, wegen welcher der Verfügungskläger nach den o.g. HV-Beschlüssen Ersatzansprüche geltend zu machen hat;
7. in Hinblick auf die Komplexe der Beauftragung des Verfügungsklägers zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen erstattete Gutachten (Rechts-, Bewertungs- sowie sonstige Gutachten einschließlich Fairness Opinions);
8. die zum Zeitpunkt der Vornahme und Abwicklung der Geschäfte, in Hinblick auf die der Verfügungskläger Ersatzansprüche geltend zu machen hat, aktuellen Unterlagen der Verfügungsbeklagten und/oder der T und/oder der veräußerten oder erworbenen Unternehmen zu deren (Unternehmens-)Planung, auf deren Grundlage sich der Wert der Unternehmen und sonstigen veräußerten oder erworbenen Vermögensgegenstände ableiten lässt;
9. Unterlagen zu alternativen Angeboten zu den Geschäften, die Gegenstand der Beauftragung des Verfügungsklägers zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen sind, insb. Alternativangebote für erworbene/veräußerte Beteiligungen und Kredite;
10. zum Komplex C Beteiligungs AG („C“) gemäß lit. d und lit. e der o.g HV-Beschlüsse: Geschäfts- und Prüfungsberichte der C seit Beginn der Beteiligung der Verfügungsbeklagten, Gründungsunterlagen, Unterlagen zur Bewertung der von T in die C eingebrachten Beteiligungen; ferner alle Verträge, Gutachten und Berichte, die den Erwerb der Beteiligung der Verfügungsbeklagten an der C und die in diesem Zusammenhang durch die Verfügungsbeklagte von der T in Anspruch genommenen Kredite betreffen;
11. falls vorhanden stenographische Protokolle der diesjährigen und der vorjährigen HV der Verfügungsbeklagten; soweit Vorstehendes nicht vorhanden ist: von der Verfügungsbeklagten bei den vorgenannten HV aufgenommene Fragen und Antworten bzw. deren Entwürfe für die Themen, die Gegenstand der Beauftragung des Verfügungsklägers zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen sind;
12. Geschäftsordnungen von Vorstand und Aufsichtsrat für den Zeitraum der Vornahme und Abwicklung der Geschäfte der Beauftragung des Verfügungsklägers zu Geltendmachung von Ersatzansprüchen;
13. Prüfungsberichte des/der Abschlussprüfer der Verfügungsbeklagten, in denen die Geschäfte behandelt sind, aus denen der Verfügungskläger Ersatzansprüche geltend zu machen hat.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auch sie hält an ihrem Vorbringen fest und vertritt insbesondere die Auffassung, es fehle an dem erforderlichen Verfügungsgrund, zumal es hier um eine Leistungsverfügung gehe. Ferner meint die Verfügungsbeklagte, die der Tätigkeit des Verfügungsklägers zugrunde liegenden Beschlüsse seien zum einen wegen der mangelnden Verlesung der Beschlussanträge seitens des Versammlungsleiters, zum anderen wegen ihrer mangelnden Bestimmtheit rechtswidrig. Schließlich seien die verlangten Informationen nicht sämtlich erforderlich.
Aus den Gründen
II.
Die Berufung des Verfügungsklägers ist nach den hierfür maßgebenden §§ 511 ff. ZPO nicht nur statthaft und auch im Übrigen zulässig, sondern sie ist auch begründet und führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils. Denn das Urteil des Landgerichts Köln beruht insofern auf einem Rechtsfehler im Sinne des § 513 Abs. 1 ZPO, als das Landgericht zu Unrecht den Verfügungsgrund verneint hat. Bei zutreffender rechtlicher Würdigung hätte es sowohl den Verfügungsanspruch des Verfügungsklägers gegen die Verfügungsbeklagte als auch den Verfügungsgrund bejahen und der Verfügungsklage deshalb in vollem Umfang stattgeben müssen.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
1. a) Der dem Informationsverlangen entsprechende Verfügungsanspruch des Klägers ergibt sich zum einen aus den Beschlüssen der Hauptversammlung der Verfügungsbeklagten vom 19. Juni 2015 über die Geltendmachung bestimmter Ansprüche gegen die Mehrheitsaktionärin T, zum anderen aus dem die Bestellung des Verfügungsklägers zum diesbezüglichen Besonderen Vertreter der Verfügungsbeklagten anlässlich derselben Hauptversammlung. Denn ein Besonderer Vertreter im Sinne des § 147 AktG kann von der Gesellschaft bzw. dem Vorstand als dort zuständigen Organ die zur Erfüllung seiner Aufgabe erforderlichen Informationen verlangen, und ihm steht dabei ein weitreichendes, nur durch den Gesichtspunkt unsachgemäßer Ausübung begrenztes Ermessen zu (vgl. etwa Mock, in Spindler/Stilz, AktG, Bd. 1: §§ 1 - 149 AktG, 3. Aufl., § 141 Rn. 104 m.w.N.).
b) Ungeachtet der seitens der Verfügungsbeklagten in dem hier vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes inzident geltend gemachten Beschlussmängel, sind die vorgenannten Beschlüsse bis zu einer anderslautenden, rechtskräftigen Entscheidung in dem betreffenden, von der Mehrheitsaktionärin angestrengten Hauptsacheverfahren wirksam. Das ergibt sich aus § 241 Nr. 5 AktG und aus dem Umstand, dass selbst nach den Darlegungen der Verfügungsbeklagten ein Nichtigkeitsgrund in diesem Sinne nicht vorliegt. Denn in den seitens der Verfügungsbeklagten geltend gemachten Beschlussmängeln und hier insbesondere in dem angeblichen Verstoß gegen § 147 AktG wegen mangelnder Konkretisierung der geltend zu machenden Ansprüche sowie in dem angeblichem Verstoß gegen das Mündlichkeitsprinzip in der Hauptversammlung seitens des Versammlungsleiters Dr. W liegen gegebenenfalls allenfalls Anfechtungsgründe im Sinne des § 243 AktG, also Mängel, welche gemäß § 241 Nr. 5 AktG nur nach rechtskräftiger Nichtigerklärung zur Unwirksamkeit der betroffenen Beschlüsse führen. An der daraus folgenden Wirksamkeit der angefochtenen, nicht unter Nichtigkeitsgründen leidenden Hauptversammlungsbeschlüsse bis zu dem Zeitpunkt einer rechtskräftigen Nichtigerklärung vermag auch die dann gegebenenfalls eintretende Nichtigkeit ex tunc nichts zu ändern. Vielmehr tritt diese eben nur dann ein, wenn eine rechtskräftige Nichtigerklärung vorliegt, und daran fehlt es gegenwärtig.
Hieraus folgt ohne Weiteres die Pflicht der Verfügungsbeklagten zur Information im Verhältnis zum Verfügungskläger als besonderer Vertreter. Dabei kommt es jedenfalls für den hier vorliegenden Fall nicht darauf an, ob und gegebenenfalls inwiefern der Vorstand der Verfügungsbeklagten trotz des anderslautenden Wortlauts des § 83 Abs. 2 AktG nicht nur zu einer Rechtsmäßigkeitsprüfung in eigener Verantwortung verpflichtet ist, sondern auch dazu, die Ausführung bloß anfechtbarer, also vorläufig wirksamer Hauptversammlungsbeschlüsse zu verweigern. Denn zum einen hat der Vorstand der Verfügungsbeklagten im vorliegenden Fall nicht selbst eine Nichtigkeits- und Anfechtungsklage erhoben (vgl. § 245 Nr. 4 AktG) und damit das Schicksal des angeblich rechtswidrigen Hauptversammlungsbeschlusses insofern aus den Händen gegeben, als er die Durchführung des betreffenden Prozesses auf der Klägerseite der Mehrheitsaktionärin überlassen hat. Vor diesem Hintergrund kann sich der gesetzliche Vertreter der Verfügungsbeklagten und kann sie sich hier nicht auf eine Anfechtbarkeit des der Tätigkeit des Verfügungsklägers zugrundeliegenden Hauptversammlungsbeschlusses berufen. Zum anderen hätte eine inzidente Prüfung des Streitstoffes des in der Hauptsache zu führenden Nichtigkeits- und Anfechtungsprozesses schon in dem vom besonderen Vertreter angestrengten, auf Auskunft gerichteten Verfahren der einstweiligen Verfügung zur Folge, dass die vom Gesetzgeber nicht bloß für die Auskunft als vorbereitende Maßnahme, sondern für die abschließende Geltendmachung des Ersatzanspruchs als Regel vorgesehene Frist des § 147 Abs. 1 S. 2 AktG kaum einmal eingehalten werden könnte. Soll die Sechs-Monats-Frist des § 147 Abs. 1 S. 2 AktG nicht nach dem Belieben nicht mitwirkungsbereiter Gesellschaften und der hinter ihnen stehenden widerstrebenden Mehrheiten ausgehöhlt werden können, muss es demnach für den Auskunftsanspruch und die weitere Tätigkeit des besonderen Vertreters jedenfalls einstweilen genügen, dass insofern ein vorläufig wirksamer, d.h. nicht nichtiger, sondern allenfalls anfechtbarer Hauptversammlungsbeschluss vorliegt.
c) Dementsprechend kommt es im Zusammenhang mit dem Verfügungsanspruch nicht darauf an, wie der jedenfalls gegenwärtig mit dem Nichtigkeits- und Anfechtungsprozess und dem Vorliegen von Anfechtungsgründen nicht befasste Senat die Erfolgsaussichten der Verfügungsbeklagten in der Hauptsache einschätzt. Ebensowenig änderte eine Entscheidung des Landgerichts über die Hauptsache im Sinne der Verfügungsbeklagten ohne weiteres etwas am Verfügungsanspruch. Vielmehr bleibt es bei dem Verfügungsanspruch des Verfügungsklägers, solange der seiner Tätigkeit zugrundeliegende Hauptversammlungsbeschluss nicht rechtskräftig für nichtig erklärt worden ist, § 241 Nr. 5 AktG.
d) Zwar ist die Auskunftspflicht der Verfügungsbeklagten gegenüber dem Verfügungskläger gegenständlich auf die Erteilung der zur Erfüllung seiner durch den Hauptversammlungsbeschluss umrissenen Aufgaben beschränkt. Jedoch betreffen die im Klageantrag näher bezeichneten Informationen und Unterlagen sämtlich die vom betreffenden Hauptversammlungsbeschluss bezeichneten Ansprüche. Da der Verfügungskläger nicht nur dazu verpflichtet und berechtigt ist, aus konkret bezeichnete Informationen eine Klageschrift zu erstellen, sondern in gewissem Umfang auch die im betreffenden Hauptversammlungsbeschluss genannten Sachverhalte prüfen darf und muss, bedarf es auch der Erteilung der im Klageantrag genannten Hintergrundinformationen.
Ausführungen zu einer darüber hinaus reichenden allgemeinen Abgrenzung zwischen der Tätigkeit eines Sonderprüfers und derjenigen eines besonderen Vertreters erübrigen sich im vorliegenden Fall. Zum einen sind die Sachverhalte in dem hier streitigen Beschluss der Hauptversammlung sehr wohl hinreichend konkretisiert worden. Zum anderen lässt sich dem Gesetz die von der Verfügungsbeklagten befürwortete strikte Abgrenzung zwischen den Befugnisse eines Sonderprüfers und eines besonderen Vertreters weder entnehmen, noch liegt sie mit Rücksicht auf den Einfluss des Mehrheitsgesellschafters auf Sonderprüfungen nahe.
2. Der Verfügungsgrund ergibt sich – entgegen der seitens des Landgerichts im Anschluss an die Verfügungsbeklagte vertretenen Auffassung – sehr wohl aus der in § 147 Abs. 1 S. 2 AktG vorgesehenen Frist von sechs Monaten ab Fassung der maßgeblichen Hauptversammlungsbeschlüsse, jedenfalls aber aus Folgen des weiteren Zeitablaufs, und zwar auch unter Berücksichtigung des Charakters der vorliegenden einstweiligen Verfügung als Leistungsverfügung und auch im Hinblick auf erklärte Verjährungsverzichte.
a) Mag es auch so sein, dass nach Ablauf der in § 147 Abs. 1 S. 2 AktG vorgesehenen Frist nicht unmittelbar der Untergang oder auch nur eine Verjährung der vom Verfügungskläger geltend zu machenden Ansprüche droht, so hat der Gesetzgeber doch mit der Fristbestimmung zum Ausdruck gebracht, dass er ein unverzügliches Vorgehen des Besonderen Vertreters im Interesse der regelmäßig hinter auf § 147 AktG gestützten Beschlüssen stehenden Aktionärsminderheit für geboten hält. Indem der Gesetzgeber in § 147 Abs. 1 S. 2 AktG eine kurze Frist nicht etwa nur für irgendwelche Maßnahmen zur Rechtswahrung, sondern für die Geltendmachung des Ersatzanspruchs vorgesehen hat und überdies den Fristbeginn weder vom Ablauf der Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG, noch gar vom Vorliegen der rechtskräftigen Entscheidung über die Wirksamkeit der der Tätigkeit des Besonderen Vertreters zugrundeliegenden Hauptversammlungsbeschlüsse abhängig gemacht hat, hat er den Besonderen Vertreter zu unverzüglichen Maßnahmen veranlasst, die mit Rücksicht auf die kaum sicher vorhersehbare Dauer zum einen des Nichtigkeits- und Anfechtungsprozesses, zum anderen eines Hauptsacheverfahrens hinsichtlich des Auskunftsbegehrens einen Eilbedarf und Verfügungsgrund begründen.
b) Nach den vorstehenden Ausführungen begründet § 147 Abs. 1 S. 2 AktG bereits für sich genommen einen Verfügungsgrund. Hinzu kommt, dass jede andere Sichtweise, das seitens des Gesetzgebers ausdrücklich gewünschte zeitgerechte Vorgehen des Besonderen Vertreters insofern in das Belieben der Gesellschaftsorgane und der hinter diesen stehenden Aktionärsmehrheit stellte, als diese die rechtskräftige Feststellung der Wirksamkeit der zugrundeliegenden Beschlüsse durch Nichtigkeits- und Anfechtungsklagen, Rechtsmittel in den angestrengten Verfahren und mangelnde Mitwirkung an der Verfahrensförderung in unzumutbarer Weise verzögern könnten.
c) Schließlich trifft es auch nicht zu, dass das Verstreichen der in § 147 Abs. 1 S. 2 AktG vorgesehenen Frist allein wegen der Verjährungsverzichte für die Verfügungsbeklagte und mittelbar auch für den Verfügungskläger nicht zu Rechtsnachteilen führen könnte. Auch wenn eventuell begründete Forderungen, deren Geltendmachung dem Verfügungskläger übertragen wurde, gegebenenfalls auch nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist wegen der Verzichtserklärungen und in deren Anwendungsbereich nicht verjährten, könnte es doch wegen der verzögerten Geltendmachung der Forderungen zu Zinsausfällen für die Verfügungsbeklagte kommen, für die der Verfügungskläger haftete. Hinzu kommt, dass jede Verzögerung das Insolvenzrisiko der potentiellen Anspruchsgegner zeitweise auf die Verfügungsbeklagte verlagerte.
d) Soweit die Verfügungsbeklagte dem weiterhin entgegenhält, dass es sich hier um eine Leistungsverfügung handele, trifft das zwar als solches zu, begründet aber keine durchgreifende Einwendung. Denn ein nach den vorstehenden Erwägungen ausreichender Rechtsschutz kann hier nicht gewährt werden, ohne den Erlass der begehrten Leistungsverfügung.
Hinzu kommt insofern, dass es sich bei dem hier geltend gemachten Informationsrecht nicht um das Hauptrecht handelt, zu dessen Geltendmachung der Verfügungskläger bestellt worden ist, sondern lediglich um ein Hilfsrecht, das zur Geltendmachung des zwecks Ausübung des im Sinne eines effektiven Minderheitenschutzes vorgesehenen Rechts notwendig ist. Wollte man hier eine Leistungsverfügung versagen, könnte der vom Gesetzgeber in § 147 AktG vorgesehene Minderheitenschutz nicht effektiv gewährt werden, sondern unterläge faktisch nahezu vollständig dem Einfluss der Aktionärsmehrheit – eine Konstellation, die § 136 Abs. 1 S. 1 AktG verhindern soll.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Einer Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und über die Zulassung der Revision bedarf es im Hinblick auf § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht.
Streitwert für den zweiten Rechtszug: 100.000,- EUR.