BGH: Informationspflicht des Anlageberaters über für die Kapitalanlage wichtige Gesetzesänderungen
BGH, Urteil vom 1.12.2011 - III ZR 56/11
sachverhalt
Die Kläger nehmen den Beklagten unter dem Vorwurf fehlerhafter Kapi-talanlageberatung auf Schadensersatz in Anspruch.
Auf Empfehlung des Beklagten zeichneten die Kläger am 4. November 1997 Beteiligungen als atypisch stille Gesellschafter bei der G. B. -AG, und zwar die Klägerin zu 1 mit einer Gesamtvertragssumme von 29.127 DM (einschließlich 5 % Agio) und der Kläger zu 2 mit einer Vertrags-summe von 27.405 DM (einschließlich 5 % Agio). Die Einlagen waren durch Einmalzahlungen sowie nachfolgende monatliche Ratenzahlungen zu erbrin-gen. Die Klägerin zu 1 zahlte auf ihre Beteiligung insgesamt 5.615,41 € und der Kläger zu 2 auf die seinige 5.508,03 €. Das jeweilige Guthaben der Anleger sollte in Raten zurückgezahlt werden. Die G. B. -AG gehörte zum Konzernverbund der G. Gruppe. Im Juni 2007 wurde über das Ver-mögen der Anlagegesellschaften der G. Gruppe das Insolvenzverfahren eröffnet.
Die Kläger verlangen von dem Beklagten die Erstattung ihrer für die Ka-pitalanlage geleisteten Aufwendungen, den Ersatz entgangenen Gewinns sowie die Freistellung von Rechtsanwaltskosten. Sie haben geltend gemacht, zwi-schen den Parteien sei ein Beratungsvertrag zustande gekommen und der Be-klagte habe die ihm hieraus erwachsenen Pflichten verletzt. Insbesondere habe der Beklagte keine (genügende) Plausibilitätsprüfung vorgenommen, die Risi-ken der Anlage verschwiegen oder verharmlost und eine Information über die möglichen Auswirkungen des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen vom 22. Oktober 1997 (6. KWG-Novelle) sowie die damit für die streitgegenständliche Kapitalanlage verbundenen Risiken unterlassen.
Die Klage ist in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Klagean-trag weiter.
aus den gründen
5 Die Revision der Kläger ist unbegründet.
6 I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausge-führt, dass der Beklagte zwar als Anlageberater tätig geworden sei, die von den Klägern geltend gemachten Pflichtverletzungen jedoch nicht festgestellt werden könnten. Die Kläger hätten die Darlegungen des Beklagten zur rechtzeitigen Übergabe des Emissionsprospekts und zur hinreichenden mündlichen Aufklä-rung über die Kapitalanlage nicht zu widerlegen vermocht. Auch der Vorwurf einer unzureichenden Plausibilitätsprüfung greife nicht durch. Der Emissions-prospekt stelle die Vertriebskosten und die damit verbundenen Risiken ausrei-chend dar. Der Beklagte habe auch Informationen von dritter Seite bei seiner Beratung berücksichtigt. Auf die mit der am 1. Januar 1998 in Kraft getretenen 6. KWG-Novelle verbundenen rechtlichen Risiken der Kapitalanlage habe der Beklagte nicht hinweisen und deswegen auch nicht bei dem damaligen Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen nachfragen müssen. Dabei sei zu be-rücksichtigen, dass die Zeichnung der Beteiligung vor dem Inkrafttreten der 6. KWG-Novelle erfolgt sei, der Anlageberater insoweit nicht wie ein Emittent haftbar sei und der Beklagte mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht da-von habe ausgehen müssen, dass die Anlage ohne die erforderlichen Geneh-migungen durchgeführt werden würde. Es würde die Pflicht zur Plausibilitäts-prüfung erheblich überspannen, wenn der Berater bei jeder von ihm vertriebe-nen Anlage das Konzept in rechtlicher Hinsicht überprüfen müsste.
7 II. Die Würdigung des Berufungsgerichts, die Kläger hätten nicht den Nachweis erbracht, dass der Beklagte die ihm aus dem zwischen den Parteien zustande gekommenen Anlageberatungsvertrag obliegenden Pflichten verletzt habe, hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung stand.
8 1. Wie das Berufungsgericht zutreffend zugrunde gelegt hat, reichen die Pflichten des Anlageberaters weiter als die Pflichten des Anlagevermittlers.
9 Der Anlagevermittler schuldet dem Interessenten eine richtige und voll-ständige Information über diejenigen tatsächlichen Umstände, die für dessen Anlageentschluss von besonderer Bedeutung sind (st. Rspr.; z.B. Senatsurteile vom 12. Februar 2004 - III ZR 359/02, BGHZ 158, 110, 116; vom 12. Juli 2007 - III ZR 145/06, WM 2007, 1608 Rn. 8; vom 5. März 2009 - III ZR 17/08, NZG 2009, 471, 472 Rn. 11 und vom 16. Juni 2011 - III ZR 200/09, BeckRS 2011, 17987 Rn. 14). Der Anlagevermittler muss das Anlagekonzept, bezüglich des-sen er Auskunft erteilt, wenigstens auf Plausibilität, insbesondere wirtschaftliche Tragfähigkeit hin überprüfen. Ansonsten kann er keine sachgerechten Auskünf-te erteilen (Senatsurteile vom 5. März 2009 aaO mwN und vom 16. Juni 2011 aaO). Vertreibt er die Anlage anhand eines Prospekts, muss er, um seiner Aus-kunftspflicht nachzukommen, im Rahmen der geschuldeten Plausibilitätsprü-fung den Prospekt jedenfalls darauf überprüfen, ob er ein in sich schlüssiges Gesamtbild über das Beteiligungsobjekt gibt und ob die darin enthaltenen In-formationen, soweit er das mit zumutbarem Aufwand festzustellen in der Lage ist, sachlich vollständig und richtig sind (Senatsurteile vom 12. Februar 2004 aaO; vom 5. März 2009 aaO Rn. 12 mwN und vom 16. Juni 2011 aaO).
10 Demgegenüber ist ein Anlageberater zu mehr als nur zu einer Plausibili-tätsprüfung verpflichtet. In Bezug auf das Anlageobjekt hat sich seine Beratung auf diejenigen Eigenschaften und Risiken zu beziehen, die für die jeweilige Ent-scheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können. Er muss deshalb eine Anlage, die er empfehlen will, mit üblichem kritischem Sachverstand prüfen oder den Anlageinteressenten auf ein diesbezügliches Unterlassen hinweisen. Ein Berater, der sich in Bezug auf eine bestimmte Anlageentscheidung als kompetent geriert, hat sich dabei aktuelle Informationen über das Objekt, das er empfehlen will, zu verschaffen. Dazu gehört die Auswertung vorhandener Ver-öffentlichungen in der Wirtschaftspresse (vgl. z.B. Senatsurteile vom 5. März 2009 - III ZR 302/07, WM 2009, 688, 690 Rn. 13 ff; vom 5. November 2009 - III ZR 302/08, WM 2009, 2360, 2362 Rn. 16, 18 und vom 16. September 2010 - III ZR 14/10, NZG 2010, 1272, 1273 Rn. 10).
11 2. Diese Maßgaben hat das Berufungsgericht bei seiner Würdigung beach-tet. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision bleiben ohne Erfolg.
12 a) Soweit das Berufungsgericht die in dem Anlageprospekt enthaltenen Angaben zu den Emissionskosten und den Risiken des Ausfalls von Ratenein-lagen der Anleger für ausreichend hält, lässt dies entgegen den Rügen der Re-vision Rechtsfehler nicht erkennen. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass sich die Quote der - betragsmäßig ausgewiesenen - Emissionskosten nach Abzug des Agios in Höhe von 5 % der Einlage auf 14,9 % der Einlage-summe belaufe (Seite 72) und dass der Ausfall erwarteter Einlagezahlungen generell - nicht nur: bei "außerordentlichen Systemstörungen" - negative Aus-wirkungen auf die Durchführung der geplanten Investitionen haben könne (Sei-te 87). Dass das Anlagekonzept der hier streitgegenständlichen Beteiligung von vornherein die Gefahr größerer Zahlungsausfälle in sich getragen hätte und der Anlageerfolg auf diese Weise grundsätzlich in Frage gestellt worden wäre, ha-ben die Kläger nicht (ausreichend) dargetan. Der Beklagte hat vielmehr, worauf die Revisionserwiderung zutreffend aufmerksam gemacht hat, dargelegt, dass die Stornierungsquote in damaliger Zeit allenfalls 2 % betragen habe und dass nach dem Gesellschaftsvertrag im Falle einer vorzeitigen Stornierung kompen-satorische Vorfälligkeits- und Ausgleichszahlungen an die Gesellschaft zu leis-ten seien, was die Kläger nicht konkret bestritten haben.
13 b) Ihre Behauptung, der Beklagte habe die Verlustrisiken der Kapitalan-lage grob verharmlost, haben die Kläger nach der rechtsfehlerfreien Würdigung des Berufungsgerichts nicht nachzuweisen vermocht.
14 c) Letztlich begegnet auch die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der Beklagte nicht verpflichtet gewesen sei, über die Auswirkungen der 6. KWG-Novelle, insbesondere die damit verbundenen rechtlichen Risiken für die Kapitalanlage, zu informieren, keinen durchgreifenden rechtlichen Beden-ken.
15 aa) Nach der Neufassung von § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG (Einlagenge-schäft) durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Kre-ditwesen vom 22. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2518) mit Wirkung ab dem 1. Ja-nuar 1998 bestand allerdings die nahe liegende Möglichkeit, dass die Auf-sichtsbehörde die ratierliche Auszahlung des späteren Auseinandersetzungs-guthabens der Anleger als ein erlaubnispflichtiges Bankgeschäft ansehen und gegen die Anlagegesellschaft eine entsprechende Verbotsverfügung erlassen würde. Jedenfalls war die Rechtslage mit Inkrafttreten der 6. KWG-Novelle in-soweit unsicher geworden (s. dazu BGH, Urteil vom 21. März 2005 - II ZR 149/03, NZG 2005, 476, 478). Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Anlagegesellschaft (Emittentin) daher für verpflichtet gehalten, die Anlageinte-ressenten darauf hinzuweisen, dass aufgrund der Gesetzesänderung rechtliche Bedenken gegen die ratierliche Auszahlung der Auseinandersetzungsguthaben bestehen könnten (BGH, Urteile vom 21. März 2005 aaO; vom 18. April 2005 - II ZR 21/04, BeckRS 2005, 07047 und vom 26. September 2005 - II ZR 314/03, NJW-RR 2006, 178, 181). Angesichts der Bedeutung dieses Gesichts-punkts für die Kapitalanlageentscheidung mussten die Interessenten darüber informiert werden, ob das Anlagemodell rechtlich abgesichert oder aber mit bankaufsichtsrechtlichen Maßnahmen und damit verbundenen Prozessrisiken zu rechnen war. Die Verletzung dieser Aufklärungspflicht kann, wenn der Ge-sellschaftsvertrag nach dem Inkrafttreten der 6. KWG-Novelle geschlossen worden ist, eine Schadensersatzpflicht der Anlagegesellschaft (Emittentin) nach sich ziehen (BGH, Urteile vom 21. März 2005 aaO; vom 18. April 2005 aaO und vom 26. September 2005 aaO).
16 bb) Aus den genannten Entscheidungen ergibt sich, wie das Berufungs-gericht zu Recht ausgeführt hat, nicht zugleich und ohne Weiteres eine ent-sprechende Aufklärungs- und Haftungspflicht des Anlageberaters (so auch OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 20. Dezember 2007 - 24 U 98/07, juris Rn. 42 - die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde ist vom Senat durch Beschluss vom 26. Juni 2008 - III ZR 22/08 zurückgewiesen worden; a.A. hin-gegen wohl Thüringer OLG, Urteil vom 28. April 2009 - 5 U 355/08, Umdruck S. 7 f).
17 Für den Anlageberater gelten nicht dieselben Maßstäbe wie für die Anla-gegesellschaft (Emittentin), die in eigener Verantwortung die rechtliche Einstu-fung ihrer Geschäftstätigkeit umfassend und unter Inanspruchnahme aller zu Gebote stehenden Erkenntnismöglichkeiten zu prüfen und um die Erteilung et-waiger erforderlicher Genehmigungen oder Erlaubnisse nachzusuchen hat be-ziehungsweise die rechtliche Bewertung der zuständigen Genehmigungs- oder Aufsichtsbehörde abfragen kann ("Negativattest"). Umfang und Art der Hinweis- und Ermittlungspflichten des Anlageberaters bestimmen sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls. Dabei kommt es insbesondere darauf an, wie der Anlageberater gegenüber dem Anlageinteressenten auftritt und ob und inwieweit dieser die berechtigte Erwartung hegt, über bestimmte Umstände in-formiert zu werden. 18 Zu solchen Umständen zählen grundsätzlich zwar auch Gesetzesänderungen, sofern sie für die empfohlene Kapitalanlage erhebliche Auswirkungen haben können. Anders als die Anlagegesellschaft muss der An-lageberater aber nicht ohne besondere Anhaltspunkte infolge einer Gesetzes-änderung auftretenden schwierigen und ungeklärten Rechtsfragen nachgehen, die er regelmäßig nur unter Inanspruchnahme sachkundiger Hilfe (Rechtsgut-achten) abklären könnte.
Nach diesen Grundsätzen war der Beklagte im Streitfall nicht gehalten, Erkundigungen über die damals bevorstehende Änderung der Gesetzeslage einzuziehen und die Kläger hiervon in Kenntnis zu setzen.
19 Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die 6. KWG-Novelle zum Zeitpunkt der Zeichnung (4. November 1997) noch nicht in Kraft getreten war. Die Kläger haben auch nicht aufgezeigt, dass der Beklag-te von der damit verbundenen Problematik für die hier in Rede stehende Kapi-talanlage aus der Wirtschaftspresse erfahren hätte oder jedenfalls hätte erfah-ren müssen. Gleiches gilt für etwaige sonstige Anhaltspunkte. Der Umstand allein, dass der Beklagte seit 1991 Beteiligungen bei der "G. G. " in seiner "Angebotspalette" hatte, ist insoweit ohne Aussagekraft.
20 Musste dem Beklagten die mit der 6. KWG-Novelle verknüpfte Rechts-unsicherheit demnach nicht bekannt sein und durften die Kläger diesbezügliche Nachforschungen und Informationen nach Lage des Falles von dem Beklagten auch nicht erwarten, so musste der Beklagte die Kläger auch nicht darüber auf-klären, dass er eine dahingehende Überprüfung unterlassen habe.