BVerfG: III. Verfassungsbeschwerde der Anwälte
BVerfG, Beschluss vom 27.6.2018 – 2 BvR 1562/17
ECLI:DE:BVerfG:2018:rk20180627.2bvr156217
Volltext des Beschlusses: BB-ONLINE BBL2018-1680-1
NICHT AMTLICHER LEITSATZ
Informationen, die Rechtsanwälte in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit im Rahmen von internen Ermittlungen zusammenstellen, sind mandatsbezogene Daten der beauftragten Kanzlei, so dass eine Verletzung des Rechts der Anwälte auf informationelle Selbstbestimmung durch die Anordnung der Durchsuchung nicht gegeben ist.
GG Art. 2, 13
Aus den Gründen
[…]
V.
35 Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ihr kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführer angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Sie ist unzulässig, weil eine Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführer nicht ersichtlich ist.
36 1. Aus dem Vortrag der Beschwerdeführer ergibt sich nicht, dass sie durch die Durchsuchungsanordnung vom 6. März 2017 und die daraufhin ergangene Beschwerdeentscheidung vom 7. Juni 2017 in eigenen Grundrechten verletzt wurden. Insoweit genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Danach muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 78, 320 <329>; 99, 84 <87>; 115, 166 <179 f.>). Daran fehlt es hier.
37 a) Die Beschwerdeführer sind im Hinblick auf die Räume des Münchener Standorts der Rechtsanwaltskanzlei Jones Day nicht Träger des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG. Sie haben nicht dargelegt, dass diese Räume ihrer eigenen räumlichen Privatsphäre zuzurechnen sind.
38 aa) Wer Träger des Grundrechts des Art. 13 Abs. 1 GG ist, entscheidet sich nicht nach der Eigentumslage, sondern grundsätzlich danach, wer Nutzungsberechtigter der Wohnung oder der Betriebs- und Geschäftsräume ist (vgl. Gornig, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 13 Rn. 27). Bei Geschäftsräumen kommt der Schutz des Art. 13 Abs. 1 GG dementsprechend regelmäßig nur dem Unternehmer als Nutzungsberechtigtem zugute, nicht aber den einzelnen Arbeitnehmern (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juli 2009 - 2 BvR 1119/05 u.a. -, juris, Rn. 27; Gornig, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 13 Rn. 31; Ziekow/Guckel-berger, in: Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 13 Rn. 43 [Mai 2005]). Die Beschwerdeführer zu 2) und 3) als Angestellte können sich daher mit Blick auf die Kanzleiräume grundsätzlich nicht auf das Wohnungsgrundrecht berufen. Der Beschwerdeführer zu 1) ist als Partner zwar Mitinhaber der Nutzungsberechtigung der Kanzlei Jones Day an ihren Kanzleiräumen. Dieses Nutzungsrecht steht den Partnern aber nur gemeinschaftlich zu (vgl. für die Partnerschaftsgesellschaft nach deutschem Recht §§ 718 f. BGB i.V.m. § 1 Abs. 4 PartGG). Es kann deshalb auch nur von den Gesellschaftern gemeinschaftlich oder, soweit ihre Rechtsfähigkeit anerkannt ist, von der Gesellschaft als solcher geltend gemacht werden. Dem entspricht die Befugnis zur Geltendmachung des Grundrechts im Verfassungsbeschwerdeverfahren (vgl. BVerfGE 4, 7 <12>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats von 2. September 2002 - 1 BvR 1103/02 -, juris, Rn. 6). Auch der Beschwerdeführer zu 1) kann sich deshalb nicht ad personam auf das Wohnungsgrundrecht berufen.
39 bb) Natürliche Personen, die Geschäfts- oder Amtsräume nutzen, ohne selbst Geschäftsinhaber oder Dienstherr zu sein, sind in Bezug auf Art. 13 Abs. 1 GG nur dann beschwerdebefugt, wenn die genutzten Räume auch als individueller Rückzugsbereich fungieren und sie deshalb der persönlichen beziehungsweise räumlichen Privatsphäre der natürlichen Person zuzuordnen sind (vgl. BVerfGE 103, 142 <150>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Februar 2004 - 2 BvR 1687/02 -, juris, Rn. 13; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 16. April 2015 - 2 BvR 2279/13 -, juris, Rn. 14; Gornig, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 13 Rn. 30; Ziekow/Guckel-berger, in: Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 13 Rn. 43 [Mai 2005]). Es bedarf daher substantiierten Vortrags dazu, warum die persönliche Privatsphäre der natürlichen Person von der Durchsuchung berührt und die natürliche Person in ihrem eigenen Wohnungsgrundrecht betroffen sein soll (vgl. BVerfGE 103, 142 <150>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Februar 2005 - 2 BvR 1108/03 -, juris, Rn. 9). An einem solchen Vortrag fehlt es hier. Die Beschwerdeführer begründen die Verfassungsbeschwerde nicht mit einer Störung ihrer eigenen räumlichen Privatsphäre durch die Strafverfolgungsbehörden, sondern heben allein auf ihre Stellung als Rechtsanwalt, ihre Berufsausübung und die Auswirkungen auf die Vertrauensbeziehung zwischen Rechtsanwalt und Mandant ab. Diese berufliche Sphäre betrifft jedoch nur die Kanzlei Jones Day. Die Beschwerdeführer nutzen die durchsuchten Münchener Kanzleiräume, um ihre berufliche Tätigkeit dort für die Kanzlei Jones Day auszuüben. Ein Mandatsverhältnis besteht wiederum nur zwischen dieser und der Volkswagen AG. Eine Selbstbetroffenheit der Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 13 GG ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich.
40 cc) Der Beschwerdeführer zu 1) ist darüber hinaus nicht berechtigt, ein etwaiges Grundrecht der Rechtsanwaltskanzlei Jones Day aus Art. 13 Abs. 1 GG geltend zu machen. Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG muss der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner eigenen Rechte behaupten. Eine Verletzung fremder Rechte kann er im eigenen Namen nicht rügen. Die Prozessstandschaft ist im Verfassungsbeschwerdeverfahren grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. BVerfGE 2, 292 <294>; 25, 256 <263>; 31, 275 <280>; 56, 296 <297>; 129, 78 <92>; stRspr). Auf die Frage der Grundrechtsberechtigung der Kanzlei Jones Day kommt es dementsprechend nicht an.
41 b) Eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG durch die Anordnung der Durchsuchung scheidet aus. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann den strafprozessualen Eingriffsnormen des Ersten Buchs 8. Abschnitt der Strafprozessordnung und den darauf gestützten Maßnahmen keine berufsregelnde Tendenz entnommen werden, da sie unterschiedslos sämtliche Beschuldigte strafrechtlicher Vorwürfe betreffen oder sich wie § 103 StPO unterschiedslos an jedermann richten (vgl. BVerfGE 113, 29 <48>; 129, 208 <266 f.>).
42 c) Auch eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG in Gestalt des Rechts auf wirtschaftliche und berufliche Betätigung haben die Beschwerdeführer nicht dargelegt. Die wirtschaftliche Handlungsfreiheit genießt als Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit grundrechtlichen Schutz und wird durch Maßnahmen betroffen, die auf Beschränkung wirtschaftlicher Entfaltung sowie Gestaltung, Ordnung oder Lenkung des Wirtschaftslebens angelegt sind oder sich in diesem Sinne auswirken (vgl. BVerfGE 91, 207 <221>; 98, 218 <259>). Zu solchen sie selbst betreffenden Folgen tragen die Beschwerdeführer indessen nicht vor, sondern wollen eine Beschwerdebefugnis allein aus einer Beschwer der Kanzlei Jones Day herleiten. Soweit sie geltend machen, die Durchsuchung könne zur Kündigung von Mandaten führen, weil Mandanten die Vertraulichkeit ihrer Informationen nicht mehr als gewährleistet ansähen, und dass dementsprechend auch potentielle Mandanten von einer Mandatserteilung abgehalten werden könnten, handelt es sich um Folgen, die ausschließlich die wirtschaftliche Betätigung der Kanzlei Jones Day berühren. Die Beschwerdeführer haben nicht vorgetragen, dass auch Mandatsverhältnisse mit ihnen persönlich bestünden. Eine Verfolgung von fremden Rechten im eigenen Namen ist im Verfassungsbeschwerdeverfahren, wie bereits dargelegt, unzulässig. Konkrete Auswirkungen auf die eigene wirtschaftliche und berufliche Betätigung benennen die Beschwerdeführer nicht; selbst zu nur möglichen mittelbaren Nachteilen für sich selbst äußern sie sich nicht.
43 d) Die Möglichkeit einer Verletzung des Rechts der Beschwerdeführer auf informationelle Selbstbestimmung durch die Anordnung der Durchsuchung ist gleichfalls nicht dargetan.
44 Das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst die Befugnis jedes Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen (vgl. BVerfGE 65, 1 <43>; 78, 77 <84>). Der Begriff der persönlichen Daten deckt sich mit der Legaldefinition personenbezogener Daten in § 46 Nr. 1 BDSG (zuvor § 3 Abs. 1 BDSG) und erfasst alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (betroffene Person) beziehen (vgl. noch zu § 3 Abs. 1 BDSG „Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person“ Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs.1, Rn. 175 [Juli 2001]).
45 Die Durchsuchungsanordnung vom 6. März 2017 war nicht auf die Gewinnung von persönlichen Daten der Beschwerdeführer gerichtet, sondern zielte auf Informationen ab, die die Kanzlei Jones Day aufgrund des Mandatsverhältnisses mit der Volkswagen AG im Rahmen von internen Ermittlungen zusammengetragen oder erstellt hatte. Dass es die Beschwerdeführer waren, die diese Informationen in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit sammelten oder produzierten, ändert nichts an der Mandatsbezogenheit der Daten. Der Datenbestand ist vielmehr der Kanzlei Jones Day, der Volkswagen AG als Auftraggeberin der internen Ermittlungen sowie der Audi AG, soweit die Informationen aus ihrer Sphäre herrühren, zuzuordnen.
46 Dies gilt auch für die E-Mails aus dem E-Mail-Ordner mit der Bezeichnung „Diesel“, die nach eigenem Vortrag der Beschwerdeführer nur mandatsbezogene Kommunikation enthielten. Soweit die Beschwerdeführer abstrakt ausführen, E-Mail-Verkehr enthalte regelmäßig eine Vielzahl personenbezogener Informationen wie etwa Sende- und Empfangsdaten, die Aufschluss über die Tätigkeit von Sender und Empfänger geben könnten, legen sie nicht konkret dar, aus welchen einzelnen Informationen hier welche Rückschlüsse auf ihre persönlichen Verhältnisse gezogen werden könnten. Soweit sich die Beschwerdeführer auf die Entscheidung BVerfGE 113, 29 (45) berufen, berücksichtigen sie nicht, dass dieser Entscheidung eine Verfassungsbeschwerde aller Sozien einer Rechtsanwaltskanzlei und damit der Kanzlei insgesamt zugrunde lag. Zudem begründen sie die ihrer Ansicht nach fehlende verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Durchsuchungsanordnung wiederum nur mit einem unzulässigen Eingriff in die Vertrauensbeziehung zwischen Rechtsanwalt und Mandant, also zwischen der Kanzlei Jones Day und der Volkswagen AG, und stellen auch insoweit nicht auf eine persönliche Betroffenheit ab.
47 e) Schließlich können sich die Beschwerdeführer nicht auf das Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG berufen.
48 Im Bereich des Strafrechts gewährleistet das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG in erster Linie dem Beschuldigten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren. Aber auch einem Nichtbeschuldigten, der in ein Strafverfahren verwickelt wird, steht ein Anspruch auf eine faire Vorgehensweise zu. So kann sich beispielsweise ein Zeuge auf das Recht auf ein faires Verfahren berufen, wenn sein Rechtsbeistand von der Teilnahme an Vernehmungen ausgeschlossen wird (vgl. BVerfGE 38, 105 <111 ff.>). Unverdächtige Personen im Sinne von § 103 StPO können sich unter Verweis auf das Recht auf ein faires Verfahren wehren, wenn die Voraussetzungen für eine Durchsuchung nach § 103 StPO nicht beachtet werden (vgl. BVerfGK 2, 97 <99>).
49 Das Recht auf ein faires Verfahren gilt mithin auch für Nichtbeschuldigte, wenn sie selbst von dem Strafverfahren betroffen werden und deshalb zumindest im weiteren Sinne als Beteiligte des Verfahrens anzusehen sind. Dies ist in der Person der Beschwerdeführer nicht der Fall. Dritte im Sinne von § 103 StPO ist die Kanzlei Jones Day. Nur deren Räumlichkeiten, wirtschaftliche Betätigung und persönliche Daten sind von der Durchsuchungsanordnung berührt. Eine Betroffenheit in eigenen Rechten haben die Beschwerdeführer dagegen nicht dargelegt.
50 2. Die Beschwerdeführer haben gleichfalls nicht dargelegt, durch die Bestätigung der Sicherstellung vom 21. März 2017 sowie die daraufhin ergangene Nichtabhilfeentscheidung vom 26. April 2017 und die Beschwerdeentscheidung vom 7. Juni 2017 in eigenen Grundrechten betroffen zu sein. Auch insofern genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den Begründungsanforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG.
51 a) Soweit Aktenordner und Hefter sichergestellt wurden, können die Beschwerdeführer eine Beschwerdebefugnis nicht unter dem Gesichtspunkt des Art. 14 Abs. 1 GG herleiten. Nach ihrem eigenen Vortrag stehen diese Gegenstände im Eigentum der Kanzlei Jones Day, der damit auch das Besitzrecht zusteht (§ 903 BGB). Die Gesellschafterstellung des Beschwerdeführers zu 1) führt nicht zu einer ihm allein zukommenden Berechtigung an den im Gesellschaftsvermögen befindlichen Gegenständen (siehe oben Rn. 38). Die bloße Nutzung der sichergestellten Unterlagen durch die Beschwerdeführer im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit vermag eine durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsposition ohnehin nicht zu begründen. Darüber hinaus ist es dem Beschwerdeführer zu 1) verwehrt, mit der Verfassungsbeschwerde ein etwaig bestehendes Eigentumsgrundrecht der Kanzlei Jones Day geltend zu machen, da eine Prozessstandschaft im Verfassungsbeschwerdeverfahren, wie dargelegt, grundsätzlich nicht in Betracht kommt.
52 b) Soweit sich die Beschwerdeführer auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung berufen, gelten die obigen Ausführungen zur Durchsuchungsanordnung für die vorläufige Sicherstellung zum Zwecke der Durchsicht entsprechend. Die Beschwerdeführer haben nicht dargelegt, dass ihre eigenen persönlichen Daten von der Sicherstellung betroffen sind. Die E-Mails aus dem E-Mail-Ordner mit der Bezeichnung „Diesel“ enthielten nach eigenem Vortrag nur mandatsbezogene Kommunikation, die der Kanzlei Jones Day zuzurechnen ist.
53 c) Mangels eigener Betroffenheit von dem Ermittlungsverfahren (vgl. Rn. 49) sind die Beschwerdeführer durch die Sicherstellung schließlich nicht in ihrem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt.
54 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.