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Wirtschaftsrecht
23.04.2015
Wirtschaftsrecht
OLG Oldenburg: Handelsvertreter-vertrag – Voraussetzungen einer unwirksamen Kündigungserschwernis

OLG Oldenburg, Urteil vom 30.3.2015 – 13 U 71/14

Aus den Gründen

Der Beklagte war in der Zeit vom 1. April 2012 bis zum 31. August 2013 als Handelsvertreter für die Klägerin tätig, die sich als Maklerin mit der Vermittlung von Versicherungen und Finanzdienstleistungen befasst. Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Rückerstattung von Zahlungen, die sie während des Vertragsverhältnisses an den Beklagten erbracht hat.

Mit dem Handelsvertretervertrag vom 23. September 2011 wurde eine „Fixumsvereinbarung“ geschlossen, die monatliche Zahlungen der Klägerin an den Beklagten in Höhe von 6.000 € vorsah. Diese Vereinbarung wurde später - am 4. Oktober/12. November 2012 - durch eine neue „Fixumsvereinbarung“ ersetzt, die auszugsweise wie folgt lautet:

„1. Der Vertriebspartner [der Beklagte] erhält … anstelle der laufenden (im jeweiligen Monat abzurechnenden) Provisionen und Provisionsvorschüsse ein der Höhe nach auf seiner Einschätzung des zu erwartenden Umsatzerfolges basierendes Fixum in Höhe von mtl. 6.000,- €, beginnend mit dem 01.10.2012. Die Auszahlung des Fixums erfolgt am dritten Werktag des Folgemonats. Über die tatsächlichen Provisionen wird  … [die Klägerin] gleichwohl abrechnen und bei Beendigung dieser Vereinbarung eine Schlussabrechnung nach Maßgabe der Ziff. 4 und Ziff. 5 dieser Vereinbarung vornehmen.

2. …

3. Die Vereinbarung kann von beiden Seiten unabhängig vom Vertretungsvertrag mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende gekündigt werden. Das Recht zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund bleibt unberührt. Unabhängig von einer Kündigung endet die Vereinbarung - ebenfalls unabhängig vom Vertretungsvertrag - nach Ablauf von 30 Monaten.

4. Im Monat nach Beendigung dieser Vereinbarung wird …. die Schlussabrechnung vornehmen. Übersteigen danach die im Zeitraum der Gültigkeit dieser Vereinbarung abzurechnenden Provisionen das ausgezahlte Fixum, wird der Überschuss an den Vertriebspartner ausgezahlt. Sollte das Provisionskonto zu diesem Zeitpunkt einen Debetsaldo aufweisen, wird der Betrag durch den Vertriebspartner ausgeglichen. Dies gilt nicht, sondern der Debetsaldo ist vom Vertriebspartner unverzüglich auszugleichen, wenn

a) der Vertriebspartner die Vereinbarung gekündigt hat, es sei denn, dass ein Verhalten des Unternehmers hierzu begründeten Anlass gegeben hat, oder

b) …. die Vereinbarung bzw. den Vertretungsvertrag gekündigt hat und im Zeitpunkt der Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Vertriebspartners vorlag.

9. Mit Abschluss dieses Vertrages verlieren alle vorher getroffenen Vereinbarungen hinsichtlich Fixum- und Garantiezahlungen ihre Gültigkeit und werden mit obigen Konditionen ersetzt. Der bestehende (zum Änderungsdatum) Provisionskontensaldo wird von dem Vertriebspartner anerkannt und wird mit der in Ziff. 4 bestimmten Vorgehensweise berücksichtigt.“

Das Landgericht hat die auf die zitierte Vereinbarung gestützte und zuletzt auf Zahlung von 17.482,36 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Kosten gerichtete Klage abgewiesen. Wegen der Feststellungen und der weiteren Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihren erstinstanzlichen Zahlungsantrag weiter verfolgt.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die Berufung ist zulässig und mit Ausnahme eines Teils der Zinsforderung begründet. Die Klägerin kann vom Beklagten die Rückzahlung von 17.482,36 € verlangen.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen auf das Senatsurteil vom 26. November 2013 (13 U 30/13, NJW-RR 2014, 550 = IHR 2014, 109) gestützt, dem auch Rückforderungsansprüche der Klägerin gegen einen ihrer ehemaligen Handelsvertreter zugrunde lagen. Der Leitsatz dieser Entscheidung lautet:

Eine Vertragsklausel, nach der ein Handelsvertreter zur Rückerstattung monatlicher Zahlungen von 3.000 Euro an den Unternehmer verpflichtet ist, wenn der Handelsvertreter den Handelsvertretervertrag vor Ablauf der 36-monatigen Laufzeit der Vereinbarung über die (zusätzlich zur Provision erbrachten) Zahlungen kündigt, führt regelmäßig zu einer einseitigen - mittelbaren - Einschränkung des Kündigungsrechts des Handelsvertreters und ist deshalb gemäß § 89 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 HGB, § 134 BGB unwirksam.

Die in jenem Verfahren von der Klägerin verwendete Klausel über sogenannte Garantiezahlungen und die jetzt im Streit stehende „Fixumsvereinbarung“ vom 4. Oktober/ 12. November 2012 sind sich ähnlich, teilweise ist der Wortlaut identisch. Dennoch sind die Regelungen im Ergebnis nicht miteinander vergleichbar. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass die - sogenannten - Fixumszahlungen hier nicht zusätzlich zu den vom Beklagten verdienten Provisionen erbracht wurden, sondern an deren Stelle. Die Zahlungen sollten nach - insgesamt - 36 Vertragsmonaten mit den verdienten Provisionen verrechnet werden. Es bestand für den Beklagten keine Möglichkeit, der Verrechnung und einer sich daraus ergebenden Rückzahlungspflicht zu entgehen, auch nicht bei Fortbestand des Vertragsverhältnisses bis zum 60. Monat (wie noch in der ersten Fixumsvereinbarung vorgesehen).

Daraus ergibt sich, dass es sich bei den von der Klägerin erbrachten Zahlungen tatsächlich - entgegen dem Wortlaut der Vereinbarung - nicht um Fixumszahlungen, sondern um „ins Verdienen“ zu bringende Provisionsvorschüsse handelte, wie das Landgericht zutreffend erkannt und ausgeführt hat (LGU 7/8). Solche Zahlungen werden aber häufig in der Anfangsphase von Handelsvertreterverhältnissen, in der noch keine Provisionen verdient werden, als „Starthilfe“ erbracht (vgl. dazu Senatsurteil vom 24. Juli 2012 - 13 U 118/11, IHR 2013, 79, zitiert nach juris, Rn. 24; Daum, VersR 2014, 1430).

2. Gegen derartige Regelungen, nach denen nicht ins Verdienen gebrachte Vorschusszahlungen vom Handelsvertreter bei vorzeitiger Beendigung des Vertragsverhältnisses zurückzuzahlen sind, bestehen keine generellen Bedenken, auch nicht aus dem Gesichtspunkt der unzulässigen Kündigungserschwernis. Denn entgegen der Auffassung des Beklagten sind nicht alle Zahlungsverpflichtungen, die an die Kündigung des Vertragsverhältnisses anknüpfen, ausnahmslos unwirksam. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vom Beklagten insoweit herangezogenen Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 18. Februar 2010 (1 U 113/09, VersR 2011, 526). Vielmehr ist die Frage, ob eine unzulässige Kündigungserschwernis vorliegt, aufgrund der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen.

a) Gemäß § 89 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 HGB darf die Frist zur Kündigung eines Handelsvertretervertrages für den Unternehmer nicht kürzer sein als für den Handelsvertreter. Diese zwingende gesetzliche Regelung soll verhindern, dass der schwächere Vertragsteil einseitig in seiner Entschließungsfreiheit beschnitten wird. Eine solche einseitige Beschränkung der Entschließungsfreiheit kann aber nicht nur unmittelbar durch die Vereinbarung ungleicher Kündigungsfristen, sondern auch mittelbar dadurch geschehen, dass an die Kündigung des Handelsvertreters wesentliche, eine Vertragsbeendigung erschwerende Nachteile geknüpft werden. Da diese Nachteile den Handelsvertreter regelmäßig von einer Kündigung abhalten werden, führt dies im Ergebnis dazu, dass der Unternehmer regulär mit der gesetzlichen oder der vertraglich vereinbarten - formal für beide Vertragspartner gleich langen - Frist kündigen kann, während dem Handelsvertreter diese Möglichkeit faktisch verwehrt ist (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 17. März 2000 - 14 U 77/99, OLGR 2000, 466, zitiert nach juris, Rn. 28; Thume in: Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, 4. Aufl., Kap. V Rn. 26 unter Hinweis auf LG Frankfurt a. M., VW 1975, 1551; ferner Emde, Vertriebsrecht, 2. Aufl., § 89 HGB Rn. 73 [S. 957]; Senatsurteil vom 26. November 2013, aaO, zitiert nach juris, Rn. 25).

b) Ob die an eine Vertragsbeendigung geknüpften finanziellen Nachteile - wie beispielsweise die Pflicht zur Rückzahlung von Provisionsvorschüssen - von solchem Gewicht sind, dass sie zu einer gemäß § 89 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 HGB, § 134 BGB unwirksamen Kündigungserschwernis führen, ist eine Frage des Einzelfalls. Dabei kommt es insbesondere auf die Höhe der gegebenenfalls zurückzuerstattenden Zahlungen an, ferner auf den Zeitraum, für den die Zahlungen zurückzuerstatten sein sollen (vgl. Emde, aaO; OLG Karlsruhe, VersR 2011, 526, 527 m.w.N.; ferner Senatsurteil vom 24. Juli 2012, aaO, Rn. 20 ff.; Senatsurteil vom 26. November 2013, aaO, Rn. 30). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Vorliegen einer unwirksamen Kündigungserschwernis hier zu verneinen.

Im vorliegenden Fall sollten die Vorschusszahlungen insgesamt (unter Einbeziehung der aufgrund der ersten Fixumsvereinbarung erbrachten Zahlungen) bis zum 36. Vertragsmonat erbracht werden und - bei Vorliegen der vereinbarten Voraussetzungen - maximal 6.000 € monatlich betragen. Hätte der Beklagte innerhalb der ersten 36 Vertragsmonate in einzelnen Monaten mehr als 6.000 € Provision verdient, wären auch die über 6.000 € hinausgehenden Beträge nicht an ihn ausgezahlt, sondern in das Provisions-/Vorschusskonto eingestellt und bei der nach 36 Monaten vorzunehmenden Abrechnung berücksichtigt worden. Die vereinbarte Monatsbetrag von 6.000 € war nach dem nicht bestrittenen Vortrag der Klägerin mit dem Beklagten anhand von dessen eigener Umsatzerwartung abgestimmt worden (der Beklagte war vor seinem Wechsel zur Klägerin 15 Jahre lang als Versicherungsvertreter für die ……………… tätig).

Unter diesen Umständen kann weder im Hinblick auf die Höhe der vorschussweise erbrachten Zahlungen noch im Hinblick auf den Zeitraum, für den die Zahlungen zurückzuerstatten sein sollen, eine gemäß § 89 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 HGB, § 134 BGB unwirksame Kündigungserschwernis angenommen werden. Der Zeitraum von 36 Monaten mag über das hinausgehen, was in Handelsvertreterverhältnissen üblicherweise im Hinblick auf Provisionsvorschüsse vereinbart wird. Andererseits steigt mit fortschreitender Vertragsdauer erfahrungsgemäß auch die Höhe der erwirtschafteten Provisionen und damit die Wahrscheinlichkeit, dass die verdienten Provisionen die gezahlten Vorschüsse ausgleichen (soweit die verdienten Provisionen in einzelnen Monaten den Betrag von 6.000 € überstiegen hätten, wäre, wie bereits ausgeführt, auch der „überschießende“ Betrag zur Rückführung des Sollsaldos verwendet worden). Außerdem bestand für beide Parteien die Möglichkeit, die Fixumsvereinbarung mit einer Frist von einem Monat ordentlich zu kündigen und damit ein weiteres Auflaufen von Rückzahlungsansprüchen zu verhindern.

3. Ohne Erfolg verweist der Beklagte darauf, dass ursprünglich eine andere Regelung vereinbart worden war, die dann - nach Behauptung des Beklagten auf Druck der Klägerin - geändert wurde. Denn selbst der Beklagte behauptet nicht, dass die jetzt geltende Fixumsvereinbarung aufgrund des angeblich ausgeübten Drucks unwirksam wäre. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob die ursprünglich vereinbarte Regelung zu einer unzulässigen Kündigungserschwernis führen würde.

4. Der von der Klägerin jetzt noch geltend gemachte Saldo von 17.482,36 € (GA I 98) ist vom Beklagten nicht mehr bestritten worden. Das Stornoreserveguthaben (vom Beklagten mit 3.317,77 € mitgeteilt, GA I 25) muss derzeit noch nicht verrechnet werden, weil das Vertragsverhältnis erst zum 30. August 2013 beendet wurde und es damit noch für einen erheblichen Zeitraum zu Stornierungen kommen kann (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. Oktober 2012 - 16 U 134/11, juris, Rn. 39; ferner Emde, aaO, § 87a HGB Rn. 120; § 92 HGB Rn. 22)

5. Der Vortrag des Beklagten, die Klägerin habe ihm etwas vorgegaukelt und so von der Allianz weggelockt, deswegen sei sie ihm wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten zum Schadensersatz (außerdem wegen Mobbings zur Zahlung von Schmerzensgeld) verpflichtet, ist nicht nachvollziehbar. Der Beklagte war vor dem Wechsel zur Klägerin 15 Jahre im Außendienst für die …………..tätig. Er wusste was er tat, als er sich zu dem Wechsel entschlossen hat.

6. Hinsichtlich des vom Beklagten höchst hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Ausgleichsanspruchs gemäß § 89b HGB fehlt es an jeglichem Vortrag zu den Voraussetzungen gemäß § 89b Abs. 1, 5 HGB. Da der Beklagte das Vertragsverhältnis gekündigt hat, fehlt auch konkreter und nachprüfbarer Vortrag zu der Frage, ob dem Beklagten eine Fortsetzung seiner Tätigkeit wegen Krankheit nicht mehr zugemutet werden konnte (§ 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB). Darauf ist der Beklagte mit der Ladung zum Verhandlungstermin hingewiesen worden.

7. Der Anspruch auf Zinsen und Erstattung vorgerichtlicher Kosten folgt aus dem Gesichtspunkt des Verzuges (§§ 286, 288 BGB). Allerdings handelt es sich - auch im Hinblick auf den Rückzahlungsanspruch (vgl. Daum, VersR 2014, 1430, 1432) - nicht um Entgeltforderungen im Sinne des § 288 Abs. 2 BGB, so dass die Klägerin lediglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz verlangen kann.

8. Die Nebenentscheidungen beruhen hinsichtlich der Kosten auf § 92 Abs. 2 ZPO und hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711, § 713 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.

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