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Wirtschaftsrecht
02.12.2010
Wirtschaftsrecht
BGH: Haftung gem. § 826 BGB bei Nichtinformation der Treugeber über aufsichtsrechtliches Vorgehen der BaFin

BGH, Urteil vom 19.10.2010 - VI ZR 124/09

Leitsatz

Der Geschäftsführer einer Treuhandkommanditistin haftet dem Treugeber nicht ohne weiteres wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung, wenn er ihn nicht über ein aufsichtsrechtliches Vorgehen der Bundesanstalt für Finanzleistungen (BaFin) informiert (Bestätigung von OLG Köln, Urteil vom 26. März 2009 - I-7 U 188/08, GWR 2009, 350; gegen OLG München, Urteile vom 16. September 2008 - 5 U 2503/08, EWiR 2008, 747; vom 18. November 2008 - 5 U 2856/08, WM 2009, 651; vom 4. Dezember 2008 - 17 U 2763/08, juris).

BGB § 826 B, Gi

Sachverhalt

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche wegen einer fehlge-schlagenen Kapitalanlage.

Der Kläger beteiligte sich im März 2005 über die als Treuhandkommandi-tistin fungierende G. Beteiligungs Treuhand GmbH (nachfolgend: G.) an der im Jahr 2003 gegründeten MSF AG & Co. KG (nach-folgend: MSF). Allein vertretungsberechtigte persönlich haftende Gesellschafte-rin der MSF war die DPM AG (DPM), die zugleich die G. bei Abschluss der Treuhandverträge vertrat. Geschäftsführer der G. - und alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer ihrer Alleingesellschafterin - war der Beklagte.

Wegen der Befürchtung der MSF, dass ihr Anlagekonzept ein erlaubnis-pflichtiges Finanzkommissionsgeschäft nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG sein könne, waren schon am 27. Oktober 2004 auf einer Gesellschafterversamm-lung, an der auch der Beklagte als Geschäftsführer der G. teilgenommen hatte, Änderungen des Gesellschaftsvertrags der MSF beschlossen und ein neuer Emissionsprospekt aufgelegt worden. Mit am 28. Oktober 2004 zugegangenem Schreiben hatte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) der MSF u.a. mitgeteilt, dass sie die Geschäftstätigkeit als das Betreiben eines Fi-nanzkommissionsgeschäfts nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG einstufe und die Untersagung des erlaubnispflichtigen Geschäfts gemäß § 37 KWG beabsichti-ge. Am selben Tag hatte die BaFin auch G. schriftlich informiert und unter Hin-weis auf § 37 Abs. 1, § 44c Abs. 1, Abs. 6 KWG Auskünfte und Vorlage von Unterlagen verlangt. Diesem Auskunftsersuchen war der Beklagte für G. am 10. November 2004 nachgekommen. Am 30. November 2004 hatte die BaFin der MSF unter Androhung der Untersagung der Geschäftstätigkeit nach § 37 KWG eine Frist bis zum 11. Dezember 2004 gesetzt, eine Umgestaltung der bisherigen Tätigkeit in eine erlaubnisfreie Tätigkeit vorzunehmen. Die in den folgenden Monaten zwischen MSF und BaFin geführten Verhandlungen über mögliche Änderungen in der Anlage- und Gesellschaftsstruktur blieben erfolg-los. Am 15. Juni 2005 erließ die BaFin Untersagungsverfügungen gegen MSF und G., die beide inzwischen Insolvenz angemeldet haben.

Der Kläger begehrt die Erstattung der von ihm geleisteten Einlage und die Befreiung von sämtlichen Verpflichtungen aus dem Treuhandvertrag. Er macht geltend, der Beklagte sei ihm zum Schadensersatz verpflichtet, weil er es versäumt habe, die beitrittswilligen Anleger vom Inhalt des der G. am 28. Okto-ber 2004 zugegangenen Schreibens der BaFin zu informieren und weil er einen Vertragsabschluss nicht verhindert und die Einlage an die MSF weitergeleitet habe, obwohl er habe erkennen können, dass diese für den Kläger verloren sei. Der Beklagte trägt vor, er habe auf die Weiterführung des Fonds vertraut; im Übrigen hätte eine Warnung der Neuanleger den Interessen der bereits Beige-tretenen geschadet.

Die Klage hatte in den Tatsacheninstanzen keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren aus der Berufung weiter.

Aus den Gründen

6          I. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob dem Beklagten eine Pflicht-verletzung vorzuwerfen ist. Diese könne nur darin gelegen haben, dass er die beitrittswilligen Anleger nicht über die von der BaFin im Oktober 2004 angemel-deten Bedenken gegen eine erlaubnisfreie Geschäftstätigkeit der MSF unter-richtet habe. Denn der Beklagte habe jedenfalls nicht die Merkmale des § 826 BGB als allein in Betracht zu ziehender Anspruchsnorm verwirklicht.

7          Auch wenn der Beklagte vom Inhalt des an die MSF adressierten Schrei-bens der BaFin Kenntnis gehabt hätte, erhelle daraus nicht ohne weiteres, dass er allein aufgrund dessen mindestens billigend in Kauf genommen habe, den Neuanlegern werde ein Schaden in Form des vorhersehbaren Verlustes ihrer Einlagegelder entstehen. Denn bis zu der sich erst mit Schreiben der BaFin vom 27. Mai 2005 an die G. abzeichnenden Zuspitzung der Situation habe es über Monate hinweg Schriftwechsel und Verhandlungen gegeben, in denen über die rechtliche Bewertung des Geschäftsmodells gestritten worden sei und während deren in wechselseitiger Abstimmung Lösungswege erörtert worden seien, mit deren Hilfe die seitens der BaFin gesehenen Zweifel an einer erlaub-nisfreien Tätigkeit hätten überwunden werden sollen. Gesicherte Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte aufgrund von ihm durch die MSF zufließenden Infor-mationen damit rechnete oder zumindest damit hätte rechnen müssen, das Ge-schäftskonzept der MSF sei in seiner bisher praktizierten Form endgültig zum Scheitern verurteilt und künftig noch geleistete Einlagen würden zwangsläufig verloren sein, ließen sich nicht feststellen. Die Untersagung der Fortführung des Betriebes zweier anderer Fondsgesellschaften im September/Oktober 2004 liefere kein aussagekräftiges Indiz für eine gegenteilige Annahme.

8          Das Verhalten des Beklagten sei zudem nicht sittenwidrig gewesen. Zu seinen Gunsten dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass er sich in einem un-ausweichlichen, nicht selbst herbeigeführten Interessenkonflikt befunden und nicht zum eigenen Nutzen gehandelt habe. Die Treuhandkommanditistin habe nicht nur die Interessen der noch nicht beigetretenen Anlageinteressenten be-rücksichtigen, sondern für alle Kommanditisten treuhänderisch handeln müs-sen. Sie habe deshalb auch darauf bedacht sein müssen, die Realisierung des Anlageprojektes nicht leichtfertig dadurch zu gefährden, dass sie vorschnell und ohne eine ausreichend gefestigte Tatsachengrundlage Bedenken gegen eine erfolgreiche Umsetzbarkeit publizierte, was zum Verlust der Gelder der schon beigetretenen Kommanditisten hätte führen können. Hätte der Beklagte dem Schutz der Interessen der noch Außenstehenden den Vorrang eingeräumt, wä-re es später aber zu keinem endgültigen Einschreiten der BaFin gekommen, die Realisierung des Anlagemodells dann aus ex-post-Sicht "umsonst" verhindert worden, hätte er Schadensersatzforderungen der Altanleger oder der in die In-solvenz geratenen Gesellschaften mit vergleichbarer Wahrscheinlichkeit zu ge-wärtigen gehabt wie sie dafür bestand, dass die Neuanleger wegen ihrer fehl-geschlagenen Kapitalanlage an ihn herantreten würden.

9          II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision stand.

10        1. Zutreffend ist der nicht näher erörterte Ausgangspunkt des Berufungs-gerichts, dass der Kläger keine vertraglichen oder vertragsähnlichen Ansprüche gegen den Beklagten geltend machen kann. Denn Vertragspartner des Klägers war nicht der Beklagte, sondern die Treuhandkommanditistin G., die auch allein für ein etwaiges Verschulden der DPM bei Abschluss des Treuhandvertrags einzustehen hätte (§ 278 BGB; vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 1982 - II ZR 124/81, BGHZ 84, 141, 143). Der Beklagte selbst hat nicht am Vertragsschluss mitgewirkt, weder besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen, noch wirtschaftliches Eigeninteresse am Zustandekommen des Rechtsverhält-nisses gehabt (vgl. BGH, Urteile vom 9. Juni 1984 - II ZR 122/83, WM 1984, 766, 767; vom 1. Juli 1991 - II ZR 180/90, VersR 1991, 1247, 1248 m.w.N.; vom 7. November 1994 - II ZR 108/93, ZIP 1995, 211, 212; vom 7. November 1994 - II ZR 8/93, ZIP 1995, 124, 125 und vom 20. März 1995 - II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 170). Dass er zu dem Personenkreis gehörte, der für falsche oder unvollständige Prospektangaben verantwortlich sein könnte, ist nach den Fest-stellungen des Berufungsgerichts nicht ersichtlich (vgl. BGH, Urteile vom 26. September 1991 - VII ZR 376/89, BGHZ 115, 213, 217 f.; vom 21. Novem-ber 1983 - II ZR 27/83, VersR 1984, 159, 160; vom 1. Dezember 1994 - III ZR 93/93, NJW 1995, 1025 und vom 19. November 2009 - III ZR 109/08, ZIP 2009, 2449 f.).

11        2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des Beru-fungsgerichts, es stelle keinen Sittenverstoß gemäß § 826 BGB dar, dass der Beklagte den Kläger vor Abschluss des Treuhandvertrages nicht über die im Schreiben vom 28. Oktober 2004 geäußerten Bedenken der BaFin informiert hat.

12        a) Die Qualifizierung eines Verhaltens als sittenwidrig ist eine Rechtsfra-ge, die der uneingeschränkten Kontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt (Senatsurteile vom 25. März 2003 - VI ZR 175/02, BGHZ 154, 269, 274 f. m.w.N.; vom 13. Juli 2003 - VI ZR 136/03, NJW 2004, 3423, 3425). Ein Verhal-ten ist sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (st. Rspr. seit RGZ 48, 114, 124). In diese rechtliche Beur-teilung ist einzubeziehen, ob es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist (BGH, Urteile vom 6. Mai 1999 - VII ZR 132/97, BGHZ 141, 357, 361 m.w.N.; vom 19. Juli 2004 - II ZR 402/02, 160, 149, 157; vom 14. Mai 1992 - II ZR 299/90, WM 1992, 1184, 1186 m.w.N. und vom 19. Juli 2004 - II ZR 217/03, NJW 2004, 2668, 2670). Ein Unterlassen ver-letzt die guten Sitten nur dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Hierfür reicht die Nichterfüllung einer allgemeinen Rechtspflicht, aber auch einer vertraglichen Pflicht nicht aus. Es müssen besondere Umstände hin-zutreten, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als "anständig" Gel-tenden verwerflich machen (Senat, Urteil vom 10. Juli 2001 - VI ZR 160/00, VersR 2001, 1431, 1432 m.w.N.).

13        b) Ob G. eine Pflicht traf, die künftigen Treugeber über die Bedenken der BaFin aufzuklären und der Beklagte die Beachtung einer solchen Pflicht sicher-zustellen hatte (vgl. dazu BGH, Urteile vom 16. November 1993 - XI ZR 214/92, BGHZ 124, 151, 162; vom 11. Oktober 1982 - II ZR 120/82, WM 1982, 1374; vom 1. Juli 1991 - II ZR 180/90, VersR 1991, 1247, 1249; vom 17. Mai 1994 - XI ZR 144/93, VersR 1994, 1354; vom 16. Oktober 2001 - XI ZR 25/01, WM 2001, 2313, 2314; vom 28. Mai 2002 - XI ZR 150/01, VersR 2003, 511, 512; vom 21. Oktober 2003 - XI ZR 453/02, NJW-RR 2004, 203, 206), hat das Beru-fungsgericht ohne Rechtsfehler dahinstehen lassen. Denn jedenfalls war die Verletzung einer solchen Pflicht durch den Beklagten nach den Umständen des zu entscheidenden Falls nicht sittenwidrig.

14        Das Unterlassen der Aufklärung über wesentliche regelwidrige Auffällig-keiten einer Kapitalanlage stellt nicht schon dann einen Verstoß gegen die gu-ten Sitten im Sinne des § 826 BGB dar, wenn eine vertragliche Pflicht zur Auf-klärung besteht. Der schwerwiegende Vorwurf der Sittenwidrigkeit ist erst dann zu erheben, wenn das Schweigen des Aufklärungspflichtigen zugleich gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Allein die Kenntnis von der noch entfernt liegenden Möglichkeit, dass die Geschäftstätig-keit gemäß § 37 KWG untersagt werden könnte und die Anleger hierdurch Schäden erleiden würden, genügt dafür entgegen der Auffassung der Revision nicht. Sittenwidriges Verhalten wäre dem Beklagten erst dann vorzuwerfen, wenn er trotz positiver Kenntnis von der Chancenlosigkeit der Anlage ge-schwiegen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 2002 - XI ZR 150/01, VersR 2003, 511), also in Kenntnis des Umstands, dass eine Untersagung der Ge-schäftstätigkeit unmittelbar bevorstand (vgl. BGH, Urteile vom 9. Juli 1953 - IV ZR 242/52, BGHZ 10, 228, 234; vom 9. Juli 1979 - II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 114; vom 26. März 1984 - II ZR 171/83, BGHZ 90, 381, 399; vom 11. No-vember 1985 - II ZR 109/84, BGHZ 96, 231, 235 f.; vom 26. Juni 1989 - II ZR 289/88, BGHZ 108, 134, 144; vom 22. Juni 1992 - II ZR 178/90, WM 1992, 1812, 1823).

15        Dies ist hier nicht der Fall. Dafür, dass der Beklagte zum Zeitpunkt des Beitritts des Klägers im März 2005 oder in den folgenden Wochen während der andauernden Verhandlungen zwischen BaFin und MSF zu irgendeinem Zeit-punkt Kenntnis davon gehabt hätte, dass ein Scheitern der Finanzanlage unmit-telbar bevorstand, ist nichts ersichtlich. Dies trägt auch der Kläger nicht vor, der dem Beklagten zum Vorwurf macht, über ein sich möglicherweise in der Zukunft realisierendes Risiko und die erforderliche Umstrukturierung nicht aufgeklärt zu haben. Hatte der Beklagte aber keine Kenntnis von einem unmittelbar bevor-stehenden Scheitern des Projekts und vertraute er auf die von der Gesellschaf-terversammlung am 27. Oktober 2004 beschlossenen Prospektänderungen, die auch einen Passus betreffend die Gefahr eines Einschreitens der BaFin bein-halteten, und darauf, dass die BaFin sich über längere Zeit auf Verhandlungen einließ, die die Einstellung des Geschäftsbetriebs als abwendbar erscheinen lassen konnten, so mag darin eine fahrlässige Pflichtverletzung gesehen wer-den. Den Vorwurf eines vorsätzlich sittenwidrigen Verhaltens rechtfertigt dies jedoch nicht.

16        3. Auch die Weiterleitung der vom Kläger an die Treuhandkommanditistin überwiesenen Gelder löst keine Schadensersatzansprüche gegen den Beklag-ten aus. Unstreitig lagen die Voraussetzungen vor, unter denen G. nach dem Treuhandvertrag verpflichtet war, sämtliche Einlagegelder an die MSF weiterzu-leiten. Die Auffassung des Beklagten, bei dieser Sachlage sei er als Geschäfts-führer der Treuhandkommanditistin G. weder berechtigt, noch den Anlegern gegenüber verpflichtet, die als Einlagen eingezahlten und von der Gesellschaft benötigten Beträge zugunsten der Anleger zurückzuhalten, mag rechtlich an-greifbar sein (vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 17. Mai 1982 - II ZR 112/81, WM 1982, 760; Singhof/Seiler, Mittelbare Gesellschaftsbeteiligungen, Rn. 595 m.w.N.), begründet aber nicht den Vorwurf einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung.

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