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Wirtschaftsrecht
14.12.2012
Wirtschaftsrecht
OLG München: Haftung eines Vermögensverwalters für Halteentscheidungen zu Lehman-Zertifikaten

OLG München, Beschluss vom 5.12.2012 - 19 U 2682/12


Leitsätze des Berichterstatters:


1. Ein mit einem Vermögensverwalter vereinbartes Verbot der Annahme von Rückvergütungen hätte nur zur Folge, dass der Vermögensverwalter den entsprechenden Vorteil an den Kunden herauszugeben hat, und nicht, dass mit derartigen Provisionen verbundene Geschäfte völlig zu unterlassen gewesen wären.


2. In einem solchen Fall wäre der sich aus der Insolvenz des Emittenten ergebende Schaden auch nicht mehr vom Schutzzweck der Pflichtverletzung umfasst.


3. Die Haftung eines Vermögensverwalters für Halteentscheidungen kommt - wie bei Halteempfehlungen eines Anlageberaters - nur im Betracht, wenn diese Entscheidungen ex ante betrachtet objektiv unvertretbar gewesen sind; das ist vom Anleger konkret darzulegen und ggf. nachzuweisen.


§§ 675, 280 BGB, § 249 BGB


Sachverhalt


Die Klägerin verlangt von der beklagten Bank Schadensersatz wegen Verletzung eines Vermögensverwaltungsvertrags.


Den Feststellungen des Landgericht zufolge schloss die Klägerin mit der Beklagten am 23.03.2001 einen Vermögensverwaltungsvertrag. Darin wurde eine Vergütung für die Beklagte von 0,4 % pro Halbjahr bezogen auf die Vermögenswerte sowie eine Provision von 100.- DM je Abrechnung für Wertpapierumsätze vereinbart (Anlage K 1). Am 18.05.2007 erwarb die Beklagte danach für die Klägerin Wertpapiere der Lehman Brothers im Wert von 900.000.- €, die seinerzeit einen Anteil von ca. 15 % im Depot der Klägerin darstellten. Am 15.01.2008 veräußerte die Beklagte einen Teil dieser Wertpapiere im Nominalwert von 200.000.- € unter Erzielung eines Gewinnes von 220.400.- €. Mit Schreiben vom 20.03.2008 (Anlage K 5) erhielt die Klägerin durch die Beklagte eine Verlustmeldung hinsichtlich des Depotwertes um 13,44 %. In einem weiteren Schreiben vom gleichen Tag (Anlage K 5) informierte die Beklagte die Klägerin insbesondere über den Wertverlust der streitgegenständlichen Zertifikate. Am 04.08.2008 verkaufte die Beklagte weitere Teile der streitgegenständlichen Zertifikate im Nominalwert von 140.000.- € für 126.140.- €. Am 15.09.2008 beantragte das Bankhaus Lehman Brothers Gläubigerschutz und fiel sodann in Insolvenz. Am 10.01.2011 erfolgte der Verkauf der restlichen Lehman Brothers Zertifikate aus dem Depot der Klägerin zu einem Preis von 158.200.- €. Die Klägerin erlitt unter Berücksichtigung der Gewinne insgesamt einen Verlust in Höhe von 401.800.- €, den sie nebst entgangenem Gewinn und außergerichtlichen Anwaltskosten mit der Klage geltend macht. Für die Dauer der Vermögensverwaltung bei der Beklagten seit 2001 erzielte das Depot der Klägerin insgesamt einen Wertzuwachs von 12,93 %. Die Beklagte erhielt von der Emittentin der streitgegenständlichen Zertifikate Bestandsprovisionen.


Auf die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil wird ergänzend Bezug genommen (§ 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO).


Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es i.W. ausgeführt, die Entscheidung zum Erwerb der Lehman Zertifikate habe den Anlagerichtlinien des Vermögensverwaltungsvertrages entsprochen, weil diese seit 2006 eine überdurchschnittliche Risikobereitschaft vorgesehen hätten. Da die streitgegenständlichen Zertifikate nach allgemeinen Kriterien aufgrund des enthaltenen Kapital-Schutzes einer mittleren Risikoklasse zuzuordnen seien, sei die Anlageentscheidung insoweit nicht zu beanstanden. Der geltend gemacht Schadensersatzanspruch könne auch nicht auf den Umstand gestützt werden, dass die Beklagte für die streitgegenständlichen Papiere Bestandsprovisionen erhalten habe, sowie auf die behauptete mangelhafte Aufklärung hierüber. Diese Pflichtverletzung stehe in keinem kausalen Zusammenhang zu dem geltend gemachten Schaden. Vielmehr sei Rechtsfolge gegebenenfalls ein Herausgabeanspruch der Klägerin hinsichtlich der von dritter Seite gezahlten Provisionen. Die Klägerin behaupte schon nicht explizit, dass sie den Vermögensverwaltungsvertrag in Kenntnis dieser Provisionen nicht geschlossen hätte. In diesem Fall wäre Rechtsfolge jedoch nicht Schadensersatz für den Wertverlust der Lehman Zertifikate. Vielmehr sei dann im Wege der Naturalrestitution der gesamte Vermögensverwaltervertrag rückabzuwickeln. Ein Pflichtverstoß der Beklagten folge auch nicht daraus, dass sie die verbliebenen Zertifikate im Depot der Klägerin nicht spätestens unverzüglich nach dem Schreiben vom 20.03.2008 verkauft habe. Hinsichtlich der Situation im Jahr 2008 sei gerichtsbekannt, dass sich die Situation hinsichtlich Lehman Brothers keinesfalls soweit verdichtet gehabt habe, dass informierte Marktteilnehmer mit einer wahrscheinlichen Insolvenz rechneten. Überwiegend rechneten Marktteilnehmer vielmehr damit, dass große und systemrelevante Banken wie Lehman Brothers gegebenenfalls durch Stützungsmaßnahmen gerettet werden würden. Die Entscheidung zum Halten der Papiere sei deshalb seinerzeit jedenfalls nicht schlechthin unvertretbar gewesen.


Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt. Sie weist darauf hin, dass sie bereits in erster Instanz unter Beweisantritt ihres Ehemanns als Zeugen eine Vereinbarung behauptet habe, wonach die Beklagte über die mit ihr vereinbarten Gebühren hinaus keine sonstigen Provisionen von dritter Seite beziehen sollte. Hätte die Beklagte dieses Verbot beachtet, wäre ihr der streitgegenständliche Schaden nicht entstanden. Die Klägerin hat hierzu zuletzt klargestellt, dass sie die Pflichtverletzung der Beklagten nicht darin sehe, dass der Vermögensverwaltungsvertrag abgeschlossen worden sei, sondern allein darin, dass diese die behauptete mündliche Vereinbarung eines ausdrücklichen Provisionsverbots nicht beachtet habe. Die Klägerin behauptet daneben weiterhin, die Beklagte habe das hohe Risiko der Lehman Zertifikate spätestens im März 2008 erkannt und daher ihre eigenen Positionen abgebaut sowie das Neugeschäft mit Lehman eingestellt.


Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 07.09.2012 (Bl. 185 ff. d.A.), auf die Bezug genommen wird, wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass und warum der Senat beabsichtigt, ihre Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen. Ergänzend wird auf die Schriftsätze im Berufungsverfahren Bezug genommen.


Aus den Gründen


  • 1. Die Berufung der Klägerin ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO im Beschlussweg als unbegründet zurückzuweisen, da der Senat einstimmig davon überzeugt ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.


Der Senat hält das Urteil des Landgerichts weiterhin für sorgfältig begründet und auch weiterhin für offensichtlich zutreffend. Er nimmt auf das angefochtene Urteil Bezug. Bezug genommen wird ferner auf die Hinweise des Senats vom 07.09.2012, wonach er die Berufung i.S.v. § 522 Abs. 2 ZPO für unbegründet hält. Auch der weitere Schriftsatz vom 15.11.2012, der i.W. nur unsachliche Vorwürfe gegen das Landgericht und den Senat enthält und ansonsten nur das bisherige Vorbringen wiederholt, gab keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung:


  • a) Soweit die Klägerin nunmehr klargestellt hat, dass sie die anfängliche Pflichtverletzung der Beklagten allein darin sieht, dass diese die behauptete mündliche Vereinbarung eines ausdrücklichen Provisionsverbots nicht beachtet habe, hat sie einen ersatzfähigen kausalen Schaden aus mehreren Gründen weiterhin nicht schlüssig vorgetragen:
  • (1) Das von der Klägerin behauptete „Provisionsverbot" von dritter Seite hätte nach Auffassung des Senats schon nicht zur Folge gehabt, dass die Beklagte den - den zutreffenden Feststellungen des Landgericht zufolge den Anlagerichtlinien entsprechenden - Erwerb der streitgegenständlichen Zertifikate hätte unterlassen müssen. Wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, würde dies vielmehr allenfalls dazu führen, dass die Beklagte den entsprechenden Vorteil an die Klägerin herauszugeben hätte, was allerdings nicht Gegenstand ihrer Klage ist.


Die Klägerin hat in ihrer Berufungsbegründung S. 5 nämlich nur behauptet und unter Beweis gestellt, dass die Beklagte über die vereinbarten Gebühren hinaus keine sonstigen Provisionen von dritter Seite beziehen sollte. Dass mit derartigen Provisionen verbundene Geschäfte völlig zu unterlassen wären, hat sie dagegen weder behauptet noch unter Beweis gestellt.


  • (2) Wie bereits im Hinweis auf S. 3 ausgeführt, wäre außerdem selbst dann, wen die Beklagte das Geschäft hätte unterlassen müssen, der Differenzhypothese zufolge auf die Lage abzustellen, die sich bei pflichtgemäßem Handeln der Beklagten ergeben hätte.

Dann wäre entgegen der Auffassung der Klägerin nicht „der für den Kauf aufgewendete Geldbetrag in ihrem Vermögen verblieben", sondern es wären allenfalls vergleichbare Wertpapiere, nur ohne Provision für die Beklagte, erworben worden. Als Schaden gegenüberzustellen wäre dann der höhere hypothetische Wert der vergleichbaren Wertpapiere zu den streitgegenständlichen Lehman-Zertifikaten im fraglichen Zeitraum (vgl. BGH NJW 2002, 2556 ebenfalls für eine Vermögensverwaltung). Welche Wertpapiere das hier hätten sein können und wie deren Wertentwicklung im fraglichen Zeitraum bis zur Veräußerung der streitgegenständlichen Wertpapiere war, wurde von der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Klägerin weiterhin nicht konkret vorgetragen, obwohl die Beklagte bereits in erster Instanz zutreffend darauf hingewiesen hatte, dass im fraglichen Zeitraum wegen der Finanzkrise alle vergleichbaren Zertifikate ebenfalls erhebliche Kursrückschläge hinnehmen mussten.


  • (3) Schließlich wäre dieser Schaden auch nicht mehr vom Schutzzweck der behaupteten Pflichtverletzung umfasst:

Eine Pflichtverletzung führt grundsätzlich nur zum Ersatz des Schadens, dessen Eintritt die Einhaltung der Pflicht verhindern sollte. Auch der Umstand, dass der Anleger das gesamte Geschäft ohne Pflichtverletzung nicht abgeschlossen hätte, rechtfertigt es im Allgemeinen nicht, dem Gegner den gesamten mit dem fehlgeschlagenen Vorhaben verbundenen Schaden aufzuerlegen. Jedenfalls dann, wenn bei wertender Betrachtung der aus der Pflichtverletzung herrührende Schaden isoliert und durch Ausgleich in Geld neutralisiert werden kann, wäre es unangemessen, das nicht den Gegenstand der Pflichtverletzung bildende volle Anlagerisiko allein unter Kausalitätsgesichtspunkten auf den Gegner zu überwälzen (vgl. XI. Zivilsenat vom 20.03.2007, Gz. XI ZR 414/04, Rz. 21 ff.). Zu ersetzen sind vielmehr lediglich die Schäden, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, vor denen die betreffende Verhaltenspflicht schützen soll. Der Nachteil muss zu der vom Schädiger geschaffenen Gefahrenlage in einem inneren Zusammenhang stehen, eine bloß zufällige äußere Verbindung genügt nicht (II. Zivilsenat vom 20.09.2011 - II ZR 277/09).


So liegt es auch hier. Wie die Klägerin selbst ausführt, hätte sie wegen des Kapitalschutzes zum Laufzeitende den Nominalbetrag der erworbenen Papiere herausbekommen, wenn nicht die Emittentin zuvor in Insolvenz gefallen wäre. Vor dieser Insolvenzgefahr sollte jedoch die behauptete mündliche Vereinbarung eines ausdrücklichen Provisionsverbots nicht schützen. Es erscheint dem Senat bei wertender Betrachtung nicht angemessen, der Beklagten allein deshalb das nicht den Gegenstand der Pflichtverletzung bildende volle Anlagerisiko aufzuerlegen.


Zwar hat der XI. Zivilsenat in seiner Vermögensverwalterentscheidung vom 19.12.2000, XI ZR 349/99, ausgeführt, dass eine Pflichtverletzung durch Verheimlichung von Rückvergütungen gleichwohl zum Ersatz des gesamten Schadens verpflichten könne, wenn der Vermögensverwalter bei entsprechender Aufklärung überhaupt nicht mit der Verwaltung des Vermögens beauftragt und dann deshalb die eingetretenen Verluste vermieden worden wären. Das hilft der Klägerin aber nicht weiter, da sie nunmehr klargestellt hat, sich nicht auf eine derartige Verletzung einer Aufklärungspflicht und auch nicht darauf berufen zu wollen, dass es dann nicht zum Anschluss des Vermögensverwaltungsvertrags gekommen wäre. Außerdem hätte die sich Klägerin dann auch den von ihr den unangefochtenen Feststellungen des Landgericht zufolge seit Beginn der Vermögensverwaltung durch die Beklagte erzielten Wertzuwachs von 12,93% anrechnen lassen müssen. Deshalb ließe sich in Anwendung der Differenzhypothese ein Schaden der Klägerin aus der Vermögensverwaltung insgesamt nicht feststellen. Dabei handelt es sich um eine Frage der Kausalität und nicht um eine Frage der Vorteilsausgleichung, deren Voraussetzungen (vgl. dazu z.B. BGH NJW 2007, 3130) aber nach Auffassung des Senats ebenfalls gegeben wären (vgl. OLG Köln, WM 2007, 1067 zur Haftung des Vermögensverwalters bei Verstoß gegen Anlagerichtlinien, und OLG Düsseldorf, WM 2003, 1263).


  • b) Der Senat hält daran fest, dass eine Haftung der Beklagten für ihre Halteentscheidungen im Jahr 2008 nur im Betracht käme, wenn diese Entscheidungen ex ante betrachtet objektiv unvertretbar gewesen wären, und hierfür von der Klägerin konkrete Anhaltspunkte vorgetragen und nachgewiesen worden wären.
  • (1) Für eingetretene Kursverluste haftet der Vermögensverwalter grundsätzlich nur, wenn er den Vermögensverwaltungsvertrag schuldhaft verletzt hat (vgl. z.B. Kienle in: Schimansky/Bunte-Lwowski, Bankrechtshandbuch, 4. A. 2011, Bd. II § 111 Rz. 20).


Zu Halteempfehlungen einer Bank im Rahmen eines Beratungsvertrags hat der BGH bereits entschieden, dass diese Empfehlung ex ante betrachtet lediglich vertretbar sein muss. Das Risiko, dass sich eine Anlageentscheidung im Nachhinein als falsch erweist, trage der Kunde (BGH NJW 2006, 2041). Dass und warum eine Bank als Vermögensverwalterin einem strengeren Haftungsmaßstab unterliegen sollte, ist weiterhin nicht ersichtlich. Die Pflichten eines Vermögensverwalters unterscheiden sich insoweit von denen eines Anlageberaters allein dadurch, dass der Anlageberater seine Empfehlung mit banküblicher Sorgfalt nur bezogen auf den Beratungszeitpunkt abzugeben hat, während der Vermögensverwalter zur dauernden Überwachung des Markts und Überprüfung des Depots verpflichtet ist. Die Klägerin verkennt weiterhin, dass auch Halteentscheidungen eines Vermögensverwalters immer Markt- und Kursprognosen zugrundeliegen, die immer nur ex ante auf ihre Vertretbarkeit überprüft werden können (vgl. z.B. für Prognosen in Prospekten BGH, Urteile vom 12. Juli 1982 - II ZR 175/81, WM 1982, 862, 865 und vom 18. Juli 2008 - V ZR 71/07, WM 2008, 1798, Tz. 11).


  • (2) Wie das Landgericht unangefochten festgestellt hat, hat die Beklagte hier von den ursprünglich erworbenen Lehman-Papieren im Nominalwert von 900.000.- € immerhin bereits am 15.01.2008 einen Teil im Nominalwert von 200.000.- € wieder verkauft. In ihrer „Verlustmeldung" vom 20.03.2008 (Anlage K 5) hat sie dann auf „ungewöhnliche Kursrückgänge" aufgrund von Zweifeln an der Bonität der Emittentin Lehman hingewiesen, obwohl deren Bonität aktuell mit A+ bewertet werde. Am 04.08.2008 verkaufte die Beklagte einen weiteren Teil der Lehman-Papiere im Nominalwert von 140.000.- €, bevor deren Muttergesellschaft am 15.09.2008 Insolvenz anmelden musste.

Dass und warum diese Strategie der Beklagten ex ante betrachtet unvertretbar gewesen sein sollte, legt die Klägerin auch weiterhin nicht konkret dar und ist auch sonst nicht ersichtlich. Wie das Landgericht zu Recht angenommen hat und auch beim erkennenden Banksenat gerichtsbekannt ist, waren weite Teile der Finanzwelt seinerzeit der Auffassung, Lehman sei „too big to fail". Wie aus unzähligen Gerichtsverfahren ebenfalls gerichtsbekannt ist, haben das zahlreiche andere Kreditinstitute und Anleger bei ihren Halteentscheidungen ebenso gesehen, den ansonsten hätte im Vorfeld der Insolvenz von Lehman ein weit stärkerer Verkaufsdruck mit entsprechendem Kursverfall herrschen müssen. Dass, wann und wodurch die Beklagte diesbezüglich einen konkreten „Wissensvorsprung" gegenüber anderen Marktteilnehmern gehabt hätte, ist weder konkret vorgetragen noch sonst ersichtlich. Nachher waren alle klüger.


Auch hier sind somit keine Umstände festgestellt oder dargetan, aus denen sich ergäbe, dass ein konkretes Insolvenzrisiko für die Beklagte bei einer ordnungsgemäßen Überwachung der Kapitalanlage erkennbar gewesen wäre (vgl. XI. Zivilsenat vom 27.09.2011 XI ZR 182/10, zum Erwerb von Lehman-Zertifikaten in Oktober 2007). Soweit sich die Klägerin weiterhin auf eine Entscheidung des OLG Frankfurt vom 15.09.2011, Gz. 3 U 10/11, bezieht, wird von ihr weiterhin nicht dargelegt, dass das Landgericht hier entsprechenden erstinstanzlichen Sachvortrag der Klägerin übergangen hätte. Außerdem hat das OLG Frankfurt aaO nach Auffassung des Senats unzutreffend nicht den Maßstab des BGH für Halteentscheidungen (bloße Vertretbarkeit, BGH NJW 2006, 2041, s.o.), sondern denjenigen aus dem Bond-Urteil (XI. Zivilsenat vom 06.07.1993, Gz. XI ZR 12/93) für die Erwerbsberatung zugrundegelegt.


Die Teil-Halteentscheidung der Beklagten wäre aber selbst dann nicht ex ante betrachtet unvertretbar gewesen, wenn sich die Beklagte im fraglichen Zeitraum von eigenen Beständen in größerem Umfange getrennt haben sollte. Immerhin hat sie auch Bestände der Klägerin in größerem Umfang abgestoßen (s.o.). Außerdem hat bereits das Landgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die Anlagestrategie, die die Beklagte in ihrem Eigenbestand verfolgt, nicht zwangsläufig identisch sein muss mit derjenigen, die sie mit einzelnen Kunden vereinbart hat. Die Unvertretbarkeit einer Teil-Halteentscheidung würde deshalb auch das nicht belegen.


  • 2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10 ZPO.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens ergibt sich aus dem verlangten Hauptsachebetrag ohne entgangen Gewinn und vorgerichtliche Anwaltskosten.

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