BGH: Haftung des Treuhänders
BGH, Urteil vom 16.3.2023 – IX ZR 150/22
Volltext: BB-Online BBL2023-1026-6
Amtliche Leitsätze
a) Wird dem Schuldner rechtskräftig vorzeitige Restschuldbefreiung erteilt, steht das Vermögen, das der Schuldner nach Eintritt der tatbestandlichen Voraussetzungen für die vorzeitige Restschuldbefreiung erwirbt, ihm auch dann zu, wenn das Insolvenzverfahren vor Erteilung der Restschuldbefreiung aufgehoben worden ist; diesen Neuerwerb hat der Treuhänder bis zur Entscheidung des Gerichts über den Antrag des Schuldners weiter einzuziehen, für die Masse zu sichern und nach rechtskräftiger Erteilung der Restschuldbefreiung an den Schuldner herauszugeben (Fortführung von BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2009 – IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 ff).
b) Kehrt der Treuhänder den von ihm nach Eintritt der tatbestandlichen Voraussetzungen für die vorzeitige Restschuldbefreiung eingezogenen Neuerwerb an die Gläubiger aus statt ihn nach rechtskräftiger Erteilung der Restschuldbefreiung an den Schuldner herauszugeben, so hat er insoweit persönlich dem Schuldner Schadensersatz zu leisten.
Sachverhalt
Mit Beschluss vom 17. August 2018 wurde das am 18. September 2015 eröffnete Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin aufgehoben und der Beklagte zu 2 zum Treuhänder bestellt. Dieser zog vom 18. September 2020 bis einschließlich Dezember 2020 die pfändbaren Gehaltsanteile der Klägerin von deren Konto ein. Nachdem die Klägerin bis zum 18. September 2020 die Kosten des Insolvenzverfahrens vollständig bezahlt hatte und ihr mit Beschluss vom 16. Dezember 2020 die Restschuldbefreiung erteilt worden war, erstattete der Beklagte zu 2 der Klägerin den im Dezember 2020 eingezogenen Gehaltsanteil vollständig zurück, lehnte jedoch die Rückzahlung der vom 18. September bis zum 30. November 2020 eingezogenen Beträge in Höhe von insgesamt 2.044,98 € ab und kehrte diese an die Gläubiger aus.
Die Klägerin hat - soweit noch von Interesse - den Beklagten zu 2 persönlich auf Rückerstattung von 2.044,98 € in Anspruch genommen. Das Amtsgericht hat den Beklagten zu 2 antragsgemäß verurteilt und die weitergehende Klage abgewiesen. Die Berufungen der Klägerin und des Beklagten zu 2 hatten keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte zu 2 seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Aus den Gründen
3 Die zulässige Revision ist unbegründet.
4 I. Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1, § 249 BGB gegen den Beklagten zu 2 bejaht, weil dieser die ihm im Rahmen seiner Treuhänderstellung obliegende Pflicht zur Rückzahlung der streitbefangenen Beträge in Höhe von 2.044,98 € an die Klägerin verletzt habe. Auf Grund der ausdrücklichen Verweisung des § 300 Abs. 4 Satz 3 InsO aF auf § 300a Abs. 2 Satz 3 InsO aF habe der Treuhänder ab Rechtskraft der Erteilung der Restschuldbefreiung dem Schuldner den Neuerwerb herauszugeben. Das Verschulden des Beklagten zu 2 sei gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB zu vermuten, weil die von ihm zur Unterstützung seiner Auffassung zitierte Fundstelle aus dem Jahr 2014 im Zeitpunkt der Pflichtverletzung überholt und damit vor dem Hintergrund des strengen Maßstabs für einen unvermeidbaren Rechtsirrtum keine taugliche Quelle zur Auslegung mehr gewesen sei. Als Rechtsfolge schulde der Beklagte zu 2 der Klägerin Rückzahlung der zu Unrecht an die Gläubiger ausgekehrten Beträge, weil die Klägerin infolge des § 301 Abs. 3 InsO nicht darauf verwiesen werden könne, Rückzahlung von den Gläubigern zu verlangen.
5 II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand.
6 1. Die Frage, ob der im Restschuldbefreiungsverfahren nach §§ 286 ff InsO bestellte Treuhänder den Beteiligten in entsprechender Anwendung des § 60 InsO zum Schadensersatz verpflichtet sein kann oder, wie vom Berufungsgericht angenommen, ausschließlich nach allgemeinen Grundsätzen gemäß § 280 BGB haftet (zum Meinungsstand vgl. Uhlenbruck/Sternal, InsO, 15. Aufl., § 292 Rn. 15 f), hat der Senat bislang nicht entschieden (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 2008 - IX ZR 118/07, NZI 2008, 607 Rn. 20). Sie bedarf auch vorliegend keiner Klärung, weil die Haftung des Beklagten zu 2 nach beiden Rechtsgrundlagen gegeben ist.
7 2. Mit Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Beklagte zu 2 die ihn auf Grund der Treuhänderstellung gegenüber der Klägerin treffenden Pflichten verletzt hat, indem er die streitbefangenen Beträge in Höhe von 2.044,98 € aus den Monaten September bis November 2020 nicht an die Klägerin herausgegeben, sondern mit der Rechtsfolge des § 301 Abs. 3 InsO an die Gläubiger ausgekehrt hat. Damit liegt entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung der Revision ein Schaden vor.
8 a) Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, sind auf das vorliegende Verfahren nach Maßgabe des Art. 103k Abs. 1 und 2 EGInsO die Vorschriften der Insolvenzordnung in der vor dem 1. Oktober 2020 geltenden Fassung anzuwenden (im Folgenden: aF). Gemäß § 300 Abs. 4 Satz 3 InsO aF (jetzt: § 300 Abs. 2 Satz 4 InsO nF) gelten die Vorschriften der §§ 299, 300a InsO aF entsprechend, wenn Restschuldbefreiung - wie hier - nach § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO aF erteilt wird. Demnach gehört das Vermögen, das der Schuldner nach Eintritt der Voraussetzungen des § 300 Abs. 1 Satz 2 InsO aF erwirbt, nicht mehr zur Insolvenzmasse (§ 300a Abs. 1 Satz 1 InsO aF) und hat der Treuhänder bei Rechtskraft der Erteilung der Restschuldbefreiung dem Schuldner den Neuerwerb herauszugeben (§ 300a Abs. 2 Satz 3 InsO). Diese gesetzliche Regelung begründet eine entsprechende Verpflichtung des Treuhänders. Verletzt er sie pflichtwidrig, haftet der Treuhänder dem Schuldner persönlich auf Schadensersatz.
9 b) Nach dem Wortlaut des § 300a Abs. 1 Satz 1 InsO aF, auf den § 300 Abs. 4 Satz 3 InsO aF verweist, ist für den Neuerwerb allein auf den Eintritt der Voraussetzungen des § 300 Abs. 1 Satz 2 InsO aF abzustellen (so auch LG Bochum, NZI 2021, 634, 635; Graf-Schlicker/Kexel, InsO, 6. Aufl., § 300 Rn. 27; Jaeger/Preuß, InsO, § 300a Rn. 18; Uhlenbruck/Sternal, 15. Aufl., InsO, § 300 Rn. 48, § 300a Rn. 6). Die Gesetzesmaterialien belegen, dass keine die Rechtsfolgen des § 300a InsO aF modifizierende Verweisung beabsichtigt war. Der Bundesgerichtshof hatte für sogenannte asymmetrische Verfahren, in denen die Restschuldbefreiung zu erteilen ist, bevor das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren aufgehoben hat, entschieden, dass der Insolvenzverwalter bis zur Rechtskraft der Entscheidung, mit der im laufenden Verfahren Restschuldbefreiung erteilt wird, den pfändbaren Neuerwerb einzuziehen, für die Masse zu sichern und nach rechtskräftiger Erteilung der Restschuldbefreiung an den Schuldner auszukehren hat (BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2009 - IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 Rn. 38 f). Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung war zunächst nur § 300a InsO-RegE enthalten, der diese höchstrichterliche Rechtsprechung umsetzen sollte (BT-Drucks. 17/11268, S. 17, 31). § 300 Abs. 4 Satz 3 InsO aF ist auf Vorschlag des Bundesrates eingefügt worden. Laut der Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages soll die entsprechende Anwendung von § 300a InsO aF verhindern, dass die Abtretung im Fall einer vorzeitigen Erteilung der Restschuldbefreiung erst mit Rechtskraft der Entscheidung endet (vgl. BT-Drucks. 17/13535, S. 28).
10 c) Das Abstellen auf den Eintritt der Voraussetzungen des § 300 Abs. 1 Satz 2 InsO aF ist auch nach Sinn und Zweck und auf Grund des systematischen Zusammenhangs der Regelung geboten. Das mit § 300 InsO aF bezweckte Anreizsystem (vgl. BT-Drucks. 17/11268, S. 1) führt in den regelhaften Fällen (vgl. Ahrens, NJW-Spezial 2021, 725, 726), in denen nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens über die Erteilung der Restschuldbefreiung zu entscheiden ist, dazu, dass der Insolvenzbeschlag nicht mehr eingreift und die Abtretungserklärung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Restschuldbefreiung gemäß § 299 InsO Grundlage für die Einziehung des pfändbaren Einkommens ist. In Bezug auf den Neuerwerb unterscheidet sich die Interessenlage jedoch nicht vom sogenannten asymmetrischen Verfahren. In beiden Gestaltungen wird nach Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung der Restschuldbefreiung auf Grund der Abtretungserklärung Einkommen abgeführt, bis das Gericht über die Restschuldbefreiung entschieden hat (vgl. Jaeger/Preuß, InsO, § 300a Rn. 17; Allemand, NZI 2021, 636). Der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung hängt nicht nur von der Geschäftslage des Gerichts, sondern auch von dem Vorhandensein von Versagungsanträgen von Gläubigern ab und ist - im Unterschied zu den Voraussetzungen des § 300 InsO aF - vom Schuldner nicht zu beeinflussen. Ein sachlicher Grund, warum Einkommen bis zur Rechtskraft der Entscheidung im Falle eines sogenannten asymmetrischen Verfahrens an den Schuldner herauszugeben, im Regelfall der vorangegangenen Aufhebung des Insolvenzverfahrens aber an die Gläubiger ausgekehrt werden soll, ist nicht ersichtlich. Die von der Revision angeführten praktischen Schwierigkeiten bei der individuellen Ermittlung des Zeitpunkts der Entscheidungsreife sind auch bei asymmetrischen Verfahren zu bewältigen und rechtfertigen eine solche Ungleichbehandlung jedenfalls nicht.
11 3. Den Beklagten zu 2 trifft auch ein Verschulden. Dies gilt unabhängig davon, ob für das Verschulden auf § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB oder auf § 60 Abs. 1 Satz 2 InsO abgestellt wird.
12 a) Das Berufungsgericht hat von seinem Standpunkt aus folgerichtig die Verschuldensvermutung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB als nicht widerlegt angesehen. Demgegenüber rügt die Revision, für den Treuhänder könne in der Wohlverhaltensperiode kein strengerer Haftungsmaßstab als derjenige für den Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren gelten, dessen Verschulden zu beweisen dem Anspruchsteller obliege. Diese Rüge hat keinen Erfolg. Zwar trifft den Geschädigten bei einer Haftung nach § 60 InsO die Beweislast für das Verschulden des Insolvenzverwalters (MünchKomm-InsO/Schoppmeyer, 4. Aufl., § 60 Rn. 121). Da schon die Frage der Pflichtwidrigkeit nach dem Leitbild des ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters zu beantworten und dessen Sorgfalt zugleich Maßstab für das nach § 60 Abs. 1 InsO erforderliche Verschulden ist, folgt jedoch aus der objektiven Pflichtverletzung regelmäßig - und so auch hier - der Fahrlässigkeitsvorwurf (BGH, Urteil vom 26. Juni 2014 - IX ZR 162/13, NZI 2014, 757 Rn. 24; HK-InsO/Lohmann, 11. Aufl., § 60 Rn. 30; MünchKomm-InsO/Schoppmeyer, aaO Rn. 90).
13 b) Ein unverschuldeter Rechtsirrtum des Beklagten zu 2 ist nicht gegeben.
14 aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fordert der Geltungsanspruch des Rechts, dass der Verpflichtete grundsätzlich das Risiko eines Irrtums über die Rechtslage selbst trägt; an das Vorliegen eines unverschuldeten Rechtsirrtums sind daher strenge Maßstäbe anzulegen (BGH, Urteil vom 12. Juli 2006 - X ZR 157/05, NJW 2006, 3271 Rn. 19). Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt bei einem Schuldner regelmäßig nur dann vor, wenn er die Rechtslage unter Einbeziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sorgfältig geprüft hat und bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt auch mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte. Ein solcher Ausnahmefall ist etwa dann anzunehmen, wenn der Schuldner eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung für seine Auffassung in Anspruch nehmen konnte und eine spätere Änderung derselben nicht zu befürchten brauchte (BGH, Urteil vom 11. Juni 2014 - VIII ZR 349/13, NJW 2014, 2717 Rn. 35). Musste der Schuldner dagegen mit der Möglichkeit rechnen, dass das zuständige Gericht einen anderen Rechtsstandpunkt einnehmen würde als er, ist ihm regelmäßig ein Verschulden anzulasten (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1995 - V ZB 4/94, BGHZ 131, 346, 353 f).
bb) Auch im Haftungsrahmen des § 60 InsO wird vorausgesetzt, dass ein Insolvenzverwalter die Normen der Insolvenzordnung kennt oder sich zutreffend darüber informieren lässt (BGH, Urteil vom 9. Juni 1994 - IX ZR 191/93, NJW 1994, 2286, 2287, zu § 82 KO; Graf-Schlicker/Webel, InsO, 6. Aufl., § 300 Rn. 19). Bei rechtlichen Zweifelsfragen handelt der Insolvenzverwalter nicht schuldhaft, wenn er sich nach sorgfältiger Prüfung eine Rechtsansicht gebildet hat, die sich mit guten Gründen vertreten lässt (BGH, Beschluss vom 3. Februar 2011 - IX ZR 231/09, juris Rn. 3; HK-InsO/Lohmann, InsO, 11. Aufl. § 60 Rn. 31; Jaeger/Gerhardt, aaO, § 60 Rn. 120).
16 cc) Das Berufungsgericht hat unter Beachtung dieser Grundsätze zutreffend ausgeführt, dass der Beklagte zu 2 sich im Zeitpunkt seines Verhaltens Ende 2020 nicht schon deshalb auf die in der Berufungsbegründung allein angeführte, 2014 erschienene Kommentierung (MünchKomm-InsO/Stephan, 3. Aufl., § 300 (neu) Rn. 36) verlassen konnte, weil in diesem Zeitpunkt bereits die weit umfangreichere Kommentierung der Folgeauflage vorlag, in der diese Auffassung an entsprechender Stelle nicht erwähnt wurde (vgl. MünchKomm-InsO/Stephan, 4. Aufl., § 300 Rn. 90). Das gilt umso mehr, als die in der 3. Auflage vertretene Auffassung, ohne dies zu problematisieren und zu begründen, vom Wortlaut der gesetzlichen Verweisung abwich. Im Übrigen bezieht sich die Kommentierung in der 3. Auflage (§ 300 (neu) Rn. 37 aE) wegen der Einzelheiten auf die Erläuterungen zu § 300a. Dort aber wird als unklar angesehen, welcher Zeitpunkt mit der Formulierung "Nach Eintritt der Voraussetzungen des § 300 Abs. 1 S. 2 InsO" gemeint sei; maßgeblich dürfte der Zeitpunkt sein, zu dem die Entscheidungsvoraussetzungen nach dieser Vorschrift vorgelegen hätten (MünchKommInsO/Stephan, 3. Aufl., § 300a (neu) Rn. 4).