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Wirtschaftsrecht
14.10.2021
Wirtschaftsrecht
EuGH: Haftung der Tochtergesellschaft für Wettbewerbsverstoß der Muttergesellschaft bei wirtschaftlicher Einheit – Sumal

EuGH, Urteil vom 6.10.2021 – C-882/19; Sumal SL gegen Mercedes Benz Trucks España SL

ECLI:EU:C:2021:800

Volltext:BB-ONLINE BBL2021-2433-1

Tenor

1. Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass das Opfer einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise eines Unternehmens eine Schadensersatzklage sowohl gegen eine Muttergesellschaft, die von der Europäischen Kommission wegen dieser Verhaltensweise in einem Beschluss mit einer Sanktion belegt wurde, als auch gegen eine Tochtergesellschaft dieser Gesellschaft, die von diesem Beschluss nicht betroffen ist, erheben kann, sofern sie zusammen eine wirtschaftliche Einheit bilden. Die betreffende Tochtergesellschaft muss ihre Verteidigungsrechte sachdienlich ausüben können, um nachzuweisen, dass sie nicht zu diesem Unternehmen gehört, und ist, wenn die Kommission keinen Beschluss nach Art. 101 AEUV erlassen hat, auch berechtigt, das Vorliegen der behaupteten Zuwiderhandlung selbst zu bestreiten.

2. Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Möglichkeit vorsieht, die Haftung für das Verhalten einer Gesellschaft einer anderen Gesellschaft nur dann zuzurechnen, wenn die zweite Gesellschaft die erste Gesellschaft kontrolliert.

Aus den Gründen

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 101 AEUV.

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Sumal SL und der Mercedes Benz Trucks España SL wegen der Haftung der Letztgenannten für die Beteiligung ihrer Muttergesellschaft, der Daimler AG, an einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung (EG) Nr. 1/2003

3 Art. 16 („Einheitliche Anwendung des … Wettbewerbsrechts [der Union]“) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) bestimmt:

„(1) Wenn Gerichte der Mitgliedstaaten nach Artikel [101] oder [102 AEUV] über Vereinbarungen, Beschlüsse oder Verhaltensweisen zu befinden haben, die bereits Gegenstand einer Entscheidung der Kommission sind, dürfen sie keine Entscheidungen erlassen, die der Entscheidung der Kommission zuwiderlaufen. Sie müssen es auch vermeiden, Entscheidungen zu erlassen, die einer Entscheidung zuwiderlaufen, die die Kommission in einem von ihr eingeleiteten Verfahren zu erlassen beabsichtigt. Zu diesem Zweck kann das einzelstaatliche Gericht prüfen, ob es notwendig ist, das vor ihm anhängige Verfahren auszusetzen. Diese Verpflichtung gilt unbeschadet der Rechte und Pflichten nach Artikel 234 des Vertrags.

(2) Wenn Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten nach Artikel [101] oder [102 AEUV] über Vereinbarungen, Beschlüsse oder Verhaltensweisen zu befinden haben, die bereits Gegenstand einer Entscheidung der Kommission sind, dürfen sie keine Entscheidungen treffen, die der von der Kommission erlassenen Entscheidung zuwiderlaufen würden.“

4 Art. 23 („Geldbußen“) Abs. 2 Buchst. a dieser Verordnung sieht vor:

„Die Kommission kann gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung Geldbußen verhängen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig

a)  gegen Artikel [101] oder Artikel [102 AEUV] verstoßen …“

5 Art. 27 („Anhörung der Parteien, der Beschwerdeführer und sonstiger Dritter“) Abs. 1 der Verordnung bestimmt:

„Vor einer Entscheidung gemäß den Artikeln 7, 8, 23 oder 24 Absatz 2 gibt die Kommission den Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, gegen die sich das von ihr betriebene Verfahren richtet, Gelegenheit, sich zu den Beschwerdepunkten zu äußern, die sie in Betracht gezogen hat. Die Kommission stützt ihre Entscheidung nur auf die Beschwerdepunkte, zu denen sich die Parteien äußern konnten. Die Beschwerdeführer werden eng in das Verfahren einbezogen.“

Verordnung (EU) Nr. 1215/2012

6 Art. 7 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1) sieht vor:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:

2. wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht;

…“

Spanisches Recht

7 In Titel VI („Zum Ersatz des durch wettbewerbsbeschränkende Praktiken verursachten Schadens“) sieht Art. 71 der Ley 15/2007 de Defensa de la competencia (Gesetz 15/2007 über den Schutz des Wettbewerbs) vom 3. Juli 2007 (BOE Nr. 159 vom 4. Juli 2007, S. 28848) in ihrer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz über den Schutz des Wettbewerbs) vor:

„(1) Die Urheber von Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht haften für die verursachten Schäden.

(2) Im Sinne dieses Titels bedeuten:

a) Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht ist jede Zuwiderhandlung gegen die Art. 101 oder 102 [AEUV] oder gegen die Art. 1 oder 2 dieses Gesetzes.

b) Handlungen eines Unternehmens können auch den Unternehmen oder Personen zugerechnet werden, die dieses kontrollieren, es sei denn, dass sein wirtschaftliches Verhalten von keiner von ihnen bestimmt wird.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

8 Mercedes Benz Trucks España ist eine Tochtergesellschaft des Daimler-Konzerns mit der Muttergesellschaft Daimler. Zwischen 1997 und 1999 erwarb Sumal von Mercedes Benz Trucks España über die Stern Motor SL, eine Vertragshändlerin des Daimler-Konzerns, zwei Lastkraftwagen.

9 Am 19. Juli 2016 erließ die Kommission den Beschluss C(2016) 4673 final in einem Verfahren nach Art. 101 [AEUV] und Art. 53 des EWR‑Abkommens (Sache AT.39824 – Lkw), von dem eine Zusammenfassung im Amtsblatt der Europäischen Union vom 6. April 2017 (ABl. 2017, C 108, S. 6) veröffentlicht wurde (im Folgenden: Beschluss vom 19. Juli 2016).

10 Diesem Beschluss zufolge beteiligten sich fünfzehn europäische Lkw-Hersteller, darunter Daimler, an einem Kartell in Form einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3), die in Absprachen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen für Lkw im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sowie in Absprachen über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien für mittlere und schwere Lkw nach den geltenden Abgasnormen bestand. Für drei beteiligte Gesellschaften fand diese Zuwiderhandlung zwischen dem 17. Januar 1997 und dem 20. September 2010 und bei den zwölf anderen beteiligten Gesellschaften, darunter Daimler, vom 17. Januar 1997 bis zum 18. Januar 2011 statt.

11 Auf diesen Beschluss hin erhob Sumal beim Juzgado de lo Mercantil nº 07 de Barcelona (Handelsgericht Nr. 7 von Barcelona, Spanien) eine Schadensersatzklage, mit der sie von Mercedes Benz Trucks España die Zahlung eines Betrags von 22 204,35 Euro forderte, der den Mehrkosten entsprach, die ihr aufgrund des Kartells entstanden seien, an dem Daimler, die Muttergesellschaft von Mercedes Benz Trucks España, beteiligt gewesen sei.

12 Mit Urteil vom 23. Januar 2019 wies dieses Gericht die Klage mit der Begründung ab, dass Mercedes Benz Trucks España im Rahmen dieser Klage nicht verklagt werden könne, da Daimler, auf die allein der Beschluss der Kommission abgezielt habe, als die einzige für die betreffende Zuwiderhandlung Verantwortliche anzusehen sei.

13 Sumal legte gegen dieses Urteil Berufung beim vorlegenden Gericht ein, das sich fragt, ob Schadensersatzklagen im Anschluss an Beschlüsse von Wettbewerbsbehörden, mit denen wettbewerbswidrige Praktiken festgestellt wurden, gegen Tochtergesellschaften gerichtet werden können, die von diesen Beschlüssen nicht erfasst sind, aber zu 100 % von unmittelbar von diesen Beschlüssen betroffenen Gesellschaften gehalten werden.

14 Es weist insoweit auf unterschiedliche Auffassungen der spanischen Gerichte hin. Während einige von ihnen es zuließen, dass solche Klagen unter Berufung auf die „Lehre von der wirtschaftlichen Einheit“ gegen Tochtergesellschaften gerichtet werden könnten, schlössen andere dies mit der Begründung aus, dass diese Theorie es erlaube, einer Muttergesellschaft die zivilrechtliche Verantwortlichkeit für das Verhalten einer Tochtergesellschaft zuzurechnen, aber nicht, eine Tochtergesellschaft wegen des Verhaltens ihrer Muttergesellschaft zu belangen.

15 Unter diesen Umständen hat die Audiencia Provincial de Barcelona (Provinzgericht Barcelona, Spanien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Rechtfertigt die Lehre von der wirtschaftlichen Einheit, die auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zurückgeht, die Erstreckung der Haftung der Muttergesellschaft auf die Tochtergesellschaft, oder ist diese Lehre nur zur Erstreckung der Haftung der Tochtergesellschaften auf die Muttergesellschaft anwendbar?

2. Kann die Ausdehnung des Begriffs der wirtschaftlichen Einheit im Bereich gruppeninterner Rechtsbeziehungen ausschließlich unter Kontrollgesichtspunkten erfolgen, oder kann sie auch auf andere Kriterien gestützt werden, z. B. darauf, dass die Tochtergesellschaft durch die Verstöße Vorteile erlangen konnte?

3. Falls eine Erstreckung der Haftung der Muttergesellschaft auf die Tochtergesellschaft möglich ist, welche Voraussetzungen müssten dafür erfüllt sein?

4. Falls in der Antwort auf die vorstehenden Fragen die Möglichkeit einer Erstreckung der Haftung der Muttergesellschaft auf die Tochtergesellschaft bejaht wird: Ist eine nationale Bestimmung wie Art. 71 Abs. 2 des Gesetzes über den Schutz des Wettbewerbs, die lediglich die Möglichkeit vorsieht, die Haftung der Tochtergesellschaft auf die Muttergesellschaft zu erstrecken, und dies auch nur für den Fall, dass die Tochtergesellschaft von der Muttergesellschaft kontrolliert wird, mit dieser Rechtsprechung des Gerichtshofs vereinbar?

Zum Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens

16 Mit Schriftsatz, der am 28. April 2021 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat Mercedes Benz Trucks España beantragt, nach Art. 83 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens zu beschließen.

17 Zur Stützung ihres Antrags macht sie geltend, dass die Ausführungen des Generalanwalts in seinen Schlussanträgen vom 15. April 2021 in der vorliegenden Rechtssache auf neuen Tatsachen oder auf Annahmen beruhten, die vom vorlegenden Gericht nicht angeführt und zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens oder den in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten nicht erörtert worden seien.

18 So wendet sich Mercedes Benz Trucks España erstens gegen die Feststellung in Fn. 10 der Schlussanträge des Generalanwalts, dass der Umfang des von Sumal behaupteten Schadens im Vorabentscheidungsersuchen offenbar bereits vom vorlegenden Gericht geprüft worden zu sein scheine.

19 Zweitens habe der Generalanwalt in Nr. 75 und Fn. 86 seiner Schlussanträge zu Unrecht ausgeführt, dass die Kommission im Beschluss vom 19. Juli 2016 festgestellt habe, dass sich die kollusiven Kontakte, die ursprünglich auf der Ebene der Mitarbeiter der am Kartell beteiligten Muttergesellschaften stattgefunden hätten, später auch auf der Ebene der Tochtergesellschaften dieser Gesellschaften, genauer allein der deutschen Tochtergesellschaften von Daimler, gezeigt hätten.

20 Zwar kann der Gerichtshof gemäß Art. 83 seiner Verfahrensordnung jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält, wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist, oder wenn ein zwischen den Parteien oder den in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist.

21 Hierzu ist jedoch zunächst darauf hinzuweisen, dass der Inhalt der Schlussanträge des Generalanwalts als solcher keine solche neue Tatsache darstellen kann, da anderenfalls die Parteien unter Geltendmachung einer solchen Tatsache auf diese Schlussanträge antworten könnten. Die Schlussanträge des Generalanwalts können aber von den Parteien nicht erörtert werden. So hat der Gerichtshof bereits darauf hingewiesen, dass die Rolle des Generalanwalts nach Art. 252 AEUV darin besteht, öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen zu stellen, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union seine Mitwirkung erforderlich ist, um den Gerichtshof bei der Erfüllung seiner Aufgabe zu unterstützen, die Wahrung des Rechts bei der Anwendung und Auslegung der Verträge zu sichern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. März 2021, A. B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gerichtshof – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 63 und 64). Nach Art. 20 Abs. 4 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 82 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung beenden die Schlussanträge des Generalanwalts die mündliche Verhandlung. Die Schlussanträge stehen außerhalb der Verhandlung zwischen den Parteien und eröffnen die Phase der Beratung des Gerichtshofs. Es handelt sich somit nicht um eine an die Richter oder die Parteien gerichtete Stellungnahme, die von einer Behörde außerhalb des Gerichtshofs herrührt, sondern um die individuelle, begründete und öffentlich dargelegte Auffassung eines Mitglieds des Organs selbst (Beschluss vom 4. Februar 2000, Emesa Sugar, C‑17/98, EU:C:2000:69, Rn. 13 und 14).

22 Im vorliegenden Fall stellt der Gerichtshof nach Anhörung des Generalanwalts fest, dass die von Mercedes Benz Trucks España vorgetragenen Gesichtspunkte keine neue Tatsache erkennen lassen, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung ist, die er in der vorliegenden Rechtssache zu erlassen hat, und dass in dieser Rechtssache kein zwischen den Parteien oder den Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist. Da der Gerichtshof nach Abschluss des schriftlichen und des mündlichen Verfahrens letztlich über alle erforderlichen Angaben verfügt, ist er daher ausreichend unterrichtet, um entscheiden zu können. Folglich hält er die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens nicht für geboten.

Zu den Vorlagefragen

Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

23 Mercedes Benz Trucks España hält das Vorabentscheidungsersuchen aus zwei Gründen für unzulässig.

24 Erstens genüge dieses Ersuchen nicht den Anforderungen von Art. 94 der Verfahrensordnung, da es weder den maßgeblichen und nachgewiesenen Sachverhalt, auf dessen Grundlage die Vorlagefragen gestellt worden seien, noch den Inhalt von Art. 71 Abs. 2 des Gesetzes über den Schutz des Wettbewerbs angegeben habe. Außerdem enthalte das Ersuchen eine ungenaue, einseitige und unzutreffende Darstellung der einschlägigen nationalen Rechtsprechung.

25 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus einer Gesamtbetrachtung des Vorabentscheidungsersuchens, dass das vorlegende Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in dem sein Ersuchen um Auslegung des Unionsrechts steht, hinreichend definiert hat, um es sowohl den Beteiligten zu ermöglichen, gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union Erklärungen abzugeben, als auch dem Gerichtshof, dieses Ersuchen zweckdienlich zu beantworten.

26 Zweitens meint Mercedes Benz Trucks España, dass die vier Vorlagefragen rein hypothetisch seien. So stünden die ersten drei Fragen in keinem Zusammenhang mit dem Sachverhalt des Ausgangsverfahrens, da Sumal Umstände, die die Erstreckung der Haftung für die von Daimler begangenen Zuwiderhandlungen auf Mercedes Benz Trucks España rechtfertigen könnten, weder vorgetragen noch nachgewiesen habe, sondern ihre Klage ausschließlich auf den Beschluss vom 19. Juli 2016 stütze. Da Art. 71 Abs. 2 des Gesetzes über den Schutz des Wettbewerbs auf den Ausgangsrechtsstreit nicht anwendbar sei, sei diese Vorschrift für die Entscheidung dieses Rechtsstreits ebenfalls ohne Bedeutung.

27 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es allein Sache des nationalen Gerichts ist, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der Fragen zu beurteilen, die es dem Gerichtshof vorlegt. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 9. Juli 2020, Santen, C‑673/18, EU:C:2020:531, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28 Folglich gilt für Fragen, die das Unionsrecht betreffen, eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 9. Juli 2020, Santen, C‑673/18, EU:C:2020:531, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29 Das ist vorliegend aber nicht der Fall. Die Antwort des Gerichtshofs auf die vier vorgelegten Fragen wird für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits insoweit ausschlaggebend sein, als sie es dem vorlegenden Gericht ermöglicht, zum einen zu prüfen, ob Mercedes Benz Trucks España haftbar gemacht werden kann, und zum anderen, ob Art. 71 Abs. 2 des Gesetzes über den Schutz des Wettbewerbs mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

30 Nach alledem ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.

 Zu den Fragen 1 bis 3

31 Mit seinen ersten drei Vorlagefragen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass das Opfer einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise eines Unternehmens eine Schadensersatzklage sowohl gegen eine Muttergesellschaft, die von der Kommission wegen dieser Verhaltensweise in einem Beschluss mit einer Sanktion belegt wurde, als auch gegen eine Tochtergesellschaft dieser Gesellschaft, die von diesem Beschluss nicht betroffen ist, erheben kann, sofern sie zusammen eine wirtschaftliche Einheit bilden.

32 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV in den Beziehungen zwischen Einzelnen unmittelbare Wirkungen erzeugt und in deren Person Rechte entstehen lässt, die die nationalen Gerichte zu wahren haben (Urteile vom 30. Januar 1974, BRT und Société belge des auteurs, compositeurs et éditeurs, 127/73, EU:C:1974:6, Rn. 16, und vom 14. März 2019, Skanska Industrial Solutions u. a., C‑724/17, EU:C:2019:204, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33 Die volle Wirksamkeit von Art. 101 AEUV und insbesondere die praktische Wirksamkeit des in seinem Abs. 1 ausgesprochenen Verbots wären beeinträchtigt, wenn nicht jedermann Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten entstanden ist (Urteile vom 20. September 2001, Courage und Crehan, C‑453/99, EU:C:2001:465, Rn. 26, und vom 14. März 2019, Skanska Industrial Solutions u. a., C‑724/17, EU:C:2019:204, Rn. 25).

34 So kann jedermann Ersatz des ihm entstandenen Schadens verlangen, wenn zwischen dem Schaden und einem nach Art. 101 AEUV verbotenen Kartell oder Verhalten ein ursächlicher Zusammenhang besteht (Urteile vom 13. Juli 2006, Manfredi u. a., C‑295/04 bis C‑298/04, EU:C:2006:461, Rn. 61, sowie vom 14. März 2019, Skanska Industrial Solutions u. a., C‑724/17, EU:C:2019:204, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung), wobei die Bestimmung der zum Ersatz des durch eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV verursachten Schadens verpflichteten Einheit unmittelbar durch das Unionsrecht geregelt wird (Urteil vom 14. März 2019, Skanska Industrial Solutions u. a., C‑724/17, EU:C:2019:204, Rn. 28).

35 Dieses jedermann zustehende Recht auf Ersatz eines solchen Schadens erhöht die Durchsetzungskraft der Wettbewerbsregeln der Union und ist geeignet, von – oft verschleierten – Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können; damit trägt es zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Europäischen Union bei (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2001, Courage und Crehan, C‑453/99, EU:C:2001:465, Rn. 27, sowie vom 14. März 2019, Skanska Industrial Solutions u. a., C‑724/17, EU:C:2019:204, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36 Über den Ersatz des geltend gemachten Schadens hinaus trägt die Eröffnung eines solchen Rechts nämlich zu dem Abschreckungsziel bei, das den Kern des Handelns der Kommission bildet, die verpflichtet ist, eine allgemeine Politik mit dem Ziel zu verfolgen, die im AEU‑Vertrag niedergelegten Grundsätze auf das Wettbewerbsrecht anzuwenden und das Verhalten der Unternehmen in diesem Sinne zu lenken (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 11. Juli 1983, Musique Diffusion française u. a./Kommission, 100/80 bis 103/80, EU:C:1983:158, Rn. 105). Diese Eröffnung ist somit nicht nur geeignet, den unmittelbaren Schaden zu beseitigen, der der betreffenden Person angeblich entstanden ist, sondern auch die mittelbaren Schäden an der Struktur und dem Funktionieren des Marktes, der nicht seine volle wirtschaftliche Effizienz insbesondere zugunsten der betroffenen Verbraucher entfalten konnte.

37 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass ebenso wie die Durchführung der Wettbewerbsregeln der Union durch die Behörden (public enforcement) die Schadensersatzklagen wegen Verstoßes gegen diese Regeln (private enforcement) einen integralen Bestandteil des Systems zur Durchführung dieser Vorschriften bilden, das darauf abzielt, wettbewerbswidriges Verhalten der Unternehmen zu ahnden und diese von der Beteiligung an solchem Verhalten abzuhalten (Urteil vom 14. März 2019, Skanska Industrial Solutions u. a., C‑724/17, EU:C:2019:204, Rn. 45).

38 Daraus folgt, dass der Begriff „Unternehmen“ im Sinne von Art. 101 AEUV, der einen autonomen Begriff des Unionsrechts darstellt, im Zusammenhang mit der Verhängung von Geldbußen durch die Kommission nach Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 keine andere Bedeutung als bei Schadensersatzansprüchen wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln der Union haben kann (Urteil vom 14. März 2019, Skanska Industrial Solutions u. a., C‑724/17, EU:C:2019:204, Rn. 47).

39 Aus dem Wortlaut von Art. 101 Abs. 1 AEUV geht jedoch hervor, dass sich die Verfasser der Verträge dafür entschieden haben, diesen Begriff „Unternehmen“ zur Bezeichnung des Urhebers einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht zu verwenden, die nach dieser Bestimmung geahndet werden kann, und nicht andere Begriffe wie „Gesellschaft“ oder „juristische Person“. Der Unionsgesetzgeber hat in Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 auch auf den Begriff „Unternehmen“ abgestellt, um die Einheit zu definieren, der die Kommission eine Geldbuße auferlegen kann, um einen Verstoß gegen die Wettbewerbsvorschriften der Union zu ahnden (Urteile vom 10. April 2014, Areva u. a./Kommission, C‑247/11 P und C‑253/11 P, EU:C:2014:257, Rn. 123 und 124, sowie vom 25. November 2020, Kommission/GEA Group, C‑823/18 P, EU:C:2020:955, Rn. 62 und 63).

40 Ebenso ergibt sich aus der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (ABl. 2014, L 349, S. 1), insbesondere aus ihrem Art. 2 Nr. 2, dass der Unionsgesetzgeber den „Rechtsverletzer“, dem nach dieser Richtlinie der Ersatz des durch die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht entstandenen Schadens obliegt, als „das Unternehmen oder die Unternehmensvereinigung, das bzw. die die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht begangen hat“, definiert hat.

41 Indem das Wettbewerbsrecht der Union auf die Tätigkeiten von Unternehmen abstellt, legt es als entscheidendes Kriterium das Vorhandensein eines einheitlichen Verhaltens auf dem Markt fest, ohne dass die formale Trennung zwischen verschiedenen Unternehmen, die sich aus der Verschiedenheit ihrer Rechtspersönlichkeiten ergibt, eine solche Einheit für die Anwendung der Wettbewerbsregeln ausschließen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Juli 1972, Imperial Chemical Industries/Kommission, 48/69, EU:C:1972:70, Rn. 140, sowie vom 14. Dezember 2006, Confederación Española de Empresarios de Estaciones de Servicio, C‑217/05, EU:C:2006:784, Rn. 41). Der Begriff „Unternehmen“ umfasst somit jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung, und bezeichnet somit eine wirtschaftliche Einheit, auch wenn diese aus rechtlicher Sicht aus mehreren natürlichen oder juristischen Personen besteht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. September 2009, Akzo Nobel u. a./Kommission, C‑97/08 P, EU:C:2009:536, Rn. 54 und 55, sowie vom 27. April 2017, Akzo Nobel u. a./Kommission, C‑516/15 P, EU:C:2017:314, Rn. 47 und 48). Diese wirtschaftliche Einheit besteht in einer einheitlichen Organisation persönlicher, materieller und immaterieller Mittel, die dauerhaft einen bestimmten wirtschaftlichen Zweck verfolgt und die an einer Zuwiderhandlung im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV beteiligt sein kann (Urteil vom 1. Juli 2010, Knauf Gips/Kommission, C‑407/08 P, EU:C:2010:389, Rn. 84 und 86).

42 Verstößt eine solche wirtschaftliche Einheit gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV, so hat sie nach dem Grundsatz der persönlichen Haftung für diese Zuwiderhandlung einzustehen. Insoweit ist es für die Haftungszuweisung an einen Teil einer wirtschaftlichen Einheit erforderlich, den Beweis zu erbringen, dass zumindest ein Teil dieser Einheit so gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßen hat, dass davon ausgegangen werden kann, dass das von dieser wirtschaftlichen Einheit gebildete Unternehmen eine Zuwiderhandlung gegen diese Vorschrift begangen hat, und dass dieser Umstand in einer Entscheidung der Kommission festgestellt wird, die endgültig geworden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. April 2017, Akzo Nobel u. a./Kommission, C‑516/15 P, EU:C:2017:314, Rn. 49 und 60), oder vor dem betreffenden nationalen Gericht eigenständig festgestellt wird, wenn die Kommission keine Entscheidung über das Vorliegen einer Zuwiderhandlung erlassen hat.

43 So kann nach der Rechtsprechung einer Muttergesellschaft das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft insbesondere dann zugerechnet werden, wenn die Tochtergesellschaft trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung nicht selbständig bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt, und zwar vor allem wegen der wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Beziehungen, die die beiden Rechtssubjekte verbinden, so dass sie in einem solchen Fall zur selben wirtschaftlichen Einheit gehören und damit ein einziges Unternehmen bilden, das Urheber der Zuwiderhandlung ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. September 2009, Akzo Nobel u. a./Kommission, C‑97/08 P, EU:C:2009:536, Rn. 58 und 59, sowie vom 27. April 2017, Akzo Nobel u. a./Kommission, C‑516/15 P, EU:C:2017:314, Rn. 52 und 53 und die dort angeführte Rechtsprechung). Wenn erwiesen ist, dass die Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft Teil ein und derselben wirtschaftlichen Einheit sind und damit ein einziges Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV bilden, ist somit das Bestehen selbst dieser wirtschaftlichen Einheit, die die Zuwiderhandlung begangen hat, für die Haftung der einen oder der anderen Gesellschaft, aus der das Unternehmen besteht, für das wettbewerbswidrige Verhalten der wirtschaftlichen Einheit ausschlaggebend.

44 Der Begriff „Unternehmen“ und damit der Begriff „wirtschaftliche Einheit“ führen von Rechts wegen zu einer gesamtschuldnerischen Haftung der Einheiten, die zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung die wirtschaftliche Einheit bilden (vgl. in diesem Sinne zur gesamtschuldnerischen Haftung für Geldbußen die Urteile vom 26. Januar 2017, Villeroy & Boch/Kommission, C‑625/13 P, EU:C:2017:52, Rn. 150, und vom 25. November 2020, Kommission/GEA Group, C‑823/18 P, EU:C:2020:955, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45 Allerdings ist auch darauf hinzuweisen, dass sich die Organisation von Unternehmensgruppen, die eine wirtschaftliche Einheit bilden können, von Konzern zu Konzern sehr unterscheiden kann. Es gibt insbesondere Unternehmensgruppen des Typs „Konglomerat“, die in mehreren wirtschaftlichen Bereichen tätig sind, die in keinem Zusammenhang miteinander stehen.

46 Daher kann die dem Opfer einer wettbewerbswidrigen Praxis zuerkannte Möglichkeit, im Rahmen einer Schadensersatzklage die Haftung einer Tochtergesellschaft anstelle der der Muttergesellschaft geltend zu machen, nicht automatisch gegen jede Tochtergesellschaft der Muttergesellschaft offenstehen, die von einer Entscheidung der Kommission, mit der ein rechtsverletzendes Verhalten geahndet wird, betroffen ist. Wie der Generalanwalt in Nr. 58 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, ist der in Art. 101 AEUV verwendete Begriff „Unternehmen“ ein funktionaler Begriff, bei dem die wirtschaftliche Einheit, die das Unternehmen bildet, unter dem Gesichtspunkt des Gegenstands der fraglichen Vereinbarung zu bestimmen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Juli 1984, Hydrotherm Gerätebau, 170/83, EU:C:1984:271, Rn. 11, und vom 26. September 2013, The Dow Chemical Company/Kommission, C‑179/12 P, EU:C:2013:605, Rn. 57).

47 Daher kann ein und dieselbe Muttergesellschaft Teil mehrerer wirtschaftlicher Einheiten sein, die nach Maßgabe der fraglichen wirtschaftlichen Tätigkeit aus ihr selbst und aus verschiedenen Kombinationen ihrer Tochtergesellschaften bestehen, die alle zur selben Unternehmensgruppe gehören. Andernfalls liefe eine Tochtergesellschaft eines solchen Konzerns Gefahr, für Zuwiderhandlungen haftbar gemacht zu werden, die im Rahmen wirtschaftlicher Tätigkeiten begangen wurden, die in keinem Zusammenhang mit ihrer eigenen Tätigkeit stehen und an denen sie in keiner Weise, auch nicht mittelbar, beteiligt war.

48 Nach alledem kann im Rahmen einer Schadensersatzklage, die auf das Vorliegen einer von der Kommission in einem Beschluss festgestellten Zuwiderhandlung gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV gestützt wird, eine juristische Person, die in diesem Beschluss nicht als an einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht Beteiligte bezeichnet wird, auf dieser Grundlage gleichwohl wegen der Zuwiderhandlung einer anderen rechtlichen Einheit haftbar gemacht werden, sofern beide Personen Teil ein und derselben wirtschaftlichen Einheit sind, und somit ein Unternehmen bilden, das der Urheber der Zuwiderhandlung im Sinne von Art. 101 AEUV ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. April 2014, Kommission/Siemens Österreich u. a. und Siemens Transmission & Distribution u. a./Kommission, C‑231/11 P bis C‑233/11 P, EU:C:2014:256, Rn. 45, sowie vom 26. Januar 2017, Villeroy & Boch/Kommission, C‑625/13 P, EU:C:2017:52, Rn. 145).

49 Der Gerichtshof hat nämlich bereits entschieden, dass das Gesamtschuldverhältnis, das die Mitglieder einer wirtschaftlichen Einheit verbindet, es u. a. rechtfertigt, gegenüber der Muttergesellschaft den erschwerenden Umstand des Wiederholungsfalls zu berücksichtigen, selbst wenn diese nicht Gegenstand früherer Verfolgungsmaßnahmen war, die zu einer Mitteilung der Beschwerdepunkte und zu einer Entscheidung geführt haben. In einer solchen Situation ist die frühere Feststellung einer ersten Zuwiderhandlung durch das Verhalten einer Tochtergesellschaft entscheidend, mit der diese an einer zweiten Zuwiderhandlung beteiligte Muttergesellschaft schon zum Zeitpunkt der ersten Zuwiderhandlung ein einziges Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV bildete (Urteil vom 5. März 2015, Kommission u. a./Versalis u. a., C‑93/13 P und C‑123/13 P, EU:C:2015:150, Rn. 91).

50 Es spricht daher grundsätzlich nichts dagegen, dass ein Opfer einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise gegen eine der rechtlichen Einheiten, die die wirtschaftliche Einheit und damit das Unternehmen bilden, das durch eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV den Schaden dieses Opfers verursacht hat, eine Schadensersatzklage erhebt.

51 In Fällen, in denen das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV seitens einer Muttergesellschaft festgestellt worden ist, steht es somit dem Opfer dieser Zuwiderhandlung frei, nach der in Rn. 42 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung zu versuchen, anstelle der Muttergesellschaft eine von deren Tochtergesellschaften zivilrechtlich haftbar zu machen. Die Haftung dieser Tochtergesellschaft kann jedoch nur dann ausgelöst werden, wenn das Opfer entweder auf der Grundlage einer Entscheidung, die zuvor von der Kommission in Anwendung von Art. 101 AEUV erlassen wurde, oder auf andere Weise, insbesondere wenn die Kommission zu diesem Punkt in dieser Entscheidung schweigt oder noch nicht zum Erlass einer Entscheidung veranlasst war, nachweist, dass zum einen im Hinblick auf die in den Rn. 43 und 47 des vorliegenden Urteils genannten wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen und zum anderen im Hinblick auf das Bestehen eines konkreten Zusammenhangs zwischen der wirtschaftlichen Tätigkeit dieser Tochtergesellschaft und dem Gegenstand der Zuwiderhandlung, für die die Muttergesellschaft haftbar gemacht wurde, diese Tochtergesellschaft mit ihrer Muttergesellschaft eine wirtschaftliche Einheit bildete.

52 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass eine solche Schadensersatzklage gegen eine Tochtergesellschaft voraussetzt, dass der Kläger für die Feststellung des Vorliegens einer wirtschaftlichen Einheit zwischen einer Muttergesellschaft und der Tochtergesellschaft im Sinne der Rn. 41 und 46 des vorliegenden Urteils die in der vorstehenden Randnummer genannten Bindungen zwischen diesen Gesellschaften und den in derselben Randnummer genannten konkreten Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Tätigkeit dieser Tochtergesellschaft und dem Gegenstand der Zuwiderhandlung, für die die Muttergesellschaft haftbar gemacht wurde, nachweist. Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens müsste das Opfer also grundsätzlich nachweisen, dass die wettbewerbswidrige Vereinbarung der Muttergesellschaft, wegen der sie verurteilt wurde, dieselben Produkte betrifft wie die von der Tochtergesellschaft vermarkteten. Damit weist das Opfer nach, dass genau die wirtschaftliche Einheit, zu der die Tochtergesellschaft zusammen mit ihrer Muttergesellschaft gehört, das Unternehmen ist, das die zuvor von der Kommission gemäß Art. 101 Abs. 1 AEUV festgestellte Zuwiderhandlung gemäß der in Rn. 46 des vorliegenden Urteils vertretenen funktionalen Auslegung des Begriffs „Unternehmen“ tatsächlich begangen hat.

53 Hinzuzufügen ist, dass die in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Anforderungen des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und auf Zugang zu einem unparteiischen Gericht der beklagten Partei im Rahmen einer Schadensersatzklage zugutekommen müssen, die zur Verurteilung dieser Partei zur Entschädigung des Opfers einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise führen kann. Es ist daher unerlässlich, dass die betroffene Tochtergesellschaft in der Lage ist, ihre Rechte gemäß dem Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte, der einen fundamentalen Grundsatz des Unionsrechts darstellt, zu verteidigen (vgl. entsprechend Urteile vom 5. März 2015, Kommission u. a./Versalis u. a., C‑93/13 P und C‑123/13 P, EU:C:2015:150, Rn. 94, sowie vom 29 April 2021, Banco de Portugal u. a., C‑504/19, EU:C:2021:335, Rn. 57). Daher muss diese Tochtergesellschaft vor dem betreffenden nationalen Gericht über alle Mittel verfügen, die für die zweckdienliche Ausübung ihrer Verteidigungsrechte erforderlich sind, insbesondere um ihre Zugehörigkeit zu demselben Unternehmen wie ihre Muttergesellschaft bestreiten zu können.

54 Insoweit muss diese Tochtergesellschaft ihre Haftung für den behaupteten Schaden insbesondere dadurch widerlegen können, dass sie jeden Grund geltend macht, den sie hätte geltend machen können, wenn sie an dem von der Kommission gegen ihre Muttergesellschaft eingeleiteten Verfahren beteiligt gewesen wäre, das zum Erlass einer Entscheidung der Kommission geführt hat, mit der das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV festgestellt wurde (public enforcement).

55 Stützt sich eine Schadensersatzklage jedoch auf die Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV durch die Kommission in einem an die Muttergesellschaft der beklagten Tochtergesellschaft gerichteten Beschluss, kann die Tochtergesellschaft das Vorliegen der von der Kommission festgestellten Zuwiderhandlung vor dem nationalen Gericht nicht bestreiten. Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 bestimmt nämlich u. a., dass Gerichte der Mitgliedstaaten, wenn sie nach Art. 101 AEUV über Vereinbarungen, Beschlüsse oder Verhaltensweisen zu befinden haben, die bereits Gegenstand eines Beschlusses der Kommission sind, keine Entscheidungen erlassen dürfen, die dem Beschluss der Kommission zuwiderlaufen.

56 Insoweit sieht Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 zwar vor, dass die Kommission vor einer Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln festgestellt und eine Geldbuße verhängt wird, den Personen, gegen die sich das Verfahren richtet, Gelegenheit gibt, sich zu den Beschwerdepunkten zu äußern, die sie in Betracht gezogen hat, und ihre Entscheidung nur auf die Beschwerdepunkte stützt, zu denen sich die Parteien äußern konnten. In diesem Zusammenhang soll die Mitteilung der Beschwerdepunkte es jeder von einem wettbewerbsrechtlichen Verwaltungsverfahren betroffenen juristischen Person ermöglichen, ihre Verteidigungsrechte auszuüben. Hingegen verpflichten die Verteidigungsrechte nicht zur Übermittlung einer Mitteilung der Beschwerdepunkte an eine Gesellschaft, wenn die Kommission nicht die Absicht hat, eine Zuwiderhandlung gegenüber dieser Gesellschaft festzustellen. Die Übermittlung der Mitteilung der Beschwerdepunkte an eine bestimmte Gesellschaft soll nämlich die Wahrung der Verteidigungsrechte dieser Gesellschaft und nicht eines Dritten gewährleisten, selbst wenn dieser womöglich von demselben Verwaltungsverfahren betroffen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. September 2017, LG Electronics und Koninklijke Philips Electronics/Kommission, C‑588/15 P und C‑622/15 P, EU:C:2017:679, Rn. 44 bis 46).

57 Diese Grundsätze sind jedoch spezifisch für die von der Kommission durchgeführten Zuwiderhandlungsverfahren, die die Besonderheit aufweisen, dass sie zur Verhängung einer Geldbuße gegen die juristischen Personen führen können, gegen die diese Verfahren konkret gerichtet sind.

58 Dagegen steht der Grundsatz der persönlichen Haftung unter den in Rn. 56 des vorliegenden Urteils beschriebenen Umständen der endgültigen Feststellung einer solchen Zuwiderhandlung in Bezug auf eine Tochtergesellschaft nicht entgegen, da, wie in Rn. 42 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die wirtschaftliche Einheit, die das Unternehmen bildet, das die Zuwiderhandlung begangen hat, für diese Zuwiderhandlung einzustehen hat.

59 Wie sich aus der in Rn. 49 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, hat der Gerichtshof nämlich bereits entschieden, dass es bei der Anwendung des erschwerenden Umstands eines Wiederholungsfalls einer Muttergesellschaft für die Berücksichtigung einer von deren Tochtergesellschaft begangenen Zuwiderhandlung nicht erforderlich ist, dass Letztere Gegenstand eines früheren Verfahrens war, das zu einer Mitteilung der Beschwerdepunkte und einem Beschluss geführt hat, sofern die Tochtergesellschaft, deren Verhalten zu der Zuwiderhandlung geführt hat, bereits zum Zeitpunkt der ersten Zuwiderhandlung mit der fraglichen Muttergesellschaft ein einziges Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV bildete. Soweit ein Beschluss, mit dem das Vorliegen einer von einem Unternehmen begangenen Zuwiderhandlung festgestellt wird, an eine der Gesellschaften gerichtet wurde, die dieses Unternehmen bereits zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung bildeten, so dass diese Gesellschaft und damit dieses Unternehmen Gelegenheit hatten, das Vorliegen dieser Zuwiderhandlung zu bestreiten, können die Verteidigungsrechte der übrigen Gesellschaften, die dasselbe Unternehmen bildeten, nicht dadurch verletzt werden, dass das Vorliegen dieser Zuwiderhandlung im Rahmen einer späteren Schadensersatzklage berücksichtigt wird, die von einer Person erhoben wird, die durch das fragliche verletzende Verhalten einen Schaden erlitten hat, da eine solche Klage insbesondere nicht zur Verhängung einer Sanktion wie beispielsweise einer Geldbuße gegen die übrigen Gesellschaften führen kann.

60 Hat die Kommission dagegen das rechtswidrige Verhalten nicht in einem Beschluss nach Art. 101 AEUV festgestellt, ist die Tochtergesellschaft einer Muttergesellschaft, der eine Zuwiderhandlung zur Last gelegt wird, naturgemäß berechtigt, nicht nur ihre Zugehörigkeit zu demselben Unternehmen wie die Muttergesellschaft, sondern auch das Vorliegen der behaupteten Zuwiderhandlung zu bestreiten.

61 Anknüpfend an die Ausführungen in Rn. 51 des vorliegenden Urteils ist ferner darauf hinzuweisen, dass, wie die Kommission in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichtshofs ausgeführt und wie der Generalanwalt in Nr. 76 seiner Schlussanträge festgestellt hat, die Möglichkeit des betreffenden nationalen Gerichts, eine etwaige Haftung der Tochtergesellschaft für die verursachten Schäden festzustellen, nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil gegebenenfalls die Kommission keinen Beschluss erlassen hat oder weil mit dem Beschluss, mit dem sie die Zuwiderhandlung festgestellt hat, dieser Gesellschaft keine Verwaltungssanktion auferlegt wurde.

62 Wie der Gerichtshof nämlich in Rn. 51 des Urteils vom 27. April 2017, Akzo Nobel u. a./Kommission (C‑516/15 P, EU:C:2017:314), entschieden hat, legen weder Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 noch die Rechtsprechung fest, welche juristische oder natürliche Person die Kommission für die Zuwiderhandlung haftbar zu machen und durch die Verhängung einer Geldbuße zu sanktionieren hat.

63 Nach der in Rn. 42 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung kann die Kommission daher nach freiem Ermessen irgendeine juristische Person eines Unternehmens, das an einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV beteiligt war, für eine Zuwiderhandlung haftbar machen und eine Geldbuße gegen sie verhängen. Daraus, dass die Kommission eine Muttergesellschaft als juristische Person identifiziert hat, die für die von einem Unternehmen begangene Zuwiderhandlung haftbar gemacht werden kann, kann folglich nicht geschlossen werden, dass die eine oder andere ihrer Tochtergesellschaften nicht zu demselben Unternehmen gehört, das für diese Zuwiderhandlung einstehen muss.

64 Für alle Fälle ist hinzuzufügen, dass unter den Umständen des Ausgangsverfahrens grundsätzlich nichts dagegensprach, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die angeblich Opfer der fraglichen Zuwiderhandlung war, ihre Schadensersatzklage vor den spanischen Gerichten gegen die Muttergesellschaft Daimler oder sogar gegen diese und die Mercedes Benz Trucks España zusammen erhebt, wobei eine etwaige Haftung der Letztgenannten für die Zuwiderhandlung den in Rn. 52 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen unterliegt.

65 Eine Klage, die, wie die Klage im Ausgangsverfahren, auf Ersatz des Schadens gerichtet ist, der sich aus angeblichen Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht der Union ergibt, fällt nämlich unter die „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 und damit in den Anwendungsbereich dieser Verordnung. Außerdem ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 7 Nr. 2 dieser Verordnung, dass die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ in dieser Bestimmung sowohl den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs als auch den Ort des für diesen Schaden ursächlichen Geschehens erfasst, so dass der Beklagte nach Wahl des Klägers vor dem Gericht eines dieser beiden Orte verklagt werden kann (Urteil vom 29. Juli 2019, Tibor-Trans, C‑451/18, EU:C:2019:635, Rn. 24 und 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

66 Der Gerichtshof hat auch klargestellt, dass ein Schaden in Form von Mehrkosten, die ein Lkw-Hersteller den Vertragshändlern auferlegt hat und den diese an die Endnutzer weitergegeben haben, einen unmittelbaren Schaden darstellt, der grundsätzlich die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats begründen kann, in dessen Hoheitsgebiet er sich verwirklicht hat, da sich die Mehrkosten, die aufgrund der künstlich hohen Preise gezahlt wurden, als unmittelbare Folge der Zuwiderhandlung nach Art. 101 AEUV darstellen. Wenn sich der von dem wettbewerbswidrigen Verhalten betroffene Markt in dem Mitgliedstaat befindet, in dessen Hoheitsgebiet der behauptete Schaden entstanden sein soll, so liegt der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs für die Zwecke der Anwendung von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 in diesem Mitgliedstaat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juli 2019, Tibor-Trans, C‑451/18, EU:C:2019:635, Rn. 30, 31 und 33).

67 Nach alledem ist auf die Fragen 1 bis 3 zu antworten, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass das Opfer einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise eines Unternehmens eine Schadensersatzklage sowohl gegen eine Muttergesellschaft, die von der Kommission wegen dieser Verhaltensweise in einem Beschluss mit einer Sanktion belegt wurde, als auch gegen eine Tochtergesellschaft dieser Gesellschaft, die von diesem Beschluss nicht betroffen ist, erheben kann, sofern sie zusammen eine wirtschaftliche Einheit bilden. Die betreffende Tochtergesellschaft muss ihre Verteidigungsrechte sachdienlich ausüben können, um nachzuweisen, dass sie nicht zu diesem Unternehmen gehört, und ist, wenn die Kommission keinen Beschluss nach Art. 101 AEUV erlassen hat, auch berechtigt, das Vorliegen der behaupteten Zuwiderhandlung selbst zu bestreiten.

Zur vierten Frage

68 Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Möglichkeit vorsieht, die Haftung für das Verhalten einer Gesellschaft einer anderen Gesellschaft nur dann zuzurechnen, wenn die zweite Gesellschaft die erste Gesellschaft kontrolliert.

69 Da sich aus der Antwort auf die Fragen 1 bis 3 ergibt, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass das Opfer einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise eines Unternehmens eine Schadensersatzklage gegen eine Tochtergesellschaft wegen der Beteiligung der Muttergesellschaft an dieser Verhaltensweise erheben kann, sofern sie eine wirtschaftliche Einheit bilden und daher zusammen dieses Unternehmen bilden, ist davon auszugehen, dass diese Bestimmung damit einer nationalen Regelung entgegensteht, die in einem solchen Fall die Möglichkeit vorsieht, die Haftung für das Verhalten einer Gesellschaft einer anderen Gesellschaft nur dann zuzurechnen, wenn die zweite Gesellschaft die erste Gesellschaft kontrolliert.

70 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts zur Gewährleistung der Wirksamkeit sämtlicher Bestimmungen des Unionsrechts u. a. den nationalen Gerichten auferlegt, ihr nationales Recht so weit wie möglich unionsrechtskonform auszulegen (Urteile vom 24. Juni 2019, Popławski, C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 57, und vom 4. März 2020, Bank BGŻ BNP Paribas, C‑183/18, EU:C:2020:153, Rn. 60).

71 Diese Gerichte müssen das nationale Recht bei seiner Anwendung daher unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der in Rede stehenden primärrechtlichen Bestimmung auslegen, um die volle Wirksamkeit dieser Bestimmung zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das im Einklang mit dem mit ihr verfolgten Zweck steht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. Juni 2019, Popławski, C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 73 und 77, und vom 4. März 2020, Bank BGŻ BNP Paribas, C‑183/18, EU:C:2020:153, Rn. 66).

72 Die Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts hat jedoch bestimmte Grenzen und darf insbesondere nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Juli 2006, Adeneler u. a., C‑212/04, EU:C:2006:443, Rn. 110, sowie vom 4. März 2020, Bank BGŻ BNP Paribas, C‑183/18, EU:C:2020:153, Rn. 67).

73 Unter diesen Umständen hätte das vorlegende Gericht, wenn es sich nicht in der Lage sähe, Art. 71 Abs. 2 des Gesetzes über den Schutz des Wettbewerbs im Einklang mit der in Rn. 67 des vorliegenden Urteils vorgenommenen Auslegung von Art. 101 Abs. 1 AEUV auszulegen, diese nationale Bestimmung unangewendet zu lassen und Art. 101 Abs. 1 AEUV unmittelbar auf den Ausgangsrechtsstreit anzuwenden.

74 Insoweit erscheint es auf den ersten Blick nicht ausgeschlossen, dass, wie die spanische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen geltend gemacht hat, eine Tochtergesellschaft im Rahmen einer Schadensersatzklage auf der Grundlage von Art. 71 Abs. 2 Buchst. a des Gesetzes über den Schutz des Wettbewerbs haftbar gemacht werden kann. Nach dieser Bestimmung ist eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht nämlich jede Zuwiderhandlung gegen die Art. 101 oder 102 AEUV oder gegen die Art. 1 oder 2 dieses Gesetzes. Nach den Ausführungen der spanischen Regierung kann aber der Tochtergesellschaft das schädigende Ereignis nach Art. 71 Abs. 2 Buchst. a dieses Gesetzes zugerechnet werden, was jedoch vom vorlegenden Gericht zu prüfen sein wird.

75 Unter diesen Umständen ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Möglichkeit vorsieht, die Haftung für das Verhalten einer Gesellschaft einer anderen Gesellschaft nur dann zuzurechnen, wenn die zweite Gesellschaft die erste Gesellschaft kontrolliert.

Kosten

76 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

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